Apr 7 2019

Salvador, Yemayá und Tapioca

Von Karl

Salvador, Bahia, Brasilien

 

nach Salvador

Unser Start von Arraial do Cabo (Bundesstaat Rio de Janeiro) gestaltete sich nicht ganz leicht. Es gibt nur Verbindungen nach Rio de Janeiro, sodass wir erstmal mit dem Stadtbus nach Cabo Frio fuhren, was gleich der nächste Ort ist. Leider gab‘s hier auch keine Wunschverbindungen, sodass wir erstmal zum unaussprechlichen Campos dos Goytacazes aufbrachen. Gegen Mitternacht begannen wir dort dann mit dem letzten Schalterbediensteten eine theoretische Odyssee durch die letzten Verbindungen und Preise. Schlussendlich entschieden wir uns für Eunápolis im Bundesstaat Bahia, wo es auch hingehen soll.

Gegen Mittag waren dann auch dort, doch leider gab es nur Verbindungen über Nacht in die ehemalige Hauptstadt Salvador. Wir begann also die Stadt zu erkunden, aber jede*r ist hier der Meinung, dass die Stadt nicht sehenswert ist. Gut, es gibt nun auch nicht so viel zu erkunden, aber lecker Acai essen ist trotzdem drin.

Ein kleiner Platz neben der modernen Kirche lädt zum Verweilen ein. Das schönste aber in Eunápolis war wieder die Motorradfahrt zurück zum Busbahnhof. ach, die Motorrad-Taxis, ich werd‘s vermissen …

Salvador

Salvador war mal wichtiger und das als es Brasiliens Hauptstadt war. Heute eher aus kultureller Sicht berühmt. Sie gestaltet sich wie viele brasilianische Großstädte sehr durchmischt. Große Schnellstraßen durchkreuzen arme Favelas und reiche Hochhaussiedlungen. In letzteren Haben wir bei einer Professorin, genannt Ilma, ein Zuhause bekommen. Vom 9ten Stock aus bietet der Balkon schon einen kleinen Ausblick auf die Gegend. Der Sicherheitsdienst nahm es ganz genau und der Pool ist geheizt. Kinderparadies und Muckibude haben wir nicht genutzt. Mag es mal angenehm zu sein, in so einer Umgebung abzusteigen, sind wir, Azul und ich, doch einig, dass ein mit Mauer, Stacheldraht und Elektrozaun umgebenes Zuhause uns nicht gefällt.

Salvador war im 18. Jahrhundert mal Hauptstadt Brasiliens. Viele Sklav*innen unter anderem aus dem heutigen Angola wurden hierher gebracht und haben die Region nachhaltig geprägt. Immer wieder kam es zu Aufständen und Streiks, die gegen die Sklaverei und Kolonialherren in Portugal sich richteten und schlussendlich auch erfolgreich waren. Ausdruck dieser Zeit ist auch der Kampf- bzw. Tanzsport Capoeira, der seine Heimat besonders auch in der Bahia hat, wie die Region genannt wird.

Yemayá

Mit den Sklav*innen kamen auch deren Religionen nach Brasilien und Teile haben sich bis heute gehalten. Teils wurden die Religionen von der katholischen Kirche okkupiert. Eine der Religionen ist die der Yoruba aus Nigeria und Benin, die über die Zeit zur eigenständigen afrobrasilianischen Religion Candomblé wurde. Teil dieser Religion ist die Heilige Yemayá, die symbolisch für das Meer steht. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Januar in verschiedenen Städten Brasiliens ein Fest abgehalten. Ilma machte uns darauf aufmerksam, dass am nächsten Tag, nach unserer Ankunft, dieses Fest im Stadtteil Rio Vermelho (zu deutsch: Roter Fluss) stattfinden wird, und, dass Salvador außerordentlich feierlaunig ist und jede Gelegenheit gerne genutzt wird.

So war dann auch unser Eindruck. Schon Kilometer vor dem angepeilten Ort der Feierlichkeiten, sehen wir tausende Begeisterte, die zu den Stränden pilgern und ihren Weg durch die unzähligen Verkäufer*innen schlängeln. Neben den üblichen Essen und Trinken, besonders Bierdosen, gibt es auch frittierten Käse. Der erst frisch über einen kleinen Eimer mit Holzkohle gegrillt wird, nachdem wir bestellt haben.

Wir erreichen dann auch, nachdem wir durch die Massen an Trinkenden uns durchgeschlängelt haben, einen Strandbereich. Teil der Tradition ist es Blumen ins Wasser zu werfen. Unzählige Tulpen schwammen schon im Wasser und der Strand ist gesäumt durch welke und nasse Blumen. Oft wird Frauen ein paar Blumen geschenkt, die sie dann ins Wasser werfen. Je nach Einkommen, auch ein Blumenstrauß oder sogar mit einer kleinen Bootsfahrt.

Rio Vermelho hat viele kleine Strände und wir hangeln uns von Strand zu Strand weiter bis wir zu einem größeren kommen, der auch massiv überlaufen ist. Unzählige Bötchen schaukeln im Wasser oder warten am Strand auf Kundschaft oder um das Spektakel zu beobachten. Genauso wie Fernsehsender, die eine eigene große Plattform aufgebaut haben. Tatsächlich gibt es hier auch Zelte für rituelle Segnungen und teils steigen Priester in religiösen Trachten mit großen Blumengestecken auf die schaukelnden Boote. Unter dem gespannten Interesse der Umstehenden die das auf jeden Fall sehen und photographieren müssen.

Oberhalb des Strandes steppt auch der Bär. Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Tausende die feierlaunig die Straßen bevölkern. Die eigentlich breite Uferstraße folgend kommen dann auch Bars mit DJs und Boxen um die Straße mit tanzbarer Musik zu bespielen. Den Rhythmen folgend bewegen sich die hunderten Menschen, wenn sie nicht von umziehenden Gruppen, Bierträger*innen oder der brutalen Polizei geschubst werden. Die Polizei tritt in kleinen Gruppen auf und es ist sehr ratsam nicht denen im Weg zu stehen, weil, wie ich beobachten musste, sie schnell mal den Schlagstock zücken und kräftig zulangen.

Wir versuchen die entsprechenden Korridore frei zu halten und genießen die MPB. MPB meint soviel wie brasilianische Popmusik. In Brasilien hat sich eine eigene Popmusik entwickelt die auch immer wieder weltweit bekannte Titel hervorbrachte. Natürlich läuft auch etwas Elektro, Rock und Reggae. Salvador ist, ähnlich wie Rio de Janeiro, ein Ort, der besonders LGBTIQ-freundlich ist. Wir tanzen entlang des Regenbogens bis uns die Füße schmerzen. Teil der Tradition dieses Festes scheint auch der Verkauf von Armbändchen zu sein, die es auch in Regenbogenfarben gibt. MPB ist einfach zu finden, falls ihr mal reinhören wollt.

Pelourinho

Salvadors touristisches Zentrum ist Pelourinho. Es ist die hübsch restauriert Altstadt. Sie liegt in der Oberstadt. Die Unterstadt liegt auf Meeresspiegelniveau und wurde über die Jahrzehnte weitestgehend aufgeschüttet.

Um von der Ober- in die Unter-Stadt zu kommen, oder umgekehrt, gibt es neben der verschiedenen sich windenden Wege, den Elevador Lacerda, einen historischen Aufzug. Der beige-weiße Bau ist hübsch restauriert und enthält mehrere Aufzüge. Über eine Brücke führt der Weg zum oberen Ende des Aufzugs.

Ein weiter Ausblick erlaubt der Blick durch die breiten Fenster auf die verschiedenen Häfen. Der Aufzug ist sehr günstig und entsprechend sollte Kleingeld parat gehalten werden. Unweit des Aus- und Einstiegs in der Unterstadt gibt es auch einen großen Markt mit allerlei Handwerk und Souvenir-Kram.

Obschon alles ganz nett ist, chillen wir doch mehr am Wasser als alles andere und fahren rechtzeitig mit der S-Bahn zurück. Mittlerweile gibt es zwei Linien, die seit Jahrzehnten geplant und gebaut werden, aber für Salvadors Bedarf zu wenig ist. Mir kam zu Ohren, dass die Metro ein ähnlich belächeltes Großprojekt ist wie der Berliner Flughafen.

Wir müssen pünktlich zurück sein, denn Ilma lud uns ein, mit zu einem Axé-Konzert zu kommen. Axé hat auch afrobrasilianische und bahianische Wurzeln und ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, auch außerhalb von Bahia. Falls ihr mal reinhören wollt, ich hab euch mal Daniela Mercury rausgesucht, eine Axé-Ikone. Das Konzert ist in vollem Gang und das schon am frühen Abend. Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft die die Menschen durchströmt. Bis zur Oma hinterm Verkaufsstand lassen sich alle mitreißen. Die Oma verkauft übrigens Tapioca.

Auch Ilma und viele andere essen gerne Tapioca, insbesondere zum Frühstück. Tapioca ist eine weißes Pulver was es in allen Lebensmittelgeschäften gibt und aus Maniok gemacht wird. Das beeindruckende ist dabei die Zubereitung. Das Pulver wird feingesiebt und ohne Öl oder Wasser in eine Pfanne gegeben. Zur Not etwas festgedrückt, wird das weiße Pulver erhitzt. Dabei verbindet es sich nach und nach zu einer Masse, sodass es wie eine weißer Eierkuchen aussieht. Nur einmal drehen und servieren bevor es braun wird. Es schmeckt nach nichts und ist etwas gummiartig. Wichtig ist nun die Füllung, das heißt, was eingerollt wird. Die Faulen und Armen nutzen Salz und Margarine. Darüber hinaus sind verschiedene Fleisch- und Käsesorten beliebt, manchmal mit Rührei, gekochten Gemüße oder gar süß. Ich denke ich packe mir auch ein Päckchen ein.

Nachdem unser Hunger gestillt ist, geht es zurück zwischen die Tanzenden um es ihnen gleich zu tun. Es ist tatsächlich eine unglaublich gut tuende Musik. Sie lässt entspanntes langsames Zappeln zu, aber auch energetisches Ausrasten, wenn einen nach einer anstrengenden Arbeitswoche gerade danach ist. Auf der Bühne singt Margareth Menezes. Hört’s euch mal an. Sie ist auch ziemlich berühmt und als sie ihren Hit Dandalunda schmettert sind alle aus dem Häuschen.

Es gibt zudem eine große Halle auf dem Gelände die sich der solidarischen Wirtschaft verschrieben hat und viele Produkte aus alternativer Produktion, z.B. von Kollektiven, anbietet.

Vieles sind auch Produkte die auf die Schwarze Tradition beziehungsweise das afrobrasilianische Leben sich beziehen. So werden viele bunte Tücher angeboten, die vor allem Frauen um den Kopf tragen und auf der Stirn verknoten. Aber auch antirassistische Initiativen verkaufen Shirts mit Statements, oder ökologisch-vegane Seife, oder recycelte Kunst, oder oder oder …

Erneut gehen wir begeistert nach dem kleinen Shopping zurück zur Tanzwiese. Leider endet das Konzert relativ früh. Nach einem spätabendlichen Acai fahren wir ein letztes Mal zu Ilma nach Hause, denn am nächsten Tag steigen wir ein letztes Mal in den Fernbus. Nicht ohne im Busbahnhof nochmal fett Feijoada zu futtern.


Mrz 18 2019

Fran, Chaco und Erdnuss

Von Karl

Filadelfia

 

Auf dem Weg nach Filadelfia

Gerade habe ich die Grenzkontrolle samt Sonnenaufgang hinter mir gelassen. Der Bus ruckelt nun ins Innere Paraguays vor. Die Grenzkontrolle war außergewöhnlich skeptisch. Jede*r einzelne musste mit ihren*seinen gesamten Gepäck sich einer intensiven Kontrolle unterziehen. In Reihen mussten wir uns aufstellen mit dem Gepäck vor uns.

Die Landschaft ist stark vom Chaco geprägt. Der Chaco ist eine trockene Naturlandschaft die am ehesten einer Savanne ähnelt. Mein erster Eindruck in Paraguays Natur ist die Vielfalt an Schmetterlingen. Sie schwirren am Straßenrand in großen Gruppen umher.

Die unerbittliche Sonne sorgt in dieser Region für die höchsten Temperaturen des Kontinentes und nun ist ja auch noch zu allen Überdruss Sommer. Was aber auch bedeutet, dass es Regenzeit ist und deshalb alles grün spriest. Später werden mir Bilder gezeigt, dass die Landschaft im Winter auch gelb sein kann.

Paraguays einzige Straße quer durch den eigenen Westen zur bolivianischen Grenze wurde irgendwann mal in den 60ern gebaut. Entsprechend ist die Ruta 9 oder Trans-Chaco genannt teils auch eher Sandpiste mit Asphaltinseln, um die der Bus dann bedächtig zirkelt. Der Bus entwickelt sich langsam zum Treibhaus. Hinzu kommt, dass der Bus immer mal hält, weil irgendwas mit dem Bus nicht stimmt und nun auch noch der Motor raucht, der bei diesem Modell noch neben dem Fahrer ist. Sie suchen offensichtlich eine Möglichkeit etwas zu reparieren.

Wir gelangen an einen weiteren Kontrollposten der Polizei und müssen erneut alle aussteigen und unser Gepäck aufreihen. Hinter dem Gepäck stehen wir und warten, dass die Pässe erneut kontrolliert werden. Erst kommt der Drogenhund, der aber nichts findet. Als dann jede*r durchwühlt wurde, warten wir dass der Bus zurückkehrt von der Werkstatt. Hier im nirgendwo lebt ja so gut wie niemand und die nächsten Siedlungen sind ziemlich weit entfernt. Hier sind mehrere Stunden Abstand die Normalität. Nach unzähliger Zeit kommt das altersmüde Monster doch wieder angerollt und es geht weiter. Der Bus wird unzählige weitere Male von der Polizei angehalten und kontrolliert. Nie haben sie was gefunden und wenn ich Drogen-Schmuggler wäre, ich würde nicht den Bus nutzen. Hintergrund ist wohl, dass Paraguay der größte Cannabis-Produzent Südamerikas ist. 90 % kommen von hier. In manchen Ecken lebt die Bevölkerung überwiegend vom Anbau und ist das ärmste und schwächste Glied in der Kette. Reich damit werden andere.

Ich spreche nochmal den Fahrer an, dass ich ja in Filadelfia aussteigen möchte. Anders als noch in Santa Cruz mir versichert wurde, wollen sie doch nicht nach Fildadelfia hineinfahren. Das wäre zu weit abseits der Straße. Kaum verwunderlich aber ärgerlich. An einem Abzweig lässt mich der Bus dann raus. Mitten in der Hitze des Tages. Selten habe ich so stark den Hitzedruck der Sonne gespürt.

Ein paar Jugendliche am Straßenrand meinen dass von hier nichts in die Stadt fährt. Gut, hier an der Kreuzung ist ja auch nicht viel. Ein paar kleine Häuser und Läden. Nun also der Daumen, mein alter Freund und Feind. Etwas über 10 km, vielleicht 15 km, muss ich überwinden. Zu spät bin ich eh schon.

Ich bekomme tatsächlich das ein oder andere Angebot, aber nach Filadelfia rein fährt niemand. Ein Pärchen meint dann, dass es mich zu einer besseren Stelle bringen könne. Der Haupteinfallsstraße nach Filadelfia. Das ist schon mal ziemlich nett.

Schnell wird klar, dass der Mann deutsch spricht und wir kommen ins Gespräch, wenn auch wegen der Kürze der Strecke, auch nicht lange. Er meint, viele sprechen hier deutsch, es gibt viele Mennonit*innen. Einige habe ich schon in Santa Cruz, auf der Straße und im Bus gesehen. Manche tragen noch Klamotten wie vor hundert Jahren, andere nehmen sich ganz modern aus. Mein Fahrer ist doch eher moderner. Seine Frau Venezolanerin.

An der Hauptstraße lässt er mich dann wieder raus und wir wuchten meinen Rucksack von der Ladefläche des Geländewagens. Tatsächlich ist die Straße etwas größer ausgebaut. Keine halbe Stunde später sitze ich in einem ähnlichem Fahrzeug. Mit so viele Gastfreundlichkeit hätte ich ja nicht gerechnet. Es fährt Hans, oder so ähnlich, ein alter weißer Mann, der mir auf fast perfekten Deutsch ungefragt alles mögliche über Filadelfia und die Mennonit*innen erzählt. Er sei der einzige registrierte Fremdenführer und hätte schon dem NDR hier alles gezeigt, als die mal zu Besuch waren. Grund ist, dass die Mennoniten untereinander Plautdietsch sprechen, ein ziemlich schwer zu verstehender Dialekt, der am ehesten mit dem Niederdeutschen verwandt ist. Ich hab mal ein Textbeispiel für euch photographiert. Stammt aus einem kleinen Magazin, welches sie rausgeben.

Filadelfia

Die geographisch Fitten unter euch werden vielleicht etwas stutzig sein über den Namen dieser Stadt. Gewöhnlich kennen wir die Schreibweise „Philadelphia“ und die wohl bekannteste Namensträgerin ist eine Millionenstadt an der Ostküste der USA. Damit aber die spanischsprechende Bevölkerung Paraguays die Stadt „richtig“ ausspricht, wurde der Name eingespanischt.

Filadelfia liegt so ziemlich im Zentrum von Paraguays Westen. Paraguay ist in verschiedener Hinsicht in einen West- und einen Ostteil geteilt dessen Grenze der Rio Paraguay ist, der wohl auch der Namensgeber ist. Die beiden Teile sind in etwa gleich groß, doch lediglich 10% leben in der Westhälfte. So ziemlich alles liegt im Osten. Nur ein paar Mennonit*innen und Indigene besiedeln den Westen, der gemeinhin einfach als Chaco bezeichnet wird. Es soll sogar noch unkontaktierte indigene Gemeinschaften geben.

