Jun 27 2018

Kaffee, der stresst

von Karl, 26. Juni 2018, Playas (General Villamil)

 

Heute stelle ich euch Piura vor. Piura hat für mich zwei Gesichter. Sie heißen NorAndino und Kev. Beide Gesichter möchte ich euch vorstellen. Auch wenn es vielleicht unglücklich losgeht, so seid beruhigt, es wird besser.

(Nicht) Willkommen bei NorAndino

Unser zentrales Anliegen in Piura war der Besuch der großen Exportfirma „NorAndino“. NorAndino beliefert die ganze Welt, vor allem aber Europa, mit fairen Kaffee, Kakao und Rohrzucker. Schon in Huancayo kannten Leute NorAndino. Mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern arbeiten für NorAndino und es gibt mindestens eine große Fabrik, sowie eine Geschäftsstelle. Wir haben Probleme Informationen von unserer Kontaktfrau zu bekommen und werden sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Am ausgemachten Tag rufen wir an und können dann doch einfach vorbei kommen. Nun warten wir lange, doch Interesse an uns hat hier niemand. Das war bei den anderen Firmen meist anders, weil unser Film oft eine Gelegenheit ist, auch die eigenen Produkte vorzustellen. Gratis Werbung halt. Irgendwann sprechen wir mit einem Ingenieur, aber auch ihm erzählen wir alles von vorn. Dann schickt er uns mit einen Fahrer in die Kaffee-Fabrik.

Unbegleitet schlendere ich zwischen riesigen Lagern von Kaffee-Säcken und lauten staubigen Rüttelmaschinen und Transportbändern umher und mache Photos und Filmaufnahmen. Ich verstehe nicht, was die Maschinen machen. Die Lagerhallen sind beeindruckend groß und es prangern die großen Bio- und Fair-Handels-Siegel der importierenden Länder an den Wänden. NorAndino ist offensichtlich eine große und stolze Firma. Neben den Maschinen ist es kaum auszuhalten. Es ist extrem laut und staubig. Obschon es sehr aufgeräumt aussieht, ist der Boden von dem staubigen Sand bedeckt. Der Staub entsteht in der Produktion und stammt von den Kaffee-Bohnen. Die Kaffee-Schalen torkeln neben manchen Maschinen durch die Luft. Die staubige Luft wird matt von den Lampen erhellt und taucht die Umgebung in dunkles Gelb. Ein Arbeiter begegnet mir, alle anderen sind in der Mittagspause. Die Maschinen laufen wohl auch ohne Arbeiter*innen ganz gut.

Unser Begleiter taucht wieder auf und erklärt uns, dass wir am nächsten Tag zu den Kaffee-Feldern können, allerdings müsste NorAndino für uns ein Auto mieten. 60 Soles meint er. Das sind ca 15 Euro. Wir überlegen lange, ob wir den Film weiter verfolgen, wenn wir sogar für unsere Arbeit zahlen sollen. Schlussendlich gewinnt die Neugier und wir willigen ein. Er erklärt uns noch, dass eine Präsidentin einer deutschen Firma oder NGO gerade bei NorAndino zu Gast ist und sie uns gern treffen mag. Wir sollen um 4 Uhr nochmal zum Büro kommen.

Punkt um 4 sitzen wir wieder an gewohnter Stelle und warten. Irgendwann ist es nach um 5 und ein Angestellter fragt uns, ob wir sie gern heute oder morgen treffen mögen. Auf heute haben wir kein Bock mehr. Wir kommen uns ziemlich verarscht vor.

Tags drauf sind wir dann schon um 7 Uhr in der Frühe vor der Geschäftsstelle und finden unseren wortkargen Fahrer samt Geländewagen. Auf geht‘s. Auf der neuen Landstraße geht es mit 160 Sachen voran. Nur für die Bodenwellen wird abgebremst, die extra dafür da sind, dass langsam gefahren wird; und wohl auch in den Dörfern an der Strecke die einzige Überlebensversicherung ist, die Straßenseite zu wechseln. Irgendwann wird die Straße zu Beton und dann zu Schotter. Wir durchqueren Bachläufe und sehen die Berge. Ich bin überrascht, dass der Fahrer gar nicht von NorAndino ist und auch nicht den Weg kennt. Er hat nur einen Namen und einen Ort. Wir fahren durch die Berge in verschiedene Dörfer und mehrere Dutzend Mal fragt unser Fahrer nach dem Weg. Nach über vier Stunden und mehren Hin und Her finden wir den gesuchten Mann und folgen seinem Motorrad.

In einem NorAndino-Kaffee-Tal

Ricces ist Agrar-Ingenieur und das erst seit ein paar Monaten bei NorAndino. Hinzu kommt noch seine Kollegin, die den selben Job mit der selben Erfahrung macht. Sie betreuen Bäuerinnen und Bauern bei der Kaffee-Produktion. Er zeigt mit der Hand in das Tal und erklärt uns, dass hier überall Kaffee von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebaut wird und auch alle für NorAndino arbeiten. Das ganze Tal. Ein NorAndino-Kaffee-Tal. Jede*r der Ingenieur*innen hat eine bestimmte Region und kümmert sich um eben jene Kaffee-Bäuerinnen und -Bauern dieser Region. Entlang eines steilen schlammigen Pfades steigen wir mit den beiden von dem Dorf abwärts gen Tal. Ricces und Kollegin sind sehr geduldig und freundlich mit uns und erklären uns alles mögliche zur Kaffee-Produktion.

Es werden verschiedene Sorten angebaut, die verschieden schnell tragen und verschieden ertragreich sind. Normal sind die Beeren an den Sträuchern grün und wenn sie geerntet werden rot bis dunkelrot. In etwa wie kleine Kirschen. Es gibt aber auch Sorten, die gelbe Beeren tragen. Ricces quetscht den Kern aus der Kirsche und zeigt uns damit, worum es bei der Kaffee-Produktion geht. Der Kern verliert noch seine Schale in der Fabrik und in Europa werden die Kerne dann geröstet, wodurch sich erst das Aroma entfaltet. Da das wichtig ist und das Aroma mit der Zeit verschwindet, wird nicht in Peru geröstet, sondern erst vor Ort.

Die Bäuerinnen und Bauern haben Bäche mit Gräben umgeleitet und fangen zum Teil das Wasser auf. Damit kann dann an den entscheidenden Stellen gewässert werden. Die Kaffee-Felder liegen am Hang im Bergregenwald versteckt. Es sind nur wenige Hektar große Flächen, die von außen für uns nicht zu erkennen sind. Zumal zwischen den Kaffee-Sträuchern noch Bäume gepflanzt wurden, die verschiedene Zitrusfrüchte tragen. Sie bringen den nötigen Schatten, weil sie allesamt größer sind als die nur menschenhohen Kaffee-Sträucher. Ricces bestätigt unser Frage nach dem Klimawandel so schnell wie wir sie gestellt haben. Unsichere Regen- und Trocken-Zeiten seien die Folge, sowie das verstärkte Auftreten von Schädlingen. Vor dem Klimawandel waren die Jahreszeiten eindeutiger. Start und Ende sind ungewisser.

Es ist erstaunlich, wie für alle Bäuerinnen und Bauern die wir schon in Südamerika getroffen haben, es offensichtlich ist, dass es den Klimawandel gibt. Während in Europa und Nordamerika es immer noch Menschen gibt, die daran zweifeln.

Wir haben großes Glück mit der von Ricces Kollegin gewählten Plantage, weil gerade geerntet wird, obwohl es nicht Erntezeit ist. Der Bauer und viele Bäuerinnen sammeln in Körben per Hand die roten Kirschen ein. Sie schauen etwas schüchtern als sie uns sehen. Als wenn sie sich etwas schämen. Ich habe den Eindruck, dass sie es jetzt besonders gut machen möchten. Wir platzieren Ricces, als den selbstbewusstesten, zwischen den Reihen mit Kaffee-Pflanzen und interviewen ihn. Er schlägt sich ganz gut und freut sich, fast schon wie ein Kleinkind, ein erstes Interview in seinem Leben gegeben zu haben.

Wir verabschieden uns von den Arbeitenden und arbeiten uns zwischen den Sträuchern den Steilhang hoch. Auf dem Weg angekommen begrüßt uns eine Tarantula, größer als meine Hand. Gefährlich sei sie wohl, aber Ricces vertreibt sie mit einem Holzstab. Eine Distanz, die mir etwas zu wenig ist. Für mich zu nah an der schon fast kuschelig anmutenden Spinne.

Wir schauen uns noch Verarbeitungsanlagen an, um zu verstehen, wie die Kerne vom Fruchtfleisch getrennt werden. Allerdings sind diese weitgehend klein und draußen. Mit einen umgeleiteten Bach werden die Bohnen gereinigt und später auf einer schwarzen Plane getrocknet. Laster bringen die Säcke voll mit Kernen dann in die vier Stunden entfernte Fabrik in Piura.

