Apr 28 2018

Hasta la Vista Boa Vista

27.April 2018

Manaus

 

Boa Vista ist weniger von touristischen Interesse, sondern liegt eher auf dem Weg. Es ist die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Roraima. Roraima liegt südlich von Guyana und Venezuela und nördlich des großen Bundesstaates Amazonas. Mit 2 Menschen auf dem Quadratkilometer, leben hier noch weniger Menschen als in Surinam und Guyana. Größtenteils bedeckt von Regenwald und etwas Savanne.

Nach zwei Tagen Musik-Bus, siehe vorherigen Text, und einer kurzen Strecke Kühlschrank-Bus (Die Klimaanlage war auf Eisfach-Einstellung) sind wir abgekämpft am überregionalen Busbahnhof rausgekullert. Die verknautschten, müden und stinkenden Gestalten, derer wir uns bemächtigen, trugen sich bis zum nächsten Wifi, von dem aus wir unseren Couchsurfer kontaktierten.

Darf ich vorstellen? Eli. Eli ist etwas kleiner, Brille, gelockte Haare bis über die Schultern. Die Haare sind schwarz mit braunen Enden. Er trägt gern offen und schicken Vollbart. Lässig angenehm gekleidet und den Schlüssel zum kleinen roten Auto in der rechten Hand. Das Gesicht ist oft nachdenklich und gern der Freude zugeneigt. Sein zu Hause mag er nicht sonderlich. Zu viele kleine Tierchen rennen durch alle Zimmer. Dazwischen auch mal ein größerer Käfer. Ein schlichtes flaches Betonhaus mit allerlei alten und bunten Wänden. Es gibt sogar einen Garten mit zwei großen Bäumen. Sein Begleiter, ein Hund namens Brownie, erwartet uns schon in seinem Haus. Wir werden keine Freunde und verbannen ihn relativ schnell in den Garten.

Noch bevor wir sein zu Hause zu sehen bekommen, fährt er mit uns zur Uni. Tagsüber arbeitet er mit Kindern und abends studiert er Musik. Wir setzen uns mit ihm in das Seminar „Musik der Länder Lateinamerikas“. Nacheinander werden Vorträge über verschiedene Länder gehalten und unser Gastgeber referiert über Haiti. Wie vermutlich in jedem Seminar der Welt ist nur der Seminarleiter interessiert und alle anderen an ihren Handys und Laptops.

In Boa Vista können wir den Blick auf den Rio Branco empfehlen und nach Sonnenuntergang die großen Plätze insbesondere den Praça das Águas. Dort beginnen abends Wasserfontänen nach Musik zu spielen. Nach und nach kommen Menschen, um dort zu sitzen, zu quatschen und zu essen. Fliegende Händler*innen bieten allerlei, wie Popcorn, Ladekabel und Zuckerwatte. Viele der Straßenhändler*innen sind Venezulaner*innen. Auch tagsüber versuchen sie Autoscheiben zu waschen, führen Kunststücke auf Kreuzungen auf oder betteln. Nur um an etwas Geld zu kommen.

Die Situation in Venezuela soll zur Zeit sehr schwierig sein, weswegen wir uns schon früh gegen den Besuch des Landes entschieden haben. Neben einer Hyperinflation ist es überhaupt schwierig an Essen und Geld zu kommen. Uns wird von leeren Supermärkten berichtet. Viele verlassen das Land und deshalb halten sich auch viele im wohlhabenderen Brasilien auf. Wir kommen auch am UNHCR-Camp vorbei, ein großes Kirchengelände voll mit kleinen bunten und großen weißen Zelten mit dem blauen UNHCR-Logo. Insgesamt soll es zwei größere Anlaufstellen für die geflüchteten Menschen geben. Ein weiteres betreibt Brasilien selbst. Dort gibt es neben Unterkünften auch Waschmöglichkeiten und Kochstellen. Nichtsdestotrotz meint Eli, sei der Chavismus weiterhin beliebt. Auch in Brasilien. Chavez ist der verstorbene Vorgänger des jetzigen venezolanischen Präsidenten Maduro. Er hat über viele Jahre das sozialistische Land regiert und die hohen Einnahmen aus dem Erdöl an die arme Bevölkerung verteilt. Nun sind die Erdöl-Preise in den Keller gefallen und der Planwirtschaft fehlt das Geld. Noch mehr Erdöl zu verkaufen hilft dem Land dabei nur kurzfristig, weil es wiederum den Weltpreis senkt. Bisherige Versuche die Wirtschaft zu stabilisieren, teils mit spektakulären Ideen wie der ersten staatlichen Krypto-Währung, schlugen bislang fehl. Gleichzeitig ist das Land wegen seines Sozialismus von der westlichen Welt relativ isoliert. In Nachrichten wird vor allem im Zusammenhang mit gewalttätigen Protesten berichtet. Dabei wird meist der Narrativ von der sozialistischen Misswirtschaft bedient.

Wer heute den Nordwesten Brasiliens besucht, wird unweigerlich mit den geflüchteten Venezulaner*innen in Kontakt kommen. In Boa Vista sehen wir sie in den Straßen, nehmen sie aber nicht als aufdringlich war. Als wir vom lieben Eli zum Busbahnhof gebracht werden, sehen wir viele am Straßenrand sitzen.

Eli und uns war es ein lohnenswerter Besuch. Eli steht noch lange vor dem eisgekühlten Bus, in dem wir auf die Abfahrt warten. Wir klappen wie alle anderen die Sitze um und legen die Beine hoch. Wir fahren über nacht und schon bald schlafen wir seelenruhig ein.

Es ist aus die Maus, ab geht‘s nach Manaus!


Apr 27 2018

The Sound of Guyana

„Sie mag Musik nur wenn sie laut ist“ singt Herbert Grönemeyer ohne wahrscheinlich einmal in seinem Leben in Georgetown gewesen zu sein. Dabei passt der Refrain des deutschen Popmusikers so gut zu Georgetown, als hätte er die Hauptstadt Guyanas gekannt. Die Stadt tanzt nach ihrem eigenen Beat und ist dabei im Gegensatz zum Rest des Landes quirlig, aufgedreht und stets laut, egal zu welcher Uhrzeit.

Schon als wir das Dorf des Reisproduzenten Richtung Georgetown verlassen, stellen wir fest, dass ein Musikinstrument in Guyana von ganz besonderer Bedeutung ist: die Autohupe. Sie gibt es in verschiedenen Tonlagen und Lautstärken mit Melodie oder ohne. Wird sie in Deutschland in der Regel dazu verwendet den Autofahrer vor uns freundlich darauf hinzuweisen, dass die Ampel schon seit mindesten zwei Sekunden auf grün steht, gibt es in Guyana unzählige weitere Einsatzmöglichkeiten. Beispielsweise werden auf den Straßen stehende Nutztiere wie Esel oder Kühe mit der Hupe verscheucht, ein Überholvorgang angezeigt oder andere Verkehrsteilnehmer gegrüßt. Der beliebteste Nutzungsgrund ist allerdings recht simpel: Achtung hier bin ich, alles aus dem Weg und zwar pronto! So würde es mich nicht verwundern, wenn es bei einem Verkehrsunfall Strafmilderung für den Verursacher gäbe, wenn dieser sich mit „Ich habe doch gehupt“ entschuldigt.

Nach drei Stunden Autofahrt, einigen Hupkonzerten unseres Fahrers, begleitet von seinem genuschelten Flüchen, erreichen wir Georgetown. Zum ersten Mal seit meiner Abreise in Europa habe ich das Gefühl in einer Art Großstadt zu sein. Georgetown hat 134.000 Einwohner. An den Straßen reiht sich ein Geschäft an das andere. Dazwischen fliegende Händler, die Zuckerwatte, Kleidung oder einen halbes Elektronikfachgeschäft mit sich herumtragen. In der Mittagshitze laufen sie unermüdlich von einer Menschentraube zur nächsten. Enttäuscht zieht ein Händler ab, als wir ihm keines seiner super modernen Haartrockengeräte abkaufen. Wir gehen weiter Richtung Hafen. In unseren Ohren treibende Rhythmen, die aus allen Lautsprechern tönen. Die Hauptsehenswürdigkeit in Georgetown ist der Strabroekmarkt, eine riesige Markthalle mit Wellblechdach und einem großen Uhrenturm als Wahrzeichen. In der Halle soll unter der Woche ein aufregendes Marktleben herrschen. Allerdings ist Sonntag und es gibt nur ein paar Stände vor dem Eingangstor. Einige Verkäufer haben auch Reis von unserem Reisproduzenten im Angebot. In Georgetown gibt es viele Kanäle, die nach holländischen Vorbild gebaut wurden. Mittlerweile funktioniert das Abwassersystem der Stadt nicht mehr und so dienen die Kanäle den Einwohnern eher als Mülleimer. Der Staat ist bemüht mit Kampagnen auf eine grüne und nachhaltige Entwicklung zu drängen. In einigen Regionen Guyanas gibt es aber bis heute kein Müllentsorgungssystem und so verwundert es nicht, dass der Müll entweder im Garten verbrannt oder in nahe gelegenen Flüssen entsorgt wird. Durch das dichte Hafengebiet gelangen wir zum Strand von Georgetown. Es ist ein lebendiger Platz, wo die Menschen sich treffen und feiern. Unsere Aufmerksamkeit fällt auf eine Gruppe, die Beachvolleyball spielt. Wir verbringen den Nachmittag damit mal das eine und mal das andere Team anzufeuern und so gehen alle mit einem guten Gefühl nach Hause.

Am Abend sind wir bei Roxana zum Essen eingeladen. Sie hat uns bei der Vermittlung zu unserem Reisproduzenten sehr geholfen. Als wir uns gerade fertig machen, hupt es draußen eindringlich. Diesmal sind wir gemeint. Roxana hat uns extra ein Taxi bestellt, weil es nachts für Touristen zu gefährlich sei auf die Straße zu gehen. Dies hören wir von Einheimischen hier öfters. Wir hatten allerdings nie das Gefühl uns in einer Situation bedroht oder unsicher zu fühlen. Roxana ist eine kleine aufgeweckte Frau mittleren Alters mit schwarzen schulterlangen Haaren. Ihr Haus ist stilvoll mit alten Holzmöbeln eingerichtet und überall stehen Bücher herum. Sie ist Journalistin, hat in England studiert und lebte in den 80zigern sechs Jahre lang in Deutschland. Sie erzählt uns von der aufregenden Wendezeit in Berlin, ihren Sorgen über die geplanten Ölförderungen in Guyana und die großen ausländischen Konzerne die davon profitieren werden. Auf unsere Ansprache der aktuellen Regierung winkt Roxana gleich ab und verdreht die Augen. Keinen den wir getroffen haben, scheint mit der neuen Bündnisregierung, die nach der jahrzehntelangen Regierungszeit der kommunistischen Partei 2015 an die Macht kam, zufrieden zu sein. Von draußen hören wir ein dumpfes hölzernes Geräusch. „Das sind die Frösche, es wird gleich regnen“, erklärt Roxana. Und tatsächlich keine fünf Minuten später prasselt der Regen gegen die Fenster. Mit dem aufkommenden Regen verabschieden wir uns von unserer herzlichen Gastgeberin. In der Unterkunft angekommen, vermischen sie die Geräusche von Georgetown. Aus einer nahe gelegenen Diskothek dröhnen die Bässe durchs geschlossene Fenster, von oben trommelt der Regen aufs Dach und dazwischen das vertraute Summen des Ventilators. Unser Nachtlied.