Filadelfia ist Zentrum der größten mennonitischen Siedlung, welche sich in Kooperativen zusammen schlossen und so ihre Arbeit organisieren. Die Kooperative um die sich Filadelfia entwickelt, nennt sich Fernheim.

Auf den Weg in die Stadt fällt auf, dass es unzählige Monumente gibt, die alle zehn Jahre aufgestellt worden sind, um an die Erstbesiedlung zu erinnern. Paraguay und Bolivien stritten sich damals um den Chaco, vielleicht auch, weil eine Ölfirma Erdöl dort vermutete. Paraguay bot günstig Siedlungsland und die Mennonit*innen, die ursprünglich aus Deutschland nach Russland siedelten, verließen grad Russland aus Angst vor Stalin. So versuchte Paraguay das Land für sich zu vereinnahmen. Kurz darauf kam es zum Chaco-Krieg den Paraguay für sich entscheiden konnte. Später hat Paraguay dann doch kein Öl vorfinden können.

Die Stadt ist im Schachbrett angeordnet mit teilenden Strukturen. Die nördliche Hälfte wird von großen mennonitischen Villen belegt. Der Südwesten von vier verschiedenen indigenen Gruppen, die alle in Comunidades zusammenleben und zum Teil extrem ärmliche Behausungen haben. Die vier Gruppen heißen Enhlet, Avoreo, Nivaclé und Guaraní. Im Südosten der Stadt leben die Paraguayos in einfachen Häusern.

Altenheim

Hans hatte mich ein Block von der zentralen Kreuzung entfernt rausgelassen und so konnte ich zu Fuß mein Ziel erreichen. Die Apotheke im Zentrum. Gut, die Stadt ist nicht allzu groß, sodass Stradtrand und Zentrum keine 5 Minuten bei Auto auseinander liegen. Ich versuche es erstmal mit Warten und entdecke unzählige Plakate und Schilder, die in Deutsch gehalten sind. Äußerst kurios. Die Apotheke macht grad aber Siesta. Eigentlich sollte ich mich mit der Mitbewohnerin von Fran, meinem Gastgeber treffen, aber das war vor drei Stunden. Aus vielerlei Gründen bin ich ziemlich spät dran.

Hinter der Apotheke frage ich im Krankenhaus nach ihr. Sie habe mal in der Apotheke gearbeitet, nun wäre sie aber im Altenheim beschäftigt. Ich habe übrigens noch nie in Südamerika ein Altenheim gesehen. Etwas verwundert, laufe ich einen Block weiter und tatsächlich, da steht Altenheim, sogar in Deutsch, dran.

Es ist schwer dort jemand zu finden, bis ich dann Pfleger*innen im Aufenthaltsraum antreffe. Yenni habe grad keine Schicht. Eine Pflegerin versucht ihre Telephonnummer herauszufinden. Währenddessen betrachte ich verwundert das Dutzend altersschwache*r Rollstuhlfahrer*innen an. Mit spanischen Akzent spricht eine Pflegerin einen alten Mann sehr laut auf deutsch an. Erst versteht er nicht, dann sagt er nur „ja, ja“. Ganz wie in Deutschland, denke ich. Die anderen sind allesamt dem Fernseher zugedreht, wo eine ziemlich klischeegeladene Doku über die Bergwelt Perus läuft. Auch auf deutsch. Total ungewohnt, dass alles verständlich ist, nur die einheimische Bevölkerung bevorzugt mit mir spanisch zu sprechen.

Schlussendlich kann ich dann ein Treffen mit Yenni an der Hauptkreuzung organisieren und auf dem Rücksitz des Rollers geht‘s an den Ortsrand. Mitten auf der grünen Wiese des Nachbarn wurde aus roten Backsteinen ein Häuschen für zwei Personen gebaut. Fran und Yenni sind Mitbewohner*innen und teilen das meiste. Oft sitzen sie gemütlich auf der überdachten Terrasse. Besonders Yenni ist eine Freundin des gemütlichen Lebens. Wir trinken Bier, Rauchen, genießen die Natur. Es ist nun mal auch ein einmaliger Ausblick, denn kaum ein Ort liegt so abgelegen.

Später treffe ich Fran, ein weltoffener und immer freundlicher Mensch. Er zeigt ein sehr hohes Vertrauen und gibt mir den Schlüssel zu seinem Cross-Motorrad. Nach einer kurzen Fahrt gemeinsam.

Sie machen mich auch gleich mit zwei paraguayische Spezialitäten vertraut, die sich ziemlich ähneln. Sie bestehen größtenteils aus Mais, sind herzhaft und sehen aus wie gelber Rührkuchen. Das lustige ist, dass das eine den Namen „Sopa“, zu deutsch „Suppe“, trägt. Paraguay, so meinen sie, ist das einzige Land, dass eine feste, also nicht-flüssige, Suppe auf dem Speiseplan hat. Hauptbestandteil soll Maismehl sein. „Chipawasu“ dagegen wird aus ganzen Mais, Zwiebeln und Käse gemacht. Übrigens auch lecker.

Was besonders für die Region ist, dass es kein Wasserverteilsystem gibt und es auch im Allgemeinen kaum Regenwasser gibt. Deswegen wird jeder Quadratmeter Dachfläche genutzt um Wasser in einer Zisterne zu sammeln. Ab und zu schaltet er die Pumpe an, damit das Wasser in ein Dachbehälter fließt, womit dann geduscht und alles mögliche ganz gewöhnlich gemacht werden kann. In der Trockenzeit wird es wohl manchmal kritisch. Das entsalzte Grundwasser, welches die Mennonit*innen anbieten soll sehr teuer sein.

Erdnuss

Mit Bier und guter Unterhaltung verbringen wir den Abend auf der Terrasse. Mir wird nun erst richtig bewusst wie laut die Natur in meiner Umgebung hier ist. Ein massives Zirpen kommt aus den dichten Gras- und Baumlandschaften in der Nähe und machen auch noch in der Nacht ein extremes Konzert. Wären wir so dem Naturkonzert lauschen, geht der Mond auf. Es ist tatsächlich eines der schönsten Momente, denn der Mond scheint erst ein Feuer am Horizont zu sein, dass mitten in der dunkelsten Nacht ausgebrochen ist und reiht sich dann zwischen die Millionen Sterne ein, die schon den Himmel besprenkeln. Irgendwann muss ich aber auch von den vielen fliegenden Blutsaugern flüchten.

Fran ist Chef der Apotheke und vielleicht auch deswegen gut vernetzt. Er sprach von einer Erdnussfabrik und sofort wurde ich hellhörig. Am nächsten Tag schwinge ich mich wieder aufs Motorrad und fahre dorthin. Eine Mennonitin ist Chefin der Laborabteilung und nimmt mich in Empfang. Sie zeigt mir die verschiedenen Teile der Untersuchungsabteilungen, die zum einen die eigenen Produkte auf Unbedenklichkeit prüfen, als auch mit neuen Ideen experimentieren. Hinzu kommt, dass eine kleine Menge Erdnüsse gesalzen und geröstet in der Umgebung verkauft wird.

Leider ist gerade nicht die Saison, aber sie zeigt mir die Lagerhallen und Abfertigungsanlagen trotzdem. Teils sind sie so groß wie Hochhäuser und es unvorstellbar, dass sie auch schon an ihre Grenzen kamen. Es gab aber auch schon Dürren, wo kaum Erdnüsse zu verkaufen waren.

Die Bäuerinnen und Bauern sind auch Teil der Kooperative Fernheim. Lediglich in großen verpackten Säcken, teils nur noch mit dem Gabelstapler zu bewegen, lagern noch Erdnüsse auf dem Gelände. Lange Zeit waren Erdnussschalen ein Problem gewesen, meinte sie, denn es ist Müll der in großen Mengen anfällt und weggeschafft werden muss. Mittlerweile können sie ihn aber als Tierfutter verkaufen. Ohne Schale können mehr Erdnüsse pro Container verkauft werden. Die Haut von der Erdnuss wird je nach Kunde oder Kundin entfernt. Werden die Erdnüsse später mit Schokolade glasiert, so bleibt die Haut dran, weil die Schokolade daran besser haftet.

Der Absatz von Erdnüssen aus Paraguay ist dabei ziemlich beschwerlich, weil der Ankauf der Produkte meist erst im Hafen in Europa stattfindet. D.h. der Transport bis dahin muss im Preis enthalten sein. Die Erdnüsse aus Filadelfia müssen erst nach Asunción, dann weiter via Fluss oder Straße nach Buenos Aires und dann über’n Atlantik. Die argentinischen Produzent*innen haben jedoch viel größere Produktionsanlagen und haben deutlich geringere Transportkosten. Dies bedeutet für die die paraguayischen Erdnüsse, dass sie den Standortnachteil zusätzlich kompensieren müssen.

Zurück in ihrem Büro erklärt sie mir noch an einer Tafel die Kooperative Fernheim. Zu dieser gehört im Prinzip alles in Filadelfia. Der Supermarkt, das Altenheim, die Apotheke von Fran, das Hotel, das Krankenhaus, die Straßen, das Stromkraftwerk, Grundwasserentsalzungsanlage, und so weiter und so fort. Dabei wird in Wirtschaftsbetriebe und Soziales unterschieden. Was die einen erwirtschaften können die anderen als Wohltätigkeit ausgeben. Sie bietet mir an eine Stadtführung zu geben und wir verabreden uns für später.

Hygiene

Mit Fran besuche ich das Heimatmuseum. Ja, was eine gute deutsche Stadt halt immer braucht, ist eine deutschtümelndes Heimatmuseum. Allerlei Gegenstände aus den Anfängen in Filadelfia beziehungsweise der Flucht aus Russland, die wohl oft über einen deutschen Hafen ging. Empfehlen kann ich da eher das Naturkundemuseum, dass eine fulminante Sammlung der hiesigen Tier- und Pflanzenwelt hat. So gibt es Gürteltiere, Nabelschweine, Hirsche, Tapire, Guanakos, Jaguare, Pumas, Ozelots, Füchse, Wild- und Waldhunde und Wölfe. Aber auch die kleineren Vertreter sind ziemlich groß. Käfer und Mücken von der Größe einer Maus können durch die Luft schwirren.

Der wohl beeindruckenste Baum ist der Florettseidenbaum. Er hat die Form eines übergroßen Tropfens. Unten sehr bauchig und läuft dann auf 10 bis 15 Meter nach oben zusammen.

Da grad Regenzeit ist saugt sich der Baum weiter voll und ist entsprechend dick. In der Trockenzeit soll er nicht mal grün sein, aber zu meiner Zeit ist er es. Auf seinen dicken Bauch hat er Stacheln angebracht. Im Naturkundemuseum bekomme ich ein Stück Stamm in die Hand gedrückt. Im Vergleich zu den harten Hölzern der anderen Bäume, die extrem schwer sind, ist dieser sehr leicht. Ungewöhnlich leicht. An dem Holzscheit sind die Kammern gut zu erkennen in dem er Wasser sammeln kann.

Zu guter Letzt wird mir noch die Missionsarbeit gezeigt, was bis heute durchgeführt wird. Ich dachte, dass wäre irgendwann mal im Mittelalter gewesen, aber tatsächlich versuchen die Mennonit*innen heute noch die Indigenen vom Christentum zu überzeugen und dann zu taufen. Gut ist wer sich bekehren lässt. Noch sind sie dabei für die letzte indigene Sprache die Bibel zu übersetzen. Etwas ungläubig brechen wir an der Stelle ab und Fran und ich verschwinden.

Die gute Frau aus der Erdnussfabrik erwartet mich schon pünktlich vorm Supermarkt, der – so wie er ist – auch gut und gerne in Deutschland hätte stehen können und viele Produkte von dort enthält. Sie erklärt mir, dass die Mitarbeitenden und Mitglieder der Kooperative in allen eigenen Geschäften mittels einer Nummer einkaufen, sodass das Geld direkt von ihren Konto abgezogen wird. Jedes Mal als ich einkaufen war, bekam ich auch einen A5-Zettel mit Rechnungsübersicht.

Wir fahren einmal durch alle Viertel und sie erklärt lose vor sich hin. Dabei sind ihre Erzählungen über die verschiedenen Ethnien angereichert durch ihre rassistische Weltsicht. Sie erklärt mir, welche Gruppen für welche Arbeiten in ihren Fabriken, Feldern oder zu Hause geeignet wären. Das die einen nicht sauber machen könnten und die anderen gut sind um Felder zu vermessen. Als wir dann zu allen Überdruss noch in eine sehr enge Comunidad fahren, die nur aus ein paar Bretterverschlägen besteht möchte ich in dem Sitz versinken. Eigentlich spielten gerade ein paar Kinder Fußball, aber sie wendet mitten auf deren kleinen Platz. Sie dreht mit ihren übergroßen SUV mitten in der Siedlung und erklärt mir, dass „die noch nicht hygienisch“ genug seien.

Unterm Strich möchte auch sie keine Rassistin sein, aber es gab mir schwer zu denken. Sie meinte, dass es auch schon erste Indigene in den Kooperativen gäbe, aber die müssten halt den Aufnahmeprozess bestehen und das heißt im wesentlichen wohl so zu sein wie die Mennonit*innen. Sie hörte nicht auf mir weitere „ethnologische“ Erklärungen zu liefern. Eigentlich stellt sie die Mennonit*innen als die großen Heilsbringer dar. So hätten sie der einen Gruppe einen betonierten Mehrsport-Platz überdacht und mit großen Zisternen zur Wassergewinnung ausgestattet. Doch die Zisternen werden nicht genutzt. Sie seien halt nicht klug genug schon an morgen zu denken, sondern täten alle nur ans heute denken und wären dann überrascht wenn am nächsten Tag nicht genug da ist. An morgen täten halt nur die Mennonit*innen denken.

Schon in der Fabrik sprach sie davon, dass auch Frauen und Indigene beschäftigt werden, aber deren Arbeitsplätze sind schlussendlich wohl nicht gleichzusetzen. Während die einen wie Lebensmittel-Ingenieure in klimatisierten Räumen in aller Seelenruhe Proben nehmen, stehen die anderen an den lauten Maschinen in einem kleinen Raum und kontrollieren die durchlaufenden Erdnüsse.

Schlussendlich seien ihrer Meinung nach wohl viele Indigene auch nach Filadelfia gekommen weil sie sich Arbeit erhoffen. Das sah sie auch als ihre Aufgabe in Zukunft mehr Arbeit zu schaffen. Filadelfia sei im Wachstum begriffen. Leider wäre es dadurch nicht mehr so sicher wie vor ein paar Jahren. Da habe niemand den Autoschlüssel abgezogen oder die Haustür verschlossen. Auch die Stadtverwaltung gäbe es erst sein wenigen Jahren. Vorher war die Stadt komplett von der Kooperative verwaltet. Einige Sachen wollen sie nicht zurück geben, weil sie glauben, das besser machen zu können. Zum Beispiel den Straßenbau.

Wer an dem Kraftwerk vorbei kommt und weiß, dass auf der anderen Seite das paraguayische Kraftwerk steht, wird unweigerlich überlegen ob nicht der NDR nochmal mit Extra3 vorbeikommen sollte. Es gibt im Prinzip alles nochmal in mennonitischer Hand. Bis hin zu einer eigenen Post. Nachdem ich nun weiß, was der paraguayische Staat alles nicht perfekt macht und warum die anderen Gruppen nicht so gut sind, wie die deutschen Mennonit*innen, zeigt sie mir noch die großen Anwesen auf der Nordhälfte. Hier wohnen viel weniger Menschen in viel größeren Häusern. Es sind die Besitzenden und sogar Paraguay-weit dominieren die Mennonit*innen einige Wirtschaftszweige, insbesondere in der Landwirtschaft.

Guaraní

Zurück bei Fran bin ich auch irgendwie froh, nicht bei Mennonit*innen zu wohnen. Sie können mir auch bestätigen, dass viele Mennonit*innen klare rassistische und überlegene Weltbilder haben. Natürlich nicht alle. Fernheim ist vergleichsweise modern. Es gibt andere Kooperativen und die deutlich verschlossener sind und noch gefühlt im Mittelalter leben. Fran meint, dass die Indigenen in vielerlei Hinsicht respektiert und unterstützt werden. In keinem anderen Land Südamerika wurde das mit Anerkennung einer indigenen Sprache als Amtssprache so ernst genommen wie in Paraguay. Nun lernen alle in der Schule auch Guaraní und eine deutliche Mehrheit spricht diese Sprache. Guaraní bezeichnet sowohl eine indigene Gruppe, als auch ihre Sprache, sowie die paraguayische Währung und noch einiges mehr.

Besonders ärmere bevorzugen Guaraní und unterm Strich sprechen die meisten einen Spanisch-Guaraní-Mix. Je gehobener desto mehr Spanisch. Für euch ein paar Wörter in Guaraní:

mba‘eichapa = Hallo! Wie geht‘s?

Porá ha nde? = Gut, und dir?

Jaha = Auf geht’s!

Ja‘u = Lass uns was essen/trinken

„Danke“ lässt sich nur schwer übersetzen, weil es je nach Kontext verschiedene Wörter gibt. Deshalb hat sich da das spanische „Gracias“ durchgesetzt. Tatsächlich konnte ich zuhören wie sich Fran mit seiner Mitbewohnerin in Guaraní unterhielt, obwohl sie beide keine Guaraní-Indigene sind. Hier ein Hörbeispiel, extra für euch aufgenommen.

In den Argentinien-Texten habe ich euch von der Mate-Tradition berichtet. In Paraguay gibt es diese Tradition auch, allerdings mit kalten Wasser, meist sogar mit Eiswürfeln. Diese Variante nennt sich dann Tereré. Ich finde diese auch deutlich leckerer, weil es viel besser zu den heißen Wetter passt. An einem Tag habe ich mehrfach das Thermometer beobachtet und es verharrte bei durchgehend 39 Grad. Da ist es eine Wohltat mit Fran während der Spätschicht in der Apotheke Tereré zu trinken. Die Thermosbehälter sind in Paraguay größer. In manchen Läden können riesige Bottiche gekauft werden, so groß wie ein kleiner Kühlschrank. Das Tereré-Trinken ist auch ein sozialer Aspekt, da gemeinsam getrunken wird und nur dann allein, wenn mensch wirklich ganz allein ist. Eine Person gilt dabei als Ausschencker*in, d.h. zu der geht das Gefäß immer wieder zurück und sie füllt auf.

