Dez 21 2018

Bröselnder Berg

Tupíza, Bolivien

Von Karl

 

Als die junge Sonne durch die beschlagenen Scheiben zu blinzeln beginnt, geht es für mich auch schon zu Fuß weiter. Ein paar hundert Meter durch die beschauliche Kleinstadt La Quiaca. Das Ebenbild einer Grenzstadt. Ein paar Unterkünfte überall. Geldwechselstuben. Viele Menschen mit Reisegepäck oder Waren. Andere mit besonderen Angeboten. Eine kurze Brücke überspannt den kleinen Bach und verlängert den Weg nach Bolivien. Nach Villazón.

Grenzfluss, links Bolivien, rechts Argentinien

Ein gutes Dutzend Wartender steht schon vor dem weißen Container der Migrationsbehörde. Diesmal bekomme ich eine andere Art Kassenbon in den Ausweis. Immer wieder was neues. Auf bolivianischer Seite dagegen meint der Eingangswächter, dass der Kassenbon zum Aufenthalt reiche. Ich bräuchte keinen bolivianischen Stempel.

Geldwechseln und weiter geht‘s. Es gäbe ein Zug der in Richtung Uyuni fährt, leider nur selten und leider zu ungünstigen Zeiten. Kleinbusse sind da schneller und günstiger. Sobald ich am Busbahnhof ankomme, fülle ich den letzten Platz im Kleinbus auf und schon rattert der alte Toyota raus aus dem Ort. Die Gegend wird deutlich trockener und wir schrauben uns durch die faszinierende Landschaft und immer auch bergan. Zurück in den Altiplano führt die Reise. Eine Hochebenen in den Anden, die große Teile Boliviens ausmacht und gut besiedelt ist.

Keine Stunde später kommt schon Tupíza, mein Tagesziel. Bevor die Stadt endgültig erwacht, kann ich schon den ersten Stadtspaziergang machen. Der zentrale Platz ist beeindruckend begrünt, obschon die Straßen von staubiger Trockenheit strotzen. Fein säuberlich wird der Sand beständig beiseite gefegt und die blühenden Pflanzen gehegt. Mit zärtlicher Liebe halten die Bewohner*innen die Stadt sauber und zeigen sich als höfliches Gegenbeispiel zu den doch oft vollgemüllten Ecken Boliviens.

Der Tourismus hat das Antlitz des Städtchen geändert, sodass es ein-zwei Straßenzüge mit den entsprechenden Angeboten gibt. Für mich ist leider keins dabei. Ich beginne das bolivianische Leben zu genießen und kaufe meine Sachen auf den Märkten, bis hin zu leckeren Mahlzeiten.

Der kleine Ort hat auch eine Art Hausberg, den Cerro Cruz. Eine Wanderung sollte nicht das Problem sein, so denke ich. Das entsprechende Schild am Straßenrand weißt auf einen Eingang, der übersät mit Müll ist. Der Aufstieg wechselt schnell ins sehr beschwerliche. Doch die größte Herausforderung bleibt der Berg an sich. Das rote Gestein erscheint zwar fest, ist aber sehr lose und zerbröckelt leicht in den Händen. Alles scheint nicht wirklich fest oder sicher zu sein. Das Klettern wird zum großen Risiko, weil doch hin wieder ein Stein wegrutscht, den ich vorher als fest eingestuft hatte. Starke Temperaturschwankungen zwischen einstellig in der Nacht und über 30 am Tag, haben das Gestein ganz porös gemacht. Es ist leider auch steil genug um weit genug zu falle. Und dann sind da noch die ganzen stachligen Pflanzen. Nach einer knappen Stunde sinnlosen Kampfes mit dem Berg, beschließe ich den Abstieg und – wie es so oft ist – finde ich sodann den eigentlichen Weg. Deutlich unbeschwerlicher geht es nun bergan. Leider fehlt es komplett an Beschilderung und so komme ich weitere Mal vom Weg ab.

