Jul 28 2018

Vivir mi Vida – Lebe mein Leben

von Karl, Medellín, 22. Juli 2018

 

 

Liebe Leser*innen. Bitte, bitte dreht die Musik laut auf, öffnet den Link in einen neuen Fenster und versucht mitzusingen. Vivir mi Vida, d.h. Lebe mein Leben. Bevor ich mehr von der Hauptstadt des Salsas erzähle, braucht ihr das Gefühl und Leben von Salsa. Also jetzt hier klicken, dann nach dem Lied etwas leiser drehen und zurück auf diese Seite kehren!

Vivir mi Vida – Marc Anthony

Willkommen in Cali, der Hauptstadt des Salsas. Natürlich waren wir weg. Ein riesiger Schuppen am Rande der Stadt. Luftig aufgebaut mit tausenden Tischen und kleinen Tanzflächen. Verteilt in den verschiedenen Bereichen. Wieder wird ein Salsa-Klassiker aufgelegt und gemächlich erheben sich die Menschen von den bunten Plastiktischen und beginnen Salsa zu tanzen, als wenn es das normalste auf der Welt ist. Für mich allerdings eine Herausforderung, nicht so auszusehen, wie all die anderen Backpacker. Die sich nicht darum scheren wie viel Platz sie nehmen und wie weit weg es vom eigentlichen Salsa ist. Rosa dagegen zeigt sich professionell. Getanzt wird nur paarweise.

Kurz möchte ich also etwas Tanzmusik erklären:

Salsa

Salsa heißt als spanisches Wort „Soße“. Entstanden ist es unter den lateinamerikanischen Immigrant*innen in den USA und ist heute sehr verbreitet im spanischsprachigen Lateinamerika. In verschiedenen Salsa-Hochburgen haben sich über die Jahrzehnte verschiedene Spielarten ausgebildet. Z.B. in Kuba oder Puerto Rico. In Cali wird traditionell sehr schnell getanzt. So schnell, dass es schwer ist den Füßen der Könnenden zu folgen.

Bachata

Bachata begann seinen Siegeszug erst in den 60er Jahren in der Dominikanischen Republik. Es ist meist langsamer als Salsa, etwas romantischer. Die Schrittfolge ist sehr leicht und besteht vor allem darin zwei Schritte nach rechts und wieder zwei Schritte nach links zu machen. und so klingt’s (einfach drauf klicken)

Merengue

Merengue stammt von der Landbevölkerung der Dominikanischen Republik und hat auch einen einfachen Tanzstil. Bei jedem Takt wird einfach ein Schritt nach vorn, zur Seite oder nach hinten gemacht. Alle drei Tänze haben gemein, dass der Hüftschwung sehr ausgeprägt ist, und dadurch die Schultern eigentlich gar nicht bewegt werden. und so klingt’s

SalsaChoke

SalsaChoke ist eine neue Mischung aus Salsa und Reggaeton, die gerade die Tanzflächen erobert hat. Reggaeton ist vor allem in der Karibik und damit auch in Kolumbien beliebte Musikrichtung, die sich aus Reggae, R&B, Hip-Hop, Rap und auch europäischer Disko-Musik entwickelt hat. und so klingt SalsaChoke und so Reggaeton

Thematisch geht es in vielen Liedern um die verlorene Liebe. Die oder der Angebete möchte meist nicht, wie der oder die Sänger*in. Auch etwas europäischer Elektro wurde an dem Abend gespielt. Letzteres wird natürlich nicht mehr paarweise getanzt. Sondern im klassischen Disco-Kreis. Wichtig ist vermutlich, einfach keine Angst zu haben. Wie hat schon Marc Anthony in Vivir mi Vida gesungen:

Manchmal kommt der Regen
Um die Wunden zu reinigen
Manchmal nur ein Tropfen
Kann die Dürre überwinden
Und warum weinen?
Wenn ein Schmerz schmerzt, vergiss es
Und warum leiden?
Wenn das die Lebensweise ist, musst du es leben

Da unserer Mutti immer wieder die Augen zufallen, entscheiden wir uns, den Heimweg anzutreten. Ja, ihr lest richtig, wir waren nicht mit der Couchsurferin unterwegs, sondern mit ihrer Mutti. Sie hat sich extra etwas schick gemacht und wir sind zu dritt losgezogen. Die Mutti hat uns auch so behandelt, als wenn wir ihre Kinder wären. Bis dahin, dass sie einmal Rosas Shirt gerade gezupft hat. Begonnen hat sie damit, dass sie uns bis zur Bushaltestelle gebracht hat, um dann zu schauen, dass wir auch wirklich in den richtigen Bus einsteigen. Ansonsten waren wir natürlich bestens umsorgt und sind dankbar, dass sie das Sofa in ihrer kleinen Wohnung mit uns geteilt haben.

Cali selbst liegt in einem Tal mit schicken Fluss. Durch die vergleichbar geringe Höhe (1000m über NullNull), ist es auch sehr warm. Busse verkehren auf eigenen Busspuren und bringen einen rasend schnell überall hin. Es gibt neuere große Fußgänger*innen-Zonen und viele Hochhäuser. Manche gleichen dem Baustil „sozialistischer Realismus“ und könnten so auch in Osteuropa oder Ostberlin stehen. An anderen Stellen finden sich sehr lebhafte und enge Straßen mit Verkaufsständen aller Art.

Cali ist berühmt geworden mit einem von zwei Drogen-Kartellen, dem Cali-Kartell, welche den Großteil des weltweiten Kokain-Handels ausmachten. Das Gramm Kokain kann in Kolumbien schon für 3 Dollar produziert werden, während ist in den USA 3000 Dollar wert ist. und dann wird es in der Regel noch auf 30% gestreckt. Mittlerweile hat der Krieg gegen die Drogen seine Spuren hinterlassen und die aktuellen Händler*innen gelten als „invisibles“ (Unsichtbare). Kein Prunk, kein Palast, kein fettes Auto mehr. Das Geschäft aber geht weiter.

Direkt an Cali drann liegt ein Berg mit drei großen weißen Kreuzen, die auch nachts leuchten. Wir machen uns auf, diesen Berg zu beklimmen. Jedoch gleicht es streckenweise einer felsigen Kletterpartie, als dem gemütlichen Wandern. Nach mindestens einer Stunde starken Schwitzens lassen wir uns auf die Bank unter den Kreuzen fallen. Als wenn das kein Training genug ist, gibt es hier noch einige Trainingsgeräte im Freien. Zu unseren Erstaunen, sind auch einige sportlich dabei und nicht nur dass, einige joggen sogar auf den Berg. Verrückt!

Was soll ich noch dazu sagen? oder um es nochmal mit Marc Anthony zu sagen:

Ich werde lachen, ich werde tanzen
Was soll ich weinen? Warum leiden?
Fang an zu träumen, zu lachen
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Fühlen und tanzen und genießen
Dieses Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe, folge, immer weiter, schau nicht zurück
Das!
Meine Leute, das Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe mein Leben – Vivir mi Vida!

PS.: das sind unsere ersten Orte in Kolumbien:


Jul 27 2018

Verschlafen

von Rosa

Berge, blauer Himmel, mein Kopf nickt nach links und ich bin wieder weg. Wald, ein paar Wolken, mein Kopf nickt nach rechts und ich bin wieder weg. Von den ersten Stunden in Kolumbien bekomme ich nicht viel mit. Die Nachtfahrt zur Grenze, das Warten bei der Passkontrolle und die zwei Naux (Reisetabletten) lassen mich die gesamte Strecke nach Popayán schlafen. Selbst im Busbahnhof fällt mein Kopf auf den Rucksack und so bekomme ich nicht mit, dass Karl in der Zwischenzeit schon kolumbianische Pesos besorgt, unsere Couchsurferin kontaktiert und Mittagessen gefunden hat. Für 1 Euro erhalten wir 3.300 kolumbianische Pesos und so haben wir kurzerhand ziemlich viel Geld in der Hand. Neben meinem improvisierten Schlafplatz rutschen zwei Mädchen in auffälligen Kleidern und kunstvoll frisierten Haaren über den Boden. Viele Mädchen werden hier sehr heraus geputzt, sodass sie wie kleine Disneyprinzessinnen aussehen. Die Nägel der Kleinen knallbunt, Ohrringe und Lackschuhe. Bei dem Spielverhalten der beiden wären allerdings eher Jogginghose und Turnschuhe angebracht.