Auf den Weg zum Bus lies mich Fran sein Auto fahren, denn er genoss es einen Chauffeur zu haben. Da die Wege, bis auf die Hauptstraßen im Zentrum, nur aus Sand bestehen, verwandelten diese sich nach einem heftigen Regenschauer in Schlammpisten. Aber nicht nur das. Nach dem Regenschauer, wenn die Sonne die Wiesen trocknet schwillt das Naturkonzert, das Zirpen, so stark an, dass ich tatsächlich ins innere des Hauses flüchtete. Es ist schwer zu glauben, wenn mensch es nicht erlebt hat. Hier ein Hörbeispiel, für euch aufgenommen.

Nun, auf dem Weg zur Haltestelle, bin ich etwas von der Mitte abgekommen und da es sehr rutschig und zu den Seiten abfällig ist, rutschte sein Auto direkt in den Seitengraben, der sich zu einen Wasserkanal entwickelt hatte. Ich sah vor meinem inneren Auge schon, dass das Auto hinüber ist, doch Fran blieb ziemlich gelassen. Er rief einen Freund an, aber schon der zweite Geländewagen hatte ein Seil dabei und band dies um das Hinterrad. Dann zog er das Auto in der spektakulären Aktion den Graben entlang, während der Geländewagen selbst ausrutschte und zur anderen Seite strebte. An der nächsten Kreuzung hievte er aber Frans Auto aus dem Graben. Der lies es einfach an und wir fuhren weiter. Was für mich ein halber Schock war, scheint für ihn so oder so ähnlich öfters mal vorzukommen.

Ich hab die Tage bei Fran wirklich genießen können. Er hat ein sehr großes Herz und half mir in jeder Hinsicht. Eine echt außergewöhnliche Gastfreundschaft. Umso falscher fühlte es sich wieder an, in den Bus nach Asunción zu steigen. Er hat mir sogar ein zu Hause in meinem nächsten Ort organisiert.


Mrz 15 2019

Santa Cruz #5

Weihnachten

Nach dem Paraguay-Tripp bleibe ich länger im schönen Santa Cruz und genieße die Tage. Ich fühl mich schon fast heimisch. Azuls Familie hat noch eine weitere Couchsurferin aufgenommen. Lida aus der Ukraine. Ihre Familie wohnt im Kriegsgebiet und selbst ist sie Energie-Ingenieurin. Sie scheint etwas verrückt zu sein. Azul bringt sie bei ihrer Familie unter, die allesamt nur Spanisch sprechen. Die Eltern könnten noch Quechua. Lida wiederum kann nur Englisch anbieten mit einem krassen Akzent. Wie sie sich unterhalten bleibt mir ein Rätsel, aber das Verhältnis war die ganze Zeit ziemlich gut.

Es geht auf Weihnachten zu. Ein sehr großer Markt in Santa Cruz wird zum Anlaufpunkt für alle und die meisten kaufen dort noch am 24ten ihre Geschenke. Chinesische Plastik-Produkte soweit das Auge reicht. So ziemlich alles was Kinder toll finden und keiner braucht. Wir kaufen auch ein paar Geschenke. Glücklicherweise werden ausschließlich Kinder beschenkt. Zu Weihnachten gehört auch Panetón. Es ist im Prinzip Stollen jedoch ohne Zucker- oder Butter-Decke. Ziemlich lecker wenn ihr mich fragt.

Die Vorweihnachtszeit ist bei weitem nicht so ausgeprägt, wie ich das in Deutschland kenne. Das Leben ist wie immer, nur manche Geschäfte dekorieren im Dezember und auf dem Plaza 24 de Septiembre wurden Lichter aufgehängt.

Fast schon lustigerweise enthalten die Dekos (Plastik-)Tannenbäume und Schnee-Imitate. Auch die Lieder handeln davon. Zum einen hat kaum jemand hier jemals Schnee berührt, noch wäre die Wahrscheinlichkeit im Hochsommer, der nun mal dann ist, wenn in Europa Winter ist, dass es schneit, nicht sonderlich hoch. Warum sie nicht einen Baum aus ihren Breitengraden wählen, können sie mir auch nicht sagen. Zu Weihnachten gehört hier auch das Knallern, was in Deutschland ja nur für Silvester vorgesehen ist. Raketen kommen aber kaum zum Einsatz. Es wird im Kreise der Familie gefeiert.

Der Höhepunkt ist das ausgiebige Mahl um Mitternacht. Gekocht hat wieder eine enge Bekannte. Es gibt ein breites Buffet inklusive toten Ferkel. Alle haben sich etwas hübscher gekleidet. Nach dem Schlemmen dürfen die Kinder dann die Verpackungen unterm Baum zerstören.

Lida und ich bekommen auch Geschenke, genauso wie so fast alle von den Eltern eine Kleinigkeit erhalten. Wir sitzen noch eine Weile zusammen und ich muss mein neues bolivianisches T-Shirt einmal für alle anziehen. Am nächsten Tag ist Weihnachten dann auch schon vorbei und ich versuche in dem ich einige Eierkuchen mache etwas an die Familie zurückzugeben. Dankenswerterweise führen sie einen kleinen Laden und ich kann direkt alles dafür dort bekommen. Leider sind Süßspeisen keine vollwertigen Mahlzeiten, erklärt mir Azul später, sodass sie es als Nachtisch essen.

Nächster Halt: Paraguay

Wie schon erwähnt, bin ich zwei Mal in Santa Cruz gewesen und entsprechend zwei Mal nach Paraguay gereist. Die Busse sind bekannt als die wohl ältesten Südamerikas und besseres kann ich auch nicht berichten. Sie werden zwar mit Essensversorgung beschrieben, aber die ist auch eher minimal. Die Fahrtzeit nach Asunción wird von den Verkäufer*innen mit 20 oder 22 Stunden angegeben, aber 24 und mehr Stunden sind realistisch. Es fahren nicht sehr viele Leute mit dem Bus, sodass meist einige Plätze frei sind. Zwei Mal die Woche soll ein klimatisierter Bus fahren, was angesichts der Hitze im Chaco die gerne Spitzen über 40 Grad erreicht eine gute Wahl ist. Ich konnte den leider nie wählen. Die Busse fahren am frühen Abend ab und kommen am frühen Morgen an die Grenze. Es gibt nur einen pro Tag. In einem gemeinsamen Grenzposten wird dann die Migration durchgeführt.

Es fahren vier verschiedene Firmen, die angeblich aber alle dem selben Eigentümer gehören. Angeblich nehmen alle immer den gleichen Preis. Ich kann aber berichten, dass unterschiedliche Leute unterschiedliche Preise bezahlt haben. Die Firmen haben sich die Wochentage aufgeteilt.

Azul hatte sich entschieden mich für die weitere Reise zu begleiten. Hintergrund ist, dass sie eigentlich die Zeit in Europa verbringen wollte, dies ging aber nicht, weil sie kein Visum erhielt. Es gibt einen offiziellen Prozess, der bei der Botschaft des Ersteinreiselandes des Schengen-Raumes im Herkunftsland beginnt. Doch es werden unendlich viele Dokumente verlangt, dass der Eindruck entsteht, dass versucht wird, die Einreise bewusst zu verhindern. Bis hin zu Schulabschluss-Zeugnissen und Haus-Besitz-Nachweis. Etwas was wohl viele nicht haben. Azul meinte, dass vielleicht 5 % der Antragsteller*innen das Visum für ihre Reise erhalten. Meist auch nur wenn schon eine frühere genehmigte Reise vorlag. Sie hat aus der Not eine Tugend gemacht und kurz nach Weihnachten haben wir uns auf den Weg gemacht. Nicht ohne eine erste Lektion über unsere Unterschiedlichkeit.

Beim ersten Mal bin ich noch allein nach Paraguay gereist und der Bus fuhr ziemlich pünktlich ab. Mir ist bekannt, dass es nicht üblich ist pünktlich zu sein und oft tut dies ja der Sache kein Abbruch. Leider bin ich gewohnt und damit aufgewachsen, Tickets zwei Monate vorher zu buchen um dann eine halbe Stunde bevor um 17:31 von Gleis 4b die Regionalbahn nach Kleinkauderwelsch abfährt zu warten. Nun, was soll ich sagen, zehn Minuten vor der offiziellen Abfahrtszeit verlassen wir erst das Haus und ich hab schon ziemlich Druck gemacht. Azul meint aber, dass ich ziemlich Stress mache. Stimmt bestimmt auch. Stimmt auch schon seit einer Stunde. Bis zum Busbahnhof ist es eine gute halbe Stunde. Gut, unterm Strich fuhr der Bus zwei Stunden später ab. Sodass sie Recht behalten sollte und ich mir noch leckere Cuñapes kaufen konnte. Sind Brotkugeln mit intensiven Käsegeschmack und unter anderem Namen eher aus Brasilien berühmt (Pão de Queijo).

Damit endet dann auch nach vielen Tagen der schöne Aufenthalt in Santa Cruz, aber mit Azul habe ich mir Stück Santa Cruz für die nächsten Wochen eingepackt.

Die nächsten Berichte werden aber erstmal meinen Trip nach Paraguay behandeln


Dez 17 2018

Deine Augen verbunden, deine Hände gefesselt, du wirst gefoltert und niemand weiß wo du bist …

Córdoba, Argentinien

Von Karl

 

Córdoba ist Argentiniens zweitgrößte Stadt und bekannt für ihre Kultur und Universitäten. Auf dem ersten Blick fallen auch die vielen weißen und gut erhaltenen Gebäude auf. Architekt*innen haben sich bestimmt große Mühe gegeben und deshalb wurde die Front einiger Gebäude auch nochmal im Boden nachgezeichnet, wie eine Art Schatten. Vielleicht damit die Leute die den Boden absuchen, auch die historischen Gebäude finden.

Die Universitäten Córdobas sind landesweit bekannt und verleihen der Stadt den Beinamen „La Docta“, also „die Doktorin“. Viele Gelehrte wohnen und leben hier. Nicht nur einmal habe ich gehört, dass Menschen zum studieren nach Argentinien gehen, weil es dort kostenlos sei. Selbst die Verpflegung in der Kantine alias Mensa ist selbst für arme Argentinier*innen noch sehr günstig. Hunderttausende Studierende bevölkern die Millionen-Metropole.

Als lokale Spezialität werden handgemachte Alfajor angepriesen. Die Leser*innen hier sind aber klüger, denn es gibt sie in ganz Chile und Argentinien. In verschiedenen Varianten. Ganz einfach mit Dulce de Leche zwischen zwei Kekshälften, oder teilweise mit mehreren Schichten und Schokoglasur. Mal abgepackt im Supermarkt, dann wieder in feinen Boxen zum Verschenken oder in speziellen Feinkostläden, die die wohl im Hinterzimmer per Hand machen.

Synagoge Córdoba

Als ich in Córdoba ankomme ist es noch frühs und in dem Hostel kann ich mir noch was vom feinen Frühstück nehmen. Was ich allerdings zum ersten Mal in Argentinien gesehen habe ist Kaffee in Tee-Beuteln. Eigentlich gar nicht so doof.

Nicht ganz so überragend wie in Mendoza, aber auch wunderschön sind die Parks der Stadt. Weitläufig, grün, Teiche, Inseln, Liebespaare, hohe Bäume mit viel Schatten, … Auch gäbe es ein hervorragendes Freibad, wenn es nur Wasser hätte. Eine alte Brücke überspannt das lange Becken.

Auf einem Platz im Zentrum steht eine übergroße gelbe Ente. Daneben werden kleine Badeenten verkauft. Dahinter steht eine soziale Initiative die Essen und Kleidung sammelt und verteilt.

Die soziale Ader kommt auch am Mittwoch zum Tragen. Da sind alle Museen und Gedenkstätten kostenlos. Mal eine Gelegenheit sich moderne Kunst anzutun. Leider muss ich kurz mit dem Kopf schütteln, da die vergangene Fußballweltmeisterschaft schon mit Farbe auf Leinwand gebracht worden ist. Ein großer Raum voll mit Spielern die gegen Bälle treten und darunter die Spielergebnisse.

An manchen Stellen in der Stadt, aber auch schon auf den letzten Stationen meiner Reise bin ich der Forderung begegnet: „Respekt, Freiheit und Wahrheit für Santiago Maldonado“. Wie ich nun herausgefunden habe, handelte es sich um einen Aktivisten aus der Provinz Buenos Aires (nicht der Hauptstadt), der sich dem Kampf der Mapuche verschrieben hatte. Genauso wie in Chile, gibt es, vor allem in Patagonien, noch Gebiete die von ihnen bewohnt werden und die sie gegen die Vertreibung verteidigen. Sie fordern weiterhin die Rückgabe ihrer Gebiete und die Autonomie auf diesen. Doch mit der konservativen Regierung unter Mauricio Macri ist keine Verhandlung in Sicht. Santiago Maldonado beteiligte sich an Protesten in Cushamen (Provinz Chubut), währenddessen Straßenblockaden errichtet wurden. Nach der Auflösung dieser war er tagelang vermisst und dann als Wasserleiche geborgen worden. Es ist unklar warum er gestorben ist. Die Protestbewegung wirft der Polizei den Mord vor.

Mich interessiert noch mehr von der aktuellen Politik und nehme die Gedenkstätte „La Perla“ in meinen Tagesplan. Es stellt sich schnell heraus, dass sie außerhalb der Stadt liegt und ich muss den entsprechenden Bus finden. Im neu errichteten Terminal 2 findet sich auch der entsprechende Bus. Er muss nämlich nach Villa Carlos Paz fahren, einen Nachbarort Córdobas, aber in Malagueño, einem Vorort, halten. Als der Bus dann aber nicht abfährt für Malagueño, zeige ich dem Busfahrer nochmal mein Ticket mit dem Zielort „La Perla“. Er fängt an zu schimpfen und lässt mich auf der Autobahn raus. Ich war einer von drei Fahrgästen und hatte ihm ja beim Einstieg mein Ticket gezeigt. Da es mir immer noch vergönnt ist, das „r“ nicht so auszusprechen, wie es die Einheimischen können, versteht mich leider niemand wenn ich „La Perla“ sage. Mehrmals habe ich z.B. beim Ticketkauf „La Perla“ gesagt, aber es wurde nicht verstanden. Erst als ich es als Gedenkstätte erläutert habe die bei Malagueño liegt, meinten sie „La Perla?“. Da denke ich auch: Was zum Teufel habe ich zehn Mal zu dir gesagt?

Tatsächlich liegt Malagueño südlich der Autobahn und La Perla nördlich, sodass ich jetzt nur noch einen Kilometer zu laufen habe. Eigentlich ist das ganze Gebiet Sperrgebiet, aber hier gibt es einen Weg zur Gedenkstätte. Als erstes passiere ich einen heruntergekommenen Checkpoint und kann mir schon vorstellen, wie hier die Militärfahrzeuge in den 70er Jahren an die Schranke ranfuhren, die sich dann öffnete und salutierend den Laster hinterherschauten.

Zur gleichen Zeit kommt ein älterer Mann in das Gelände und wir erscheinen quasi zeitgleich bei der Rezeption. Die ganze restliche Zeit sehe ich keine weitere Person. Das Areal ist eine ehemalige kleine Kaserne mit Tor, Wachtürmen und verschiedenen Hallen. Ich unterhalte mich mit der jungen Frau, die für uns zuständig zu sein scheint. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind über 30.000 Menschen verschwunden. Meist Linke oder Menschen denen es unterstellt wurde. Sie wurden tagelang gefoltert und ermordet. Ohne dass es Aufzeichnungen gibt. Deswegen wird die Methode „verschwinden lassen“ genannt. Es war brutaler Staatsterror, der noch aufgearbeitet wird. Die Familien wissen oft bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Ob sie vielleicht ins Exil gegangen sind, Glück hatten und überlebten oder einfach per Flugzeug über dem Atlantik rausgeworfen worden. Das faschistische Regime hat seine Methoden unter anderem von der „Schule der Amerikas“ in Panama, den französischen Doktrin, die entwickelt wurden um die Aufständigen in Algerien niederzuschlagen, und den Erfahrungen der eingewanderten deutschen Nazis im Rahmen des Holocaust.

Ich beginne meinen Rundgang und beginne zu begreifen. Für viele ist die Suche nach ihren Angehörigen schwerlich. Kunstwerke in der ehemaligen Fahrzeughalle zeugen von ihren Willen und Hoffnungen auf Frieden. In anderen Räumen, die als Auswahl oder Folterkammern genutzt wurden, hängen Steckbriefe der Täter. Viele sind unbestraft davon gekommen. Die heutigen Rechten und Sympathisant*innen der Militärdiktatur versuchen immer wieder die Ereignisse zu relativieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.

die Täter, viele unbestraft

Gezeigt wird auch der Kampf der „Mütter vom Platz des Mais“. Der Platz des Mais oder Mai-Platz ist der zentrale Platz in Buenos Aires und noch während der Diktatur begannen sie für Aufklärung zu demonstrieren. Sie trugen alle weiße Kopftücher und dieses wurde zum Symbol. Noch heute gibt es in allen Städten weiße Kopftuch-Graffiti auf den Gehwegen. Noch heute wird demonstriert. Da auch einige schwangere Frauen verschwunden sind, gibt es nun auch die Bewegung der „Großmütter vom Platz des Mais“, die wissen wollen wo ihre Enkel*innen abgeblieben sind. Die Militärs sollen die Neugeborenen an regimetreue Familien abgegeben haben. So mancher Mensch in Argentinien, der vielleicht 50 Jahre alt ist, ist womöglich kein Kind seiner Eltern. Bei Vermutungen können kostenlos Tests gemacht werden.

