Jun 27 2018

Kaffee, der stresst

von Karl, 26. Juni 2018, Playas (General Villamil)

 

Heute stelle ich euch Piura vor. Piura hat für mich zwei Gesichter. Sie heißen NorAndino und Kev. Beide Gesichter möchte ich euch vorstellen. Auch wenn es vielleicht unglücklich losgeht, so seid beruhigt, es wird besser.

(Nicht) Willkommen bei NorAndino

Unser zentrales Anliegen in Piura war der Besuch der großen Exportfirma „NorAndino“. NorAndino beliefert die ganze Welt, vor allem aber Europa, mit fairen Kaffee, Kakao und Rohrzucker. Schon in Huancayo kannten Leute NorAndino. Mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern arbeiten für NorAndino und es gibt mindestens eine große Fabrik, sowie eine Geschäftsstelle. Wir haben Probleme Informationen von unserer Kontaktfrau zu bekommen und werden sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Am ausgemachten Tag rufen wir an und können dann doch einfach vorbei kommen. Nun warten wir lange, doch Interesse an uns hat hier niemand. Das war bei den anderen Firmen meist anders, weil unser Film oft eine Gelegenheit ist, auch die eigenen Produkte vorzustellen. Gratis Werbung halt. Irgendwann sprechen wir mit einem Ingenieur, aber auch ihm erzählen wir alles von vorn. Dann schickt er uns mit einen Fahrer in die Kaffee-Fabrik.

Unbegleitet schlendere ich zwischen riesigen Lagern von Kaffee-Säcken und lauten staubigen Rüttelmaschinen und Transportbändern umher und mache Photos und Filmaufnahmen. Ich verstehe nicht, was die Maschinen machen. Die Lagerhallen sind beeindruckend groß und es prangern die großen Bio- und Fair-Handels-Siegel der importierenden Länder an den Wänden. NorAndino ist offensichtlich eine große und stolze Firma. Neben den Maschinen ist es kaum auszuhalten. Es ist extrem laut und staubig. Obschon es sehr aufgeräumt aussieht, ist der Boden von dem staubigen Sand bedeckt. Der Staub entsteht in der Produktion und stammt von den Kaffee-Bohnen. Die Kaffee-Schalen torkeln neben manchen Maschinen durch die Luft. Die staubige Luft wird matt von den Lampen erhellt und taucht die Umgebung in dunkles Gelb. Ein Arbeiter begegnet mir, alle anderen sind in der Mittagspause. Die Maschinen laufen wohl auch ohne Arbeiter*innen ganz gut.

Unser Begleiter taucht wieder auf und erklärt uns, dass wir am nächsten Tag zu den Kaffee-Feldern können, allerdings müsste NorAndino für uns ein Auto mieten. 60 Soles meint er. Das sind ca 15 Euro. Wir überlegen lange, ob wir den Film weiter verfolgen, wenn wir sogar für unsere Arbeit zahlen sollen. Schlussendlich gewinnt die Neugier und wir willigen ein. Er erklärt uns noch, dass eine Präsidentin einer deutschen Firma oder NGO gerade bei NorAndino zu Gast ist und sie uns gern treffen mag. Wir sollen um 4 Uhr nochmal zum Büro kommen.

Punkt um 4 sitzen wir wieder an gewohnter Stelle und warten. Irgendwann ist es nach um 5 und ein Angestellter fragt uns, ob wir sie gern heute oder morgen treffen mögen. Auf heute haben wir kein Bock mehr. Wir kommen uns ziemlich verarscht vor.

Tags drauf sind wir dann schon um 7 Uhr in der Frühe vor der Geschäftsstelle und finden unseren wortkargen Fahrer samt Geländewagen. Auf geht‘s. Auf der neuen Landstraße geht es mit 160 Sachen voran. Nur für die Bodenwellen wird abgebremst, die extra dafür da sind, dass langsam gefahren wird; und wohl auch in den Dörfern an der Strecke die einzige Überlebensversicherung ist, die Straßenseite zu wechseln. Irgendwann wird die Straße zu Beton und dann zu Schotter. Wir durchqueren Bachläufe und sehen die Berge. Ich bin überrascht, dass der Fahrer gar nicht von NorAndino ist und auch nicht den Weg kennt. Er hat nur einen Namen und einen Ort. Wir fahren durch die Berge in verschiedene Dörfer und mehrere Dutzend Mal fragt unser Fahrer nach dem Weg. Nach über vier Stunden und mehren Hin und Her finden wir den gesuchten Mann und folgen seinem Motorrad.

In einem NorAndino-Kaffee-Tal

Ricces ist Agrar-Ingenieur und das erst seit ein paar Monaten bei NorAndino. Hinzu kommt noch seine Kollegin, die den selben Job mit der selben Erfahrung macht. Sie betreuen Bäuerinnen und Bauern bei der Kaffee-Produktion. Er zeigt mit der Hand in das Tal und erklärt uns, dass hier überall Kaffee von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebaut wird und auch alle für NorAndino arbeiten. Das ganze Tal. Ein NorAndino-Kaffee-Tal. Jede*r der Ingenieur*innen hat eine bestimmte Region und kümmert sich um eben jene Kaffee-Bäuerinnen und -Bauern dieser Region. Entlang eines steilen schlammigen Pfades steigen wir mit den beiden von dem Dorf abwärts gen Tal. Ricces und Kollegin sind sehr geduldig und freundlich mit uns und erklären uns alles mögliche zur Kaffee-Produktion.

Es werden verschiedene Sorten angebaut, die verschieden schnell tragen und verschieden ertragreich sind. Normal sind die Beeren an den Sträuchern grün und wenn sie geerntet werden rot bis dunkelrot. In etwa wie kleine Kirschen. Es gibt aber auch Sorten, die gelbe Beeren tragen. Ricces quetscht den Kern aus der Kirsche und zeigt uns damit, worum es bei der Kaffee-Produktion geht. Der Kern verliert noch seine Schale in der Fabrik und in Europa werden die Kerne dann geröstet, wodurch sich erst das Aroma entfaltet. Da das wichtig ist und das Aroma mit der Zeit verschwindet, wird nicht in Peru geröstet, sondern erst vor Ort.

Die Bäuerinnen und Bauern haben Bäche mit Gräben umgeleitet und fangen zum Teil das Wasser auf. Damit kann dann an den entscheidenden Stellen gewässert werden. Die Kaffee-Felder liegen am Hang im Bergregenwald versteckt. Es sind nur wenige Hektar große Flächen, die von außen für uns nicht zu erkennen sind. Zumal zwischen den Kaffee-Sträuchern noch Bäume gepflanzt wurden, die verschiedene Zitrusfrüchte tragen. Sie bringen den nötigen Schatten, weil sie allesamt größer sind als die nur menschenhohen Kaffee-Sträucher. Ricces bestätigt unser Frage nach dem Klimawandel so schnell wie wir sie gestellt haben. Unsichere Regen- und Trocken-Zeiten seien die Folge, sowie das verstärkte Auftreten von Schädlingen. Vor dem Klimawandel waren die Jahreszeiten eindeutiger. Start und Ende sind ungewisser.

