Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.


Mrz 22 2019

Weltberühmte Wassermassen

Von Karl

Ciudad del Este / Puerto Iguazú

Wir erreichen Ciudad del Este, zu deutsch „Stadt des Ostens“, am späten Abend. Wir können um 7 noch den letzten Bus nehmen, der uns ins argentinische Puerto Iguazú bringt. Beide Städte und auch das brasilianische Foz do Iguaçu sind die jeweiligen Grenzstädte im Dreiländereck von Paraguay, Brasilien und Argentinien. Wir steuern den argentinischen Teil an, weil er der beste und günstigste Ausgangspunkt für unsere Unternehmungen ist. Zwischen den Busbahnhöfen der Städte verkehren tagsüber stündlich Busse.

Die Busse zwischen Paraguay und Argentinien müssen zwar auch durch Brasilien durch, halten dort aber nicht an. Für die Grenzformalitäten hält der Bus, weil aber wegen des Staatenverbundes „Mercosur“ für die Einreise in Paraguay den Einheimischen kein Migrationsprozess verlangt wird, lässt der Bus einen da höchstens raus, wartet aber nicht unbedingt. Das sollte bedacht werden, sonst gerät mensch illegal nach Paraguay. Argentinien führt in beide Richtungen Grenzformalitäten durch und der Bus wartet.

Ciudad del Este gilt gemeinhin als große Schmuggelstadt und nimmt sich wie ein riesiger Marktplatz aus. Bis Nachmittags kann alles mögliche gekauft werden und vieles orientiert sich am oder an der brasilianischen Kunden oder Kundin. Besonders Elektronik-Waren scheinen der Renner zu sein. Im Grenzbereich drängen sich die Verkaufshochhäuser.

Die imposante und riesige Freundschaftsbrücke überspannt den Grenzfluss. Die Flüsse schneiden ziemlich tief ins Tal und deswegen entstehen weite Ausblicke bei der Überquerung.

Puerto Iguazú ist die wohl kleinste der drei Städte und ist besonders auf den Tourismus ausgerichtet. Erwähnenswert scheint mir noch, dass es eine Punkt gibt, von dem der Grenzpunkt der drei Länder, also der Zusammenfluss von Rio Paraná und Rio Iguazú besichtigt werden kann. Jedes der Länder hat eine große Säule mit den Landesfarben aufgestellt.

Teufelsrachen

Wie so viele Gäste der Region strömen auch wir zu einen der wohl bekanntesten Hightlights der Region: den Iguazú-Wasserfällen. Wir reihen uns ein und müssen mal wieder den teuersten Preis bezahlen der angeschlagen ist. Mit argentinischer Staatsbürgerschaft wäre ich beispielsweise deutlich günstiger reingekommen.

Auf den ersten Meter beeindruckt schon die Natur. Grüne Bäume umschlingen sich in friedlicher Umarmung und Holzwege führen uns durch dessen Mitte. Viele wählen die Parkeisenbahn. Auffällig viele Nasenbären leben zudem in der Gegend. Es ist fast schon unmöglich weniger als hundert von ihnen zu begegnen. Sie spielen und tollen und haben sich an das Dasein der Menschen schon ziemlich gewöhnt. Sie erscheinen zwar sehr niedlich, sind aber leider auch sehr aggressiv, wenn es darum geht Beute zu machen. Es gibt auch Gruppen von kleinen Affen. In Hab-Acht-Stellung beäugen sie die aufgeregte Meute mit ihren Selfi-Sticks die versucht möglichst tolle Photos zu machen und immer näher kommt.

Stück für Stück nähern wir uns dem eigentlichen Ziel, den Wasserfällen. Aus großer Entfernung können wir sie dann endlich sehen. Auf über zweieinhalb Kilometern Breite fällt der Rio Iguazú über sechzig Meter in die Tiefe, wobei mehrere Inseln den Fluss in verschiedene große und kleine Fälle spaltet. Direkt zwischen uns und den Fällen liegt auch eine größere hohe Insel, die der sich fortsetzende Fluss umschlängelt. Egal an welchen Punkt der Fälle wir gelangen, so bleibt es schier beeindruckend wie viele Wassermassen sich hier einfach ergießen. 7.000 bis 15.000 Kubikmeter sollen es je nach Jahreszeit sein. In der Nähe der Fälle ist es zudem sehr laut und feucht. Winzige Regentropfen schießen aus dem Schoß und bieten die Leinwand für bunte Regenbögen.

Von den oberen Aussichtspunkten aus wirkt der Rio Iguazú sehr ruhig. Nichts deutet in diesen Momenten darauf hin, dass der Fluss gleich in ungeheuerliche Tiefen vorstoßen wird. Wer also mit dem Floß oder Boot sich von oben nähert wird wohl erst kurz vorher überrascht und dann Indiana Jones mäßig hinabrauschen. Heutzutage sind die Holzstege, über die wir an die Oberlauf-Aussichtspunkte gelangen, wohl ein wichtiges Zeichen, um den Wasserfall rechtzeitig zu erkennen.

Der Höhepunkt dieser Anlage liegt am weitesten entfernt. Nach einer Wanderung mehrerer Kilometer gelangen wir, vorbei an bunten Schmetterlingsgruppen, an einen weiteren Holzsteg. Erneut geht es über den ruhigen breiten Fluss hinweg von Flussinsel zu Flussinsel. Etwas überrascht betrachte ich die ziemlich durchnässten Touris die mir entgegen kommen. Dass sie in den Fluss fielen, halte ich für ausgeschlossen, aber so wirken sie. Ein Schmetterling setzt sich auf meine Schulter ab, während ich weiter dem Holzsteg folge. Erneut passieren wir eine Flussinsel und als die Baumwelt wieder zurücktritt, öffnet sich das Panorama auf eine riesige U-förmige Einbuchtung. Den Teufelsrachen.

Bis wenige Meter vor dem Abfall führt uns der Steg an den Teufelsrachen heran. Der aufsteigende Wassernebel kriecht bis in die hinterletzten Ecken meines Beutels und meiner Kleidung. Die Brille trocken zu wischen, scheint mir sinnlos. War es schon vorab beeindruckend, so übertrifft der Anblick dieses Teiles die vorangegangenen um ein Vielfaches. All das Wasser scheint in einem weißen Nichts aus Nebel zu verschwinden. Einfach verschluckt. Auf diesem weißen Wolkenboden erwächst ein stolzer Regenbogen. Ein zeitloser Regenbogen. Ich habe das Gefühl weich zu landen, sollte ich in die unendliche Tiefe springen. Irgendwo zwischen Wolke sechs und acht. Schier endlos rinnt das Wasser in ungeahnter Menge in den Rachen des Teufels.

wie ein gewöhnlicher Staudamm

Leider trennen sich nach dem Besuch des wunderbaren Naturspektakels wieder die Wege von Rosa und mir. Ich hab mir noch ein weiteres weltbekanntes Projekt vorgenommen und mache dafür eine Tagesreise zurück nach Ciudad del Este. Die Stadt heißt übrigens erst seit 1989 so, vorher war sie nach dem deutschstämmigen Diktator benannt, der – ähnlich wie viele Nachbarländer – auch in Paraguay Linke verfolgte und vor der Strafverfolgung sich versteckende deutsche Nazis einen Unterschlupf bot. Der wohl bekannteste Flüchtling in Paraguay war Josef Mengele.

Mit einem lokalen Bus fahre ich hinaus in die nördliche Nachbargemeinde Hernandarias und gehe zu Fuß zu „Itaipú Binacional“. In einem Besucher*innen-Zentrum, das angesichts des wenigen Andrangs als viel zu überdimensioniert sich ausnimmt, bekomme ich kostenlos eine Karte für eine Führung im zweitgrößten Wasserkraftwerk der Welt. Am Rio Paraná gelegen produziert das von Pararguay und Brasilien zusammen betriebene Kraftwerk Strom für beide Länder. Da die Auslastung der Turbinen oft höher ist, als am größeren Drei-Schluchten-Staudamm, ist die Jahresenergieproduktion Weltspitze. Über 100 Terrawattstunden wurden beispielsweise 2016 produziert. Der produktivste Kernreaktor, der an der Isar in Bayern arbeitet, schafft nur etwas über 12 Terrawattstunden.

Allein 2 der 20 Turbinen haben einen Durchsatz von 700 Kubikmeter Wasser, also dem des imposanten Iguazú-Wasserfalls. Vom weiten sieht der Damm aus, wie ein gewöhnlicher schon etwas in die Jahre gekommener Staudamm. Als wir mit dem Bus an den riesigen Turbinenrohren vorbei fuhren, merke ich, welche Dimensionen sich hier verstecken. 

Selbst der Bus erscheint winzig neben den Turbinen. Für eine Technik-Führung ins Innere hätte ich mich vorab anmelden müssen und das war mir vorab nicht bekannt. Es gibt übrigens auch Führung auf brasilianischer Seite, die sind aber nicht kostenlos. Angesichts dessen, dass ich einer von vielleicht zehn Interessierten war, konnte ich einen guten Platz wählen. Die Tour dauert schon eine knappe Stunde. Allein die Staumauer hat eine Länge von 7,7 Kilometern.

Unter den 100 größten Wasserkraftwerken der Welt stauen alleine 5 den Rio Paraná. 3 weitere sind in Planung oder Bau. Ich hatte auch in Asunción mich darüber unterhalten, zumal gerade im Sommer es ständig zu Stromausfällen kommt, die sich auch über einige Stunden ziehen können. Vielleicht fehlt es einfach an Leitungen. Gleichzeitig produziert Itaipú weitaus mehr als Paraguay verbraucht. Das Unternehmen verkauft lieber den Strom und zudem muss Paraguay noch seine Schulden aus dem Bau abbezahlen. Es erscheint mir sehr zynisch, dass mit Itaipú ein Name in der Sprache der Guaraní gewählt worden ist, obschon für den Stausee 40.000 Menschen, vor allem Guaraní-Indigene, umgesiedelt worden.

Von hier aus führte mein Weg zurück via Asunción bis nach Santa Cruz und wieder nach Asunción. Viel Zeit musste ich aufbringen um die Kreditkarten-Problematik zu lösen. Das sei hier nur nochmal erwähnt, damit ihr euch nicht wundert, warum ich dann im nächsten Artikel dort ansetze und nicht im Dreiländereck. Ich hab in den letzten Artikeln aber schon alles über die beiden Städte berichtet.


Mrz 20 2019

Meine neue Familie in Paraguay

Von Karl

Asunción, Paraguay

 

Schon mit meiner Ankunft lerne ich die Größe Asuncións kennen. Der Bus war viel früher am Ziel als gedacht und ich wurde entsprechend am Busbahnhof geweckt. Irgendwann frühs, vielleicht um fünf Uhr. Nun ist Asunción, oder einfach nur „Asu“ genannt, das Zentrum einer Agglomeration, die sich Gran Asunción nennt und noch einige weitere größere Städte zusammenfasst und ein größeres urbanes Gebiet bildet.
Mit einer Mischung aus Glück, Karte und Nachfragen schaffe ich es tatsächlich innerhalb von drei Stunden vor das Haus von Luzi, Frans Mutter. Ohne Taxi versteht sich, nur Busse. Nach zwei gesunden Stunden, die ich auf dem Sofa im Wohnzimmer verschlummerte, brachte sie Frühstück. Weißbrot mit Dulce de Leche und Kaffee.

Zu dem Zeitpunkt bin ich davon noch schwer beeindruckt, doch es ist nur der Anfang davon, dass ich sagen muss, dass die Gastfreundschaft in Paraguay außerordentlich ausgeprägt ist. Sie bekochte mich rund um die Uhr kümmerte sich fast pausenlos um mich. „Mein Haus ist dein Haus“ ist einer der wohl meist gehörten Sätze während dieser Reise und insbesondere in Paraguay. Dass ich nun Teil der Familie sei und ich so behandelt werde, erfahre ich auch.
Frans Schwester, Liz, samt Familie lerne ich die nächsten Tage auch kennen. Beide sind sie Bodybuilder*in und haben eine Tochter die wohl erst seit kurzem in die Schule geht. Zwei Geschwister leben oder arbeiten noch bei der Familie, doch ob sie Freundinnen oder Angestellte sind, kann ich schlussendlich nicht klären. Die ältere, sie mag vielleicht 20 sein, wird zur Stadtführung verpflichtet, was ihr aber nicht sonderlich viel Spaß bereitet, da nun Asunción nicht die klassische Stadt dafür ist. Hinzu kommt, dass sie nur spärlich spanisch spricht und mein Guaraní nicht über drei Wörter hinausgeht.

