Neue Farben

von Rosa

Der Ruf eilt Medellín weit über die Landesgrenzen voraus. Da ist die Geschichte: Pablo Escobar, Guerillakämpfe, die gefährlichste Stadt der Welt. Und da ist das Jetzt: Alle, aber wirklich alle schwärmen von Medellín.

Das Szeneviertel

Abgekämpft und verschwitzt stehen wir mit unseren Rucksäcken vor dem Trendviertel in Medellín: Poblado. Es geht steil bergauf, der Rucksack liegt schwer auf den Schultern. Wir laufen den Berg immer weiter hoch auf der Suche nach einem preisgünstigen Hostel. Uns kommen die ersten gut gelaunten Touristen entgegen. Nach ein paar Anfragen, entscheiden eher unsere Rücken als unser Budget. Unsere Schlafgelegenheit befindet sich in einem Hippiehostel in einer Art Dachboden ohne Fenster. Von unten dröhnt Elektromusik. Ein knarrender Ventilator sorgt für etwas Abkühlung.

Wir spazieren durch das Viertel, immer bergauf. Je höher desto besser. Eine Wohlfühlparadies für alle Hipster dieser Welt. Ein Szenelokal reiht sich an das andere. Fusion-Restaurants, Chocolaterien, Café-Bars. Viel Holz, viele Pflanzen, viele Glühbirnen, viel Geld. Letzteres muss man mitbringen, um hier Essen und Feiern zu können.

Eine böse Überraschung

Da wir nicht so viel von diesem Geld haben, suchen wir eine erschwinglichere Unterkunft, die uns noch etwas mehr Komfort bietet. In einem anderen Stadtteil werden wir fündig und kurzerhand buchen wir das Hostel online. Wir fahren mit der Metro, einer neu gebauten S-Bahn, bis zur Unterkunft. Medellín ist die einzige Stadt in Kolumbien die über ein Metrosystem auf Schienen verfügt. In den anderen Städten heißen aber schnelle Busverbindungen Metro. Auf die Modernität und Innovation ist man hier sehr stolz. Erneut schleppen wir unsere Rucksäcke durch die Mittagshitze. Ich frage Karl dreimal, ob wir hier auch wirklich richtig sind. Das Hostel sieht aus wie ein normales Wohnhaus. Es gibt keine Beschilderung. Die Türen sind verschlossen und auch nach mehrmaligen Klopfen öffnet niemand die Tür. Ein Nachbar von oben wird auf uns aufmerksam und versucht uns zu erklären, dass das Hostel seit zwei Monaten geschlossen ist. Wir schauen ihn mit großen Augen an und erbitten uns die Telefonnummer von den ehemaligen Hostelbesitzern. Der Mann am Telefon sagt mir, dass er nicht verstehen kann, wie wir überhaupt noch das Hostel buchen konnten. Er will sich wieder melden. Nach zwei Minuten ruft er tatsächlich zurück, um mich an seine Kollegin zu verweisen. Ihr wiederum erkläre ich erneut, dass wir schon eine Reservierungsgebühr bezahlt haben. Doch nichts zu machen, die Unterkunft bleibt für uns verschlossen. Wir sollen uns direkt an die Buchungsseite wenden. Über uns auf dem Balkon haben sich ein paar Menschen versammelt um das Spektakel unter ihnen zu verfolgen. Eine Oma, deren Spanisch ich aufgrund ihrer fehlenden Zähne noch weniger verstehe, winkt immer wieder in Richtung eines gelben Hauses. Tatsächlich befindet sich schräg gegenüber ein Hostel, dessen Bestimmungszweck von außen nicht erkennbar ist. Eine freundliche Frau bietet uns den gleichen Preis wie in Poblado an. Immerhin mit Frühstück und großem Garten.

