Jul 7 2018

Vom Paradies gefangen

von Rosa

Eine lange Straße führt über Serpentinen bis zur Spitze der Steilküste. Der Reiseführer schreibt: es fällt schwer sich von diesem Ort wieder zu trennen. Nun steht so einiges Malerisches in Reiseliteratur, aber auch uns wird der Abschied nicht leicht fallen.

Doch noch liegt alles vor uns. Wir biegen um die letzte Kurve und ich schaue aus dem Fenster des alten Busses. Ich sehe eine breit gestreckte Bucht und eine kleine Häuseransammlung. Vor der Küste liegen zahlreiche Fischerboote, die sich mit den Wellen auf- und absenken als wären sie mit ihnen verwachsen. Vor den ersten Häusern steht ein Schild: Willkommen in Puerto López!

Wir brauchen nicht lange um unsere Unterkunft zu finden. Diesmal sind wir in einem richtigen Backpacker-Hostel gelandet. Doch es scheinen nicht viele von ihnen da zu sein. Unser Zimmer befindet sich auf dem Dach und wir können eine große Terrasse für uns nutzen Die erste Erkundungstour durch den Ort führt vorbei an Hostels und Geschäften. Als es nicht mehr weiter geht, biegen wir Richtung Strand ab. Immer deutlicher ist das Meer erkennbar. Bis wir vor Palmen, Sand, Strandhüten und dem Pazifik stehen und einen Moment innehalten.

So muss das Paradies aussehen. Schnell sind die Schuhe ausgezogen. Die Schritte werden immer schneller bis das Meer die Füße umspült. Seevögel fliegen tief über die Wellen und stürzen sich wie Pfeile in die Fluten um wenig später mit einem Fisch im Maul wieder aufzutauchen. Andere versuchen etwas aus den großen Körben der Fischer zu ergattern, die ihren Fang vom Boot zum Strand transportieren. Immer mehr Vögel werden es. Die Fischer haben Mühe die Angreifer mit Holzstöcken auf Distanz zu halten. Meine Augen versuchen alle Eindrücke auf einmal aufzunehmen. In mir steigt das Glücksgefühl hier zu sein.

In einem Café direkt am Strand haben wir den besten Blick aufs Meer umrahmt von Palmen. In der einen Hand den Kaffee, in der anderen Hand unser Smartphone um die ersten Eindrücke nach Europa zu senden. Jetzt fühlt es sich nach Urlaub an.

Am Abend sitzen wir mit einer Flasche Wein am Strand. Ins Dunkel blinken bunte Lichter der Strandbars. Eine nach der anderen reiht sich im Zentrum des Ortes aneinander. Es läuft Salsa, Raggaeton oder Elektro. Nur die Besucher fehlen und so blicken sich die Besitzer nach allen möglichen Gästen um. Man ist hier auf Touristen eingestellt. Nur ist der Ort schneller gewachsen, als sich der Geheimtipp bei den Touristen rumgesprochen hat. Unser Glück.

Da uns Puerto López so gut gefällt, wollen wir ein paar Tage bleiben. Nun suchen wir eine Unterkunft, die unser Budget weniger belastet. Etwas entfernter vom Strand auf einer Anhöhe werden wir fündig. Ich begrüße die Besitzerin des Hostels mit den Worten: „Wir suchen eine preisgünstige Unterkunft“. Sie lacht und fragt „Wie viel wir uns denn vorgestellt hätten“. „Zehn Dollar für beide“ sage ich. Nun lacht auch ihr Mann. Es geht eine Weile hin und her. Dann erklärt sie uns, dass das Zimmer normalerweise 35 Dollar kostet, sie aber gerne hilft. Wenn wir es nicht weitersagen das Zimmer ausnahmsweise für den vorgeschlagen Preis bekommen könnten. Jackpot. Wir können die Küche mitbenutzen und auf dem Dach befindet sich eine große Terrasse mit Hängematten und Blick aufs Meer. Bei den Händlern auf der Straße und im Supermarkt um die Ecke decken wir uns mit frischem Gemüse und Obst ein. So sitzen wir am Abend auf der Dachterrasse, verspeisen unsere Gemüsepfanne mit Kochbananen und lassen uns von einer Meeresbrise abkühlen.

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker zeitig. Wir wollen bei der Kulisse am Strand joggen. Mein Plan barfuß zu laufen, stellt sich allerdings als nicht so glücklich heraus. Nach einer Weile fühlt sich der Sand nicht mehr weich an, sondern eher wie Sandpapier. Am Ende der Tour habe ich zwei große Blasen an den Füßen. Nicht alles was in der Werbung gut aussieht, fühlt sich auch so an. Wer hätte das gedacht. Den Rest des Tages verbringe ich lieber liegend am Strand.