Die Stadt

Der touristische Teil mit der hübsch hergerichteten Innenstadt wurde bei Asunción ausgelassen, aber nichtsdestotrotz ist alles da, was das Herz begehrt. Museen, Café, Geldwechseln, etc. Die Museen scheinen gratis zu sein und haben auch beeindruckend schöne Pflanzen.

Lucía, eine Couchsurferin, die mich zwar nicht aufnehmen kann, zeigt mir nochmal alle interessanten Teile der Stadt und tatsächlich gibt es kaum mehr als bei der vorhergegangenen zu sehen. Der Präsident*innen-Palast wurde rosa gestrichen.

Das Parlament ist von Polizei und Blechwänden umstellt. Grund dafür sind die anhaltenden Proteste in der Stadt. Viele Indigene halten seit einiger Zeit die Plätze besetzt und das mit mehr oder minder ausgebauten Zelten oder Häusern. Manche wiederum haben erste Infrastrukturen wie z.B. Kioske entwickelt. Der Konflikt liegt meist zwischen den Indigenen, die besonders ärmlich in den abgelegen Gebieten leben und den Großgrundbesitzer*innen, die z.B. Wald roden um weiteres Soja anzubauen. Viele sind Geschäftsleute aus Brasilien. Die Indigenen fordern Unterstützung von der Regierung, die sie vermutlich nicht erhalten.

Die Partido Colorado, die rote Partei, entschied erst 2018 das Rennen um das Präsident*innen-Amt für sich. Kurioserweise sieht deren Flagge aus, als wenn sie eine kommunistische Partei wäre, mit weißem Stern in der oberen linken Ecke auf rotem Grund.

In Paraguay ist es aber eine rechts-konservative Partei. Obschon Luzi eine solche Flagge in der Küche hängen hat, stimmt sie wie so ziemlich alle ein, wenn es gegen Marito geht, den Spitznamen des neuen Präsidenten. Mittlerweile sei sein Name zum geflügelten Wort geworden, wenn es darum geht etwas zu beschreiben, was verbockt worden ist. Auch wenn im Alltag irgendwas furchtbar daneben ging, ist ein „Que Marito!“ als schimpfender Ausdruck schnell auf der Zunge. Ich zieh innerlich den Hut, dass ein Wahlsieger so schnell so unbeliebt werden kann.
Es ist noch nicht lange her da wurde das Parlament ziemlich demoliert und in Brand gesteckt. Die Spuren sind noch gut zu erkennen und offensichtlich sind die Reparatur-Maßnahmen am „Palacio Legislativo“ noch lange nicht abgeschlossen.

Ich versuche zwei Mal vergeblich Zutritt zum Parlament zu bekommen, doch jedes Mal werde ich unter fadenscheinigen Gründen abgewiesen. Sowohl Kleidungsordnung als auch Öffnungszeiten waren die Argumente. Asunción atmet das Gefühl der politischen Instabilität an sehr vielen Ecken. Immer wieder kommt es zu größeren Protestmärschen, Streiks, Straßenblockaden. Jugendliche ziehen skandierend mit Eisenstangen durch die Straße.
Die wohl schönsten Teil bildet Asuncións Uferpromenade am Rio Paraguay. Dort kann auf einigen hundert Metern geschlendert werden und es gibt auch einen kleinen Sandstrand, wo Bootstour-Anbieter*innen auf die nicht vorhandenen Touris warten. Es gibt nahe dem Hafen eine Art Fähranbieter, d.h. ein Böötchen, dass die Überfahrt nach Chaco-Í anbietet, was aber nicht wirklich spektakulär ist. aber günstiger. Im Zentrum gibt es auch eine Bar mit Ausblick über die schnörkellose Stadt mir ihren riesigen Wohnkomplexen.

Eine besonders empfehlenswerte Bar und Geheimtipp ist das Café Consulado in der Straße O‘Leary. Im Süden der Stadt gibt es noch einen kleinen Hügel, Cerro Lambaré gennant, der einen kleinen Ausblick ermöglicht. Auch über den Fluss hinweg in das benachbarte Argentinien. Ansonsten ist es nicht empfehlenswert spät abends in Asunción unterwegs zu sein.

Bei Luzi

Luzis Gegend ist über eine Stunde vom Zentrum entfernt. Ich lerne nun auch ihre Schwester und den Neffen kennen, der viel bei ihr ist. Alle drei sind sie sehr gläubig. Im Hof leben noch mehr Menschen. Auch gibt es verschiedene Arten von Mango-Bäumen, Bananen-Bäume und einen Apfelbaum der eine Sorte trägt, die nur Kirsch-große Äpfel trägt. Luzi macht daraus leckeren Apfelsaft.

Mangos gibt es überall und deswegen ist es so billig, dass es keine*r auf der Straße verkauft. Das knappe Dutzend Menschen, welches Zugang zu den großen und kleinen Mangos hat, isst weniger als verfügbar sind. In der Bananenstaude haben kleine Vögel ein Nest gebaut und Eier gelegt.

Als ich mit Elias einmal in den Straßen unterwegs bin, sehen wir drei in offiziellen Westen gekleidete Menschen, die durch die Straßen gehen und die Häuser begutachten. Elias erklärt mir, dass sie hygienisch zweifelhafte Orte suchen um Quellen für Dengue, Malaria, Chikungunya und Zika zu finden. Alle Krankheiten haben gemein, dass sie von Mücken übertragen werden, die sich an das menschliche Leben gewöhnt haben und deren Blut saugen. Stehendes warmes Wasser nutzen die Tiere um ihre Eier abzulegen und das sollte vermieden werden. Müll und versiegelte Grundflächen bieten solche Wasserpfützen an. Asunción hat insbesondere mit Dengue Schwierigkeiten, hat aber besonders gegen Malaria schon Erfolge erzielt. Selbst die größte Bierfirma des Landes beteiligt sich am Kampf gegen das Dengue-Fieber. Dengue ist bereits bei der ersten Infektion überhaupt nicht lustig, aber zum Glück nicht tödlich. Beim zweiten Mal dann aber schon.
Die Familie spricht mehrfach von „Sanber“, was ich erst eine Weile lang nicht verstehe. Bis wir dann nach San Bernardino fahren, was die landläufige Abkürzung Sanber trägt. Das ist ein kleiner touristischer Ort, der an einem See liegt. Früher mal zum baden geeignet, ist er mittlerweile zu schmutzig dafür. Es werden Bootstouren angeboten und allerlei Handwerkszeug. Insbesondere jetzt, in der Vorweihnachtszeit, werden auch verstärkt Ñandutí gezeigt. Das sind Spitzen-Decken, die nicht geklöppelt werden, aber denen zum verwechseln ähnlich aussehen. Es gibt wohl nicht mehr viele die dieses Handwerk beherrschen, aber es ist berühmt für diese Region und die Menschen sind stolz drauf.

In Sanber treffen verschiedenste Touris aufeinander. Manche trinken Bier und hören Musik, andere spielen auf dem Spielplatz und andere genießen teure Hotels. Eines hat einen lohnenswerten Park mit besonderen Bäumen und Blumen. Ein Baum trägt Herz-förmige Blätter.

Langsam habe ich mich dran gewöhnt, dass die deutschen überall sind und tatsächlich überrascht es mich nicht, dass die Bäckereien in deutscher Hand sind. Ein wichtiger Punkt auf einer Sanber-Reise scheint ein Halt in einer der beiden Bäckerein zu sein, die passenderweise auch durchnummeriert sind.
Vorab verstehe ich aber dass alle unbedingt Hühnchen essen wollen und ich verstehe auch nicht warum mir das zig Mal erzählt wird. Zum einen weil Hühnchen eh überall und täglich gegessen wird und weil bekannt ist, dass ich keine Tiere esse. und dann noch das Hühnchen beim Bäcker gegessen wird. Fleischer würde mehr Sinn machen.

Das spanische Wort für Huhn ist „Pollo“. Tatsächlich sprechen sie aber von „Bollo“ und das bezeichnet Pfannkuchen bzw. Berliner. Hier natürlich mit Dulce de Leche gefüllt. So schlemmen wir alle gleich mehrere dieser Leckerein in uns hinein bis wir kurz vorm platzen sind. Ich muss sagen, dass ich mich an das immens süße Dulce de Leche gewöhnt habe. Wenn ich nach der Reise zuckerkrank bin, weiß ich wieso.

Übrigens Leckerei: Liz hat ein ganzes Blech Sopa für mich organisiert. Ich muss sagen, dass es außerordentlich lecker ist. Hinzu kommt Chipa. Das ist im Prinzip ein Ring aus Käsebrot und an fast jeder Ecke erhältlich.

Auffällig während der Reise ist auch, dass ich mehr und mehr spanisch lerne, aber leider ändern sich auch einfache Wörter von Ort zu Ort. Aussprachen ändern sich zusätzlich. In Paraguay wird zum Teil eine leichte Variante des „sch“ für das ursprünglich „j“-klingende verwendet, also in etwa „ch“. Es mutet wie eine Mischung aus dem üblichen und dem argentinischen Spanisch an. Wörter des alltäglichen Gebrauchs sind besonders von regelmäßigen Änderungen bedacht. So wird ein kleiner Laden, der die geläufigsten Sachen des täglichen Bedarfs veräußert hier „Despensa“ genannt. Fragt mich nicht warum.

In Asunción kreuzt zufällig mein Weg den von Rosa und wir freuen uns riesig nach so langer Zeit wieder gemeinsam zu reisen. Nach einem gemeinsamen Chipa am Abends starten wir zu einem neuen gemeinsamen Abenteuer am folgenden Tag. Unser Ziel ist das einzige Highlight welches Rosa sich schon vor der Reise vorgenommen hatte. Wir sind gespannt.


Mrz 18 2019

Fran, Chaco und Erdnuss

Von Karl

Filadelfia

 

Auf dem Weg nach Filadelfia

Gerade habe ich die Grenzkontrolle samt Sonnenaufgang hinter mir gelassen. Der Bus ruckelt nun ins Innere Paraguays vor. Die Grenzkontrolle war außergewöhnlich skeptisch. Jede*r einzelne musste mit ihren*seinen gesamten Gepäck sich einer intensiven Kontrolle unterziehen. In Reihen mussten wir uns aufstellen mit dem Gepäck vor uns.

Die Landschaft ist stark vom Chaco geprägt. Der Chaco ist eine trockene Naturlandschaft die am ehesten einer Savanne ähnelt. Mein erster Eindruck in Paraguays Natur ist die Vielfalt an Schmetterlingen. Sie schwirren am Straßenrand in großen Gruppen umher.

Die unerbittliche Sonne sorgt in dieser Region für die höchsten Temperaturen des Kontinentes und nun ist ja auch noch zu allen Überdruss Sommer. Was aber auch bedeutet, dass es Regenzeit ist und deshalb alles grün spriest. Später werden mir Bilder gezeigt, dass die Landschaft im Winter auch gelb sein kann.

Paraguays einzige Straße quer durch den eigenen Westen zur bolivianischen Grenze wurde irgendwann mal in den 60ern gebaut. Entsprechend ist die Ruta 9 oder Trans-Chaco genannt teils auch eher Sandpiste mit Asphaltinseln, um die der Bus dann bedächtig zirkelt. Der Bus entwickelt sich langsam zum Treibhaus. Hinzu kommt, dass der Bus immer mal hält, weil irgendwas mit dem Bus nicht stimmt und nun auch noch der Motor raucht, der bei diesem Modell noch neben dem Fahrer ist. Sie suchen offensichtlich eine Möglichkeit etwas zu reparieren.

Wir gelangen an einen weiteren Kontrollposten der Polizei und müssen erneut alle aussteigen und unser Gepäck aufreihen. Hinter dem Gepäck stehen wir und warten, dass die Pässe erneut kontrolliert werden. Erst kommt der Drogenhund, der aber nichts findet. Als dann jede*r durchwühlt wurde, warten wir dass der Bus zurückkehrt von der Werkstatt. Hier im nirgendwo lebt ja so gut wie niemand und die nächsten Siedlungen sind ziemlich weit entfernt. Hier sind mehrere Stunden Abstand die Normalität. Nach unzähliger Zeit kommt das altersmüde Monster doch wieder angerollt und es geht weiter. Der Bus wird unzählige weitere Male von der Polizei angehalten und kontrolliert. Nie haben sie was gefunden und wenn ich Drogen-Schmuggler wäre, ich würde nicht den Bus nutzen. Hintergrund ist wohl, dass Paraguay der größte Cannabis-Produzent Südamerikas ist. 90 % kommen von hier. In manchen Ecken lebt die Bevölkerung überwiegend vom Anbau und ist das ärmste und schwächste Glied in der Kette. Reich damit werden andere.