Kurz bevor ich wieder einschlafe, kommt Annie unsere Couchsurferin um die Ecke. Annie ist klein, hat braune Augen, dunkle Haare und ein ansteckendes Lächeln. Wir sind ihre ersten Couchsurfer. Sie ist etwas aufgeregt. Wir fahren eine lange Straße hinunter in den Stadtteil El Bosque. In einer Seitenstraße steht ein unfertiges Haus auf einer Wiese. Annie wohnt hier mit ihrem Vater. Popayán wurde schon 1537 gegründet und viele bedeutende Politiker Kolumbiens kamen aus der Stadt. Heute ist Popayán eine Studentenstadt und auch Annie ist hier um Chemie an der Universität von Cauca (eine Provinz) zu studieren. Das Studieren an staatlichen Universitäten ist in Kolumbien kostenfrei bis zum Master. Deswegen will Annie ihren Master in Spanien oder Argentinien machen, um ein bisschen Geld zu sparen. Politischer Protest gehört an staatlichen Universitäten zur Kultur erzählt uns Annie. So fiel im letzten Semester für drei Monate die Uni aus, weil die Studierenden streikten. Mein Körper scheint sich auch im Streik zu befinden und schnell schlafe ich nach dem Abendbrot ein.

Am nächsten Morgen bin ich dann mehr oder weniger wach. Wir fahren in die Innenstadt um an einer Free Walking Tour (Stadtführung auf Spendenbasis) teilzunehmen. Was uns als erstes auffällt, sind die weißen Kolonialhäuser, weswegen Popayán auch weiße Stadt genannt wird. Die Menschen bestrichen ihre Häuser mit Kalk, um sich vor einem Schädling zu schützen, der sich in die Haut bohrt. Unsere drei Tourguides zeigen uns Bilder von dicken, aufgeblähten schwarzen Füßen. Es sieht schmerzvoll aus. Aber man sagte den Menschen, die mit diesen Schädlingen lebten, besondere Weisheit nach. Einige Häuserecken wurden vom weiß ausgespart, damit sich die Menschen dort die Füße kratzen konnten, ohne das weiß zu beschmutzen. Einmal im Jahr werden heute noch alle Wände der Innenstadt neu geweißt, um die Stadt im besten Glanz zur berühmten Semana Santa (Osterwoche) zu präsentieren.

Popayán wurde von vielen Erdbeben heimgesucht. 1983 starben über 50 Menschen, weil sie in einer Kirche Schutz suchten und das Kuppeldach einfiel. Allen Erdbeben standgehalten hat eine Brücke, die von einem italienischen und deutschen Mönch konstruiert wurde. Beide Architekten mussten ein Mittagessen unter der Brücke einnehmen, um der Bevölkerung zu beweisen, dass die Brücke stabil ist. Wie würden die Mathematiker sagen: Was zu beweisen war. Auf dem Berg „Tres Cruzes“ (Drei Kreuze) gibt es eine Erfrischung bestehend aus gepresstem Zuckerrohr und ein bisschen Orange. Es ist sehr sehr süß. Generell ist vieles sehr süß in Kolumbien. Sogar das Brot ist in den meisten Fällen mit Zucker versetzt. Wir müssen uns erst noch daran gewöhnen. Als uns dann noch caña de azúcar (Zuckerrohr) angeboten wird, lehnen wir freundlich ab, währenddessen alle anderen fröhlich darauf rumknabbern.

Nach der Stadttour erkunden wir auf eigene Faust die Innenstadt von Popayán. An diesem Sonntag scheint auch die Stadt verschlafen. Die Geschäfte sind geschlossen, die Fensterläden zugeklappt und ein Haus gleicht dem anderen. Alles wirkt sehr gemütlich und gemächlich, was uns bei der Hitze auch sehr entgegenkommt. Wir besuchen das Museum des ehemaligen Präsidenten Guillermo Leon Valencia. Doch außer vielen Porträts von ihm und denen seiner Eltern, Tanten, Großtanten und weiteren wichtigen Familienmitgliedern gibt es nicht viel zu sehen. Dann machen wir uns lieber auf den Weg zum Morro de Tulcán. Einem Hügel von dem aus sich uns ein Rundblick über die Stadt bietet. Dieser Hügel wurde von einem Volk der prekolonialen Zeit als Erdpyramide errichtet. Die Bestimmung ist unklar. Heute ist sie Ausflugsziel für Familien. Rechts neben mir spielt ein Junge mit einem bunten Windrädchen. Bei der Familie vor uns hat jeder seine eigene Chipstüte, die gemütlich aufgegessen wird. Schaue ich nach links kommt ein Lama und ein Junge auf mich zu. Der Junge versucht vergeblich uns und die anderen zu einem Foto mit dem flauschigen Tier zu begeistern.

Auf dem Weg zurück in die Stadt kommen wir am Mora Castilla vorbei. In diesem Restaurant werden kolumbianische Spezialitäten serviert. Wir probieren Salpichón. Ein Getränk aus gestoßenem Eis und Früchten. Wie eine Eisbowle nur ohne Alkohol. Das rote Getränk ist sehr lecker und erfrischend. Dazu gibt es Empanadas (Teigtaschen) gefüllt mit Kartoffeln und Erdnusscreme. Annie bringen wir noch Kekse als Gastgeschenk mit, die uns an Weihnachtsplätzchen erinnern. Zum Abendbrot kochen wir Pasta und Annie Arepas. Das sind kleine runde Fladen, die aus Maisteig gebacken werden und je nach Belieben mit Käse oder Hühnchen belegt werden. Ich belasse es bei einem Probierstück. Annie zeigt uns auf Youtube typisch kolumbianische Musik und Orte, die wir unbedingt besuchen sollen. Als wir am Ende auf unsere Liste schauen, stehen dort so viele Orte, dass wir die nächsten 6 Monate auch ohne Probleme nur in Kolumbien verbringen könnten. Annie reist am nächsten Tag zu ihrer Familie und wir fangen mit unserer Liste in Cali an. Auf der Fahrt dorthin bekomme ich kein Auge zu – Ausgeschlafen.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.


Jul 19 2018

Peace, Love and Rock’n’Roll

von Rosa

Und am Ende der Straße steht ein Haus am See,
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg,..,
alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehen

-Peter Fox-

Marcello, unser Host, schiebt das Tor zu seinem Garten auf. Doch stellt euch diesen Garten nicht wie einen ordentlichen Vorgarten mit gemähtem Rasen und womöglich noch zwei grinsenden Gartenzwergen vor. Stellt euch das Gegenteil vor. Alles wächst wo es will, bunt, kreuz und quer. Es wuchert hoch hinaus, Blumen zwischen Bäumen. Keine Beete,keine Begrenzung, keine Ordnung. Frei und chaotisch so ist auch Marcello. Ein dünner kleiner Mann Mitte 40. Aus seiner dunkelgrünen Wollmütze schaut langes graues Haar hervor. Einen drei oder sagen wir eher zehn Tagesbart umrandet sein freundliches Lächeln. Er bittet uns in sein großes Holzhaus, das wie ein altes Kolonialhaus in den Tropen aussieht. Die Dielen knarren, im Wohnzimmer hängt ein kaputter Kronleuchter. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes steht ein großes Schachbrett. Die Partie wurde scheinbar nicht zu Ende gespielt. Stühle darum wahllos verteilt. Marcello entschuldigt sich für das Chaos. Gestern wäre eine Fiesta in seinem Haus gewesen mit Menschen aus Argentinien, Frankreich, USA, Venezuela und Jena. Jena? Scheinbar habe ich richtig gehört und in dem kleinen verschlafenen Dorf namens Mindo gibt es noch jemanden aus Jena. Sarah, so heißt die Jenaerin, will später noch vorbei kommen. Im zweiten Stock können wir unser Nachtlager aufschlagen, zwischen einem Schreibtisch mit alter Schreibmaschine und Balkon spannt Karl seine Hängematte. Dort wo ein Fenster sein sollte, wurde kein Glas eingebaut und so wohnt auch einiges Krabbeltier in diesem Haus. Internet Fehlanzeige.

