Aug 30 2018

Palmen und Berge?!

von Rosa

Wir liegen im grünen Gras. Es fällt uns schwer die Augen aufzuhalten. So blinzeln wir der Sonne entgegen und lassen einfach nur die Umgebung auf uns wirken. Hellgrüne Berghänge, dunkelgrüne Bergspitzen und blauer Himmel mit vorbeiziehenden Schäfchenwolken. Ich lege den Kopf ins Gras und muss mir immer noch die Augen reiben, um zu begreifen, dass zwischen den Bergen in diesem Tal Palmen stehen. Es gibt ganz unterschiedliche, kleinere, größere, manchmal ist nur noch der Stamm da. Wie Zahnstocher in Landschaft. Kein Meer weit und breit.

Fünf Uhr morgens bin ich in Armenia. Zwei Stunden eher als geplant. Im Busbahnhof stehen Backpacker in den Ecken und warten auf ihre Weiterfahrt. Ich warte auf einen ganz besonderen Backpacker: Daniel. Für mich ist er Schweizer, obwohl er erst seit vier Jahren dort lebt. Wir hatten uns in San Gil im Hostel kennengelernt und bis fünf Uhr morgens über Gott, die Welt und die Schweiz philosophiert. Zufällig haben wir uns in Bogotá wiedergetroffen. Er meinte, er buche immer das günstigste Hostel und so kreuzten sich unsere Wege weil das auch meiner Reisephilosophie entspricht. Nach einem Bier in Papiertüten (weil es in Bogotá verboten ist in der Öffentlichkeit zu trinken) beschlossen wir gemeinsam nach Salento zu fahren.

Zwischen den anderen Reisenden sehe ich einen Mann mit Basecap unter dem eine Justin Bieber Frisur zu erkennen ist. Das ist Daniel. Er ist genauso müde wie ich, aber wir schleppen uns zu einem kleinen Bus, der uns in 40 Minuten nach Salento bringt. Ein buntes Touristenstädtchen mit viel Handwerk, kleinen Restaurants und eben jeder Menge Touristen. Unser Hostel sieht aus wie die Villa Kunterbunt und so sind im Garten wahllos Gegenstände verteilt, u. a. auch ein Nussknacker und ein Weihnachtsmann. Frohe Weihnachten!

Auf dem Marktplatz stehen die Touristen in einer Schlange und warten bis sie ein Jeep ins Valle Cocora – Tal der Palmen mitnimmt. Daniel stellt sich mutig auf die kleine Ladefläche des Jeeps und genießt dafür einen tollen Ausblick. Die meisten Touristen setzten sich auf ein Pferd, um das Tal zu erkunden. Wir wählen unsere Füße und wandern die Hügel hinauf und wieder hinunter. Aller 200 Meter halte ich an, um wieder ein Foto aus einer anderen Perspektive aufzunehmen. Ich bin von der Schönheit dieses Ortes überwältigt und nur mein knurrender Magen kann mich zum gehen überreden.

Es gibt sie wirklich. Eine Bar, wo es erlaubt ist Sprengstoff zu zünden. Als mir ein paar andere Backpacker von der Bar erzählen, glaube ich eher an einen Werbetrick. Doch jetzt stehe ich in einer Halle, habe ein Bier in der Hand und es riecht nach Silvester. Das Ganze hat auch noch einen offiziellen Namen und heißt Tejo. Ein Volkssport in Kolumbien. Am Eingang der Halle durften wir uns einen zwei-bis drei Kilogramm schweren Stein aussuchen, der unser Wurfglück bestimmen soll. Jetzt stehen wir vier Meter von einem Lehmhügel entfernt. In der Mitte des Lehmhügels liegt ein tellergroßer Ring auf dem kleine Papierdreiecke liegen. So ganz habe ich das Spiel noch nicht verstanden, aber ich werfe einfach mal und erschrecke mich prompt, weil es tatsächlich knallt. In den Papierdreiecken ist Sprengstoff und es dampft. Für mein Anfängerglück wird mir auf die Schulter geklopft. Aber es geht hier nicht nur um den Spaß, sondern auch um Punkte. Die bekommt man entweder, wenn man direkt in den Ring trifft, es knallt oder wenn sein Stein von allen Werfern am nächsten am Ring landet. Es geht bis 21. So werfen wir, zählen Punkte und ab und zu erschrecken wir uns. Zwei andere und ich haben alle 20 Punkte. Es kommt zum Showdown. Am Ende gewinne ich unspektakulär mit Präzision. Liebe Leser, bitte nachmachen. Vielleicht auf der nächsten Gartenparty.

Salento liegt in der sogenannten Kaffeezone, einem Gebiet, wie es der Name schon verrät, in dem besonders viel Kaffee angebaut wird. Wir machen eine kleine Wanderung, vorbei an Kaffee- und Obstplantagen. Da ich schon in Peru einiges über den Kaffeeanbau gelernt habe, entscheiden wir uns für einen frisch gepressten Saft am Wegesrand. Die Wanderung wird nicht langweilig, da Daniel ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Südamerika ist für ihn nur ein Zwischenstopp auf seiner Weltreise, die ihn von Hongkong über Australien, Lateinamerika bis nach Indien führt. In den vier Jahren Schweiz hat er soviel gespart, dass er sich nun seinen Traum erfüllen kann. Als wir gerade auf dem Weg nach Hause sind, beißt mich ein Hund während des Laufens in meinen Knöchel. Nicht tief, aber es kommt ein bisschen Blut. Nachdem die Hunde in Südamerika meine Schuhe und Reiseführer angefressen habe, bin nun auch noch ich selbst dran. Ein Hoch auf die Tollwutimpfung.

Mit einem Zwischenstopp in Cali, reisen wir weiter nach Ipiales, einem Ort an der ecuadorianischen Grenze. Dort gibt es eigentlich nicht viel zu sehen, außer eine Kirche, die in eine Schlucht gebaut wurde. Santuario de las Lajas ist in 20 Minuten gut von Ipiales zu erreichen. Das neogotische Bauwerk wurde über einem Fluss errichtet und der Blick von einer nahegelegenen Erhöhung auf die Kirche ist mehr als beeindruckend.