Ich spreche nochmal den Fahrer an, dass ich ja in Filadelfia aussteigen möchte. Anders als noch in Santa Cruz mir versichert wurde, wollen sie doch nicht nach Fildadelfia hineinfahren. Das wäre zu weit abseits der Straße. Kaum verwunderlich aber ärgerlich. An einem Abzweig lässt mich der Bus dann raus. Mitten in der Hitze des Tages. Selten habe ich so stark den Hitzedruck der Sonne gespürt.

Ein paar Jugendliche am Straßenrand meinen dass von hier nichts in die Stadt fährt. Gut, hier an der Kreuzung ist ja auch nicht viel. Ein paar kleine Häuser und Läden. Nun also der Daumen, mein alter Freund und Feind. Etwas über 10 km, vielleicht 15 km, muss ich überwinden. Zu spät bin ich eh schon.

Ich bekomme tatsächlich das ein oder andere Angebot, aber nach Filadelfia rein fährt niemand. Ein Pärchen meint dann, dass es mich zu einer besseren Stelle bringen könne. Der Haupteinfallsstraße nach Filadelfia. Das ist schon mal ziemlich nett.

Schnell wird klar, dass der Mann deutsch spricht und wir kommen ins Gespräch, wenn auch wegen der Kürze der Strecke, auch nicht lange. Er meint, viele sprechen hier deutsch, es gibt viele Mennonit*innen. Einige habe ich schon in Santa Cruz, auf der Straße und im Bus gesehen. Manche tragen noch Klamotten wie vor hundert Jahren, andere nehmen sich ganz modern aus. Mein Fahrer ist doch eher moderner. Seine Frau Venezolanerin.

An der Hauptstraße lässt er mich dann wieder raus und wir wuchten meinen Rucksack von der Ladefläche des Geländewagens. Tatsächlich ist die Straße etwas größer ausgebaut. Keine halbe Stunde später sitze ich in einem ähnlichem Fahrzeug. Mit so viele Gastfreundlichkeit hätte ich ja nicht gerechnet. Es fährt Hans, oder so ähnlich, ein alter weißer Mann, der mir auf fast perfekten Deutsch ungefragt alles mögliche über Filadelfia und die Mennonit*innen erzählt. Er sei der einzige registrierte Fremdenführer und hätte schon dem NDR hier alles gezeigt, als die mal zu Besuch waren. Grund ist, dass die Mennoniten untereinander Plautdietsch sprechen, ein ziemlich schwer zu verstehender Dialekt, der am ehesten mit dem Niederdeutschen verwandt ist. Ich hab mal ein Textbeispiel für euch photographiert. Stammt aus einem kleinen Magazin, welches sie rausgeben.

Filadelfia

Die geographisch Fitten unter euch werden vielleicht etwas stutzig sein über den Namen dieser Stadt. Gewöhnlich kennen wir die Schreibweise „Philadelphia“ und die wohl bekannteste Namensträgerin ist eine Millionenstadt an der Ostküste der USA. Damit aber die spanischsprechende Bevölkerung Paraguays die Stadt „richtig“ ausspricht, wurde der Name eingespanischt.

Filadelfia liegt so ziemlich im Zentrum von Paraguays Westen. Paraguay ist in verschiedener Hinsicht in einen West- und einen Ostteil geteilt dessen Grenze der Rio Paraguay ist, der wohl auch der Namensgeber ist. Die beiden Teile sind in etwa gleich groß, doch lediglich 10% leben in der Westhälfte. So ziemlich alles liegt im Osten. Nur ein paar Mennonit*innen und Indigene besiedeln den Westen, der gemeinhin einfach als Chaco bezeichnet wird. Es soll sogar noch unkontaktierte indigene Gemeinschaften geben.

Filadelfia ist Zentrum der größten mennonitischen Siedlung, welche sich in Kooperativen zusammen schlossen und so ihre Arbeit organisieren. Die Kooperative um die sich Filadelfia entwickelt, nennt sich Fernheim.

Auf den Weg in die Stadt fällt auf, dass es unzählige Monumente gibt, die alle zehn Jahre aufgestellt worden sind, um an die Erstbesiedlung zu erinnern. Paraguay und Bolivien stritten sich damals um den Chaco, vielleicht auch, weil eine Ölfirma Erdöl dort vermutete. Paraguay bot günstig Siedlungsland und die Mennonit*innen, die ursprünglich aus Deutschland nach Russland siedelten, verließen grad Russland aus Angst vor Stalin. So versuchte Paraguay das Land für sich zu vereinnahmen. Kurz darauf kam es zum Chaco-Krieg den Paraguay für sich entscheiden konnte. Später hat Paraguay dann doch kein Öl vorfinden können.

Die Stadt ist im Schachbrett angeordnet mit teilenden Strukturen. Die nördliche Hälfte wird von großen mennonitischen Villen belegt. Der Südwesten von vier verschiedenen indigenen Gruppen, die alle in Comunidades zusammenleben und zum Teil extrem ärmliche Behausungen haben. Die vier Gruppen heißen Enhlet, Avoreo, Nivaclé und Guaraní. Im Südosten der Stadt leben die Paraguayos in einfachen Häusern.

Altenheim

Hans hatte mich ein Block von der zentralen Kreuzung entfernt rausgelassen und so konnte ich zu Fuß mein Ziel erreichen. Die Apotheke im Zentrum. Gut, die Stadt ist nicht allzu groß, sodass Stradtrand und Zentrum keine 5 Minuten bei Auto auseinander liegen. Ich versuche es erstmal mit Warten und entdecke unzählige Plakate und Schilder, die in Deutsch gehalten sind. Äußerst kurios. Die Apotheke macht grad aber Siesta. Eigentlich sollte ich mich mit der Mitbewohnerin von Fran, meinem Gastgeber treffen, aber das war vor drei Stunden. Aus vielerlei Gründen bin ich ziemlich spät dran.

Hinter der Apotheke frage ich im Krankenhaus nach ihr. Sie habe mal in der Apotheke gearbeitet, nun wäre sie aber im Altenheim beschäftigt. Ich habe übrigens noch nie in Südamerika ein Altenheim gesehen. Etwas verwundert, laufe ich einen Block weiter und tatsächlich, da steht Altenheim, sogar in Deutsch, dran.

Es ist schwer dort jemand zu finden, bis ich dann Pfleger*innen im Aufenthaltsraum antreffe. Yenni habe grad keine Schicht. Eine Pflegerin versucht ihre Telephonnummer herauszufinden. Währenddessen betrachte ich verwundert das Dutzend altersschwache*r Rollstuhlfahrer*innen an. Mit spanischen Akzent spricht eine Pflegerin einen alten Mann sehr laut auf deutsch an. Erst versteht er nicht, dann sagt er nur „ja, ja“. Ganz wie in Deutschland, denke ich. Die anderen sind allesamt dem Fernseher zugedreht, wo eine ziemlich klischeegeladene Doku über die Bergwelt Perus läuft. Auch auf deutsch. Total ungewohnt, dass alles verständlich ist, nur die einheimische Bevölkerung bevorzugt mit mir spanisch zu sprechen.

Schlussendlich kann ich dann ein Treffen mit Yenni an der Hauptkreuzung organisieren und auf dem Rücksitz des Rollers geht‘s an den Ortsrand. Mitten auf der grünen Wiese des Nachbarn wurde aus roten Backsteinen ein Häuschen für zwei Personen gebaut. Fran und Yenni sind Mitbewohner*innen und teilen das meiste. Oft sitzen sie gemütlich auf der überdachten Terrasse. Besonders Yenni ist eine Freundin des gemütlichen Lebens. Wir trinken Bier, Rauchen, genießen die Natur. Es ist nun mal auch ein einmaliger Ausblick, denn kaum ein Ort liegt so abgelegen.

Später treffe ich Fran, ein weltoffener und immer freundlicher Mensch. Er zeigt ein sehr hohes Vertrauen und gibt mir den Schlüssel zu seinem Cross-Motorrad. Nach einer kurzen Fahrt gemeinsam.

Sie machen mich auch gleich mit zwei paraguayische Spezialitäten vertraut, die sich ziemlich ähneln. Sie bestehen größtenteils aus Mais, sind herzhaft und sehen aus wie gelber Rührkuchen. Das lustige ist, dass das eine den Namen „Sopa“, zu deutsch „Suppe“, trägt. Paraguay, so meinen sie, ist das einzige Land, dass eine feste, also nicht-flüssige, Suppe auf dem Speiseplan hat. Hauptbestandteil soll Maismehl sein. „Chipawasu“ dagegen wird aus ganzen Mais, Zwiebeln und Käse gemacht. Übrigens auch lecker.

Was besonders für die Region ist, dass es kein Wasserverteilsystem gibt und es auch im Allgemeinen kaum Regenwasser gibt. Deswegen wird jeder Quadratmeter Dachfläche genutzt um Wasser in einer Zisterne zu sammeln. Ab und zu schaltet er die Pumpe an, damit das Wasser in ein Dachbehälter fließt, womit dann geduscht und alles mögliche ganz gewöhnlich gemacht werden kann. In der Trockenzeit wird es wohl manchmal kritisch. Das entsalzte Grundwasser, welches die Mennonit*innen anbieten soll sehr teuer sein.

Erdnuss

Mit Bier und guter Unterhaltung verbringen wir den Abend auf der Terrasse. Mir wird nun erst richtig bewusst wie laut die Natur in meiner Umgebung hier ist. Ein massives Zirpen kommt aus den dichten Gras- und Baumlandschaften in der Nähe und machen auch noch in der Nacht ein extremes Konzert. Wären wir so dem Naturkonzert lauschen, geht der Mond auf. Es ist tatsächlich eines der schönsten Momente, denn der Mond scheint erst ein Feuer am Horizont zu sein, dass mitten in der dunkelsten Nacht ausgebrochen ist und reiht sich dann zwischen die Millionen Sterne ein, die schon den Himmel besprenkeln. Irgendwann muss ich aber auch von den vielen fliegenden Blutsaugern flüchten.

Fran ist Chef der Apotheke und vielleicht auch deswegen gut vernetzt. Er sprach von einer Erdnussfabrik und sofort wurde ich hellhörig. Am nächsten Tag schwinge ich mich wieder aufs Motorrad und fahre dorthin. Eine Mennonitin ist Chefin der Laborabteilung und nimmt mich in Empfang. Sie zeigt mir die verschiedenen Teile der Untersuchungsabteilungen, die zum einen die eigenen Produkte auf Unbedenklichkeit prüfen, als auch mit neuen Ideen experimentieren. Hinzu kommt, dass eine kleine Menge Erdnüsse gesalzen und geröstet in der Umgebung verkauft wird.

Leider ist gerade nicht die Saison, aber sie zeigt mir die Lagerhallen und Abfertigungsanlagen trotzdem. Teils sind sie so groß wie Hochhäuser und es unvorstellbar, dass sie auch schon an ihre Grenzen kamen. Es gab aber auch schon Dürren, wo kaum Erdnüsse zu verkaufen waren.

Die Bäuerinnen und Bauern sind auch Teil der Kooperative Fernheim. Lediglich in großen verpackten Säcken, teils nur noch mit dem Gabelstapler zu bewegen, lagern noch Erdnüsse auf dem Gelände. Lange Zeit waren Erdnussschalen ein Problem gewesen, meinte sie, denn es ist Müll der in großen Mengen anfällt und weggeschafft werden muss. Mittlerweile können sie ihn aber als Tierfutter verkaufen. Ohne Schale können mehr Erdnüsse pro Container verkauft werden. Die Haut von der Erdnuss wird je nach Kunde oder Kundin entfernt. Werden die Erdnüsse später mit Schokolade glasiert, so bleibt die Haut dran, weil die Schokolade daran besser haftet.

Der Absatz von Erdnüssen aus Paraguay ist dabei ziemlich beschwerlich, weil der Ankauf der Produkte meist erst im Hafen in Europa stattfindet. D.h. der Transport bis dahin muss im Preis enthalten sein. Die Erdnüsse aus Filadelfia müssen erst nach Asunción, dann weiter via Fluss oder Straße nach Buenos Aires und dann über’n Atlantik. Die argentinischen Produzent*innen haben jedoch viel größere Produktionsanlagen und haben deutlich geringere Transportkosten. Dies bedeutet für die die paraguayischen Erdnüsse, dass sie den Standortnachteil zusätzlich kompensieren müssen.

Zurück in ihrem Büro erklärt sie mir noch an einer Tafel die Kooperative Fernheim. Zu dieser gehört im Prinzip alles in Filadelfia. Der Supermarkt, das Altenheim, die Apotheke von Fran, das Hotel, das Krankenhaus, die Straßen, das Stromkraftwerk, Grundwasserentsalzungsanlage, und so weiter und so fort. Dabei wird in Wirtschaftsbetriebe und Soziales unterschieden. Was die einen erwirtschaften können die anderen als Wohltätigkeit ausgeben. Sie bietet mir an eine Stadtführung zu geben und wir verabreden uns für später.