Im Garten wachsen Orangenbäume, deren Früchte wir mit ein paar langen Holzstäben ernten können. Doch das ist gar nicht so einfach. Marcello sticht ein paar mal in die Baumkrone. Mehr als Blätter fallen allerdings nicht herunter. Nach ein paar weiteren Versuchen kullern die Orangen über den Boden und ich habe Mühe sie im Gestrüpp wiederzufinden. Bei Kaffee und Orangen unterhalten wir uns über Gott und die Welt, Frauenbewegungen in Ecuador, Korruption und Schwarzbrot. Unser Gastgeber hat mehrere Jahre in Leipzig gewohnt und schwärmt noch immer vom dunklen Körnerbrot und den feministischen Bewegungen in Deutschland.

Wir verabreden uns für den Abend zum Pizzabacken und erkunden in der Zwischenzeit den Ort. Mindo ist von hohen grünen Bergen umgeben, deren Spitze meist im Nebel hängt. Bis ins Dorf laufen wir einen kleinen Hügel hinunter.Vorbei an mehren Hostels, Restaurants und Tourenanbietern erreichen wir das Ende des Dorfes innerhalb von zehn Minuten. Wir schauen uns um, Essen hier eine Empanada (Teigtasche mit Käse), trinken da einen Kaffee und besorgen Käse und Basilikum für die Pizza. Ab und zu begegnen uns Touristen in Wanderschuhen. Die wollen wir aber erst morgen anziehen.

In der Küche knetet Marcello gerade Teig, als wir nach Hause kommen. Er trägt jetzt seine Haare zu einem Kneul auf dem Kopf gebunden und einen hängenden Ohrring im rechten Ohr. Die Frau am Küchentisch dreht sich ein Zigarette und kommt tatsächlich aus Jena. Im November hat Sarah ihr Studium beendet und dann in Kolumbien Deutschunterricht gegeben. Wir sich später herausstellt, haben wir vor zwei Jahren an Silvester auf der gleichen Party getanzt. Das Backen der Pizza dauert. Es wird improvisiert mit den wenigen Küchenutensilien, die vorhanden sind. Doch das Warten lohnt sich. Die Pizza schmeckt sehr lecker. Die Küchenabfälle soll ich aus dem Fenster schmeißen. Einfach die Schalen soweit wie möglich werfen. Den Rest macht die Natur, meint Marcello. Bei dem feuchten Klima würde alles schnell verrotten. Das habe ich auch schon von den Kaffeebauern in Peru gehört. Pünktlich zum zweiten Pizzablech kommen fünf weitere Gäste aus Frankreich in das Haus im Wald. Unter anderem Lucas. Er ist mit dem Segelschiff nach Südamerikas gekommen, trägt weite Kleidung und ebenfalls einen großen Ohrring und zwei Rastazöpfe. Später kommen dann noch Alex aus Argentinien und Marco aus Venezuela dazu. Der Abend vergeht mit einigen Partien Schach, Salsa und selbstgebrauten alkoholischen Getränken, deren Geruch mich hätte abschrecken sollen. „Compartir“ heißt das Lebensmotto von Marcello. Teilen. Er teilt sein Haus, sein Essen und seinen Tabak. Als die letzten Gäste verschwunden sind, ist der Nachtisch endlich fertig. Chicha – frittierte Maiskörner. Aus den Lautsprechern klingt die Stimme von Elivis und animiert uns zum Tanzen. Rock‘n‘Roll bis der Kronleuchter wackelt und das Parkett nachgibt.

Ich renn bergauf, rolle bergab
durch die Pampa und durch die Stadt
gradeaus, zerkratz mein Lack
zack, mit’m Kopf durch die Wand, bis es knackt

Ich renn durch mein Leben wie ’ne Lok auf zwei Beinen
Ein Hund kann nicht krähn, ein Fisch kann nicht schrein
und ich kann nicht stehn bleibn, ich bin ’n rollender Stein.

-Peter Fox-

Die Nacht war kurz. Eigentlich wollten wir mit dem Taxi zum Eingang des Nationalparks fahren. Doch dieses eigentlich bedeutet, dass wir gelaufen sind. Wie fast immer. Wenn etwas zu Fuß zu erreichen ist, dann gehen wir. Vielleicht ist das unser Sportersatz in Südamerika. Fünf Kilometer bergauf bis zur Seilbahnstation. Dort können wir festgeschnallt an unserem Bauch und eingehakt in ein Drahtseil über den Regenwald rutschen. Nach einer kurzen Einweisung geht es endlich los. Das Ende der Seilstrecke ist von hier nicht zu erkennen. Ich bekomme einen Schubs und schon sause ich über das grüne Meer von Bäumen. Ein tolles Gefühl. Ich öffne die Arme und schreie ohne es zu wollen laut Wuhuu. Unter mir ist nur ein grünes Blätterdach zu sehen. Jeder einzelne Fahrt macht Spaß. Ich versuche es kopfüber mit den Beinen nach oben, schaukle hin und her oder wir werden von dem Tourguide so gedreht, dass wir am Seil hin und her hüpfen. In meinem Kopf verfestigt sich der Wunsch als Vogel über Mindo wiedergeboren zu werden. Mal sehen, ob es klappt.

Nach dem Adrenalinschub wandern wir weiter nach oben zur Tarabita. Diesmal hängen wir zwar auch an einem Seil, aber wir sitzen dabei in einer offenen Gondel. Schneller als gedacht, saust der gelbe Korb bis zum anderen Ende. Dort erwartet uns eine spektakuläre Naturwanderung. Der schmale Wanderweg führt uns zwischen hohen Bäumen entlang über große Wurzeln und Steine. Rauf und wieder runter. Links und rechts Riesenfarne und Agaven. Lianen schlängeln sich um die Bäume. Äste wachsen kunstvoll umeinander. Dazwischen rote, gelbe und pinke Blumen und immer wieder kreuzen Libellen und Schmetterlinge in den buntesten Farben unseren Weg. Das Highlight der Wanderung sind die Wasserfälle, die sich fünf bis zehn Meter in die tiefer stürzen. Man wartet jeden Moment darauf, dass Fabelwesen aus dem Wasser steigen, so magisch wirkt dieser Ort. Das Wasser ist klar und die perfekte Abkühlung in der tropischen Hitze. Also werde ich selbst zur Nixe und tauche unter den Wasserfall. Als ich auftauche sitzt ein große Vogel neben mir auf einem Stein. Er schreckt auf und bahnt sich seinen langen weg durch die Baumkronen ins Licht. An diesem Ort zu sein, muss das Glück sein von dem so viele sprechen.

Wir sitzen beim Frühstück und Marcello macht für uns kleine gebratene Bananen. Kleines Gold heißen diese Bananen hier. Im Wohnzimmer meditiert Lucas mit seiner Klangschale. Als er fertig ist, verabschiedet er sich von uns mit den Worten: Wir sehen uns im nächsten Leben. Vielleicht als bunte Vögel in Mindo, scherze ich. Marcelllo klopft ihm auf die Schulter und wirkt in diesem Moment wie sein Vater. Er wünscht ihm viel Glück mit Sarah. Darauf entgegnet Lucas, dass sie nur eine gute Freundin ist. Marcello lächelt und meint zu ihm „Ihr Europäer, nie bereit für die Liebe“. Wir lachen.

Bevor es für uns weiter nach Quito geht, wollen wir noch Tubing ausprobieren. Dabei sind sieben Reifen mit Seilen aneinander gebunden. Auf dieser Konstruktion fährt man dann auf einem Fluss mit Stromschnellen und Steinen runter. Klingt gefährlicher als es ist, doch man bekommt schon ganz schön Tempo und wird ordentlich nass. Mit uns auf der Fahrt sind zwei Studentinnen aus Israel, die den ganzen Spaß mit ihrer Actionkamera filmen. Nach einer halben Stunde und ein paar blauen Flecken ist unser Wochenende in Mindo vorbei und unser Adrenalinpegel normalisiert sich wieder.