Erst gegen Sonnenuntergang sind wir wieder zurück in Piura und unserer Fahrer nimmt nur wenige Meter vor unserem Ausstieg einen Kollegen auf, der deutlich kräftiger und bedrohlicher ist. Beim Ausstieg will dieser dann das Geld abrechnen, aber nun sind es 770 Soles und damit ca. 200 Euro. Wir sind sehr verärgert und diskutieren lange mit ihm. Wir haben das Geld einfach nicht und können es auch nicht bezahlen. Die Situation ist sehr beschissen für uns. Erst will er mit uns zu NorAndino fahren, um zu erfragen ob die den Betrag teils übernehmen, aber er verfolgt seinen Vorschlag nicht. Plötzlich bietet er uns an, die eben getankten 160 Soles (40 Euros) zu zahlen. Für uns deutlich annehmbarer. Als die beiden dann glücklich gestimmt lächeln, erscheint uns dieser Deal als ziemliche Verarsche. Wir sind schnurstracks abgedampft und ärgern uns noch eine Weile. Selbst wenn sie 160 Soles vertankt haben, so hat der Fahrer an dem Tag ja nix verdient. Warum dann die Freude? Wir können es uns nicht erklären. Wir denken zumindest: Nie wieder NorAndino.

Kev

Kev ist die positive Seite der Medaille Piura. Kev ist unser Gastgeber. Der erste Eindruck ist nicht, dass er offen auf Menschen zugeht, aber seine vielen Fragen strafen diesen Eindruck Lügen. Auch für uns hat er viel Zeit und Beratung. Als Ingenieur verdient er selbst für peruanische Verhältnisse extrem gut. Besitzt ein fünfstöckiges Haus mit zig Wohnungen, welche er an Angestellte, aber vor allem Studierende vermietet. Im fünften Stock können wir ein Zimmer beziehen. Ein anderes wird von einem jungen Venezolaner, 19 Jahre, und einer Venezolanerin, etwa Anfang 30, bewohnt. Das Wohnzimmer ist sehr groß und beherbergt auch eine geräumige Küche. Befremdlich wirkt der große Monitor an der Wand der in Echtzeit die Aufnahmen der Überwachungskameras im ganzen Hans anzeigt. Zu Kev gehört Alexandra, seine Freundin. Sie ist Studentin, aber verbringt viel Zeit im Wohnzimmer mit schlafen und fernsehen.

An den meisten Abenden sitzen wir bis nach Mitternacht und tauschen uns über Deutschland und Peru aus. Er erklärt uns, wie größere Firmen in Peru ihre Steuern zurück bekommen können, sodass sie unterm Stricht so gut wie keine zahlen. Ähnlich wie in Deutschland sind Spenden steuerlich absetzbar.

Auch seien viele Peruaner*innen sehr rücksichtslos untereinander, währenddessen sie sehr zuvorkommend gegenüber Ausländern seien. Kev ist großer Freund von Bier, sodass wir den einen Abend mit einer kurzen Motorradfahrt zur Tankstelle beginnen. Dabei zeigt er mir welche Bereiche beim letzten „El Niño“ überschwemmt wurden.

El Niño, zu deutsch „das Christkind“, ist ein ca. alle vier Jahre zur Weihnachtszeit auftretenden Klimaphänomen vor der Westküste Südamerikas. Normalerweise trägt der Humboldtstrom das Pazifik-Wasser vom Land weg, Richtung Westen, Richtung Indonesien. Dabei steigt kaltes Tiefenwasser vor der Küste auf, sodass das Klima an der Küste etwas kühler und sehr trocken ist. Wüste. Bei El Niño versiegt der Strom und das Wasser vor der Küste wird aufgeheizt. Es entsteht ein warm-feuchtes Klima mit starken Niederschlägen. Bäche werden zu riesigen Strömen. Kev meinte, dass das Wasser bis in die Häuser gelaufen ist, obwohl der aktuelle Flusslauf gut 10 bis 20 Meter tiefer liegt und ein sehr breites Flussbett hat. Alle Straßen waren überschwemmt. 2016 hat ein El Niño die Westküste heimgesucht. Aber nicht nur diese Region ist dann betroffen, sondern das Wettergleichgewicht auf der ganzen Erde gerät aus dem Fugen. Selbst in Europa soll es dann kälter sein. Die Meeresflora und -fauna an der Küste ist dadurch massiv gestört, sodass viele Tiere hungern und sterben, weil die Nahrungskette zu einer Art Domino-Kette wird. Peruanische Fischer haben, weil Weihnachten plötzlich keine Fische mehr da waren, dieses Phänomen irgendwann El Niño getauft.

Kev berät uns aber auch, wie wir den zusätzlichen Tag nutzen können, der uns geschenkt wurde, als wieder mal zu spät uns um Bustickets gekümmert haben. Also stehen wir eines vormittags an der Kreuzung um die Ecke und suchen den Bus ins empfohlene Catacaos. Ein touristisches Dorf ganz in der Nähe. Tatsächlich finden wir ihn irgendwann, doch Catacaos ist uns keinen langen Besuch wert. Es gibt sehr viel Handwerk mit Gold und Silber, doch brauchen wir gerade kein Schmuck. Nach nur wenigen Stunden nehmen wir den Bus in die Gegenrichtung.

 

Mit Kev habe ich einen Freund auf der Reise kennengelernt. Der viel Geduld mit mir hatte, obschon ich seine Sprache nur schlecht spreche. Bei der Verabschiedung ist er dann wieder ganz der distanzierte. Für uns geht es weiter, nächster Stopp ist an der Grenze. Seid gespannt (-;


Jun 26 2018

Der alte Mann und das Meer

von Rosa

Die letzten Stunden vor den Sommerferien vergingen immer besonders langsam. Zwar wurde nicht mehr viel gemacht, ein Film geschaut oder Bankrutschen gespielt, aber umso unnötiger kam mir die Wartezeit dann vor. Viel lieber wollte ich meinen Schulranzen in die Ecke schmeißen und den Koffer für den Urlaub packen. Endlich Sommer, Sonne, Strand und Meer!

Doch dann kam alles ganz anders. Stau auf der Autobahn, die Taucherbrille vergessen und an der Ostsee 19 Grad und Regen. So ähnlich ging es mir mit Trujillo, der am Pazifik gelegenen und größten Stadt Nordperus. Endlich wieder Strand nach zwei Monaten in Brasilien und Peru, endlich wieder Wärme nach vier Wochen im Hochland und endlich wieder Sonnenschein nach drei Tagen Miesepeter-Nieselwetter in Lima – dachte ich. Die Wetterapp versprach 34 Grad und keine Wolke am Himmel. Wie ich später herausfand, gibt es wohl mehrere Trujillos in dieser Welt. Nach der Busfahrt, seit der ich endlich weiß, wie sich Ölsardinen in einer Dose fühlen, war ich zwar froh aus dem Bus zu fallen und mich wieder bewegen zu können, aber ich fiel auch von meiner Traumwolke. Der Himmel über Trujillo in tiefstem grau, das Meer nicht zu sehen und höchstens 19 Grad Ostseewetter. Manche Tage fangen eben so an, wie der vorhergehende aufgehört hat. So wie die Suche nach einem Busticket am Vortag, gestaltete sich auch die Suche nach einem Hostel in Trujillo schwierig. Unsere Erfahrung einfach mal drauf loslaufen und spätestens nach 200 Metern findet sich eine Unterkunft sollte sich in Trujillo nicht bestätigen.