Hygiene

Mit Fran besuche ich das Heimatmuseum. Ja, was eine gute deutsche Stadt halt immer braucht, ist eine deutschtümelndes Heimatmuseum. Allerlei Gegenstände aus den Anfängen in Filadelfia beziehungsweise der Flucht aus Russland, die wohl oft über einen deutschen Hafen ging. Empfehlen kann ich da eher das Naturkundemuseum, dass eine fulminante Sammlung der hiesigen Tier- und Pflanzenwelt hat. So gibt es Gürteltiere, Nabelschweine, Hirsche, Tapire, Guanakos, Jaguare, Pumas, Ozelots, Füchse, Wild- und Waldhunde und Wölfe. Aber auch die kleineren Vertreter sind ziemlich groß. Käfer und Mücken von der Größe einer Maus können durch die Luft schwirren.

Der wohl beeindruckenste Baum ist der Florettseidenbaum. Er hat die Form eines übergroßen Tropfens. Unten sehr bauchig und läuft dann auf 10 bis 15 Meter nach oben zusammen.

Da grad Regenzeit ist saugt sich der Baum weiter voll und ist entsprechend dick. In der Trockenzeit soll er nicht mal grün sein, aber zu meiner Zeit ist er es. Auf seinen dicken Bauch hat er Stacheln angebracht. Im Naturkundemuseum bekomme ich ein Stück Stamm in die Hand gedrückt. Im Vergleich zu den harten Hölzern der anderen Bäume, die extrem schwer sind, ist dieser sehr leicht. Ungewöhnlich leicht. An dem Holzscheit sind die Kammern gut zu erkennen in dem er Wasser sammeln kann.

Zu guter Letzt wird mir noch die Missionsarbeit gezeigt, was bis heute durchgeführt wird. Ich dachte, dass wäre irgendwann mal im Mittelalter gewesen, aber tatsächlich versuchen die Mennonit*innen heute noch die Indigenen vom Christentum zu überzeugen und dann zu taufen. Gut ist wer sich bekehren lässt. Noch sind sie dabei für die letzte indigene Sprache die Bibel zu übersetzen. Etwas ungläubig brechen wir an der Stelle ab und Fran und ich verschwinden.

Die gute Frau aus der Erdnussfabrik erwartet mich schon pünktlich vorm Supermarkt, der – so wie er ist – auch gut und gerne in Deutschland hätte stehen können und viele Produkte von dort enthält. Sie erklärt mir, dass die Mitarbeitenden und Mitglieder der Kooperative in allen eigenen Geschäften mittels einer Nummer einkaufen, sodass das Geld direkt von ihren Konto abgezogen wird. Jedes Mal als ich einkaufen war, bekam ich auch einen A5-Zettel mit Rechnungsübersicht.

Wir fahren einmal durch alle Viertel und sie erklärt lose vor sich hin. Dabei sind ihre Erzählungen über die verschiedenen Ethnien angereichert durch ihre rassistische Weltsicht. Sie erklärt mir, welche Gruppen für welche Arbeiten in ihren Fabriken, Feldern oder zu Hause geeignet wären. Das die einen nicht sauber machen könnten und die anderen gut sind um Felder zu vermessen. Als wir dann zu allen Überdruss noch in eine sehr enge Comunidad fahren, die nur aus ein paar Bretterverschlägen besteht möchte ich in dem Sitz versinken. Eigentlich spielten gerade ein paar Kinder Fußball, aber sie wendet mitten auf deren kleinen Platz. Sie dreht mit ihren übergroßen SUV mitten in der Siedlung und erklärt mir, dass „die noch nicht hygienisch“ genug seien.

Unterm Strich möchte auch sie keine Rassistin sein, aber es gab mir schwer zu denken. Sie meinte, dass es auch schon erste Indigene in den Kooperativen gäbe, aber die müssten halt den Aufnahmeprozess bestehen und das heißt im wesentlichen wohl so zu sein wie die Mennonit*innen. Sie hörte nicht auf mir weitere „ethnologische“ Erklärungen zu liefern. Eigentlich stellt sie die Mennonit*innen als die großen Heilsbringer dar. So hätten sie der einen Gruppe einen betonierten Mehrsport-Platz überdacht und mit großen Zisternen zur Wassergewinnung ausgestattet. Doch die Zisternen werden nicht genutzt. Sie seien halt nicht klug genug schon an morgen zu denken, sondern täten alle nur ans heute denken und wären dann überrascht wenn am nächsten Tag nicht genug da ist. An morgen täten halt nur die Mennonit*innen denken.

Schon in der Fabrik sprach sie davon, dass auch Frauen und Indigene beschäftigt werden, aber deren Arbeitsplätze sind schlussendlich wohl nicht gleichzusetzen. Während die einen wie Lebensmittel-Ingenieure in klimatisierten Räumen in aller Seelenruhe Proben nehmen, stehen die anderen an den lauten Maschinen in einem kleinen Raum und kontrollieren die durchlaufenden Erdnüsse.

Schlussendlich seien ihrer Meinung nach wohl viele Indigene auch nach Filadelfia gekommen weil sie sich Arbeit erhoffen. Das sah sie auch als ihre Aufgabe in Zukunft mehr Arbeit zu schaffen. Filadelfia sei im Wachstum begriffen. Leider wäre es dadurch nicht mehr so sicher wie vor ein paar Jahren. Da habe niemand den Autoschlüssel abgezogen oder die Haustür verschlossen. Auch die Stadtverwaltung gäbe es erst sein wenigen Jahren. Vorher war die Stadt komplett von der Kooperative verwaltet. Einige Sachen wollen sie nicht zurück geben, weil sie glauben, das besser machen zu können. Zum Beispiel den Straßenbau.

Wer an dem Kraftwerk vorbei kommt und weiß, dass auf der anderen Seite das paraguayische Kraftwerk steht, wird unweigerlich überlegen ob nicht der NDR nochmal mit Extra3 vorbeikommen sollte. Es gibt im Prinzip alles nochmal in mennonitischer Hand. Bis hin zu einer eigenen Post. Nachdem ich nun weiß, was der paraguayische Staat alles nicht perfekt macht und warum die anderen Gruppen nicht so gut sind, wie die deutschen Mennonit*innen, zeigt sie mir noch die großen Anwesen auf der Nordhälfte. Hier wohnen viel weniger Menschen in viel größeren Häusern. Es sind die Besitzenden und sogar Paraguay-weit dominieren die Mennonit*innen einige Wirtschaftszweige, insbesondere in der Landwirtschaft.

Guaraní

Zurück bei Fran bin ich auch irgendwie froh, nicht bei Mennonit*innen zu wohnen. Sie können mir auch bestätigen, dass viele Mennonit*innen klare rassistische und überlegene Weltbilder haben. Natürlich nicht alle. Fernheim ist vergleichsweise modern. Es gibt andere Kooperativen und die deutlich verschlossener sind und noch gefühlt im Mittelalter leben. Fran meint, dass die Indigenen in vielerlei Hinsicht respektiert und unterstützt werden. In keinem anderen Land Südamerika wurde das mit Anerkennung einer indigenen Sprache als Amtssprache so ernst genommen wie in Paraguay. Nun lernen alle in der Schule auch Guaraní und eine deutliche Mehrheit spricht diese Sprache. Guaraní bezeichnet sowohl eine indigene Gruppe, als auch ihre Sprache, sowie die paraguayische Währung und noch einiges mehr.

Besonders ärmere bevorzugen Guaraní und unterm Strich sprechen die meisten einen Spanisch-Guaraní-Mix. Je gehobener desto mehr Spanisch. Für euch ein paar Wörter in Guaraní:

mba‘eichapa = Hallo! Wie geht‘s?

Porá ha nde? = Gut, und dir?

Jaha = Auf geht’s!

Ja‘u = Lass uns was essen/trinken

„Danke“ lässt sich nur schwer übersetzen, weil es je nach Kontext verschiedene Wörter gibt. Deshalb hat sich da das spanische „Gracias“ durchgesetzt. Tatsächlich konnte ich zuhören wie sich Fran mit seiner Mitbewohnerin in Guaraní unterhielt, obwohl sie beide keine Guaraní-Indigene sind. Hier ein Hörbeispiel, extra für euch aufgenommen.

In den Argentinien-Texten habe ich euch von der Mate-Tradition berichtet. In Paraguay gibt es diese Tradition auch, allerdings mit kalten Wasser, meist sogar mit Eiswürfeln. Diese Variante nennt sich dann Tereré. Ich finde diese auch deutlich leckerer, weil es viel besser zu den heißen Wetter passt. An einem Tag habe ich mehrfach das Thermometer beobachtet und es verharrte bei durchgehend 39 Grad. Da ist es eine Wohltat mit Fran während der Spätschicht in der Apotheke Tereré zu trinken. Die Thermosbehälter sind in Paraguay größer. In manchen Läden können riesige Bottiche gekauft werden, so groß wie ein kleiner Kühlschrank. Das Tereré-Trinken ist auch ein sozialer Aspekt, da gemeinsam getrunken wird und nur dann allein, wenn mensch wirklich ganz allein ist. Eine Person gilt dabei als Ausschencker*in, d.h. zu der geht das Gefäß immer wieder zurück und sie füllt auf.

Auf den Weg zum Bus lies mich Fran sein Auto fahren, denn er genoss es einen Chauffeur zu haben. Da die Wege, bis auf die Hauptstraßen im Zentrum, nur aus Sand bestehen, verwandelten diese sich nach einem heftigen Regenschauer in Schlammpisten. Aber nicht nur das. Nach dem Regenschauer, wenn die Sonne die Wiesen trocknet schwillt das Naturkonzert, das Zirpen, so stark an, dass ich tatsächlich ins innere des Hauses flüchtete. Es ist schwer zu glauben, wenn mensch es nicht erlebt hat. Hier ein Hörbeispiel, für euch aufgenommen.

Nun, auf dem Weg zur Haltestelle, bin ich etwas von der Mitte abgekommen und da es sehr rutschig und zu den Seiten abfällig ist, rutschte sein Auto direkt in den Seitengraben, der sich zu einen Wasserkanal entwickelt hatte. Ich sah vor meinem inneren Auge schon, dass das Auto hinüber ist, doch Fran blieb ziemlich gelassen. Er rief einen Freund an, aber schon der zweite Geländewagen hatte ein Seil dabei und band dies um das Hinterrad. Dann zog er das Auto in der spektakulären Aktion den Graben entlang, während der Geländewagen selbst ausrutschte und zur anderen Seite strebte. An der nächsten Kreuzung hievte er aber Frans Auto aus dem Graben. Der lies es einfach an und wir fuhren weiter. Was für mich ein halber Schock war, scheint für ihn so oder so ähnlich öfters mal vorzukommen.

Ich hab die Tage bei Fran wirklich genießen können. Er hat ein sehr großes Herz und half mir in jeder Hinsicht. Eine echt außergewöhnliche Gastfreundschaft. Umso falscher fühlte es sich wieder an, in den Bus nach Asunción zu steigen. Er hat mir sogar ein zu Hause in meinem nächsten Ort organisiert.


Mrz 15 2019

Santa Cruz #5

Weihnachten

Nach dem Paraguay-Tripp bleibe ich länger im schönen Santa Cruz und genieße die Tage. Ich fühl mich schon fast heimisch. Azuls Familie hat noch eine weitere Couchsurferin aufgenommen. Lida aus der Ukraine. Ihre Familie wohnt im Kriegsgebiet und selbst ist sie Energie-Ingenieurin. Sie scheint etwas verrückt zu sein. Azul bringt sie bei ihrer Familie unter, die allesamt nur Spanisch sprechen. Die Eltern könnten noch Quechua. Lida wiederum kann nur Englisch anbieten mit einem krassen Akzent. Wie sie sich unterhalten bleibt mir ein Rätsel, aber das Verhältnis war die ganze Zeit ziemlich gut.

Es geht auf Weihnachten zu. Ein sehr großer Markt in Santa Cruz wird zum Anlaufpunkt für alle und die meisten kaufen dort noch am 24ten ihre Geschenke. Chinesische Plastik-Produkte soweit das Auge reicht. So ziemlich alles was Kinder toll finden und keiner braucht. Wir kaufen auch ein paar Geschenke. Glücklicherweise werden ausschließlich Kinder beschenkt. Zu Weihnachten gehört auch Panetón. Es ist im Prinzip Stollen jedoch ohne Zucker- oder Butter-Decke. Ziemlich lecker wenn ihr mich fragt.