Natürlich zieht so eine Kulisse auch die Selbstdarsteller und Instagramfreunde an. Eine schwangere Frau präsentiert ihren Babybauch vor einer Palme. Daneben wackelt eine Teenagerin mit ihrem Hinterteil. Angefeuert von ihrer Freundin, die die kleine Showeinlage filmt. Ganz vorne am Meer ein verliebtes Pärchen auf der Picknickdecke, die Probleme haben sich, ihre Biergläser und das Fischerboot auf ein Bild zu bekommen. Alles für die Clicks, Likes und das Gefühl wirklich da gewesen zu sein. Kurz vor Sonnenuntergang zeigt sich die Sonne selbst nochmal. Der rote Feuerball verfärbt die Wolken rosa und taucht dann langsam in den tiefblauen Ozean ein. Die alten Fischerboote ruhen müde am Strand. Es ist schon fast zu perfekt, um es nicht für den Abspann aus eienem Rosamunde-Pilcher-Film zu halten. Ehe ich mich versehe, klickt der Auslöser meines Smartphones.

Die Tage am Strand kommen und gehen.

Meine Füße sind zwar noch im Streik, aber heute wird gewandert. Auch um den Nationalpark Machalilla zu besuchen, sind wir nach Puerto López gekommen. Es ist der einzige Nationalpark Ecuadors, der an der Küste liegt und soll einen der schönsten Strände des Landes beherbergen. Viele der Besucher nutzen das Auto um direkt zum Strand zu kommen. Wir entscheiden uns für den vier Kilometer langen Wanderweg. Entlang des schmalen Pfades wachsen Kakteen. Ansonsten Bäume und dichte Sträucher, die aber eher vertrocknet als lebendig sind. Der Weg ist gut ausgeschildert und wir gelangen zu einem Aussichtspunkt. Von dort haben wir einen spektakulären Ausblick auf die Steilküste, eine einsame Insel, die wie ein kleiner Berg aus Wasser ragt und die Stadt Machalilla. Ein paar hundert Meter bergab steht ein weiteres Hinweisschild zum Strand der Krabben. Wir werden nicht enttäuscht. Am menschenleeren Strand tanzen die Krabben über den Sand. Wenn wir uns ihnen nähern wollen, flitzen sie blitzschnell über den Sand in ihre kleinen Höhlen. Eine Weile genießen wir die Wellen und das Krabbenballet. Das Wetter ist trüb, die Sonne brennt nicht auf der Haut und die Lichtstimmung passt wunderbar zu den wild brandenden Wellen. Am Ende des Pfades blicken wir auf den Strand Los Frailes. Die Bucht, wie ein Halbmond geformt, mit hellem fast weißem Sand nutzen vor allem die Einheimischen um hier zu baden. Wir entscheiden unser heimischer Strand reicht uns auch vollkommen aus und wandern weiter zu einem anderen Eingang des Nationalparks.

In Agua Blanca können wir unsere zweite Wanderung starten. Im kleinen Museum erfahren wir mehr über antike Funde im Dorf. Im Nationalpark sollen Brüllaffen und Ameisenbären wohnen. Wir begegnen ihnen heute nicht. Dafür ein paar Hängebauchschweinen. Die Wanderung führt durch ein fast ausgetrocknetes Flussbett, vorbei an einem über 100-Jährigen Kaktusbaum und zahlreichen Termitennestern, die in den Bäumen hängen, bis zur Hauptattraktion: einer schwefelhaltigen Lagune. Das Baden soll angeblich gesund machen und der Schlamm heilende Kräfte haben. Als wir an dem natürlichen Swimmingpool ankommen, hocken am Rand menschliche Moormonster. Auch wir machen den Spaß mit und schmieren uns die Paste auf Gesicht und Körper. Das grüne Wasser riecht nach faulen Eiern. Ganz nach dem Motto wer schön sein will muss leiden, springen wir ins Wasser. Eine Veränderung nach der Gesundheitskur konnten wir übrigens nicht bemerken.

Von einem Aussichtspunkt eröffnet sich uns ein beeindruckender Blick über das grüne Meer des Machalilla Nachtionalparks. Wir können eine deutliche Grenze zwischen den tiefgrünen Bäumen rund um den Fluss und den hellgrünen höhergelegenen trockenen Sträuchern erkennen. Nach fünf Kilometern erreichen wir wieder den Eingang des Nationalparks. Nicht einmal eine Minute sitze ich auf einem Baumstamm am Straßenrand, um meine Füße auszuruhen, da sehen wir auch schon einen Bus in der Ferne. Wie wir es oft beobachtet haben, halten wir unseren Arm Richtung Straße. Mit einer Staubwolke kommt der Bus zum Stehen und bringt uns für 50 Cent wieder zurück nach Puerto López.

Die Wolken wollen nicht mehr so richtig verschwinden von unserem Paradiesstrand. Der Freude am Schwimmen im Pazifik tut das keinen Abbruch. Einige Meter von mir entfernt springt ein Fisch kerzengerade aus dem Wasser, ein zweites und drittes Mal hüpft er nach oben. Dann verschwindet er vor den hungrigen Vögeln. So wie wir von diesem Ort, bevor er uns gefangen nimmt. Noch einmal lasse ich mich von den Wellen umwerfen und tauche wieder auf. Das Salz brennt auf der Haut. Die Fischer ziehen ihre Boote zum Strand. Der letzte Schluck Kaffee vor meinem Fenster ins Paradies. Nelly Furtado singt „Why does all good things come to an end“. Weil sie sonst nicht mehr so schön wären.