Als kleines Dankeschön pflanzen wir in Marcellos Garten noch Sonnenblumen. Marcello hat uns mit seiner Lebensweise beeindruckt. Für sein Haus im Glück zahlt er 170 Euro und für sein Leben nochmal 85 Euro. Er arbeitet als Psychologe und Therapeut immer dann, wenn er daran Freude hat. In der Küche sitzen schon wieder zwei neue Gäste, denen er gerne etwas von seinem Glück abgibt. Wovon Peter Fox noch träumt, hat Marcello schon längst erreicht. Nur das sein Haus im Wald und nicht am See steht. Aber wer braucht schon einen See, wenn man unter einem Wasserfall duschen kann.

 

 

Der Bus schiebt sich langsam den Berg hinauf und ich denke mal wieder „Que lindo es Mindo“ (Wie schön ist Mindo). Fast so schön wie Mindo ist auch die Fahrt nach Quito. Ich klebe an der Scheibe und staune. Das grüne Meer will nicht enden. Palmenbewachsene Berghänge, Schluchten und der Nebel, der sich über das Tal legt. Meine Augen möchten zufallen, doch ich will den Moment konservieren. Als ich aufwache, ist das grün dem schwarz gewichen. Dazwischen tausend helle Lichtpunkt. Wir sind in Quito.


Jul 12 2018

Zwischen Ford, Dodge und Volkswagen

11. Juli 2018, Quito, von Karl

 

Tag 1 … der erste Eindruck von Quevedo

Ich mache meine Hängematte mit dem weißen Seil an dem rostigen Metallpfeiler fest. Für das andere Ende suche ich auch einen Pfeiler, muss aber erstmal das Regal mit verschiedenen Motorölen wegtragen. Ich bringe die Hängematte möglichst weit unten an, damit sie, sollten die Seile an den vertikalen Pfeilern rutschen, ich nicht so schmerzhaft falle. Ganz langsam setze ich mich in die Hängematte und nach einigen knacken, scheinen die Seile fest genug für die kommende Nacht.
Während des Probeliegens beobachte ich mein heutiges Schlafgemach erneut. Links stehen mehrere größere Autos, an denen das ein oder andere aus- oder abgebaut wurde. Wenn ich meinen Kopf überstrecke kann ich an Rosas Hängematte vorbei Cesar beim Arbeiten beobachten. Gerade baut er an dem hintersten Fahrzeug und hantiert mit einer Leuchte. Der schlanke 30jährige, der meines Erachtens nach viel jünger aussieht, bietet uns diese Nacht eine besondere Schlafgelegenheit. Seine Auto-Werkstatt. Sie hat ein sehr hohes Dach und eine große Toreinfahrt in den Hof.

unser Schlafplatz für zwei Nächte in Quevedo

Der Hof ist weitläufig und bietet noch anderen Kfz-Arbeitenden und Wohnenden Zugänge. Alle aber trennt ein großes Metalltor zur Straße. Auf dem Hof bellen oder schlafen vier Hunde. Auch erreichen wir so die Toilette in der hinteren Ecke des Hofes, wobei der Eimer mit dem Wasser nicht fehlen darf, der hier die Spülung ersetzt. Es gibt ein Wasserhahn beim Tor.
Cesar möchte noch bis 6 Uhr arbeiten. Er macht einen ernsten und beflissenen Eindruck. Er hat eine Mission und die ist sein Leben den Autos zu widmen. Sein Traum ist es, mit der Werkstatt und größer und erfolgreicher zu werden. und daran arbeitet er ununterbrochen. Stich um 8 Uhr frühs beginnt er und legt die Leuchte erst um 6 Uhr beiseite. Ungewöhnlich pünktlich.
Standesgemäß setzt er uns in ein Auto einer Kundin oder eines Kunden und wir düsen durch Quevedos frischer Nacht. Durch den Ort den uns kein Reiseführer je empfohlen hat. Auf dem Weg nach Mindo, bleiben wir dort hängen, weil wir abseits der empfohlenen Touri-Pfade Eindrücke sammeln möchten. Bevor wir allerdings losfahren, muss Cesar doch noch etwas an dem Fahrzeug prüfen.
Dann zeigt er uns Quevedo, in dem er aufgewachsen ist und in dem er zurückgekehrt ist und er bleiben möchte. Er hat zwar zeitweise z.B. in Argentinien gelebt, aber schlussendlich hat er seine Freundschaften und Leidenschaft in Quevedo. Die Stadt sei von den Arbeitenden in der Landwirtschaft geprägt und alles mögliche wird in der Umgebung angebaut. Bananen, Kakao, Avocado, und einiges mehr. Sie sei eine Arbeiter*innen-Stadt. Viele Geschäfte die Maschinen, wie z.B. Motorsensen verkaufen, belegen seine Aussage. Auf uns wirkt die Stadt auch nicht touristisch. Es gibt allerdings ein geschäftiges Zentrum, dass alles bietet was unser Herz begehrt. So landen wir in einem schicken Kuchen-Café. Dabei ist zu betonen, dass die Auslage eine riesige Anzahl an Torten und Kuchen bietet. Kuchen, besonders Rührkuchen, waren schon in Peru an vielen Ecken zu haben, aber hier gibt es sie nochmal schicker garniert.

Das gemeinsame Abendbrot wird durch Empanada und Morocho ergänzt. Ersteres sind frittierte Teigtaschen, die wir meist mit Käsefüllung essen. Morocho dagegen ist vergleichbar mit Milchreis, wird aber mit dem hiesigen Mais gemacht und meist in Tassen serviert. Zimt ist noch mit drinn. Der Mais hat größere Körner und ist weiß. Achja, Zucker fehlt natürlich nicht. Der Morocho hat unser Herz erobert.
Unser Heimweg wird durch einen DVD-Laden-Verkäufer noch vermiest. Wegen großen Hakenkreuzen an seinem Geschäft, sprechen wir ihn an, doch er lässt sich von unserem schlechten Spanisch kaum überzeugen, dass die alten Nazis nix tolles sind. Eher möchte er uns noch eine DVD andrehen mit den Dokus die auf History-Channel bzw. N24 laufen. Er ist großer Fan von den Nazis und zeigt uns stolz Photos von seinem Nazi-Opa, verschiedenen Hakenkreuzen die er gemalt hat, bis hin zu einem Hakenkreuz-Ehering. Frustriert lassen wir den alten Mann im Deutschland-Trikot stehen.

Tag 2 … Karaoke

Der eine ganze Tag, den wir in Quevedo verbringen können, wird von uns ganz entspannt gestaltet, zumal es keine Sehenswürdigkeiten gibt. Dann doch wieder Kuchen und Kaffee. Erst abends gehen wir mit Cesar aus und landen in einer der vielen Karaoke-Bars. Keine und Keiner scheint sich hier zu schämen und greift beherzt zum Hefter mit den Liedern und singt dann vom Platz aus sein oder ihr Lied. Cesar ist auch nicht der Fan davon, dafür wechseln wir aber die Bar und treffen Freunde von ihm. So vergeht der Abend mit Bier (das erste war mit gepressten Limetten und Eis) und etwas weniger Karaoke.
Es ist schon spät als wir wieder in der Werkstatt sind, aber Cesar baut trotzdem ganz beflissen sein Zelt auf. Ja, er baut jeden Abend ein Zelt, jedoch nur das Innen-Zelt, nicht das Äußere auf und schläft auf seiner Isomatte. In seiner Werkstatt zwischen den Autos.
Ob er immer hier schläft, frage ich ihn, wohl wissend, dass er ab und zu zu seinen Eltern fährt.
Nee, nicht immer, meint er, erst sein einem Jahr.
Cesar ist eine beeindruckende Person die zielstrebig durch das Leben geht. Wir fragen ihn was er denn mit 1000 Dollar machen würde, die er jeden Monat einfach zusätzlich bekommen würde. Auch da: Sparen, bis er ein besseres Grundstück für seine Werkstatt kaufen kann.