Die Vorweihnachtszeit ist bei weitem nicht so ausgeprägt, wie ich das in Deutschland kenne. Das Leben ist wie immer, nur manche Geschäfte dekorieren im Dezember und auf dem Plaza 24 de Septiembre wurden Lichter aufgehängt.

Fast schon lustigerweise enthalten die Dekos (Plastik-)Tannenbäume und Schnee-Imitate. Auch die Lieder handeln davon. Zum einen hat kaum jemand hier jemals Schnee berührt, noch wäre die Wahrscheinlichkeit im Hochsommer, der nun mal dann ist, wenn in Europa Winter ist, dass es schneit, nicht sonderlich hoch. Warum sie nicht einen Baum aus ihren Breitengraden wählen, können sie mir auch nicht sagen. Zu Weihnachten gehört hier auch das Knallern, was in Deutschland ja nur für Silvester vorgesehen ist. Raketen kommen aber kaum zum Einsatz. Es wird im Kreise der Familie gefeiert.

Der Höhepunkt ist das ausgiebige Mahl um Mitternacht. Gekocht hat wieder eine enge Bekannte. Es gibt ein breites Buffet inklusive toten Ferkel. Alle haben sich etwas hübscher gekleidet. Nach dem Schlemmen dürfen die Kinder dann die Verpackungen unterm Baum zerstören.

Lida und ich bekommen auch Geschenke, genauso wie so fast alle von den Eltern eine Kleinigkeit erhalten. Wir sitzen noch eine Weile zusammen und ich muss mein neues bolivianisches T-Shirt einmal für alle anziehen. Am nächsten Tag ist Weihnachten dann auch schon vorbei und ich versuche in dem ich einige Eierkuchen mache etwas an die Familie zurückzugeben. Dankenswerterweise führen sie einen kleinen Laden und ich kann direkt alles dafür dort bekommen. Leider sind Süßspeisen keine vollwertigen Mahlzeiten, erklärt mir Azul später, sodass sie es als Nachtisch essen.

Nächster Halt: Paraguay

Wie schon erwähnt, bin ich zwei Mal in Santa Cruz gewesen und entsprechend zwei Mal nach Paraguay gereist. Die Busse sind bekannt als die wohl ältesten Südamerikas und besseres kann ich auch nicht berichten. Sie werden zwar mit Essensversorgung beschrieben, aber die ist auch eher minimal. Die Fahrtzeit nach Asunción wird von den Verkäufer*innen mit 20 oder 22 Stunden angegeben, aber 24 und mehr Stunden sind realistisch. Es fahren nicht sehr viele Leute mit dem Bus, sodass meist einige Plätze frei sind. Zwei Mal die Woche soll ein klimatisierter Bus fahren, was angesichts der Hitze im Chaco die gerne Spitzen über 40 Grad erreicht eine gute Wahl ist. Ich konnte den leider nie wählen. Die Busse fahren am frühen Abend ab und kommen am frühen Morgen an die Grenze. Es gibt nur einen pro Tag. In einem gemeinsamen Grenzposten wird dann die Migration durchgeführt.

Es fahren vier verschiedene Firmen, die angeblich aber alle dem selben Eigentümer gehören. Angeblich nehmen alle immer den gleichen Preis. Ich kann aber berichten, dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Preise bezahlt haben. Die Firmen haben sich die Wochentage aufgeteilt.

Azul hatte sich entschieden mich für die weitere Reise zu begleiten. Hintergrund ist, dass sie eigentlich die Zeit in Europa verbringen wollte, dies ging aber nicht, weil sie kein Visum erhielt. Es gibt einen offiziellen Prozess, der bei der Botschaft des Ersteinreiselandes des Schengen-Raumes im Herkunftsland beginnt. Doch es werden unendlich viele Dokumente verlangt, dass der Eindruck entsteht, dass versucht wird, die Einreise bewusst zu verhindern. Bis hin zu Schulabschluss-Zeugnissen und Haus-Besitz-Nachweis. Etwas was wohl viele nicht haben. Azul meinte, dass vielleicht 5 % der Antragsteller*innen das Visum für ihre Reise erhalten. Meist auch nur wenn schon eine frühere genehmigte Reise vorlag. Sie hat aus der Not eine Tugend gemacht und kurz nach Weihnachten haben wir uns auf den Weg gemacht. Nicht ohne eine erste Lektion über unsere Unterschiedlichkeit.

Beim ersten Mal bin ich noch allein nach Paraguay gereist und der Bus fuhr ziemlich pünktlich ab. Mir ist bekannt, dass es nicht üblich ist pünktlich zu sein und oft tut dies ja der Sache kein Abbruch. Leider bin ich gewohnt und damit aufgewachsen, Tickets zwei Monate vorher zu buchen um dann eine halbe Stunde bevor um 17:31 von Gleis 4b die Regionalbahn nach Kleinkauderwelsch abfährt zu warten. Nun, was soll ich sagen, zehn Minuten vor der offiziellen Abfahrtszeit verlassen wir erst das Haus und ich hab schon ziemlich Druck gemacht. Azul meint aber, dass ich ziemlich Stress mache. Stimmt bestimmt auch. Stimmt auch schon seit einer Stunde. Bis zum Busbahnhof ist es eine gute halbe Stunde. Gut, unterm Strich fuhr der Bus zwei Stunden später ab. Sodass sie Recht behalten sollte und ich mir noch leckere Cuñapes kaufen konnte. Sind Brotkugeln mit intensiven Käsegeschmack und unter anderem Namen eher aus Brasilien berühmt (Pão de Queijo).

Damit endet dann auch nach vielen Tagen der schöne Aufenthalt in Santa Cruz, aber mit Azul habe ich mir Stück Santa Cruz für die nächsten Wochen eingepackt.

Die nächsten Berichte werden aber erstmal meinen Trip nach Paraguay behandeln


Mrz 14 2019

Santa Cruz #4

Samaipata

Kurz vor Weihnachten unternehmen wir noch eine kurze Reise ins zwei Stunden entfernte Samaipata. Ein kleiner Ort auf dem Übergang vom Flachland zum Hochgebirge. Die Straße gen Westen laufend fängt diese irgendwann an sich zu schlängeln und wir durchfahren grüne Täler mit tiefen Flüssen. Der Ort ist von vielen Reisenden frequentiert und ein wenig Hippie-Flair bekommen. Plötzlich gibt es veganes Essen, Spanier*innen mit Dreadlocks die Armbänder verkaufen und Bücher von indischen Sektenführer. Ein Block vom Marktplatz entfernt durchstreifen wir eine Straße mit allerlei Gemüse- und Obstständen. Wir decken uns für die kommenden Tage ein.

Azul macht zwei Motorräder klar, die uns auf halbe Strecke zur touristischen Attraktion bringen sollen. Außerhalb gelegen befindet sich die Attraktion Samaipatas und der Weg dahin führt über eine einsame kleine Straße durch die Berge.

Wir gehen noch wenige Meter und finden einen Hang an dem wir ein Platz für das Zelt finden. Zwischen wilden Bäumen und Pflanzen falte ich die Sandwichs und genieße einen Ausblick auf das Tal vor mir. Grün ragen links und rechts die Hügel auf und gerade aus sinkt das Tal ab bis eine Kurve mir den Blick nimmt. An mancher Stelle hat sich der Mensch häuslich gemacht und auch unser Platz sieht aus, als wenn hier ein Feld vorbereitet wird oder versucht wurde.
Ein Berg aus Decken macht es bequem zu schlafen. Der kommende Morgen ist von mystischen Nebel begleitet. Die Pflanzen glänzen mit frischen Tau und folglich müssen wir das Zelt ziemlich nass zusammenfalten. Ich genieße den weiten Blick, der immer wieder vom Nebel frei gegeben wird. Ruhe liegt hier. Viel frische Energie in der Luft. Ich genieße.

Zurück auf der Straße, versuchen wir es mit dem Daumen und tatsächlich hält schon bald ein Pärchen an und nimmt uns mit zur Fuerte de Samaipata. Dies ist eine Weltkulturerbe-Stätte mit Ruinen aus der Inka-Zeit. Da es vermutlich ein Ort für Zeremonien gewesen war, ist es wohl der einzige überhaupt bei dem Inka-Zeremonien sich finden lassen. Die Konquistadoren haben ja nicht viel übrig gelassen.
Wir kommen in Begleitung schweren Regens auf die 40 Hektar große Anlage. Da sich alles auf einen Gipfel befindet müsste der Ausblick schön sein, doch für uns ist nur eine weiße Wand zu sehen. Der wichtigste Teil ist ein Sandstein-Felsen der auf 40 mal 200 Metern behauen wurde. Zahllose Linien, Symbole und Tierdarstellungen sind zu sehen. Zwei Linien verlaufen in exakter Ost-West-Richtung. An anderer Stellen gab es weitere archäologische Funde die bis 1.500 vor unserer Zeit reichen.
In meinen Schuhe transportiere ich reichlich Wasser und bin irgendwie froh wieder am überdachten Ausgangspunkt anzukommen. Während wir genüsslich bolivianische Erdnusssuppe schlürfen kommen wir mit den Tischnachbarn ins Gespräch. Solltet ihr mal nach Bolivien kommen so empfehle ich euch wirklich mal „Sopa de Maní“ (Erdnusssuppe) zu probieren. Das ist ziemlich lecker und gibt es wohl an vielen Ecken. Ich falte noch ein Paar Sandwichs und wir teilen fröhlich mit den beiden aus Santa Cruz. Als wir erfahren, dass sie genau dorthin zurück fahren werden, fragen wir nach einer Mitfahrgelegenheit und schwubbdiwupp sparen wir uns die aufwändige Rückfahrt.

Sie sind außerordentlich freundlich und wir halten noch an weiteren schönen Orten, wie beispielsweise einen hübschen Wasserfall. Wir teilen was wir haben, bis wir dann doch etwas einschlafen. Zwischenzeitlich wird es dunkel und es ist die Nacht hereingebrochen als wir wieder in Santa Cruz aussteigen. Sie lehnen es ab, dass wir Ihnen etwas Spritgeld geben. Wir schenken eine Flasche Rotwein die wir nicht getrunken hatten. Noch beeindruckt von der überragenden Nettigkeit der beiden brechen wir zu einen Freund Azuls auf.
Daniel ist Franzose oder Russe beziehungsweise beides. Spricht noch einige weitere Sprachen und hat schon in einem guten Dutzend Ländern gelebt. Er macht sich ziemlich ruhig, leise und schüchtern aus, ist aber ziemlich groß. Als Flugcaptain bereist er eh die ganze Welt. Mittlerweile hat er nach wenigen Jahren auch wieder Santa Cruz verlassen und lebt nun in Ecuador. Ein Leben was für manchen romantisch klingen mag doch Freundschaften und Beziehungen werden dadurch nicht befördert. Er lebte in einen der vielen Hochhäusern denen ich auf meiner Reise begegnet bin. Hier wohnen wohlhabende Leute hinter Stacheldraht mit Wache, Klimaanlage und Tiefgarage. So ziemlich alles, was sich viele Menschen sich nicht leisten können. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, tauchen wir noch in das kleine Schwimmbecken.

Freund*in und Helfer*in

Als ich die Tage des späten Abends an einer Kreuzung darauf warte, dass mein Micro kommt, der mich zum Ziel führen könnte, bemerke ich zwei Männer auf mich zukommen, die dann unweit stehen bleiben. Einer stellt sich auf die Straße und hält nahezu jeden Bus an, der angerauscht kommt. Ganz wie ein normaler Passagier. Der jüngere geht dann wahlweise kurz in den Bus oder von außen die Fensterscheiben entlang. Entdeckt er z.B. ein Handy greift er blitzartig danach und verlässt das Fahrzeug schnell. Danach läuft er dann seelenruhig weiter, als wenn nichts passiert wäre. So arbeiten die beiden Diebe eine Weile und laufen dann die Straßen hinab und führen ihre Arbeit dabei fort. Ich stehe wie angewurzelt und will unter keinen Umständen auffallen um nicht selbst ausgeraubt zu werden. Auch im Auto nebenan haben vier Leute gewartet und geschaut bis die beiden weg sind.
Später erzähle ich Azul davon und dass ich überlegte die Polizei zu rufen. Doch sie lachte nur milde. Eine Erfahrung die sich mit vielen Berichten in Südamerika deckt. Die Polizei ist meist kein*e Freund*in oder Helfer*in. Meist hilft sie nur den Reichen, denn sie nutzt ihre Macht um an Geld zu kommen. Ganz nach dem Motto: Wenn ich dir helfen soll, musst du mir auch helfen. Die Leute glauben nicht an den Staat, die Polizei oder das Recht. Sie sind es gewohnt sich selbst zu helfen. In der Situation ruft deshalb auch keiner die Polizei. In manchen Straßen stehen Schilder die vor „Palomillos“ warnen. Das ist ein lokales Wort für die kleinen Räuber*innen.