Bepackt mit unseren Rucksäcken machen wir uns auf Richtung mehr. Doch kein Schild mit „Hospedaje“ weit und breit zu sehen. Bis zum Meer schaffen es die Füße nicht. Entnervt geben wir auf und fahren mit dem Taxi zurück zum Hauptplatz der Stadt, der in Peru fast immer „Plaza de Armas“ heißt. Kein guter Start für uns in Trujillo. Für die peruanischen Fußballspieler bei der WM auch nicht. In den letzten Tagen haben wir zahlreiche Stände mit Fußballartikeln in rot-weiß gesehen. An diesem Morgen begegneten uns viele Menschen in Trikots und mit geschminkten Fahnen im Gesicht. Man war aufgeregt vor diesem ersten Spiel bei einer WM nach 36 Jahren. Fußball im Fernsehen, auf den Straßen und das Smalltalk-Thema Nummer Eins. In den Geschäften kleben die Menschen vor den Fernsehern, ab und zu dröhnt ein Raunen aus den Restaurants. Doch keiner jubelt. Auch wir haben wenig Grund zum Jubeln. Aus dem Taxi ausgestiegen, spricht uns ein Tourguide an, ob wir ein Hostel suchen. Wir trotten dem kleinen Mann hinterher. Das Zehnbettzimmer, was er uns anbietet, ist zu eng und seinen Preis nicht wert. Als wir unverrichteter Dinge gehen, tönt er uns hinterher, dass wir kein Zimmer unter 25 Euro finden werden. Wir finden eins, ein paar Straßen weiter. Vor unserem Hotel wird alles Mögliche verkauft. Der Fußweg wird als Verkaufsfläche genutzt. Langsam schlängelnd kommen wir zwischen den Menschenmassen voran. An verschiedenen Ständen türmen sich die gleichen Produkte. Nur ein Restaurant ist schwer zu finden. Wir wollen gerade um eine Ecke biegen, da spricht uns ein Kellner auf englisch an. Wir diskutieren eine Weile und er überzeugt uns mit „Arroz a la Cubana“ und frischem Saft. Der junge Mann mit roter Schürze und einnehmenden Lächeln heißt Marco und kommt aus Venezuela. Wie viele andere ist er hier um zu arbeiten und seiner Familie Geld zu schicken. Wie viele andere kann er nicht in seinem früheren Job arbeiten. Stolz zeigt er uns ein Foto von sich in schwarzer Robe und seinem Abschlusszeugnis. Er hat Jura studiert. Was macht ein Anwalt in Peru, der sich mit venezolanischem Recht auskennt? Er räumt Teller ab. Marco und ich sind beide in Peru, beide 25, haben beide unser Studium beendet. Ich lebe gerade meinen Traum, Marco kann es nicht. Ich versuche das schlechte Gefühl runterzuschlucken, doch genau wie der trockene Reis meines Mittagessens, bleibt ein Rest im Hals stecken.

Trotz des schlechten Wetters machen wir uns am nächsten Tag auf zum Strand. Dafür müssen wir allerdings in das 15 Kilometer entfernte Huanchaco fahren. Nach einiger Zeit finden wir den gelb-roten Bus, der uns für 50 Cent zum Badeort bringt. Auf den ersten Blick sieht es hier etwas verlassen aus. Ein mutiger Tourist hat sich bis zum Bauch ins Wasser getraut. Seine Begleiter nur bis zu den Füßen. Am Strand zwischen den Steinen laufen ein paar Einheimische. Die meisten Bars haben geschlossen. Die Badesaison geht erst in ein paar Monaten wieder los. Trotzdem gibt es in dem kleinen Fischerdorf einen Markt mit Kunsthandwerk und zahlreiche Restaurants, die Meeresfrüchte anbieten. Die kleine Seebrücke in der Mitte des Dorfes kostet Eintritt und ist wohl die Hauptattraktion hier. Ich ziehe die Schuhe aus, krempel meine Hose hoch und laufe auf die strandenden Wellen zu. Das Wasser ist kalt. Karl ist mutiger und springt mit Badehose und Taucherbrille in den Pazifik. Bei den ganzen Steinen und den Wellen, fällt das Schwimmen allerdings schwer. Mit Windjacke lege mich in den Sand. Ein schönes grau in grau. Wasser und Himmel. Aber mit Augen zu und Sand zwischen den Zehen fühlt es sich für ein paar Minuten wie Urlaub an. Dann kommt der Wind und es wird ungemütlich. Wie Ostsee eben.

Am Nachmittag sind wir mit Elder verabredet. Er will uns für eine Nacht aufnehmen. Elder ist Ende 30, hat kurzes braunes Haar, etwas stämmig und baut nach jedem Satz ein kurzes Lachen, bei dem seine großen Schneidezähne zum Vorschein treten, ins Gespräch ein. Wir fahren mit dem Taxi zum Haus seines Nachbarn, denn da sollen wir heute schlafen. Er selbst hat Besuch von seinem Schwager. Nur ist dieser Nachbar, der eigentlich 20 Minuten von ihm entfernt wohnt, nicht auffzufinden. Elder hat sein Handy vergessen und kann ihn nicht anrufen. Wir warten eine Weile vor dem Haus, bis Elder doch zu sich nach Hause geht, um sein Handy zu holen. Bis 18 Uhr will der Nachbar zurück sein, berichtet Elder als er schnaufend zurückkommt. Heute ist Vatertag in Peru und sein Nachbar wäre noch bei einer Feier. Auch um sieben Uhr ist noch nichts von dem Nachbarn, dessen Namen wir immer noch nicht kennen, zu sehen. Eine Frau, die mit ihm im Haus wohnt, erzählt uns, dass ein Freund bei ihr angerufen hätte und der ominöse Nachbar auf der Feier betrunken eingeschlafen sei. Elder ist kurz ratlos, nimmt uns dann aber mit zu sich nach Hause. Wir dürfen allerdings nicht ins Haus, sondern warten auf der Terrasse. Elder ruft seinen Cousin an, bei dem wir jetzt übernachten sollen. Die ganze Konstellation ist etwas seltsam, aber wir steigen wieder ins Taxi und fahren zum Haus des Cousins. Besagter Cousin ist ein freundlicher kleiner alter Mann in sportlicher Kleidung und heißt Guillermo. Er unterrichtet Englisch und ist leidenschaftlicher Sammler von antiken Keramiken der Inkas und anderen Urvölkern. Seine ältesten Stücke sind über 2000 Jahre alt. Teilweise gekauft von Grabräubern wie er offen zugibt. Wäre sein kleines Wohnzimmer nicht mit Bierkisten vollgestellt, könnte man es für einen Ausstellungsraum halten. Guillermo findet Deutsche generell clever und möchte das mit uns beim Schach auf die Probe stellen. Der Fall „was zu beweisen war“ tritt nicht ein und so wurde an diesem Abend ein weiteres Klischee widerlegt. Dafür sind wir gerne da. Guillermo ist nicht nur für Couchsurfer aus aller Welt da, sondern auch für seine Nachbarn und Freunde. Er verkauft Bier und Schnaps, wann immer sie es brauchen. Sozusagen ein kleiner Spätshop für Eingeweihte. Guillermo weiß wie man über die Runden kommt. Beim Abendessen fragen wir ihn, ob er glücklich ist. Er sagt: „ja, ich habe einen Job, ein Hobby und Freunde. Mehr brauche ich nicht um glücklich zu sein“. Wir glauben es dem alten Mann aufs Wort.


Jun 19 2018

Im Kontrast der Großstadt

19.Juni 2018, Piura, von Karl

Darf ich vorstellen: Arthur. Etwas kleiner, wuschlige schwarze Haare, immer etwas verpeilt und müde drauf. Nicht verlegen für ein ehrliches Grinsen. Unser Couchsurfer bewohnt im schicken Lima‘ Stadtteil Miraflores ein Zimmer in einer Studi-WG. Zusammen mit fünf anderen Studis aus aller Welt. Er ist als einziger aus Peru, bzw. aus Cusco. Eine Mitbewohnerin ist zur Zeit in Ecuador, sodass wir eines der kleinen Zimmerchen beziehen können.

Rundgang im reichen Lima

Trotz dessen, dass wir ihn schon weit vor um 10 Uhr aus dem Bett geklingelt haben, brechen wir nach einem kurzen Frühstück zu einem Stadtrundgang auf. Insofern das überhaupt möglich ist. Knapp 10 Millionen Menschen bewohnen Lima, was bedeutet, dass nahezu jede*r dritte Peruaner*in in Lima wohnt. Zwei Drittel davon in den ungeplanten Außenbezirken, die teils dörflich-ländlichen Charakter haben. Sie gelten teils als die ärmsten Orte Perus und von einem Besuch wird vielfach abgeraten. Schon gegen Mittag, sollen wir die „Favelas“ wieder verlassen haben. Wir machen uns aber erst gar nicht zu einer Armutstour auf.
Arthur geht mit uns an den Pazifik, den ich damit zum ersten Mal live sehe. Die luxuriösen Hochhaussiedlungen Limas sind durch einen schicken Park-Pfad, einer Steilküste und einer Autobahn von der Küste getrennt. Nur an wenigen Stellen gibt es die Möglichkeit ans Wasser zu kommen. Knapp 20 Grad laden zum Schwimmen ein, auch wenn lediglich eine Person dieser Idee folgt. Wir machen kehrt am Strand und lassen uns von Arthur noch Baranco, einen anderen schicken Stadtteil zeigen. Vieles hier erinnert nicht mehr an das uns vertraute Peru, sondern es könnte auch London sein. Die Preise sind teils um ein vielfaches höher. Alle kaufen in den Supermärkten ein. Die Straßen sind sauber und gerade gezogen. Hochhäuser. Kaum eine*r verkauft etwas auf der Straße. Es fehlt an den einfachen Restaurants, stattdessen gibt es Capuccino mit „Good Day“ Milch-Schaum-Schrift.
Besonders an London erinnert auch das triste Wetter. Von frühs bis abends ist es bewölkt und die diesigen Wolken hängen tief in den Hochhäusern. Der kalte Humboldtstrom im Pazifik macht Wasser und Luft deutlich kälter als Lima wegen seines Breitengrades sein müsste. Der Winter in Peru verbringt die Metropole dann im Nebel. Es kommt nie die Sonne durch. Kein Wunder, dass Arthur oft schlafen mag.