Pünktlich 16:30 Uhr stehen wir mit unserem Gepäck vor der Geschäftsstelle von Carles Busservice. Nur mit dem Bus kommt man durch den Regenwald über den Landweg in den Süden Guyanas nach Letham. Dort wollen wir die Grenze nach Brasilien passieren. Der Kleinbus sieht so aus als hätte er schon ein paar Jahre auf dem Buckel und macht generell nicht den Eindruck ein TÜV Abzeichen zu bekommen. Vor der Geschäftsstelle sitzen schon wartende Passagiere mit viel Gepäck. Es stehen Koffer, Lebensmittelsäcke, ein Fahrrad und sogar ein Gasherd quer verteilt auf dem Hof. Mit der Zeit wird es voller und ich frage mich, wie all die Menschen und Gegenstände nur in diesen Bus passen sollen. Als 18 Uhr endlich das gesamte Gepäck irgendwie Platz auf dem Dach gefunden hat und verschnürt ist, drängeln sich schon die ersten Fahrgäste an die Türen des Busses. Unser Fahrer, ein Mitte vierzigjähriger, schlanker, Indo-Guyaner, weißt jedem einzelnen Passagier den Platz zu. Es wird spannend. Er zeigt auf uns und dann auf den Vordersitz. Jackpot, denke ich. Es scheint der Platz mit der größten Beinfreiheit zu sein. Meinen überschwänglichen Gedanken werde ich im Laufe der Fahrt noch bereuen. Ein Blick ins hintere Abteil des Busses zeigt mir aber, dass den besten Platz hier wohl der Fahrer hat. Jeweils auf einen Sitzplatz quetschen sich zwei Personen, sodass am Ende 15 Menschen mehr oder weniger in den Bus passen. Der Schweiß tropft jetzt schon bei jedem Einzelnen. Der Bus tuckelt aus der Stadt und aus dem Radio tönen Liebesschnulzen von Whitney Housten bis Aerosmith. Eine skurrile Situation, aus der ich mir einen Spaß mache und einfach mitsinge. Gegen 22 Uhr ist die gute Laune verflogen. Es ist heiß, es ist eng und aufgrund der vielen Stopps geht es nicht voran. Mittlerweile weiß ich auch, warum sich mein Sitz so warm anfühlt. Unter ihm ist direkt der Motor, der des öfteren auf Hals und Nieren geprüft wird. Des weiteren ist die Handbremse defekt, der 2. Gang funktioniert nicht und meine Tür lässt sich nicht richtig schließen. Anschnallen kann man sich grundsätzlich in keinem Fahrzeug in Guyana. Jeder Fakt für sich würde schon für ein ungutes Gefühl sorgen. Dafür ist aber keine Zeit, jetzt geht die Fahrt erst richtig los. Bis zu diesem Punkt sind wir noch auf einer befestigten Straße gefahren. Nun im Regenwald ist es eine rote Sandstraße mit Hügeln, Schlaglöchern, wassergefüllten Gräben und Schlammpfützen, die kleinen Seen gleichen. Der Fahrer befördert den Bus von links nach rechts, fährt Schlängellinien, nur um irgendwie den Hindernissen auszuweichen. Ist die Straße etwas ebener brettert er mit 80 km/h über die Piste. Ich sende eilige Stoßgebete aus, dass die Achse nicht bricht, denn wer sollte hier im Nirgendwo schon vorbeikommen. Aus dem Radio tönt mittlerweile indische Bollywoodmusik. Ich sitze direkt neben dem Lautsprecher. Die lauten Arienstimmen der Sängerinnen verursachen bei mir Kopfschmerzen. Mitten im dichten Regenwald halten wir an einer Art Raststätte, die wahrscheinlich wie überall auf der Welt Lebensmittel zu überteuerten Preisen anbietet. Der einzige Reisende, der noch Spaß zu haben scheint, ist ein älterer dürrer Mann mit grauen Haaren und Schiebermütze. Er dreht das Radio noch lauter und legt ein Flotte Sohle auf den Sandboden. Dabei tänzelt er federleicht wie eine Bauchtänzerin mit einem Hüftschwung von denen viele wohl nur träumen können. Erst wird der alte Mann kritisch von den Reisenden beäugt, dann belächelt und am Ende seiner Performance bekommt er von einigen sogar Applaus. Für einen Moment wurden die müden und geplagten Gesichter wach. Dann scheucht unser Fahrer wieder alle Reisenden in den Bus. Nach drei weiteren durchgeschüttelten Stunden auf der Sandpiste kommt der Bus unsanft zum Halten. Um uns ist nichts, nur die Scheinwerfer des Busses legen ein kleines Sichtfeld frei. Es ist mal wieder was kaputt. So richtig wohl ist mir nicht in die Dunkelheit auszusteigen, doch es wird sich lohnen. Der Anblick der Sterne ist unbeschreiblich und es fällt mir schwer meinen Blick von den leuchtenden Himmelskörpern zu lösen. Immer wieder bin ich fasziniert von diesem klaren Bild. Kein Wunder die nächsten Lichtquellen müssen etliche Kilometer entfernt liegen. Ich versuche mir diesen Moment gut einzuprägen, denn es wird noch eine lange Fahrt werden, in der wir mehr als 21 Stunden unterwegs sind, den drittgrößten Fluss Südamerikas, den Essequibo, überqueren, mehrere Pannen haben, immer wieder unserer Pässe mehr oder weniger freundlichen Grenzbeamten präsentieren müssen, Passagiere in entlegenen Gegenden absetzen und schließlich drei Minuten vor Abfahrt unseres Busses nach Boa Vista die brasilianische Grenze überschreiten. Noch ahne ich nichts von den vor mir liegenden aufregenden Stunden. Glücklicherweise fallen mir meine kleinen Helfer im Rucksack ein: Oropax. Erleichtert stecke ich sie mir fest in die Ohren, was die Musik endlich auf eine Normallautstärke runterregelt. Ich schaue mir nochmal den Sternenhimmel an. Schließe die Augen und denke: Ich mag Musik auch wenn sie leise ist.


Apr 21 2018

Der Reisbauer aus Dorf 36

Dorf #36, Guyana
21. April 2018

Ich presse die Finger ganz fest zusammen. Das meiste Wasser rinnt trotzdem davon. Ich presse die Hände zusammen. Ich versuche schnell zu trinken. Ich versuche ganz vorsichtig zu trinken. Es geht nicht. Das Wasser – mein Wissen – mein Erlebtes. Ich kann es nicht halten. Ich will aber. Krampfhaft versuche ich alles zu behalten, was ich erlebt habe …
Es ist dunkel. Wenige Straßenlaternen erhellen die Straße. Die Fabrik ist nur schemenhaft. Mit gelben Laternenscheinpunkten. Zwei Tage. Voll mit allem. Ich müsste fertig sein. Ich müsste unbedingt schlafen. Doch es geht nicht. Ich muss – ein Werk schreiben – ein besseres als je – es muss dem, was jetzt folgt, genügen. Die Schrift muss der Realität folgen. Vorhang auf.

Prolog.

Es ist 3 Uhr. Früh. Die Rucksäcke sind schon gepackt. Wir schälen uns aus den dünnen Laken, putzen Zähne und hucken auf. Im Eingang wecken wir den Pförtner – 3:29 Uhr, doch wir sollen warten. 4:33 Uhr. dann wuchtet ein junger Mann mit blauen Camoflage-Hemd unsere Rucksäcke in sein Auto. Wir schlafen, machen Platz für zwei weitere. Er rast durch die Nacht, die vor der Sonne hinter dem Horizont flieht. Überall Regenwald. Dann kommen auch Felder. Stunden vergehen.
8:02 Uhr. Wir erreichen den Fähranleger und bezahlen brav. Dafür gibt es ein Ticket nach Georgetown auf der anderen Fährseite. Wir machen klar, dass dies ein Fehler sein muss. Wir bekommen den halben Preis zurück.
25€ für unsere Fährfahrt, Passkontrolle, warten. Rosa ist speiübel. Blass sitzt sie da und macht sich ein Cocktail mit Antibrechmittel. Später wird er wirken. Mir ist auch schlecht, aber ich sage nix. Ich bin auch aufgeregt. Ich hab das ja noch nie gemacht.
Herrmann, einer von vielen ungeklärten Personen mit Funktionen im Fährsystem, scheucht uns auf die altersschwache Fähre. Dann kommen die Fahrzeuge. Der Fluss ist unfassbar breit. Wir fahren zwischen unendlichen Flussinseln hindurch. Vielleicht fünfzehn Minuten. Vielleicht auch fünfundzwanzig. Nervösität. Ich kann nicht lange sitzen und laufe umher. Ein Tiger im Gehege. Teile ungefragt Wissen.
Trotz der Schilder: Erst die Autos, dann die Fußgehenden; stürmt alles nach vorn. Wir als letztes. Die Schlangen sind lang vor uns. Einheimische und karibische Staaten rechts anstellen. Alle anderen links. Eine Frau, ganz gelangweilt und etwas genervt, kontrolliert die Impfpässe auf Gelbfieberimpfungen. Irgendwann dann Passkontrolle.
„Wo ist denn Dorf 36?“
„Weiß nicht. Wir werden abgeholt“ Ich weiß es schon, aber das ist einfacher gesagt.
„Was ist ihr Job?“ Mist, sie hat sich das tatsächlich durchgelesen. Diesen schmalen Papierstreifen, den in Surinam niemand interessiert hat. Ich habe angefangen in Südamerika immer auf die Frage „Was arbeitest du?“ mit „Ich bin kein Polizist“ zu antworten. Das ist deutlich einfacher, als meinen alten Job zu erklären. Auf ihren Zettel steht auch „No Cop“.
„Oh, Ich habe keinen“
Ich soll in den Wartebereich gehen. Ich schaue den anderen zu, wie sie ihre Pässe wiederbekommen. Von irgendwelchen Beamt*innen abgeholt werden. Wie sie die Passkontrolle verlassen. An den Wänden hängen zig Hinweis-Schilder. Jedes Medikament ist auf Formblatt blablabla zu deklarieren. Lebensmittel auch. Alle Lebensmittel, insbesondere Fleisch. Ich bekomme meinen Pass zurück.
Letzte Kontrolle. „Haben sie etwas Deklarierungspflichtiges dabei?“ Ich denke an die große Reiseapotheke, die weißen Bohnen in Tomatensoße und die Aufstriche. „Nur Brot“ sag ich und grinse. Er sagt nix und ich gehe weiter. Ich bin aufgeregt, was mich erwarten wird.