Es ist erstaunlich, wie für alle Bäuerinnen und Bauern die wir schon in Südamerika getroffen haben, es offensichtlich ist, dass es den Klimawandel gibt. Während in Europa und Nordamerika es immer noch Menschen gibt, die daran zweifeln.

Wir haben großes Glück mit der von Ricces Kollegin gewählten Plantage, weil gerade geerntet wird, obwohl es nicht Erntezeit ist. Der Bauer und viele Bäuerinnen sammeln in Körben per Hand die roten Kirschen ein. Sie schauen etwas schüchtern als sie uns sehen. Als wenn sie sich etwas schämen. Ich habe den Eindruck, dass sie es jetzt besonders gut machen möchten. Wir platzieren Ricces, als den selbstbewusstesten, zwischen den Reihen mit Kaffee-Pflanzen und interviewen ihn. Er schlägt sich ganz gut und freut sich, fast schon wie ein Kleinkind, ein erstes Interview in seinem Leben gegeben zu haben.

Wir verabschieden uns von den Arbeitenden und arbeiten uns zwischen den Sträuchern den Steilhang hoch. Auf dem Weg angekommen begrüßt uns eine Tarantula, größer als meine Hand. Gefährlich sei sie wohl, aber Ricces vertreibt sie mit einem Holzstab. Eine Distanz, die mir etwas zu wenig ist. Für mich zu nah an der schon fast kuschelig anmutenden Spinne.

Wir schauen uns noch Verarbeitungsanlagen an, um zu verstehen, wie die Kerne vom Fruchtfleisch getrennt werden. Allerdings sind diese weitgehend klein und draußen. Mit einen umgeleiteten Bach werden die Bohnen gereinigt und später auf einer schwarzen Plane getrocknet. Laster bringen die Säcke voll mit Kernen dann in die vier Stunden entfernte Fabrik in Piura.

Erst gegen Sonnenuntergang sind wir wieder zurück in Piura und unserer Fahrer nimmt nur wenige Meter vor unserem Ausstieg einen Kollegen auf, der deutlich kräftiger und bedrohlicher ist. Beim Ausstieg will dieser dann das Geld abrechnen, aber nun sind es 770 Soles und damit ca. 200 Euro. Wir sind sehr verärgert und diskutieren lange mit ihm. Wir haben das Geld einfach nicht und können es auch nicht bezahlen. Die Situation ist sehr beschissen für uns. Erst will er mit uns zu NorAndino fahren, um zu erfragen ob die den Betrag teils übernehmen, aber er verfolgt seinen Vorschlag nicht. Plötzlich bietet er uns an, die eben getankten 160 Soles (40 Euros) zu zahlen. Für uns deutlich annehmbarer. Als die beiden dann glücklich gestimmt lächeln, erscheint uns dieser Deal als ziemliche Verarsche. Wir sind schnurstracks abgedampft und ärgern uns noch eine Weile. Selbst wenn sie 160 Soles vertankt haben, so hat der Fahrer an dem Tag ja nix verdient. Warum dann die Freude? Wir können es uns nicht erklären. Wir denken zumindest: Nie wieder NorAndino.

Kev

Kev ist die positive Seite der Medaille Piura. Kev ist unser Gastgeber. Der erste Eindruck ist nicht, dass er offen auf Menschen zugeht, aber seine vielen Fragen strafen diesen Eindruck Lügen. Auch für uns hat er viel Zeit und Beratung. Als Ingenieur verdient er selbst für peruanische Verhältnisse extrem gut. Besitzt ein fünfstöckiges Haus mit zig Wohnungen, welche er an Angestellte, aber vor allem Studierende vermietet. Im fünften Stock können wir ein Zimmer beziehen. Ein anderes wird von einem jungen Venezolaner, 19 Jahre, und einer Venezolanerin, etwa Anfang 30, bewohnt. Das Wohnzimmer ist sehr groß und beherbergt auch eine geräumige Küche. Befremdlich wirkt der große Monitor an der Wand der in Echtzeit die Aufnahmen der Überwachungskameras im ganzen Hans anzeigt. Zu Kev gehört Alexandra, seine Freundin. Sie ist Studentin, aber verbringt viel Zeit im Wohnzimmer mit schlafen und fernsehen.

An den meisten Abenden sitzen wir bis nach Mitternacht und tauschen uns über Deutschland und Peru aus. Er erklärt uns, wie größere Firmen in Peru ihre Steuern zurück bekommen können, sodass sie unterm Stricht so gut wie keine zahlen. Ähnlich wie in Deutschland sind Spenden steuerlich absetzbar.

Auch seien viele Peruaner*innen sehr rücksichtslos untereinander, währenddessen sie sehr zuvorkommend gegenüber Ausländern seien. Kev ist großer Freund von Bier, sodass wir den einen Abend mit einer kurzen Motorradfahrt zur Tankstelle beginnen. Dabei zeigt er mir welche Bereiche beim letzten „El Niño“ überschwemmt wurden.

El Niño, zu deutsch „das Christkind“, ist ein ca. alle vier Jahre zur Weihnachtszeit auftretenden Klimaphänomen vor der Westküste Südamerikas. Normalerweise trägt der Humboldtstrom das Pazifik-Wasser vom Land weg, Richtung Westen, Richtung Indonesien. Dabei steigt kaltes Tiefenwasser vor der Küste auf, sodass das Klima an der Küste etwas kühler und sehr trocken ist. Wüste. Bei El Niño versiegt der Strom und das Wasser vor der Küste wird aufgeheizt. Es entsteht ein warm-feuchtes Klima mit starken Niederschlägen. Bäche werden zu riesigen Strömen. Kev meinte, dass das Wasser bis in die Häuser gelaufen ist, obwohl der aktuelle Flusslauf gut 10 bis 20 Meter tiefer liegt und ein sehr breites Flussbett hat. Alle Straßen waren überschwemmt. 2016 hat ein El Niño die Westküste heimgesucht. Aber nicht nur diese Region ist dann betroffen, sondern das Wettergleichgewicht auf der ganzen Erde gerät aus dem Fugen. Selbst in Europa soll es dann kälter sein. Die Meeresflora und -fauna an der Küste ist dadurch massiv gestört, sodass viele Tiere hungern und sterben, weil die Nahrungskette zu einer Art Domino-Kette wird. Peruanische Fischer haben, weil Weihnachten plötzlich keine Fische mehr da waren, dieses Phänomen irgendwann El Niño getauft.