Ölpalmen-Plantage zur Palmöl-Gewinnung

Tag 3 … zwischen den Palmen

Die Nacht war nur sehr kurz und schon springen wir aus den Hängematten. Schon bevor Cesar aufsteht, haben wir alles zusammengepackt und warten am Tor. Dann macht er uns das Tor auf und vor uns steht eines dieser riesigen US-Geländewägen. Ein Kumpel von Cesar sitzt am Steuer. Wir springen auf, denn Cesars Kumpel nimmt uns mit auf seine Plantage. Erst dachten wir, wir sehen eine konventionelle Bananen-Plantage, aber dann stellt sich raus, dass er erst seit ein paar Monaten Ölpalmen anbaut, die er Afrikanische Palmen nennt. Nur etwa zehn Minuten außerhalb Quevedos biegen wir auch schon auf eine Schotterstraße und gelangen auf seine Finca. Er bezeichnet eine Plantage mit Häuschen als Finca. Die Ölpalmen sind dicke und eher kleinere Palmen mit großen ausladenden Blättern. Im Abstand von vielleicht zehn Metern stehen sie geordnet auf der aufgeräumten Wiese.
Auf der Strecke zur Finca haben wir drei Arbeiter mitgenommen und an seiner Finca wartet ein weiterer. Zwei von den Arbeitern könnten auch Jugendliche von nebenan sein. Sie machen die Motorsensen fertig, während Cesars Kumpel, der gleichzeitig auch Besitzer, Chef und Eigentümer ist, sich eine Tüte anzündet und in die Hängematte knallt. Er macht einen ganz Entspannten und lässt, immer wenn er eine durchzieht, auch mal seine Kollegen ziehen. Wir erfahren, dass er noch Hotels in Quevedo und an der Küste besitzt. Auf einer anderen Ölpalmen-Plantage angekommen, beginnen die Arbeiter dann sämtliches Bodenbegründung wegzutrimmen und entfernen Farne von den Ölpalmen.
An einer anderen Stelle zeigt er uns noch weitere Ölpalmen-Plantagen, aber auch welche mit Kakao oder Avocado. Zudem will er ein Hotel, Seilbahnen und eine Motocross-Strecke errichten. Träume kann mensch haben, aber solche … Ich glaube, er kommt aus gut betuchten Elternhaus.

Santo Domingo de los Colores

Tag 4 … Santo Domingo

Zurück bei Cesar nehmen wir unsere Sachen und verabschieden uns von ihm. Unser Weg sollte eigentlich bis nach Mindo gehen, doch wir übernachten in der Nähe des Busbahnhofes in Santo Domingo (de los Colores). Stanto Domingo ist eine größere Version von Quevedo: Viele Arbeiter*innen und viel Agrarindustrie. Ein kleiner Rundweg zeigt uns nochmal die touristisch ungeschminkte Seite einer Großstadt in Ecuador. In der Innenstadt gibt es eine zugestellte Fußgänger*innen-Zone in der alles mögliche verkauft wird. Wir gehen geschafft früh schlafen und nehmen schon frühs den Bus in Richtung Mindo …

PS.: Da wir Santo Domingo außerplanmäßig besucht haben, nun eine aktualisierte Karte mit unseren besuchten Orten in Ecuador:


Jul 7 2018

Vom Paradies gefangen

von Rosa

Eine lange Straße führt über Serpentinen bis zur Spitze der Steilküste. Der Reiseführer schreibt: es fällt schwer sich von diesem Ort wieder zu trennen. Nun steht so einiges Malerisches in Reiseliteratur, aber auch uns wird der Abschied nicht leicht fallen.

Doch noch liegt alles vor uns. Wir biegen um die letzte Kurve und ich schaue aus dem Fenster des alten Busses. Ich sehe eine breit gestreckte Bucht und eine kleine Häuseransammlung. Vor der Küste liegen zahlreiche Fischerboote, die sich mit den Wellen auf- und absenken als wären sie mit ihnen verwachsen. Vor den ersten Häusern steht ein Schild: Willkommen in Puerto López!

Wir brauchen nicht lange um unsere Unterkunft zu finden. Diesmal sind wir in einem richtigen Backpacker-Hostel gelandet. Doch es scheinen nicht viele von ihnen da zu sein. Unser Zimmer befindet sich auf dem Dach und wir können eine große Terrasse für uns nutzen Die erste Erkundungstour durch den Ort führt vorbei an Hostels und Geschäften. Als es nicht mehr weiter geht, biegen wir Richtung Strand ab. Immer deutlicher ist das Meer erkennbar. Bis wir vor Palmen, Sand, Strandhüten und dem Pazifik stehen und einen Moment innehalten.

So muss das Paradies aussehen. Schnell sind die Schuhe ausgezogen. Die Schritte werden immer schneller bis das Meer die Füße umspült. Seevögel fliegen tief über die Wellen und stürzen sich wie Pfeile in die Fluten um wenig später mit einem Fisch im Maul wieder aufzutauchen. Andere versuchen etwas aus den großen Körben der Fischer zu ergattern, die ihren Fang vom Boot zum Strand transportieren. Immer mehr Vögel werden es. Die Fischer haben Mühe die Angreifer mit Holzstöcken auf Distanz zu halten. Meine Augen versuchen alle Eindrücke auf einmal aufzunehmen. In mir steigt das Glücksgefühl hier zu sein.

In einem Café direkt am Strand haben wir den besten Blick aufs Meer umrahmt von Palmen. In der einen Hand den Kaffee, in der anderen Hand unser Smartphone um die ersten Eindrücke nach Europa zu senden. Jetzt fühlt es sich nach Urlaub an.

Am Abend sitzen wir mit einer Flasche Wein am Strand. Ins Dunkel blinken bunte Lichter der Strandbars. Eine nach der anderen reiht sich im Zentrum des Ortes aneinander. Es läuft Salsa, Raggaeton oder Elektro. Nur die Besucher fehlen und so blicken sich die Besitzer nach allen möglichen Gästen um. Man ist hier auf Touristen eingestellt. Nur ist der Ort schneller gewachsen, als sich der Geheimtipp bei den Touristen rumgesprochen hat. Unser Glück.

Da uns Puerto López so gut gefällt, wollen wir ein paar Tage bleiben. Nun suchen wir eine Unterkunft, die unser Budget weniger belastet. Etwas entfernter vom Strand auf einer Anhöhe werden wir fündig. Ich begrüße die Besitzerin des Hostels mit den Worten: „Wir suchen eine preisgünstige Unterkunft“. Sie lacht und fragt „Wie viel wir uns denn vorgestellt hätten“. „Zehn Dollar für beide“ sage ich. Nun lacht auch ihr Mann. Es geht eine Weile hin und her. Dann erklärt sie uns, dass das Zimmer normalerweise 35 Dollar kostet, sie aber gerne hilft. Wenn wir es nicht weitersagen das Zimmer ausnahmsweise für den vorgeschlagen Preis bekommen könnten. Jackpot. Wir können die Küche mitbenutzen und auf dem Dach befindet sich eine große Terrasse mit Hängematten und Blick aufs Meer. Bei den Händlern auf der Straße und im Supermarkt um die Ecke decken wir uns mit frischem Gemüse und Obst ein. So sitzen wir am Abend auf der Dachterrasse, verspeisen unsere Gemüsepfanne mit Kochbananen und lassen uns von einer Meeresbrise abkühlen.

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker zeitig. Wir wollen bei der Kulisse am Strand joggen. Mein Plan barfuß zu laufen, stellt sich allerdings als nicht so glücklich heraus. Nach einer Weile fühlt sich der Sand nicht mehr weich an, sondern eher wie Sandpapier. Am Ende der Tour habe ich zwei große Blasen an den Füßen. Nicht alles was in der Werbung gut aussieht, fühlt sich auch so an. Wer hätte das gedacht. Den Rest des Tages verbringe ich lieber liegend am Strand.