Comuna 13

Zufällig treibt es uns auch zu Paola. An der Endhaltestelle der Metro Richtung San Javier treffen wir auf eine Free Walking Tour, die gerade starten will. Kurzerhand schließen wir uns an. Geleitet wird die Führung von Paola. Sie ist in der Comuna 13 aufgewachsen. Dort wo auch Pablo Escobar gelebt hat. Auf dem Weg in ihren Stadteil erzählt uns Paola, dass sich die Situation nach dem Tod Eskobars noch verschlimmerte. Mit dem Tod des Drogenbarons entstand ein Machtvakuum im Viertel. Guerillatruppen und Paramilitärs kämpften um die Vorherrschaft des strategisch wichtigen Gebietes. Die Comuna 13 galt als Tor zum Hinterland über das Waffen und Drogen geschmuggelt werden konnten, weil die Gebiete nicht unter Kontrolle der Polizei standen. Paola erzählt, dass teilweise die Leichen nicht weggeräumt werden konnten, weil in den toten Körpern Sprengstoff versteckt wurde, um noch mehr Menschen zu töten. Im Jahr 2002 griff das Militär mit einer Sonderaktion durch und ließ wichtige Drahtzieher verhaften.

Auch dieser Tag war kein schöner in der Comuna 13. Wieder starben viele unschuldige Menschen. Aber seit diesem Tag wurde es friedlicher, berichtet Paola Die Waffen wurden gegen Farbe und Pinsel getauscht. Wir laufen vorbei an bunten Wänden. An der Wand eine Frau, eine Taube, Schuhe und ein Herz. Darunter steht Esperanza (Hoffnung).

Symbole der Hoffnung mahnen an den Häuserwänden. Eine weitere Neuerung ist die längste Rolltreppe der Welt. Das Bauprojekt sollte vor allem älteren Bewohnern den Zugang zu ihren Wohnungen erleichtern. Kunstgalarien und Kaffeebars eröffnen. Mittlerweile kommen viele Touristen um den Stadtteil mit ihren Kunstwerken anzuschauen. Für Paola ein Zeichen von Frieden. Sie selbst hat erst vor zwei Jahren durch ein Sozialprojekt englisch gelernt und jetzt kann sie Reisenden von ihrer Geschichte erzählen. Zwischen den bunten Häusern zeigt uns Paola einen Berghang, der nicht begrünt ist. Dorthin wurden Geiseln verschleppt und getötet. Bis heute werden über 2000 Menschen vermisst. Der Regierung sind die Aufklärungsarbeiten zu teuer. Fassaden können übermalt werden, doch bleiben die Risse und Narben sichtbar.

Der Künstler

Wenn man von Fernando Botero noch nichts gehört hat, dann kommt man entweder nicht aus Südamerika oder hatte einen schlechten Kunstlehrer. Auf jeden Fall sollte man sich den Namen ab jetzt merken, weil er ein unverwechselbares Markenzeichen hat: Seine runden Formen. Alle Figuren sehen aus wie Ballonmenschen, sind leicht aufgequollen und stehen mit ihrer Präsenz im Widerspruch zu der Reduktion der Details im Bild. Der in Medellín geborene Künstler versteht sich selbst als der kolumbianische Künstler. 23 seiner Bronzefiguren kann man öffentlich auf der Plazoleta de las Esculturas bewundern. Weitere Werke im nahe gelegenen Museo de Antioquia. Wer nicht extra nach Südamerika reisen möchte, kann sich auch Skulpturen von ihm in der Innenstadt von Bamberg ansehen.

Der Hinkelstein

Sieht man die Pierda de Penol auf Fotos kommt einem der Felsenberg mit angebauter Treppe unwirklich vor, wie ein überdimensionierter Hinkelstein, den Obelix dort vergessen hat. Vom nördlichen Busbahnhof in Medellín fährt der Bus knapp zwei Stunden nach Penol zu einer Tankstelle. Von da an geht es nur noch bergauf und mit jedem Schritt wird die ganze Kulisse beeindruckender.