Pyramide zwischen Hochhäusern

Wir spielen mit Arthur des abends verschiedene Kartenspiele und kombinieren sie mit Wein und ausgedachten Strafen. So fliegen wir dann auf Besen über die Straße, halten Reden auf dem Dach oder tanzen alberne Videos in der Küche nach. Wir können die Zeit genießen und kochen viel. Arthur wünscht sich ein „deutsches“ Dessert. Eine Herausforderung angesichts des Verfügbaren im Supermarkt und in der Küche. Am Ende improvisieren wir Eierkuchen, die uns auch selbst sehr beeindrucken. Wie lange mag es her sein, dass wir dieses schöne Gericht genossen haben?
Am nächsten Tag – wir haben bis Mittags gepennt – brechen wir zu einer Ausgrabungsstätte auf. Eine alte Lehm-Pyramide erhebt sich surreal zwischen den Hochhäusern. Eine echte Pyramide, wie sie vor tausenden Jahren dort stand, von Archeolog*innen detailgetreu wider aufgebaut. Auf der Spitze der Pyramide müsste sich ein weiter Ausblick entfalten, doch dieser endet an den Hochhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Pyramide steht wie eine kleine alte Frau zwischen ihren hochgewachsenen Enkel*innen. Die Pyramide, in ihrer Zeit konserviert, im Kontrast mit der stürmischen Großstadt. Man möchte ihr zuhören, was sie die letzten tausenden Jahre gesehen hat.
Tags drauf geht es für uns ins Zentrum Limas, wo wir kurz ein Literaturmuseum und lang ein Kunstmuseum besuchen. Weil wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, sogar kostenlos. Die Kunst Perus hat für mich einen beeindruckenden Bruch durchgemacht. Dieser wird sogar nach Kolonialherrenart „präkolumbisch“ oder „prähispanisch“ genannt. Das bezeichnet die Zeit, bevor die Europäer*innen alles geraubt, versklavt und beherrscht haben. Neben den berühmten Inkas gab es eine Vielzahl weiterer Völker und bezeichnend ist, dass bei vielen Ausstellungsstücken geschrieben steht, dass nicht klar ist, wie genau dies oder jenes genutzt wurde. Zum Beispiel wird eine Art komplexer Rechenschieber aus Fäden ausgestellt, was darauf hinweist, wie weit die Inkas schon waren, aber wie es funktioniert, wird wohl keine*r mehr rausfinden. Mit der Ankunft der spanischen Konquistadoren ist die peruanische Kunst stark von der europäischen dieser Zeit bestimmt worden. Eine katholische Heiligpreisung folgt der anderen.

Wasserspiele

Wir entdecken zwischen den Sehenswürdigkeiten eine weitere vegetarische Speise für uns: Chaufa. Das ist Reis mit ein wenig Ei und Gemüse, gefärbt mittels Soja-Sauce. Wie es als asiatisches Gericht auch in Deutschland gern serviert wird. Auch hier in den vielen asiatischen Restaurants als Basis im Angebot. Ziemlich schmackhaft und sehr sättigend. Auch deshalb, weil sich bei den Portionen an den Anden orientiert wird und es fraglich ist warum der Reis-Berg vor einem nicht links und rechts runterkullert. Es ist immer zu viel Chaufa auf einem Teller.
Auch Tortilla con Verduras (Gemüße-Tortilla) kann ich vegetarischen Peru-Reisenden ans Herz legen. Hier wird ein riesige Ei-Masse mit etwas Gemüße auf einen Berg Reis abgelegt und als unessbar große Portion serviert. Weil wir einmal bei Reisenden-Tipps sind: Die Banco de Nacion nimmt keine Bearbeitungsgebühr, wenn ihr Geld abhebt. und die Busgesellschaft Oltursa können wir weiterempfehlen.
Mit Arthur geht es an unseren letzten Abend in den Parque de Agua. Einen riesigen Gelände mit zig Springbrunnen. Mit Musik und Licht sehr schön in Szene gesetzt, freuen wir uns wie kleine Kinder. Von einer riesigen Laser-Show beeindruckt, laufen wir unter Wasserstrahlen durch und lassen uns von Springbrunnen einsperren. Wir werden nass; und bewundern die sich ändernden Wasserstrahlen. Wir bleiben lange und machen viele Photos. Irgendwann sind wir müde und geschafft machen uns auf nach Haus.
Mit der Metro. Metropolitano meint ein Netz aus Bussen, die auf eigenen Schnellspuren auf der Stadtautobahn unterwegs sind. Es gibt einige Linien, die nicht an allen Haltestellen halten. An fahren sie einfach vorbei. Sie sind farbig und mit Buchstaben oder Zahlen differenziert. Es soll noch eine Eisenbahn geben die verschiedene Stadtteile verbindet.

Was ich nicht liebe

Noch eine Weile sitze ich mit Arthur, der französischen Mitbewohnerin und einem weiteren Gast aus Belgien in der Küche, trinke Bier und spiele Karten. Leider hat die Fußball-Weltmeisterschaft begonnen und alle sind aus dem Häuschen. Für Peru ist es besonders krass, weil sie seit 36 Jahren erstmals wieder mitspielen. Als Deutsche werden wir ständig darauf angesprochen, da die deutsche Elf Titelverteidiger ist und besonders mich nervt es zunehmend an. Weder interessiert mich der kommerzielle Fußball, noch fühle ich mich meinem Land, noch mit den reichen Fußball-Spielern verbunden. Auch als ich mich an dem Abend gezwungen sehe, mich dafür zu erklären, gibt es kaum Verständnis in der Runde. Ich muss doch mein Land nicht mögen, nur weil es mir seinen Pass ausgestellt hat?
Aber freust du dich denn nicht wenn dein Team gewinnt?
Was ich denke: Warum mein Team?
Was ich antworte: Nein. Warum?
Ich lass die drei sitzen, die das ambitionierte Ziel haben um fünf Uhr früh aufzustehen, weil dann das erste Spiel übertragen wird.
Als sie wieder ins Bett gehen, fangen wir an unsere Rucksäcke zu packen. Arthur schaut uns ungläubig an, als wir um 8 Uhr abends immer noch nicht wissen wo die Busse abfahren und wir noch kein Ticket haben. Offensichtlich können wir noch eine Spur lässiger als der lässigste Typ vor uns. Tatsächlich werden wir eines besseren belehrt und finden keine Bustickets mehr, die uns über Nacht ins ersehnte Trujillo bringen. Eine Großstadt am Meer, die wir uns etwas preiswerter und mit Sandstrand ausmalen. Ein freundlicher Taxifahrer klappert mit uns die hunderten Busagenturen in der Innenstadt ab, aber in der Regel müssen die Agentinnen noch nicht mal in den Computer schauen um mit dem Kopf zu schütteln.
Etwas abgeschlagen lassen wir uns die gute halbe Stunde zum großen nördlichen Busterminal fahren. Dort stehen wir einem Busbahnhof gegenüber, der einigen Flughäfen sicherlich den Rang abläuft. Er ist einfach riesig. Wir fragen uns – es ist mittlerweile schon fast 11 Uhr abends – an den Schaltern von hunderten Firmen durch und werden tatsächlich noch fündig. „Titanic“ – welch kreativer Busfirma-Name! – verkauft uns noch zwei Tickets in einem älteren und sehr engen Modell. Die vielen Menschen um mich herum rauben den Sauerstoff und sorgen für wohlige Wärme. Nicht lange und ich entschwinde in die Welt der schönen Träume und damit aus Lima, der größten und Hauptstadt Perus. Gute Nacht!

PS.: Lima und unsere nächsten Stopps auf einer Karte:

Lima, Trujillo, Piura

StepMap Lima, Trujillo, Piura

Jun 17 2018

Eine fast unendliche Geschichte

von Rosa

Alles hat ein Ende, nur Huancayo nicht. Aus den ursprünglichen zwei Tagen wurden sechs, dann acht, dann neun und zwölf.

Wie alles begann…

Die Busfahrt war mal wieder unruhig. Ich hatte Mühe und Not mich auf meinem Sitz zu halten und meine Beine so zwischen die Absperrung zur Bustreppe zu klemmen, dass ich nicht bei jeder Kurve das Gleichgewicht verlor. Schlagloch um Schlagloch. Zwischen kalt und warm. Zwischen Schlaf und Wachkomma. In den frühen Morgenstunden eines Donnerstags hatte auch diese Fahrt ihr Ende. Freudig stieg ich nun endlich aus dem Bus ins…kalte Schwarz. Es war unerwartet kalt. Wir warteten im improvisierten Busbahnhof auf die Sonne. Unseren Host sollten wir erst 9 Uhr treffen. Noch vier Stunden. Mit den ersten Sonnenstrahlen fahren wir zum verabredeten Treffpunkt. Nach einer Weile kommt die Polizei auf uns zu. Schnell wird das Coca versteckt, obwohl es ja in Peru nicht verboten ist. Nur das Ausführen ist nicht erlaubt. Es stellt sich heraus, dass es nur die Touristenpolizei ist, die uns von den Sehenswürdigkeiten Huancayo überzeugen will.