Kev berät uns aber auch, wie wir den zusätzlichen Tag nutzen können, der uns geschenkt wurde, als wieder mal zu spät uns um Bustickets gekümmert haben. Also stehen wir eines vormittags an der Kreuzung um die Ecke und suchen den Bus ins empfohlene Catacaos. Ein touristisches Dorf ganz in der Nähe. Tatsächlich finden wir ihn irgendwann, doch Catacaos ist uns keinen langen Besuch wert. Es gibt sehr viel Handwerk mit Gold und Silber, doch brauchen wir gerade kein Schmuck. Nach nur wenigen Stunden nehmen wir den Bus in die Gegenrichtung.

 

Mit Kev habe ich einen Freund auf der Reise kennengelernt. Der viel Geduld mit mir hatte, obschon ich seine Sprache nur schlecht spreche. Bei der Verabschiedung ist er dann wieder ganz der distanzierte. Für uns geht es weiter, nächster Stopp ist an der Grenze. Seid gespannt (-;


Jun 17 2018

Eine fast unendliche Geschichte

von Rosa

Alles hat ein Ende, nur Huancayo nicht. Aus den ursprünglichen zwei Tagen wurden sechs, dann acht, dann neun und zwölf.

Wie alles begann…

Die Busfahrt war mal wieder unruhig. Ich hatte Mühe und Not mich auf meinem Sitz zu halten und meine Beine so zwischen die Absperrung zur Bustreppe zu klemmen, dass ich nicht bei jeder Kurve das Gleichgewicht verlor. Schlagloch um Schlagloch. Zwischen kalt und warm. Zwischen Schlaf und Wachkomma. In den frühen Morgenstunden eines Donnerstags hatte auch diese Fahrt ihr Ende. Freudig stieg ich nun endlich aus dem Bus ins…kalte Schwarz. Es war unerwartet kalt. Wir warteten im improvisierten Busbahnhof auf die Sonne. Unseren Host sollten wir erst 9 Uhr treffen. Noch vier Stunden. Mit den ersten Sonnenstrahlen fahren wir zum verabredeten Treffpunkt. Nach einer Weile kommt die Polizei auf uns zu. Schnell wird das Coca versteckt, obwohl es ja in Peru nicht verboten ist. Nur das Ausführen ist nicht erlaubt. Es stellt sich heraus, dass es nur die Touristenpolizei ist, die uns von den Sehenswürdigkeiten Huancayo überzeugen will.

Javier, unser Host zeigt uns seine Wohnung, die er mit einer Familie teilt. Seine eigene Familie ist quer in der Welt verteilt, sein Vater in den USA, seine Mutter in Italien und sein Bruder in Lima. Er irgendwo dazwischen. Javier sieht nach Metropole aus, leicht Hipster mit Nerdbrille und für peruanische Verhältnisse sehr groß. Darauf ist er stolz. Sein Vater war wohl ein erfolgreicher Torhüter in Peru und hat ihm seine Größe vererbt. Viel mehr ist ihm von seinem Vater nicht geblieben. Ab September will Javvier einen Master in Fotografie in Rom machen. Geldprobleme hat die Familie nicht. Ihnen gehören ein paar Immobilien, die sie an Studenten vermieten. Trotz seiner 29 Jahre wirkt er eher, wie jemand der nicht erwachsen werden will. Eben ganz „La Dolce Vita“.

Wir laufen mit Javier bis ins Zentrum der Stadt, Huancayo wirkt modern, die Menschen sehen nach Großstadt aus. Wieder kommen uns zwei junge Frauen entgegen, die uns eine Tour anbieten wollen. Rund um Huancayo gibt es viel zu sehen. Nur die Touristen fehlen. In Huancayo selbst tut sich unser Gastgeber schwer uns Besonderheiten der Stadt zu zeigen. Zufällig treffen wir seine Cousine Maria und sie lädt uns zum Abendessen ein. Es gibt Pasta „a la Peruana“. Der Abend wird lustig mit Rotwein, Zaubertricks und Politik. In Peru ist man der Auffassung, dass Europa das Paradies wäre und in Europa alles läuft. Vor allem in der Politik. Doch diesen Glauben müssen wir ihnen rauben. Vielleicht wirken die Probleme über den Pazifik weniger groß, doch auch in Deutschland gibt es Korruption, große Wirtschaftskonzerne werden nicht sanktioniert, weil sie zu mächtig sind. Eben auch wie überall auf der Welt. Die Wohnung von Maria ist modern eingerichtet. In ihrer Wohnstube steht ein zweiter unbenutzte Herd. Wir sprechen sie darauf an. Sie lächelt. Es wäre ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Dann zählt sie auf was sie noch alles zu ihrer Hochzeit bekommen hat. Es sind fast alle Möbelstücke der Wohnung inklusive der Wohnung selbst. Heiraten in Huancayo lohnt sich. Nicht selten entsteht ein Wettstreit zwischen den Familien. Da kann auch schon mal ein Auto oder ein Apartment verschenkt werden. Na mal sehen was sich machen lässt in den paar Tagen in Huancayo scherzen wir. Da wird uns schon Hilfe bei der Partnersuche angeboten. Wir lehnen trotz des verlockenden Angebot ab.

Aus zwei mach sechs

Am nächsten Morgen sind wir endlich mit Yannet verabredet. Sie ist die Chefin von Agropia. Der Grund warum wir eigentlich in Huancayo sind. Agropia stellt Chips und frittierte Maiskörner aus okölogischem und fairem Anbau her, die dann schon als Fertigprodukte nach Deutschland und Frankreich verschickt werden. Am Stadtrand steht die kleine Fabrik. Alles sieht sehr ordentlich aus. Uns werden erst einmal die produzierten Chips als Kostprobe angeboten. Ich kenne Chips schon aus Deutschland und bin amüsiert jetzt am Produktionsort zu sein. Die Besprechung dauert eine Weile, weil viel zu tun ist, einiges nicht gefilmt werden kann, weil der Prozess zu lange dauert und wir immer wieder darum bitten müssen alles noch einmal langsam zu wiederholen. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, d. h. wir können erst ab Montag drehen. Drei Tage Leerlauf für uns. Arbeitsmeeting auf Spanisch beendet. Es hat alles geklappt, aber der Kopf raucht etwas.

Als wir nach Hause kommen hat Javier eine Überraschung für uns. Vor der Tür steht ein kleiner gelber VW Käfer. Besonders in Huancayo sind uns die vielen alten Autos aufgefallen. Es gibt sogar ein Kinderspiel. Man ruft „Sapito“ (kleiner Frosch) und die jeweilige Farbe, wenn man einen sieht. Auch wir beteiligen uns am Spiel. Der Gang geht schwer, doch dann fährt er los, der alte Rennwagen. Mit dabei ist diesmal Javiers Cousin Hernán. Er ist nicht überzeugt von den Fahrkünsten seines Verwandten, steigt aber trotzdem ein. Der kleine Käfer quält sich den Berg bis zu einem Aussichtspunkt hinauf. Beim Ausblick über die Stadt fragt uns Hernán, ob wir nicht Lust hätten morgen mit auf eine Hochzeit zu kommen. Wir sagen zu, aber verweisen auf unsere eher kaputten Schuhe und unsere sportliche Kleidung. Der Anzug für Sponatanhochzeiten hat dann doch nicht mehr in den Rucksack gepasst. Wir werden kurz gemustert. Dann nickt Hernán ab.

