Dez 23 2018

Reicher Berg, Arme Stadt

Potosí, Bolivien

Von Karl

 

Ein letzter Stein, der mich hält, denke ich und … schwubb stehe ich auf der Spitze. Steine, zusammengehalten von uralten Beton, bieten die höchste Erhebung. Wenige Meter unter mir ist eine breite Fläche gewalzt, die auch großen Fahrzeugen Platz bietet. Bis auf wenigen Felsen, ist der Gipfel komplett von Menschenhand umgestaltet. Nicht unter ästhetischen Gesichtspunkten.

Blick vom Gipfel des Cerro Rico auf Potosí

Ein Ebenbild des Cerro Rico, dem „reichen Berg“, knapp 4800 Meter. Seine konische Form ist stark geschliffen und nur aus größerer Entfernung sieht er noch so aus. Auch von hier oben hat er seine übliche Form noch erkennbar. Doch Jahrzehnte an Bergbau haben den roten Riesen verändert. Ein Wegenetz mit Autos und vielen Schuttlastern entrollt sich an seinen Hängen.

Cerro Rico von der Stadt aus

Viele Stellen sind durch graue Punkte durchbrochen. Das innere Gestein. Wie offene Stiche, die das graue Blut des Berges nach außen lassen und dieses tropft dann am Hang nach unten. Nahe Mundlöcher des vielen Bergbaus sind noch zu erkennen, doch je näher der Spitze desto weniger gibt es. Am letzten Mundloch vorm Gipfel gibt es drei Ziegel-Häuser und aus einem kommen die Schienen. Innerhalb des Hauses müsste sich also der Eingang ins Innere befinden. Zwei Arbeiter, gezeichnet von Dreck, Hitze und harter Arbeit schieben einen Hunt, einen kastenförmigen Grubenwagen, entlang der Schiene. Diese wird durch Holzkonstruktionen eben gehalten, während das Gelände abfällt. Am Ende entriegelt einer der Arbeiter den Hunt und kippt den grauen Schutt zur Seite. Das Gestein rieselt auf einen Berg unterhalb. Andere Arbeiter*innen befördern per Hand Steinbrocken auf die Ladefläche des alten LKW. Mitten in der prallen Sonne.

Bergbau in Potosí ist nicht vergleichbar mit modernen Bergbau. An manchen Stellen kann der Hunt direkt in eine Schubkarre entladen werden und dann über einen Holzbalken direkt auf den Laster gebracht werden. Andere haben auch größere Verladevorrichtungen. Am Fuße gibt es eine größere Kooperative die offensichtlich auch größere Fördermengen hat.

Vom Gipfel aus sind auch die vielen künstlichen Seen abseits der Stadt Potosí zu erkennen. Mittels chemischer Reaktionen wird aus den Gestein das begehrte Zink und Silber gelöst. Dafür werden große Seen mit giftigen Flüssigkeiten angelegt. In der Vergangenheit brach auch schon mal ein Damm, sodass sich Quecksilber in die Stadt ergoss und tausende Tote forderte.

Um mich herum erheben sich weitere Berge und besonders auf der Seite des intensivsten Bergbaus liegt im Tal die Stadt Potosí mit knapp 200.000 Einwohner*innen. Eine Bergbau-Stadt, die ein frühes silbernes Zeitalter durchlebte als die Spanier*innen so viel Silber förderten, dass der Weltmarkt-Preis sank. Der Reichtum blieb bei wenigen Eliten oder ging nach Europa. Versklavte Indigene der Region förderten das Gestein und ihr Tod wurde einkalkuliert. Millionen Tote wurden buchhalterisch einberechnet. Der Reichtum ist vorbei, das Zink hat die Führung übernommen und heute wird in kleinen Genossenschaften unter schlechten Bedingungen gefördert. Auch Kinder arbeiten täglich unter Tage. Die Arbeiter*innen haben alle dicke Backen, voll mit Koka-Blättern die den Hunger verdrängen und wach halten. Mit großen grünen Tüten sitzen sie schwatzend vor den Eingängen. Je höher ich den Berg erklomm, desto offener und freundlicher waren sie zu mir. Oberhalb des letzten Mundlochs gibt es auch noch Natur und es wachsen kleine Sträucher die mit wenig Wasser auskommen. Ein Strauch hat auch einen sehr intensiven Geruch.

Ein Arbeiter erzählte mir von seiner Arbeit, zeigte stolz mir seinen Bus und fragte aus Spaß ob er mit nach Deutschland kommen könne. Viele Arbeiter*innen sterben früh, d.h. mit 45 bis 50 Jahren. Die Armut der Stadt wird von vielen Agenturen vermarktet. So gibt es meist zwei Mal täglich Touren die über den Markt der Bergarbeiter*innen*innen zu den Minen führen. Anteilsvoll kaufen die weißen aus dem reichen Norden Dynamit, Koka oder andere hilfreiche Gaben und schenken sie den armen indigenen Arbeiter*innen, die ihnen kurz ihren Arbeitsplatz zeigen. Ich bin nicht überzeugt von Armutstourismus. Das ist mir zu viel Zoo, zu wenig Hoffnung. Hinzu kommt dass der Bergarbeiter*innen-Markt auch eher klein ist und wenig zu sehen bietet.

Im Grunde geht die ganze Stadt auf den Bergbau zurück. Viele Kreisverkehre haben Bergarbeiter*innen-Denkmäler. Kolonialzeitliche Gebäude in der Innenstadt stammen aus der Boom-Epoche und werden hervorragend gepflegt. Ein Bahnhof mit Güterzügen wird weiterhin betrieben und selbst ein Ferrobus fährt ab und zu nach Sucre. Ein Ferrobus ist ein Bus, der auf einen Zuggestell umgebaut wurde. Ein wenig Personenverkehr der abgelegene Dörfer anbindet.

Was sich mittlerweile zur Regel entwickelt hat, ist dass der Bergbau oft auch mit Alkoholismus in Verbindung steht. So lerne ich auch den besonders extrovertierten José kennen. Er setzt sich, zwar kurz fragend, aber bestimmt, an meinem Tisch und beginnt zu fragen und zu erzählen. Hat einen Sohn, ist großer Fan von Beethoven und würde gern Wein trinken. Die Bedienung hat aber keinen und erklärt immer wieder, dass er mich belästige. Als er mich zum zigsten Mal nach meinem Namen fragt und die Fahne aus dem Mund eindeutig wird, wird auch mir klar, dass er gut getankt hat. Irgendwie ist er aber auch interessant, denn er scheint sich leidenschaftlich mit den schönen Künsten auseinanderzusetzen. Spielt Gitarre, hört klassische Musik und zeigt mir ein Gedicht an seinen Sohn. Er ist wohl eine Seele, die viel hätte beitragen könnte, aber womöglich an den wenig förderlichen Rahmenbedingungen gescheitert ist. Ich kann mir vorstellen, dass er musisch und poetisch spannendes zu Tage bringen könnte. Etwas mitleidig möchte ich mich verabschieden, aber muss dann doch fliehen, sonst werde ich ihn nicht los. So spannend die Begegnung war, so traurig bin ich auch darüber, so unangenehm war sie.