An der Grenze nach Ecuador warten wir insgesamt drei Stunden. Es sind hier deutlich weniger Venezolaner als noch vor ein paar Wochen. Menschen ohne Reisepass dürfen nicht mehr einreisen. Leisten kann sich diesen Reisepass fast niemand mehr in Venezuela. Als wir nach sechs Stunden Fahrt endlich in Quito ankommen, stehen am Busbahnhof auf einer Verkehrsinsel viele Zelte aneinandergereiht. Hier leben Geflüchtete aus Venzuela. Auch ohne jemals in Venzuela gewesen zu sein, habe ich durch die Menschen viel über das Land und die politische Situation erfahren. Hoffnung, dass es in ihrem Land bald besser wird, haben die wenigsten. Das Privileg frei reisen zu können, wird mir in solchen Momenten immer besonders deutlich. Im Hostel in Cali habe ich einen jungen Mann aus Chemnitz getroffen. Er hat sich in Kolumbien, seine Arbeit im Hostel und eine Frau aus Cali verliebt. Bleiben will er auf jeden Fall. Er verstehe aber nicht, warum der deutsche Staat Ausländern so viel Geld gäbe, um in Deutschland auf die Beine zu kommen. Vielleicht, sage ich, damit sie sich ein bisschen von dem Glück aufbauen können, dass du auch fern von deiner Heimat gefunden hast. Er schweigt und geht. Es sind Momente wie diese in denen ich traurig werde. Traurig über die Unfähigkeit von Menschen zu teilen. Traurig über die Fähigkeit von Menschen zu Kategorisieren, zu Verallgemeinern und andere Menschen in Schubladen zu stecken. In Cali, Quito oder Chemnitz.

Ich finde die Palmen sind ein schönes Beispiel. Ich habe sie bisher immer mit Strand und Meer in Verbindung gebracht. Aber Palmen und Berge? Geht gut und sieht auch noch richtig geil aus!


Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …


Aug 26 2018

Adrenalin

von Rosa

Das Leben ist eine Achterbahn, sagen die Leute. Mal ist man unten, mal oben. Da macht auch Südamerika keine Ausnahme. Die letzten Tage, vielleicht Wochen waren anstrengend. Der Reisefaden wurde dünner wie die Nerven an manchen Tagen.

Resignation und Neustart. Manchmal, da muss man den Faden loslassen. Sich fallen lassen.

Die ersten Schritte sind unsicher. Das Gefühl es zu schaffen ist da, auch wenn man noch nicht ganz überzeugt ist. Ich laufe die Stufen der rostigen Treppe nach oben. Eigentlich will ich erst langsam anfangen, aber die kleinere Rutsche ist geschlossen. Also gehe ich gleich aufs Ganze. Das Wasser spritzt gegen meinen Körper. Ich fliege schnell. Ein Kribbeln im Bauch und schon knalle ich auf das Wasser. Tauche ein und wieder auf. Ich bin wieder da. Das geile Gefühl ist wieder da. Nochmal.

Zwischen Hochhäusern, ein Stückchen außerhalb von Bucaramanga, wurde ein Wasserpark gebaut. Mein 12-Jähriges-Ich bekommt immer noch leuchtende Augen und Hummeln im Arsch, wenn es nur das Wort Freizeitpark hört. Also gebe ich meinem Affen Zucker, renne die Treppen hoch und lass mich die Rutschen runterfallen. Eine ist wie ein Trichter, in den ich mit Tempo über eine steile Abfahrt gelange. Ich drehe ein paar Runden und dann spuckt mich der Trichter aus. Ich falle Kopfüber ins Wasser.

Doch erstmal zum Anfang. Von Maicao bin ich zurück nach Santa Marta gefahren und über Nacht nach Bucaramanga. In dieser Stadt halten die meisten Reisenden nur um die Fahrt nach Bogotá zu unterbrechen. Tatsächlich gibt es eher wenig Touristisches zu sehen. Als ich das Zimmer meines Hostels betrete, schallt mir ein „Hey, how are you?“ The beds are so amazing, you will feel so good! It´s amazing“ entgegen. Ich denke, jetzt bin ich endgültig in der Backpacker-Hostel-Hölle angekommen. Jessica spricht tatsächlich mit dieser hohen Stimme, die man sich bei Amerikanern vorstellt und in jedem zweiten Satz kommt mindestens einmal das Wort „amazing“ oder „crazy“ vor. Ansonsten ist sie aber sehr nett. Jessica erzählt mir von der Angst ihrer mexikanischen Eltern aus den USA ausgewiesen zu werden, aussichtsreichen Demokraten, die bei den Senatswahlen gewinnen können und wie wichtig sie es findet grün zu leben. Während ihres zwei Wochen Trips, steigt sie trotzdem fünfmal ins Flugzeug. Ein Punkt den ich an Hotels gut finde sind die Menschen, die man dort trifft. Es ist nicht nur möglich etwas über das Land, welches bereist wird zu erfahren, sondern auch über andere Länder und Menschen. Es ist spannend, wie sie Situationen in Südamerika vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt und Sozialisation reflektieren. So ist Jessica fast schon überrascht als sie beim Bäcker nicht mit ihrer Kreditkarte zahlen kann, weil es für sie ein Zeichen von wirtschaftlicher Unterentwicklung ist. Da sind Deutschland und Kolumbien doch mal gleichgestellt. Dem Geschmack meines Kuchens tut die Barzahlung keinen Abbruch. Wir schlendern durch die Straßen. Alles ist sehr modern, Shoppingcenter, unzählige Bars, Restaurants und Coffee-Shops. Keine Touristen. Bei einem Straßenhändler kaufen wir Guanabana. Die Frucht schmeckt so ein bisschen wie eine Mischung aus Banane und Ananas.

Im Hostel arbeitet Pedro aus Venezuela. Nachts kellnert er noch in einem Restaurant und schickt das Geld nach Hause. Einen Reisepass können sich nur die wenigsten Venezolaner leisten, der mittlerweile fast 1000 Dollar kosten soll, sagt Pedro. Vor einer Woche hat Ecuador die Einreise für Venozolaner ohne Reisepass verboten.

Ein zweiter schöner Punkt an Hostels ist, wenn sie leer sind. Nachdem Jessica ihre Sachen gepackt und ihr Huber-Taxi zum Flughafen zum Glück wieder mit Kreditkarte bestellt hat, bin ich allein im Zimmer. Zum ersten Mal nach vier Monaten habe ich ein Zimmer für mich. Luxus. Nachdem ich das Gefühl lange genug ausgekostet habe, will ich dann doch ins Rutschenparadies.

Weil mir das noch nicht genug war, fahre ich am nächsten Tag zwei Stunden südlich nach San Gil, der Abenteuer-Hauptstadt Kolumbiens. Hier soll alles möglich sein vom Rafting, Paragliding bis zum Bungeejumping. Ich muss dem Busfahrer sagen, dass er mich doch bitte am Busbahnhof rauslässt, sonst wäre er einfach weitergefahren. Der Weg nach San Gil war aufregend. Der Bus schob sich durch enge Kurven an Schluchten vorbei. San Gil selbst ist eher weniger spektakulär, eine große Kirche und ein grüner Marktplatz. Die erwartenden Touristenmengen verstecken sich in ihren Hostels und so ist San Gil trotz seines Rufes eine authentische Kleinstadt geblieben.

In meinem Zimmer im neuen Hostel schlafen Florence und Adrian aus Frankreich. Florence ist mit dem Segelschiff nach Südamerika gekommen. Während ihrer fünfmonatigen Bootstour machte sie Stopp auf den Karibikinseln, lernte Segeln und hat für 10-20 Euro pro Tag auf dem Boot gelebt. Wir freunden uns schnell an und fahren am nächsten Tag nach Curiti. Ein kleines Dorf von dem man einen Fluss entlangwandern und in den natürlichen Badebecken schwimmen kann. Meine Freunde, die Moskitos sind bei der Poolparty zwar nicht eingeladen, aber auch wieder zahlreich am Start. Am Abend trinken wir Bier und essen Burger, um unseren Energiehaushalt nach der Wanderung wieder aufzufüllen.