Natürlich zieht so eine Kulisse auch die Selbstdarsteller und Instagramfreunde an. Eine schwangere Frau präsentiert ihren Babybauch vor einer Palme. Daneben wackelt eine Teenagerin mit ihrem Hinterteil. Angefeuert von ihrer Freundin, die die kleine Showeinlage filmt. Ganz vorne am Meer ein verliebtes Pärchen auf der Picknickdecke, die Probleme haben sich, ihre Biergläser und das Fischerboot auf ein Bild zu bekommen. Alles für die Clicks, Likes und das Gefühl wirklich da gewesen zu sein. Kurz vor Sonnenuntergang zeigt sich die Sonne selbst nochmal. Der rote Feuerball verfärbt die Wolken rosa und taucht dann langsam in den tiefblauen Ozean ein. Die alten Fischerboote ruhen müde am Strand. Es ist schon fast zu perfekt, um es nicht für den Abspann aus eienem Rosamunde-Pilcher-Film zu halten. Ehe ich mich versehe, klickt der Auslöser meines Smartphones.

Die Tage am Strand kommen und gehen.

Meine Füße sind zwar noch im Streik, aber heute wird gewandert. Auch um den Nationalpark Machalilla zu besuchen, sind wir nach Puerto López gekommen. Es ist der einzige Nationalpark Ecuadors, der an der Küste liegt und soll einen der schönsten Strände des Landes beherbergen. Viele der Besucher nutzen das Auto um direkt zum Strand zu kommen. Wir entscheiden uns für den vier Kilometer langen Wanderweg. Entlang des schmalen Pfades wachsen Kakteen. Ansonsten Bäume und dichte Sträucher, die aber eher vertrocknet als lebendig sind. Der Weg ist gut ausgeschildert und wir gelangen zu einem Aussichtspunkt. Von dort haben wir einen spektakulären Ausblick auf die Steilküste, eine einsame Insel, die wie ein kleiner Berg aus Wasser ragt und die Stadt Machalilla. Ein paar hundert Meter bergab steht ein weiteres Hinweisschild zum Strand der Krabben. Wir werden nicht enttäuscht. Am menschenleeren Strand tanzen die Krabben über den Sand. Wenn wir uns ihnen nähern wollen, flitzen sie blitzschnell über den Sand in ihre kleinen Höhlen. Eine Weile genießen wir die Wellen und das Krabbenballet. Das Wetter ist trüb, die Sonne brennt nicht auf der Haut und die Lichtstimmung passt wunderbar zu den wild brandenden Wellen. Am Ende des Pfades blicken wir auf den Strand Los Frailes. Die Bucht, wie ein Halbmond geformt, mit hellem fast weißem Sand nutzen vor allem die Einheimischen um hier zu baden. Wir entscheiden unser heimischer Strand reicht uns auch vollkommen aus und wandern weiter zu einem anderen Eingang des Nationalparks.

In Agua Blanca können wir unsere zweite Wanderung starten. Im kleinen Museum erfahren wir mehr über antike Funde im Dorf. Im Nationalpark sollen Brüllaffen und Ameisenbären wohnen. Wir begegnen ihnen heute nicht. Dafür ein paar Hängebauchschweinen. Die Wanderung führt durch ein fast ausgetrocknetes Flussbett, vorbei an einem über 100-Jährigen Kaktusbaum und zahlreichen Termitennestern, die in den Bäumen hängen, bis zur Hauptattraktion: einer schwefelhaltigen Lagune. Das Baden soll angeblich gesund machen und der Schlamm heilende Kräfte haben. Als wir an dem natürlichen Swimmingpool ankommen, hocken am Rand menschliche Moormonster. Auch wir machen den Spaß mit und schmieren uns die Paste auf Gesicht und Körper. Das grüne Wasser riecht nach faulen Eiern. Ganz nach dem Motto wer schön sein will muss leiden, springen wir ins Wasser. Eine Veränderung nach der Gesundheitskur konnten wir übrigens nicht bemerken.

Von einem Aussichtspunkt eröffnet sich uns ein beeindruckender Blick über das grüne Meer des Machalilla Nachtionalparks. Wir können eine deutliche Grenze zwischen den tiefgrünen Bäumen rund um den Fluss und den hellgrünen höhergelegenen trockenen Sträuchern erkennen. Nach fünf Kilometern erreichen wir wieder den Eingang des Nationalparks. Nicht einmal eine Minute sitze ich auf einem Baumstamm am Straßenrand, um meine Füße auszuruhen, da sehen wir auch schon einen Bus in der Ferne. Wie wir es oft beobachtet haben, halten wir unseren Arm Richtung Straße. Mit einer Staubwolke kommt der Bus zum Stehen und bringt uns für 50 Cent wieder zurück nach Puerto López.

Die Wolken wollen nicht mehr so richtig verschwinden von unserem Paradiesstrand. Der Freude am Schwimmen im Pazifik tut das keinen Abbruch. Einige Meter von mir entfernt springt ein Fisch kerzengerade aus dem Wasser, ein zweites und drittes Mal hüpft er nach oben. Dann verschwindet er vor den hungrigen Vögeln. So wie wir von diesem Ort, bevor er uns gefangen nimmt. Noch einmal lasse ich mich von den Wellen umwerfen und tauche wieder auf. Das Salz brennt auf der Haut. Die Fischer ziehen ihre Boote zum Strand. Der letzte Schluck Kaffee vor meinem Fenster ins Paradies. Nelly Furtado singt „Why does all good things come to an end“. Weil sie sonst nicht mehr so schön wären.


Jul 3 2018

Wo wir sind … in Ecuador

Zur Zeit sitzen oder liegen wir in Puerto López. Unsere Route verlief über Guayaquil und Playas hierher. Unsere nächsten Orte – so unser Plan – werden Quevedo, dann Mindo und schlussendlich Quito sein. Danach geht’s ab nach Kolumbien. Wir werden aber nochmal nach Ecuador zurückkehren …


Jul 3 2018

Zwischen Wellen und Babys

von Karl, Puerto Lopez, 30. Juni 2018

 

Wir stehen noch auf dem Fußweg, während schon die ersten Taxis neben uns halten oder „Taxi“ zurufen. Gerade hat uns der Reisebus hier rausgelassen und 50 Meter oberhalb ist der kleine Busbahnhof dieser Firma. Für 3,85 US-Dollar sind wir einmal durch die halbe Provinz Guaya von Guayaquil nach Playas gefahren. Gerade ist viel los auf den Straßen. Motos, das sind die überdachten Dreiradmotorräder, sägen die Straße hoch und runter. Dazwischen Taxen, Busse und manchmal sogar ein LKW. Aber eher ein sehr alter LKW. Die hochgestellten, die nur sehr langsam anfahren und immer eine Rußwolke produzieren, wenn sie losfahren. Meist noch Motorhaube vor dem Fahrstand und einem straßenbewährten Unterhemd-Träger mit Basecap hinterm Steuer. Alles eher alt, rustikal und repariert.

Wir gehen nur wenige Meter die Straße runter und treffen auf einen kleinen Platz mit den bunten „Playas“-Lettern. Dahinter senkt sich eine andere Straße gen Horizont ab und gibt zwischen den Häusern einen ersten Blick auf Sandstrand und Meer frei. Was wollen wir mehr?

Wir verhandeln mit einem Hostal am Platz, für eine Nacht, legen unsere Rucksäcke ab und ab geht‘s ans Meer. Tatsächlich Sandstrand und schöne große Pazifik-Wellen. Das Wasser ist sehr trüb, aber die Wellen haben es in sich. Fast schon mit kindlicher Freude springe ich zwischen die Wellen, tauche drunter durch oder lasse mich zum Strand spülen. Ein herrliches Gefühl. Als eine große Welle mich unsanft auf den flachen Sandboden wirft, verlasse ich das Meer und lege mich an den Strand.

Wir haben nun Kontakt zu Catalina bekommen. Sie hat wohl was verpeilt, aber nun sitzt sie vor mir und wir reden. Vor allem sie redet. Viel. Sie hat ihre Tochter Charlotte dabei, die aber erstmal alles auseinandernimmt, was sie greifen kann; oder heult. Über ihre Kinder und deren Väter und ihre Vorstellungen von Familie kann sie stundenlang reden. Am Ende können wir aber doch noch einen Treffpunkt ausmachen: morgen um eins vor der Kirche.