Javier, unser Host zeigt uns seine Wohnung, die er mit einer Familie teilt. Seine eigene Familie ist quer in der Welt verteilt, sein Vater in den USA, seine Mutter in Italien und sein Bruder in Lima. Er irgendwo dazwischen. Javier sieht nach Metropole aus, leicht Hipster mit Nerdbrille und für peruanische Verhältnisse sehr groß. Darauf ist er stolz. Sein Vater war wohl ein erfolgreicher Torhüter in Peru und hat ihm seine Größe vererbt. Viel mehr ist ihm von seinem Vater nicht geblieben. Ab September will Javvier einen Master in Fotografie in Rom machen. Geldprobleme hat die Familie nicht. Ihnen gehören ein paar Immobilien, die sie an Studenten vermieten. Trotz seiner 29 Jahre wirkt er eher, wie jemand der nicht erwachsen werden will. Eben ganz „La Dolce Vita“.

Wir laufen mit Javier bis ins Zentrum der Stadt, Huancayo wirkt modern, die Menschen sehen nach Großstadt aus. Wieder kommen uns zwei junge Frauen entgegen, die uns eine Tour anbieten wollen. Rund um Huancayo gibt es viel zu sehen. Nur die Touristen fehlen. In Huancayo selbst tut sich unser Gastgeber schwer uns Besonderheiten der Stadt zu zeigen. Zufällig treffen wir seine Cousine Maria und sie lädt uns zum Abendessen ein. Es gibt Pasta „a la Peruana“. Der Abend wird lustig mit Rotwein, Zaubertricks und Politik. In Peru ist man der Auffassung, dass Europa das Paradies wäre und in Europa alles läuft. Vor allem in der Politik. Doch diesen Glauben müssen wir ihnen rauben. Vielleicht wirken die Probleme über den Pazifik weniger groß, doch auch in Deutschland gibt es Korruption, große Wirtschaftskonzerne werden nicht sanktioniert, weil sie zu mächtig sind. Eben auch wie überall auf der Welt. Die Wohnung von Maria ist modern eingerichtet. In ihrer Wohnstube steht ein zweiter unbenutzte Herd. Wir sprechen sie darauf an. Sie lächelt. Es wäre ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Dann zählt sie auf was sie noch alles zu ihrer Hochzeit bekommen hat. Es sind fast alle Möbelstücke der Wohnung inklusive der Wohnung selbst. Heiraten in Huancayo lohnt sich. Nicht selten entsteht ein Wettstreit zwischen den Familien. Da kann auch schon mal ein Auto oder ein Apartment verschenkt werden. Na mal sehen was sich machen lässt in den paar Tagen in Huancayo scherzen wir. Da wird uns schon Hilfe bei der Partnersuche angeboten. Wir lehnen trotz des verlockenden Angebot ab.

Aus zwei mach sechs

Am nächsten Morgen sind wir endlich mit Yannet verabredet. Sie ist die Chefin von Agropia. Der Grund warum wir eigentlich in Huancayo sind. Agropia stellt Chips und frittierte Maiskörner aus okölogischem und fairem Anbau her, die dann schon als Fertigprodukte nach Deutschland und Frankreich verschickt werden. Am Stadtrand steht die kleine Fabrik. Alles sieht sehr ordentlich aus. Uns werden erst einmal die produzierten Chips als Kostprobe angeboten. Ich kenne Chips schon aus Deutschland und bin amüsiert jetzt am Produktionsort zu sein. Die Besprechung dauert eine Weile, weil viel zu tun ist, einiges nicht gefilmt werden kann, weil der Prozess zu lange dauert und wir immer wieder darum bitten müssen alles noch einmal langsam zu wiederholen. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, d. h. wir können erst ab Montag drehen. Drei Tage Leerlauf für uns. Arbeitsmeeting auf Spanisch beendet. Es hat alles geklappt, aber der Kopf raucht etwas.

Als wir nach Hause kommen hat Javier eine Überraschung für uns. Vor der Tür steht ein kleiner gelber VW Käfer. Besonders in Huancayo sind uns die vielen alten Autos aufgefallen. Es gibt sogar ein Kinderspiel. Man ruft „Sapito“ (kleiner Frosch) und die jeweilige Farbe, wenn man einen sieht. Auch wir beteiligen uns am Spiel. Der Gang geht schwer, doch dann fährt er los, der alte Rennwagen. Mit dabei ist diesmal Javiers Cousin Hernán. Er ist nicht überzeugt von den Fahrkünsten seines Verwandten, steigt aber trotzdem ein. Der kleine Käfer quält sich den Berg bis zu einem Aussichtspunkt hinauf. Beim Ausblick über die Stadt fragt uns Hernán, ob wir nicht Lust hätten morgen mit auf eine Hochzeit zu kommen. Wir sagen zu, aber verweisen auf unsere eher kaputten Schuhe und unsere sportliche Kleidung. Der Anzug für Sponatanhochzeiten hat dann doch nicht mehr in den Rucksack gepasst. Wir werden kurz gemustert. Dann nickt Hernán ab.

Den Samstagmorgen verbringen wir, wie scheinbar andere Familien in Huancayo auch in der Werkstatt. Bei dem Verkehr in Huancayo kein Wunder. Der kleine Sapito war im Stadtverkehr nicht stark genug. Die Lampe ist kaputt und der Lack ab. Es gibt aber tatsächlich noch einen Fachbedarfladen für Käfer Ersatzteile. Der Lack wir abgeschliffen, neue Masse aufgespachtelt, wieder abgeschliffen und mit Farbe bespritzt. Wie neu. Glück gehabt.

Samstag ist großer Hochzeitstag in Peru. So verwundert es auch nicht, dass wir erst einige Minuten auf der falschen Hochzeit tanzen, bis ein Freund von Hernán bemerkt, dass er das Brautpaar gar nicht kennt. Wir ziehen uns mit einem leichten Schmunzeln zurück. Vor der richtigen Hochzeit begrüßt uns dann schon ein LKW mit Bierkästen. Das Brautpaar feiert in einer Art Halle, die spärlich geschmückt ist. Als wir gegen frühen Nachmittag ankommen, übergeben einige der 200 Gäste gerade ihre Geschenke. Das Überreichen der Geschenke ist eine Zeremonie. Vom Gemüsekorb bis zum Auto ist alles dabei. Eine Blaskapelle spielt den Takt vor und die Schenker tippeln in in kleinen Schritten nacheinander bis sie beim Brautpaar angekommen sind. Dann wird dieser Vorgang noch einmal mit Bierkästen wiederholt. Irgendwann dürfen die Gäste dann auch trinken, aber das erfolgt ebenfalls nach einer bestimmten Regel. Es gibt eine Bierflasche und einen Becher. Alle stehen im Kreis. Der erste in der Reihe schenkt sich einen kleinen Schluck in den Becher und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn weiter. Dann wird sich zugeprostet. Aber nur der mit dem Becher trinkt. Der Becher wird maximal in 2 Schlucken fast leer getrunken. Der kleine Rest im Becher wird auf den Boden geschüttet für die Pachamama (Mutter Erde). Dann geht der Becher weiter an den nächsten, der schenkt sich wieder ein und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn und so weiter. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass weniger mehr ist, denn im Kreis können auch schon mal mehre Bierflasche rotieren. Durch die kleinen Schlucke wird man weniger schnell betrunken. Wenn nicht getrunken wird, dann tanzen alle. Aber es geht auch beides gleichzeitig. Entweder zu Blasmusik in kleinen Tippelschritten oder zu Cumbia (traditioneller peruanischer Musik) in größeren Tippelschritten mit etwas mehr Hüfte. Man hat Freude daran den Deutschen Tanzen beizubringen, mit uns Fotos zu machen oder uns zu Fragen wie wir die Peruaner finden. Gegen zehn Uhr abends leert sich der Saal etwas, alle sind gut angetrunken. Wir besorgen uns noch etwas zu Essen, denn das haben wir nicht so richtig auf der Hochzeit gefunden.