Den Samstagmorgen verbringen wir, wie scheinbar andere Familien in Huancayo auch in der Werkstatt. Bei dem Verkehr in Huancayo kein Wunder. Der kleine Sapito war im Stadtverkehr nicht stark genug. Die Lampe ist kaputt und der Lack ab. Es gibt aber tatsächlich noch einen Fachbedarfladen für Käfer Ersatzteile. Der Lack wir abgeschliffen, neue Masse aufgespachtelt, wieder abgeschliffen und mit Farbe bespritzt. Wie neu. Glück gehabt.

Samstag ist großer Hochzeitstag in Peru. So verwundert es auch nicht, dass wir erst einige Minuten auf der falschen Hochzeit tanzen, bis ein Freund von Hernán bemerkt, dass er das Brautpaar gar nicht kennt. Wir ziehen uns mit einem leichten Schmunzeln zurück. Vor der richtigen Hochzeit begrüßt uns dann schon ein LKW mit Bierkästen. Das Brautpaar feiert in einer Art Halle, die spärlich geschmückt ist. Als wir gegen frühen Nachmittag ankommen, übergeben einige der 200 Gäste gerade ihre Geschenke. Das Überreichen der Geschenke ist eine Zeremonie. Vom Gemüsekorb bis zum Auto ist alles dabei. Eine Blaskapelle spielt den Takt vor und die Schenker tippeln in in kleinen Schritten nacheinander bis sie beim Brautpaar angekommen sind. Dann wird dieser Vorgang noch einmal mit Bierkästen wiederholt. Irgendwann dürfen die Gäste dann auch trinken, aber das erfolgt ebenfalls nach einer bestimmten Regel. Es gibt eine Bierflasche und einen Becher. Alle stehen im Kreis. Der erste in der Reihe schenkt sich einen kleinen Schluck in den Becher und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn weiter. Dann wird sich zugeprostet. Aber nur der mit dem Becher trinkt. Der Becher wird maximal in 2 Schlucken fast leer getrunken. Der kleine Rest im Becher wird auf den Boden geschüttet für die Pachamama (Mutter Erde). Dann geht der Becher weiter an den nächsten, der schenkt sich wieder ein und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn und so weiter. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass weniger mehr ist, denn im Kreis können auch schon mal mehre Bierflasche rotieren. Durch die kleinen Schlucke wird man weniger schnell betrunken. Wenn nicht getrunken wird, dann tanzen alle. Aber es geht auch beides gleichzeitig. Entweder zu Blasmusik in kleinen Tippelschritten oder zu Cumbia (traditioneller peruanischer Musik) in größeren Tippelschritten mit etwas mehr Hüfte. Man hat Freude daran den Deutschen Tanzen beizubringen, mit uns Fotos zu machen oder uns zu Fragen wie wir die Peruaner finden. Gegen zehn Uhr abends leert sich der Saal etwas, alle sind gut angetrunken. Wir besorgen uns noch etwas zu Essen, denn das haben wir nicht so richtig auf der Hochzeit gefunden.

Es gibt nicht alles soviel wie Bier in Huancayo. Es fehlt vor allem an Wärme, Wasser und Toilettenpapier. Es ist normal in geschlossenen Räumen mit dicker Jacke zu sitzen. Kinder haben sogar Wollmützen auf. Heizungen gibt es nicht. Meine Nase ist eigentlich permanent kalt. Es sei denn, die Sonne scheint. Dann brennt sie und man darf sich nicht zu sehr an den Sonnenstrahlen laben, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Das Schlafen ist nur im Schlafsack oder mit mehreren Decken möglich. Wärme bringt auch eine heiße Dusche, die ist dann aber wirklich sehr heiß. Dieser Plan funktioniert aber nur, wenn es tatsächlich Wasser gibt. Manchmal kommen nur Tropfen aus dem Wasserhahn und manchmal gar kein Wasser. Am nächsten Morgen geht es dann plötzlich wieder. Toilettenpapier, was eigentlich in ganz Peru auf Toiletten nicht vorhanden ist, sollte man immer bei sich haben. Man sieht auch Leute, die mit so einer Papierrolle spazieren gehen und auch in unserer Unterkunft hat jeder seine eigene Rolle. Dafür kann man es auch an jeder Ecke kaufen wie Zigaretten eben. Man muss es eben nur wissen. Rauchen ist in Peru übrigens nicht üblich.

Dann acht, wer hät‘s gedacht

Aus dem Schlafsack zu klettern, ist eine besondere Herausforderung. Halb sieben am Morgen umso mehr. Es ist Dienstag und wir können endlich anfangen zu drehen. Wir besorgen uns noch ein paar Blätterteigspezialitäten und ein Brötchen mit Ei. An jeder Ecke, wirklich an jeder Ecke, kann man sich irgendetwas kaufen. Es gibt unzählige Tante-Emma-Läden, Essensstände mit gegrilltem Fleisch, belegten Brötchen, Süßigkeiten oder frischen Säften. Javier erklärt uns, dass sich jeder irgendwie über Wasser halten muss und so werden die Menschen kreativ und verkaufen alles was geht. Wir laufen gerade an einer Schule vorbei. Die Süßigkeiten und Spielzeugstände werden von Schülern belagert. Sich etwas Kleines zu gönnen scheint bei dem Angebot unvermeidlich. Wir haben uns schnell an diese Lebensart gewöhnt. Kurz nach acht sitzen wir dann im Auto von Silvestre und Pedro. Silvestre ist der Technik-Chef von Agropia und Pedro sein Assistent. Gut 45 Minuten geht es bergauf nach Aymara. Aus den Lautsprecher des Autos tönen Gitarrenklänge und spanischer Gesang. Die Musik untermalt perfekt den Anblick, der sich uns bietet. Grüne Berge und Täler, unterbrochen von Anbauflächen, die sich über weite Strecken der Berghänge verteilen. Wir treffen auf Schafhirten und Schafe, die uns den Weg versperren. Es ist Andenromantik pur.

In Aymara angekommen werden die Schlaglöcher größer und der Nebel dichter. Wir laufen einen kleinen Hügel hinauf und dort bereiten gerade ein paar Bäuerinnen und Bauern ein Feuer vor. Es ist für unser Mittagessen gedacht. Neomi, eine Kartoffelproduzentin, hat extra ihren festlichen Rock mitgebracht und eine Blume steckt in ihrem Hut.