Wie gemalt scheint der kleine Ort Barichara. Ein Buseta (so werden hier kleine Busse genannt) bringt mich in das 45 Minuten entfernte Städtchen. Die Straßen sind fast leer. Die Sonne brennt auf den Ziegeln. Es fehlt nur der Grasbusch, der wie in Westernfilmen über den Sand weht. Mein Weg führt mich zu einer kleinen Kathedrale vorbei an weißen Häusern mit bunten Fenstern und Türen.

Vom Garten der Kathedrale eröffnet sich mir ein Blick über ein  grünes Tal. Wer Entschleunigung sucht ist hier genau richtig. Auf dem Rückweg fängt es an zu Regnen. Ich habe Glück und erwische gerade so einen Bus. Mir wird auch gleich ein Platz neben einem älteren Mann angeboten. Er erzählt mir von enormen Regenfällen in den letzten zwei Jahren auf die hier niemand vorbereitet war. Häuser lösten sich und sogar Menschen starben in den vergangen Monaten. Der Klimawandel zeigt immer schlimmere Folgen bemerkt er. Als ich aus dem Bus aussteige, sind alle Straßen in reißende Flüsse verwandelt, wie ich es auch schon aus Santa Marta kannte.

Der Suarez ist auch ein reißender Fluss, allerdings ist dieser gewollt und von Raftingfans weltweit geschätzt. Hier kann man das höchste Level ohne extra Ausbildung absolvieren. Die Guides fragen mich, ob ich denn schon mal Rafting gemacht habe. Als ich den Kopf schüttle, schauen sie mich mit großen Augen an. Noch denke ich, dass sie uns nur Angst machen wollen. Während der Trainingsstunde dämmert es mir, dass es wohl doch nicht nur die heitere Bootsfahrt werden wird. Es gibt ein extra Kajak, dass uns retten soll, wenn wir über Bord gehen und zu weit vom Boot wegtreiben. Wir lernen nicht nur richtig zu paddeln und auf Kommandos zu hören, sondern auch wie wir unsere Crewmitglieder wieder aus dem Wasser ziehen. Zu unserer Crew gehören vier Menschen und ein Steuermann, der uns lautstark anschreit, dass wir schneller paddeln sollen. Das ist auch nötig. Die Stromschnellen sind so stark, dass es jede Sekunde Konzentration und Einsatz erfordert. Das Boot läuft mit Wasser voll und die Wellen schlagen mir ins Gesicht. Doch die Devise ist immer weiterpaddeln. Nach einem kleinen Wasserfall schlage ich mit dem Kopf gegen den Helm meines Vordermanns. Ich bin kurz benommen, dann geht es wieder. Die Metapher wir sitzen alle im selben Boot habe ich noch nie stärker am eigenen Laib erlebt. Manchmal sind wir parallelisiert von der Kraft des Wassers, die uns entgegenkommt. Doch je stärker diese ist, desto wacher müssen wir sein. Zum Schluss der Strecke kommt der härteste Teil. Es gibt viele Felsen durch die wir uns mit Kraft navigieren müssen. Die Abfahrt ist so steil, dass wir ein Crewmitglied verlieren. Ich schaue zurück, doch sehe niemanden. Dann taucht ein roter Helm auf und wir paddeln zurück, um ihn wieder ins Boot zu holen. Am Ende haben wir den Fluss mit ein paar Schrammen und blauen Flecken bezwungen. Rafting ist fast so krass wie Leben, nur mit Sturzhelm.

Berauscht vom Adrenalin der letzten Tage setzte ich mich in den Bus nach Bogotá. Die Fahrt geht weiter auf der Achterbahn. Wieder im Fieber der Reise. Bewusst mal schneller und mal langsamer atmen, auch wenn mein Faden nicht den geraden Weg nimmt. Wie immer begleiten mich die Rechts- und Linkskurven, das Hoch und Runter. Doch ohne, fehlte das Kribbeln im Bauch.


Aug 20 2018

Schwarze Steine mit roten Flecken

Von Karl

 

Maicao

Von dem beschaulichen Santa Marta aus fährt der Bus über Riohacha nach Maicao. Immer gen Osten. Hinter der Fensterscheibe hat sich die Landschaft gewandelt. Soweit das Auge blicken kann, stehen gedrungene grüne bis braune Bäume. Trockene Bäume mit ein paar knorrigen Hecken unter sich. Die Landschaft ist sehr flach und es weht eine beständige warme Briese.

Augenfällig ist auch, dass der Plastikmüll stärker den Blick trübt. Nicht dass ich bislang ausschließlich saubere Straßen und Hecken gesehen hätte, doch hier hat das eine neue Qualität. Müll der die wenigen Grashalme bedeckt. Da es nicht immer eine funktionierende Müllabfuhr bis in die letzte Kleinstadt gibt, wird Müll gern auch einfach auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Zu dem vielen Müll paart sich ein Verhalten, bei dem Verpackungsmüll an Ort und Stelle fallen gelassen wird. Manche Orte werden allerdings sauber gehalten. Busbahnhöfe beispielsweise werden regelmäßig durchgewischt.

In Maicaos Busbahnhof tobt das Leben. Die Nähe der gut 10km entfernten Grenze macht sich bemerkbar. Krisenbedingt ist Maicao ein wichtiger erster Umstiegs- und Lebensort für die vielen Venezolaner*innen, die ihr Land verlassen. Auch auf der Hauptstraße, die hier die Nummer 16 trägt, ist sehr viel los. Wie so viele Orte die wir in letzter Zeit bereist haben, ist auch Maicao so aufgebaut, dass alle Straßen ein Schachbrett bilden und es Carreras und Calles gibt, die sich im rechten Winkel kreuzen. Diese werden dann einfach durchgezählt. Wenn ich also die Adresse „Calle 5 #6-12“ suche, dann ist das Haus in der Calle 5, ganz in der Nähe der Kreuzung mit der Carrera 6 und trägt die Hausnummer 12.

Später erzählt mir ein Venezolaner, der als Automechaniker in Maicao arbeitet, warum alle hundert Meter Benzin in ehemaligen großen Wasserflaschen verkauft werden. In Venezuela kostet das Benzin weniger als ein kolumbianischer Centavo. Der Umrechnungskurs ist ungefähr 3300 kolumbianische Pesos für ein Euro. Alle Tankstellen der Region haben zugemacht, weil jede*r für 2300 Pesos pro Gallone (ca. 4,5 Liter) Sprit kaufen kann. In den Seitenstraßen stehen Autos aus denen heraus die Flaschen abgefüllt werden.