Es gibt nicht alles soviel wie Bier in Huancayo. Es fehlt vor allem an Wärme, Wasser und Toilettenpapier. Es ist normal in geschlossenen Räumen mit dicker Jacke zu sitzen. Kinder haben sogar Wollmützen auf. Heizungen gibt es nicht. Meine Nase ist eigentlich permanent kalt. Es sei denn, die Sonne scheint. Dann brennt sie und man darf sich nicht zu sehr an den Sonnenstrahlen laben, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Das Schlafen ist nur im Schlafsack oder mit mehreren Decken möglich. Wärme bringt auch eine heiße Dusche, die ist dann aber wirklich sehr heiß. Dieser Plan funktioniert aber nur, wenn es tatsächlich Wasser gibt. Manchmal kommen nur Tropfen aus dem Wasserhahn und manchmal gar kein Wasser. Am nächsten Morgen geht es dann plötzlich wieder. Toilettenpapier, was eigentlich in ganz Peru auf Toiletten nicht vorhanden ist, sollte man immer bei sich haben. Man sieht auch Leute, die mit so einer Papierrolle spazieren gehen und auch in unserer Unterkunft hat jeder seine eigene Rolle. Dafür kann man es auch an jeder Ecke kaufen wie Zigaretten eben. Man muss es eben nur wissen. Rauchen ist in Peru übrigens nicht üblich.

Dann acht, wer hät‘s gedacht

Aus dem Schlafsack zu klettern, ist eine besondere Herausforderung. Halb sieben am Morgen umso mehr. Es ist Dienstag und wir können endlich anfangen zu drehen. Wir besorgen uns noch ein paar Blätterteigspezialitäten und ein Brötchen mit Ei. An jeder Ecke, wirklich an jeder Ecke, kann man sich irgendetwas kaufen. Es gibt unzählige Tante-Emma-Läden, Essensstände mit gegrilltem Fleisch, belegten Brötchen, Süßigkeiten oder frischen Säften. Javier erklärt uns, dass sich jeder irgendwie über Wasser halten muss und so werden die Menschen kreativ und verkaufen alles was geht. Wir laufen gerade an einer Schule vorbei. Die Süßigkeiten und Spielzeugstände werden von Schülern belagert. Sich etwas Kleines zu gönnen scheint bei dem Angebot unvermeidlich. Wir haben uns schnell an diese Lebensart gewöhnt. Kurz nach acht sitzen wir dann im Auto von Silvestre und Pedro. Silvestre ist der Technik-Chef von Agropia und Pedro sein Assistent. Gut 45 Minuten geht es bergauf nach Aymara. Aus den Lautsprecher des Autos tönen Gitarrenklänge und spanischer Gesang. Die Musik untermalt perfekt den Anblick, der sich uns bietet. Grüne Berge und Täler, unterbrochen von Anbauflächen, die sich über weite Strecken der Berghänge verteilen. Wir treffen auf Schafhirten und Schafe, die uns den Weg versperren. Es ist Andenromantik pur.

In Aymara angekommen werden die Schlaglöcher größer und der Nebel dichter. Wir laufen einen kleinen Hügel hinauf und dort bereiten gerade ein paar Bäuerinnen und Bauern ein Feuer vor. Es ist für unser Mittagessen gedacht. Neomi, eine Kartoffelproduzentin, hat extra ihren festlichen Rock mitgebracht und eine Blume steckt in ihrem Hut.

Normalerweise würde sie so nicht auf dem Feld arbeiten, aber heute ist ein besonderer Tag. Noemi ist etwas aufgeregt, als wir ihr Kamera und Mikrofon vor die Nase halten. Um sie herum stehen die anderen Mitglieder der Kooperative und schauen ihr gespannt über die Schulter. In 4000 Meter Höhe wachsen nicht nur gelbe Kartoffeln in der Erde, sondern auch rote und blaue. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick.

Noemi erzählt, dass sie als Bäuerinnen den Klimawandel bei ihrer Produktion deutlich merken. Seit fünf Jahren hat sich die Regenzeit stark verändert, manchmal regnet es zu viel, manchmal zu wenig. Neue Schädlinge sind aufgetaucht und in einem Jahr ist die gesamte Ernte ausgeblieben, weil es zu stark geregnet hatte. In der Mittagspause gibt es dann eine Kostprobe von den blauen und roten Kartoffeln mit Käsecreme und Lamm. Alles gegart auf Steinen im Erdloch. Nach dem Mittag hält Silvestre noch eine Ansprache und auch wir werden zu ein paar Worten überredet. Dann müssen wir noch in den Arbeitsnachweishäften der Bäuerinnen und Bauern unterschreiben. In diesem Heft wird alles genau protokolliert. Einkauf, Ernte, Düngemittel und Weiterbildungen. Auch bei Naomi geht es genau zu. Alle ihre Utensilien für ihre Arbeit sind beschriftet. Die Kartoffeln für Agropia und die Kartoffeln für den Markt. Dann zeigt uns Naomi noch stolz ihr Meerschweinchenzucht. 120 der kleinen Nager tummeln sich in einer kleinen Halle. Auch Hasen gibt es. Zurück in der Fabrik von Agropia, erklärt uns Yannet, dass es besser wäre am Donnerstag weiterzufilmen, d. h. wir haben wieder einen Tag frei.

Zum Feierabend gönnen wir uns ein Eis. Genauer genommen frittiertes Eis. Dabei wird eine fetthaltige Milch mit Früchten oder Schokolade gemixt und auf einer geraden Fläche auf -15 Grad gefroren. Dann wird mit einem Spachtel die dünne Eisschicht zu Rollen abgetragen. Es gibt noch verschiedene Toppings dazu. Die Zubereitung ist ein Spektakel. Als wir hören, dass es das ganze auch schon in Dresden gibt und zwar für 7 Euro statt den hier 1,50 Euro beschließen wir am nächsten Tag wiederzukommen.

Dann neun

Seit einer Woche sind wir in Huancayo. Wir sitzen gerade beim Frühstück, als die Kinder der Familie wieder nach Hause kommen und der Vater uns erklärt, dass es einen Generalstreik gibt. Alle Transportunternehmen und der Schulsektor sind betroffen. In diesem Moment klingelt unser Telefon. Es ist Yannet. Sie erklärt uns, dass der Weg zur Fabrik durch Straßenspeeren blockiert wäre und wir erst am Freitag kommen könnten. Dumm gelaufen. Die Tickets für den Nachtbus nach Lima sind schon gekauft, aber nicht umtauschbar. Im Zentrum ist es anders als angekündigt relativ ruhig. Auf dem Weg dahin begegnen uns weniger Taxis und Busse. Einige Läden haben geschlossen. Die Polizei steht vor Regierungsgebäuden und Banken. Ein Zug von 100 Menschen zieht mit Kochtöpfen und Stöcken durch die Straßen. Ab und zu kommen neue Protestzüge vorbei. Ein Mann erklärt uns, dass seit einer Woche der Ölpreis gestiegen ist und alle Bereiche davon betroffen sind. Zum Beispiel sind die Lebensmittel teurer geworden.

Und zwölf

Neben mir hustet es. Karl ist krank. Fieber. Auch heute ist das Filmen nicht möglich. Es ist Freitag. Das heißt noch ein Wochenende in Huancayo. Wir rufen Yannet an, dass wir erst am Montag kommen, um die letzten Bilder zu drehen. Ich verbringe die Tage im „Parque de la Identidad“ (Park der Identität). Die Gestaltung erinnert mich an Hundertwasser. Ich lausche der Musik, beobachte Wolken und lese Destojewski. Dünne Fäden ziehen sich aus den Wolken wie Zuckerwatte. Stunden vergehen. So schnell wie das Fieber gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Unser Host muss nach Lima und wir ziehen in ein Hostel um.

Dann ist es endlich Montag, wir stehen vor der Fabrik und treffen noch einmal Noemi. Bevor es losgeht, müssen wir noch Schutzkleidung anziehen. Dann kommen die ersten Kartoffeln, werden geschnitten, gewaschen, frittiert und verpackt. Immer wieder kontrolliert von der Produktionschefin. Es läuft wie am Schnürchen und doch steckt im ganzen Prozess mehr Handarbeit als wir gedacht hätten. Zum Mittag gibt es, wie sollte es anders sein, die frischen Chips. Die Chefin erzählt stolz, dass hier viele Frauen arbeiten, die einen guten Lohn bekommen und somit unabhängiger sind.

Uuund Cut. Die letzte Szene ist im Kasten. Was lange währt, wird endlich gut. So sitzen wir nach 12 langen, kalten und schönen Tagen wieder im Bus. Wir verlassen nach einiger Zeit das Hochgebirge, um in wärmere Regionen an die Küste Perus zu fahren.