Normalerweise würde sie so nicht auf dem Feld arbeiten, aber heute ist ein besonderer Tag. Noemi ist etwas aufgeregt, als wir ihr Kamera und Mikrofon vor die Nase halten. Um sie herum stehen die anderen Mitglieder der Kooperative und schauen ihr gespannt über die Schulter. In 4000 Meter Höhe wachsen nicht nur gelbe Kartoffeln in der Erde, sondern auch rote und blaue. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick.

Noemi erzählt, dass sie als Bäuerinnen den Klimawandel bei ihrer Produktion deutlich merken. Seit fünf Jahren hat sich die Regenzeit stark verändert, manchmal regnet es zu viel, manchmal zu wenig. Neue Schädlinge sind aufgetaucht und in einem Jahr ist die gesamte Ernte ausgeblieben, weil es zu stark geregnet hatte. In der Mittagspause gibt es dann eine Kostprobe von den blauen und roten Kartoffeln mit Käsecreme und Lamm. Alles gegart auf Steinen im Erdloch. Nach dem Mittag hält Silvestre noch eine Ansprache und auch wir werden zu ein paar Worten überredet. Dann müssen wir noch in den Arbeitsnachweishäften der Bäuerinnen und Bauern unterschreiben. In diesem Heft wird alles genau protokolliert. Einkauf, Ernte, Düngemittel und Weiterbildungen. Auch bei Naomi geht es genau zu. Alle ihre Utensilien für ihre Arbeit sind beschriftet. Die Kartoffeln für Agropia und die Kartoffeln für den Markt. Dann zeigt uns Naomi noch stolz ihr Meerschweinchenzucht. 120 der kleinen Nager tummeln sich in einer kleinen Halle. Auch Hasen gibt es. Zurück in der Fabrik von Agropia, erklärt uns Yannet, dass es besser wäre am Donnerstag weiterzufilmen, d. h. wir haben wieder einen Tag frei.

Zum Feierabend gönnen wir uns ein Eis. Genauer genommen frittiertes Eis. Dabei wird eine fetthaltige Milch mit Früchten oder Schokolade gemixt und auf einer geraden Fläche auf -15 Grad gefroren. Dann wird mit einem Spachtel die dünne Eisschicht zu Rollen abgetragen. Es gibt noch verschiedene Toppings dazu. Die Zubereitung ist ein Spektakel. Als wir hören, dass es das ganze auch schon in Dresden gibt und zwar für 7 Euro statt den hier 1,50 Euro beschließen wir am nächsten Tag wiederzukommen.

Dann neun

Seit einer Woche sind wir in Huancayo. Wir sitzen gerade beim Frühstück, als die Kinder der Familie wieder nach Hause kommen und der Vater uns erklärt, dass es einen Generalstreik gibt. Alle Transportunternehmen und der Schulsektor sind betroffen. In diesem Moment klingelt unser Telefon. Es ist Yannet. Sie erklärt uns, dass der Weg zur Fabrik durch Straßenspeeren blockiert wäre und wir erst am Freitag kommen könnten. Dumm gelaufen. Die Tickets für den Nachtbus nach Lima sind schon gekauft, aber nicht umtauschbar. Im Zentrum ist es anders als angekündigt relativ ruhig. Auf dem Weg dahin begegnen uns weniger Taxis und Busse. Einige Läden haben geschlossen. Die Polizei steht vor Regierungsgebäuden und Banken. Ein Zug von 100 Menschen zieht mit Kochtöpfen und Stöcken durch die Straßen. Ab und zu kommen neue Protestzüge vorbei. Ein Mann erklärt uns, dass seit einer Woche der Ölpreis gestiegen ist und alle Bereiche davon betroffen sind. Zum Beispiel sind die Lebensmittel teurer geworden.

Und zwölf

Neben mir hustet es. Karl ist krank. Fieber. Auch heute ist das Filmen nicht möglich. Es ist Freitag. Das heißt noch ein Wochenende in Huancayo. Wir rufen Yannet an, dass wir erst am Montag kommen, um die letzten Bilder zu drehen. Ich verbringe die Tage im „Parque de la Identidad“ (Park der Identität). Die Gestaltung erinnert mich an Hundertwasser. Ich lausche der Musik, beobachte Wolken und lese Destojewski. Dünne Fäden ziehen sich aus den Wolken wie Zuckerwatte. Stunden vergehen. So schnell wie das Fieber gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Unser Host muss nach Lima und wir ziehen in ein Hostel um.

Dann ist es endlich Montag, wir stehen vor der Fabrik und treffen noch einmal Noemi. Bevor es losgeht, müssen wir noch Schutzkleidung anziehen. Dann kommen die ersten Kartoffeln, werden geschnitten, gewaschen, frittiert und verpackt. Immer wieder kontrolliert von der Produktionschefin. Es läuft wie am Schnürchen und doch steckt im ganzen Prozess mehr Handarbeit als wir gedacht hätten. Zum Mittag gibt es, wie sollte es anders sein, die frischen Chips. Die Chefin erzählt stolz, dass hier viele Frauen arbeiten, die einen guten Lohn bekommen und somit unabhängiger sind.

Uuund Cut. Die letzte Szene ist im Kasten. Was lange währt, wird endlich gut. So sitzen wir nach 12 langen, kalten und schönen Tagen wieder im Bus. Wir verlassen nach einiger Zeit das Hochgebirge, um in wärmere Regionen an die Küste Perus zu fahren.

 


Mai 29 2018

Frederic

29. Mai 2018

Ayacucho

von Karl

 

Manche Menschen leben länger als sie gelebt haben. Arnos Bruder ist ein solcher. Arno ist eine Rampensau. So bezeichnet er sich selbst. Er muss wohl als Kind in ein Wörterbuch gefallen sein. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall hat er viel zu erzählen und freut sich wenn er Fragen gestellt bekommt. Am liebsten über Peru, über Ivochote, dem Kakao-Anbau und natürlich „Peru Puro“. Seinem Baby. Er ist Geschäftsführer dieser Importfirma. Im direkten Handel, was er nicht ohne stolz sagt, in Abgrenzung zum Fairen Handel, importiert er direkt von den Bauern und Bäuerinnen Kakao nach Deutschland. Es gibt keine Zwischenhändler. Alles ist voll ökologisch und angebaut wird Chuncho, eine Ur-Kakao-Sorte. Daraus entsteht Edelkakao und -schokolade, die Arno dann in Deutschland vermarktet. So viel zur Vorrede.

Wie alles begann.