Kohle

Uns hat es hierher verschlagen, weil ich Felipe treffen möchte. Felipe hat früher mal in der Gegend gewohnt, wo jetzt große Tagebaue klaffen. Anstatt auf meine Fragen zu warten, erzählt er einfach in einem schier nicht enden wollenden Monolog seine Geschichte. Ich habe schon einen Krampf in der Hand, aber mir dünkt, dass er gerade sehr spannende Sachen wiedergibt. Er endet nach fast zwei Stunden mit: „Wenn ihr die Steinkohle aus La Guajira verwendet, dann klebt da Blut dran, Menschenblut“. La Guajira nennt sich diese Region, eine Halbinsel, auf der Cerrejón der größte Kohle-Tagebau Lateinamerikas ist. Kolumbien ist der viertgrößte Steinkohle-Exporteur und macht ein Drittel aller importierter deutscher Steinkohle aus. In Deutschland wurden erst neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut. Für Kohle aus Kolumbien. Die Kohle wird in verschiedenen Regionen in Tagebauen abgebaut, dabei ist Cerrejón der größte mit fast 700 Quadratkilometern. Insgesamt besteht Cerrejón aus drei Tagebauen. Sie sind jeweils zu einen Drittel im Besitz von us-amerikanischen, schweizer und englischen Investoren, mit Lizenzen bis 2034.

Die Kohle wird auf die eigens errichte Bahnlinie gebracht. Die Kohlezüge sollen 120 Waggons haben und werden durch zwei oder drei Loks gezogen. Im eigens errichteten Kohlehafen, der aber auch nur einer von vielen in Kolumbien ist, wird die Kohle dann in Frachtschiffe verladen.

Dafür wurden einige indigene Ortschaften umgesiedelt. Teils unter Anwendung von Gewalt und durch Beihilfe durch die Armee werden sie vertrieben. Ihnen wird die Fläche genommen, auf der sie ihre Lebensmittel anbauen. Die Wayuú, die schon sehr lange in der Region leben, leiden besonders unter dem Kohleabbau. Sie haben sich erfolgreich gegen die Kolonialisierung durch die Spanier*innen behaupten können, weil sie als besonders widerständig gelten. Doch jetzt sterben sie am Hunger. Das Grundwasser wurde durch Cerrejón abgesenkt, damit der Tagebau nicht zum See wird, und ein Fluss wurde auf zig Kilometer Länge umgeleitet. Seitdem muss Wasser in Plastikflaschen gekauft werden. Was die Kolonialherren aus Europa des 16. Jahrhundert nicht vermocht haben, schafft Europa heute. Das nennt sich übrigens Neokolonialismus.

Felipe beschreibt die Umwelt-Belastung mit einem Experiment. Ich solle ein Becher mit Wasser aufstellen. Ein paar Stunden später sieht man die schwarzen Ränder vom Kohlestaub. und falls noch nicht genügend Argumente gegen die Kohleförderung geliefert worden sind, dann können wir gern noch über Klimawandel debattieren …

Albania

Ich will‘s selbst sehen. Ich mach mich am nächsten Tag auf und fahr‘ nach Albania, einen kleinen Ort der sich ganz in der Nähe vom Haupteingang und Besucher*innen-Zentrum entwickelt hat. 1000 Einwohner*innen vielleicht. Der Weg nach Albania im geteilten Taxi ist allerdings nicht sofort erfolgreich. Geteilt meint, dass solange gewartet wird, bis alle Plätze verkauft sind. Der Taxifahrer fährt rechts ran und stellt – nicht wirklich enttäuscht – fest, dass der Keilriemen gerissen ist. Er hält einfach ein Auto im Gegenverkehr an und lässt uns zurück nach Maicao schleppen. Bis zur Werkstatt. Dort warten wir eine knappe Stunde und schon wagen wir einen zweiten Anlauf.

Schon nachmittags schwinge ich mich als Sozius auf einem Taximotorrad gen Eingang, den letzten Kilometer in Angriff nehmend und – hab kein Glück. Am Eingang sagt mir die freundliche Frau, ich müsse eine Nummer anrufen. Der nette Mann im Hörer aber sagt: Nein, heute und morgen ist voll, keine Plätze mehr. Es geht also nur mit Führung.

Nach einer ganzen Weile meint ein Motorradfahrer er wüsste, dass in einem Hotel eine Gruppe eingecheckt hat, die morgen eine Führung hat. Also fahren wir wieder los. Im Hotel kann ich mit der Rezeption sogar auf englisch die Herausforderung besprechen. Ihr Anruf ergibt: Sie muss morgen früh nochmal anrufen. Also ruft sie mich morgen früh an, ob noch ein Platz frei wird.

Wohlweißlich bin ich früh genug aufgestanden und schon halb Acht klingelt das Telephon. Ich solle sofort am Eingang erscheinen. Bei der jetzigen Führung sei ein Platz frei. Drei Sachen in den Beutel, Tür zu, zur Straße gerannt, und – ich bin noch nicht mal auf der Straße – da kommt schon ein Motorrad. Ich spring auf, einmal Mineneingang bitte. Tatsächlich bin ich nicht der Letzte. Läuft.

Cerrejón

Kamera an. Alles was spannend ist wird gefilmt. Ich muss ja das Interview noch bebildern. Zuerst warten wir zwischen einen großen Kipplader und anderen kleineren Ausstellungsgegenständen, bis wir in einen größeren Raum geführt werden. Viele Info-Tafeln und Monitore. Wie zum Hohn eine übergroße Tafel mit Wörtern aus der Sprache der Wayuu. Alle Wörter drehen sich um den Kohleabbau. Viele Ausstellungsgegenstände möchten die soziale Seite Cerrejóns betonen. Mir wird klar, dass die Firma Teile ihrer Infrastruktur mit Wayuu-Wörtern schmückt. Seit 1975 gibt es die Grube nun schon und einige Präsidenten Kolumbiens waren zu irgendwelchen Einweihungen da. Obschon Kolumbien kaum Einfluss hat. Alle Fahrzeuge sind in Miniatur ausgestellt. Große Förderbrücken oder Förderkräne wie in deutschen Braunkohle-Tagebaue gibt es allerdings nicht. Dann müssen wir noch alle ein Sicherheitsvideo anschauen, Helme abgreifen und über den Zebrastreifen zum Reisebus gehen.

Durch das große Werksgelände düst der Bus raus auf die Schnellwege, die wegen den übergroßen Kippladern extrem breit sind und eigene kleine Parallelwege haben, die unser Bus nimmt. An einem Aussichtspunkt können wir in die Grube schauen. Ein Führer erzählt parallel viele technische Details. Als einer der Bagger gerade des Weges kommt, wird klar, dass auch diese überdimensioniert sind. Allein die Kipplader sind monströs groß.

Anschließend fährt der Bus noch zu einem anderen Aussichtspunkt, von dem wir die weiten Renaturierungsflächen bewundern sollen. Allerdings entwickelt sich daran, dass Kolumbien nicht so sehr von der Kohleförderung profitiert, eine schnell hitzig werdende Diskussion, die damit beendet wird, dass wir zurück in den Bus gehen. Offensichtlich sind nicht alle mit allem einverstanden.