In La Perla ist auch der Raum zu besichtigen in denen die Gefangenen eingesperrt waren. Wie in alten Kasernen-Zeiten waren Doppel-Stock-Metall-Betten in unzähligen Reihen aufgestellt. Die Demütigung ging bis zum Stuhlgang und Duschen. Mit grausamer Freude wurden die Gefangenen gefoltert und entwürdigt. Berühmtestes deutsches Opfer ist Elisabeth Käsemann, die nach mehreren Tagen Folter getötet wurde. Unter anderem wegen ihr gab es dann auch Gerichtsverfahren in Deutschland, aber Argentinien hat die Täter nicht ausgeliefert.

Das Museum stellt die Ereignisse auch mit dem „Plan Condor“ der USA in Verbindung. Dabei handelt es sich um direkte Unterstützung und Intervention der USA in Lateinamerika von anti-kommunistischen Regierungen, Parteien, Milizen, Bewegungen, etc. Sie behaupteten, wenn ein Land sich dem Ostblock anschließen würde, dann fallen alle anderen Länder wie im Domino (Domino-Theorie). Deswegen wurde mit aller Macht versucht dies in allen Ländern Amerikas zu verhindern. Somit war die USA auch Freund des argentinischen faschistischen Militärregimes.

Besonders einprägend im Museum war ein Buch mit Zeichnungen eines ehemaligen Häftlings. Es sind Menschen zu sehen die mit verbundenen Augen auf dem Boden liegen. Wächter die mit Schlagstöcken unterwegs sind. Brutale Foltermethoden. Foltermethoden Made in Europe.

Ich bin schwer beeindruckt und noch in Gedanken versunken, als ich die Autobahn zu Fuß überquere um in Malagueño einen Bus zurück nach Córdoba zu finden.

Dort angekommen sehe ich in einer Nebenstraße des Hauptplatzes, dass hunderte Bilder aufgehängt worden sind. Bilder von Angehörigen, die vermisst werden. Quer über den Weg, von einer zu anderen Seite. Es hat Argentinien noch lange nicht losgelassen. Ein bisschen ist Argentinien Gefangene der eigenen Geschichte. Immer noch halten einige die Augen geschlossen, sind unfähig etwas zu unternehmen, viele tragen das tiefe Leid in sich und wissen nicht wo sie suchen sollen.


Dez 7 2018

Im Kreise der Familie

Von Karl, Esquel, Argentinien

 

Selten habe ich so gut geschlafen. Als ich kurz drauf versuche Schuhe anzuziehen, merke ich wie sehr mitgenommen sie sind. Größere Blasen verweisen auf eine lange und ungewöhnliche Wanderung.

Tulpen und fliegende Teppiche

Die Mutter, die als Psychologin arbeitete und bereits in ihrer Praxis ist, hat uns ein feines Frühstück vorbereitet, dass einem wohligen Schmaus gleich kam. Mailén und ich konnten nun unsere Konversation fortsetzen, die auch von einigen nicht ganz ernsten Episoden geprägt ist. So philosophieren wir den ganzen Tag über fliegende Teppiche. Wie sie uns wann helfen könnten und welche Probleme sie bereiten könnten. Brauchen sie Sicherheitsgurte? Gibt es extra Fahrschulen und Fahrerlaubnisse? Müssen sie ab und zu getankt werden und wenn ja, mit was?

Wir fahren im Auto zweier Freundinnen und einer Mutter derer zu einem Ausflug. Lustigerweise die Hälfte der Strecke zurück Richtung Grenze, von wo ich gekommen bin. Eine der Freundinnen ist Jüdin und Enkelin polnischer und russischer Emigration. Das ist insofern interessant, weil die Einwanderung im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg steht. Einwanderung ist ein generelles Thema in Argentinien, weil aus aller Welt Menschen immer wieder kamen. Die größte Gruppe soll aber aus Italien gekommen sein.

Wir halten an einem Tulpen-Feld. Das heißt, auf einem Feld werden reihenweise verschiedene Tulpen gepflanzt und verkauft. Sie blühen in allen Farben, sodass es beispielsweise auch schwarze Tulpen gibt. Eingerahmt von den schönen weißen Bergketten im Hintergrund ist der Blick auf das bunte Tulpen-Feld kaum zum satt sehen. Als ich für den Eintritt einen 50-Pesos-Schein zurück erhalte, der mit den Falkland-Inseln bedruckt ist, muss ich wieder unfreiwillig lachen. Der empörte Blick von Mailén zeigt mir aber, ich sollte vorsichtig mit dem Thema sein. Einige meinen das Ernst mit der „Rück“-Eroberung.

Irgendwie sind Wasserfälle immer etwas berauschendes,weil es ja doch nicht so häufig kommt. Wir fahren nach den Tulpen zu einem Waldstück mit verschiedenen großen und kleinen, mächtigen und schmächtigen Wasserläufen. Beeindruckend, dass die hügelige Landschaft, versteckt im engen Nadelwald Patagoniens doch tiefe Schluchten aufweist, die dann zu größeren Wasserfällen führen. Erstmals wird mir versichert, dass ich im berühmten Patagonien bin. Nun fügt sich das Bild zusammen. Die raue Landschaft mit ihren trocken-kalten Pflanzen. Lange Zeit war die Sonne auch etwas vor dem ich in den Schatten geflohen bin und hielt Siesta für eine clevere Idee, aber hier ist sie wieder was wohlig wärmendes.

Doch hat die Natur zunehmend Probleme. So gibt es im nahmen Naturschutzgebiet noch seltene Zypressen, die aber von Käfern befallen sind, die erst durch Tourismus eingeschleppt werden können. Auch größere Tiere, wie Füchse, bringen die kleinen Tiere weiter, aber insbesondere Schuhe sind geeignet sie zu transportieren.

Für besonders schick wird das Nachbarstädtchen Trevelin gehalten. Vielleicht ein wenig schöner mag es sein, aber auch ziemlich zersiedelt. Wie halten am zentralen Platz, der sich angeblich Sonntags in einen wunderbaren Markt verwandeln soll.

Esquel

Esquel an sich

Wieder eine Stadt im exakten Schachbrett, aber deren Straße nur zum Teil asphaltiert sind. Das Leben läuft ruhig ab und Siesta klar zum Tagesablauf. Auffällig sind einige aufwändige Graffiti die auf die Kampagne „No a la Mina“ (in etwa: „Nein zur Mine“) verweisen mit deren Webseite noalamina.org. Wie ich später erfahre geht es um Goldbergbau nördlich von Esquel, der aber überhaupt nicht auf Gegenliebe getroffen ist und deswegen noch auf Eis liegt. Die breite Bevölkerung soll dem Projekt sehr ablehnend gegenüber sein, sodass erstmal nicht damit zu rechnen ist, dass die Firma anfängt zu graben.

An vielen Ecken befinden sich auch „Verdulerías“, das heißt Gemüsehandlungen. Meist verkaufen sie noch Obst und was zum Zubereiten von Gemüße noch so gebraucht wird (Gewürze, Öl, …). Sie sind auch günstiger als die wenigen Supermärkte im Ort. Hier wird noch alles einzeln gekauft, das heißt Brot in der Bäckerei, Fleisch bei der Fleischerei, und so weiter und so fort … Chiles riesige Einkaufszentren hab ich also hinter mir gelassen.

Was mir jetzt erst auffällt, ist auch die abschließende Bauweise mit spitzen Dach. Das zeugt ja vor allem von größeren Niederschlägen oder gar Schneelast. Im Winter könne es tatsächlich auch mal schneien, aber da grad Frühling ist, bleibt die Winterjacke im Haus.

Blick aus meinem Zimmer. Es ist Frühling, der Baum treibt aus.

Zum Akt in der Kleinstadt wird das Geld tauschen. Ich hab noch chilenische Pesos die ich nicht benötige und es gibt nur ein Laden mit regionalen Holzprodukten („La Estacion“), der laut Touri-Info tauschen würde. Ich werde aber erstmal weggeschickt und soll um 12 Uhr wiederkommen, wenn sie wie alle Geschäfte während der Siesta schließt. Gesagt, Getan, da bin ich wieder. Nein, wir haben leider keine chilenischen Pesos. Ich sage, dass ich sie habe und dann geht es doch. Allerdings nur zu schlechten Bedingungen. Warum? Niemand will nach Chile reisen. Chile ist wirtschaftlich stabil, aber Argentinien erlebte oder erlebt noch hohe Inflation. Das kam in der Geschichte Argentiniens schon dutzend Mal vor, sodass ich annehme, dass die Argentinier*innen auch sensibel auf Inflationen anspringen. Der argentinische Peso ist relativ schwach, aber zumindest bekomme ich Geld für die nächsten Wochen.

Am sehr späten Abend wollen Mailén, Freundinnen und ich ausgehen. Da der Freund der Mutter leckeren Tequila ausgeschenkt hat, ging es schon etwas früher los, aber ansonsten trifft sich hier wohl niemand vor um Elf. In modernen Design und gedämpften Licht gehüllt wird eine Unmenge verschiedener Handwerks-Biere ausgeschenkt. Die meisten erinnern aber eher an Irland oder Großbritannien: IPA, Stout und Red Ale haben die Vorrang vor Pilsener. So begann der Abend.

Familienausflug mit Mate

Es ist Wochenende, der Freund der Mutter im Hause, der sonst die Woche über in Bariloche arbeitet. Er hat einen Jeep und wir passen mit dem Extra-Sitz im Kofferraum tatsächlich alle in das Fahrzeug. Interessanterweise nehmen sie alles mit, was ein längeren Ausflug rechtfertigt: Kanu, Angel, Stühle, …

Auch die Oma mit ihrer Schwester bevölkern die Rückbank. Als das Radio Tango anstimmt fallen Mutter, Freund, Oma und Großtante freudig ein und trällern aus vollstem Herzen.

Ich bin voll in der Familie integriert und versuche mich mit allen zu unterhalten, bzw. versuchen sie es auch. Mailén, die gern als Übersetzerin hilfesuchend angeschaut wird, wird nicht müde immer wieder zu erklären, dass ich ja Spanisch verstehe, aber halt nur langsam und klar ausgesprochen. Nicht nur ich lerne während meiner Zeit hier.

Mit dem Ausflug bekomme ich das Gefühl Teil der Familie zu sein. Als wenn ich der Bruder von Mailén wäre. Der echte wohnt auch im Haus, aber geht die meiste Zeit seine eigenen Wege. Es ist schön, einfach zu Hause zu sein. Auch wenn ich gerne unterwegs bin, hier kann ich es mal genießen. Den Rucksack packe ich oft genug. Deswegen: Hier frag ich nach Verlängerung und das wird wohlwollend aufgenommen.

Wir fahren zum Nationalpark „Los Alerces“ und obschon eines der regenreichsten Gebiete ist, haben wir das schönste Wetter. Es gibt einen 80km langen See, der viele verlassene Ecken bietet. Gegenüber erhebt sich eine elegante Bergkette. Sie ist von Bäumen gesäumt, aber leider auch von großen Flächen verbrannter Bäume. Waldbrände nehmen wohl zu und schon in Chile schien das kein unwichtiges Thema zu sein.

Während die älteren Frauen sich dem Mate-Trinken hingeben … bevor ich weiter erzähle … Mate-Trinken! Argentiniens Nationalgetränk. Immer und überall dabei. Das ist ein faustgroßes Gefäß, welches bunt, schlicht, verziert, Leder, Plastik, … alles möglich sein kann, aber es ist meistens bauchig geformt und hat einen wulstigen Rand. Darin steht der Bombilla. Im Prinzip ein innen hohler Teelöffel mit einer siebähnlichen Löffelfläche. Das obere Ende ist wie das Mundstück eines Instrumentes geformt und daran wird mit dem Mund gezogen. Der Bombilla wird nie bewegt und meistens noch nicht mal berührt. Er steht einfach im Becher. Das Gefäß wird Mate genannt, aber auch die Pflanze deren getrocknete und gehäckselte Blätter in die Mate kommen. Nicht wie beim Tee, sondern bis einem fingerbreit unterm Rand wird aufgefüllt. Manche machen nun ein Ritual daraus, dass die Blätter etwas zur Seite geschoben und auf der anderen Seite kommt heißes Wasser. Das zieht kurz und dann kann am Bombilla gesaugt werden. Danach füll ich gegebenenfalls das heiße Wasser wieder auf und reiche es der nächsten Person. Mate-Trinken ist auch eine soziale Tradition, weil immer alle gemeinsam aus einem Mate trinken. Menschen treffen sich zum Mate-Trinken. Aber es kann auch sonst in allen erdenklichen Momenten getrunken werden und es soll schon mit Kleinstkindern losgehen. Während die Mate die Runde macht, kommt das Gefäß immer mal zurück zum Ausgangspunkt um neues heißes Wasser aus der Thermoskanne nachzufüllen. Nach und nach kann der seitlich aufgehäufte Berg genutzt werden um im Becher frische Blätter zu haben.

Immer wieder habe ich Argentinier*innen gesehen die an allen möglichen Orten nach heißen Wasser für ihre Thermoskanne fragen. Auch in den Supermärkten sind die meterlangen Regale zu finden. Die getrockneten Blätter werden dann „Yerba Mate“ genannt. Ich versichere nochmal: Es gibt keinen Ort, wo mensch nicht auch noch Mate trinken kann. Die Mate sollte übrigens nicht mit der Club-Mate verwechselt werden. Das Getränk schmeckt sehr herb und ich würde sagen wie aufgegossene Wiese. Gewöhnungssache.

Zurück: Also die Oma, ihre Schwester und die Mutter setzen sich am Rande des Sees und beginnen das Mate-Ritual. Mit den beiden anderen brechen wir zu einem Spaziergang auf. Durch Nadelwald kommen wir auf einen schönen Aussichtspunkt und passieren Araukarien und kommen an den Fuß eines schönen Wasserfalls. Auf der Plattform unterhalb des Falls werden wir Nass vom Sprühregen. Auf halber Höhe endet der Weg, aber mit etwas Kletterkunst komme ich an das obere Ende vom Wasserfall. Ein Panorama, wie gemalt, öffnet sich. Im wilden Zickzack spritzt das Wasser über die Steine und erreicht die Fallkante um dann mit lauten Brüllen aufzuschlagen und weiter zu flitzen. Alles gerahmt von stolzen hochgewachsenen Bäumen. Die Gipfel verdecken nicht ganz, dass im Hintergrund ein breiter ruhiger See liegt. Darüber wächst die Bergkette …

In Gedenken an alte Zeiten konnte ich es mir nicht nehmen lassen, dann mal in den kalten See zu hüpfen. Nicht lange, weil der gletschergespeiste Pool eher einstellige Temperaturen hat. Aber das Gefühl danach ist einzigartig. Wie neu geboren. Wir müssen dann auch schnell aufbrechen. Ihr wisst schon. Das heiße Wasser ist alle.

Auf der anderen Seeseite wird mir dann noch ein interessanter Baum gezeigt, der eine orange Rinde hat. Die Rinde hat allerdings eine sandige Schicht. Angeblich waren die orangen Bäume der entscheidende Hintergrund für eine Bambi-Verfilmung in der Region.

Asado

Wenn ich schon in einer argentinischen Familie bin, wo Tango gesungen wird und Mate geschlürft. Dann darf auch das Asado nicht fehlen. Sonntags, wenn es passt, wird immer Asado gemacht. Auch das ist typisch Argentinien, so heißt es. Aber … Eigentlich ist das auch nix anderes als ein thüringisches Grillerchen. Die besten Freund*innen und Nachbarn kommen, sodass die Runde immer größer wird und auf dem Grill kommt sämtliches Tier, was in der Region lebt. Viel zu viel natürlich, sodass am Ende immer ein Berg Fleisch übrig bleibt, aber auch das ist bekannt.

Reichhaltig ist der Tisch gedeckt, mit Baguette, gegrillten Zwiebeln, Salate, etc. und es wird – natürlich argentinischer – Wein ausgeschenkt. Da es dann doch mal regnet, endet das Asado am späten Nachmittag.

Am letzten Abend bin ich dann sogar noch zum Theater eingeladen, weil Mailéns Mutter mit auftritt. Dafür bekam ich dann von Mailén, der studierten Politologin, noch eine Erkläreinheit in argentinischer Geschichte vorab. In den Jahren der faschistischen Militärdiktatur sind gut 30.000 Menschen verschwunden, d.h. sie wurden von den Militärs als links eingestuft, ohne Aufsehen in Geheimgefängnisse gebracht, gefoltert und meist ermordert worden. Das hat natürlich Spuren hinterlassen in der Gesellschaft und die Aufarbeitung ist noch nicht abgeschlossen.

Es ist die Uraufführung und das Stück beginnt schon vor dem Einlass. Die Regisseurin gibt einleitende Worte, mit zitternder Stimme. Eine junge Frau auf der Treppe beginnt unerwartet mit dem Stück, ohne dass ich dies erwartet hätte. Doch dann geht alles zu schnell. Nach dem wir sitzen wechseln schnell die Szenen und obschon ich ein ernstes Stück erwartet hatte, ist es doch eher belustigend. Ich bin positiv beeindruckt von der Leistung der Laienschauspieler*innen. Ein knappes Dutzend hat am „Theater für Identität“ mitgewirkt, wie das Stück heißt, was nun auf kleine Tour geht in der Provinz Chubut, wo ich gerade bin.

Mailén trifft dann ihren eigenen Vater, während ich mit den beiden Omis den Heimweg antrete. Als sie aber kurzfristig sich für ein Käffchen (irgendwie ist die Verniedlichung hier allgegenwärtig …) entscheiden, treffen wir dort den Vater, aber nicht Mailén. Ja, die Omis sind schon sehr kurios. Mailéns Oma hat erst vor einem Jahr ihren Ehemann verloren und dann entschieden auf Reisen zu gehen.