Ein Beispiel: Azul lief, so erzählte sie mir, erst kürzlich am Abend durch die Straße. Es war schon dunkel und eigentlich sollte dann auch niemand mehr sein Handy zücken. Der Dieb erschien urplötzlich, riss ihr das Handy aus der Hand und rannte in eine Menschenmasse. So verschwand er. Azul lief ihm nach, aber verlor ihn umgehend. Dann machte ging sie zum nächsten Polizeirevier, aber die meinten nur, dass sie keine Leute hätten um den Fall zu verfolgen. Sie weinte und pochte auf Hilfe.
Irgendwann meinten die Beamt*innen, dass sie das Handy orten könnten, aber das koste Geld. Nun beginnt das Verhandeln ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb gab sie erstmal ein Teil ihres Geldes und behauptete das sei alles. Da sich in der ersten Runde die Polizist*innen damit nicht zufrieden gaben, kann dann nochmal gesucht werden und – sieh einer an – noch weiteres Geld hinzugelegt werden. Der Bruder kam dann noch hinzu und so konnten sie dann einiges an Geld aufbringen.
Erst führte dann die Polizei den vermutlichen Räuber vor, der aber das Handy nicht mehr hatte, sondern nur ein Mittelsmann ist. Später bringen sie dann einen weiteren Mann, der allerdings allerlei Wertgegenstände mit sich führt und unter anderem auch das Handy von Azul. Schlussendlich ist nicht klar wie sehr die Polizei mit den Räubern zusammenarbeitet, aber sie ist unterm Strich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.


Mrz 13 2019

Santa Cruz #3

Penumbra

Einige Tage später werde ich eingeladen Penumbra zu begleiten. Azul und ich fahren dabei raus zu dem Haus der Eltern, wo auch ein Bruder samt Kind und Frau wohnt. Irgendwo beim 6ten Anillo, da wo nur noch die Hauptstraße geteert ist und die Nebenstraßen bei Regen zu Schlamminseln werden. Insgesamt gibt es zwei Brüder und drei Schwestern, von dem drei schon ein Kind haben. Als wir ankommen bekommen wir zugleich von Feliza, der Mutter, noch lecker Essen serviert, während Jorge, der Vater, den großen Laster belädt. Ein langer silberner Laster mit der Aufschrift „Penumbra, Cochabamba“. Die Familie stammt aus Cochabamba und schon vorher gab‘s die Gruppe, aber heute wohnen alle in Santa Cruz.

Als dann alles verfrachtet ist wird noch eine größere Matratze hineingeworfen und die meisten klettern zu den Instrumenten. Irgendwie machen sie es sich bequem, während Azul, Vater, Bruder und ich Platz im Fahrerhaus finden. Wir ruckeln raus aus der Stadt und nehmen Kurs auf die ländliche Weite des Flachlands. Siedlungen werden seltener und weite Felder nehmen zu. Dem Regenwald wurden weite produktive Ackerflächen entrissen, die nun die Früchte des Landes produzieren. Soja, Erdnüsse, Zucker, …

Wir kommen in ein Dorf, genannt Murillo, und beginnen die Familie zu finden, die Penumbra gebucht hat. Drei Schulabgänger*innen feiern ihren Abschluss. Murillo hat sicherlich nicht mehr als hundert Häuser. Aber an dem Tag gleich mehrere Feiern zu bieten – nun – die Schule endet nun mal für alle gleichzeitig. Der LKW ist gleichzeitig die Bühne. Er lässt sich entsprechend aufmachen, und durch einen Generator mit Strom versorgen. Ein eigenes Gerüst wird aufgebaut und mit schweren Boxen bestückt. Alle packen an. Die Tänzer wurden vielleicht auch wegen ihrer Behändigkeit ausgewählt, weil irgendjemand muss in den Gerüsten rumklettern.

Nach kurzer Soundprobe ziehen sich alle ihre Band-T-Shirts an. Azul verrät mir, dass sie versuchen möglichst früh mit dem Spielen zu beginnen, denn bezahlt werden sie für 8 Stunden und je früher sie beginnen, desto früher können sie abbauen. Auch wenn mir alles ein wenig wacklig anmutet, so lockt die Musik nach einer Stunde dann auch Leute auf die Tanzfläche zwischen den Tischen. Azul ist in der Branche auch eine Art Ausnahme. Kaum eine Party-Band hat eine Frau im Team und manchmal wird Penumbra gerade deswegen gebucht, oder auch nicht. Manchmal kommen auch Männer und wollen überprüfen ob sie wirklich spielt oder ob das Keyboard nur automatisch produzierte Rhythmen abgibt. Vermutlich hätten sie das bei einen Mann nicht überprüft.

Am anderen Ende der offenen Halle ist eine Art Altar aufgebaut um den Absolventinnen zu gratulieren. Bei solchen Feiern gibt es natürlich auch einige Rituale. So werden Reden gehalten und den Jugendlichen gratuliert. Sie bekommen Geldscheine umgehängt und Angehörige kleben dann weitere an die Geldschein-Kette. Natürlich ein Tanz mit dem jeweiligen Elternteil darf nicht fehlen. Azuls Vater formuliert dann auch noch ein paar Wörter in Quechua. Oder Runasimi, wie die Sprache auf Quechua heißt.

In der Vorbereitung einer solchen Feier werden auch Verwandte eingebunden, die dann für Teile der Feier benannt und damit verantwortlich gemacht werden. So kann z.b. der Onkel zuständig für die Musik sein, das heißt dann, dass er die Band organisieren und bezahlen muss. Dann noch jemand fürs Essen, für die Bestuhlung, und so weiter und so fort. Der wohlhabendste Verwandte bekommt die Aufgabe, das bei der Geldketten-Zeremonie geschenkte Geld auf den nächsten Tausender aufzurunden, oder, sollte der Betrag zu nah an dem nächsten Tausender sein, deutlich darüber hinaus Geld zu geben. Da Gäste für nix aufkommen müssen, kann eine solche Feierlichkeit schon sehr teuer werden.

Penumbra macht nach jeder Stunde eine halbe Stunde Pause und nimmt Verpflegung und Getränke kostenlos entgegen. Die Gruppe ist, ähnlich wie die Familie, ständig guter Laune und es wird sich über alles und jeden lustig gemacht. Heute ist Cucharita (Spitzname, zu deutsch: Löffelchen) dran. Anders als die anderen beiden Tänzer konzentriert er sich sehr auf das Tanzen und kommt deshalb weniger schlaksig rüber wenn er tanzt. Als die Band zum dritten Mal auf die Ladefläche klettert, klettere ich hinter die Sitze im Fahrerhaus und leg mich hin. Da ich nur einen Meter von der spielenden Gruppe entfernt bin, ist es entsprechend laut, aber so ist das nun mal.

Als ich früh morgens erwache ist die Gruppe schon dabei die Sachen wieder in den für Bands typischen Kisten zu verstauen. Der Animatör schläft zwischen Reissäcken die unter anderem in der Halle lagern. Eigentlich ist es wohl eine Halle eines Bauern, wie ich nun erkenne. Unschwer an dem Trekker zu erkennen, der auf der anderen Seite steht. Ich finde ein Stück Torte und muss Abstand gewinnen zu den letzten drei volltrunkenen Gästen. Einer hat schon sein Motorrad angelassen, aber dann doch wieder vergessen. Ich versuche wieder mit anzupacken, aber irgendwie ist das Team eingespielt.

Dann rollt der Laster vom Hof und ich dachte schon es geht direkt nach Hause, doch im nächsten Ort halten wir für‘s Frühstück. Der Vater ist der Organisator und er zahlt auch das Essen. Wer mag kann nun am Straßenrand eins von zwei Gerichten wählen und diese unterscheiden sich nicht vom Mittag oder Abendbrot. Reis mit Fleisch und Gemüse. Manchmal mit Bohnen, Chuño, Kartoffeln, Pommes oder Mais.

Hier in der Kleinstadt sind wohl alle in der Landwirtschaft unterwegs. Mit Cross-Motorrädern fahren sie zu ihren Feldern. Ich tausche mein Fleisch gegen etwas Reis. Später lege mich zu den anderen auf die Matratze im Laderaum. So lässt es sich schlummern bis wir ankommen. Mich überrascht dabei, dass wir gar nicht nach Hause gefahren sind. Schon die nächste Feier erwartet die Band, diesmal eine Hochzeit. Am Wochenende arbeitet die Gruppe ununterbrochen, teils bis zu vier Feiern (Donnerstag bis Sonntag) und wenn gezahlt wird auch deutlich länger als acht Stunden. Das klingt hart, aber gut drauf sind die trotzdem.

Während die Gruppe schon eifrig die Technik zur Bühne bringt, verabschiede ich mich. Ich fühl mich, als wenn ich nicht geschlafen hätte und überlege mir, wie das für die Band ist, die die ganze Nacht durchgespielt hat. Ich zieh innerlich den Hut.

Kreditkarte

Nun, eine Reise ist manchmal eben nicht nur durch das Reisen selbst anstrengend. Nebensächlichkeiten werden plötzlich zum Problem. So hat mir meine Bank – ohne ersichtlichen Grund – eine neue Kreditkarte zugeschickt und mir bis zum Ende des Monats Zeit gegeben, diese in Betrieb zu nehmen. Zu allen Überfluss auch noch soll ich diese dann an einem Automaten in einer ihrer Filialen aktivieren. Ich bin auf die Karte angewiesen, denn so kann ich mir hier Geld von meinem Konto ziehen. Die alte Karte wird aber deaktiviert. Dieser Prozess zog sich über Monate und ist der Grund warum ich zwei Mal in Santa Cruz war. Zwischenzeitlich war ich in Paraguay.

In den nächsten Monaten versuche ich verschiedene Wege. Erster Versuch: Ich versuche mit der Bank zu kommunizieren. Sie bevorzugen aber Papier oder Telephonate. Für mich aber nur schwer zu machen. Ersteres braucht Zeit und ist aufwändig, weil ich ja immer ein Internet-Laden aufsuchen muss. Zweiteres ist zu teuer von hier aus. Die Kommunikation ist beschwerlich und die Bank will auch nur mir persönlich wirklich Auskunft geben. Flexibel sind sie auch nicht. Kein Weg führt zur Idee die Karte zu verlängern.

Zweiter Anlauf: Noch in Argentinien bekomme ich die Adresse der Oma einer Freundin. Dankenswerterweise. Die Karte geht also auf Reise über den Atlantik und kommt – nie an. Warum? Erst im Januar erhalte ich Nachricht, dass die Post ein Dokument abgegeben hat, wonach die Grenzpolizei Argentiniens die Karte aufgehalten hat und möchte dass die Empfängerin mit Dokumenten zu einer Stelle kommt und diese dann abholt. Mittlerweile hatte ich aber schon eine andere Lösung, sodass die Grenzpolizei beziehungsweise Post die Karte wieder zurück an die Empfängerin sendete.

Dritter Anlauf: Später in Paraguay versuche ich ein Konto zu eröffnen, aber das stellt sich als schwierig heraus. Ich brauche eine Migrationskarte, das heißt ich müsste nach Paraguay emigrieren oder anders gesagt, Paraguayer werden. Klingt erstmal lustig und ist wohl nirgendwo so einfach, wie in Paraguay. Gesagt getan, ich beginne den Prozess. Doch dann sind es doch einige Papiere und dann noch hohe Zahlungen. Ein Freund hilft und übernimmt die Verantwortung gegenüber der Bank. Die Bank teilt uns mit, dass in zwei Tagen die Karte bereit steht. Das war Anfang Dezember. Anfang Februar war die Karte immer noch nicht da.

Vierter Anlauf: Azul hat ein Konto auf ihren Namen eröffnet und mir die Karte weitergereicht. Bei der Mercantil Santa Cruz schien das innerhalb weniger Stunden möglich gewesen zu sein. Ihren Aussagen nach ist es eine von zwei vertrauenswürdigen bolivianischen Banken. Die andere ist BNB. Nun hab ich also ein bolivianisches Konto und meine Referenzwährung ist der Boliviano, der oft als BOB angezeigt wird. Ich zahl jetzt in Bob.