Carrito

Zurück in Albania packe ich nur schnell die Sachen um nach Bogotá abzuhauen. Erst mit dem Carrito (so nennt sich hier das geteilte Taxi) bis nach Valledupar und dort dann mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Das Internet verrät mir später: Im Februar erst hat ein Indigener wohl einen Anschlag auf die Bahnschiene verübt. Ich kann‘s ihm nachempfinden.


Aug 18 2018

Hitze im Überfluss

von Rosa

Die ersten Hochhäuser begrüßen uns in Santa Marta. Es ist die erste Stadt, die mir in Kolumbien empfohlen wurde. Ich bin gespannt.
„Ey Leser“
Leider hatten wir auch diesmal kein Glück mit einer Couchsurfing-Unterkunft, deswegen haben wir uns ein Hostel rausgesucht. Das vorher Nichtbuchen war ein Fehler, denn die Unterkunft ist voll. So wie auch die Innenstadt. Busse und Taxen drängeln sich durch die Straßen.
„Ey sexy Leser“
Wir klappern ein paar Hostels ab, einige haben einen Pool im Foyer. Doch nicht unsere Preisklasse. „So ein schöner Leser, ja genau du“(Naja, um ehrlich zu sein, meine ich alle Leser, also du bist jetzt nix besonderes oder so)“
In unserer Preisklasse gibt es statt dem Pool ein Loch in der Wand mit einem Rohr. Darf ich vorstellen: Die Dusche. Wir sind froh, dass es Wasser und einen Ventilator gibt, denn es ist HEIß.
„Na, du süßer Leser“
Wir nutzen die Abendkühle und gehen an den Malećon (Promenade am Strand). Im Hafen stehen mit Lichterketten behangene Segelschiffe und bei mir kommt kurz Weihnachtsstimmung auf. Alles ist auf den Beinen. Ein Artist springt durch einen Reifen mit Messern. Ein große Menschentraube versammelt sich, um die Show zu sehen. Doch selbst als er an dem scharfen Gegenstand hängen bleibt, macht ihm das nichts aus.
„Ey Leser, Ey Leser, Eeyy Leser!!“
Gut, dass die Leute vorher das Geld bezahlt haben.

Auch wir bezahlen diesmal im Vorfeld und bekommen dafür eine Unterkunft mit Klimaanlage.
„UiUiUi Leser, na ich sag mal ne Acht“
Jedes mal, wenn wir den Raum betreten, spürt der Körper die Erleichterung sich endlich etwas runterzukühlen. Doch wie sagt man: Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst. Der geplante Ausflug zum Tayrona Nationalpark fällt ins Wasser. Bereits auf der einstündigen Fahrt zum Zielort fängt es an stark zu regnen. Das Dach des Busses hält dem nicht stand und so bekomme ich eine kostenlose Dusche ab.
„Fühl dich angestarrt“ (Ich checke ab, ob du gut aussiehst beim Lesen)“
Der Eintritt kostet 17 Euro. Am Eingang laufen Bilder von schönen Stränden und Touristen, die aus Zelten schauen über den Flatsreen. Die Laune der Touristen vor dem Eingang des Nationalparks ist allerdings eher mürrisch wie das Wetter. Wie entscheiden uns aufgrund unserer nicht wetterfesten Kleidung, lieber den Heimweg anzutreten.
„Leser, mmmhhhh“
In Santa Marta hingegen ist der Regen nicht angekommen. Doch auch beim dritten Stadtrundgang, springt der Funke bei mir für die Stadt nicht über. Ein zentraler Platz oder Park ist nicht wirklich vorhanden, keine bunten Häuser oder Gassen und der Stadtstrand ist klein und vollkommen überfüllt. Und natürlich die Hitze!

Lieber Leser, wie geht es dir damit, dass ich dich immer wieder so angesprochen habe?
Wolltest du nur in Ruhe den Text lesen und hast gedacht was soll das? Und dachtest du, was tut das überhaupt zur Sache, wie ich aussehe und wer ich bin, wenn ich hier einen Text lesen will? Hat es dich vom Lesen abgelenkt?

„Ey Chica, so lecker“

Kann ich verstehen.

Nach dem Stadtrundgang sitze ich in einem Café und tippe auf meinem Handy herum. An dem Tisch neben mir sitzen drei junge Männer in ein Gespräch vertieft und am gegenüberliegenden Tisch sitzen zwei alte Männer und lesen Zeitung. Alle paar Minuten schaut mich entweder der junge oder der alte Tisch an. Ich höre, wie die jungen Männer sich über meine Haare, mein Gesicht und meine Brüste unterhalten.
Ich befinde mich in einer Situation in der ich lieber gehen würde, aber erstens regnet es draußen als würde die Welt untergehen und zweitens finde ich es nicht gut, dass ich mir meinen Kaffee vermiesen lasse. Ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren.

Nachdem es aufgehört hat zu regnen, gehe ich nach Hause. Die Straßen haben sich in reißende Flüsse verwandelt. Kein Durchkommen mit trockenen Füße. Ein Mann spricht mich mit „Ey Prinzessin“ an und bietet mir an mich über den „Fluss“ zu tragen. Ich lehne ab und ziehe mir die Schuhe aus. Ich laufe durch die knietiefe Suppe. Ich fühle mich in eine Situation gebracht, in der ich erst recht beweisen muss, dass ich eben keine Prinzessin bin. Aber warum muss ich das überhaupt beweisen?

In Medellín gehe ich die Straße entlang und ein Mann versucht mich zu küssen. Ich sage nein, lass mich in Ruhe. Ich bin nicht interessiert. Er folgt mir. Ich laufe schneller, wechsle die Straßenseite. Ich frage: Warum hörst du mir nicht zu, wenn ich nein sage? Warum lässt du mich nicht in Ruhe, wenn ich es sage? Warum versuchst du mich zu küssen, du hast mich doch gar nicht gefragt? Keine Antwort.

Zu meinem Südamerika-Alltag gehören auch diese Situationen. Und jeden Tag muss ich mich entscheiden, was ich mache gegen die Sprüche, die Kommentare, die Bewertungen und die Belästigungen. Egal, ob ich es ignoriere, erkläre oder kämpfe. Es ist nervig.


Aug 16 2018

Cartagena: Türkis, Schwarz, Orange

 

Von Karl

Türkis

Das Wasser ist türkis, die Bucht einsam, die Bäume tropisch. So stellen sich viele das Paradies vor. und da waren wir. Jetzt nicht im Paradies, aber so wie es sich viele vorstellen. Mit der Schwimmbrille beobachte ich über das Wasser gleitend die tausenden kleinen Fische, die hier in Schwärme durch das Meer huschen oder wie ertappt neben mir schweben. Die Wellen sind schwach und die Sonne brennt. Das türkise Wasser wird nur langsam tiefer und ist durch Felsen unterbrochen, die allesamt bis knapp an die Wasseroberfläche reichen. Hier siedeln weitere Fische, die teilweise handgröße überschreiten. Manche tarnen sich mit ihrer schwarzen Farbe auf den dunklen Steinen weg, andere haben lila schimmernde Schuppen.