Jun 26 2018

Der alte Mann und das Meer

von Rosa

Die letzten Stunden vor den Sommerferien vergingen immer besonders langsam. Zwar wurde nicht mehr viel gemacht, ein Film geschaut oder Bankrutschen gespielt, aber umso unnötiger kam mir die Wartezeit dann vor. Viel lieber wollte ich meinen Schulranzen in die Ecke schmeißen und den Koffer für den Urlaub packen. Endlich Sommer, Sonne, Strand und Meer!

Doch dann kam alles ganz anders. Stau auf der Autobahn, die Taucherbrille vergessen und an der Ostsee 19 Grad und Regen. So ähnlich ging es mir mit Trujillo, der am Pazifik gelegenen und größten Stadt Nordperus. Endlich wieder Strand nach zwei Monaten in Brasilien und Peru, endlich wieder Wärme nach vier Wochen im Hochland und endlich wieder Sonnenschein nach drei Tagen Miesepeter-Nieselwetter in Lima – dachte ich. Die Wetterapp versprach 34 Grad und keine Wolke am Himmel. Wie ich später herausfand, gibt es wohl mehrere Trujillos in dieser Welt. Nach der Busfahrt, seit der ich endlich weiß, wie sich Ölsardinen in einer Dose fühlen, war ich zwar froh aus dem Bus zu fallen und mich wieder bewegen zu können, aber ich fiel auch von meiner Traumwolke. Der Himmel über Trujillo in tiefstem grau, das Meer nicht zu sehen und höchstens 19 Grad Ostseewetter. Manche Tage fangen eben so an, wie der vorhergehende aufgehört hat. So wie die Suche nach einem Busticket am Vortag, gestaltete sich auch die Suche nach einem Hostel in Trujillo schwierig. Unsere Erfahrung einfach mal drauf loslaufen und spätestens nach 200 Metern findet sich eine Unterkunft sollte sich in Trujillo nicht bestätigen.

Bepackt mit unseren Rucksäcken machen wir uns auf Richtung mehr. Doch kein Schild mit „Hospedaje“ weit und breit zu sehen. Bis zum Meer schaffen es die Füße nicht. Entnervt geben wir auf und fahren mit dem Taxi zurück zum Hauptplatz der Stadt, der in Peru fast immer „Plaza de Armas“ heißt. Kein guter Start für uns in Trujillo. Für die peruanischen Fußballspieler bei der WM auch nicht. In den letzten Tagen haben wir zahlreiche Stände mit Fußballartikeln in rot-weiß gesehen. An diesem Morgen begegneten uns viele Menschen in Trikots und mit geschminkten Fahnen im Gesicht. Man war aufgeregt vor diesem ersten Spiel bei einer WM nach 36 Jahren. Fußball im Fernsehen, auf den Straßen und das Smalltalk-Thema Nummer Eins. In den Geschäften kleben die Menschen vor den Fernsehern, ab und zu dröhnt ein Raunen aus den Restaurants. Doch keiner jubelt. Auch wir haben wenig Grund zum Jubeln. Aus dem Taxi ausgestiegen, spricht uns ein Tourguide an, ob wir ein Hostel suchen. Wir trotten dem kleinen Mann hinterher. Das Zehnbettzimmer, was er uns anbietet, ist zu eng und seinen Preis nicht wert. Als wir unverrichteter Dinge gehen, tönt er uns hinterher, dass wir kein Zimmer unter 25 Euro finden werden. Wir finden eins, ein paar Straßen weiter. Vor unserem Hotel wird alles Mögliche verkauft. Der Fußweg wird als Verkaufsfläche genutzt. Langsam schlängelnd kommen wir zwischen den Menschenmassen voran. An verschiedenen Ständen türmen sich die gleichen Produkte. Nur ein Restaurant ist schwer zu finden. Wir wollen gerade um eine Ecke biegen, da spricht uns ein Kellner auf englisch an. Wir diskutieren eine Weile und er überzeugt uns mit „Arroz a la Cubana“ und frischem Saft. Der junge Mann mit roter Schürze und einnehmenden Lächeln heißt Marco und kommt aus Venezuela. Wie viele andere ist er hier um zu arbeiten und seiner Familie Geld zu schicken. Wie viele andere kann er nicht in seinem früheren Job arbeiten. Stolz zeigt er uns ein Foto von sich in schwarzer Robe und seinem Abschlusszeugnis. Er hat Jura studiert. Was macht ein Anwalt in Peru, der sich mit venezolanischem Recht auskennt? Er räumt Teller ab. Marco und ich sind beide in Peru, beide 25, haben beide unser Studium beendet. Ich lebe gerade meinen Traum, Marco kann es nicht. Ich versuche das schlechte Gefühl runterzuschlucken, doch genau wie der trockene Reis meines Mittagessens, bleibt ein Rest im Hals stecken.