Exposition.

Willkommen in Guyana. Am Ausgang hält jemand ein Schild mit unserer beider Namen hoch. Wir begrüßen uns kurz und freundlich, werden zum Auto geführt und fahren los. Die Straßen sind verdreckter und die Landschaft flacher. Flacher, weil sie stärker von Feldern geprägt ist. Trecker und Anhänger stehen am Straßenrand. Kühe, Hühner, Pferde, Esel und einiges mehr steht daneben. Die Dörfer reihen sich aneinander. Wir sehen viele hinduistische Tempel und Moscheen. Die Dörfer haben oft keine Namen, sondern sind einfach nummeriert. Nur die Städte haben ein paar Läden und Leben im Zentrum. Auch sie sind Teil dieser fast einzigen Straße die wie eine Perlenkette parallel zum Ozean verläuft. Es ist die Lebensader Guyanas. Fast alle leben an der Küste. Die Ortsschilder hat Pepsi aufgestellt. Mit weißen Buchstaben steht „Village #36 or Neville“ auf blauen Grund neben einer Pepsi-Flasche und darunter die Geschwindigkeitsbegrenzung von 50km/h. Schon vor dem Ortseingang ist eine große Fabrik links der Straße zu erkennen. Sie ist geprägt von vielen metallenen Schornsteinen und Wellblechverkleidungen. Auch Rauch steigt auf.
Unser Fahrer hält direkt davor. Gegenüber liegt eine Halle und ein Landmaschinen-Ausstatter. Neben der Fabrik gibt es schicke Familienhäuser. Allesamt vorrangig auf Stelzen gebaut, damit die Luft optimal die Wohnungen kühlen kann. Es ist viel los vor der Fabrik. Zig LKWs und viele Menschen.
Wir steigen aus, der Sicherheitsdienst macht uns das Tor auf und wir werden in ein Büro geführt. Wir kommen uns ein wenig wie teure Staatsgäste vor. Ein älterer ruhiger Mann im Hemd und kurzen Haaren hat uns reingeführt und sitzt nun vor uns. Auch er erscheint uns trocken und kurz angebunden. Freundlich begrüßt er uns und bietet uns Essen und Trinken an. Wir nehmen Tee.
Er wüsse schon etwas, aber wir sollen nochmal erklären was wir vorhaben. Ich beginne: Wir arbeiten für ein Fair-Handels-Netzwerk und möchten einen Werbefilm für den Fairen Handel im deutschsprachigen Raum machen. Im Netzwerk sind viele Fair-Handels-NGOs in Deutschland organisiert, sowie auch Importeure. Wir haben gehört, dass sie Reis produzieren für den Fairen Handel. Er bestätigt dies und erklärt uns das Kredit-System. Die Bäuerinnen und Bauern bekommen Kredite zu besseren Konditionen als bei den Banken um sich einen neuen Traktor oder Saat oder eine Kanalbrücke oder was auch immer zu bezahlen. Mit der Ernte kann der Kredit bezahlt werden und es bleibt ein Gewinn beim Bauern. Die Mühle – also die Firma die den Kredit vergibt und wo der Reis abgeliefert wird – profitiert genauso wie die Bäuerin und der Bauer. Beide machen Gewinn.
Wir möchten erst mal einen Eindruck sammeln und verstehen wie der Reis entsteht und an nächsten Tag filmen wir. Er zeigt kaum Emotionen aber er meint, dass dies ginge. Er führt uns kurz in ein enges Büro mit einem guten Dutzend rotierender Menschen. Alle sehr freundlich, aber beschäftigt. Überall liegt Papier, die Regale sind vollgestopft und in der Mitte und an den Wänden prangern riesige Pokale und Bilder. Der gute Mann heißt Mohindra Persaud und scheint kein unwichtiger in Guyana zu sein. Ein Bild zeigt, wie er eine Medaille vom Präsidenten persönlich bekommt.
Seine Firma heißt Nand Persaud, vermutlich benannt nach seinem Vater. Er übergibt uns an einen eifrigen jungen Arbeiter. Mit Schwung führt er uns in die Fabrik. Bis eben dachten wir, Reis wird geerntet und direkt verpackt. Hier wird der Reis angeliefert – nein – also zu aller erst parken die LKWs – manchmal Fahrer, manchmal die Bauern selbst – vor der Fabrik. Dann wird eine Probe genommen. Die Probe wird handgetestet und nach Qualitätslevel eingestuft. Davon hängt der Preis ab. Dann fährt der LKW auf eine Waage und danach lädt er sein Reis über einen Gitter ab. Wenn er fertig ist, wird er nochmal leer gewogen um das Netto-Gewicht zu erhalten. Ausgezahlt wird am Folgetag.
Der Reis bekommt nun zig Verarbeitungsstufen.
Das Wasser. Es rinnt mir durch die Finger.
Der Reis wird gewaschen und gesäubert. Allerdings spricht der drahtige junge Mann nur von den Körpern. Als Reis bezeichnet er das Innere. Die Körper werden heißem Wasser und Wasserdampf ausgesetzt. Immer wieder. und dann getrocknet. Immer wieder. Viele Vorgänge sortieren schlechte Körner und Halme aus. Nur oft sortieren sie nicht alle aus, sodass die Vorgänge mehrfach eingesetzt werden. Vieles dient am Anfang dem sogenannten „Parboiling“, was die Nährstoffe der Haut ins Innere, also dem Reis bringt. Der Wassergehalt wird beim trocknen stark reduziert. Danach flitzen alle Körner zwischen zwei schnell rotierenden Mühlensteinen hindurch und verlieren ihre Haut. Immer wieder. Eine Maschine sortiert noch die schwarzen aus und der Reis läuft über weitere Aufzüge und Förderbänder in die Verpackungshalle. Die Hülsen werden oft als Tierfutter verkauft. In orangen und blauen Säcken aller Größe wird der Reis teils per Hand und teils automatisch verpackt und auf Plastik-Paletten gepackt. Der meiste Reis wird in der Karibik gegessen, aber mancher nimmt längere Wege.
Wir sind eigentlich schon beeindruckt genug, wollen aber sicher gehen, dass wir auch auf den Feldern filmen können und am besten schon einen Bauern kennen lernen. Wir werden auf morgen vertröstet, aber wir können zu einer Ernte fahren, die wir morgen nicht mehr sehen können. Wir steigen wieder in eines dieser Gelände-SUVs samt Fahrer und Mohindra, den CEO. Abseits der Straße beginnt das Abenteuer und es muss ganz langsam gefahren werden. Es gibt kein Asphalt und die Landmaschinen haben tiefe Furchen hinterlassen.
Wegen irgendwelcher Filme haben wir Reis in stehenden Wasser erwartet, aber wir halten an einem gelben Weizenfeld an. Gut, es ist Reis, aber für mich, der davon keine Ahnung hat, sieht es wie ein Getreide-Feld aus. Auch die Erntemaschine passt ins Bild. Vorne rotiert quer eine offenes Gestänge, welches die Pflanzen abschneidet, innen die Halme von den Körnern trennt und die Halme hinten auswirft. Einer fährt, einer sitzt oberhalb daneben und einer auf dem Dach. Nach einer Fahrt hin und zurück hält die Maschine am Rand und pumpt die Körner in einen Laster.
Ich mache meine ersten Bilder und werde schon wieder problemlos unterstützt und animiert jede Möglichkeit zu nutzen. So stehe ich schon ziemlich schnell neben den Fahrer und filme von dort während der Fahrt. Wenn der Reis geerntet ist, werden die Rester angezündet und das Feld brennt ab. Danach wird geflutet und neue Setzlinge ausgebracht. 110 Tage später ist wieder Ernte
Guyana hat den Vorteil, dass zweimal im Jahr geerntet werden kann. Oft kommt der Winter dazwischen, aber das gibt es in Guyana nicht. Im Gegenteil, es wird sich an die beiden Regenzeiten orientiert. Regen ist hinderlich für die Ernte. Das macht die Wege schlammig und es muss kleineres Gerät fahren. Der LKW kommt dann nicht mehr durch. Hinzu kommt der Klimawandel, sodass die Regenzeiten nicht mehr so konstant beginnen.
Darauf angesprochen bringen sie uns an die Küste. Er zeigt, draußen auf dem Meer ein Boot, welches mal an der Küste lag. Vor 20 Jahren. Wir sind sprachlos. So genau habe ich noch nie die globale Erwärmung erlebt. So eindeutig sichtbar. So unumstößlich sichtbar. Egal, wen wir fragen, jeder weiß in Guyana, dass es ihn gibt. Es gibt kein Zweifel. Wir werden noch auf die gepflanzten Mangroven aufmerksam gemacht. Die EU hat sie gefördert. Sie sollen die Küste stabilisieren, doch sie versinken im Meer oder sind von diesem umgeknickt worden. Guyana ist sehr flach und der Deich eher ein Scherz. 70% der bewohnten Fläche Guyanas würde unter Wasser stehen, wenn das Meer um einen Meter steigt. Stand 2011. Der Reis kann auch etwas Salz ab, aber auch nicht zu oft.
Der Reis ist das Rückenmark des Landes. Es hält alle zusammen. Die Zuckerindustrie und viele andere Wirtschaftszweige sollen am Boden liegen, doch der Reis bleibt ein stabiles Einkommen. Auch wenn die Landmaschinen, die schon 20 Jahre gebrauchten, aus Italien sind. In Guyana werden sie repariert und wieder eingesetzt.
Ganz geplättet fallen wir früh ins Bett.

Konfrontation.