Irgendwie bin ich froh dass es auch zu Ende geht, denn ich muss weiter … nicht dass ich mich zum wirklichen Mitglied der Familie entwickle.

Doch Bus

Mailén hat viele gute Erfahrungen mit Trampen geteilt und ich bin doch wieder motiviert es zu wagen. Voller Hoffnung stehe ich in aller frühe auf und bin schon um 7 mit dem Daumen an Esquels einziger Verbindung gen Osten, Süden und Norden. Fünf Stunden, so nehme ich mir vor, dann geh ich zum Busbahnhof. Gegenüber von mir ist eine Kaserne und ich sehe wie die Soldat*innen Frühsport machen, wie frische Brote geliefert werden und wie sie ausreiten. Ja tatsächlich, Argentinien unterhält als eines der letzten Länder tatsächlich noch eine moderne Kavallerie, also berittene Soldat*innen für den modernen Ernstfall. Viel passiert sonst nicht. Ich wandere mit der Sonne etwas nach hinten und schaue mir ein feierlichen Konvoi hinter einem Leichenwagen an. Offensichtlich eine Beerdigung steht bevor.

Aber was soll ich sagen. Ich stand lange, aber ich hab nur drei Fahrten nach Bariloche (Norden) angeboten bekommen, will aber an den Atlantik (Osten). Stundenlang rasen die Autos an mir vorbei, machen wirre Handbewegungen, aber für mich ist nix dabei.

Niedergeschlagen geht es die zwei Kilometer zurück und der nächste Bus fährt erst um 22 Uhr. Das war nicht ganz einfach herauszufinden, weil die argentinische Aussprache sich deutlich unterscheidet. So wird das „Du“, was sonst ein „tu“ ist, zum „vos“. Alle Buchstaben die wie ein „j“ klingen werden zum „sche“. Dann noch alles schnell aussprechen und zusammenenziehen und schon heißt die Busfirma „Mar y Valle“ „Mariwasche“. Ich such tatsächlich erstmal eine Busfirma mit dem Namen Marie … Naja, so ist das Leben.

Was mach ich den restlichen Tag … Ich schau dem Touri-Zug zu, wie er Esquel verlässt. Ja, es gibt auch einen Zug, aber der ist teuer und fährt auch zu keinen spannenden Ort. Ich wärme mich mit Buch und Snack in der Sonne und als die kalte Nacht herreinbricht, fiebere ich schon dem Bus entgegen. Über Nacht ans Meer.

 

PS.: und hier ist Esquel auf der Argentinien-Karte …


Dez 3 2018

Eine Reise in sechs Akten

Von Karl

 

So manche*r wird staunen und neunmalklug behaupten: Ein Theaterstück hat doch nur 3, 4 oder 5 Akte. Tjaaa, dann lest das folgende Stück. Vorhang auf:

Akt 1: Castro → Quellón

Kurz nach meiner Rückkehr in Castro bekomme ich eine Rückmeldung für meine nächste Unterkunft. Es soll nach Esquel in Argentinien gehen. Das ist nicht so weit, denke ich.

Ich war tags zuvor bei der Fährgesellschaft Naviera Austral und habe meine Überfahrt von der Insel Chiloé zurück auf das Festland geplant. So habe ich erfahren, dass meine angestrebte Überfahrt von Quellón nach Chaitén nur an zwei Tagen in der Woche möglich ist. Einmal legt das Schiff am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht ab und das andere mal am Sonntag um 18:30 Uhr. Beides ist doof, weil kein Bus von Castro in der Nacht nach Quellón fährt und wenn ich 18:30 abfahre, dann bin ich Mitternacht in Chaitén. In dem Dorf fährt zu der Zeit dann sicherlich kein Bus. Die Überfahrt dauert vier bis fünf Stunden.

Von Castro aus gibt es zur Zeit keine Fähre. Ich war schon in Puerto Montt in dem Büro von Naviera Austral und habe zudem den Eindruck bekommen, dass sich die Pläne hier wohl regelmäßig ändern. Das bestätigen auch die Hosts und schimpfen auf die sich ständig ändernden Pläne. Es werden auch längere Fähr-Strecken angeboten, die bis in den äußersten Süden Chiles reichen. In Castro bin ich gefühlt der erste der überhaupt ein Ticket gekauft hat. Vielleicht stellt mir die Fährgesellschaft auch einfach ein Ruderboot hin und sagt, mache selbst. Die Einheimischen nehmen den Bus über Puerto Montt, der dann in Hornopirén auf die Fähre fährt. Die Strecke soll landschaftlich sehr reizvoll sein. Manche nehmen auch kleine Flugzeuge, die aber oft wegen dem Wetter ausfallen oder starke Verspätung haben.

Ich habe mich für die nächste Fähre entschieden, die überhaupt abfährt und das ist schon diese Nacht um 3 Uhr. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr ab, sodass ich diesen dann auch nehme. Die Dunkelheit bricht über Castro ein, als sich der Reisebus auf der Straße nach Quellón herauswindet. Gut eineinhalb Stunden ist dieser unterwegs und direkt beim Busterminal ist auch schon der Anleger. Spärlich ist die Stadt erleuchtet und der kalte Seewind dringt in die Klamotten. Ein völlig Betrunkener torkelt an mir vorbei und vervollständigt, ohne es zu wollen, das Bild einer heruntergekommen Hafenstadt. Sicherlich gibt es um die Ecke die düstere Kneipe wo bärtige alte Männer literweise Bier trinken und so laut und tief lachen, dass die Holztische beben.

Es steht eine Fähre bereit und es ist mächtig Betrieb. LKWs rollen hin und her und einige stehen mit Sack und Pack am Anleger. Als diese dann auf den Kai gelassen werden, frag ich nach, aber diese Fähre ist noch nicht meine. Mir wird ein Aufenthaltsraum in einiger Entfernung empfohlen.

Tatsächlich, Naviera Austral hat ein eigenes großes Büro mit großem Aufenthaltsraum, der mit einem Ofen gut geheizt ist und es läuft mal wieder eine ins Spanische übersetzte Schnulzen-Serie, Made in Türkei. Ich hab zwar noch nie darüber geschrieben, aber tatsächlich habe ich schon wartend viele Folgen dieser türkischen Serie gesehen. Es ist die typische Abendberieselung die ihr auch aus dem deutschen Fernsehprogramm kennt. Beziehungsdramen halt.

Das Warten ist ansonsten wenig spektakulär und ich schlaf auch ein wenig.

Akt 2: Quellón → Chaitén

Eine gute Stunde vor Abfahrt kommt Unruhe unter die Wartenden und wir machen uns nach und nach auf den Weg zum Anleger. Gut hundert Meter einsamer Beton, dann geht die Rampe nach unten und der Ausleger der Fähre beginnt. Das kalte nasse Seewetter erfüllt meine Lunge mit Glück. Ja, Seefahrtsromantik kommt wieder auf. Nicht alle mögen‘s verstehen, aber jedes Mal wenn ich ein Boot betrete, ja, dann werd‘ ich zum Dichter.

Es wartet eine Fähre, die der von der frühen Nacht gleicht. Zum Glück kein Ruderboot. Die RoRo-Fähre ist ziemlich klein im Vergleich zu denen die in Calais, Dover, Travemünde oder Warnemünde abfahren, aber doch um einiges größer als die Auto-Fähren auf den Priwall oder die zwischen Kleinzschachwitz und Pillnitz. Zwei Dutzend Fährzeuge können über die Heckluke auf das einzige Deck mit drei Spuren fahren und nach dem Anlegen über die Bugluke geradewegs abfahren.

Über Außentreppen geht es in das Passagierdeck, was aus hunderten Busstühlen und einer Cafeteria besteht. Eigentlich haben sich fast alle immer drei Sitze nebeneinander geschnappt und hingelegt. Dem Beispiel folgend und der Tatsache geschuldet, dass in der Dunkelheit nix zu sehen ist, leg ich mich auch hin, mach mir den Wecker an, damit ich ja die Einfahrt und den Sonnenaufgang nicht verpasse.

Wie beschreib‘ ich den Sonnenaufgang nur richtig … Sagen wir mal so: Es war ein Qualitäts-Sonnenaufgang der von der Stiftung Warentest die Note Sehr Gut (1,0) bekommt. Ohne Witz, es ist unvorstellbar. Aus dem spiegelglatten Meer ragen die Anden gen Himmel, die bis in winterliche Höhen vorstoßen. Die Sonne geht hinter diesen auf und wirft orange Strahlen durch die Spalten und schafft harte Rahmen um die Gipfelkette. und nun noch alles in 3D, weil manche Berge weiter vorne stehen im Vergleich zu anderen. Der Himmel ist klar und die seltenen Wolken spielen mit den Bergen. Manche Wolke ergänzt den Berg und lässt ihn wachsen und andere spiegeln das orange auf ihren weiß-grauen Bauch. Das noch nachtschwarze Wasser hat eine goldene Schicht bekommen, die auf ihr schimmert, als wenn der goldene Morgen an der Oberfläche kondensiert wäre und nun wie Öl darauf schwimmt. Hach, einfach schön …

Nicht lange nach dem Sonnenaufgang fährt die Fähre wieder in den Schatten der Berge und erreicht den Anleger von Chaitén. Dieser liegt keinen Kilometer vom Ortseingang entfernt. Das Festmachen scheint nicht so einfach zu sein, weil es keinen klassischen Kai gibt und die Poller sind irgendwo in den Felsen verankert. Nun sehe ich auch, dass wirklich nur eine handvoll Fahrzeuge an Bord sind. Es sind ausschließlich Reisende, d.h. Bullis, Geländewagen oder Reisebusse. Die gut Fünfzig Passagiere verteilen sich darin oder wandern an Land.

Anlegemanöver in Chaitén

Dort wartet ein Bus, doch irgendwie scheint es mir nicht gerechtfertigt für einen knappen Kilometer Geld auszugeben. All die Rucksackreisenden nehmen aber den Bus und kommen nur kurz vor mir im Ort an. Wo sie aber verbleiben, ist mir ein großes Rätsel. Sie tauchen nicht wieder auf. Noch später frag ich mich, was sie eigentlich vor hatten und wie sie das bewerkstelligt haben.

Akt 3: Chaitén → Villa Santa Lucía

An dem Busbahnhof oder besser gesagt Reisebüro-Häuschen angekommen warten schon schon ein älteres Pärchen und ein junger Rentner. Das Paar will auch nach Argentinien und der alte Mann in den nahen Nationalpark. Der Mini-Busbahnhof wird nebenan gerade gebaut.

Wir warten, denn das Häuschen ist noch geschlossen. Der Mann fragt die Arbeiter nebenan und offensichtlich macht der Betreiber auf, wie er lustig ist. Öffnungszeiten sind ja eh relativ. Doch mein Mit-Wartender findet zwei weitere Einheimische die durch Anruf den Verantwortlichen wecken und nach eine guten halben Stunde kommt ein Mann mit grauen und wuscheligen Haaren und breiten Grinsen angeradelt.

Wir werden freundlich eingeladen und all unsere Fragen beantwortet. Ich habe Glück. Zwei Mal die Woche fährt ein Bus nach Futaleufú, der nächste und letzte Ort vor der Grenze, und heute ist so ein Tag. Um 12 Uhr von der Tankstelle geht es los. Angesichts der Entfernung ist mir das aber zu spät. Ich muss ja noch viel weiter, von Futaleufú aus. Ich hab mit mehr Verkehr gerechnet. Schlimmer aber: Von Futaleufú fährt heute vermutlich kein Bus mehr nach Esquel. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber er meint, heute nicht. Ich hab keine Wahl. Ich muss bis zum Abend ankommen.

Nun also die Notfalllösung, aber auch irgendwie das, was ich schon länger mal ausprobieren wollte: Con Dedo? Mit Daumen?

Ja, meint er, das geht bestimmt. Einfach am Ortsausgang, beim Friedhof, da ist ein super Ort zum Trampen. Chaitén ist ja ziemlich klein und ich treff‘ den jungen Rentner wieder. Ein, zwei, drei, maximal vier Fahrzeuge würde ich warten. Das ist ganz normal hier. Viele würden Trampen.

Das motiviert. Natürlich ist es nicht mein erster Tag hier, um zu wissen, dass ich nicht nur vier Autos warten werde. Naja.

Chaitén ist übrigens deswegen so klein, weil erst 2008 der gleichnamige Vulkan ausbrach und große Teile des Dorfes zerstörte. Der Vulkan wurde vorher als erloschen eingestuft und brach völlig überraschend aus. Die Einwohner*innen wollten aber ihr Dorf nicht aufgeben und mittlerweile wohnen wieder mehrere tausend Menschen dort.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, … naja ich hab aufgehört zu zählen. Autos kommen und gehen. Nur anhalten tut keines. Beruhigend, dass ja irgendwann der Bus kommt. Viele Fahrer*innen machen irgendwelche Handzeichen, die ich so deute, dass sie nicht Chaitén verlassen, sondern vorher abfahren. Es gibt zwar nur noch eine Ausfahrt, aber es scheinen sehr viele zu sein, die dahin müssen. Vermutlich. Es vergeht auch die erste Stunde, ohne dass etwas passiert. An meiner Stelle kann es ja nicht liegen, denn die ist perfekt. Ich bin gut von weiten zu sehen und anhalten können die Autos auch problemlos hier.

Hier warte ich mit dem Daumen, Ortsausgang Chaitén

Die Sonne bruzzelt und ich versuche die Langeweile mit Musik oder Essen totzuschlagen. Das Trampen wird zur Lethargie. Ich versuch freundlich drein zu schauen, aber das Daumen hochhalten passiert rein mechanisch. Als dann doch ein schwarzer Geländewagen neben mir hält, wach ich auf. Tatsache! Er kann mich ein Stück mitnehmen. Wie schön ist das!

Wir steigen direkt ein und können uns über einiges unterhalten. Besonders das Leben in dieser Einöde interessiert mich. Hier leben auf zig Kilometern nur noch ganz wenig Menschen. Die Infrastruktur ist minimal. Er selbst wohnt in einer Häuseransammlung (Dorf wäre übertrieben), die nur über ein Boot von einem Dorf auf der anderen Seite der Flussmündung erreichbar ist. Seine Kinder lehrt er zu Hause. Einmal, weil es ein längerer Schulweg wäre, aber auch weil er kaum was auf das chilenische Bildungssystem hält. Zu schlecht seien die Lehrer*innen und er könne das besser. Seine Kinder würden bei den Prüfungen gut abschneiden, besonders in Meeresbiologie. Gut, sein Job ist Meereskonservation, d.h. er belegt was alles in den nahen Gewässern lebt und wie es sich verändert. Auch er benennt das Problem der industriellen Lachs-Zucht mit den roten Algen. Er zeigt mir ein Buch mit großen Farbphotos von krassen Unterwassertieren und -pflanzen.

Irgendwann stoppt er dann und packt eine Drohne aus. Vor wenigen Monaten ist an dieser Stelle ein Teil eines nahen Berges abgerutscht. Eine Bodenverflüssigung. Eine Gerölllawine, von unvorstellbaren Ausmaß, ging des Nachts den Berg ab und folgte den Flussbett. Hektarweise wurde Wald links und rechts einfach umgeholzt und die Straße begraben. Stahlbeton und uralte Bäume sind wie Zahnstocher gebrochen.

Vom Berg hinten rechts fehlt die Hälfte und alles zwischen den Bäumen links, rechts und am Hang war vormals Wald

Noch Kilometer weiter unten hat die Gerölllawine Wald begraben und auch die Ortschaft Villa Santa Lucía zur Hälfte. Da sie mitten in der Nacht kam, waren alle zu Hause und haben geschlafen. Viele sind in ihren Häusern gestorben. Die Holzhäuser sind einfach weggespült worden und als wir in den Ort kommen, sind noch völlig deformierte Häuser gut zu erkennen. Auch wenn die Straße schon erneuert ist und schweres Gerät am Aufräumen ist, wird es wohl noch dauern bis alles wieder beim alten ist.

Villa Santa Lucía, links die Häuser stehen noch, rechts wurde alles begraben, in der Mitte ist ein stark deformiertes, der Weg wurde mittlerweile wieder angelegt

Villa Santa Lucía ist auch der Ort mit dem Abzweig. Ich muss zur Grenze, aber meine Mitfahrgelegenheit weiter nach Süden. Wir verabschieden uns und ich suche den neuen gewalzten Weg nach Futaleufú. Am Ortsausgang schmeiß ich meinen Rucksack hin und das Warten beginnt auf‘s Neue.

Akt 4: Villa Santa Lucía → Futaleufú

Motiviert von dem Erfolg ein Drittel schon getrampt zu sein und der Sicherheit, dass irgendwann der Bus kommt, warte ich auf weitere Fahrzeuge die mich gegebenenfalls zum Ziel bringen. Anders als meiner erster Wartestelle ist hier auch deutlich weniger los. Es kommen so gut wie keine Autos, auch wenn es die einzige Straße nach Futaleufú ist. Doch vielleicht nimmt mich dann erst recht jemand mit.

Die Umgebung hilft aber über die Einsamkeit. Hohe schneebedeckte Gipfel, weite grüne Wälder und ein kleiner Bach umgeben mich. Doch kommt mal ein Fahrzeug angerauscht, so bleibt nur der Staub in der Luft stehen. Gleichzeitig brennt die Sonne auf mich runter. Es ist mittlerweile Mittag geworden. Mein Fahrer von eben war optimistischer mit meinem Plan. Vielleicht fährt ein Bus und wenn nicht, dann ist es nicht weit zur Grenze und dahinter fährt bestimmt etwas.

Nach einer halben Stunde fange ich an eine Statistik zu führen. An die schon gekommenen Fahrzeuge kann ich mich noch gut erinnern und Steine gibt es hier ja genug. Auf der Absperrung zur alten Straße, die vom Geröll zerstört wurde, lege ich die Steine ab.