Am dreckigen Gipfelkreuz angekommen, beginnt ein schöner Ausblick über die Stadt und deren Umgebung. Tupízas Umgebung hat eine Vielzahl von steinigen Erhebungen die in den verschiedensten Farben leuchten. Alle Farbtöne von rot, grau, gelb, grün sind gut vertreten. Es ist prächtig anzusehen und der Ort entspannt um ein wenig sich auszuruhen und zu genießen. Ein weiterer Berg im Rücken hat die Form eines Elefanten. Kein Witz. Die Stadt ist von einem Bach durchzogen der sich durch ein breites und trockenes Flussbett zieht. Es deutet sich an, dass zu anderen Zeiten der Bach auch deutlich anschwellen kann und dann die Größe eines reißenden Stroms erreicht.

Um halb Eins mache ich dann Photos vom Gipfelkreuz, weil gut zu erkennen ist, dass die Sonne im Zenit steht, das heißt im rechten Winkel zum ebenen Boden. Das ist mir noch nie begegnet in meinem Leben und ich habe extra öfters nachgeschaut um einen Ort und Tag zu finden. Nun ist es soweit.

Sodann erklimmt auch ein Australier den Berg, der wohl weitere einzige Mensch weit und breit, der sich diesen Berg antut. Wir lassen uns gemeinsam über den schlecht beschilderten Cerro Cruz aus und als wir an der Straße ankommen, merken wir, dass der Einstieg zum Berg gut zehn Meter hinter dem Schild ist. Er ist auch direkt am Schild eingebogen.

Manchmal bin ich einfach zufrieden, wenn ich nicht der einzige dumme bin.


Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.


Jul 28 2018

Vivir mi Vida – Lebe mein Leben

von Karl, Medellín, 22. Juli 2018

 

 

Liebe Leser*innen. Bitte, bitte dreht die Musik laut auf, öffnet den Link in einen neuen Fenster und versucht mitzusingen. Vivir mi Vida, d.h. Lebe mein Leben. Bevor ich mehr von der Hauptstadt des Salsas erzähle, braucht ihr das Gefühl und Leben von Salsa. Also jetzt hier klicken, dann nach dem Lied etwas leiser drehen und zurück auf diese Seite kehren!

Vivir mi Vida – Marc Anthony

Willkommen in Cali, der Hauptstadt des Salsas. Natürlich waren wir weg. Ein riesiger Schuppen am Rande der Stadt. Luftig aufgebaut mit tausenden Tischen und kleinen Tanzflächen. Verteilt in den verschiedenen Bereichen. Wieder wird ein Salsa-Klassiker aufgelegt und gemächlich erheben sich die Menschen von den bunten Plastiktischen und beginnen Salsa zu tanzen, als wenn es das normalste auf der Welt ist. Für mich allerdings eine Herausforderung, nicht so auszusehen, wie all die anderen Backpacker. Die sich nicht darum scheren wie viel Platz sie nehmen und wie weit weg es vom eigentlichen Salsa ist. Rosa dagegen zeigt sich professionell. Getanzt wird nur paarweise.

Kurz möchte ich also etwas Tanzmusik erklären:

Salsa

Salsa heißt als spanisches Wort „Soße“. Entstanden ist es unter den lateinamerikanischen Immigrant*innen in den USA und ist heute sehr verbreitet im spanischsprachigen Lateinamerika. In verschiedenen Salsa-Hochburgen haben sich über die Jahrzehnte verschiedene Spielarten ausgebildet. Z.B. in Kuba oder Puerto Rico. In Cali wird traditionell sehr schnell getanzt. So schnell, dass es schwer ist den Füßen der Könnenden zu folgen.

Bachata

Bachata begann seinen Siegeszug erst in den 60er Jahren in der Dominikanischen Republik. Es ist meist langsamer als Salsa, etwas romantischer. Die Schrittfolge ist sehr leicht und besteht vor allem darin zwei Schritte nach rechts und wieder zwei Schritte nach links zu machen. und so klingt’s (einfach drauf klicken)

Merengue

Merengue stammt von der Landbevölkerung der Dominikanischen Republik und hat auch einen einfachen Tanzstil. Bei jedem Takt wird einfach ein Schritt nach vorn, zur Seite oder nach hinten gemacht. Alle drei Tänze haben gemein, dass der Hüftschwung sehr ausgeprägt ist, und dadurch die Schultern eigentlich gar nicht bewegt werden. und so klingt’s