Unser Film soll trotzdem den kleinen Menschen in den Blick nehmen. Nicht den reichen CEO mit der krassen Fabrik. Der Bauer soll es sein, der vom Kredit profitiert. Nach dem Frühstück erklärt uns Mohindra, dass der Fahrer uns den ganzen Tag rumführen kann und wir nur unsere Wünsche äußern sollen. Auch der Bauer würde alles mitmachen. Los geht‘s.
Sudama könnte ein netter Opa sein. Ist er vielleicht auch. Nicht ganz so groß, etwas Wohlstandsbauch, schnee weiße kurze Haare, Hemd. Die ganze Zeit mit blauen Basecap unterwegs. Er nennt sich King bzw. ist das sein Spitzname unter dem er sich am Telephon meldet. Was er sowieso oft am Ohr hat. Wir fahren mit ihm zu einen seiner Felder das geerntet wird. Wir sind noch etwas mehr aufgeregt, weil nun darf nix schief gehen. Trotzdem bereitet das Interview etwas Schwierigkeiten, aber King zeigt sich entspannt und wortkarg wie eigentlich alle die wir hier trafen. Am Ende schaffen wir ihn die entscheidenden Antworten herauszukitzeln. Was bringt dir das Kreditsystem? Was bringt dir Nand Persaud? Was bedeutet der Klimawandel für dich? Vieles mehr. Nand Persaud lobt er in allen Tönen, aber bei dem Klimawandel will er nur wenig mitbekommen haben. Ja, in Zukunft kommt da noch was, aber da sind die Industrienationen gefragt. Guyana kann da nix machen. Sie müssen Reis produzieren. Noch mehr Reis. Eigentlich sollte die ganze Welt guyanaschen Reis essen. Der ganze Wald weg und Reis angebaut. Er sieht das ganz pragmatisch. Mit seinen 250 Hektar.
Er lässt uns natürlich nicht so einfach davon kommen. Wir filmen noch das Verladen, eine andere Mühle, wie Reis auf der Straße getrocknet wird, Kanäle, Schleusen, ein frisches Feld was dem abgeholzten Regenwald entlockt wurde und manches mehr. Natürlich kauft er uns viel zu viel Mittag und lädt uns auf Bier ein. Banks, so heißt Guyanas gutes Bier. Kann zwar mit Parbo nicht mithalten, aber das behalten wir für uns. Wir unterhalten uns über vieles und manchmal denke ich, ich müsste schon alles über Guyana wissen, was es zu wissen gibt. Ähnlich wie Mohindra kam er irgendwann ins Reden. Gut für uns. Es fällt uns schwer, uns von ihm zu verabschieden. Wie möchtest du einen Menschen, den du geöffnet hast, wieder schließen ohne unhöflich zu sein? Er erzählt uns, dass viel zu viele Menschen einander den Konflikt suchen. Er hat kein Verständnis für Kriege. Wir müssen langsam weiter, aber auch nicht sagen, dass es uns langweilt. Was es ja nicht tut.
Irgendwann. Ich hol mir noch seinen Kontakt und lege mich ins Zeug, was Freundlichkeit betrifft. Er nimmt das dankend entgegen und geht, ganz gelassen in sein Haus.

Auflösung.

Zurück an der Fabrik, gibt es nur noch wenig zu filmen. Schnell ist dies auch erledigt. Wir machen noch Erinnerungsphotos und tauschen Kontakte. Dann nehmen wir die vielen Essensreste und sinken auf einen der vielen Stühle zusammen. Fertig. Mit uns. Wir wohnen seit gestern in einen großen Konferenzraum, wo auch schon Minister*innen Arbeiter*innen getroffen haben. Ein Tisch mit schicken Stühlen. Hundert kleine schwarze Stühle. Toiletten, eine Dusche. Beamer und Klimaanlage. Kühlschrank voller Softdrinks und Bier und etwas Wasser. Wir nutzen den Luxus und breiten uns trotz der Größe im ganzen Raum aus. Auf jeden zweiten Stuhl trocknet ein Kleidungsstück, dass wir handgewaschen haben. Über dem Beamer laufen die Aufnahmen. Einiges ist ziemlich gut, anderes leider nicht überragend. Die Kameras und das Mikro sind keine besonders guten. Der Film aber scheint greifbar nahe. Das Schneiden wird jetzt noch viele Tage dauern. Wir brauchen ja nur 60 Sekunden bei über eineinhalb Stunden Material.
Später machen wir noch einen Film über den Beamer an, doch Rosa schläft umgehend ein. Ich schaue noch fast bis zum Ende, doch der Laptop war nicht am Strom, sodass ich das Ende nicht ganz sehe. Sie schläft weiter und ich versuche das Wasser aufzufangen. Ich beginne zu tippen. Stunde um Stunde. Wenn der Rechner zuklappt. Kann ich endlich. Schlafen.

Prolog.

Morgen geht‘s nach Georgetown. Irgendwie. Vielleicht ein Daumen, vielleicht ein geteiltes Taxi, vielleicht der Bus, aber vielleicht fährt uns auch jemand. Genau wissen tu ich das noch nicht. Unterkunft ist auch noch nicht fest. Mal schauen.

Ich weiß nicht, ob ich jemals so intensiv von gestern auf heute ein Land kennengelernt habe. Mit all seinen Höhen und Tiefen. Mit der Geschichte, den Menschen, Herausforderungen und dem Glück. Noch nie. Uns widerfuhr eine riesige Gastfreundschaft. Kein Wunsch, der uns nicht erfüllt wurde. Die Menschen sind nicht die emotionalsten. Nicht die mit dem Herz auf der Zunge. Das macht sie sympathisch, weil wir auch nicht die großen Smalltalker sind. Ich habe mich nie unwohl gefühlt. Manchmal fehl am Platz ob der großen Unterstützung. Ich kann mich nicht so bedanken, wie sie es verdient hätten. Ich versuch‘s morgen. Danke.
Ich hab dir ein Glas Wasser serviert. Aus dem Ozean, den ich versuche einzufangen. Danke, dass du es genommen hast. Gute Nacht.


Apr 18 2018

Wir können aber auch …

18. April 2018

Paramaribo, Surinam

Es regnet in Paramaribo. Soeben noch war es heiß, schwül und etwas bewölkt. Kaum stehe ich wieder am Ladenausgang, so hat sich die Hauptstraße verwandelt. Der unebene schwarze Asphalt ist dunkler geworden und wird durch einen leicht schräg einfallenden Schauer glänzend-schwarz. Im Linksverkehr düsen Autos die Straße entlang und spritzen das Wasser aus den sich schnell volllaufenden Kuhlen. Entlang der höher stehenden Bordsteine hat sich ein kleiner Bach mit irren Tempo entwickelt der vom nächsten Gulli verschlungen wird. Die Menschen in ihren bunten T-Shirts, Kleidern, Uniformen mit ihren Locken, Dutts und Rastas sind angehalten worden. Als wenn ihre Ampel auf Rot gesprungen wäre. An dem Ladenausgang, an dem Marktausgang gegenüber, an dem Landenausgang links von uns, überall warten die Menschen. 10 Minuten. Die erste wagt den Weg mit ihren Regenschirm. Der starke Regen beginnt kontinuierlich langsam abzunehmen. Immer mehr Mensch wagen sich auf die Fußsteige, die durch Treppeneingänge, Stände, Schäden, parkende Autos und Ampelanlagen zu einem Slalom umfunktioniert wurden.

Der Markt gegenüber ist der der zentrale Markt von Paramaribo und vor allem eine riesige wellblechbedeckte Halle. Auf zwei Etagen und mehreren Abteilen wird alles für halbwegs alltägliche Bedarfe verkauft. Bananen von grün über gelb bis schwarz, bunte Shampoos, Reis in allen Verpackungsmöglichkeiten, Garn, frisches Fleisch, grüne Tomaten, Goldkettchen, Torten, Fisch in allen Sorten und vor allem komplett und tot.

Paramaribo ist die Hauptstadt von Surinam oder Suriname. Halbe Million Menschen leben hier, vor allem an der Küste, wo es die meisten Straßen gibt. Das Hinterland ist vor allem Regenwald. Okay, es gibt einen großen Stausee und etwas Tourismus dort. Amtssprache hat Surinam von den ehemaligen Kolonialherren übernommen, Niederländisch. Die Währung 9,25 Surinam-Dollar (SRD) für 1 Euro. Vieles wird in Niederländisch und Englisch beschriftet. Im Taxi und auf der Straße ist aber Englisch bzw. Sranan-Tongo gebräuchlicher. Am Niederländisch und Französisch ist der Touri zu erkennen. Tourist*innen gibt es kaum. Nur hier und da mal zwei oder drei. Das Straßen-Englisch ist auch nicht britisch, sondern wieder eigenständig. Pidgin-Englisch in Fachkreisen genannt. Für unsere ungewohnten Ohren, doch sehr herausfordernd. Die Kolonialzeit verfolgt Paramaribo bis heute. Der Ort ist in der Innenstadt geprägt von den alten Holzhäusern. Sie reihen sich teilweise endlos aneinander. Wir sind auch in einem solchen untergekommen. Drei Stockwerke, komplett aus Holz, dünne Wände, weiß angestrichen, großzügige Balkone und offene Terasse auf dem Gehweg. Viele der Häuser stehen leer oder sind teuer vermietet. Anwaltskanzlei, Ministerium oder Gästehaus. oder sie verfallen, teils angekokelt, vor allem aber Ruinen.

Schon nach wenigen hundert Meter können wir das Regierungsviertel verlassen und finden Busstände, die voll sind mit den runden asiatischen 30-Sitzern. Voll beklebt mit Bollywood-Merchandise. Finden Supermärkte, die ungekühlt sind, kaum Brot verkaufen und meistens von Asiat*innen betrieben werden. Erst eine Bäckerei löst die nötige Freude aus. Die meisten Menschen in Surinam sind Nachfahren der ehemals von Europa verschleppten Sklaven. Teils konnten sie flüchten und lebten lange Zeit im schützenden Regenwald. Teils unterlagen sie auch nach der Abschaffung der Sklaverei einer „Arbeitspflicht“. Die weißen Plantagen-Besitzer wurden sogar für den „Verlust“ der Arbeitskräfte entschädigt. Neue Kontraktarbeiter*innen aus Indonesien, Indien und China kamen später nach Surinam. Sie bilden eine weitere große Gruppe der heute hier lebenden Menschen. Vorbildlich wirkt das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen. Die zentrale Moschee und Synagoge befinden sich direkt nebeneinander. Auch andere Tempel, Kirchen, Halal-Fleischerein, Bibel-Missions-Zentren und vieles mehr mischen sich in den Straßen.