Schon am Minibus in Cusco lerne ich einen ehemaligen Ivochoter kennen. Gabriel ist jetzt Fahrer eines Minibusunternehmens, hat früher in Quillabamba im Kakao-Business gearbeitet und davor Strom in Ivochote verlegt. Seine Kolleg*innen stehen noch an der Straße um die letzten Plätze zu verkaufen. Laut rufen sie „Quillabamba“ auf die dichtbefahrene Straße. Die Fahrt nach Quillabamba lehrt uns das erste Mal bei tageslicht die Realität eines echten Gebirges. Immer wieder geht es Serpentinen hoch und runter. Oft führen die Straßen an Berghängen entlang. Ab über 3.500 Metern nimmt auch die Baumvegetation ab und die Berge sehen gelblicher aus, geprägt von dem Gras. Oft kann weit in das Tal hinein geschaut werden, sodass atemberaubende Ausblicke entstehen. Irgendwann halten wir auf einen Pass, der gut über 4.000m liegt. Nebel oder Wolken wabern von der anderen Seite über den Pass. Kurz darauf fahren wir im Achterbahntempo kilometerlang durch Wolken, bis wir wieder im Regenwald rauskommen. Eine der bedrohtesten und seltensten Vegetationszonen sind die Nebelwälder. Das sind Regenwälder die die meiste Zeit im Nebel stehen. Vielleicht sind wir durch einen solchen gefahren.

In Quillabamba finden wir eine günstige Unterkunft und schon steht Arno vor der Tür. Ganz wie ein deutscher Tourist auszusehen hat – nur – dass gerade er, gar keiner ist. Sandalen, beige-graue Trekkinghose, T-Shirt, gerötete schweißige Haut von der Hitze, blaues Shirt und lichter werdendes braunes Haar. Ein ständiges Grinsen begleitet das lose Mundwerk. Er führt uns gleich an unseren morgigen Treffpunkt und wir nutzen die Gelegenheit für eine Vorgespräch für unseren nächsten Film. Der Kakao in Ivochote soll den Fairen Handel in Deutschland bewerben. und wir sind das Film-Team. Unsere Magenschmerzen gehen vor allem zur spanischen Sprache. Wir können uns zwar verständigen, aber ein Interview ist nochmal eine andere Liga.

Der Geschäftsführer betont schon jetzt wie edel sein Kakao ist und dass kaum jemand, der oder die den Kakao probiert hat, diesen nicht wieder gekauft hat. Eine Info die uns noch öfters mitgeteilt wird.

Quillabamba

Wir nutzen die kurze Zeit in Quillabamba für einen Spaziergang und tatsächlich sind irgendwelche Festlichkeiten am Hauptplatz. Tribünen sind aufgebaut und viele Menschen mit und ohne Kostümen sind unterwegs. Plötzlich zieht an uns eine tanzende und musizierende Gruppe vorbei. Später werden wir solche Gruppen immer wieder sehen, nicht selten im Zusammenhang mit der Kirche. Quillabamba ist die größte Stadt mit 200.000 Einwohner*innen im Distrikt Echarati. Es ist vor allem deswegen reicher, weil sämtlicher Handel mit den umliegenden Dörfern über diese Stadt geht. Die Bäuerinnen und Bauern aus Ivochote zum Beispiel müssen für jede Reparatur nach Quillabamba. 6 Stunden hin und 6 Stunden zurück. Wenn es keinen Erdrutsch gab, sonst dauert es länger. Nicht selten fahren die Busse nachts, weil es da nicht so heiß ist. D.h. 2 Uhr nachts Abfahrt in Ivochote und dann wieder 2 Uhr nachts Abfahrt in Quillabamba. Schlafen scheint nicht so angesagt zu sein. Es gibt ja Coca.

Die Rentner*innen-Reise-Gruppe, kurz RRG

Arno meint, wir kommen genau richtig. Zum ersten Mal gibt es eine Touri-Gruppe aus Deutschland die u.a. mehrere Tage nach Ivochote reist. Es sind zwei Plätze frei geworden und nun können auch wir einfach mitkommen und werden mit ihnen an alle interessanten Plätze geführt. Tatsächlich macht uns das alles einfacher. Nach der einen Übernachtung in Quillabamba gehen wir mit unseren Gepäck zu Arnos Hotel und erwarten die Gruppe. Gemeinsam mit Ihnen packen wir unseren Kram auf das Dach des Minibusses.

Ich setze mich in die letzte Reihe und lerne im laufe der Fahrt nach Ivochote die beiden „jüngeren“ der Reise kennen, mit denen ich die Reihe teile. Ein Pärchen aus Franken. Er ist auch eher vom Typ Rampensau, schwer in Ordnung und nicht verlegen schlechte Witze zu machen. Dann kennt er noch das Känguru und engagiert sich gegen zu viel Religion in dieser Welt. Ganz sympathisch. Seine Frau dagegen, ist eher zurückhaltend. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nix von ihr.

Schon am Bus lerne ich den Sachsen kennen. Zwischen den ganzen schwäbisch-fränkischen Dialekten sticht er hervor. Reiseteam-intern nennen wir ihn „die Komödie“, weil er es schafft jedes Fettnäpfchen mitzunehmen. Er ist ganz lieb, nur kehrt er seine negative Sicht stark nach draußen. Wir schauen uns unbeteiligt die Konflikte zwischen ihm und der RRG an. Die Unterhaltung hatten wir gar nicht gebucht. Aber das schönste kommt ja meist überraschend. Nur die „Jüngeren“ scheinen ihn wirklich integrieren zu wollen.

Dann ist da das Vierer-Team vom Weltladen Ulm. Mit der kleinen braunhaarigen als zurückhaltende Anführerin. Die drei anderen Rentnerinnen sind auch ehrenamtlich Engagierte. Sie sind noch mehr dabei das als schönen Urlaub zu nehmen und erzählen viel und gern aus ihrem Leben.

Ein noch älteres Ehepaar, scheinbar Verwandte oder Bekannte von Arno, begleitet uns noch, doch besonders Er ist sehr in sich gekehrt. Freundlich sind sie wohl alle.

Bienvenido en Ivochote

Die Fahrt von Quillabamba nach Ivochote wurde mehrmals für Photo-Pausen unterbrochen. Allerdings ist der Bergregenwald mit dem Rio Urubamba auch ein prächtiges Motiv. Der Fluss schlängelt sich zwischen den steilen grünen Berghängen. Hier im Gebirge ist er nicht der ruhige Breite, sondern ein reißender Strom. Irgendwann verlassen wir die asphaltierte Strecke und biegen in Kiteni auf die Schotterpiste. Über sechs Stunden dauert die Fahrt, was angesichts der üblichen Distanzen in Peru eher wenig bis durchschnittlich ist. Ivochote ist ein Dorf mit einigen hundert Einwohner*innen. Ivochote liegt komplett rechtssseitig des schnellen Rio Urubamba und ist mit einer Hängebrücke mit dem anderen Ufer angebunden. Für Motorräder ist sie breit genug, nicht aber für Autos. Wir sind in einem der Hotels am Fluss untergebracht. Im Dorfkern thront ein großes Schulgelände und ein überdachter Fußballplatz mit einer kleinen Tribüne. Riesig im Vergleich zu den nicht mal hundert Schüler*innen.