Was soll ich groß dazu sagen. Sie war nicht um eins da. Ich frag mich manchmal ob ich das blöd finden darf, oder ich das akzeptieren muss. Es kommt oft vor, dass ausgemachte Zeiten, nicht bedeuten, dass mensch sich zu dieser Zeit trifft, sondern auch erst eine halbe Stunde, oder gar zwei Stunden, später. So ist meine Erfahrung der letzten nun schon weit über zwei Monate. Manchmal wünsche ich mir, dass wir nicht die einzigen Pünktlichen sind.

Gegen halb Drei kam sie dann, nachdem ich ihr nochmal geschrieben habe. Wir folgen ihr 14 Blocks die Straße wieder hoch, bis der Asphalt aufhört. Ihr Haus ist groß und geräumig. Besteht aber nur aus dem Erdgeschoss und hat noch etwas Terrasse, die aber vollgestellt ist. Da zwei Kinder nicht reichen, zieht die Sängerin noch ein Katzenbaby auf (#Ironie). Ihren Unterhalt bestreitet sie wohl daraus, regelmäßig zu singen, z.B. in Restaurants oder auf Beerdigungen. Sie möchte auch uns sehr umsorgen und ich schaue ihr beim Käsesuppe-Kochen zu. Mit ihrer Instruktion hole ich noch Koriander aus einem Laden um zwei Ecken. Tatsächlich bezahle ich nur 5 Cent. Wenn ich den Preis nicht wüsste, hätte ich als Gringo (= weißer Ausländer) wohl deutlich mehr bezahlt. Die Käsesuppe schmeckt tatsächlich sehr lecker. Nudeln, Kartoffeln und Käsewürfel schwimmen unter den Fettaugen. Als wir schon lange den Boden unserer Schüsseln ausgeleckt haben, ist Catalinas Schüssel noch halb voll. Als ich noch höflich zuhöre, sucht Rosa schonmal das Weite, um den steten Erzählfluss zu entkommen.

Doch es ist auch spannendes dabei. So erfahren wir, dass Bildung und Gesundheit kostenlos sind in Ecuador. Der Ex-Präsident Rafael Correa hat in seinen drei Amtszeiten von 2007 bis 2017 sehr viele Veränderungen geschaffen, die die Armut stark reduziert haben. Catalina zeigt mir auch Milch und Müsli-Riegel, die zusätzlich zur kostenlosen Verpflegung in Schulen und Kindergärten, an die Familien dort ausgegeben werden. Sie meinte die Riegel wären sehr gesund. Correa hat Homo- und Heterosexualität gleichgestellt, Abtreibung legalisiert und den Einfluss der Kirche gemindert. Auch mit der Polizei und Militär legte er sich an. So kam es zu einem Streik der Polizist*innen, den Correa mittels persönlicher Gespräche besänftigen wollte, jedoch wurde er von den streikenden angegriffen und musste ins Krankenhaus. Die Bevölkerung lieferte sich daraufhin Auseinandersetzungen mit den Streikenden und schlussendlich wurde so der Aufstand beendet. Weil die Bevölkerung hinter Correa stand.

Catalina hat uns viel umsorgt und wir ihr beim Einkauf geholfen und lecker für alle gekocht, doch schlussendlich wollten wir weiter und schauten in ein trauriges Gesicht, als wir mit den großen Rucksäcken das Haus verließen.

Sie schickte uns an die Straße, statt zum Busbahnhof, weil dort eh der Bus vorbei kommt. Gesagt, getan: Der dritte Reisebus hielt tatsächlich, auch wenn es keine Haltestelle gab, aber das scheint keinen zu stören.


Jul 2 2018

Der Elfenbeinturm

von Rosa

Nächster Halt Ecuador! Zwei Backpacker, die wir in Piura getroffen hatten, kamen gerade aus dem Norden und erzählten uns von schönen Orten in Ecuador. Aber auch, dass sie dort fast einen Monat die Sonne nicht gesehen hatten und wir uns auf deutlich teurere Preise einstellen sollten. Mit dem Busunternehmen Civa, das als einziges direkt nach Ecuador fährt, traten wir am Abend trotzdem die 12 Stunden Fahrt an. Der Grenzübertritt in Aguas Verdes war einfach. Wir mussten uns nur zweimal anstellen. Jeweils einmal bei der peruanischen und ecuadorianischen Grenzbehörde. Schnell noch drei Fragen beantworten und schon konnten wir passieren. Zu einer ausführlicheren Auskunft wäre ich drei Uhr morgens auch nicht in der Lage gewesen. Weitere fünf Stunden später hielt der Bus am Terminal in der größten Stadt des Landes: Guayaquil.

Die Prophezeiung der beiden Packpacker sollte fürs Erste in Erfüllung gehen. Der Himmel über uns in dichte graue Wolken gehüllt. In der Eingangshalle des Busbahnhofes begrüßen uns McDonalds Filialen. Doch nicht nur der Shoppingmall ähnliche Busbahnhof auch die Scheine aus dem Geldautomaten erinnern an die USA. Seit dem Jahr 2000 wird in Ecuador mit dem US-Dollar bezahlt. Eine Maßnahme um die damalige Inflation zu stoppen. Mit der neuen Währung wurden auch die Preise erhöht. Einzig und allein der Nahverkehr liegt noch auf dem selben Niveau wie vor der Währungsumstellung. Wie teuer es werden kann, merken wir gleich beim Einsteigen ins Taxi. Fünf Dollar sollen wir für eine kurze Strecke zahlen. Auf unsere Verhandlungen gehen die Taxi Fahrer nicht ein. Zähne knirschend zahlen wir den vierfachen Preis gegenüber Peru.

Ganz sicher sind wir uns nicht, ob wir hier richtig sind. Wir stehen vor einem mehrgeschossigen Turm mit Glasfassade, großer Eingangstür und Portier. Der Name des Gebäudes Elite Building. Hier soll Katerina wohnen, unsere Gastgeberin für die nächsten Tage. Sie lebt tatsächlich hier erzählt uns der Mann am Empfang, ist aber momentan nicht Zuhause. Wir sitzen auf einer gepolsterten Bank vor einer großen goldenen Vase über uns ein Kronleuchter. Alles blitzt wie frisch poliert. Dann kommt die Nachricht, dass sie doch da ist. Der Portier begleitet uns zum Fahrstuhl und bedient die Tasten. Im Spiegel des Fahrstuhls sehe ich einen Mann in einem glatt gebügelten schwarzen Anzug mit zurück gekämmten Haaren und zwei müde Gestalten, bepackt wie Nomaden in staubigen Schuhen. Finde den Fehler.

Wir warten vor der Tür mit der Nummer 107 und klopfen zögerlich. Wer wird uns wohl aufmachen. Laut dem Couchsurfingprofil wohnt hier Katerina, die sieben Jahre in Indien gelebt hat und an neuen Kulturen und Menschen interessiert ist. Die Tür öffnet uns eine große Frau mit braunem Pferdeschwanz und einem konzentrierten Gesicht, dass wenig Mimik zeigt. Die Begrüßung ist etwas kühl. Sie erklärt uns die Wohnung mechanisch und antwortet nur knapp auf unsere Fragen. Ihr Zuhause ist sehr sauber und mit allem ausgestattet. Es gibt ein Wohnzimmer mit zwei weißen Sofas, eine Kochnische, ein geräumiges Bad und ein Schlafzimmer. Die Wohnung ist deutlich über dem Standard, den wir bisher kennengelernt haben, aber nicht so luxuriös wie die Eingangshalle erwarten lies. Es gibt eine Dusche mit konstant warmen Wasser. Das ist mein Luxus in Südamerika.