Bevor mir die Sonne einen Sonnenbrand auf den Rücken zaubert, übergebe ich die Schwimmbrille an die schon im Ufer wartende Rosa. Die Bucht ist eng und hat nur einen kleinen Bereich Sandstrand. Da aber sonst niemand da ist, ist der Ort perfekt. Von hier gehen verschiedene Höhlen und felsige Wege ab, die zu einen weiteren ähnlichen Ort führen.

Unser Glück soll aber nicht ewig halten und bald kündigt sich mit heftigen Donnern ein Gewitter an. Mit Blitzen und Starkregen nähert sich ein ordentliches Unwetter. Gut, denke ich mir, dann eben eine kostenlose Dusche um das salzige Meerwasser abzuspülen. Ich bringe meine Sachen ins Trocken und warte geduldig.

Der eigentliche Strandbereich ist viel viel länger und völlig überlaufen. Ein Geschäft reiht sich auf dem Strand an das nächste. Restaurants, Bars, Verleiher, etc. Wer hinter den Hütten lang läuft findet eine völlig verschmutzte Lagune vor. Die Schattenseite des intensiven Tourismus in dem Naturschutzgebiet.Trotz herannahender Blitze wird weiter fröhlich gebadet, Jetski gefahren und Ausflüge mit schmalen Holzbooten gemacht. Durch den starken Regen können wir später unbehelligt den Weg zurück finden. Ein Bus brachte uns her und nimmt uns wieder zurück nach Cartagena.

Schwarz

Cartagena ist wohl der berühmteste Touri-Ort Kolumbiens. Voll mit kolonialen Bauten, mittelalterlichen Mauern und Verteidigungsanlagen aus Zeiten als Spanier*innen hier das Raubgold nach Europa verschifften, westafrikanische Sklav*innen verkauften und englische Pirat*innen versuchten Teile streitig zu machen. Andere Teile stehen voll mit Hochhäusern, die entweder Hotels oder luxuriöse Apartments enthalten. Eine Halbinsel soll ausschließlich daraus bestehen, aber auch der östliche Teil Cartagenas beherbergt einige Dutzend dieser Mini-Wolkenkratzer. Wir machen einen eigenständigen Rundgang durch das Zentrum, der durch Schilder unser Wissen anreichert. Vielfach wird auch das Leben der schwarzen Sklav*innen thematisiert, die schlimmstmöglich behandelt wurden. Wie Ware wurden sie gehandelt, d.h. auf dem Markt feilgeboten. Insofern sie unbeschadet die lange Reise über den Atlantik überlebt haben.

Die Straßen im Zentrum sind sehr schick gemacht. Sehr bunte Häuserwände, mit vielen Blumen und enge Gassen lassen das Herz vieler Touris höher schlagen. Unser Rundgang endet in einem Park mit einem Stück Anoncillo-Strauch. Das ist eine kubanische Bezeichnung für kleine Früchte, die es in englischer oder deutscher Sprache nicht gibt. Sie sind nicht viel größer als eine Murmel, dunkelgrün, ledrige Haut und innen ein recht großer heller Kern. Das orange Fruchtfleisch ist sehr saftig, süß und eine Spur sauer. Auf jeden Fall sehr lecker. Während wir das noch genießen, kommt eine dunkelbraunes Eichhörnchen und fängt an einige der Kerne neben einen Baum zu vergraben. In Kolumbien heißt die Frucht wohl Mamón oder Mamoncillo.

Orange

Nach Cartagena sind wir per Bus gekommen. 13 Stunden von Medellín aus. Die Details, warum ich im Bus nicht schlafen konnte, zu der Verrückten Mitfahrerin und ihrer nächtlichen Hyperaktivität … ja, das möchte ich euch ersparen. Mit dem Ausstieg aus dem gekühlten Bus, erschlug uns die hiesige Hitze. Karibische 33 Grad sind hier normal. Seitdem schwitzen wir alles vor. Meine Shirts haben weiße Salzflecken und meine Haut ist gerötet. Jeder gekühlte Raum und gekühlte Bus ist eine Wohltat. Am Tag unserer Abreise bin ich extra um 5:15 aufgestanden um noch vor dem Sonnenaufgang im Meer zu sein. Tatsächlich ist ein Strand nur ca 15 Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Noch sehr ruhig breitet sich die Karibik vor mir aus, als ich langsam in das Meer gehe. Nicht nur, dass es draußen noch angenehm ist, was nicht heißt, dass es kühl ist, nein, noch ist das Meer abkühlend, was es tagsüber nicht mehr ist. Nach ein paar hundert Metern kann ich eine orange Scheibe am Strand aufgehen sehen, die ich am Abend zuvor noch über der Karibik untergehen habe sehen können.

 

PS.: Nun eine aktualisierte Karte mit den Orten in Kolumbien, wo wir sind bzw. waren: 


Aug 14 2018

Neue Farben

von Rosa

Der Ruf eilt Medellín weit über die Landesgrenzen voraus. Da ist die Geschichte: Pablo Escobar, Guerillakämpfe, die gefährlichste Stadt der Welt. Und da ist das Jetzt: Alle, aber wirklich alle schwärmen von Medellín.

Das Szeneviertel

Abgekämpft und verschwitzt stehen wir mit unseren Rucksäcken vor dem Trendviertel in Medellín: Poblado. Es geht steil bergauf, der Rucksack liegt schwer auf den Schultern. Wir laufen den Berg immer weiter hoch auf der Suche nach einem preisgünstigen Hostel. Uns kommen die ersten gut gelaunten Touristen entgegen. Nach ein paar Anfragen, entscheiden eher unsere Rücken als unser Budget. Unsere Schlafgelegenheit befindet sich in einem Hippiehostel in einer Art Dachboden ohne Fenster. Von unten dröhnt Elektromusik. Ein knarrender Ventilator sorgt für etwas Abkühlung.

Wir spazieren durch das Viertel, immer bergauf. Je höher desto besser. Eine Wohlfühlparadies für alle Hipster dieser Welt. Ein Szenelokal reiht sich an das andere. Fusion-Restaurants, Chocolaterien, Café-Bars. Viel Holz, viele Pflanzen, viele Glühbirnen, viel Geld. Letzteres muss man mitbringen, um hier Essen und Feiern zu können.