Trotz des schlechten Wetters machen wir uns am nächsten Tag auf zum Strand. Dafür müssen wir allerdings in das 15 Kilometer entfernte Huanchaco fahren. Nach einiger Zeit finden wir den gelb-roten Bus, der uns für 50 Cent zum Badeort bringt. Auf den ersten Blick sieht es hier etwas verlassen aus. Ein mutiger Tourist hat sich bis zum Bauch ins Wasser getraut. Seine Begleiter nur bis zu den Füßen. Am Strand zwischen den Steinen laufen ein paar Einheimische. Die meisten Bars haben geschlossen. Die Badesaison geht erst in ein paar Monaten wieder los. Trotzdem gibt es in dem kleinen Fischerdorf einen Markt mit Kunsthandwerk und zahlreiche Restaurants, die Meeresfrüchte anbieten. Die kleine Seebrücke in der Mitte des Dorfes kostet Eintritt und ist wohl die Hauptattraktion hier. Ich ziehe die Schuhe aus, krempel meine Hose hoch und laufe auf die strandenden Wellen zu. Das Wasser ist kalt. Karl ist mutiger und springt mit Badehose und Taucherbrille in den Pazifik. Bei den ganzen Steinen und den Wellen, fällt das Schwimmen allerdings schwer. Mit Windjacke lege mich in den Sand. Ein schönes grau in grau. Wasser und Himmel. Aber mit Augen zu und Sand zwischen den Zehen fühlt es sich für ein paar Minuten wie Urlaub an. Dann kommt der Wind und es wird ungemütlich. Wie Ostsee eben.

Am Nachmittag sind wir mit Elder verabredet. Er will uns für eine Nacht aufnehmen. Elder ist Ende 30, hat kurzes braunes Haar, etwas stämmig und baut nach jedem Satz ein kurzes Lachen, bei dem seine großen Schneidezähne zum Vorschein treten, ins Gespräch ein. Wir fahren mit dem Taxi zum Haus seines Nachbarn, denn da sollen wir heute schlafen. Er selbst hat Besuch von seinem Schwager. Nur ist dieser Nachbar, der eigentlich 20 Minuten von ihm entfernt wohnt, nicht auffzufinden. Elder hat sein Handy vergessen und kann ihn nicht anrufen. Wir warten eine Weile vor dem Haus, bis Elder doch zu sich nach Hause geht, um sein Handy zu holen. Bis 18 Uhr will der Nachbar zurück sein, berichtet Elder als er schnaufend zurückkommt. Heute ist Vatertag in Peru und sein Nachbar wäre noch bei einer Feier. Auch um sieben Uhr ist noch nichts von dem Nachbarn, dessen Namen wir immer noch nicht kennen, zu sehen. Eine Frau, die mit ihm im Haus wohnt, erzählt uns, dass ein Freund bei ihr angerufen hätte und der ominöse Nachbar auf der Feier betrunken eingeschlafen sei. Elder ist kurz ratlos, nimmt uns dann aber mit zu sich nach Hause. Wir dürfen allerdings nicht ins Haus, sondern warten auf der Terrasse. Elder ruft seinen Cousin an, bei dem wir jetzt übernachten sollen. Die ganze Konstellation ist etwas seltsam, aber wir steigen wieder ins Taxi und fahren zum Haus des Cousins. Besagter Cousin ist ein freundlicher kleiner alter Mann in sportlicher Kleidung und heißt Guillermo. Er unterrichtet Englisch und ist leidenschaftlicher Sammler von antiken Keramiken der Inkas und anderen Urvölkern. Seine ältesten Stücke sind über 2000 Jahre alt. Teilweise gekauft von Grabräubern wie er offen zugibt. Wäre sein kleines Wohnzimmer nicht mit Bierkisten vollgestellt, könnte man es für einen Ausstellungsraum halten. Guillermo findet Deutsche generell clever und möchte das mit uns beim Schach auf die Probe stellen. Der Fall „was zu beweisen war“ tritt nicht ein und so wurde an diesem Abend ein weiteres Klischee widerlegt. Dafür sind wir gerne da. Guillermo ist nicht nur für Couchsurfer aus aller Welt da, sondern auch für seine Nachbarn und Freunde. Er verkauft Bier und Schnaps, wann immer sie es brauchen. Sozusagen ein kleiner Spätshop für Eingeweihte. Guillermo weiß wie man über die Runden kommt. Beim Abendessen fragen wir ihn, ob er glücklich ist. Er sagt: „ja, ich habe einen Job, ein Hobby und Freunde. Mehr brauche ich nicht um glücklich zu sein“. Wir glauben es dem alten Mann aufs Wort.


Mai 29 2018

Frederic

29. Mai 2018

Ayacucho

von Karl

 

Manche Menschen leben länger als sie gelebt haben. Arnos Bruder ist ein solcher. Arno ist eine Rampensau. So bezeichnet er sich selbst. Er muss wohl als Kind in ein Wörterbuch gefallen sein. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall hat er viel zu erzählen und freut sich wenn er Fragen gestellt bekommt. Am liebsten über Peru, über Ivochote, dem Kakao-Anbau und natürlich „Peru Puro“. Seinem Baby. Er ist Geschäftsführer dieser Importfirma. Im direkten Handel, was er nicht ohne stolz sagt, in Abgrenzung zum Fairen Handel, importiert er direkt von den Bauern und Bäuerinnen Kakao nach Deutschland. Es gibt keine Zwischenhändler. Alles ist voll ökologisch und angebaut wird Chuncho, eine Ur-Kakao-Sorte. Daraus entsteht Edelkakao und -schokolade, die Arno dann in Deutschland vermarktet. So viel zur Vorrede.