Denn dieser Felsberg ist umgeben von einem riesigen See, der von grünen Inseln unterbrochen wird. Wie Tintenkleckse in der Landschaft wirkt das blaue Meer. Auf die Penol de Pierda selbst führen nochmal 750 Stufen. Hinter jeder Kurve stehen oder sitzen schnaufende Menschen, die sich vom langen Aufstieg erholen müssen.Von oben schaue ich auf die Kulisse, als wäre es die Modelleisenbahn meines Bruders. Kleine Boote fahren über das Meer und ziehen winzige weiße Fäden hinter sich her. Einsame kleine Buchten, versteckt, unbewohnt. Wenn mir die Welt zu viel wird, ist hier der Ort, wo ich meine Zelte aufschlagen würde. Zurück an der Tankstelle halten wir einen Bus an, der uns nach Guatapé bringt. In Guatapé wurde vieles richtig gemacht, was das Touriherz höher schlagen lässt. Die Reliefs an den Häuserwänden, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Hühner die Hauswand nicht zerpicken, wurden bemalt. So schlendern wir durch Gassen mit bunten Häusern, an deren Fassaden Blumen herunterhängen. Nach dem malerischen Spaziergang zieht es mich zu einer Bootstour. Langsam schippert der dreistöckige Dampfer zwischen den Buchten. Auf dem oberen Deck allerdings geht es flott zu. Kurzerhand hat sich das Schiff in ein Partyboot verwandelt. Aus den Lautsprechern tönt Salsamusik. Nach 30 Minuten werden die Beine müde und alle lassen sich auf ihre Stühle fallen und genießen doch noch die einmalige Natur.

Erinnerungen

Das Museo Casa de la Memoria befindet sich in einem langen Gebäude aus Beton. Geht man hinein, verschluckt es einen. Erinnerungen an Gewalt und Widerstand der Menschen in Medellín. Das Museum hat dem Schmerz eine Stimme gegeben. Es wurde ein Chor daraus:

Der Konflikt hat tausende Leben beschädigt. Oft haben wir die kleinen Dinge vergessen, die täglichen Rituale, der Geschmack von Mangos, die Stimmen der Kinder, der Geruch von zuhause, das friedliche Gefühl einer Familie, die Sicherheit und die Ganzheit. Wir wurden zu einem Krieg genötigt, der nicht unser Krieg war. Wenn wir das Gewicht der Verluste begreifen, verstehen wir auch das Bild der Vergangenheit, die Einsamkeit der Gegenwart und die Herausforderung eine Zukunft aufzubauen.

-Maria Camera-

 

Das Wasser wird das nicht aussprechbare mit sich nehmen.

-Sergio Goméz-

 

Was ist Gewalt?

Der schlechte Teil des Friedens

-Sara Martinez, 7 Jahre-

 

Was ist Leben?

Die Liebe, der Frieden, die Traurigkeit.

-Jorge Ivan Gomez, 6 Jahre-

 

Was ist Krieg?

Ein Spiel, was die Kinder jetzt spielen.

-Paula Andrea Franco, 9 Jahre-

 

Was ist Familie?

Die Menschen, alle, alle, alle, alle.

-Jorge Alejandro Botero, 5 Jahre-

 

Ich gehe in einen Raum. Er ist Dunkel. Kleine Leuchtpunkte spenden etwas Licht. Genau so sieht Medellín bei Nacht aus. Ein Sternenhimmel. Zwischen den Leuchtpunkten hängen Portraits an unsichtbaren Fäden. Polizisten, Lehrer, Schüler, Kinder, Familien, Freunde, Menschen. Sie sind gegangen in der Nacht und fehlen in Medellíns Sternenhimmel. Meine Schritte werden langsamer als ich aus dem Museum gehe. Es ist hell. Vor dem Museum fließt ein Fluss. Das Rot der Straße wird abgewaschen und macht Platz für neue Farben.