Eine böse Überraschung

Da wir nicht so viel von diesem Geld haben, suchen wir eine erschwinglichere Unterkunft, die uns noch etwas mehr Komfort bietet. In einem anderen Stadtteil werden wir fündig und kurzerhand buchen wir das Hostel online. Wir fahren mit der Metro, einer neu gebauten S-Bahn, bis zur Unterkunft. Medellín ist die einzige Stadt in Kolumbien die über ein Metrosystem auf Schienen verfügt. In den anderen Städten heißen aber schnelle Busverbindungen Metro. Auf die Modernität und Innovation ist man hier sehr stolz. Erneut schleppen wir unsere Rucksäcke durch die Mittagshitze. Ich frage Karl dreimal, ob wir hier auch wirklich richtig sind. Das Hostel sieht aus wie ein normales Wohnhaus. Es gibt keine Beschilderung. Die Türen sind verschlossen und auch nach mehrmaligen Klopfen öffnet niemand die Tür. Ein Nachbar von oben wird auf uns aufmerksam und versucht uns zu erklären, dass das Hostel seit zwei Monaten geschlossen ist. Wir schauen ihn mit großen Augen an und erbitten uns die Telefonnummer von den ehemaligen Hostelbesitzern. Der Mann am Telefon sagt mir, dass er nicht verstehen kann, wie wir überhaupt noch das Hostel buchen konnten. Er will sich wieder melden. Nach zwei Minuten ruft er tatsächlich zurück, um mich an seine Kollegin zu verweisen. Ihr wiederum erkläre ich erneut, dass wir schon eine Reservierungsgebühr bezahlt haben. Doch nichts zu machen, die Unterkunft bleibt für uns verschlossen. Wir sollen uns direkt an die Buchungsseite wenden. Über uns auf dem Balkon haben sich ein paar Menschen versammelt um das Spektakel unter ihnen zu verfolgen. Eine Oma, deren Spanisch ich aufgrund ihrer fehlenden Zähne noch weniger verstehe, winkt immer wieder in Richtung eines gelben Hauses. Tatsächlich befindet sich schräg gegenüber ein Hostel, dessen Bestimmungszweck von außen nicht erkennbar ist. Eine freundliche Frau bietet uns den gleichen Preis wie in Poblado an. Immerhin mit Frühstück und großem Garten.

Comuna 13

Zufällig treibt es uns auch zu Paola. An der Endhaltestelle der Metro Richtung San Javier treffen wir auf eine Free Walking Tour, die gerade starten will. Kurzerhand schließen wir uns an. Geleitet wird die Führung von Paola. Sie ist in der Comuna 13 aufgewachsen. Dort wo auch Pablo Escobar gelebt hat. Auf dem Weg in ihren Stadteil erzählt uns Paola, dass sich die Situation nach dem Tod Eskobars noch verschlimmerte. Mit dem Tod des Drogenbarons entstand ein Machtvakuum im Viertel. Guerillatruppen und Paramilitärs kämpften um die Vorherrschaft des strategisch wichtigen Gebietes. Die Comuna 13 galt als Tor zum Hinterland über das Waffen und Drogen geschmuggelt werden konnten, weil die Gebiete nicht unter Kontrolle der Polizei standen. Paola erzählt, dass teilweise die Leichen nicht weggeräumt werden konnten, weil in den toten Körpern Sprengstoff versteckt wurde, um noch mehr Menschen zu töten. Im Jahr 2002 griff das Militär mit einer Sonderaktion durch und ließ wichtige Drahtzieher verhaften.

Auch dieser Tag war kein schöner in der Comuna 13. Wieder starben viele unschuldige Menschen. Aber seit diesem Tag wurde es friedlicher, berichtet Paola Die Waffen wurden gegen Farbe und Pinsel getauscht. Wir laufen vorbei an bunten Wänden. An der Wand eine Frau, eine Taube, Schuhe und ein Herz. Darunter steht Esperanza (Hoffnung).

Symbole der Hoffnung mahnen an den Häuserwänden. Eine weitere Neuerung ist die längste Rolltreppe der Welt. Das Bauprojekt sollte vor allem älteren Bewohnern den Zugang zu ihren Wohnungen erleichtern. Kunstgalarien und Kaffeebars eröffnen. Mittlerweile kommen viele Touristen um den Stadtteil mit ihren Kunstwerken anzuschauen. Für Paola ein Zeichen von Frieden. Sie selbst hat erst vor zwei Jahren durch ein Sozialprojekt englisch gelernt und jetzt kann sie Reisenden von ihrer Geschichte erzählen. Zwischen den bunten Häusern zeigt uns Paola einen Berghang, der nicht begrünt ist. Dorthin wurden Geiseln verschleppt und getötet. Bis heute werden über 2000 Menschen vermisst. Der Regierung sind die Aufklärungsarbeiten zu teuer. Fassaden können übermalt werden, doch bleiben die Risse und Narben sichtbar.

Der Künstler

Wenn man von Fernando Botero noch nichts gehört hat, dann kommt man entweder nicht aus Südamerika oder hatte einen schlechten Kunstlehrer. Auf jeden Fall sollte man sich den Namen ab jetzt merken, weil er ein unverwechselbares Markenzeichen hat: Seine runden Formen. Alle Figuren sehen aus wie Ballonmenschen, sind leicht aufgequollen und stehen mit ihrer Präsenz im Widerspruch zu der Reduktion der Details im Bild. Der in Medellín geborene Künstler versteht sich selbst als der kolumbianische Künstler. 23 seiner Bronzefiguren kann man öffentlich auf der Plazoleta de las Esculturas bewundern. Weitere Werke im nahe gelegenen Museo de Antioquia. Wer nicht extra nach Südamerika reisen möchte, kann sich auch Skulpturen von ihm in der Innenstadt von Bamberg ansehen.

Der Hinkelstein

Sieht man die Pierda de Penol auf Fotos kommt einem der Felsenberg mit angebauter Treppe unwirklich vor, wie ein überdimensionierter Hinkelstein, den Obelix dort vergessen hat. Vom nördlichen Busbahnhof in Medellín fährt der Bus knapp zwei Stunden nach Penol zu einer Tankstelle. Von da an geht es nur noch bergauf und mit jedem Schritt wird die ganze Kulisse beeindruckender.

Denn dieser Felsberg ist umgeben von einem riesigen See, der von grünen Inseln unterbrochen wird. Wie Tintenkleckse in der Landschaft wirkt das blaue Meer. Auf die Penol de Pierda selbst führen nochmal 750 Stufen. Hinter jeder Kurve stehen oder sitzen schnaufende Menschen, die sich vom langen Aufstieg erholen müssen.Von oben schaue ich auf die Kulisse, als wäre es die Modelleisenbahn meines Bruders. Kleine Boote fahren über das Meer und ziehen winzige weiße Fäden hinter sich her. Einsame kleine Buchten, versteckt, unbewohnt. Wenn mir die Welt zu viel wird, ist hier der Ort, wo ich meine Zelte aufschlagen würde. Zurück an der Tankstelle halten wir einen Bus an, der uns nach Guatapé bringt. In Guatapé wurde vieles richtig gemacht, was das Touriherz höher schlagen lässt. Die Reliefs an den Häuserwänden, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Hühner die Hauswand nicht zerpicken, wurden bemalt. So schlendern wir durch Gassen mit bunten Häusern, an deren Fassaden Blumen herunterhängen. Nach dem malerischen Spaziergang zieht es mich zu einer Bootstour. Langsam schippert der dreistöckige Dampfer zwischen den Buchten. Auf dem oberen Deck allerdings geht es flott zu. Kurzerhand hat sich das Schiff in ein Partyboot verwandelt. Aus den Lautsprechern tönt Salsamusik. Nach 30 Minuten werden die Beine müde und alle lassen sich auf ihre Stühle fallen und genießen doch noch die einmalige Natur.