Peru gibt viel Geld für Schulen aus, aber die Korruption ist auch hier ein Problem. Architekt*innen planen gerne groß, weil dann mehr abgerechnet werden kann und damit der prozentuale Eigenanteil größer wird. Eine andere Schule hatte sogar ein kleines Wasserbecken, jedoch ohne Wasser. und eine große Küche, jedoch ohne dem nötigen Gas. Auch die Lehrer*innen möchten lieber in den Städten arbeiten, sodass Bestechung bei der entsprechenden Vergabestelle normal sein. Mit 10.000 Soles für einen Großstadt-Arbeitsplatz sollte gerechnet werden. Auch seien Lehrer*innen schlechter je entfernter die Schule von der Großstadt liegt. Selbst an den Wegen abseits der Dörfer gibt es Schulen, für die Kinder der Bäuerinnen und Bauern, sowie der noch entfernter lebenden Mechungas, der einheimischen Indigenen.

Viele der Menschen in Ivochote arbeiten zur Zeit auch für die Gasfirma. Seit einiger Zeit wird eine sehr lange Erdgaspipeline von Camisea, was noch viel weiter östlich im Flachland-Regenwald liegt, bis an die Küste gezogen; das heißt auch einmal komplett über die Anden. Dafür wurden schon die meisten Kilometer im Bergregenwald abgeholzt und die Rohre ausgelegt. Arno hat uns auch einige Lagerstädte der zukünftigen Rohrelemente gezeigt. Anfangs seien viele vor Ort begeistert gewesen, weil die Firma Geschenke verteilt hat, die Straßen asphaltiert und viel Geld in Ausgleichsmaßnahmen gesteckt wurden. und natürlich weil es gut-bezahlte Arbeit gab. Als die Baufelder weiter-wanderten und die Naturzerstörung übrig blieb, begann der Protest. Camps der Gasfirma wurden in Brand gesteckt. Wenn deren Hubschrauber landeten, kamen die Einheimischen mit Fackeln. Dann schickte die Regierung das Militär. Um die Gasfirma zu schützen. Mittlerweile ist der Protest abgeebbt und der Bau geht weiter.

Jonathan

Mit Dreirad-Motorrädern soll es zum Kakao-Bauern Jonathan gehen. Mit dabei, der Präsident der ökologischen Kakao-Vereinigung Ivochote, oder einfach nur Adolfo. Manchmal auch Alfonso. Eines der Motorräder ist neu gekauft. Wir starten am neuen Zentrum der Vereinigung, wo wir auch mit Essen versorgt werden. Neue Toiletten, neue Küche, Gästezimmer, Lager, Versammlungsraum. Alles per Hand gemacht und mit Material von vor Ort. Es ist einfacher den Flusskies zu sieben und zu Zement anzurühren, als einen Laster kommen zu lassen. Bewundernswert was hier geschafft wurde. Jonathan und Adolfo sind noch dabei Bretter zuzuschneiden als wir frühstücken. Damit drei Reihen auf der Ladefläche eines Motorrads Platz nehmen kann. Neben dem Fahrer sind links und rechts noch je ein Sitz.

Ivochote liegt unter 500 Metern, aber die Bauernhöfe auf ca. 1.200 Metern über dem Meeresspiegel. Nach nur wenigen Kilometern den Schotterweg hinauf, platzt der Abluftschlauch am Motor. Stundenlang versuchen wir das zu reparieren. Teils mit Bananenblättern. Am Ende tut es ein Lappen und stetiges kühlen mit klaren Wasser vom Beifahrer. Der neue Schlauch muss erst in Quillabamba besorgt werden. Eine Weltreise entfernt. Jonathans Bauernhof besichtigen wir, der aus mehreren Holzbauten besteht und einem gut gepflegten Schrebergarten den Rang abläuft. Es gibt eine Küche, einen überdachten Versammlungstisch, eine Kakao-Anzucht, Unterkünfte, einen Gemüsegarten und einiges an Werkzeugen. Hühner laufen frei rum. Es gibt zig gut gepflegte Bäume, u.a zeigt er uns Zimt. Auch sein jüngster Sohn fährt mit seinem kleinen Fahrrad über den Hof und nähert sich immer wieder schüchtern den entzückten Rentner*innen die gerne mal wieder ein Photo von einem süßen Kind machen.

Er gibt uns Früchte zu essen, die wir noch nicht mal in Quillabamba kaufen könnten, weil die sehr schnell schlecht werden. Die kann mensch nur hier essen, wo sie wachsen. Früchte die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Leider sogar sehr leckere Früchte.

Der soziale Kakao

Wir werden auch hier von einer der Frauen-Gruppen bekocht. Arno erklärt, dass eines der zentralen Projekte der Kakao-Vereinigung die Frauen-Gruppen sind. Vormals sind nur die Männer zum Verkauf des Kakaos und wegen anderen Besorgungen ins Dorf gegangen. Nun aber treffen sich die Frauen und das stärke ihr Selbstbewusstsein ungemein. Als eine Frau von ihrem betrunkenen Mann immer wieder geschlagen wurde, haben sie sich gemeinsam aufgemacht und mit dem Mann gesprochen. Chefin des neuen Zentrums oder offiziell die Sekretärin der Vereinigung ist Amelia und hat als Frau eine führende Rolle eingenommen.

Ein weiterer Teil ist die Unterrichtung von Schwester Esther. Schwester Esther ist über einen christlichen Orden in das Tal gekommen und stammt aus dem Regenwald Indonesiens. Im Gegensatz zu den Bäuerinnen und Bauern kennt sie sich mit dem Regenwald aus. Arno erklärte uns, dass die meisten in Ivochote aus dem Hochland zugewandert sind und den Regenwald nicht kennen. Sie denken an die eigene Versorgung, sodass sie Land kaufen, abholzen, drei Jahre Kakao anbauen und dann neue Felder brauchen, weil der Boden keine Nährstoffe mehr trägt. Nun wird nachhaltig angebaut. Arno ist studierter Tropenökologe und trägt sein Wissen mit bei. Das wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Mittlerweile werden verschiedenste Pflanzen zur eigenen Versorgung angebaut, wie beispielsweise Salat, Tomaten und es wird sogar Kuchen gebacken. Alles das gab es vorher nicht. Mittlerweile ist es Teil der Schulspeißungen und es gibt Schulgärten.

Der Regenwald wird als nachhaltige Quelle geschützt, wieder aufgeforstet und für den Eigenbedarf genutzt. Über 90% von Jonathans Fläche ist natürlicher Regenwald, den er nun nicht mehr abholzen will. Vielleicht jagt er mal ein Tier, erntet eine Frucht oder fällt einen Baum für Neubauten. Nur ein paar Hektar nutzt er für den Kakao-Anbau.