Darüber hinaus hätte ich dann nur noch Geldsendung via Western Union organisieren können. Das soll aber auch teuer sein, geht aber ohne Konto oder Kreditkarte. Warum die Bank meine bis 2020 gültige Karte ersetzen will, weiß ich bis heute nicht. In den Tagen drauf merke ich, dass das IBAN-System nur in wenigen Euro-Ländern umgesetzt wird und ich eine umständliche Auslandsüberweisung auf mein neues Konto vornehmen muss. Mit 9,50 Euro ist die Gebühr dafür auch nicht grad niedrig und das Geld braucht dann gute drei bis fünf Tage. Vielleicht drücken die jemanden das Geld in die Hand und der läuft dann los um es hierher zu bringen.


Mrz 12 2019

Santa Cruz #2

Der Markt (Mercado Florida)

Vielleicht hätten wir das mit dem Frühstück vorher machen sollen. Also vor der Blutspende und dann wäre sie wohl nicht umgekippt. Ein für Bolivien typischer kleiner Markt ist zum Glück auch nicht weit entfernt. Von der Reparatur über Mahlzeiten bis Obst wird alles angeboten. Das Highlight ist aber die Frühstücksecke. Je nach Wunsch wird ein bergähnlicher Fruchtsalat in einer Schüssel mit Joghurt, Müsli, Honig und Chia-Samen serviert. Für mich wird der Markt zum Muss und die eine Mitarbeiterin kennt mich dann schon und serviert „wie immer“.

Nicht nur hier zeigt sich, dass Santa Cruz einen gesunden und vegetarischen Lebensstil ermöglicht. Eine Kette, genannt „Sii-pi“, bietet an vielen Ecken Menüs an. Aber auch darüber hinaus gibt es vegetarische oder gar vegane Menüs, Vollkorn-Empanadas und Fruchtsäfte. Ein weiteres Muss wird ein frischer Orangensaft. Händlerinnen parken ihre kleinen grünen Wagen an den Straßenecken und bieten halbe Liter-Becher an, die sie dann frisch pressen, wenn bestellt wird. Natürlich gibt es Japa. In vielen Ländern ist es üblich, dass bei Straßengetränken ein kleiner Nachschlag kostenlos hinzugeben wird. Das heißt konkret: Wenn ich dabei bin den Becher zu leeren, halte ich den nochmal hin und bekomme einen weiteren großen Schluck eingeschenkt.

Die Bekannte Azuls, die Fruchtsalate verkauft, war zu Beginn meines Aufenthalts hochschwanger. Später dann bemerken wir, dass sie es nicht mehr ist und fragen nach. Tatsächlich hat sie bis zu den Tag der Geburt Leute für Fruchtsalate angeworben und ist dann am übernächsten Tag wieder zur Arbeit gekommen. Das Kind liegt im Kinderwagen hinter der Theke und wird während der Arbeit gestillt. Ich bin überrascht von der Realität. Ein Leben ohne Wohlfahrtsstaat.

An einem anderen Tag werde ich mit den Grampas vertraut. Das bezeichnet die Autokrallen mit denen die Polizei parkende Fahrzeuge festsetzt. Während wir frühstücken beginnen Marktleute „Grampa“ zu rufen und einige wenige springen auf. Sie wollen ihre Fahrzeuge noch schnell in Sicherheit bringen. Die Verkäufer*innen stellen sich dabei bewusst auf die Seite der Kund*innen. Geben diesen Hinweis weiter und beginnen Diskussionen mit den Polizist*innen um sie davon abzuhalten. Azul kommentiert das Geschehen mit „die Polizei hat Hunger“. Wenn sie anfangen Strafen in größeren Umfang zu kassieren oder gar zu erfinden, dann wohl auch weil sie selbst Geld brauchen. Es wäre wohl ein typischer Kommentar in der Bevölkerung. In Santa Cruz‘ Zentrum gilt Parkverbot auf der linken Seite und die meisten Straßen sind Einbahnstraßen. In diesen Tagen, kurz vor Weihnachten wurden aber auch rechtsseitig Autos mit Krallen versehen. Oft erreichen die Autobesitzer*innen den oder die Polizist*in und bitten das Problem vor Ort zu lösen. Der Polizist oder die Polizistin weißt dann meist auf das Strafmaß hin und das lange Procedere um die Kralle wieder zu entfernen. Wenn aber ungefähr der halbe Preis an den oder die Polizist*in direkt in Bar bezahlt wird, dann wird die Kralle auch wieder entfernt. Das Geld braucht der oder die Polizist*in um sein*ihr schlechtes Gehalt aufzubessern.

Die Tage in Santa Cruz vergehen für mich sehr schnell. Azul zeigt mir viele Seiten ihres Leben und ich sauge viele Erfahrungen wissbegierig in mich auf. Sie studiert Sprachen in den letzten Zügen und Englisch zu Lehren ist Teil der Ausbildung. Sie nimmt mich mit zu einer Unterrichtsstunde in der Universität. Das Wissenslevel der handvoll Schüler*innen ist sehr unterschiedlich und deshalb auch schwierig zu unterrichten.

Später fahren wir zum dritten Anillo, weil es dort einen sehr großen Straßenmarkt gibt, der nur gebrauchte Sachen verkauft und deswegen ziemlich günstig ist. Viele Händler*innen haben Verkaufsstände gebastelt und haben ein bestimmtes Sortiment erwählt, wie z.B. Schuhe. Oft sind die Auslagen Wühltische und die Händler*innen antworten automatengleich den Preis der Ware. Zum Beispiel „1 für 5″ oder „3 für 12“. Fast immer gibt es Mengenrabatt. Mindestens einmal sollte auch der Preis verhandelt werden, denn der oder die Händler*in geht dann nochmal 10 oder 20 % runter.

Die Musikerin

Azul erzählt mir von ihrer Arbeit. Sie ist Musikerin und spielt in einer Gruppe namens „Penumbra“, was wohl so viel wie „Dämmerung“ heißt. Hier könnt ihr’s euch anhören. Sie spielen traditionelle bolivianische Party-Musik und treten in verschiedenen Feiern auf, vor allem im Departamento ( Bundesland) Santa Cruz. Wir fahren gemeinsam zu einer offiziellen Feier die anlässlich des „Tages der Musiker*innen“ abgehalten wird. Irgendwo hinter dem 8ten Anillo, wo es schon ziemlich ländlich aussieht.

Diese Feiern finden mehr oder weniger im Freien statt beziehungsweise in sehr großen Hallen. Große runde Tische werden aufgestellt und mit lauter Plastikstühlen drumherum. Alles wird mit Tüchern fein dekoriert. Es gibt Bier und Essen für umsonst. Wer als Gruppe oder Familie zusammengehört nimmt sich einen Tisch. Bier wird immer geteilt und aus Bechern getrunken. Wie die Becher so auch das Essen wird mit Wegwerf-Plastik organisiert. Aufwaschen wird vermieden. Es gibt ein Gericht, meistens Reis mit Fleisch und Salat. Manchmal noch scharfe Soße, dem Aji.

Die Musik ist für mich immer noch ungewohnt und nur peripher mit der berühmten lateinamerikanischen Pop-Musik zu vergleichen. Zu Beginn klang irgendwie alles gleich. Neben Azuls Keyboards, sie spielt drei auf einmal, gibt es Gitarre, Bass, Schlagzeug und Gesang. Fast alle Positionen sind von ihren Brüdern besetzt. Der Vater singt. Ein Bekannter ist Einheizer und versucht die Leute zum Feiern zu motivieren. Drei Jugendliche sind als Show-Tänzer angestellt und tanzen vor der Gruppe. Penumbra steht dabei auf einer Bühne umrahmt von riesigen Lautsprechern. Für mich ist das zu laut eingestellt und die Boxen übersteuern bei fast jeden Schlag. Die Tische vibrieren und Unterhaltung ist nur schwerlich möglich. Zudem kann ich spanisch noch schlechter verstehen, wenn die Umgebung sehr laut ist.

Getanzt wird meist paarweise, aber nicht zwingend mit Berührung. Ganz anders als die oft zum Kuscheln genutzten Tänze Brasiliens oder Kolumbiens. Gleichzeitig kann auch weiter getrunken werden und je betrunkener die Menschen im Laufe des Abends werden, desto öfter muss ich mit jemanden anstoßen. Dabei merke ich, dass ich doch eigentlich schon genug getrunken habe, stoße aber weiter an um nicht unfreundlich zu wirken. Ich bin wohl auch der einzige weiße beziehungsweise Ausländer hier und falle entsprechend auf. Irgendwie werde ich wohl aus Freundlichkeit ziemlich betrunken. Betrunken wie schon lange nicht mehr.

Tage drauf fahren wir erneut aus dem Zentrum, nun bewährt mit vielen Geschenken, die die Walt-Disney– und Plastik-verarbeitende Industrie Made in China günstig anbietet. Die Tochter von Azuls Bruder feiert den Abschluss des ersten Schuljahres. Was allerdings eher noch Kindergarten war. Der Abschluss des ersten Jahres und dann wieder des letzten Schuljahres wird ausgiebig gefeiert. Auch heißen die Klassen des ersten Jahres „Kinder“. Tatsächlich so wie es hier geschrieben steht und nicht ins spanische übersetzt. So kommt es mir doch ein wenig merkwürdig vor, dass ständig dieses eine, für mich deutsche, Wort ständig aufkommt.

Bolivien kennt ein lineares Schulsystem, dass sich in mehrere Abschnitte aufteilt. Entscheidend in den einzelnen Jahren sind die Prüfungen am Ende. Wie in den meisten Ländern der Südhalbkugel ist die wichtigste Ferienzeit in den Monaten um den Jahreswechsel, weil dann Sommer ist. Das macht sich auch in den Buspreisen bemerkbar, da nun mehr Leute Reisen unternehmen können.

Die Feierlichkeiten für die „Gradation“ der kleinen Neffin sind auf den Sportplatz, der wie bei den meisten Schulen hier, direkt hinter den Gebäuden sind, oder gar von den Gebäuden umringt wird. Reihen von Plastikstühlen wurden aufgestellt und jede Familie hat drei Plätze. Deshalb stehen viele. Ein Gang zur Bühne bleibt frei und enthält einen Bogen, der irgendwie an eine Hochzeit erinnert. Die kleinen werden samt Eltern aufgerufen und durchschreiten feierlich unter Applaus und Photoapparaten den Bogen.

Die Kinder sammeln sich nach und nach auf der Bühne. Vorab wurden noch verschiedene Hymnen gesungen, wobei alle aufstanden. Die Boliviens und die vom Departamento Santa Cruz waren dabei. Anschließend ging es auf der Ladefläche zum Haus der Eltern der Graduierten und wir aßen und tranken noch ausgiebig.


Mrz 11 2019

Herzlich Willkommen bei Azul (Santa Cruz #1)

Von Karl, Natal, 10. Februar 2019

Santa Cruz de la Sierra

Der folgende Beitrag ist ziemlich ziemlich lang geworden. Deshalb habe ich mich entschieden ihn zu teilen und täglich zwei Kapitel zu posten. Es sind insgesamt 10 Kapitel.

Santa Cruz #1

Herzlich Willkommen …

… in Santa Cruz de la Sierra, der offiziell größten Stadt Boliviens. Gut, das zusammengewachsene Gebiet von La Paz und El Alto ist wohl etwas größer. Santa Cruz ist jedoch wirtschaftlich bedeutend und vergleichsweise wohlhabend. Sie liegt im bolivianischen Osten und nicht mehr in den Anden. Umgeben von Ackerland und klimatisch auf dem Übergang zwischen Regenwald und Chaco, einer Art Savanne. Santa Cruz beherbergt den wichtigsten internationalen Flughafen Boliviens und die zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas. Fast 1,5 Millionen Menschen beherbergt die Großstadt die sich von Innen nach Außen ringförmig ausbreitet. Die großen Ringstraßen heißen Anillos und sind neben den Ausfallstraßen die Herzschlagadern der Stadt. Sie dienen den Cruzeños, den Einheimischen Santa Cruzes, auch zur Orientierung. Hinter dem vierten Ring franst die Stadt langsam aus und die enge Bebauung und Asphaltierung nimmt ab. Insgesamt gibt es wohl aber – je nachdem wen mensch fragt – sieben bis über zehn Anillos..

Das Herz der Stadt bildet der Plaza 24 de Septiembre. Ein schöner übergrünter Platz der besonders nach Sonnenuntergang zum verweilen einlädt. An dessen Rand stehen mehr oder weniger wichtige Gebäude. Vom Kirchturm aus hat mensch einen lohnenden Ausblick.

Einen halben Block entfernt und ziemlich versteckt gibt es einen Souvenir-Händler-Hinterhof zwischen wunderbaren Bäumen.