Wie alles begann.

Schon am Minibus in Cusco lerne ich einen ehemaligen Ivochoter kennen. Gabriel ist jetzt Fahrer eines Minibusunternehmens, hat früher in Quillabamba im Kakao-Business gearbeitet und davor Strom in Ivochote verlegt. Seine Kolleg*innen stehen noch an der Straße um die letzten Plätze zu verkaufen. Laut rufen sie „Quillabamba“ auf die dichtbefahrene Straße. Die Fahrt nach Quillabamba lehrt uns das erste Mal bei tageslicht die Realität eines echten Gebirges. Immer wieder geht es Serpentinen hoch und runter. Oft führen die Straßen an Berghängen entlang. Ab über 3.500 Metern nimmt auch die Baumvegetation ab und die Berge sehen gelblicher aus, geprägt von dem Gras. Oft kann weit in das Tal hinein geschaut werden, sodass atemberaubende Ausblicke entstehen. Irgendwann halten wir auf einen Pass, der gut über 4.000m liegt. Nebel oder Wolken wabern von der anderen Seite über den Pass. Kurz darauf fahren wir im Achterbahntempo kilometerlang durch Wolken, bis wir wieder im Regenwald rauskommen. Eine der bedrohtesten und seltensten Vegetationszonen sind die Nebelwälder. Das sind Regenwälder die die meiste Zeit im Nebel stehen. Vielleicht sind wir durch einen solchen gefahren.

In Quillabamba finden wir eine günstige Unterkunft und schon steht Arno vor der Tür. Ganz wie ein deutscher Tourist auszusehen hat – nur – dass gerade er, gar keiner ist. Sandalen, beige-graue Trekkinghose, T-Shirt, gerötete schweißige Haut von der Hitze, blaues Shirt und lichter werdendes braunes Haar. Ein ständiges Grinsen begleitet das lose Mundwerk. Er führt uns gleich an unseren morgigen Treffpunkt und wir nutzen die Gelegenheit für eine Vorgespräch für unseren nächsten Film. Der Kakao in Ivochote soll den Fairen Handel in Deutschland bewerben. und wir sind das Film-Team. Unsere Magenschmerzen gehen vor allem zur spanischen Sprache. Wir können uns zwar verständigen, aber ein Interview ist nochmal eine andere Liga.

Der Geschäftsführer betont schon jetzt wie edel sein Kakao ist und dass kaum jemand, der oder die den Kakao probiert hat, diesen nicht wieder gekauft hat. Eine Info die uns noch öfters mitgeteilt wird.

Quillabamba

Wir nutzen die kurze Zeit in Quillabamba für einen Spaziergang und tatsächlich sind irgendwelche Festlichkeiten am Hauptplatz. Tribünen sind aufgebaut und viele Menschen mit und ohne Kostümen sind unterwegs. Plötzlich zieht an uns eine tanzende und musizierende Gruppe vorbei. Später werden wir solche Gruppen immer wieder sehen, nicht selten im Zusammenhang mit der Kirche. Quillabamba ist die größte Stadt mit 200.000 Einwohner*innen im Distrikt Echarati. Es ist vor allem deswegen reicher, weil sämtlicher Handel mit den umliegenden Dörfern über diese Stadt geht. Die Bäuerinnen und Bauern aus Ivochote zum Beispiel müssen für jede Reparatur nach Quillabamba. 6 Stunden hin und 6 Stunden zurück. Wenn es keinen Erdrutsch gab, sonst dauert es länger. Nicht selten fahren die Busse nachts, weil es da nicht so heiß ist. D.h. 2 Uhr nachts Abfahrt in Ivochote und dann wieder 2 Uhr nachts Abfahrt in Quillabamba. Schlafen scheint nicht so angesagt zu sein. Es gibt ja Coca.

Die Rentner*innen-Reise-Gruppe, kurz RRG

Arno meint, wir kommen genau richtig. Zum ersten Mal gibt es eine Touri-Gruppe aus Deutschland die u.a. mehrere Tage nach Ivochote reist. Es sind zwei Plätze frei geworden und nun können auch wir einfach mitkommen und werden mit ihnen an alle interessanten Plätze geführt. Tatsächlich macht uns das alles einfacher. Nach der einen Übernachtung in Quillabamba gehen wir mit unseren Gepäck zu Arnos Hotel und erwarten die Gruppe. Gemeinsam mit Ihnen packen wir unseren Kram auf das Dach des Minibusses.

Ich setze mich in die letzte Reihe und lerne im laufe der Fahrt nach Ivochote die beiden „jüngeren“ der Reise kennen, mit denen ich die Reihe teile. Ein Pärchen aus Franken. Er ist auch eher vom Typ Rampensau, schwer in Ordnung und nicht verlegen schlechte Witze zu machen. Dann kennt er noch das Känguru und engagiert sich gegen zu viel Religion in dieser Welt. Ganz sympathisch. Seine Frau dagegen, ist eher zurückhaltend. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nix von ihr.