Doch es vergehen die Stunden und das einzige was mich ab und zu besucht, ist eine neue Staubwolke, aufgeworfen von Fahrzeugen. Als nach zwei Stunden zehn Steine nach links und fünf Steine nach rechts liegen, kommt der Bus aus Chaitén. Nur gut, dass ich diese Notfalllösung habe. Das Zehn-zu-Fünf-Ergebnis ist aber auch ein wissenschaftlicher Beleg für Murphys Gesetz. Kurz gesagt, das dümmste Ergebnis tritt meist ein. Da zehn Fahrzeuge in die falsche Richtung gefahren sind, also diese in die ich nicht möchte, aber nur fünf in die meinige, sehe das Gesetzt für belegt an.

Ich finde noch einen Platz in dem Bus und offensichtlich hat der Busfahrer hier nicht mit mir gerechnet. Mir egal. In dem wohlig-warmen Treibhaus fallen mir direkt die Augen zu.

Über eine Stunde ruckelt der ältere Bus durch die Berge und lässt uns dann in Futaleufú raus. Einem kleinen Touri-Ort. Wieder ein Ort der für sich wunderschön ist. Flache ruhige Häuser in einer atemberaubenden Landschaft. Völlig unberührt. Traumhaft. Mittlerweile habe ich aber schon 50% meine Motivation eingebüßt und will einfach nur weiter.

Futaleufú

Akt 5: Futaleufú → KM 15

Der Busfahrer weiß nix zu weiteren Bussen, aber sein Kumpel meint, einen zu kennen. An dem von ihm angegebenen Ort finde ich die besagte Firma nicht, geschweige denn überhaupt irgend eine Art Transportmöglichkeit. Dafür aber die Touri-Info. Sichtlich erfreut über meinen Erscheinen erklärt mir die junge Frau auf feinsten Englisch was sie weiß: Morgen früh.

Ja, es gibt Busse, zwei Mal die Woche (das scheint hier der Takt zu sein mit dem die Leute leben). Aber halt erst morgen früh. Ich habe aber kein Internet und auch keine andere Möglichkeit meiner Couchsurferin Bescheid zu geben und entscheide mich das Glück weiter herauszufordern. Ich muss heute noch in Esquel bei ihr ankommen. Das habe ich vor über 24 Stunden ihr so mitgeteilt.

Also wieder: Auf zur Ausfallstraße Richtung Grenze. Die Karte sagt 10,6 Kilometer bis zum argentinischen Grenzposten. Ich ruf mir den netten Fahrer in Erinnerung und entscheide mich mit dem Laufen zu beginnen. Gleichzeitig strecke ich aber auch jeden den Daumen hin, der in meiner Richtung an mir vorbei fährt.

Gleichzeitig ändert sich die Landschaft regelmäßig. Andere Gebirgszüge kommen und gehen. Mal komme ich nah an einen schnellen und breiteren Fluss. Dann wieder eine Wiese mit Tieren. Autos kommen und gehen. Sie machen immer irgendwelche Zeichen. Vermutlich, dass sie nicht zur Grenze fahren. Was sie offensichtlich nicht wissen: Ich wäre auch einverstanden, wenn sie mich nur einen Kilometer fahren. Einfach nur etwas. Aber keine*r erbarmt sich.

irgendwo zwischen Futaleufú und Grenze, in Richtung Grenze photographiert

Von Kilometer zu Kilometer wird der Rucksack schwerer. Ich bin schon so verschwitzt, dass ich mich selbst riechen kann. und das kommt nicht mal eben. Immer schwerer und immer mehr Zweifel. Es ist zum Verzweifeln, aber es hält wirklich niemand. Ich verfluche all die Menschen die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie einfach doch trampen ist. All die Menschen die es ach so einfach und toll finden. Ich kann mich hier mit niemanden austauschen, der mich liebevoll weiter bringt. Ich kann mir die Natur anschauen und mit dem viel zu schweren Rucksack mich unterhalten. Doch der antwortet nicht. Ich fang‘ an jede*n zu belegen, die oder der mich einfach stehen lässt.

Kilometer um Kilometer schleppe ich mich weiter und so langsam tun mir die Füße weh. Das bin ich nun nicht gewohnt. Es ist nicht zu vergleichen mit der Wanderung nach Aguas Caliente, dem Machu Picchu Dorf. Es ist auch eine andere Herausforderung als die tagelange Urwald-Tour von Georgetown über Lethem nach Boa Vista. Warum mach ich diese Reise eigentlich. Immer mehr Zweifel kommen auf. In meinem schönen zu Hause in Deutschland könnte ich die Füße hochlegen. Doch hier mache ich diese aberwitzige Wanderung im Nirgendwo. Immer weniger Fahrzeuge passieren mich, dafür gibt es immer mal wieder Anstiege, die es nicht einfacher machen. Pause will ich nicht mehr machen, weil ich Angst habe, dann ganz die Motivation zu verlieren. Also weiter. Und weiter.

Als ich die Hälfte geschafft ist, kommt die aberwitzige Motivation, doch bald an der Grenze zu sein. und ja, nach Stunden der Qual erreiche ich die Grenze. Endlich mal den Rucksack absetzen. Ein sauberes Klo. Frisches Trinkwasser. Ein Wunder ist geschehen. Der Grenzbeamte mustert mich neugierig, sagt aber nicht viel. Ziemlich entspannt akzeptiert er meine Ausreise und weiter geht‘s. Ich treffe andere Reisende, die zweieinhalb Stunden in die Gegenrichtung getrampt haben, aber fündig geworden sind. Herzlichen Glückwunsch.

Ich wandere weiter und bald endet die geteerte Straße. Schotterweg beginnt. Das hat noch gefehlt. Darauf lässt es sich noch blöder laufen. Das erste Zeichen was mir Argentinien schickt, ist ein Schild mit den Umrissen der Falkland-Inseln beziehungsweisen Islas Malvinas wie sie hier heißen. Darüber der Spruch „Für immer argentinisch“. Die haben Humor denke ich. Dunkel entsinne ich mich, dass sie den Krieg um die Inseln gegen Großbritannien verloren haben und dass die Bevölkerung in einer Abstimmung für den Verbleib beim Vereinigten Königreich gestimmt hat. Doch das belastet mich nicht.

Nächstes Schild: Blau-wei-blau, Willkommen in Argentinien. Das Handy bestätigt es auch nochmal. Wenigstens das habe ich geschafft. Es folgt eine Schranke und nebenan ein Holzhaus. Drei Grenzbeamt*innen erwarten mich. Etwas umständlich, aber dann doch erfolgreich schaffe ich die Einreise. Wir unterhalten uns noch nett, auch wenn es mir schwer fällt sie gut zu verstehen. Ich versuche meine Situation klar zu machen und will wissen ob es Busse gibt.

Sie gucken mich an als wenn ich nach Ufos gefragt hätte. Nee, heute nicht. Morgen früh kommt der Bus aus Futaleufú. Mhh, danke, nee, ich muss heute ankommen. Ob sie mir helfen können ein Taxi zu rufen. Nee, geht nicht, hier gibt es kein Signal. Aber ob ich die Toten Hosen kennen. Die spielen Mitte November in Buenos Aires. Ja, gute Musik, sag ich, und verlasse niedergeschlagen ihre Holzhütte.

Was nun? Ich laufe einfach. Jetzt habe ich kein Ziel mehr. Esquel ist 24h zu Fuß von hier entfernt. Es muss motorisiert weiter gehen. Der eine Grenzbeamte meinte, in der nächsten Ortschaft, Los Cipreses genannt, elf Kilometer entfernt, könnte ich es versuchen. Aber er wüsste sonst nix. Ich laufe einfach, weil es mir an anderen Möglichkeiten fehlt. Einfach immer weiter. 18 Uhr ist lange durch und ich sehe schon die Sonne hinter den Bergketten verschwinden. Auf dem Schiff war ich noch fit, aber die letzten Stunden haben mich fertig gemacht.

Was, wenn ich hier jetzt campen muss. Mitten im Nirgendwo. Gut, es sieht sehr schön aus, ein breiter Fluss, vielfältige Bäume und die sich ändernde und wunderschöne Kulisse aus weißen Gipfeln. Ich bekomme es mit der Angst, denn einfach nur den Schlafsack am Straßenrand ausrollen, das ist kein schöner Gedanke. Es wird sicherlich kalt und wer weiß welche Tiere hier leben. Es ist ja schließlich so gut wie im Nationalpark. Dieser beginnt gleich am anderen Ufer des Flusses.

ersten Meter in Argentinien

Die Anzahl der Autos, die mich passieren, ist gefühlt im Minus-Bereich. Aber es kommen welche. Das erste kommt – und geht. Ich denke, dass, wenn die Grenzbeamtin und die beiden Beamten Feierabend machen, um 20 Uhr, die ja noch vorbei kommen und vielleicht habe ich einen freundlichen Eindruck hinterlassen. Zweites Auto, kommt – und geht.

Ich hab schon wieder einen Kilometer geschafft. Ich rede kurz laut mit mir. Ist das schon das Zeichen verrückt zu sein? Ich vermisse gerade umso mehr, dass ich keine*n Reisepartner*in habe. Keine Stimme der Vernunft, niemand um mich auszukotzen, niemand für etwas Galgenhumor. Ich verlege den Jutebeutel zum hundertsten Mal von einer auf die andere Schulter.

Drittes Auto. Mit ungeminderter Geschwindigkeit fährt es zur Fahrbahnmitte und hinterlässt eine neue Staubwolke. Was hab ich auch erwartet. Dass sie anhalten? Mich würde ja jeder verdammte Kilometer helfen, aber vielleicht denken sie in ihren klimatisierten und mit Radiomusik unterlegten Fahrzeug, dass sie nicht dahin fahren wo ich hin will. Doch! Will ich.

Ich versuche mir aktiv positive Gedanken zu machen, doch ich bin am Boden der Reisemotivation und ich schwöre, nie wieder Trampen und nie wieder einfach irgendwo hin fahren, wo ich nicht weiß wie es weiter geht. Der eine der mich heute mitgenommen hatte, hat ehrliche Bewunderung für meinen Plan ausgesprochen. Doch die kann ich hier nicht einlösen.

Ich höre ein viertes Auto von hinten kommen. Mittlerweile spielt mein Kopf verrückt und manchmal kommt kein Auto, obwohl ich glaube eines zu hören. Die entgegen kommenden nehme ich schon nicht mehr wahr. Es sind auch mehr, als in meine Richtung. Siehe Murphys Gesetz.

Doch diesmal kommt tatsächlich eines von hinten. Nummer 4 zähle ich schon, doch dann hält es, ca. hundert Meter hinter mir, und gibt Lichthupe. Ich bleib verdutzt stehen.

Akt 6: KM 15 → Esquel

Was da los? Circa Fünfzehn Kilometer (KM 15) bin ich gelaufen und jetzt das? Ich bin der einzige weit und breit, also muss ich gemeint sein. Egal, los, bevor sie es sich anders überlegen. Ein freundlicher Mann steigt schon lange bevor ich beim Auto bin aus und öffnet das Gitter zur Ladefläche von seinem Geländewagen. Mir fällt es schwer spanisch zu sprechen, aber ich sage, dass sie meine Held*innen sind. Doch das interessiert sie kaum. Auf dem Beifahrersitz sitzt noch eine Frau, vermutlich sind sie ein Paar. Ich wage kaum zu fragen wo sie denn hinfahren, denn mir schwant, dass es einen weiteren Akt geben wird. Doch ihre Antwort ist eine zweite Rettung. Esquel. Direkt zum Ziel. Das Glück kam sehr spät, aber es kam.

Ich stelle auf freundlich und gesprächig um. Doch ich bin auch erschöpft und kann kaum noch. Sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Einer kommt aus Esquel und eine aus Futaleufú. Deswegen haben sie zwei Häuser. Er zeigt mir eine Gebirgskette, die wie ein hingelegtes Gesicht aussieht und hält extra an, damit ich ein Photo machen kann. Ja, schön ist es, gebe ich zurück. Ich will schlafen, denke ich.

Wir kommen in dem kleinen Ort an, von dem der Grenzbeamte sprach. Sie halten an um gesammelte Pilze abzuholen. Die Frau gibt mir eine Visitenkarte, denn sie sammelt Pilze und verarbeitet sie zu Essen. Ein Hobby von ihr. Würde sonst keiner machen. In Europa auch nicht, oder? Ich gebe zurück, dass es tatsächlich einige Menschen machen, da wo ich herkomme.

Dass ich heute noch über das Pilze Sammeln sprechen muss, hätte ich nie vorhersagen können, aber ja, so ist es nun. Doch damit endet unsere Konversation.

gesammelte Pilze aus Los Cipreses

Erst als wir kurz vor Esquel sind, fragen sie mich, wo ich denn hin muss. Ich sage, dass ich am Ortseingang eine Freundin habe, die mich unterbringt. Welche Adresse das ist. Sie kennen sie nicht, aber gemeinsam finden wir das Haus, was ich suche. Ich versuche nochmal klar zu machen, dass sie meine Retter*innen sind und ich hundertmal dankbar bin.

Die Rettung kam, auch wenn sie spät kam. Ich werde mein Glück trotzdem nicht nochmal herausfordern.

Als ich die Wiese vor dem großen Holzhaus überquere und dann klingele und meinen Rucksack abstelle, sehe ich dass sie noch gewartet haben, ob ich mir sicher bin, dass ich hierher muss. Manche Menschen, so denke ich, wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Ich atme durch und bin schon jetzt glücklich. Obschon niemand aufmacht. Ich klingel immer wieder, aber nix passiert. Das Holztor daneben ist nur angelehnt und ich überlege in den Garten zu gehen. Noch warte ich, aber als ich es dann doch versuche, kommen kläffende Köter angerannt und nun weiß die ganze Nachbarschaft, dass ich hier warte.

Dieser Lärm hat aber auch meine dritte Retterin gerufen: Mailén. Hochgewachsen, kurze Haare, kluges Grinsen und immer zuvorkommend, steht sie hinter den Hunden. Ein erleichtertes Dankes-Grinsen bricht nun auch aus mir raus und sie begleitet mich ins Haus. Ob ich Essen möchte. Ich hatte aus Vorsicht vor den Grenzkontrolle alles aufgegessen und habe tatsächlich Hunger. Die kleine bescheidenen Mahlzeit die ich mir aus dem bisschen Baguette bastele, ist für mich die eines Königs.

das rettende Haus für die nächsten Tage

Wir unterhalten uns eine Weile und es stellt sich heraus, dass sie selbst oft Couchsurfing genutzt hat um Unterkünfte zu bekommen. Eine Seltenheit, denn meist machen die Leute entweder das eine oder das andere, also bieten eine Couch oder erfragen eine Couch. Sie kennt meine Seite aber ziemlich gut und zeigt sich sehr verständlich, als ich ihr Angebot, auf die Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen zu gehen, ausschlage. Ich bin fertig, erzähle meine Story, beziehe mein Zimmer für die nächsten Tage. Ja, ihr lest richtig, ich hab ein eigenes geräumiges Zimmer. Mit komfortablen Bett und frischer Bettwäsche. Davor noch eine warme Dusche.

und da ist es wieder. Das Gefühl, dass eine warme Dusche und ein eigenes weiches Bett der alles erfüllende Traum sein kann. So wie Puerto Montt. Kaum habe ich mich und die Glieder ausgestreckt, holt sich der Körper die Erholung die er verdient … Vorhang zu.


Nov 27 2018

Erst Obdachlos und dann Traumlagune

Von Karl

 

Noch vor meiner Abreise aus Temuco wurde mein folgendes Unterfangen als irrsinnig eingestuft. Ich wollte eine SIM-Karte in Santiago abholen, um an alle meine Kontakte zu kommen, und bin dafür über Nacht nach Santiago gefahren um dann wieder über Nacht nach Puerto Montt zu kommen. Also ein längeres Unterfangen. Die Post bräuchte für den Postdienst wohl nur einen halben bis ganzen Tag, so erfahre ich kurz vorher. Hätte ich doch einfach darum gebeten den Brief abzuschicken. Naja. Warum ich die chilenische Post nicht so gut eingestuft habe, weiß ich gar nicht. Nun ist es einmal so. Leider musste ich auch feststellen, dass die Busse an Feiertagen doppelt so teuer sind, als sonst. So bezahle ich für 8 Stunden Busfahrt das Doppelte im Vergleich zu 15 Stunden am nächsten Tag.

Meine neue Couchsurferin in Puerto Montt hatte mir geschrieben, dass 11 Uhr frühs eine gute Zeit ist um bei ihr anzukommen, also suche ich eine Verbindung, die mich um 8 Uhr frühs in Puerto Montt rauswirft. Mit möglicher Verspätung und Gehweg sollte dies also klappen. Mitten in der Nacht bleibt nun der Bus für mehrere Stunden stehen und ich seh‘s schon kommen, dass wir alle umsteigen müssen. Doch er fährt dann weiter und wir kommen mit einiger Verspätung an. 10:40 Uhr starte ich am Busbahnhof meine Wanderung zum Haus der baldigen Unterkunft. Leider schaffe ich es erst 11:10 am Haus zu sein … und es ist niemand da. Eine ruhige Einfamilien-Nachbarschaft am Ende einer kleinen Sackgasse. Ich stell den Rucksack ab und warte.

Sollte sie nun auf Arbeit sein, wäre es natürlich viel Zeit die ins Land geht, wenn ich warten würde bis zum späten Abend. Ich bringe meinen Rucksack also in die äußerste Ecke der kleinen Hofeinfahrt, decke ihn ab, schreibe einen kleinen Brief an meine Gastgeberin, schiebe den unter der Tür durch und schließe mit einer Kette aus dem Hof meinen Rucksack an einer Leitung fest. Nicht, dass er trotzdem ausgeraubt werden könnte, aber die Gegend erscheint mir sehr friedlich. Ich befürchte nix.