SalsaChoke

SalsaChoke ist eine neue Mischung aus Salsa und Reggaeton, die gerade die Tanzflächen erobert hat. Reggaeton ist vor allem in der Karibik und damit auch in Kolumbien beliebte Musikrichtung, die sich aus Reggae, R&B, Hip-Hop, Rap und auch europäischer Disko-Musik entwickelt hat. und so klingt SalsaChoke und so Reggaeton

Thematisch geht es in vielen Liedern um die verlorene Liebe. Die oder der Angebete möchte meist nicht, wie der oder die Sänger*in. Auch etwas europäischer Elektro wurde an dem Abend gespielt. Letzteres wird natürlich nicht mehr paarweise getanzt. Sondern im klassischen Disco-Kreis. Wichtig ist vermutlich, einfach keine Angst zu haben. Wie hat schon Marc Anthony in Vivir mi Vida gesungen:

Manchmal kommt der Regen
Um die Wunden zu reinigen
Manchmal nur ein Tropfen
Kann die Dürre überwinden
Und warum weinen?
Wenn ein Schmerz schmerzt, vergiss es
Und warum leiden?
Wenn das die Lebensweise ist, musst du es leben

Da unserer Mutti immer wieder die Augen zufallen, entscheiden wir uns, den Heimweg anzutreten. Ja, ihr lest richtig, wir waren nicht mit der Couchsurferin unterwegs, sondern mit ihrer Mutti. Sie hat sich extra etwas schick gemacht und wir sind zu dritt losgezogen. Die Mutti hat uns auch so behandelt, als wenn wir ihre Kinder wären. Bis dahin, dass sie einmal Rosas Shirt gerade gezupft hat. Begonnen hat sie damit, dass sie uns bis zur Bushaltestelle gebracht hat, um dann zu schauen, dass wir auch wirklich in den richtigen Bus einsteigen. Ansonsten waren wir natürlich bestens umsorgt und sind dankbar, dass sie das Sofa in ihrer kleinen Wohnung mit uns geteilt haben.

Cali selbst liegt in einem Tal mit schicken Fluss. Durch die vergleichbar geringe Höhe (1000m über NullNull), ist es auch sehr warm. Busse verkehren auf eigenen Busspuren und bringen einen rasend schnell überall hin. Es gibt neuere große Fußgänger*innen-Zonen und viele Hochhäuser. Manche gleichen dem Baustil „sozialistischer Realismus“ und könnten so auch in Osteuropa oder Ostberlin stehen. An anderen Stellen finden sich sehr lebhafte und enge Straßen mit Verkaufsständen aller Art.

Cali ist berühmt geworden mit einem von zwei Drogen-Kartellen, dem Cali-Kartell, welche den Großteil des weltweiten Kokain-Handels ausmachten. Das Gramm Kokain kann in Kolumbien schon für 3 Dollar produziert werden, während ist in den USA 3000 Dollar wert ist. und dann wird es in der Regel noch auf 30% gestreckt. Mittlerweile hat der Krieg gegen die Drogen seine Spuren hinterlassen und die aktuellen Händler*innen gelten als „invisibles“ (Unsichtbare). Kein Prunk, kein Palast, kein fettes Auto mehr. Das Geschäft aber geht weiter.

Direkt an Cali drann liegt ein Berg mit drei großen weißen Kreuzen, die auch nachts leuchten. Wir machen uns auf, diesen Berg zu beklimmen. Jedoch gleicht es streckenweise einer felsigen Kletterpartie, als dem gemütlichen Wandern. Nach mindestens einer Stunde starken Schwitzens lassen wir uns auf die Bank unter den Kreuzen fallen. Als wenn das kein Training genug ist, gibt es hier noch einige Trainingsgeräte im Freien. Zu unseren Erstaunen, sind auch einige sportlich dabei und nicht nur dass, einige joggen sogar auf den Berg. Verrückt!

Was soll ich noch dazu sagen? oder um es nochmal mit Marc Anthony zu sagen:

Ich werde lachen, ich werde tanzen
Was soll ich weinen? Warum leiden?
Fang an zu träumen, zu lachen
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Fühlen und tanzen und genießen
Dieses Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe, folge, immer weiter, schau nicht zurück
Das!
Meine Leute, das Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe mein Leben – Vivir mi Vida!

PS.: das sind unsere ersten Orte in Kolumbien: