Aug 26 2018

Adrenalin

von Rosa

Das Leben ist eine Achterbahn, sagen die Leute. Mal ist man unten, mal oben. Da macht auch Südamerika keine Ausnahme. Die letzten Tage, vielleicht Wochen waren anstrengend. Der Reisefaden wurde dünner wie die Nerven an manchen Tagen.

Resignation und Neustart. Manchmal, da muss man den Faden loslassen. Sich fallen lassen.

Die ersten Schritte sind unsicher. Das Gefühl es zu schaffen ist da, auch wenn man noch nicht ganz überzeugt ist. Ich laufe die Stufen der rostigen Treppe nach oben. Eigentlich will ich erst langsam anfangen, aber die kleinere Rutsche ist geschlossen. Also gehe ich gleich aufs Ganze. Das Wasser spritzt gegen meinen Körper. Ich fliege schnell. Ein Kribbeln im Bauch und schon knalle ich auf das Wasser. Tauche ein und wieder auf. Ich bin wieder da. Das geile Gefühl ist wieder da. Nochmal.

Zwischen Hochhäusern, ein Stückchen außerhalb von Bucaramanga, wurde ein Wasserpark gebaut. Mein 12-Jähriges-Ich bekommt immer noch leuchtende Augen und Hummeln im Arsch, wenn es nur das Wort Freizeitpark hört. Also gebe ich meinem Affen Zucker, renne die Treppen hoch und lass mich die Rutschen runterfallen. Eine ist wie ein Trichter, in den ich mit Tempo über eine steile Abfahrt gelange. Ich drehe ein paar Runden und dann spuckt mich der Trichter aus. Ich falle Kopfüber ins Wasser.

Doch erstmal zum Anfang. Von Maicao bin ich zurück nach Santa Marta gefahren und über Nacht nach Bucaramanga. In dieser Stadt halten die meisten Reisenden nur um die Fahrt nach Bogotá zu unterbrechen. Tatsächlich gibt es eher wenig Touristisches zu sehen. Als ich das Zimmer meines Hostels betrete, schallt mir ein „Hey, how are you?“ The beds are so amazing, you will feel so good! It´s amazing“ entgegen. Ich denke, jetzt bin ich endgültig in der Backpacker-Hostel-Hölle angekommen. Jessica spricht tatsächlich mit dieser hohen Stimme, die man sich bei Amerikanern vorstellt und in jedem zweiten Satz kommt mindestens einmal das Wort „amazing“ oder „crazy“ vor. Ansonsten ist sie aber sehr nett. Jessica erzählt mir von der Angst ihrer mexikanischen Eltern aus den USA ausgewiesen zu werden, aussichtsreichen Demokraten, die bei den Senatswahlen gewinnen können und wie wichtig sie es findet grün zu leben. Während ihres zwei Wochen Trips, steigt sie trotzdem fünfmal ins Flugzeug. Ein Punkt den ich an Hotels gut finde sind die Menschen, die man dort trifft. Es ist nicht nur möglich etwas über das Land, welches bereist wird zu erfahren, sondern auch über andere Länder und Menschen. Es ist spannend, wie sie Situationen in Südamerika vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt und Sozialisation reflektieren. So ist Jessica fast schon überrascht als sie beim Bäcker nicht mit ihrer Kreditkarte zahlen kann, weil es für sie ein Zeichen von wirtschaftlicher Unterentwicklung ist. Da sind Deutschland und Kolumbien doch mal gleichgestellt. Dem Geschmack meines Kuchens tut die Barzahlung keinen Abbruch. Wir schlendern durch die Straßen. Alles ist sehr modern, Shoppingcenter, unzählige Bars, Restaurants und Coffee-Shops. Keine Touristen. Bei einem Straßenhändler kaufen wir Guanabana. Die Frucht schmeckt so ein bisschen wie eine Mischung aus Banane und Ananas.

Im Hostel arbeitet Pedro aus Venezuela. Nachts kellnert er noch in einem Restaurant und schickt das Geld nach Hause. Einen Reisepass können sich nur die wenigsten Venezolaner leisten, der mittlerweile fast 1000 Dollar kosten soll, sagt Pedro. Vor einer Woche hat Ecuador die Einreise für Venozolaner ohne Reisepass verboten.

Ein zweiter schöner Punkt an Hostels ist, wenn sie leer sind. Nachdem Jessica ihre Sachen gepackt und ihr Huber-Taxi zum Flughafen zum Glück wieder mit Kreditkarte bestellt hat, bin ich allein im Zimmer. Zum ersten Mal nach vier Monaten habe ich ein Zimmer für mich. Luxus. Nachdem ich das Gefühl lange genug ausgekostet habe, will ich dann doch ins Rutschenparadies.