Also auf geht‘s, die Stadt erkunden. Nach nur wenigen Metern bleibe ich vor einer kleinen Bäckerei stehen und schau mich mal um. Ein Drittel der Auslage ist Kuchen, der auch so genannt wird. Der Plural ist „Kuchenes“. Tatsächlich sieht er aus wie gewöhnlicher Blechkuchen vom Geburtstag meiner Oma. Ich nehm‘ ein Stück und bekomm tatsächlich ein schönes großes Stück eingepackt. Gleich unten am Wasser werde ich mir das zu Gemüte führen. Lecker Streusel mit Waldfrucht und Pudding. Na, Hände hoch, wer will ein Bissen?

Der Strand besteht aus vielen großen runden Steinen, die von Muscheln, Moos, Algen und Möwen übersät sind. Neben ein paar bunten Fischereibötchen schauen mir ein paar alte Männer hinterher. In diesem Stadtteil kommen vermutlich keine Touris. Der Strand geht in einer Mole über auf der eine Straße einen Halbbogen um die Bucht macht. Das Wasser liegt kühl und ruhig da. Obschon die Stadt nicht die allerkleinste ist und zeitweise viele hin- und herwuseln, wirkt sie doch sehr friedlich. Immer wieder kommt die Sonne und dann ein Regenschauer. Sie wissen noch nicht wer heute das Wetter prägen soll.

Puerto Montt bietet eine unsichtbare Grenze in Chile. Ist der Süden sowieso arm und dünn besiedelt, so ist er südlich noch viel weniger besiedelt und erschlossen. Die Anden beginnen sukzessiver kleiner zu werden und das Tal zwischen Küste und Anden geht hier direkt ins Wasser über. Nun bleiben nur noch Inseln vor der Küste, die die Überreste der Küstenkordillere sind, bevor sie ganz versinken. Die Insel Chiloé ist die letzte große Landmasse dieses kleinen Gebirgszug am Wasser, der nur wenige hundert Meter hoch wird.

Buchtform von Puerto Montt wird auch durch eine kleine Insel geprägt, die südöstlich und seitlich vorgelagert ist und so nah am Festland sich befindet, dass mensch immer um die Ecke ein Zusammenfließen der beiden Landmassen vermutet. Bei schönen Wetter lassen sich in der Ferne ganze Gruppen weißer Gipfel in den Anden entdecken. Sie sind zwar deutlich kleiner, aber durch das kühlere Klima beginnt die Schneegrenze auch viel tiefer als beispielsweise in Nord-Chile.

Die Bucht liegt im Süden und nach Norden hin steigt die Stadt schnell an, sodass eine Anreise mit dem Bus aus dem Norden schnell einen weiten Blick über die Bucht eröffnet. Ein schöne Umarmung gleich zu Beginn. Am Wasser sind einige Hochhäuser entstanden und natürlich tummeln sich alle in der Shopping Mall die zur Zeit nochmal erweitert wird. Ist sie doch schon jetzt ziemlich groß. Im Zentrum befinden sich flachere Häuser und es offenbart sich wieder der Einfluss der deutschen Emigration. Holzhäuser, Kneipen, urige Restaurants, deutsche Vereine, etc.

Der Busbahnhof gleicht einen Flughafenterminal und vereint überregionale mit regionalen Verbindungen. Unweit gibt es auch das Büro der Fährgesellschaften, da ab hier auch einiges über Fähren abgewickelt wird. Wer also weiter in den Süden will, kommt um sie nicht herum, oder muss nach Argentinien reisen. und selbst das ist nicht ganz einfach. Ganz im Westen, hinter dem Hafen, kommt noch der große Fischmarkt mit einigen Restaurants und Handwerksläden. Aus dunkelrot-gestrichen Holz wurden zig Häuser aufgebaut, teilweise mit Stelzen im Wasser. Im Erdgeschoss ganz hinten befindet sich auch ein Markt mit Fischen und Meeresfrüchten aller Art. Die Anwerberinnen sind heute nicht so motiviert, vermutlich wegen des stetig wiederkehrenden Regens. Es liegt eine Mystik über diesen Ort, die unbeschreibbar ist. Es ist ein entspannter Ort mit verschlossenen Türen. Ein dunkler Ort mit hell erleuchteten Stuben. Ein regennasser Ort mit trockenen Gesichtern.

Nach meinem langen Rundgang durch das friedliche Puerto Montt, kehre ich zum Haus zurück und finde alles so vor, wie ich es verlassen habe. Leider aber auch keine Couchsurferin. Ich warte wieder. Ich lese etwas, mal in der Sonne mich wärmend, dann wieder unter dem langen Dach vor Regen schützend.

Ich unternehme noch eine Wanderung zu einer nahen großen Brücke, die mir einen großartigen Ausblick über einen Teil der Stadt verschafft. Noch kann ich den Ausblick genießen, aber irgendwie machen sich Sorgen breit. Ich hoffe, sie kommt noch. Aber insgeheim habe ich tiefes Vertrauen, dass ich auch heute ein warmes und trockenes Bett habe.

Kurz vor Sonnenuntergang kehre ich wieder auf ihr Grundstück zurück, aber immer noch niemand da, der oder die mir die Tür öffnen kann. Gut, es gibt die weiße Katze, die mir ihre Pfote unter dem Türspalt hindurch reicht, aber sie öffnet leider nicht die Tür. Ich lese wieder etwas. Schreibe einen Text auf dem Computer. Mach mir Abendbrot. Stunde um Stunde verrinnt und ich merke, wie dumm es vielleicht war, unendlich zu warten. Ich überlege immer mehr, die Einfahrt als Nachtlager zu nutzen und mein Schlafsack auszurollen.

Jetzt durch die Stadt zu ziehen, die jetzt kaum bezahlbare Unterkünfte bietet, scheint mir noch irrsinniger. Doch irgendwie kann ich nicht in Ruhe schlafen und so richtig warm ist es auch nicht. Die Temperaturen sind ja schon einstellig, der Boden hart und kalt. Meine Iso-Matte musste ich schon vor Wochen aufgeben, weil sie kaputt ist. Immer wenn ein Auto vorbei fährt, steigt meine Aufmerksamkeit und Konzentration auf hundert Prozent. Was war das? Hoffentlich sehen mich die Nachbar*innen nicht. Oder vielleicht doch und sie bekommen Mitleid? Soll ich klingeln, fragen? Oder sind es gar Einbrecher, die mich aus dem Weg räumen müssen. Oder ein blöder Hund, der mich anfällt. Naklar ist das Blödsinn, aber irgendwie hält mich das Gedankenkarussell wach.

Wieder ein Auto. Nachbar*innen kommen und gehen, aber diese Einfahrt bleibt unberührt. Ich habe das Tor geschlossen, damit es von außen so aussieht wie immer und keine Hunde reinkommen. Erneuter Versuch einzuschlafen. Wieder ein Auto. Ich kenne mittlerweile alle Autos aus der kleinen Straße und weiß sofort, dass dieses keine Hoffnung bringt. Ich versuch zu schlafen. Es wird auch nicht warm im Schlafsack und der Boden erweist sich schon jetzt als unangenehm hart. Doch was tun … Hätte ich doch mal in der Stadt Internet gesucht und Kontakt aufgenommen. Oder mir eine Notlösung gesucht.

Wieder ein Auto. Diesmal ein kleines rotes und hält direkt vor dem Tor. Sofort bin ich wach. Schnell bin ich in den Schuhen und geh langsam zum Tor. Blöde Situation. Ist sie das oder ist sie es nicht? Wenn ja, wie mach ich auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken. Ich rufe etwas zögerlich. Als sie anfängt das Tor aufzuschieben, merke ich, dass sie mich nicht wahrgenommen hat, dabei stehe ich nur einen Meter dahinter, aber halt im Dunkeln. Sie scheint in Gedanken versunken, aber ist offensichtlich die gesuchte Bewohnerin.

Sie erschrickt. Im Nachhinein denke ich, dass ich deutlich stärker erschrocken wäre, als sie das war. Ohne großes Tamtam gehen wir – es ist schon Elf – in die Wohnung.

Ich dachte du kommst morgen?

Hä?, denke ich, wieso morgen. Mist, ich hab mich bestimmt verzählt, als ich nach einer Unterkunft gefragt hatte. Später merke ich, dass ja mein Rechner auf deutscher Zeit läuft und dort ist es bekanntermaßen später als hier, sodass, wenn ich abends suche, sich schon der nächste Tag einstellt. Also hab ich mich tatsächlich verzählt. Richtig dumm von mir.

Doch kein Problem für Nicole. Die kleine und resolute Frau, Anfang 30, zeigt mir mein kleines Zimmer und schmeißt den Ofen an. Die einzige Wärmequelle. Da mir wirklich kalt ist, freue ich mich sehr über die wohlige Wärme. Sie hat lange gearbeitet. Sie ist als Psychologin für die Mitarbeitenden-Zufriedenheit in einem Lachs-Fischerei-Konzern zuständig. Wir unterhalten uns noch ein wenig bei Wein und sie erklärt, dass zur Zeit die größte Messe der Südhalbkugel in Puerto Montt ist. Die Agua Sur. Natürlich geht es um Fischerei und da ist sie grad sehr eingebunden und muss auch morgen viel arbeiten.

Als ich an diesem Abend frisch geduscht, in ein trockenes, weiches und bald warmes Bett steige, freue ich mich umso mehr darüber. Nur fünf Meter entfernt, lag ich noch wenige Stunden zuvor und war bitterlich von mir enttäuscht. Doch das Glück kam ganz am Ende doch noch. Wie ein Happy End.

 

Nichtsdestotrotz bleibt die Moral der Geschichte, dass das Glück nicht unbedingt herausgefordert worden sollte. Auch am nächsten Tag werde ich enttäuscht. Ich habe erfahren, dass es kostenlose Busse zur Messe gibt, die ich mir gern anschauen möchte. Ich erfahre, dass sie stündlich die verschiedenen teuren Hotels der Stadt anfahren. Doch jedes Mal wenn ich zur gegebenen Uhrzeit warte, kommt der Bus nicht. Warum, kann ich mir nicht erklären. Später sage ich Nicole, dass die Busse vermutlich unsichtbar sind. Ich ziehe es vor, das warme Zuhause zu genießen, doch meine Feuerkünste lassen zu wünschen übrig. Tja, ist halt kein Heizkörper mit Thermostat und ich nicht auf einem Bauernhof mit Feuerheizung aufgewachsen.

 

Auf Nicoles Anraten mache ich einen Ausflug nach Frutillar und Puerto Varas. Beide liegen am Lago Llanquihue, einem großen See nördlich von Puerto Montt. Seine Hauptattraktion: Von den beiden Orten aus liegen die großen weißen Vulkankegel genau gegenüber und spiegeln sich im stillen See. Doch nicht nur das, sie sind auch das Herz der ehemals deutschen Immigration. Feuerwehr, Kuchen, deutsche Schule.

Irgendwie passt das Bild Frutillars auch zu einem bayerischen Bergsee. Als die Schüler*innen aus der deutschen Schule kommen, tragen sie – wie in Chile üblich – ihre Schuluniform, nur diesmal mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Krawatte. In Fruttilar gibt es auch ein Museum der deutschen Kolonisierung. Es wirkt doch irgendwie befremdlich. Doch viel zu entdecken gibt es schlussendlich dann nicht, bis auf die ganze Deutschtümelei. Zurück in der Wohnung trinken wir mit dem Nachbarn noch ein Glas Rotwein und so erfahre ich, dass ziemlich viele in der Region in der Lachs-Industrie arbeiten. Es scheint ein wichtiges wirtschaftliche Standbein zu sein.

(warum wir immer Wein trinken? … einige Chilen*innen sind sehr stolz auf den chilenischen Wein)

Teil des Museums zur deutschen Kolonisierung, Frutillar

 

Am nächsten Tag, der auch mein letzter in Puerto Montt ist, ist dann Wochenende und wir unternehmen einen Ausflug mit einer Freundin von ihr. Die Saltos de Petrohué sind unser Ziel. Saltos meinen oft Wasserfälle. Touristisch gut erschlossen, können wir über Holzwege sehr nah rangehen. Es sind nun keine hohen oder großen Wasserfälle, aber es sind – und das lässt sich nicht immer sagen – äußerst beeindruckende. Das wuchtige hier, sind die türkisen Wassermassen die das kleine Tal entlang preschen. Sie stieben auseinander um im nächsten Moment wieder zu einem reisenden Strom zusammenzufallen. Es ist gewissermaßen die Rafting-Super-Klasse, nur dass der Versuch als Suizid einzuordnen wäre. Den äußerst wilden Wassermassen trotzen grüne Ränder und Bäume auf den tiefschwarzen Steinen. Es ist ein magisches Schauspiel. Als wenn sich alles in Bewegung gesetzt hätte. Und doch bleiben ja die Steine wo sie sind, aber dass sie der Wucht des Wassers standhalten, scheint wundersam zu sein. Am Ende so manches kurzen Falls, scheint das türkise Becken zu kochen. Doch vermutlich ist das Wasser frisch geschmolzener Gletscher. Was das ganze Bild umso schöner macht: Ganz in der Nähe erhebt sich der Vulkan Osorno. Majestätisch und makellos beginnt der Kegel direkt neben dem Fluss und die Sonne wird vom vielen Schnee prächtig reflektiert. Nicole fordert mich auf weiter zu gehen.

Wir erreichen noch einen Weiler, der auch Filmkulisse sein kann. Ein idealtypisches Becken, mit lauter grünen Bäumen außenrum, ein kleiner Sandstrand, klares Wasser, auf der anderen Seite ein kleiner Wasserfall und alles völlig einsam und unberührt. Es ist faszinierend, aber genau so stelle ich mir die ideale Lagune vor.

Mit diesem Eindruck im Gepäck bringen die beiden mich noch zum Busbahnhof.


Okt 30 2018

Abenteuer Busfahren

Von Karl

 

Nicht, dass ich nicht schon unzählige Male Bus gefahren bin in Südamerika, aber diese Fahrt ist einen eigenen Beitrag wert:

Wir brechen in Puno in aller Frühe mit dem Bus am zentralen Busbahnhof auf. Statt einen Direktbus nach La Paz zu nehmen, ist es günstiger über Umwege einen Touri-Bus zu nehmen. D.h. mit Führerin im Bus. Die allerdings nur ab und zu leise ganz vorne ein paar Ansagen macht.

Wir haben kaum Puno verlassen und biegen auf eine Tankstelle ein, schon unterschätzt der Busfahrer die Höhe des Zapfsäulen-Daches und wir können zugucken, wie zwei Reihen vor uns, die Scheibe vom Beton eingedrückt wird. Es kracht kurz und einige Schocksekunden später setzt der Bus aber schon zurück. Mit jedem Ruckeln rieseln nun Glassplitter aus dem faustgroßem Loch.

Während und nach dem Tanken fangen die versammelten Schaulustigen nun an den Bus mit durchsichtigen Paket-Klebeband zu flicken. Irgendwann wird ein Kleinbus vorgefahren, von dessen Dach aus der Busfahrer die Scheibe repariert.

Notdürftig gesichert, rollen wir weiter, auch wenn weitere Glassplitter bei jedem Schlagloch aus dem Fenster rieseln. Durch unser ganzes Fenster ist der Ausblick auf den Titicacasee fesselnd, zumal wir auch immer wieder andere Blickwinkel bekommen. Irgendwann hält der Bus fürs Geld wechseln und später für die Grenzbehörde. Wir bekommen den peruanischen Ausreisestempel und wandern zu Fuß zur bolivianischen Behörde. Hier gibt‘s zum Stempel noch ein grünes Papier, was wir vorab ausfüllen mussten und ab geht‘s.

die südamerikanische Lösung des Busfahrens: Die Haltestelle ist da, wo du deine Hand raushälst

Der Bus endet allerdings im bolivianischen Copacabana. Eine touristische Stadt am Titicacasee mit vielen Booten und Stegen. Allerdings liegt sie sehr ruhig da, als wir eine kurze Runde drehen.

Copacabana, Blick auf den Titicacasee

Zeitgleich fahren zwei Busse ab Copacabana nach La Paz und wir ergattern die schönsten Plätze ganz vorne oben im Bus. Noch mehr können wir auf der folgenden Fahrt den Blick auf die Landschaft und den Titicacasee genießen. Nach nicht langer Fahrt kommen wir nach San Pedro de Tiquina. Einem Dörfchen, dass mit Fähren verbunden ist. Hier müssen wir also ein kurzes Stück über den Titicacasee mit der Fähre fahren. Allerdings der Bus für sich und wir mit einem kleineren Boot. Unser Bus ist schnell aufgeladen, während wir noch warten, dass die Holzschale voll wird. Keine zehn Minuten später landen wir auch auf der anderen Seite an. Manche nutzen die Gelegenheit der nahen Toilette. Eh alle im Bus sind, wird es dauern. Niemand scheint in Hektik.

Als wir allerdings auf unseren Bus zulaufen fährt dieser vor unseren Augen ab. Pippi und ich glauben es erst gar nicht, aber tatsächlich ist unser Bus gerade ohne uns Richtung La Paz abgefahren. Inklusive unseren Rucksäcken im Kofferraum und Essensbeutel und Wasser auf den Sitzen. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist. Wenn jetzt unser gesamtes Gepäck weg ist, haben wir ein großes Problem. Das ist was mir ab diesem Moment durch den Kopf geht. Das würde der ganzen Reise ein erheblichen Schaden versetzen.

das letzte Photo vom Bus …

Wir sprechen aufgeregt mit dem Busfahrer von dem zweiten Bus, der nun auch an Land ist. Tatsächlich hat er noch zwei Plätze frei. Wir können also mitkommen und er sagt, er würde anrufen. So kommen wir also noch gen La Paz. Immer mit dem Gedanken bei meinem Rucksack, fällt es mir schwer die weißen Gebirgsketten zu genießen, die mir geboten werden. Irgendwann passieren wir El Alto und fahren in das Tal von La Paz. An der Hauptstraße hält der Bus und lässt nur uns beide raus. Offensichtlich fährt dieser Bus nicht zum Busbahnhof. Er zeigt uns den Weg und kassiert für die Fahrt.