Der Kakao

Kakao wächst an kleinen Bäumen die nicht größer sind als drei Meter. Interessanterweise wachsen die gelben oder roten Früchte direkt am Stamm oder den Ästen aber nicht bei den Blättern. Die Früchte sind hart, wasserflaschen-groß und geformt wie ein Football. Mit der Machete schlägt Jonathan eine Frucht in zwei und es kommt ein weißer Fruchtschleim zu Gesicht in dem die Kakao-Kerne geschützt sind. Der Schleim schmeckt ganz pasabel, aber die Kerne sind im Interesse von Adolfos Kolleg*innen. Die Kerne werden gewaschen, fermentiert und getrocknet. Erst dann werden sie Teils in Quillabamba weiterverarbeitet oder direkt nach Europa verschifft. Den Kakao erst „vor Ort“ zu Schokolade zu verarbeiten, ist ökologischer, weil der Transport dann nicht gekühlt werden muss.

Wir interviewen Adolfo zwischen Jonathans Kakao-Bäumen nach dem die RRG weitergezogen ist. Er sagt, dass der Klimawandel tatsächlich ein großes Problem ist. Mittlerweile breitet sich ein Insekt aus, welches sich vom Schleim ernährt und damit die Kerne im Wachstum schädigt. Das Insekt hat diese Höhen erst für sich entdecken können, weil es wärmer wurde. Ca. 50% der Früchte seien befallen. Ein riesiges Problem. Arno hält die Ur-Sorten für den Schlüssel um dem Trend Herr zu werden, sowie großflächigen Regenwaldschutz und Aufforstungen. Damit das Mikroklima im Urubamba-Tal konstant bleibt.

Arme Deutsche

Am letzten Abend sitzen wir sprachlos mit der RRG am Abendbrot-Tisch. Sie sammeln Geld für die Frauen-Gruppen. Ich habe die Bäuerinnen und Bauern als selbstbestimmte und stolze Menschen wahrgenommen. Ich konnte viel von Ihnen lernen und bin immer noch tief beeindruckt, wie sie ihr Leben gestalten und was sie geschafft haben. Menschen denen ich auf Augenhöhe begegnet bin und denen ich viel zugehört habe. Ihnen Geld zu spenden empfinde ich dabei als Abwertung. Ich der reiche Deutsche unterstreicht damit seine privilegierte Position. Rosa und ich wenden uns ab, was uns aber nicht so leicht gemacht wird. Sie diskutieren am Tisch den Gesamtpreis und legen fest wie viel jede*r zu geben hat. Als Rosa ablehnt, trifft sie der unverständliche Todesblick einer Rentnerin.

Bei einer Schulbesichtigung übergeben einige Rentnerinnen ihre Geschenke an die Direktorin der Schule. Nie wurde gefragt, was gebraucht wird. Kugelschreiber, Notizheftchen, Mini-Täschchen, Wasserbomben, … werden überreicht. Meines Erachtens Sachen, die sie einfach nicht mehr gebraucht haben. Sie denken, sie würden etwas gutes tun, wissen aber überhaupt nicht, ob es überhaupt helfen wird. Eigentlich geht es gar nicht darum den peruanischen Kindern zu helfen, sondern das gute Gewissen der schenkenden Deutschen. Die geistig Armen und die materiell Armen treffen sich hier in bewundernswerter Freundlichkeit.

Als sie dann sogar für Arno Geld sammeln, bin ich dann dran den Todesblick der Rentnerin einzufangen. Nie wurde ich gefragt, was ich davon halte, wie viel ich geben mag oder dergleichen. Nein, ich wurde einfach aufgefordert 30 Euro zu geben.

Der Touri-Tag

Unser letzter Tag vor der Abreise in Ivochote, ist ein touristischer Programmpunkt. Den Urubamba flussabwärts durchbricht der Fluss den letzten Gebirgszug der Anden und geht in den Flachlandregenwald über. Das Wasser gelangt über verschiedene Flüsse irgendwann in den Amazonas. Faszinierend ist dabei, dass die Amazonas-Mündung viele tausende Kilometer entfernt ist, aber der Höhenunterschied lediglich 300 Meter beträgt.

Wir fahren mit zwei lokalen Langbooten den Fluss hinab. Die Holzboote sind gute 40 Meter lang und mit Auto-Sesseln ausgestattet. Der Fluss macht noch einige Wendungen und hat einige Stromschnellen die viel Geschick erfordern. Ein Ausfall des Motors wäre der sichere Tod. Nach zig Stromschnellen und Hängebrücken erreichen wir die Schluchten des „Pongo de Mainique“. Faszinierend ragen links und rechts die Felswände auf. Hin und wieder durch Wasserfälle abgenutzt. Es ist leiser hier. Der laute Regenwald ist etwas zurückgetreten und nur das Wasser plätschert. Der Fluss ist immer noch reißend, aber er zeigt es nicht. Es ist kühler im Schatten der Felsen. Es ist dunkler ohne dem Grün und der Sonne.

Wir wandern später in einen Seitenarm und genießen ein Bad an einer ruhigeren Stelle. Gleich daneben hat der kleine Fluss eine natürliche Wasserrutsche gebastelt, was mich sehr lange sehr erfreut. Im Schatten der Bäume bleibt die Zeit stehen. Alle Arbeit mit dem Film ist vergessen. Ich lass mich immer wieder treiben und springe immer wieder von den Felsen in das kalte Nass. Die Sonne wärmt bedächtig die Felsen. Wohl Stunden hätte ich verbringen können, wenn nicht der Rest der Gruppe den Rückweg angebrochen hätte.

Arnos Bruder

Auf dem Weg zurück fordert Schwester Esther den Bootsfahrer auf kurz langsamer zu fahren. An einem Stein am Rande ist ein Name eingeschlagen. Fein säuberlich steht dort „Frederic“ geschrieben. Arnos Bruder. Er ist als Abenteuer-Tourist auf dem Rio Urubamba unterwegs gewesen, ist gekentert und wurde an dieser Stelle das letzte Mal gesehen. Wir staunen, dass Arno mit uns unterwegs ist. Er ist der Grund, warum Arno und seine Eltern immer wieder in diese Region kommen. Seit über 16 Jahren schon. Sie haben den Verein „Frederic – Hilfe für Peru“ aufgebaut, den viele in Ivochote kennen. Genauso wie Arno ein bunter Hund im Dorf ist. Der Verein ist der Anfang, der irgendwann zum direkten Handel mit Kakao führte. Es ist beeindruckend welche Spuren Frederic hinterlassen hat und wie er nun weiterlebt. Weit über sein Leben hinaus. Er war Backpacker, so wie wir.