Wer von Osten kommend nach Paramaribo-Zentrum möchte, fährt unweigerlich über die riesige Brücke die den Fluss Suriname überspannt. Nach Sonnenuntergang lohnt es sich an der Waterkant zu sitzen und über den Fluss zu schauen. Die Spitzdach-förmige Brücke wird von den vielen Autos erleuchtet. Flüsse erscheinen uns hier generell in anderen Dimensionen und die Breite des Suriname müsste am ehesten in Kilometern angegeben werden. Auch uns hat sie den ersten Atem genommen, als wir Paramaribo mit den geteilten Taxi erreicht haben. Zusammen mit einer netten Frau aus Französisch-Guyana hat uns der Taxifahrer direkt vom Anleger in Albina hierher gebracht. Albina ist die Grenzstadt am Maroni, direkt gegenüber von Saint-Laurent, der Grenzstadt in Französisch-Guyana. Die Taxifahrt war geprägt durch endloses grün und einer Polizeikontrolle die unserer Mitfahrerin Probleme bereitet hat. Ohne Ein- und Ausreise-Stempel wollten sie sie erst nicht weiterlassen.

Auch für uns war es unerwartet, dass wir uns um unsere Stempel selbst zu kümmern haben, aber der Grenzübertritt sonst ungeregelt ist. Es gibt eine reguläre Fahrzeug-Fähre, aber auch hunderte Pirogen die ständig hin und her fahren. Für 2 oder 3 Euro ist mensch im anderen Land.

In St-Laurent hatten wir noch einen Couchsurfer, dessen Name wir nur bedingt aussprechen können. Mit sehr großer Offenheit und Freundlichkeit nahm er uns in seiner Wohnung in Empfang, in die uns sein Mitbewohner schon gelassen hat. Pierre hat uns auch einen leckeren Begrüßungscocktail gemixt. Er ist Lehrer und der, dessen Name wir nicht sprechen können, ist Krankenpfleger auf einen Rettungswagen. Beide vielleicht kurz vor den 30ern. Nach kurzer Zeit sitzen wir schon mit Bier im kleinen Freibad der Gated Community, in der die beiden eine Wohnung haben. Wir leben das Leben. Abends fahren wir noch gemeinsam zu einen Restaurant. Zu unserer Überraschung werden die Wege immer weniger befahrbarer, bis wir laufen müssen. Überall Holz und Wellblech, Straßenkatzen und Müll. Wir suchen ein illegales Restaurant im Haitianischen Viertel auf. Viele Haitianer*innen emigrieren nach Französisch-Guyana erzählt uns der große französische Freund*innen-Kreis, der hier scharfen Salat mit frittierten Bananenscheiben isst. Kein fließend Wasser, nur geduldet.

Die Euro-Französ*innen, die wir am meisten getroffen haben, scheinen dagegen eher den Weg zurück nach Europa zu suchen. Der Mangel in bestimmten Berufen führt dazu, dass die Löhne um 40% höher liegen und auch Menschen aus anderen Ländern Arbeitserlaubnisse bekommen. Die einen gehen und die anderen kommen. Die einen Können und die anderen Dürfen nicht. Es ist wie mit unseren kolonialen Gästehaus in Paramaribo. Wir können, im Zentrum wohnen. Wir können, auf den Balkon sitzen. Wir können, die koloniale Vergangenheit ignorieren. Wir können, die Ungerechtigkeit ausnutzen. Wir können aber auch wütend sein.

 

PS.: Leseempfehlung von mir und einer tollen Leserin: Urlaub auf Privilegien (Missy Magazin, Valerie-Siba Rousparast)


Apr 15 2018

Da wo der Pfeffer wächst…

Die Nacht bricht, langsam schwindet die Dunkelheit und wird zum grau. Ich schiebe die Vorhänge zur Seite, die Blätter der Palmen hängen vom Regen gedrückt nach unten. Ich setzte meine Füße auf die Terrasse und schaue dem Regen beim fallen zu und wie sich alles seinem Willen beugt. Es ist tropisch, tropisch schwül.

Der Tag beginnt mit einer Busfahrt in das Zentrum von Cayenne. Einen genauen Fahrplan gibt es nicht. Es ist ein gutes Zeichen, dass viele Menschen an der Bushaltestelle stehen, denken wir zumindest. Man zahlt 1,10 Euro für alle Strecken und nach einer kleinen Weile kommen wir an der Endhaltestelle Nelson Mandela Boulevard an. Die Suche nach einer geöffneten Post gestaltet sich als schwierig, führt uns aber in kleinere Straßen, die wenig bevölkert sind. Es ist relativ leer, die Häuser sind einfach und haben verblasste Fassaden. Im Zentrum der Hauptstadt leben 35.000 Menschen. Am Ende des Nelson Mandelas Boulevard wartet das Meer auf uns oder auch nicht. Es ist Ebbe. Das Meer sieht grau aus wie der Himmel. Zwischen Plastikflaschen, Dosen und alten Schuhen vergraben sich zwei Krebse im Sand. Der modrige Geruch des Meeres vertreibt uns von unserem Rastplatz und wir ziehen weiter Richtung Innenstadt. Auch hier ist die Stadt wenig belebt, wir kreuzen einen begrünten Platz, der wohl der Hauptplatz in Cayenne sein soll, doch es ist nicht viel los. Weiter wandern wir auf einen Aussichtspunkt und genießen den Ausblick über die Stadt. Es gibt kein einziges Hochhaus in Cayenne und so lässt sich weit blicken, in die eine Richtung bis zum Meer und in die andere auf die endlos wirkenden Baumkronen des größten zusammenhängenden Waldgebietes der Europäischen Union. Die Suche nach Menschen führt uns auf den zentralen Markt. Hier herrscht ein buntes Treiben. Frische Obst- und Gemüsesorten werden um und in der Markthalle angeboten. Dazu Korbwaren, Schnitzereien, traditionelle Kleider. Und allerlei Gewürze. Der Cayenne Pfeffer ist übrigens ein Gewürz aus gemahlen Chillischoten der Cayennepflanze und wurde erstmalig in Peru angebaut, hat also keinen direkten Bezug zur Stadt. Neben den Verkaufsständen gibt es auch Essensstände mit vietnamesischen Spezialitäten, die berühmt in Cayenne sein sollen. Uns lockt eher eine ungewöhnlich anmutende Frucht. Walnussgroß, rot bis pink mit großen Stacheln präsentiert sich die tropische Frucht Ramboutan. Wir öffnen sie langsam mit einem Taschenmesser und uns erwartet ein weißes Fruchtfleisch mit einem großen Kern, das große Ähnlichkeiten zur Litscheefrucht hat und auch so schmeckt.

Wir verlassen den Markt nach einer Weile und fahren zurück zu unserer Unterkunft, denn wir wollen noch an den Strand und hoffen dort Schildkröten zu treffen. Die sogenannten Leatherback Riesenschildkröten vergraben ab April an den Stränden von Französisch-Guyana ihre Eier. Leider finden wir nur ein paar kleinere Vögel und ein Gewitter vor. Der Wind braust und peitscht das Meer auf, die Palmen klatschen ihre Blätter gegeneinander. Die Küste von Cayenne wirkt rau und wild. Man spürt die Natur und die Macht, die sie hier ausüben kann. Für Mitteleuropäer ist das schon ziemlich viel Natur, vor allem dann, wenn die Natur nicht nur vor dem Haus, sondern auch im Haus ist. Ameisen bahnen sich den Weg über Küchenmöbel auf der Suche nach Nahrung. Salamander hängen an Wänden und Decken und huschen schnell in ein Versteck, wenn das Licht angeht. Wenn es dämmert ist Mosquitozeit. Mosquitonetz und Insektenspray helfen nur bedingt und so ist der Körper schon nach wenigen Stunden übersäht von Stichen. Aufgrund von Malariaerkrankungen und Denguefieber lässt das ein mulmiges Gefühl zurück. Aber wir werden uns gewöhnen an unsere tierischen Mitbewohner. Wir hören den Regen auf das Wellblechdach trommeln und das grau am Himmel wird wieder zu schwarz.


Apr 15 2018

Es geht los…

Der Tag X der Abreise, der lange Zeit nur verschwommen irgendwo in der Zukunft lag, ist da. Die Anreise nach Cayenne per Flugzeug kann aus Europa nur über Paris erfolgen. Also habe ich mich in den Zug gesetzt und fuhr von Chemnitz über Leipzig und Frankfurt nach Paris. Angekommen in Paris Est kam mir auch schon die erste Sprachbarierre in die Quere. Am Ticketschalter wollte ich ein Ticket für die Metro kaufen. Ich strahlte der Verkäuferin mein Bonj… entgegen als mir einfiel, dass es weit nach 23 Uhr war und ich eigentlich „Guten Abend“ sagen müsste. Aber da hörte mein französisch schon auf. Also entschied ich mich kurzum für „Hello“.

Die U-Bahn war gefüllt mit müden Gesichtern und ihren Augen, die unbeirrt von einsteigenden Fahrgästen, in die Luft starten. Nur ab und zu schauten mich überraschte Menschen an, denen ich wohl suspekt so beladen mit meinem großen Rucksack auf dem Rücken und meinem kleinen leuchtend grünen Rücksack auf der Brust erschien. An der Endhaltestelle Villejuif – Louis Aragon der Linie 7 wechselte ich die Bahn und fuhr mit der T7 Richtung Orly Airport Sud, wo die internationalen Flüge starten. Die Bahn wurde immer leerer und ein bisschen verwundert war ich darüber, dass scheinbar keiner der Mitfahrenden bis zum Flughafen wollte. Die S-Bahn hielt und spuckte mich an der Endhaltestelle aus. Angekommen in der Wartehalle des Flughafens sah ich schon die ersten gestrandeten Reisenden auf Bänken kauern. Jeder versuchte entweder einen Platz auf einer Bank oder in der Nähe einer Steckdose zu finden. Ich entschied mich für letzteres und richtete mein Nachtlager mit Isomatte und Schlafsack ein.