Wir finden auch den Busbahnhof und suchen ewig bis wir „Vicuña Travel“ finden. Das Unternehmen unseres eigentlichen Busses. Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen als ich unsere Rucksäcke wiedersehe. Tatsächlich wurden sie zu ihnen hinter den Schalter gebracht. Ich frag noch nach unseren Sachen, die auf den Sitzen lagen, und werden auf eine weitere halbe Stunde Warten vertröstet. Ich versuche die Extra-Kosten wiederzubekommen, aber die beiden Schalter-Frauen sehen die Schuld bei uns. Am Ende lässt sich schwer sagen, wer hier etwas nicht gesagt oder nicht verstanden hat.

Trotzdem sind wir glücklich, dass unsere Rucksäcke vollständig auf unseren Rücken sind!


Sep 13 2018

Die Odyssee zum Strand

Von Karl

 

Vor kurzem bin ich von einem befreundeten Peruaner gefragt worden, was ich denn vermissen werde, aus Lateinamerika, wenn ich zurück in Deutschland bin. „Vida sin Planes“ Das Leben ohne Pläne. Das ganz spontane Leben. Unbemerkt hat sich dieser Lebensstil eingeschlichen und als ich in Machachi aufbreche merke ich ganz deutlich, dass ich ihn schon lebe und erst später lerne ich ihn in Worte zu fassen. Kurz gesagt: Auch gut.

Ich geh also zur Panamericana, der Hauptachse Ecuadors, die auch direkt durch den Ort geht und stelle mich auf die richtige Straßenseite. Kaum hab ich den Rucksack abgestellt, blinkt mich auch schon ein großer Reisebus an. Eigentlich will ich nach Riobamba, aber dieser fährt nur bis Ambato. Auch gut. Ich spring schnell in den gewohnt ungeduldigen Bus. Ich denke ich müsse viele Umsteige machen, aber schon in Ambato finde ich wieder erwartend mehrere Verbindungen an die Grenze nach Peru. 10 Stunden fahrt. Auch gut. Leider bedeutet dies gegen 11:30 nachts im Zentrum von Huaquillas herauszupurzeln. Als einziger. Doch wie immer, steht auch hier schon direkt ein Taxifahrer bereit. Auch gut. Ich will verhandeln, er will nicht. Komisch. Erst später erfahre ich, dass es festgelegte Preissätze gibt.

Also rein ins Taxi, raus aus der Stadt, den kühlen Fahrtwind in der Hand, zurück auf die Panamericana, die am Ort vorbei zur Grenze führt und direkt zur Grenzbehörde Ecuadors. Er könne nicht nach Ecuador fahren, ich solle einfach dort warten. Dann bekommt bestimmt mal ein Taxi. Ich schau mich um. Zur Zeit sehe ich kein Taxi weit und breit. Auch gut. Ich hol mir also den Stempel für die Ausreise. Draußen wurden große Wasserspender aufgebaut, vermutlich vom Roten Kreuz oder den Vereinten Nationen wegen den vielen flüchtenden Venezolaner*innen. Aber auch ich kann mein Vorrat auffüllen. Gerade kommen nicht mehr so viele, weil seit neusten Ecuador die Vorlage eines Reisepasses verlangt und den haben die meisten nicht.

Ich suche also eine geeignete Wartestelle und hab kaum mein Rucksack abgestellt, kommt ein Taxi angeschlichen. Ab geht‘s nach Peru. Ich frag den Fahrer ob er die Nordküste Perus kennt und was er empfehlen kann. Er meint Mancora wäre das beste. Wenn er das sagt, musst das ja gut sein. Jetzt hab ich auch ein Ziel. Auch gut. An der Grenzbehörde Perus hol ich mein Einreisestempel und mische mich unter die wartenden Venezolaner*innen. Schnell werde ich von einem Taxifahrer identifiziert und mir direkt eine Fahrt nach Tumbes angeboten. Da will ich auch hin, aber erst nach mehrmaligen Wiederholen begreift er, dass ich die übliche Sammel-Taxi-Variante möchte. Das heißt, wenn alle Sitze belegt sind, fahren wir los und dann wird der Gesamtpreis geteilt. Es ist gegen 1 Uhr nachts. Das Warten beginnt. Auch gut. Nach einer halben Stunde wird ihm das zu viel und ich muss mein Rucksack wieder ausladen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Enttäuschung umso größer ist, je größer der Eifer war als er mich als vermeintlich reichen Ausländer aufgelesen hatte. Das ich aber nicht mehr zahlen möchte als jede*r andere, scheint ihn zu frustrieren. Auch gut.

Irgendwann kommt dann eine Peruanerin, die es eilig hat. Ich argumentiere so lange, dass ich es nicht eilig habe und ja warten könne, bis die Frau bereit ist, 5 der 10 Dollar zu bezahlen. Anfangs sollte ich noch 7, 6 und dann 5,70 bezahlen.

Es geht los, aber ich denke, dass ich vielleicht doch einen anderen Weg hätte wählen sollen. Der Fahrer ist extrem müde und das Auto kommt mehrmals verdächtig nahe an die Ränder. Ich such den Sicherheitsgurt. Diesmal ist einer da. Diesmal. Auch gut. Mal wieder geraten wir in eine Polizeikontrolle und zum ersten Mal in Südamerika werde ich auch zum Thema. Als sie aber mein verschnürrten Rucksack sehen, belassen sie es dann doch bei der Frage ob ich Drogen dabei habe. Auch gut. Während die Peruanerin einmal komplett durchwühlt wurde.

An einer Busfirma haut uns der Fahrer raus und ich bekomm‘ ein Platz im Bus gen Lima. Noch mitten in der Nacht hält er in Mancora und ich steh an einer Straße mit ein paar Moto-Taxen, diesen dreirädigen überdachten Motorrädern. Erst versuchen wir es bei dem bekanntesten Hostel nebenan, aber die sind voll und zudem im Partyfieber. Dann werden mir direkt sämtliche Drogen angeboten. Ich finde dann eine Unterkunft und zum ersten Mal eine mit Pool. Auch gut.

Der Typ an der improvisierten Rezeption erklärt mir gar nix und die nächsten Tage bleiben schleierhaft. Ich genieße den nahen Strand.

Wirklich nur eine Minute entfernt. Ist das Wasser ruhig sind hunderte Seesterne im Wasser. Mehrmals gehe ich in die schönen Fluten. Als der Wind aufdreht kommen die Kite-Surfer*innen. Doch die Wellenreiter*innen bleiben draußen. Das kühle Wasser bleibt wunderschön. Gebaut wurde in der Touri-Hochburg bis an den Strand und nur bei Ebbe sind alle Bereiche miteinander verbunden. Die Preise in den Läden sind seeseitig der Hauptstraße gepfeffert. Schnell ist mensch aber auch rausgelaufen aus dem Ort und findet ruhige Stellen mit Dünen und tollem Sonnenuntergang. Im Meer schauckeln Fischerboote, die nächste Einnahmequelle in der Region. Ansonsten bleibt hier nur noch Wüste.

 


Sep 1 2018

Atemberaubender Gipfel

von Karl

 

Der Wind steigt aus der Tiefe des Tals entlang des Berghangs nach oben. Auf einer unsichtbaren Höhengrenze beginnt er milchig zu werden. Als wenn etwas Milch ins Wasser gerät. Doch was sich vor mir, direkt am Berghang sitzend, auf Augenhöhe und zum Greifen nah abspielt, ist, dass sich eine neue Wolke bildet. Immer mehr und mehr weiße Watte bildet sich und gerne würde ich in die Watte greifen und mit ihr aufsteigen. Gebannt schaue ich auf das Naturschauspiel und merke die Zeit nicht mehr.

Eben bin ich den Sandhang vom Gipfel hinunter geschlittert. Die letzten hundert Höhenmeter zum Rucu Pichincha musste ich aufwärts ein Sandfeld umklettern, was aber abwärts es umso leichter macht. Die allerletzten Meter sind allerdings felsig und es muss mit allen Vieren geklettert werden. Jede Bewegung nach oben, jeder Schwenk mit dem Kopf von unten nach oben oder zurück, verursacht schon massives Herzrasen. Mit der Seilbahn bin ich aus Quito auf knapp 4000m Höhe gefahren. Von diesem Erlebnis und vielen weiteren Highlights in Quito habe ich schon vor Wochen berichtet, als wir gen Norden unterwegs waren. Von der Bergstation aus führt ein Weg, mal steil, mal gemächlich zum Fuße des Rucu Pichincha. Dann eine Weile parallel zu seinen Felsen, vorbei an Höhlen, bis dann der besagte steile Anstieg erfolgt. Schon dort sind schnelle Bewegungen zu viel. Wenn ich das übertreibe, werde ich benommen und merke wie mir das Bewusstsein entgleitet. Also mache ich langsam. Diese Höhen sind neu für meinen Körper und Akklimatisierung braucht seine Zeit.

Als dann der letzte Meter überwunden wurde bestaune ich erst das Schild mit den 4690m. Das ist vielleicht der Höchste Punkt an dem ich auf dieser Reise komme. Zumindest bewusst. Aber dann erfolgt das zweite Mal, dass mir fast der Atem weg bleibt. Ein gigantischer 360Grad-Blick eröffnet sich mir. Lediglich der etwas höhere Brudergipfel Guagua Pichincha unterbricht den fantastischen Ausblick. Vor mir breitet sich die Millionen-Metropole Quito aus. Die gesamte Länge dieser unfassbar langgezogenen Großstadt ist gut zu erkennen. Nachbarortschaften inklusive. Flugzeuge sind kaum zu erkennen und fliegen tiefer als ich. Die Gebirgskette hinter Quito liegt in Wolken und wird unterbrochen von drei weißen Kegeln. Den Cayambe, den Antisana und den Cotopaxi. Die Vulkane heben sich nur durch ihre Form von den weißen Wolken ab. Immer wieder werden sie verdeckt, um wenig später wieder frei zu stehen. Es ist ein grandioser Anblick und insbesondere der Höchste der drei, der Cotopaxi, erstrahlt in seiner ganzen Schönheit. Ein alleinstehender Vulkankegel der weit über die 5000m hinausgeht.

Hinten der Cotopaxi, vorne Quito

Er gilt als technisch einfach zu besteigen und gilt als meist-bestiegener Berg Südamerikas. Wenn das mal nicht nach einer meisterbaren Herausforderung klingt. Ich mach mich also in Quito ans Werk: online wie offline lege ich viele Meter hinter mir und frage unzählige Agenturen und Leute. Ich brauche ein gutes Angebot inklusive der ganzen Sachen die für einen Bergbesteigung nötig sind. Anerkannte*r Bergführer*in, Gletscherausrüstung, Wintersachen, Transport, Verpflegung, etc. Auch die Familie, die mich aufnimmt nutzt ihre Kontakte und telephoniere mit deren Telephon mit der Freundin der Mutter. Doch gute Angebote sind Fehlanzeige, weil ich alleine bin. Die Preise schwanken zwischen 6 und 900 USDollar. Ich suche eine Agentur, wo zufällig gerade noch ein*e andere*r allein anfragt und wir so den Preis halbieren können.

Ich muss euch noch die Familie vorstellen. Eingeladen hat mich Camila, PR-Studentin im letzten Semester, die mir ihrer Familie vor einem Jahrzehnt aus Bogotá nach Quito kam. Wir quatschen viel, wenn es die Zeit zulässt. Über Sexismus in den beiden Ländern. Z.B. dass Schulen Mädchen verpflichten kurze Röcke und hohe Schuhe als Schuluniformen zu tragen, die äußerst unpraktisch sind. Sprüche und Übergriffe in Bussen. In allen Bussen und Haltestellen ist eine Hotline ausgehängt, bei der sexualisierte Übergriffe gemeldet werden können. Dass Clubs an ihren Eingängen die Menschen nach ihren Aussehen bemessen und daraufhin die Preise festlegen. Hübsche Frauen kommen oft kostenlos rein. Wer nicht ins Raster passt, zahlt mehr. Sie erzählt auch vom Erdbeben 2016. Viele Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung nicht geschult ist, was sie im Ernstfall tun sollte. Die Armensiedlungen entstehen meist informell und gebaut wird je nach Einkommenslage. Viele der Randsiedlungen Quitos würden einem Erdbeben kaum stand halten. Selbst Erdbeben unterscheiden zwischen Arm und Reich. Eine*n Architekt*in, der ein erdbebensicheres Haus konstruiert, muss mensch sich halt leisten können.

Aber auch Musikempfehlungen teilen wir. Die Familie würde mich auch rund um die Uhr mit allen Mahlzeiten versorgen. Oder schaut neugierig auf mein Teller, wenn ich mal essen mache. Ich probiere Tacso- bzw. Curubá-Saft. Eine Frucht die geschmacklich der Maracuja nahe kommt. Die kolumbianische Heiße Schokolade mit Käse als Topping nennt der Vater „Chocolate Santa Fereño“. Der Bruder von Camila, Miguel, hat sogar sein Zimmer geräumt und ist zur Schwester gezogen, damit ich ein Zimmer habe. Ich fühle mich aufgenommen und fast schon zu sehr umsorgt. Ich will was zurückgeben und mache Eierkuchen für alle. Als sie freudig schmatzend am Tisch sitzen, erzählen sie von ihrer Lieblingsspeise: Arepa mit Käse. Mich verführt der Maisfladen nicht so sehr. Als ich erkläre, dass Eierkuchen eigentlich in allen Ländern gibt (Pancake, Crepe, Palatschinken, …) und mit allen möglichen gegessen werden können – ich habe frischen Apfelmus mit Zimt und Rosinen serviert – kommt auch schon eine typisch kolumbianische Süßspeise auf den Eierkuchen: (aufmerksame Leser*innen können‘s sich denken) Käse. Vielleicht ist das eine Marktlücke … süßer Eierkuchen mit Käse in Kolumbien verkaufen …

Bevor ich aber zur Camila kam, verbrauchte ich meine Zeit bei Nancy. Dazu muss ich sagen, dass ich auch viel Zeit im Bus verbrachte. Quitos Bussystem begann ich zu hassen, nachdem ich öfters 3 oder mehr Stunden verbracht habe um von einem zum anderen Ort zu kommen. Da sind selbst die BVG schnell. Gegen 17 Uhr werden schon erste Hauptverkehrsachsen dicht gemacht. Busse außerhalb der drei Achsen fehlt jede Information, damit Nicht-Einheimische sich vorstellen können wohin der Bus vielleicht fährt. Es mag zwar günstig sein, mit 25 Centavos, aber wenn ich diese 6mal am Tag zahle, wird’s langsam teurer. Busse in Vororte fahren teils von benachbarten Terminals ab und haben eigene Preise. Auch mein Umzug von Nancy zu Camila war von vier Stunden geprägt. Im falschen Stadtteil angekommen, wurde mir mehrmals gesagt: Ja, hier ist Condado, aber Condado liegt weiter unten. Etwas ist hier und gleichzeitig wo anders. Dieses Rätsel grenzt an philosophischem Wahnsinn. Sollte mein trainiertes Öffis-Können auch da versagt haben, so kam der berühmte Funken Glück ins Spiel und ich fand doch noch das Ziel.

Nancy ist 50 Jahre und hat zwei Kinder die in Deutschland oder Österreich studieren oder dies anstreben. Da sie ihren Mann rausgeschmissen hat, bewohnt sie ihre große Wohnung alleine. Die Kinder sind gerade auf Urlaub in Ecuador, aber kamen erst an meinen letzten Abend. Die Oma und die Schwester leben noch auf dem Grundstück. Abends saßen wir bei Kaffee zusammen und unterhielten uns lange. Ja, Kaffee wird in Ecuador und Kolumbien gern und zu jede*r Uhrzeit getrunken. Es wird eher wie Tee gehandhabt. Als sie den alten Kaffee mit etwas Wasser verdünnt und dann in der Mikrowelle erhitzt, werden alte WG-Erinnerungen wach. Sie brachte uns auch heimisches Abendbrot mit, allerdings trifft auch das nicht meine vollste Begeisterung: Mais-Käse-Teig in Maisblättern eingewickelt oder einfach nur Mais zum Abknabbern mit Salz und Frischkäse. Dabei meine ich nicht den in Deutschland üblichen Mais, sondern immer den weichen weißen großen Mais. Sie erzählt von ihren Vater, der schon seit über 39 Jahren Tod ist, aber in offiziellen Registern als lebend geführt wird. An vergangenen Abstimmungen hat er laut Register teilgenommen – obwohl er Tod ist. So geht Wahlmanipulation in Ecuador. Auch meinte sie, dass für das Wählen Gehen sie Dokumente erhält, die sie für größere Käufe oder Auslandsreisen benötigt. Diese anderweitig zu bekommen bedeutet lange bürokratische Umwege. Deswegen gehen viele lieber wählen.

Eine Agentur hat mittlerweile mich mit einem zweiten Menschen verbunden. Uns ist das aber zu teuer und wir vereinbaren gemeinsam weiter zu schauen. Mehrere Agenturen geben als Standort Machachi an, einen kleinen Ort eine Stunde südlich von Quito. Ich mach mich also dran, dorthin zu reisen um dort meine Recherchen fortzuführen. Vorher muss ich aber verlängern, weil Camilla mich noch zu ihrer vorgezogenen Geburtstagsfeier einlädt. Mit einigen Freund*innen von ihr gehen wir erst Vorglühen. Shots sind die Mittel der Wahl. Im Anschluss dann in den Club mit moderner lokaler Musik. Sie schwankt zwischen beliebten Salsa-Hits, Reggaeton und europäischer Disko-Musik. So klingt „Quito II“ für mich aus und ich finde den Weg über das Terminal Quitumbe nach Machachi.

PS.: im Bus in Quito habe ich gleich zu Beginn mein Handy verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, aber das lässt sich nicht zweifellos feststellen. Klar ist nur: Da ist es nicht mehr.