Schon am Bus lerne ich den Sachsen kennen. Zwischen den ganzen schwäbisch-fränkischen Dialekten sticht er hervor. Reiseteam-intern nennen wir ihn „die Komödie“, weil er es schafft jedes Fettnäpfchen mitzunehmen. Er ist ganz lieb, nur kehrt er seine negative Sicht stark nach draußen. Wir schauen uns unbeteiligt die Konflikte zwischen ihm und der RRG an. Die Unterhaltung hatten wir gar nicht gebucht. Aber das schönste kommt ja meist überraschend. Nur die „Jüngeren“ scheinen ihn wirklich integrieren zu wollen.

Dann ist da das Vierer-Team vom Weltladen Ulm. Mit der kleinen braunhaarigen als zurückhaltende Anführerin. Die drei anderen Rentnerinnen sind auch ehrenamtlich Engagierte. Sie sind noch mehr dabei das als schönen Urlaub zu nehmen und erzählen viel und gern aus ihrem Leben.

Ein noch älteres Ehepaar, scheinbar Verwandte oder Bekannte von Arno, begleitet uns noch, doch besonders Er ist sehr in sich gekehrt. Freundlich sind sie wohl alle.

Bienvenido en Ivochote

Die Fahrt von Quillabamba nach Ivochote wurde mehrmals für Photo-Pausen unterbrochen. Allerdings ist der Bergregenwald mit dem Rio Urubamba auch ein prächtiges Motiv. Der Fluss schlängelt sich zwischen den steilen grünen Berghängen. Hier im Gebirge ist er nicht der ruhige Breite, sondern ein reißender Strom. Irgendwann verlassen wir die asphaltierte Strecke und biegen in Kiteni auf die Schotterpiste. Über sechs Stunden dauert die Fahrt, was angesichts der üblichen Distanzen in Peru eher wenig bis durchschnittlich ist. Ivochote ist ein Dorf mit einigen hundert Einwohner*innen. Ivochote liegt komplett rechtssseitig des schnellen Rio Urubamba und ist mit einer Hängebrücke mit dem anderen Ufer angebunden. Für Motorräder ist sie breit genug, nicht aber für Autos. Wir sind in einem der Hotels am Fluss untergebracht. Im Dorfkern thront ein großes Schulgelände und ein überdachter Fußballplatz mit einer kleinen Tribüne. Riesig im Vergleich zu den nicht mal hundert Schüler*innen.

Peru gibt viel Geld für Schulen aus, aber die Korruption ist auch hier ein Problem. Architekt*innen planen gerne groß, weil dann mehr abgerechnet werden kann und damit der prozentuale Eigenanteil größer wird. Eine andere Schule hatte sogar ein kleines Wasserbecken, jedoch ohne Wasser. und eine große Küche, jedoch ohne dem nötigen Gas. Auch die Lehrer*innen möchten lieber in den Städten arbeiten, sodass Bestechung bei der entsprechenden Vergabestelle normal sein. Mit 10.000 Soles für einen Großstadt-Arbeitsplatz sollte gerechnet werden. Auch seien Lehrer*innen schlechter je entfernter die Schule von der Großstadt liegt. Selbst an den Wegen abseits der Dörfer gibt es Schulen, für die Kinder der Bäuerinnen und Bauern, sowie der noch entfernter lebenden Mechungas, der einheimischen Indigenen.

Viele der Menschen in Ivochote arbeiten zur Zeit auch für die Gasfirma. Seit einiger Zeit wird eine sehr lange Erdgaspipeline von Camisea, was noch viel weiter östlich im Flachland-Regenwald liegt, bis an die Küste gezogen; das heißt auch einmal komplett über die Anden. Dafür wurden schon die meisten Kilometer im Bergregenwald abgeholzt und die Rohre ausgelegt. Arno hat uns auch einige Lagerstädte der zukünftigen Rohrelemente gezeigt. Anfangs seien viele vor Ort begeistert gewesen, weil die Firma Geschenke verteilt hat, die Straßen asphaltiert und viel Geld in Ausgleichsmaßnahmen gesteckt wurden. und natürlich weil es gut-bezahlte Arbeit gab. Als die Baufelder weiter-wanderten und die Naturzerstörung übrig blieb, begann der Protest. Camps der Gasfirma wurden in Brand gesteckt. Wenn deren Hubschrauber landeten, kamen die Einheimischen mit Fackeln. Dann schickte die Regierung das Militär. Um die Gasfirma zu schützen. Mittlerweile ist der Protest abgeebbt und der Bau geht weiter.

Jonathan

Mit Dreirad-Motorrädern soll es zum Kakao-Bauern Jonathan gehen. Mit dabei, der Präsident der ökologischen Kakao-Vereinigung Ivochote, oder einfach nur Adolfo. Manchmal auch Alfonso. Eines der Motorräder ist neu gekauft. Wir starten am neuen Zentrum der Vereinigung, wo wir auch mit Essen versorgt werden. Neue Toiletten, neue Küche, Gästezimmer, Lager, Versammlungsraum. Alles per Hand gemacht und mit Material von vor Ort. Es ist einfacher den Flusskies zu sieben und zu Zement anzurühren, als einen Laster kommen zu lassen. Bewundernswert was hier geschafft wurde. Jonathan und Adolfo sind noch dabei Bretter zuzuschneiden als wir frühstücken. Damit drei Reihen auf der Ladefläche eines Motorrads Platz nehmen kann. Neben dem Fahrer sind links und rechts noch je ein Sitz.