Gegen 3:30 Uhr war die Nacht vorbei. Der beginnende Trubel von Kehrmaschinen, ankommenden Gästen und Gepäckwagen am Flughafen weckte mich unsanft. Wartend auf den Check-In beobachte ich aufgeregte Menschen, die verzweifelt auf den Anzeigetafeln nach ihren Flügen suchten. Nur die Kinder schienen ihren Spaß am frühen Morgen zu haben und tobten zum Leidwesen ihrer Eltern durch die Eingangshalle. Gut 4 Stunden später war dann endlich der Check-In für mich, besser gesagt, ich selbst übernahm diese Aufgabe mithilfe eines Automatens. Auch das Gepäck sollte ich allein aufgeben, was mir aufgrund der französischen Schriftanzeige doch ein etwas mulmiges Gefühl bereitete. Weitere 4 Stunden später und nach erfolgreichen aber anstrengenden Sicherheitskontrollen wartete ich auf das Boarding. Da saß ich nun, neben all den anderen wartenden Reisenden und konnte immer noch nicht realisieren, dass ich in nur 10 Stunden am anderen Ende des Ozeans sein würde und da auch eine Weile oder eher eine große Weile verbringen würde.

Nach einem langen Flug setzten wir endlich zur Landung an. Es waren noch vier Minuten bis zur Landung. Auf dem Bildschirm meines Sitznachbarns sah ich durch die Außenkamera Bäume und noch mehr Bäume. Die Zeit bis zur Landung änderte sich, noch drei Minuten, noch zwei Minuten. Das Bild unter uns nicht. Alles was ich sehen konnte, war ein riesiges grünes Blättermeer. Dann tat sich ein Feldweg auf, ein Haus, ein zweites und schließlich die Landebahn. Der erste Eindruck von Cayenne als riesiges nicht endenwollendes grünes Waldgebiet, sollte sich in den nächsten Tagen bestätigen. Aus dem Flugzeug ging es sofort zur Passkontrolle, danach zum Gepäckband. Alles sehr überschaulich. Wie ich allerdings vom Flughafen in die Stadt kommen sollte, wusste ich noch nicht genau. Also begab ich mich auf die Suche nach einem Informationsschalter. Da die Dame in der Information mit Telefonieren beschäftigt war, fragte ich die zwei Wartenden vor mir nach dem Abfahrtsort von Bussen Richtung Stadtzentrum. Sie erklärten mir, dass es zwar keine Busse gäbe, aber Taxis, die um die 30 Euro kosteten. Dann fiel ihnen ein, dass sie mich auch in die Stadt mitnehmen könnten. Ich willigte ein und kurzerhand saß ich in einem Lieferwagen auf der Straße nach Monte Joly, einem Vorort von Cayenne. Auf den 10 km in die Stadt war nichts zu sehen, außer der Straße, auf der wir fuhren und tropische Bäume. Kurz vor dem Ziel standen wir in einem Stau, der sich nur minütlich um ein paar Meter vorwärts bewegte. Gerade als ich anbieten wollte den Rest bis zur Zieladresse zu laufen, fing es an in Strömen zu regnen. Auch der Regen sollte uns in der nächsten Zeit ein ständiger Begleiter werden. Der Lieferwagen bog in eine vornehm wirkende Wohnsiedlung ein und auf halben Weg der Straße entdeckte ich eine Person auf der Straße. Ich verabschiedete mich von meinen Fahren mit Merci, Merci, Merci beaucoup und stieg aus. Carl hatte vor dem Haus gewartet, dass uns eine Cuchsurferin zur Verfügung gestellt hat, weil sie mit ihrer Familie übers Wochenende aufs Land fahren würde. Ein großer Garten mit Palmen und Swimmingpool, Terrasse und Küche zur Benutzung. Überwältigt von dieser Gastfreundschaft und unserem Glück, den Geräuschen der Nacht lauschend, erhoben wir unsere Gläser mit französischem Wein auf einen gelungen Start der Reise und eine aufregende Zeit, die vor uns lag.


Apr 13 2018

„Sorry, ich kann kein Französisch“

Cayenne

13. April 2018

„Cool, ich auch nicht“

Quincy sitzt unter dem Vorsprung eines kleinen Ladens. Eine schmale Kante lädt auch mich zum verweilen ein. Ich setz mich zu ihm. Quincy ist schmal gewachsen, lediglich auf der Oberlippe unrasiert, grinst die ganze Zeit, neigt sich im Gespräch mir zu. Weiße Sneakers, helle blaue Jeans und graues Polo-Shirt. Der arbeitssuchende Metallarbeiter aus Surinam grinst und zeigt auf meine verschwitzte Kleidung. „Wir tragen hier eher Flipflops und helle Kleidung“ Ich denke nochmal über meine schwarz-schwarze Einkleidung nach und grinse bestätigend zurück. Wir unterhalten uns über Französisch-Guyana und Surinam. Er hat schon mal in Paris gelebt, aber da ist es zu kalt. Er wartet noch auf die Erlaubnis in Frankreich und damit auch im Departement Französisch-Guyana arbeiten zu dürfen. Hier verdient er das 10fache im Vergleich zu Surinam. Aber empfiehlt mir Paramaribo und ich solle da hin reisen. Er bietet mir auch Hilfe an, wie ich nach Surinam komme. Dafür bekomme ich auch seine Handynummer. Er gibt noch zu vielen Auskunft und wir finden Gemeinsamkeiten. Warum kaufen Leute Wasser in Flaschen, obschon das Leitungswasser trinkbar ist?

Ich bin auf dem Weg zu meiner Unterkunft in der Hängematte. Das ist die einzige bezahlbare Unterkunft hier im Ort. Erst abends meldet sich die Couchsurferin. Eineinhalb Stunden bin ich in der Sonne mit dem Rucksack gelaufen um vom Zentrum raus aus der Stadt zu kommen. In der angegebenen Straße befindet sich aber kein Schild. Nach einiger Zeit erst finde ich jemensch der selbst dort schläft und er zeigt auf das Tor neben uns. Eine Spanierin empfängt mich und baut mir eine Hängematte mit Netz gegen die Malaria-Mücken. Für heute wär‘s okay, sagt sie. Ich lern‘ die anderen beiden kennen, die hier auch pennen und erst sehr spät kommt noch ein Vierter hinzu. Sehr nette Leute. Sehr hilfsbereite Menschen. Allerdings sprechen hier alle Französisch. Hätten sie auch Ukrainisch sprechen können.

Am frühen Morgen hat die CMA CGM St Laurent im Hafen Degrad des Cannes festgemacht und nach dem Frühstück sind wir von Bord gegangen. Schon vorher war der Hafenagent da und wir haben ein Taxi vereinbart. Er bringt uns aus dem Hafen zur Agentur, wo das Taxi wartet. Das Renten-Quartett wohnt auf halber Strecke nach Cayenne. Wir verabschieden uns, nicht ohne mir ihre Kontaktadressen zu schenken. Ich bin eingeladen auf Champagner. Ich hatte erzählt, dass ich das erst zweimal welchen getrunken habe und auch nur den billigsten aus einen französischem Supermarkt. Außerdem will ich sie beim eigenhändigen Krabbenfischen in der Bretagne im Mai besuchen. Das Taxi bringt mich ins Zentrum und ich suche Wifi, was aber im ersten Anlauf am Französisch scheitert. Als mir das instabile Netz zu anstrengend wird, gebe ich die Hoffnung auf die Couchsurferin auf und mach mich auf die Strecke zur Hängematte.

Unter einem Holzgerüst mit Tisch, Stühlen und Wellblechdach sind die Hängematte gespannt. Im Prinzip im Garten einer jungen Familie mit zwei Kindern. Sämtliche Sachen müssen in Netzen unters Dach oder auf Stühlen, weil ziemlich viele kleine Tiere hier herumkrabbeln und es bei Regen sonst alles nass werden würde. Hängematte ist übrigens etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann ist es ziemlich chillig drinn zu schlafen. Bitte mehr davon!

 

 
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Apr 12 2018

Der Hafen des Hafens von Spanien

10,93849° nördliche Breite

61,05054° westliche Länge

10. April 2018

Kurz vor dem Sonnenaufgang meldete sich mein Handy mit einem lauten ‚Bling‘. „Willkommen in Trinidad und Tobago. Anrufe kosten …“ Ich steh auf. Links und Rechts erheben sich große grüne Landmassen mit Wolken darüber. Ich vermute Regenwald. Steuerbords beginnt Venezuela. Vollständig mit Regenwald bedeckt. Backbord eine große Landzunge der Insel Trinidad. Die Größere der beiden, die zusammen Trinidad und Tobago bilden. Wir umfahren die Landzunge und nehmen Kurs auf Port of Spain, der Hauptstadt von Trinidad und Tobago. Vorbei an Öl-Bohr-Schiffen, Container-Schiffen, Seglern und sogar einer Erdöl-Förder-Plattform. Jemand meint, die ist letztes Jahr außer Betrieb gegangen.

Port of Spain liegt am Fuße eines grünen Gebirges und wird zudem von einer Moor-Landschaft im Süden und dem Meer im Westen begrenzt. Sie dehnt sich im Zentrum deshalb in die Höhe aus, aber viel stärker nach Osten. Vielleicht kann mensch hier günstig Geld verstecken, denn die Türme scheinen alle irgendwie Finanzunternehmen oder dem Finanzministerium zu gehören. Wir legen zwar schon gegen 9 Uhr an, aber die Freigabe, das Schiff verlassen zu können, gibt‘s erst ca. zwei Stunden später. Ausgestattet mit langer Hose und Leucht-Weste, so ist es vorgeschrieben, marschieren wir Passagiere von Bord. Natürlich ist es drückend heiß und die Sonne knallt.

Im Hafen fahren kleine Zwölf-Sitzer als Shuttle. Es ist übrigens Linksverkehr mit Rechtslenkern. Wir steigen auf und kommen somit zum Hafenein- und -ausgang. Anders als in Philipsburg interessiert sich hier die Polizei für unsere Ausweise und stellt fest, dass noch Stempel fehlen. Wir müssen unverrichteter Dinge wieder zurück. Ein Gespräch mit dem Chief Officer bringt uns auch nicht weiter. Er verspricht uns, dass er nochmal mit der*m Hafenagent*in telephoniert und wir sollen es nach dem Mittag nochmal versuchen.

Das Renten-Quartett lädt mich indessen in den Aufenthaltsraum ein. Überrascht packen sie Whisky, Chips und Mangosaft aus. So verbringen wir den Vormittag. Nach dem Mittag fragen wir den Chief Officer nochmal und nun soll alles in Ordnung sein. Am Tor werden wir sogleich durchgewunken.

Schon nach hundert Metern stehen wir im Hochhauswirrwarr. Ich traue meine Augen kaum, aber unmittelbar neben uns stehen knapp einhundert Menschen mit Regenbogen-Fahnen, Schildern, bedruckten T-Shirts, bunten Haaren und vielem mehr. Eine Demo für LGBTIQ-Rechte, direkt vor dem Parlament. Wir schauen uns das näher an und werden dafür von einem Polizisten freundlich über die Straße geführt. Wir bezeugen unser Wohlwollen. „Da muss ich ein Bild meiner Gewerkschaft schicken“, meint eine Quartett-Rentnerin. Langsam ziehen sie weiter, während noch manche Statements und Interviews den anwesenden Kameras und Mikrophonen geben.

Wir schlängeln uns durch die verschiedenen Straßen der Stadt. Vorbei an Hochhäusern, kolonialen Kirchen und dann in belebte und quirlige Stadtteile. Immer wieder kommen Menschen an uns vorbei, die uns einen schönen Aufenthalt wünschen oder einen schönen Tag. Freundlich sind viele und einige Vorurteile muss ich abbauen. Besonders als ich an einem Eingang zu einem Park einen älteren Mann begegne. ‚Der will bestimmt nur mein Geld‘, denke ich bei mir und weiche ihm aus, doch er sagt „Sie können gern reingehen, der Park ist schön“.

Wir laufen weiter in den Ostteil und finden sehr belebte Straßenzüge mit vielen Geschäften. Nach drei Kreuzungen hält ein Auto an und empfiehlt uns umzukehren. Die Gegend sei nicht sicher. Ein anderer Mann spricht eine Quartett-Rentnerin an und empfiehlt ihr die Kette nicht offen zu tragen. Das Renten-Quartett sieht tatsächlich aus wie mensch sich vier europäische Touris im Alter von ca. 60 Jahren vorstellt. Beige Kleidung, Kameras, Videocams und sogar Fernglas umhängend, kleine Rucksäcke, jede*r ein Basecap, die Paare streiten gern und langsamer Schritt. Zu allem Überdruss steuern sie auch ins erstbeste Souvenir-Geschäft. Es ist dann aber auch das einzige, welches wir sehen, genauso wie wir offensichtlich die einzigen Touris in ganz Port of Spain zu sein scheinen.

Im Souvenir-Geschäft gibt es auch die Steel-Pans oder zumindest Steel-Pan-Souvenire. Zu Kolonialzeiten haben die britischen Kolonialherren der Bevölkerung das Trommeln verboten, was aber in der Bevölkerung gewisse Tradition hat, von denen die meisten Nachfahren der von Europa verschleppten Sklaven sind. Daraufhin begannen sie auf Ölfässern zu trommeln, die es dank des Hafens zu Hauf gibt. Über die Jahre entwickelte sich daraus ein eigenes Instrument, das Steel-Pan. Dieser Akt des Widerstandes machte das Steel-Pan zum Nationalinstrument.

Wir suchen nun andere Stadtteile auf, die einer Mischung aus südenglischer Kleinstadt und toskanischen Küstenstadt gleichen. Weiße meist eingeschössige Familienhäuser reihen sich hier aneinander. An der Hauptstraße gibt es unzählige Essens- und Trink-Gelegenheiten, von denen wir dann auch eine finden, in der wir Bier, Cocktails und Abendbrot genießen. Zu Preisen, die einen erstaunen lassen. Auf Trinidad und Tobago gilt der Trinidad-and-Tobago-Dollar oder kurz TT-Dollar. Der Wechselkurs beträgt ungefähr acht TT-Dollar für einen Euro. Ein Bier kostete im reicheren Stadtteil an der Bar ca. 4 TT-Dollar. Da werden es dann doch mehr als nur ein Bier und schon zur frühen Nachtstunde geht es zurück zum Schiff. Ein letztes Mal steigen wir auf das Schiff, bevor wir in Cayenne aussteigen werden.

Über dem Hafentor steht übrigens – ohne Witz – „Port of Port of Spain“.


Apr 12 2018

Zwei halbe Insel und ein Gin

16,04143° nördliche Breite

62,84198° westliche Länge

08. April 2018

In einem Comic würde der Typ mit dem Fernglas im Ausguck brüllen „Land in Sicht“. Fast ähnlich hektisch und freudig erreicht uns Passagiere diese Information, als sich aus dem grau-bläulichen Horizont die Umrisse von Sint Marteen herausschälten. Von Minute zu Minute wurde die Insel deutlicher erkennbar und wurde langsam gelb-grünlich mit einigen weißen Städten an den Füßen ihrer Bergkegel, aus denen die Insel fast nur zu bestehen scheint. Auch die Nachbarinseln Saint-Barthelmy und Anguilla konnten wir sehen. Es ist ein wenig wie im Film, wenn die die großen Fregatten die karibische Inselkette erreichen.

Schon der Morgen war etwas unwirklich. Noch vor dem Frühstück bemerkte ich, dass unmittelbar vor dem Schiff ein schillernder Regenbogen sich entfaltet hat. Schnell verließ ich mein Zimmer und hielt mich staunend an der Reling fest. Mit äußerster Stärke leuchtete ein vollständiger Regenbogen in all seiner Pracht. Er wäre nichts besonderes, wenn ich noch nie einen solch schönen gesehen hätte. Die Sonne stand noch tief, weil sie erst vor einer Stunde aufging. Eine Regenwand stand in einiger Entfernung etwas steuerbords vor dem Schiff. Der Regenbogen schien auch nicht mit der Wasseroberfläche zu enden, sondern setzte sich geschwächt über dem Wasser fort, bis ans Schiff heran, sodass er fast einen Kreis bildete. Neben dem Hauptregenbogen entstand außen noch ein schwächerer zweiter Bogen. Nur dessen Farbreihenfolge war anders, sodass nicht lila innen und rot außen war, sondern rot innen und lila außen. Ein beeindruckendes Farbspektakel.

Mit einem Spektakel hatte ich auch schon am Vortag gerechnet, als auf dem Essensplan für Abendbrot „BBQ-Party“ geschrieben stand. Sodann unterbrachen wir gegen Fünf unsere nachmittägliche Schachpartie und begaben uns vom E- auf das A-Deck. Hier ist die seitliche Plattform neben dem Deckshaus um einiges größer. Eine lange Reihe an Bänken und Tischen war aufgebaut, viele Kuchen, Salate und Reis waren aufgetischt. Die Kuchen strotzen von konditorischen Können und auf einem stand „Happy Eastern“. Auf einen kleinen Tisch unter der Treppe waren große Bleche mit sehr viel eingelegten Fleisch. Heckseitig waren ein kleiner und ein großer Grill aufgebaut, auf dem jeder selbst sein Fleisch braten konnte. Ich nahm mir reichlich und aus dem Behälter mit kaltem Wasser ein Bier. Beim Essen konnte ich auch kurz mit dem Kapitän sprechen. Er bekommt für seine Fahrten meistens 4-Monate-Verträge, diesmal sogar einen 3-Monate-Vertrag. Das halbe Jahr ist er auf Schiffen unterwegs, würde aber, sobald sich die Gelegenheit bietet lieber zurück in die Ukraine gehen. Zu seiner Frau mit seinen 3 Töchtern. Es ist kein Traumjob Kapitän zu sein.

Auch mit dem Schach-Opi konnte ich noch einiges diskutieren und dabei die beiden Weine genießen. Er hat wohl für Orange gearbeitet, einem großen Telekommunikationsanbieter in Frankreich. Seine Frau auch, die Gewerkschafterin ist und – für die Gewerkschaft günstig – in der Finanzabteilung tätig war. Er zeigte mir sein Haus in der Bretagne, dass direkt am Strand liegt. Ich sagte, dass ich mir das unbedingt mal anschauen muss, wenn er, seine Frau und sein Sohn im Mai eigenhändig Krabben ertauchen. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie erst alle Ukrainer und später auch die Philippiner verschwanden, bis der Steward übrig blieb und aufräumte. Irgendwann, allein gelassen, gingen wir zurück zu unseren Schachspiel.

Die Hoffnung, er würde angetrunken etwas schlechter spielen, half mir nicht. Obschon er oft Bauer und Läufer und zuletzt auch König und Dame verwechselt hat. Teilweise den Läufer nicht entlang der Diagonale schiebt sondern um Felder versetzt und wenn er Kombinationen bedenkt, vergisst wo die Figur stand. Trotz dieser offensichtlichen Nachteile, gewinnt der nahezu jedes Spiel. Er meinte seit 30 Jahren nicht gespielt zu haben, was ich von mir nicht behaupten kann. Meine Hoffnung lag darauf, über die Zeit schneller dazuzulernen als er, aber selbst das wird von Tag zu Tag enttäuscht. Ihr seht, was mich hier wirklich beschäftigt ist eigentlich belanglos.

Aber es gibt spannendes zu berichten! Seit Tagen kann ich fliegende Fische vor dem Bug beobachten. Die kleinen vielleicht Wasserflaschen-langen Fische springen flach aus dem Wasser und stellen dann ihre Flossen zu Segelflächen, um damit knapp über das Wasser zu segeln. Teilweise über mehrere hundert Meter. Dazu gesellten sich immer mehr Vögel, die nur darauf warten, um dann in den Sturzflug zu gehen. Als dann endlich Sint Marteen zu sehen war, waren es schon unzählige, meist schwarze mit langen gelben Schnäbeln. (Fragt mich nicht wie die heißen)

Von Osten kommend umschifften wir im weiten Bogen die Südspitze von Sint Marteen. Philipsburg liegt als Stadt in einer von Bergkegeln gesäumten Bucht. In der Mitte ist der Sandstrand mit Promenade und Palmen. Rechtsseitig befindet sich der Frachter-Kai, mehrere Kais für Kreuzfahrtschiffe und ein Jacht-Hafen. In der Bucht liegen auch einige Segelschiffe. Unser Frachter steht mit dem Bug Richtung Philipsburg und wir warten auf das kleine gelbe Boot. Der Pilot, auf deutsch als Lotse bekannt, klettert von seinem Boot über Backbord an Deck und begibt sich mit dem Kapitän auf die Steuerbord-Nock. Die Nock ist eine Außen-Plattform neben der Brücke, die bis an den Rand des Schiffes reicht und mit einigen Steuergeräten und Instrumenten ausgestattet ist. Von hier lassen sich heikle Manöver am besten gestalten. Der Lotse übernimmt bei der Hafeneinfahrt die Leitung des Schiffes. Er sagt an und der Kapitän setzt die Anweisungen um. Langsam gleiten wir an das äußere rechte Ende der Bucht, wo die ganzen Container stehen. Ganz langsam, kaum bemerkbar bewegt sich der Koloss an die Hafenkante. Vom Heck aus wird als erstes eine leichte Leine geschmissen, die ein Hafenarbeiter an Land fängt. An der Leine selbst ist an dessen Wurfende auch ein schwerer Ball für besseren Flug. Der Arbeiter zieht damit die eigentliche schwere Trosse zu sich und legt sie auf den Poller. Das passiert mehrere Male. An Deck enden die Trosse auf einer Winsch die von einem Bedienstand am Heck und an der Winsch selbst betrieben werden können. Damit werden die Trosse dann festgezurrt. Seemänner achten darauf, dass die Trossen ordentlich aufgewickelt werden, was aber zumindest diesmal wiederholt werden musste.