Weil mir das noch nicht genug war, fahre ich am nächsten Tag zwei Stunden südlich nach San Gil, der Abenteuer-Hauptstadt Kolumbiens. Hier soll alles möglich sein vom Rafting, Paragliding bis zum Bungeejumping. Ich muss dem Busfahrer sagen, dass er mich doch bitte am Busbahnhof rauslässt, sonst wäre er einfach weitergefahren. Der Weg nach San Gil war aufregend. Der Bus schob sich durch enge Kurven an Schluchten vorbei. San Gil selbst ist eher weniger spektakulär, eine große Kirche und ein grüner Marktplatz. Die erwartenden Touristenmengen verstecken sich in ihren Hostels und so ist San Gil trotz seines Rufes eine authentische Kleinstadt geblieben.

In meinem Zimmer im neuen Hostel schlafen Florence und Adrian aus Frankreich. Florence ist mit dem Segelschiff nach Südamerika gekommen. Während ihrer fünfmonatigen Bootstour machte sie Stopp auf den Karibikinseln, lernte Segeln und hat für 10-20 Euro pro Tag auf dem Boot gelebt. Wir freunden uns schnell an und fahren am nächsten Tag nach Curiti. Ein kleines Dorf von dem man einen Fluss entlangwandern und in den natürlichen Badebecken schwimmen kann. Meine Freunde, die Moskitos sind bei der Poolparty zwar nicht eingeladen, aber auch wieder zahlreich am Start. Am Abend trinken wir Bier und essen Burger, um unseren Energiehaushalt nach der Wanderung wieder aufzufüllen.

Wie gemalt scheint der kleine Ort Barichara. Ein Buseta (so werden hier kleine Busse genannt) bringt mich in das 45 Minuten entfernte Städtchen. Die Straßen sind fast leer. Die Sonne brennt auf den Ziegeln. Es fehlt nur der Grasbusch, der wie in Westernfilmen über den Sand weht. Mein Weg führt mich zu einer kleinen Kathedrale vorbei an weißen Häusern mit bunten Fenstern und Türen.

Vom Garten der Kathedrale eröffnet sich mir ein Blick über ein  grünes Tal. Wer Entschleunigung sucht ist hier genau richtig. Auf dem Rückweg fängt es an zu Regnen. Ich habe Glück und erwische gerade so einen Bus. Mir wird auch gleich ein Platz neben einem älteren Mann angeboten. Er erzählt mir von enormen Regenfällen in den letzten zwei Jahren auf die hier niemand vorbereitet war. Häuser lösten sich und sogar Menschen starben in den vergangen Monaten. Der Klimawandel zeigt immer schlimmere Folgen bemerkt er. Als ich aus dem Bus aussteige, sind alle Straßen in reißende Flüsse verwandelt, wie ich es auch schon aus Santa Marta kannte.

Der Suarez ist auch ein reißender Fluss, allerdings ist dieser gewollt und von Raftingfans weltweit geschätzt. Hier kann man das höchste Level ohne extra Ausbildung absolvieren. Die Guides fragen mich, ob ich denn schon mal Rafting gemacht habe. Als ich den Kopf schüttle, schauen sie mich mit großen Augen an. Noch denke ich, dass sie uns nur Angst machen wollen. Während der Trainingsstunde dämmert es mir, dass es wohl doch nicht nur die heitere Bootsfahrt werden wird. Es gibt ein extra Kajak, dass uns retten soll, wenn wir über Bord gehen und zu weit vom Boot wegtreiben. Wir lernen nicht nur richtig zu paddeln und auf Kommandos zu hören, sondern auch wie wir unsere Crewmitglieder wieder aus dem Wasser ziehen. Zu unserer Crew gehören vier Menschen und ein Steuermann, der uns lautstark anschreit, dass wir schneller paddeln sollen. Das ist auch nötig. Die Stromschnellen sind so stark, dass es jede Sekunde Konzentration und Einsatz erfordert. Das Boot läuft mit Wasser voll und die Wellen schlagen mir ins Gesicht. Doch die Devise ist immer weiterpaddeln. Nach einem kleinen Wasserfall schlage ich mit dem Kopf gegen den Helm meines Vordermanns. Ich bin kurz benommen, dann geht es wieder. Die Metapher wir sitzen alle im selben Boot habe ich noch nie stärker am eigenen Laib erlebt. Manchmal sind wir parallelisiert von der Kraft des Wassers, die uns entgegenkommt. Doch je stärker diese ist, desto wacher müssen wir sein. Zum Schluss der Strecke kommt der härteste Teil. Es gibt viele Felsen durch die wir uns mit Kraft navigieren müssen. Die Abfahrt ist so steil, dass wir ein Crewmitglied verlieren. Ich schaue zurück, doch sehe niemanden. Dann taucht ein roter Helm auf und wir paddeln zurück, um ihn wieder ins Boot zu holen. Am Ende haben wir den Fluss mit ein paar Schrammen und blauen Flecken bezwungen. Rafting ist fast so krass wie Leben, nur mit Sturzhelm.

Berauscht vom Adrenalin der letzten Tage setzte ich mich in den Bus nach Bogotá. Die Fahrt geht weiter auf der Achterbahn. Wieder im Fieber der Reise. Bewusst mal schneller und mal langsamer atmen, auch wenn mein Faden nicht den geraden Weg nimmt. Wie immer begleiten mich die Rechts- und Linkskurven, das Hoch und Runter. Doch ohne, fehlte das Kribbeln im Bauch.