 


Jun 5 2018

NEU: unsere Reiseroute

einfach auf den Reiter Reiseroute klicken (-;


Jun 5 2018

Work and Travel

03. Juni 2018
Huancayo
von Karl

Wir sind relativ gewöhnlich mit dem Bus über Nacht nach Ayacucho gekommen. Gut, die Strecke ist etwas länger, sodass es schon fast Mittag war. Anderen Peru-Reisenden kann ich da die Busfirma „Movil“ sehr empfehlen. Größere Sitze, Verpflegung, Klimaanlage. Eine Stewardess hat Frühstück und Abendbrot ausgegeben, was angesichts der Serpentinen eine Meisterleistung ist. Da ist Flugzeug-Stewardess ein Kinderspiel dagegen.
Wir haben einen Couchsurfer, der sich mit uns am Plaza Santa Ana treffen möchte. Wir nehmen vom neuen Terrapuerto aus ein Taxi. Wir nehmen oft Taxis, weil die Strecken oft lang und Taxis nicht teuer sind. Für eine Stadtfahrt sind vier bis acht Sol normal, das sind eins bis zweieinhalb Euro. Auf längeren Strecken gibt es oft Taxis die erst dann los fahren wenn sie voll sind, sodass der Preis geteilt wird.
Am Plaza Santa Ana warten wir über eine Stunde und rufen dann einen anderen Couchsurfer an, der uns auch aufnehmen würde. Wieder müssen wir einmal durch die Stadt und werden tatsächlich aufgelesen, allerdings nicht von dem Couchsurfer sondern von dessen Mutter oder Oma. Die ältere Frau führt uns in ihr kleines zu Hause mit etwas Garten und ein paar Wellblechverschlägen. Nun erklärt sie uns, dass wir arbeiten müssen. Entweder die Küche neu gestalten, Die Mauer an der Straße streichen und mit Bilder verzieren oder einen Holzzaun streichen und verzieren oder Gärtnern. Das Zimmer in dem wir schlafen sollen ist vollgestellt bis unter die Decke.
Wir erklären ihr, dass wir schon Arbeit haben und dass wir Texte schreiben und Photos machen können, aber nicht malern. Sie bietet uns an, für den Verschlag zu zahlen. Wir lehnen ab und suchen eine Unterkunft in der Nähe. Wir sind enttäuscht, dass wir gar nicht mit dem eigentlichen Kontaktmenschen zu tun hatten und hier andere Erwartungen an uns gestellt wurden.
Unser erster Couchsurfer hat sich bei uns gemeldet, und wir fahren erneut am nächsten Tag zum Plaza Santa Ana, wo uns mittlerweile die Schulkinder kennen. Wir rufen ihn an. Versprochene fünf Minuten später erscheint – nicht der Couchsurfer, sondern – sein Vater. Über staubige steile Wege geht es an den Stadtrand Ayacuchos, bis wir wieder in einem Hanggarten mit Holzhäusern und ein paar Verschlägen landen. Der Vater erklärt uns, wo wir überall mitarbeiten könnten und wo Hilfe gebraucht wird. Diesmal gehen wir einfach nicht darauf ein.
Wir können ein Zimmer beziehen was aus einem Bett und einer Holzbank besteht. Die Mauern sind unverputzt und der Boden Beton. Die Toilette ein Holzverschlag mit Loch im Boden. Dusche gibt es nicht. Am gleichen Tag reisen zwei Deutsche ab. Wir sprechen etwas mit Ihnen und erfahren so mehr über die Familie. Sie haben einen Monat dort gelebt. Die Familie kauft Alpaca-Wolle auf dem Markt ein, färbt sie mit Chemie, webt diese dann mit den eigenen stromlosen Webstühlen und macht daraus Taschen, Kissen oder allerlei Kram. Lisa und Marten haben etwas mitgeholfen. Also eher Lisa, weil Marten erklärt, er habe eher nur ausgeschlafen, Yoga auf dem Dach gemacht und dann Essen gekocht. Wir können nicht verstehen, was so toll an einem so armen Leben sein soll und beschließen schon einen Tag früher aufzubrechen. Aber eine Nacht bleiben wir.
Jimmy, unseren eigentlichen Couchsurfer, bekommen wir zufällig auch zu sehen, aber eher als Randnotiz. An unseren Abreisetag hilft er uns aber noch sehr. Mein Laptop-Bildschirm hat einen Sprung bekommen und das Filme schneiden ist dadurch sehr eingeschränkt möglich. Teile des Screens sind nur noch schwarz. Jimmy arbeitet in einem Computer-Laden und wir suchen ihn dort auf. Er führt uns in eine Hinterstube und dort sitzen die erhofften Bastler. In nicht einmal einer Stunde repariert ein relativ stummer Kollege den Laptop und ich verlasse freudestrahlend den Laden.
Daraufhin gönnen wir uns eines der typischen peruanischen Menüs. An vielen Stellen gibt es kleine Restaurants die für alle Tageszeiten Menüs bereit halten. Immer gibt es eine Vorsuppe und ein Getränk und der gewählte Hauptgang. Unser Renner ist Arroz a la Cubana. Ein Menü kostet meist um die fünf Sol, also eineinhalb Euro.
Wir bringen der Familie noch Äpfel und Bananen vom Markt mit und verabschieden uns zum Nachtbus nach Huancayo.


Jun 4 2018

Alle auf Einen

von Rosa

„Kann ich bitte auch mal den Kaffee haben“ tönt es über den Frühstückstisch. Es ist 5 Uhr morgens. Alle stürzen sich auf die kleine Glaskanne mit der schwarzen Flüssigkeit in der Hoffnung der Inhalt macht ihre müden Augen etwas weiter. Es sind die letzten Minuten in Ivochote, einem Dorf in das sich im Jahr vielleicht 20 Touristen verirren. Der Grund für unser zeitiges Aufstehen ist ein anderes Dorf, das jedoch in einem anderen Land zu liegen scheint. Aguas Caliente (Heiße Quellen) ist die letzte Siedlung vor der berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus, dem Machu Picchu. Täglich besuchen 2500 Menschen die sagenumwobene Inkastadt. Doch bis dahin ist es für uns noch ein weiter Weg.

Ich halte mich aus dem Kaffeekrieg raus und frühstücke stattdessen eine Reisetablette mit drei Schluck Wasser. In mir tobt ein ganz anderer Krieg. Mein Magen gegen die holprigen, kurvigen Andenstraßen. Die Fahrt von Cusco nach Ivochote war im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Diesmal muss ich besser vorbereitet sein. Ich erkämpfe mir gegen die Rentnergruppe den Platz neben dem Fahrer, denn wenn ich die Straße im Blick habe, ist es weniger schlimm. Drei leere Plastiktüten, Coca-Blätter, etwas Wasser und Tablettennachschub. Das muss reichen. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern und es geht los. Unser Fahrer übt zum Glück nicht wie sein Vorgänger für das zweite Standbein „Formel 1 Karriere“ und meine Müdigkeit lässt mich zwei Stunden schlafen. Die Straße schlängelt sich entlang des Urubamba-Flusses vorbei an bunt bemalten Häusern. Die Motive und Sprüche wiederholen sich. Arno erzählt uns, dass die politischen Parteien vor den Wahlen an die Häuser klopfen und fragen, ob sie ihre Wahlsprüche an die Fassaden malen dürfen. Einige Hausbesitzer nehmen das Angebot für umgerechnet 20 Euro an, ungeachtet dessen, ob sie die Partei wählen werden. Viele Peruaner, das hören wir immer wieder, sind so oder so von den Politikern enttäuscht und nehmen auch eine Geldstrafe fürs Nicht-Wählen in Kauf. Circa 15 Prozent der für Investitionen bestimmten Haushaltsmittel gehen aufgrund von Korruption verloren.

Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir Santa Maria, einem der letzten größeren Orte vor Machu Picchu. Mittagspause. Mein Magen hat durchgehalten und die 40 Minuten Fahrt sollen nicht mehr so schlimm werden. Also versuche ich eine Kleinigkeit zu essen. Arroz a la Cubana (Reis nach cubanischer Art) mit einem Spiegelei und Banane. Es ist leckerer als es klingt. Arno zweifelt berechtigterweise an, ob es dieses Gericht überhaupt auf Kuba gibt. Nein gibt es nicht. Während meines zweimonatigen Kubaaufenthalt gab es leider fast nur Reis mit Bohnen.

Aus den angekündigten 40 Minuten Fahrt bis zum Ziel werden 90 Minuten. Dann die ersten Hinweisschilder zu Hydroelectrica und Machu Picchu. In Hydroelectrica endet die Straße und ab hier geht es nach Aguas Caliente nur noch zu Fuß oder mit dem Zug. Da der Zug aber extrem teuer ist, laufen einige Reisende die 12 km lange Strecke zu Fuß. Die meisten unter ihnen ohne Gepäck. Da wir nicht aus Richtung Cusco kommen und dort unserer Rucksäcke im Hostel lassen konnten, drücken jetzt 20 kg auf unseren Schultern. Wir verabschieden uns von Arno auf Bald und von der Touristengruppe mit den Worten ihr werdet uns sowieso einholen, denn ihr Gepäck wird in ein Hotel nach Cusco gefahren.