Erinnerungen

Das Museo Casa de la Memoria befindet sich in einem langen Gebäude aus Beton. Geht man hinein, verschluckt es einen. Erinnerungen an Gewalt und Widerstand der Menschen in Medellín. Das Museum hat dem Schmerz eine Stimme gegeben. Es wurde ein Chor daraus:

Der Konflikt hat tausende Leben beschädigt. Oft haben wir die kleinen Dinge vergessen, die täglichen Rituale, der Geschmack von Mangos, die Stimmen der Kinder, der Geruch von zuhause, das friedliche Gefühl einer Familie, die Sicherheit und die Ganzheit. Wir wurden zu einem Krieg genötigt, der nicht unser Krieg war. Wenn wir das Gewicht der Verluste begreifen, verstehen wir auch das Bild der Vergangenheit, die Einsamkeit der Gegenwart und die Herausforderung eine Zukunft aufzubauen.

-Maria Camera-

 

Das Wasser wird das nicht aussprechbare mit sich nehmen.

-Sergio Goméz-

 

Was ist Gewalt?

Der schlechte Teil des Friedens

-Sara Martinez, 7 Jahre-

 

Was ist Leben?

Die Liebe, der Frieden, die Traurigkeit.

-Jorge Ivan Gomez, 6 Jahre-

 

Was ist Krieg?

Ein Spiel, was die Kinder jetzt spielen.

-Paula Andrea Franco, 9 Jahre-

 

Was ist Familie?

Die Menschen, alle, alle, alle, alle.

-Jorge Alejandro Botero, 5 Jahre-

 

Ich gehe in einen Raum. Er ist Dunkel. Kleine Leuchtpunkte spenden etwas Licht. Genau so sieht Medellín bei Nacht aus. Ein Sternenhimmel. Zwischen den Leuchtpunkten hängen Portraits an unsichtbaren Fäden. Polizisten, Lehrer, Schüler, Kinder, Familien, Freunde, Menschen. Sie sind gegangen in der Nacht und fehlen in Medellíns Sternenhimmel. Meine Schritte werden langsamer als ich aus dem Museum gehe. Es ist hell. Vor dem Museum fließt ein Fluss. Das Rot der Straße wird abgewaschen und macht Platz für neue Farben.

Hoch hinaus

Wir stehen vor einem sehr hohen Gebäude in einer belebten Straße. Der Fahrstuhl hält im 14. Stock. Ich lehne mich an das Geländer und betrachte den Boden. Von hier oben sieht es gar nicht so hoch aus. Doch, dass der Weg nach oben lang ist, weiß Pablo. Nicht nur weil ab und an der Fahrstuhl ausfällt. Er ist Aktivist und setzt sich für LGBT-Rechte ein. In einem Land, dass durch die katholische Kirche geprägt ist und in einer Stadt, die in ganz Kolumbien für ihre konservativen Politiker bekannt ist. Irgendwie hat es der kleine, dünne Mann, den man aufgrund seiner quirligen Art auf Anfang 20 schätzen würde, aber geschafft einen Job als politischer Berater zu bekommen. Als er uns davon erzählt gehen seine Mundwinkel weit nach oben und er schiebt seine runde Hornbrille zu recht. Ganz knapp konnte bei der letzten Wahl ein linker Politiker in den Stadtrat einziehen. Der erste Politiker mit Rastazöpfen berichtet Pablo stolz. Bei eben diesem Politiker wurde er angestellt. Vorher hat er jahrelang auf der Straße gekämpft auf Demos, Filmabenden und Ausstellungen gegen die Kirche aber manchmal sogar mit der Kirche. Auch bei der Kirche gäbe es einige Unterstützer der Ehe für alle. Pablo sagt vom Gesetz wäre es ihm in Kolumbien erlaubt seinen Freund zu heiraten, vom sozialen Druck allerdings nicht. Das fängt bei der eigenen Familie schon an. Aktuell möchte er ein Gesetz durchsetzen, was ihm und Kollegen erlaubt an Schulen zu gehen, um über Homosexualität zu sprechen und dass das eben ganz normal sei. Auch sonst gibt es einiges zu tun in Kolumbien findet Pablo. Die indigene Bevölkerung wird unzureichend in politische Entscheidungen einbezogen und vom Rest der Bevölkerung nicht als gebildet und relevant wahrgenommen. Viele Aktivisten sind beunruhigt wie sich die Situation mit der neuen konservativen Regierung in Kolumbien ändern wird. Bei einer Volksabstimmung gab es eine knappe Mehrheit gegen eine entspanntere und friedlichere Politik gegenüber der FARC-Bewegung. Wir stehen vor einer schwierigen Zeit sagt Pablo und zieht seine Lippen zu einem breiten Strich und  die Schultern nach oben, um sie anschließend resignierend fallen zu lassen. Wir stehen auf seinem Balkon und schauen nach unten. Nur weil Errungenschaften einmal erkämpft wurden, heißt es nicht, dass sie für immer Bestand haben. Nach unten geht es schnell.

Es ist schon später Nachmittag als wir bei Pablo aufbrechen. Wir müssen uns beeilen, um noch bei Tageslicht mit der Seilbahn fahren zu können. Als ich in die Gondel einsteige, fühle ich mich wie im Wanderurlaub in den Alpen. Unter mir steht eine Kuh auf einen Wiesenabschnitt zwischen Fluss und Straße. Ansonsten verwandelt sich das grün jedoch schnell in Ziegelrot. Soweit ich blicken kann Häuser. Vereinzelt sind sogar einige Wellblechdächer bemalt. Die Gondel ist hier ein normales Verkehrsmittel wie Bus und S-Bahn. Wir fahren einige Minuten bis zur letzten Station. Ich frage mich wie sich die Menschen vorher bis zu ihren Häusern geschleppt haben. In den Stadtteilen wo Seilbahnen installiert wurden ist die Kriminalitätsrate drastisch gesunken.

Fazit

Ja Medellín ist schön, modern und erinnert an europäische Metropolen. Doch das hat mich nicht fasziniert. Es ist der Wandel. Der Umgang mit der Geschichte. Die Stärke, die in der Kunst an den Wänden und in den Zeilen der jungen Rapper und Poeten steckt. Der Mut für Veränderung und der Glaube an die Zukunft.

 


Aug 10 2018

100 Tage Exklusiv-Interview mit Rosa!

Wie ist es eigentlich so lange zu reisen? 100 Tage war Rosa unterwegs, als ich sie interviewt habt. Es lohnt sich reinzuhören, denn sie wird auch ein Geheimnis lüften (-;

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