Ivochote liegt unter 500 Metern, aber die Bauernhöfe auf ca. 1.200 Metern über dem Meeresspiegel. Nach nur wenigen Kilometern den Schotterweg hinauf, platzt der Abluftschlauch am Motor. Stundenlang versuchen wir das zu reparieren. Teils mit Bananenblättern. Am Ende tut es ein Lappen und stetiges kühlen mit klaren Wasser vom Beifahrer. Der neue Schlauch muss erst in Quillabamba besorgt werden. Eine Weltreise entfernt. Jonathans Bauernhof besichtigen wir, der aus mehreren Holzbauten besteht und einem gut gepflegten Schrebergarten den Rang abläuft. Es gibt eine Küche, einen überdachten Versammlungstisch, eine Kakao-Anzucht, Unterkünfte, einen Gemüsegarten und einiges an Werkzeugen. Hühner laufen frei rum. Es gibt zig gut gepflegte Bäume, u.a zeigt er uns Zimt. Auch sein jüngster Sohn fährt mit seinem kleinen Fahrrad über den Hof und nähert sich immer wieder schüchtern den entzückten Rentner*innen die gerne mal wieder ein Photo von einem süßen Kind machen.

Er gibt uns Früchte zu essen, die wir noch nicht mal in Quillabamba kaufen könnten, weil die sehr schnell schlecht werden. Die kann mensch nur hier essen, wo sie wachsen. Früchte die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Leider sogar sehr leckere Früchte.

Der soziale Kakao

Wir werden auch hier von einer der Frauen-Gruppen bekocht. Arno erklärt, dass eines der zentralen Projekte der Kakao-Vereinigung die Frauen-Gruppen sind. Vormals sind nur die Männer zum Verkauf des Kakaos und wegen anderen Besorgungen ins Dorf gegangen. Nun aber treffen sich die Frauen und das stärke ihr Selbstbewusstsein ungemein. Als eine Frau von ihrem betrunkenen Mann immer wieder geschlagen wurde, haben sie sich gemeinsam aufgemacht und mit dem Mann gesprochen. Chefin des neuen Zentrums oder offiziell die Sekretärin der Vereinigung ist Amelia und hat als Frau eine führende Rolle eingenommen.

Ein weiterer Teil ist die Unterrichtung von Schwester Esther. Schwester Esther ist über einen christlichen Orden in das Tal gekommen und stammt aus dem Regenwald Indonesiens. Im Gegensatz zu den Bäuerinnen und Bauern kennt sie sich mit dem Regenwald aus. Arno erklärte uns, dass die meisten in Ivochote aus dem Hochland zugewandert sind und den Regenwald nicht kennen. Sie denken an die eigene Versorgung, sodass sie Land kaufen, abholzen, drei Jahre Kakao anbauen und dann neue Felder brauchen, weil der Boden keine Nährstoffe mehr trägt. Nun wird nachhaltig angebaut. Arno ist studierter Tropenökologe und trägt sein Wissen mit bei. Das wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Mittlerweile werden verschiedenste Pflanzen zur eigenen Versorgung angebaut, wie beispielsweise Salat, Tomaten und es wird sogar Kuchen gebacken. Alles das gab es vorher nicht. Mittlerweile ist es Teil der Schulspeißungen und es gibt Schulgärten.

Der Regenwald wird als nachhaltige Quelle geschützt, wieder aufgeforstet und für den Eigenbedarf genutzt. Über 90% von Jonathans Fläche ist natürlicher Regenwald, den er nun nicht mehr abholzen will. Vielleicht jagt er mal ein Tier, erntet eine Frucht oder fällt einen Baum für Neubauten. Nur ein paar Hektar nutzt er für den Kakao-Anbau.

Der Kakao

Kakao wächst an kleinen Bäumen die nicht größer sind als drei Meter. Interessanterweise wachsen die gelben oder roten Früchte direkt am Stamm oder den Ästen aber nicht bei den Blättern. Die Früchte sind hart, wasserflaschen-groß und geformt wie ein Football. Mit der Machete schlägt Jonathan eine Frucht in zwei und es kommt ein weißer Fruchtschleim zu Gesicht in dem die Kakao-Kerne geschützt sind. Der Schleim schmeckt ganz pasabel, aber die Kerne sind im Interesse von Adolfos Kolleg*innen. Die Kerne werden gewaschen, fermentiert und getrocknet. Erst dann werden sie Teils in Quillabamba weiterverarbeitet oder direkt nach Europa verschifft. Den Kakao erst „vor Ort“ zu Schokolade zu verarbeiten, ist ökologischer, weil der Transport dann nicht gekühlt werden muss.

Wir interviewen Adolfo zwischen Jonathans Kakao-Bäumen nach dem die RRG weitergezogen ist. Er sagt, dass der Klimawandel tatsächlich ein großes Problem ist. Mittlerweile breitet sich ein Insekt aus, welches sich vom Schleim ernährt und damit die Kerne im Wachstum schädigt. Das Insekt hat diese Höhen erst für sich entdecken können, weil es wärmer wurde. Ca. 50% der Früchte seien befallen. Ein riesiges Problem. Arno hält die Ur-Sorten für den Schlüssel um dem Trend Herr zu werden, sowie großflächigen Regenwaldschutz und Aufforstungen. Damit das Mikroklima im Urubamba-Tal konstant bleibt.