Der Weg führt direkt an den Bahngleisen entlang und wenn ein Zug kommt, müssen alle zur Seite gehen und stehen bleiben. An engen Stellen ist das gar nicht so ungefährlich. Die ersten Meter im Schatten laufen sich leicht. Dann geht der Weg einen steilen Berg hoch. Ich habe Mühe nicht nach hinten zu fallen und bin am Ende des Weges außer Puste. Nach den ersten 3,5 km setzen die ersten stärkeren Schmerzen ein. Mitleidige Gesichter schauen uns entgegen, die nur mit einem leichten Wanderrucksack unterwegs sind. Andere Wanderer überholen uns, nur nicht die Touristengruppe. Das Gehen auf dem Gleisschotter ist anstrengend, mehrmals knicke ich um. Immer wieder wechsle ich die Seite, um einen ebenen Untergrund zu finden. Noch 4 km bis zum Ziel. Jedes mal denke ich bis zur nächsten Ecke und dann mache ich eine Pause. Aber jedes mal laufe ich weiter, weil es nach dem Absetzen des Rucksacks bestimmt noch schwerer geht. Wir laufen jetzt zwischen den hohen Bergen, der Blick ist beeindruckend und einschüchternd zu gleich und doch haften meine Augen eher auf dem holprigen Boden. Irgendwann können wir die Gleise verlassen und laufen auf einen riesigen Schriftzug auf dem Machu Picchu steht zu. Hier befindet sich also der Eingang zur berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus.

Wir müssen noch ein Stückchen weiter nach Aguas Caliente. Noch nicht einmal richtig im Dorf angekommen, begrüßt uns schon ein Mann, der für seine Unterkunft wirbt. Das trifft sich gut, wir haben noch keine. Wir gehen weit den Berg hinauf. Aguas Caliente ist komplett auf den Tourismus abgestimmt. Teure Designerhotels, unzählige Restaurants, Musiker, die Guantanamera spielen und Geldautomaten an jeder Ecke. Auch die Essensvielfalt haben wir so in Peru noch nicht vorgefunden. Éclairs aus Frankreich, Schokolade aus Deutschland und Chips aus den USA. Natürlich zu teuren Preisen. Selbst das Wasser ist hier doppelt so teuer. Wir fühlen uns eher wie in einem Touristenort am Mittelmeer. Nur mit Bergen und viel kälter. Schnell besorgen wir noch die Tickets für Machu Picchu bei der offiziellen Kulturbehörde. Mein internationaler Studierendenausweis wird nicht akzeptiert und ich muss die knapp 50 Euro ohne Vergünstigung bezahlen. Die Buchung übers Internet funktionierte bei der Bezahlung nicht. Es scheint als würde es den Touristen so schwer wie möglich gemacht das Erlebnis auf eigene Faust zu organisieren. Stattdessen sollen die ansässigen Agenturen in Anspruch genommen werden. Der Bus zur Spitze des Machu Picchu kostet dann nochmal 10 Euro. Auch hier gibt es nur Vergünstigungen für Personen aus Lateinamerika. Unsere Unterkunft hingegen haben wir für umgerechnet 5 Euro bekommen. Dementsprechend sieht sie auch aus und es riecht nach Schimmel. Aber unsere Nacht wird sowieso kurz. Denn die ersten Busse Richtung Machu Picchu fahren schon 5:30 Uhr und ab 4:00 Uhr morgens sollen die ersten Touristen Schlange stehen.

Also warten auch wir kurz vor 4:00 Uhr eingepackt in warmer Kleidung vor der Bushaltestelle. So kalt wie erwartet ist es dann gar nicht. Schmunzelnd beobachte ich die länger werdende Warteschlange und die enttäuschten Gesichter, die sich weiter hinten einreihen müssen. Ich bin ein bisschen aufgeregt tatsächlich gleich Machu Picchu zu sehen. Der Bus kämpft sich die 12 km bis zum Gipfel hinauf. Die Umrisse der umliegenden Berge werden immer klarer. Die großen Riesen thronen im Nebelkleid über dem Tal. 6:00 Uhr warten wir fast ganz vorn in der Reihe darauf, dass sich das Tor zur Ruinenstadt endlich öffnet. Dann ist es soweit. Wir haben den Tipp bekommen, gleich hoch zum Wächterturm zu laufen. Dort soll der Blick am schönsten sein. Schnellen Schrittes machen wir uns auf den Weg. Auch wenn der alte Gipfel (Machu Picchu) nur auf 2430 Meter liegt, pocht unser Herz ganz schön. Nach 10 Minuten haben wir es geschafft. Das Postkartenmotiv wird Realität. Es ist tatsächlich noch besser als erwartet. Meine Lippen formen sich zu einem Lachen und ich bin überwältigt von dem Blick, der sich mir bietet. Die grüne Terrassenstadt zwischen den riesigen zum Teil schneebedeckten Gipfeln hätte man besser nicht malen können.

Langsam füllt sich die Anlage mit Menschen, die unbedingt noch ein Foto ohne die anderen störenden Touristen ergattern möchten. Man setzt sich in Szene, die Selfiesticks werden ausgepackt und selbst die Lamas posieren als würden sie dafür bezahlt werden. Alles für das perfekte Bild.

Täglich dürfen maximal 2500 Personen das Gelände betreten. Die Unesco fordert allerdings eine maximale Besucherzahl von 800 Personen, um das Kulturerbe und die umliegende Landschaft nicht zu gefährden. Wir warten auf die ersten Sonnenstrahlen und hören einem Guide zu, der über die Geschichte Machu Picchus erzählt.

Als offizielles Wiederentdeckungsdatum wird das Jahr 1911 genannt, als der Leiter einer Yale-Expedition Hiram Bingham durch Zufall die Stadt fand. Er war eigentlich auf der Suche nach einer anderen Inkastadt. Ein 11-Jähriger Junge führte ihn allerdings zu Machu Picchu. Dort lebten zu dieser Zeit drei Familien, die ihre Söhne vor dem Krieg versteckten.

Wir bewegen uns von unserem Beobachtungsposten in Richtung Stadtkern. Die Inkas galten als eine der besten Baumeister ihrer Zeit und die alten Mauern lassen keinen Zweifel daran. Jeder Stein passt auf den anderen. Zu ihrer Blütezeit sollen 1000 Menschen in der Stadt gelebt haben. Über die Bedeutung von Machu Picchu gibt es zahlreiche Theorien. Am verbreitetsten ist die Annahme einer religiösen Zufluchtsstätte der Inkas. Nach einem Rundgang durch die Anlage ist unser Machu Picchu Erlebnis vorbei.

Einen Weg zurück gibt es nicht. Zwar kann man mit seinem Ticket über den offiziellen Eingang wieder zum Wächterturm zurück, muss aber dann erneut den Weg durch die Anlage und die Touristenschlangen gehen. So machen wir uns schon um 9 Uhr auf den Rückweg zum Fuß des Berges, den schon die Inkas gegangen sind. Selten habe ich am frühen morgen schon so viel gesehen. Auch wenn die Anreise beschwerlich ist und ein Besuch das Reisebudget stark schrumpfen lässt, lohnt sich Machu Picchu mehr als aus dem Grund ein schönes Foto zu haben.

Für uns geht zurück nach Cusco. Nach langem Überlegen haben wir uns entschieden die 70 Euro pro Person zu investieren und mit dem Zug von Aguas Caliente nach Ollantaytambo zu fahren. Es ist die nahezu preisgünstigste Option. Die Züge von und nach Aguas Caliente sind überteuert, aber die einzige Möglichkeit diesen Ort zu erreichen. Dafür fühlt man sich wie 1. Klasse im Orient Express. Alter Charme in modernem Gewand. Am Bahnhof treffen wir zwei alte Bekannte unserer Reisegruppe wieder. Eine Frau hatte sich das Knie während der Wanderung verletzt und musste sogar noch mit dem Polizeiauto nach Aguas Caliente gebracht werden. Deswegen hatten sie uns auf der Gleiswanderung nicht eingeholt. Die wacklige Zugstrecke führt uns zwischen Bergen entlang. Aber selbst dieser Ausblick hält unsere Augen nicht mehr offen. Die Hälfte des Zuges verschläft das Andenpanorama. Ein teurer Mittagsschlaf. Nach 90 Minuten ist die Fahrt vorbei. Von Ollantaytambo geht es mit einem Kleinbus zurück nach Cusco. Wir machen uns gleich auf den Weg zum Busbahnhof und haben Glück. Nach langem Suchen finden wir einen Nachtbus der nach Ayacucho fährt und noch zwei Plätze frei hat. Im Bus sitzen nur Einheimische, kein Englisch mehr, keine Selfies mehr. Spätestens jetzt befinden wir uns wieder abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Nur mein Magen fühlt sich noch nicht ganz wohl in den hohen Bergen und so gibt es zum Abendbrot wieder Reisetabletten und Kamillentee, bevor uns unser Reise erneut die Anden hoch und runter führt.