Hoch hinaus

Wir stehen vor einem sehr hohen Gebäude in einer belebten Straße. Der Fahrstuhl hält im 14. Stock. Ich lehne mich an das Geländer und betrachte den Boden. Von hier oben sieht es gar nicht so hoch aus. Doch, dass der Weg nach oben lang ist, weiß Pablo. Nicht nur weil ab und an der Fahrstuhl ausfällt. Er ist Aktivist und setzt sich für LGBT-Rechte ein. In einem Land, dass durch die katholische Kirche geprägt ist und in einer Stadt, die in ganz Kolumbien für ihre konservativen Politiker bekannt ist. Irgendwie hat es der kleine, dünne Mann, den man aufgrund seiner quirligen Art auf Anfang 20 schätzen würde, aber geschafft einen Job als politischer Berater zu bekommen. Als er uns davon erzählt gehen seine Mundwinkel weit nach oben und er schiebt seine runde Hornbrille zu recht. Ganz knapp konnte bei der letzten Wahl ein linker Politiker in den Stadtrat einziehen. Der erste Politiker mit Rastazöpfen berichtet Pablo stolz. Bei eben diesem Politiker wurde er angestellt. Vorher hat er jahrelang auf der Straße gekämpft auf Demos, Filmabenden und Ausstellungen gegen die Kirche aber manchmal sogar mit der Kirche. Auch bei der Kirche gäbe es einige Unterstützer der Ehe für alle. Pablo sagt vom Gesetz wäre es ihm in Kolumbien erlaubt seinen Freund zu heiraten, vom sozialen Druck allerdings nicht. Das fängt bei der eigenen Familie schon an. Aktuell möchte er ein Gesetz durchsetzen, was ihm und Kollegen erlaubt an Schulen zu gehen, um über Homosexualität zu sprechen und dass das eben ganz normal sei. Auch sonst gibt es einiges zu tun in Kolumbien findet Pablo. Die indigene Bevölkerung wird unzureichend in politische Entscheidungen einbezogen und vom Rest der Bevölkerung nicht als gebildet und relevant wahrgenommen. Viele Aktivisten sind beunruhigt wie sich die Situation mit der neuen konservativen Regierung in Kolumbien ändern wird. Bei einer Volksabstimmung gab es eine knappe Mehrheit gegen eine entspanntere und friedlichere Politik gegenüber der FARC-Bewegung. Wir stehen vor einer schwierigen Zeit sagt Pablo und zieht seine Lippen zu einem breiten Strich und  die Schultern nach oben, um sie anschließend resignierend fallen zu lassen. Wir stehen auf seinem Balkon und schauen nach unten. Nur weil Errungenschaften einmal erkämpft wurden, heißt es nicht, dass sie für immer Bestand haben. Nach unten geht es schnell.

Es ist schon später Nachmittag als wir bei Pablo aufbrechen. Wir müssen uns beeilen, um noch bei Tageslicht mit der Seilbahn fahren zu können. Als ich in die Gondel einsteige, fühle ich mich wie im Wanderurlaub in den Alpen. Unter mir steht eine Kuh auf einen Wiesenabschnitt zwischen Fluss und Straße. Ansonsten verwandelt sich das grün jedoch schnell in Ziegelrot. Soweit ich blicken kann Häuser. Vereinzelt sind sogar einige Wellblechdächer bemalt. Die Gondel ist hier ein normales Verkehrsmittel wie Bus und S-Bahn. Wir fahren einige Minuten bis zur letzten Station. Ich frage mich wie sich die Menschen vorher bis zu ihren Häusern geschleppt haben. In den Stadtteilen wo Seilbahnen installiert wurden ist die Kriminalitätsrate drastisch gesunken.

Fazit

Ja Medellín ist schön, modern und erinnert an europäische Metropolen. Doch das hat mich nicht fasziniert. Es ist der Wandel. Der Umgang mit der Geschichte. Die Stärke, die in der Kunst an den Wänden und in den Zeilen der jungen Rapper und Poeten steckt. Der Mut für Veränderung und der Glaube an die Zukunft.

 


Leave a Reply