Arme Deutsche

Am letzten Abend sitzen wir sprachlos mit der RRG am Abendbrot-Tisch. Sie sammeln Geld für die Frauen-Gruppen. Ich habe die Bäuerinnen und Bauern als selbstbestimmte und stolze Menschen wahrgenommen. Ich konnte viel von Ihnen lernen und bin immer noch tief beeindruckt, wie sie ihr Leben gestalten und was sie geschafft haben. Menschen denen ich auf Augenhöhe begegnet bin und denen ich viel zugehört habe. Ihnen Geld zu spenden empfinde ich dabei als Abwertung. Ich der reiche Deutsche unterstreicht damit seine privilegierte Position. Rosa und ich wenden uns ab, was uns aber nicht so leicht gemacht wird. Sie diskutieren am Tisch den Gesamtpreis und legen fest wie viel jede*r zu geben hat. Als Rosa ablehnt, trifft sie der unverständliche Todesblick einer Rentnerin.

Bei einer Schulbesichtigung übergeben einige Rentnerinnen ihre Geschenke an die Direktorin der Schule. Nie wurde gefragt, was gebraucht wird. Kugelschreiber, Notizheftchen, Mini-Täschchen, Wasserbomben, … werden überreicht. Meines Erachtens Sachen, die sie einfach nicht mehr gebraucht haben. Sie denken, sie würden etwas gutes tun, wissen aber überhaupt nicht, ob es überhaupt helfen wird. Eigentlich geht es gar nicht darum den peruanischen Kindern zu helfen, sondern das gute Gewissen der schenkenden Deutschen. Die geistig Armen und die materiell Armen treffen sich hier in bewundernswerter Freundlichkeit.

Als sie dann sogar für Arno Geld sammeln, bin ich dann dran den Todesblick der Rentnerin einzufangen. Nie wurde ich gefragt, was ich davon halte, wie viel ich geben mag oder dergleichen. Nein, ich wurde einfach aufgefordert 30 Euro zu geben.

Der Touri-Tag

Unser letzter Tag vor der Abreise in Ivochote, ist ein touristischer Programmpunkt. Den Urubamba flussabwärts durchbricht der Fluss den letzten Gebirgszug der Anden und geht in den Flachlandregenwald über. Das Wasser gelangt über verschiedene Flüsse irgendwann in den Amazonas. Faszinierend ist dabei, dass die Amazonas-Mündung viele tausende Kilometer entfernt ist, aber der Höhenunterschied lediglich 300 Meter beträgt.

Wir fahren mit zwei lokalen Langbooten den Fluss hinab. Die Holzboote sind gute 40 Meter lang und mit Auto-Sesseln ausgestattet. Der Fluss macht noch einige Wendungen und hat einige Stromschnellen die viel Geschick erfordern. Ein Ausfall des Motors wäre der sichere Tod. Nach zig Stromschnellen und Hängebrücken erreichen wir die Schluchten des „Pongo de Mainique“. Faszinierend ragen links und rechts die Felswände auf. Hin und wieder durch Wasserfälle abgenutzt. Es ist leiser hier. Der laute Regenwald ist etwas zurückgetreten und nur das Wasser plätschert. Der Fluss ist immer noch reißend, aber er zeigt es nicht. Es ist kühler im Schatten der Felsen. Es ist dunkler ohne dem Grün und der Sonne.

Wir wandern später in einen Seitenarm und genießen ein Bad an einer ruhigeren Stelle. Gleich daneben hat der kleine Fluss eine natürliche Wasserrutsche gebastelt, was mich sehr lange sehr erfreut. Im Schatten der Bäume bleibt die Zeit stehen. Alle Arbeit mit dem Film ist vergessen. Ich lass mich immer wieder treiben und springe immer wieder von den Felsen in das kalte Nass. Die Sonne wärmt bedächtig die Felsen. Wohl Stunden hätte ich verbringen können, wenn nicht der Rest der Gruppe den Rückweg angebrochen hätte.

Arnos Bruder

Auf dem Weg zurück fordert Schwester Esther den Bootsfahrer auf kurz langsamer zu fahren. An einem Stein am Rande ist ein Name eingeschlagen. Fein säuberlich steht dort „Frederic“ geschrieben. Arnos Bruder. Er ist als Abenteuer-Tourist auf dem Rio Urubamba unterwegs gewesen, ist gekentert und wurde an dieser Stelle das letzte Mal gesehen. Wir staunen, dass Arno mit uns unterwegs ist. Er ist der Grund, warum Arno und seine Eltern immer wieder in diese Region kommen. Seit über 16 Jahren schon. Sie haben den Verein „Frederic – Hilfe für Peru“ aufgebaut, den viele in Ivochote kennen. Genauso wie Arno ein bunter Hund im Dorf ist. Der Verein ist der Anfang, der irgendwann zum direkten Handel mit Kakao führte. Es ist beeindruckend welche Spuren Frederic hinterlassen hat und wie er nun weiterlebt. Weit über sein Leben hinaus. Er war Backpacker, so wie wir.