Hinter der Kirche befindet sich ein weiterer Platz den einige Jugendliche nutzen um gemeinsam zu Rappen. In Gruppen stehen sie beisammen und geben zum besten, was sie können. Eine engagierte Frau, die das organisiert hat, springt zudem zwischen Ihnen herum.

Das Rückrat der Stadt bilden die vielen tausend Micros. Im Prinzip Klein-Busse mit Platz für ein Dutzend Menschen. Auf festen Linien flitzen sie durch die Straßen. Dabei ist sowohl Richtung, als auch Nummer und Farbe der Nummer oder des Schildes entscheidend. Bezahlt wird beim Einsteigen an die Fahrerin oder den Fahrer. 2 Bolivianos kostet einmal einsteigen, das sind circa 50 Eurocent. Wer weiter entferntere Ziele ansteuert muss die Abfahrtsorte der Trufis aufsuchen. Es sind im Prinzip die selben Fahrzeuge, aber deutlich höheren Distanzen. Colectivos dagegen meinen dann schon Reisebusse die Großstädte verbinden und auch über Grenzen hinweg fahren.

Azul

Mit einem eben dieser Colectivos bin ich noch sehr früh am morgen in Santa Cruz angekommen. Am relativ neuen Bus- und Zugbahnhof fahren viele Micros vorbei, sodass ich ruckzuck im Zentrum bin. Drei Blocks vom Plaza 24 de Septiembre entfernt logge ich mich wie abgemacht ins Wifi ein und setze eine Nachricht ab. 10 Minuten später werde ich begrüßt und kann eintreten. Azul heißt meine neue Gastgeberin. Sie ist relativ klein, hat schwarze Haare, die sie teils lila gefärbt hat. Das lächelnde Gesicht ist voller Neugier und Ungeduld. Sie bewohnt ein bescheidenes Zimmer ohne Küche und kleinem Bad. Sie ist ein tolles Beispiel, dass es nicht viel braucht um ein*e Gastgeber*in zu sein.

Wir kommen schnell ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie sogleich zur Blutspende gehen mag. Sofort möchte ich auch spenden und wir wagen den Versuch. Ein flaches Gebäude, ähnlich eines kleinen Krankenhauses, empfängt uns nebst vielen weiteren Spender*innen. Ich werde registriert und auch zugelassen. Anders als von Deutschland gewohnt spende ich nicht für irgendwen, sondern für eine bestimmte Person. Eine entfernte Bekannte in Oruro braucht wegen Krebs eine bestimmte Anzahl Spenden und deren Familie versucht nun viele Menschen zum Spenden zu motivieren. Ich werde befragt, gewogen, vermessen und Blutproben genommen. Auf einer Glasplatte wird mein Blut in Augenschein genommen und im letzten Schritt geht es dann zum Spenden. Für Azul ist es das erste Mal und tatsächlich wird ihr ziemlich schwindlig, aber wir überleben heil. Ein gutes Gefühl macht sich breit.

Endlich erhalte ich auch Gelegenheit jemanden nach der „21F-Bewegung“ beziehungsweise „Bolivia dijo no“ (zu deutsch: Bolivien sagte Nein; wahlweise auch mit Namen der jeweiligen Stadt) zu befragen. Auf dem Plaza 24 de Septiembre haben sich auch einige Hungerstreikende versammelt. Bald sind Wahlen in Bolivien und Santa Cruz ist traditionell im Widerspruch zu La Paz. Es wird das Ende der Demokratie beschworen. Tatsächlich versucht Evo Morales erneut Präsident zu werden und er spaltet das Land. Er kann leider nicht von der Macht lassen. Die armen Menschen unterstützen ihn aber, weil er in der Vergangenheit viel für sie geleistet hat. Keine einfache Situation. Deshalb ist die 21F-Kampagne auch eher eine der Wohlhabenderen. Ihre Verankerung in der Gesellschaft ist relativ gering, doch sie sind auf vielen Plätzen der größeren Städte lautstark vertreten. Leider ist das Kaufen von Protestierenden wohl nicht unüblich, meinte Azul. Es gibt viele arme Menschen, die für etwas Geld in den Straßen für Aufruhr sorgen. Ob überzeugte oder bezahlte auch für die Zerstörung der Glasfront einer Bank im Zentrum zuständig waren, ist mir nicht bekannt.

Proteste sind nicht selten und so verwundert es nicht, dass wir Tage drauf einem vergleichsweise großen Protestmarsch von Krankenhaus-Mitarbeitenden sehen. Sie machen einen relativ entschlossenen Eindruck und zum Repertoire gehört auch Pyrotechnik. Scheint eher normal als besonders zu sein. Polizei die sich darum kümmert, habe ich keine gesehen.


Dez 25 2018

Auf den Spuren der Hauptstadt

Sucre, Bolivien

von Karl

 

Der Regen fällt erst langsam, aber entwickelt sich dann rapide zu einem ausgewachsenen Sturzregen. Endlich wird offensichtlich warum die vielen kleinen Bäche in viel zu breiten Flussbetten schlängeln. Bei Starkregen nimmt die sonnengetrocknete Erde kaum Wasser und schnell werden Bäche zu breiten Flüssen. Dem Lauf eines solchen Flusses folgend fährt mein kleiner Bus durch die ersten Vorortsiedlungen Sucres. Der verfassungsgemäßen Hauptstadt Boliviens. Die Regierungsgebäude sind zwar überwiegend in La Paz, aber gemäß Verfassung ist Sucre die Hauptstadt. Lediglich der oberste Gerichtshof und das Verfassungsgericht befinden sich in Sucre.

Von Potosí kommend passieren wir am Ortsrand ein unfassbar pinkes Schloss, dass innerhalb einer Militäranlage liegt. La Glorieta genannt. Eine der Belege für den unfassbaren Reichtum der in Potosí gemacht wurde, aber zu den Reichen wanderte die sich im klimatisch angenehmeren Sucre nieder ließen.
Durch den wellenweise kommenden Platzregen flüchtend erreiche ich meine Unterkunft, die eher einem Kloster ähnelt. Dicke Mauern mit unzähligen riesigen Zimmern, die sich um zwei Innenhöfe lagern. Sämtliche Details sind gefühlt uralt und auch die Holzdielen wurden schon vor Jahren repariert. Bis auf ganz wenige im anderen Innenhof, bin ich der einzige Reisende, der sich hier nieder lässt. Besonders nachts bekommt die Unterkunft den Flair eines Geisterfilms. Mich würde es nicht wundern wenn unter einem spitzen Schrei schwarze Fledermäuse von der religiösen Brunnenstatue im Innenhof bei Vollmond aufsteigen. Auch der einzige Angestellte ist oft nicht da, sehr demütig, zieht den einen Fuß hinter sich her und scheint mit der Behausung gealtert zu sein.

Ich bin dahin gekommen, da ich meine Unterkünfte auf einer bolivianischen Webseite finde, um die teureren, engen und immer gleichen Hostels nicht aufsuchen zu müssen. Zudem bin ich ja in Bolivien um Bolivien kennen zu lernen und nicht Europäer*innen.

Sucre

Das wohl beeindruckenste an Sucre ist die weiße Kolonial-Architektur. Ähnlich der in Potosí, nur deutlich weiter ausgebaut. Unzählige Gebäude sind gut erhalten. Der zentrale Platz in der Mitte ist schön übergrünt und zwei Kreuzungen entfernt gibt es den großen Markt mit all den Ernteprodukten die Bolivien zu bieten hat. Direkt am zentralen Platz liegt auch ein restauriertes Gebäude, dass über die Gründung Sucres informiert. Der Raum in dem die erste Verfassung verabschiedet wurde, ist zu besichtigen. Anfangs hieß das Land noch „Hoch-Peru“ und wurde erst später nach den Befreier Südamerikas Simon Bolivar benannt, der selbst nicht zur Gründung im Land war.
Dass es doch Backpacker gibt, sehe ich dann in einem Café, dass einen sozialen Anspruch formuliert. Nur welcher, bleibt unklar. Der Kaffee hat auch seinen Preis und geht über das Mittagessen auf dem Markt hinaus, dass ich zuvor zu mir genommen hatte. Dieses enthielt jedoch mehr als nur ein Getränk. Ein tiefer Teller Suppe und ein großer Berg mit Reis, Gemüße, Kochbanane und Kartoffel konnten mich glücklich machen. Zwei Welten, eine Stadt, fünf Minuten zu Fuß entfernt.
Am Rande einer Kirche gibt es einen weiten Platz, an dessen Rand sich ein schicker Blick über die Stadt ausrollt. Die roten Dachschindeln Sucres lassen sich von oben betrachten und sind unterbrochen von rechteckigen Betonbauten, die an den Ausläufern des Zentrums beginnen.

An den besagten Gerichten, die in pompösen Bauten untergebracht sind, beginnt auch ein langgezogener und gepflegter Park. Auch andere Straßenzüge sind verziert worden und es gibt mittig Gehwege mit Kunst und Bäumen. Auffällig sind auch die vielen Telephonzellen, die aussehen wir Dinosaurier.

Zufällig wohne ich einer Fahrschulübung bei, bei der eine abschüssige Straße abgesperrt wurde. Ein Polizist fährt mit dem Wagen den Parcours vor, während die Schüler*innen zuschauen.
Zu den gepflegten Sehenswürdigkeiten gehört auch der große Friedhof. Ältere Menschen, teilweise blind bieten hier Segnungen an. Sie legen teils die Hand auf dem Kopf oder sitzen einfach neben einen, während sie kirchliche Gebete runterrattern. Die Toten sind in kleinen Blöcken untergebracht, die in etwa so groß sind wie Mikrowellen. Oft mit irgendwelchen Verzierungen, Sprüchen, Kerzen und Blumen. Wie in Plattenbauten sind die einzelnen Mikrowellen-Wohnungen wie gestapelt. Ungefähr fünf übereinander, ein paar dutzend breit und vorder- und rückseitig.

Der Friedhof enthält auch einen jüdischen Teil, der allerdings abgesperrt ist und eine Erinnerungssäule an die vor den deutschen Faschismus ermordeten enthält. Weiter hinten werden noch berühmten Einwohner*innen gedacht, wie zum Beispiel dem Folklore-Singer Huascar Aparicio. Wenn ihr hier klickt, könnt ihr euch das Lied anhören, dessen Text am Grab steht.

Street Art in Sucre: „Du Bist nicht allein. Es gibt Feminismus“

Bei den Dinosauriern

Mit den kleinen Stadtbussen, Micros genannt, gibt es die Möglichkeit an den Ortsausgang zu fahren, wo hinter einer Betonfabrik eine Art Dinosaurier-Park sich befindet. Erlebnis-Park-mäßig begrüßen einen unzählige Dinos und dazugehörende Infotafeln die auf die Erdgeschichte hinweisen. Da die Dinosaurier schon vor über 65 Millionen Jahren ausgestorben sind, bis auf die Vogel-Dinos, geht es auch viel um Erdgeschichte. Das Besondere an dem Standort sind allerdings entsprechend alte Fußspuren verschiedener Saurier. Regelmäßig gibt es Führungen zu den Wänden mit den Fußspuren, welche wohl bald von der UNESCO geschützt werden. Noch läuft die Anerkennungsphase. Die Touris sind schon da.

Die entsprechende Wand ist riesig. Geschätzt mehrere Fußballfelder. Die Wand ist jetzt eine Wand, war aber mal ebenerdig. Zur Zeit der Dinos gab es noch nicht die Anden und an deren Stelle einen großen See, der von den Dinos aufgesucht wurde. Im Sumpfgebiet haben sie dann ihre Spuren hinterlassen. Erst später begann die Plattentektonik die Anden zu falten, die heute das zweithöchste Gebirge der Welt sind. Sodass jetzt der Eindruck entsteht, die Dinos seien die Wand hochgelaufen. Ihre Spuren zeigen wohl auch Sozialverhalten verschiedener Dino-Arten an.

die halbe Wand mit den Spuren, am Fuße arbeitet noch die Betonfabrik

Die benachbarte Betonfabrik arbeitet noch am Fuße der Wand. Sie waren es auch die die Spuren freigelegt hatten und nur weil ab da das Gestein nicht mehr zu gebrauchen war, haben sie aufgehört den Berg weiter ab zu tragen. Nun können Archäolog*innen die Spuren untersuchen. Weitere Sicherungsmaßnahmen sind in Vorbereitung.

Erlebnispark-Stimmung mit vielen Dinos; links im Hintergrund die Betonfabrik

Irgendwie ist es schon unglaublich, dass zig Millionen alte Spuren zu besichtigen sind. Es lässt sich ja nachvollziehen, dass in der Innenstadt kolonialzeitliche Gebäude zu besichtigen sind, aber die sind nur 200 Jahre alt … Aber 100 Millionen Jahre alte Fußspuren?