Unser Magen meldet sich zu Wort und will Frühstück. Katerina empfiehlt uns ein Shoppingcenter gleich um die Ecke. Mitkommen mag sie aber nicht. Im Supermarkt sehen wir zum ersten Mal dunkles Brot. Es ist natürlich immer noch weich, aber der Geschmack erinnert dennoch entfernt an Schwarzbrot. Dazu gibt es holländischen Käse aus Ecuador. Die Preise für Lebensmittel im Supermarkt sind teurer als in Deutschland. Dafür ist der Bus mit 30 Cent preiswert. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren bis ins Zentrum. An einer Haltestelle steigt ein Mann mit Mikrofon ein. Schnell hat er einen Hefter ausgepackt. Darin befinden sich Bilder von kranken Menschen und schlechten Nahrungsmitteln. Immer wieder erzählt er wie ungesund fettiges Essen und Alkohol sind. Dabei drückt er jedem Fahrgast eine Pillendose in die Hand. Nur zwei Dollar kosten die Wunderpillen, die uns wieder gesund machen sollen. Heute als Sonderangebot gibt es drei Dosen für fünf Dollar. Von einigen sammelt er das Wundermittel nach seiner Rede wieder ein, andere geben ihm zwei Dollar. Der Bus ein guter Ort um Geschäfte zu machen. Die Kunden können ja nicht weglaufen. Diese Gelegenheit nutzen auch ein Blockflötenspieler und ein Obstverkäufer aus. Es ist ein bisschen wie analoges Teleshopping, nur können wir nicht umschalten. Irgendwann geht der Busverkehr nicht mehr weiter und wir steigen aus. Unser Ziel ist der Malecón. So wird in Lateinamerika die Promenade am Meer genannt. Doch bis dahin ist es ein Slalomlauf zwischen fliegenden Händlern. Vielmehr als im Bus, wird auf der Straße verkauft. Ein Angebot jagt das nächste nach der Devise wer am lautesten schreit, verkauft auch am meisten. Immer wieder wird das Angebot und der Preis wie ein Gebet wiederholt. Es ist ein richtiger Singsang. Neben Kleidung und Lebensmitteln werden hier auch kleine Hunde verkauft. In jeder ihrer Hände halten die Männer einen dieser Miniaturhunde und laufen damit durch die Straßen. Man könnte sie fast mit Kuscheltieren verwechseln, wenn nicht ihre quälenden Rufe wären.

Der Malecón ist der Stolz von Guayaquil. Auf drei Kilometern kann man hier auf den asphaltierten Fußgängerwegen entlang spazieren. Es gibt Spielhallen, Shoppingcenter, Restaurants, Spielplätze, einen botanischen Garten, ein Rundkino und ein großes Riesenrad. Alles ganz modern und überall Wlan. Ein Amüsiermeile für Touristen und Stadtbewohner. Weitere Entertainmentangebote wie eine Achterbahn werden gerade gebaut. Auch Bildung und Kultur dürfen nicht fehlen. Doch als wir am Museum für Moderne Kunst ankommen, hat es geschlossen. Am nördlichen Ende des Malecons befinden sich die beiden historischen Stadtteile Las Penas und Santa Ana. Sie sind auf Hügeln gelegen und beeindrucken durch ihre verspielten Gassen und bunt gestrichenen Fassaden. Wir schlendern durch die Kopfsteinpflasterstraßen und genießen den Ausblick über die Stadt, die Meerzunge und die benachbarten Inseln. Als wir den Weg zurück in die Stadt nehmen, versperren uns auf den Treppen sitzende Menschen den Weg. Gut 30 Frauen hocken mit Stift und Zettel auf den Treppenstufen. Immer wieder wiederholt eine Stimme verschiedene Zahlen. In der Mitte der Treppe steht eine Frau und zieht kleine Zettel aus einer alten Milchkanne. Sie spielen Bingo. Wir beobachten das Spektakel eine Weile. Mit dem Sonnenuntergang über der Stadt verlassen wir das malerische Viertel.

Den Weg zurück in unsere Unterkunft nehmen wir mit der Metro. So werden hier Busse bezeichnet, die an festen Punkten halten und eine eigene Busspur haben. Dadurch sind sie viel schneller unterwegs als die gewöhnlichen Stadtbusse, in die man an beliebigen Stellen ein- und aussteigen kann. Normalerweise benötigten wir dafür eine aufladbare Karte, aber vor den Einlassschleusen finden sich immer hilfsbereite Menschen, die uns auf ihrer Karte mitnehmen. Als wir am Abend Katerina von unserer Bustour erzählen, schaut sie uns mit großen Augen an. Sie würde nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, viel zu gefährlich. Erst neulich wurde die Mutter ihres Fahrers ausgeraubt. Bei dem Wort Fahrer stocke ich etwas. Katerina kommt ursprünglich aus der Ukraine und ist hier in Guayaquil, weil sie Managerin bei einer großen Bananenfirma ist. Sie ist zuständig für den Export nach Osteuropa.

Auf ihrem Schlafzimmerboden liegen Puzzelteile aus denen eine Berglandschaft entstehen soll. Ich setze mich zu ihr und wir sprechen über Vegetarismus. Ob sie schon mal vegan gelebt hat, möchte ich wissen. Nein, das wäre quatsch. Sie liebt Kühe und diese würden ihre Milch mit Liebe geben. Wie viel Liebe eine Kuh wohl durch eine Melkmaschine verspürt, frage ich mich. Aber Katerina ist so eine Art Mensch, der nicht diskutiert. Erst recht nicht beim Puzzeln, denn das ist für sie wie meditieren. So ganz will das Profil und der Mensch Katerina nicht zusammenpassen. Als sie im Bett ist, lesen wir uns noch einmal die Bewertungen von anderen Couchsurfern durch. Sie sind allesamt positiv und schwärmen von der freundlichen und hilfsbereiten Katerina. Wir fragen uns, wo diese Katerina ist.

Am nächsten Morgen verabschiedet sie sich früh Richtung Fitnessstudio. Wann sie zurück ist, frage ich. In einer Stunde meint Katerina. Das Fitnessstudio befinde sich im Haus, genau wie ein Kino und ein Swimmingpool auf dem Dach. Sie klingt gelangweilt. Sie muss ihr Haus nicht verlassen, um irgendetwas zu bekommen und das tut sie auch das gesamte Wochenende nicht.

Unser Sonntagsspaziergang führt zum Parque Bolivar. Hier sollen Landleguane leben, die bis zu einem Meter lang werden. Und tatsächlich, mal langsam, mal flink bewegen sich die Drachentiere über die gepflasterten Wege oder faulenzen auf grünen Rasenflächen. Die Tiere zeigen fast keine Scheu und lassen sich mit Salatblättern füttern. Es gibt auch Tauben im Park, die sich gerne auf einem Leguanrücken niederlassen. Leguane können auf Bäume klettern. Besser geht es immer rauf. Runter rutschen sie eher an der Baumrinde entlang. Leider können sie sich nicht wehren, wenn die Kinder ihnen am Schwanz ziehen als wären sie Hunde und ihr Schwanz eine Leine. Ein kleines kräftiges Mädchen schleift einen Leguan ein paar Meter über die Steine. In der anderen Hand ihr Eis, dass auf ihr weißes Spitzenkleid tropft. Einen Moment später jagt sie die Tauben im Park von ihrem Futter weg. Viel zu spät schleift der Vater das Mädchen aus dem Park nach Hause. Wir sitzen eine Weile auf einer Bank und beobachten die sogenannten Tierfreunde und wie sie mit ihren Freunden umgehen. Vor uns steht ein Baum, der überlagert ist mit Tauben und Leguanen. Wahrscheinlich der einzige Platz wo sie ihre Ruhe haben. Ein Touri will gerade einen Leguan ins perfekte Licht rücken, da verrichtet eine Taube ihre Notdurft auf dem Baum und trifft ihn auf der Schulter. Vielleicht gibt es doch so etwas wie Karma.

Wir sitzen gerade beim Frühstück, als uns Katerina freundlich darauf hinweist, dass es schon zehn Uhr ist und wann wir denn aufbrechen wollen. Wir verstehen, was sie sagen will und packen schnell unsere Sachen. In der Zwischenzeit kommen noch zwei Arbeitskollegen von ihr vorbei und kurzerhand finden die Besprechungen auf ihrem Bett statt. Ihre Wohnung steht scheinbar jedem offen, ihr Leben nicht. In unserem Bild von Katerina passen die Puzzleteile immer noch nicht zusammen, aber das müssen sie auch nicht. Wir verlassen die Eiskönigin in ihrem Elfenbeinturm. Uns zieht es an einen wärmeren Platz an den Strand. Wir fahren natürlich Bus.