Sodann waren wir fest vertäut und warteten bis die Durchsage kam, dass wir nun an Land dürfen. Sint Marteen gilt als eigenständiges Land innerhalb des Königreichs der Niederlande und teilt sich die Insel mit Saint Martin, einem französischem Überseegebiet. Damit ist sie die kleinste geteilte Insel der Erde. Geteilt wurde die Insel der Legende nach, als ein niederländischer und französischer Gefangener von einem gemeinsamen Startpunkt aus die Insel umrunden sollten, bis sie sich wieder treffen. Allerdings haben sie zu Beginn die Wasserflaschen getauscht und des Niederländers Flasche enthielt dann Gin statt Wasser, weswegen der französische Teil größer ist.

An Land haben viele Englisch oder Spanisch gesprochen und das meiste schien in US-Dollar ausgewiesen. Vielleicht waren es aber auch Antillen-Gulden, die offizielle Währung. Der Containerhafen war deutlich kleiner und unstrukturierter. Neben uns lag noch eine finnische Fracht-Fähre und am nächsten Kai ein großes Kreuzfahrtschiff. Direkt am Strand befindet sich eine Promenade mit unzähligen Restaurants und Bars. Überall laute Musik und Tourist*innen.

Aus meiner Vorbereitung wusste ich, das der Flughafen von Sint Marteen direkt an einem Strand ist. Das heißt, dass die Landebahn direkt neben dem Strand beginnt, der zum Baden freigegeben ist. Die Flugzeuge, bis hin zu großen Passagier-Maschinen, fliegen im Landeanflug nur wenige Meter über den Köpfen der Badenden hinweg. Ich machte mich auf und wollte meine Zeit nutzen um dieses Spektakel aus der Nähe zu erleben. Nach zwei Stunden die Einsicht: Da alles sehr gebirgig und es tropisch heiß ist, scheine ich der erste Mensch auf der Insel zu sein, der zu Fuß unterwegs ist. Noch nicht einmal Fußwege gibt es. Angesichts der Möglichkeit weitere eineinhalb Stunden auf dichtbefahrener Straße unterwegs zu sein, und der Gewissheit in der Dunkelheit zurück zu müssen, suchte ich von dem aktuellem Standort in den Bergen aus, einen anderen Weg zurück nach Philipsburg. Dort warf sich grad der Schatten der Berge über die Bucht und das Kreuzfahrtschiff war schon in der Hafenausfahrt. Nicht lange und die Bars und Restaurants, die nun menschenleer waren, begannen zurückzubauen.

Hinter der Promenaden-Kulisse tat sich mir ein Bild von Zerstörung auf, dass ich erst spät einordnen konnte. Die Insel ist oft schweren Hurrikans ausgesetzt, die viele krasse Schäden übrig gelassen haben. Der Bereich mit den kaputten Containern ist ähnlich groß wie der Container-Hafen selbst. Für die Crew ist Philipsburg eine willkommene Abwechslung. Zu Fuß kann jeder der frei hat in nicht ein mal einer halben Stunde am Strand oder in einer Bar sein.

Noch vor dem Frühstück hat das Schiff abgelegt, weiter geht‘s! Nächster Halt: Port of Spain!


Apr 12 2018

Auch Waffen?

25,85517° nördliche Breite

51,63847° westliche Länge

05.April 2018

Es hat sich viel geändert über die Tage auf See. Vor einer Woche sind wir noch in der Nacht losgedampft. Nachdem es tagelang nass und kalt war. Hoher Seegang und steifer Wind. Ich konnte mich mit meinen Körper schräg in den Wind stellen ohne umzufallen. Saß ich nun im T-Shirt nach Sonnenuntergang draußen. Das Meer ruhig, kaum Bewegung im Schiff. Wir sind jetzt im Sargasso-Meer, ein Teil des Atlantiks, der eher ruhig ist.

Erst jetzt fällt mir auf, wie krass der weite Blick ist. Endlos weit. Wo kann ein Mensch soweit zum Horizont sehen, wenn nicht von einem Schiff, um das herum auf tausende Kilometer Entfernung keine Küste ist. Jede große und kleine Wolke ist zu erkennen. Scharf und dunkel stechen sie vor dem Abendrot hervor. Es ist eher ein Abend-Orange. Aber in seiner Breite unglaublich unbegrenzt. Durch kein Berg, kein Haus, noch nicht mal ein Hügelchen, verdirbt die Sicht.

Schon langsam schälen sich Sterne aus dem dunkler werdenden Blau hervor. Die hellsten zu erst. Wenn es dann richtig dunkel ist und die Augen sich daran gewöhnt habe, dann beginnt der Himmel 3D zu werden. Es ist ein Schauspiel was ich nur von langen Seefahrten kenne. In Städten und auch in hunderten Kilometern Nähe ist die Lichtverschmutzung immer noch so immens, dass der Sternenhimmel sich nicht vollständig entfaltet. Hier aber, gibt es unzählige Sterne, Abermillionen, die den selten Eindruck verleihen auch vor- und hintereinander zu sein. Der Himmel erscheint in 3D. Es ist – glaube ich – leider kaum vorstellbar, wenn mensch es nicht erlebt hat.

Ich merke auch, dass ich mich hier eingelebt habe. Drei Mal am Tag stopfen wir uns voll, und beschäftigen uns dann wieder. Mit dem einen Opa spiele ich nun seit Tagen Schach, was mich echt herausfordert, weil er ziemlich gut ist. Zum Teil kann er nicht einmal den Läufer vom Bauern unterscheiden, gewinnt aber trotzdem in einer Tour. Eine Partie dauert auch mal über zwei Stunden. Schweigsam kombinieren wir abwechselnd sämtliche Möglichkeiten des Gegners um dann festzustellen, dass die hundertvierundfünfzigste von mir nicht betrachtet wurde. Während der Partie vor dem Abendbrot kommt dann auch die fast tägliche Durchsage, dass nachts die Uhren um eine Stunde zurückgestellt werden.

Gestern sind wir auch mal in den Keller gestiegen. Der Chief Engineer hat auf unsere Nachfrage hin eine kleine Führung gegeben. Mit einer irren Geschwindigkeit sauste er mit uns dadurch. Noch Fragen? Gut. Tschüss. Der Maschinenraum ist nochmal vier oder fünf Stockwerke tief mit zig Maschinen. Im Herzen befindet sich eine Wärtsilä-Maschine die den Propeller antreibt, der etwas größer ist, als die meisten Menschen mit ausgebreiteten Händen fassen können. 150 Tonnen Schweröl verbraucht das Schiff zurzeit pro Tag. Wir fahren mit 20 Knoten, was umgerechnet 37 km/h sind. Grad genug um in der 30er-Zone geblitzt zu werden. Im Maschinenraum ist es sehr warm und es riecht nach Öl. Viele gelbe Leuchten erleuchten die verwinkelten Metalltreppen, Ebenen, Räume und Brücken. Das Schweröl muss vor dem verbrennen auch erhitzt und unter Druck gebracht werden. Viele der Maschinen gehen auch über mehrere Stockwerke. Von einer Art Kommandozentrale aus, überwachen und steuern die leitenden Ingenieure die Maschine. Jede Kleinigkeit können sie einsehen, bis hin zu Temperatur und Druck in jeden einzelnen Zylinder. Von der Maschine aus kommend sieht mensch als erstes den gut 40 Meter langen grünlichen Schaltschrank. Davor ein nur etwas kürzeres Schaltpult inklusive einiger Bildschirme und Laptops. Vom Gang zwischen Schrank und Pult aus, wacht der diensthabende Ingenieur. Vermutlich Ukrainer, zumindest verrät dies eine riesige Flagge an der Wand. Neben der Hauptmaschine, die für die Fortbewegung nötig ist, gibt es weitere die den Strom liefern. Es gibt unzählige Seitenräume, deren Funktion ich nicht immer verstand. Sogar eine kleine Werkstatt gibt es. Wie gesagt, riesig!

In den Gängen und im Zimmer hängen dutzende Bilder von CMA-CGM-Schiffen, insbesondere von den größten Container-Schiffen. Interessant ist, dass die natürlich festgeschraubt sind, wegen des Seegangs. An Info-Tafeln hängt der Wachplan von der Brücke, eine Übersicht über die Crew und Meldungen von der Reederei. Dieses Jahr sind in Ostasien schon Container von CMA CGM über Bord gegangen und andere schwer beschädigt worden. Auch gab es eine Kollision mit einem Fischerboot aufgrund zu hoher Geschwindigkeit.

Die Entwicklung der Container-Schifffahrt tendiert aber zu langsamer, größer und effizienter. Maersk, ein großer dänischer Reeder, nimmt Schiffe in Betrieb die über 20.000 Container tragen und langsamer fahren um Sprit zu sparen. Zwei-Propeller-Zweitakt-Motoren die langsamer drehen sollen effizienter sein und das Abgas wird noch genutzt um ein Turbine anzutreiben. Die Maschine wird soweit wie möglich achtern angebracht, aber das Deckshaus steht am Ende des vorderen Drittels. Damit ist die Sicht besser und es können auch vorne mehr Container geladen werden. Bis zu 10 Container stehen dann an Deck übereinander. Allerdings können die Riesen-Frachter nun nicht mehr jeden Hafen anlegen. Manche Schiffe können in Europa dann nur noch im neuen Hafen von Rotterdam anlegen. Das größte Container-Schiff, die OOCL Hongkong, kann in Deutschland nur am JadeWeserPort festmachen.

Unser Frachter ist da ein Spielzeug dagegen. Mittlerweile kann ich einige Offiziere zuordnen und bekomme ein Gefühl wer wer ist. So dann habe ich mal den erfolgversprechendsten unter den Offizieren gefragt, was wir denn eigentlich in unseren Containern transportieren. Er sagt, er weiß es und grinst. Wir warten gespannt. Alles. Das heißt? Von Früchten über Shampoo bis zu Fahrzeugen, einfach alles mögliche. Auch Waffen? Kann sein.