Mrz 13 2019

Santa Cruz #3

Penumbra

Einige Tage später werde ich eingeladen Penumbra zu begleiten. Azul und ich fahren dabei raus zu dem Haus der Eltern, wo auch ein Bruder samt Kind und Frau wohnt. Irgendwo beim 6ten Anillo, da wo nur noch die Hauptstraße geteert ist und die Nebenstraßen bei Regen zu Schlamminseln werden. Insgesamt gibt es zwei Brüder und drei Schwestern, von dem drei schon ein Kind haben. Als wir ankommen bekommen wir zugleich von Feliza, der Mutter, noch lecker Essen serviert, während Jorge, der Vater, den großen Laster belädt. Ein langer silberner Laster mit der Aufschrift „Penumbra, Cochabamba“. Die Familie stammt aus Cochabamba und schon vorher gab‘s die Gruppe, aber heute wohnen alle in Santa Cruz.

Als dann alles verfrachtet ist wird noch eine größere Matratze hineingeworfen und die meisten klettern zu den Instrumenten. Irgendwie machen sie es sich bequem, während Azul, Vater, Bruder und ich Platz im Fahrerhaus finden. Wir ruckeln raus aus der Stadt und nehmen Kurs auf die ländliche Weite des Flachlands. Siedlungen werden seltener und weite Felder nehmen zu. Dem Regenwald wurden weite produktive Ackerflächen entrissen, die nun die Früchte des Landes produzieren. Soja, Erdnüsse, Zucker, …

Wir kommen in ein Dorf, genannt Murillo, und beginnen die Familie zu finden, die Penumbra gebucht hat. Drei Schulabgänger*innen feiern ihren Abschluss. Murillo hat sicherlich nicht mehr als hundert Häuser. Aber an dem Tag gleich mehrere Feiern zu bieten – nun – die Schule endet nun mal für alle gleichzeitig. Der LKW ist gleichzeitig die Bühne. Er lässt sich entsprechend aufmachen, und durch einen Generator mit Strom versorgen. Ein eigenes Gerüst wird aufgebaut und mit schweren Boxen bestückt. Alle packen an. Die Tänzer wurden vielleicht auch wegen ihrer Behändigkeit ausgewählt, weil irgendjemand muss in den Gerüsten rumklettern.

Nach kurzer Soundprobe ziehen sich alle ihre Band-T-Shirts an. Azul verrät mir, dass sie versuchen möglichst früh mit dem Spielen zu beginnen, denn bezahlt werden sie für 8 Stunden und je früher sie beginnen, desto früher können sie abbauen. Auch wenn mir alles ein wenig wacklig anmutet, so lockt die Musik nach einer Stunde dann auch Leute auf die Tanzfläche zwischen den Tischen. Azul ist in der Branche auch eine Art Ausnahme. Kaum eine Party-Band hat eine Frau im Team und manchmal wird Penumbra gerade deswegen gebucht, oder auch nicht. Manchmal kommen auch Männer und wollen überprüfen ob sie wirklich spielt oder ob das Keyboard nur automatisch produzierte Rhythmen abgibt. Vermutlich hätten sie das bei einen Mann nicht überprüft.

Am anderen Ende der offenen Halle ist eine Art Altar aufgebaut um den Absolventinnen zu gratulieren. Bei solchen Feiern gibt es natürlich auch einige Rituale. So werden Reden gehalten und den Jugendlichen gratuliert. Sie bekommen Geldscheine umgehängt und Angehörige kleben dann weitere an die Geldschein-Kette. Natürlich ein Tanz mit dem jeweiligen Elternteil darf nicht fehlen. Azuls Vater formuliert dann auch noch ein paar Wörter in Quechua. Oder Runasimi, wie die Sprache auf Quechua heißt.

In der Vorbereitung einer solchen Feier werden auch Verwandte eingebunden, die dann für Teile der Feier benannt und damit verantwortlich gemacht werden. So kann z.b. der Onkel zuständig für die Musik sein, das heißt dann, dass er die Band organisieren und bezahlen muss. Dann noch jemand fürs Essen, für die Bestuhlung, und so weiter und so fort. Der wohlhabendste Verwandte bekommt die Aufgabe, das bei der Geldketten-Zeremonie geschenkte Geld auf den nächsten Tausender aufzurunden, oder, sollte der Betrag zu nah an dem nächsten Tausender sein, deutlich darüber hinaus Geld zu geben. Da Gäste für nix aufkommen müssen, kann eine solche Feierlichkeit schon sehr teuer werden.

Penumbra macht nach jeder Stunde eine halbe Stunde Pause und nimmt Verpflegung und Getränke kostenlos entgegen. Die Gruppe ist, ähnlich wie die Familie, ständig guter Laune und es wird sich über alles und jeden lustig gemacht. Heute ist Cucharita (Spitzname, zu deutsch: Löffelchen) dran. Anders als die anderen beiden Tänzer konzentriert er sich sehr auf das Tanzen und kommt deshalb weniger schlaksig rüber wenn er tanzt. Als die Band zum dritten Mal auf die Ladefläche klettert, klettere ich hinter die Sitze im Fahrerhaus und leg mich hin. Da ich nur einen Meter von der spielenden Gruppe entfernt bin, ist es entsprechend laut, aber so ist das nun mal.

Als ich früh morgens erwache ist die Gruppe schon dabei die Sachen wieder in den für Bands typischen Kisten zu verstauen. Der Animatör schläft zwischen Reissäcken die unter anderem in der Halle lagern. Eigentlich ist es wohl eine Halle eines Bauern, wie ich nun erkenne. Unschwer an dem Trekker zu erkennen, der auf der anderen Seite steht. Ich finde ein Stück Torte und muss Abstand gewinnen zu den letzten drei volltrunkenen Gästen. Einer hat schon sein Motorrad angelassen, aber dann doch wieder vergessen. Ich versuche wieder mit anzupacken, aber irgendwie ist das Team eingespielt.

Dann rollt der Laster vom Hof und ich dachte schon es geht direkt nach Hause, doch im nächsten Ort halten wir für‘s Frühstück. Der Vater ist der Organisator und er zahlt auch das Essen. Wer mag kann nun am Straßenrand eins von zwei Gerichten wählen und diese unterscheiden sich nicht vom Mittag oder Abendbrot. Reis mit Fleisch und Gemüse. Manchmal mit Bohnen, Chuño, Kartoffeln, Pommes oder Mais.

Hier in der Kleinstadt sind wohl alle in der Landwirtschaft unterwegs. Mit Cross-Motorrädern fahren sie zu ihren Feldern. Ich tausche mein Fleisch gegen etwas Reis. Später lege mich zu den anderen auf die Matratze im Laderaum. So lässt es sich schlummern bis wir ankommen. Mich überrascht dabei, dass wir gar nicht nach Hause gefahren sind. Schon die nächste Feier erwartet die Band, diesmal eine Hochzeit. Am Wochenende arbeitet die Gruppe ununterbrochen, teils bis zu vier Feiern (Donnerstag bis Sonntag) und wenn gezahlt wird auch deutlich länger als acht Stunden. Das klingt hart, aber gut drauf sind die trotzdem.

Während die Gruppe schon eifrig die Technik zur Bühne bringt, verabschiede ich mich. Ich fühl mich, als wenn ich nicht geschlafen hätte und überlege mir, wie das für die Band ist, die die ganze Nacht durchgespielt hat. Ich zieh innerlich den Hut.

Kreditkarte

Nun, eine Reise ist manchmal eben nicht nur durch das Reisen selbst anstrengend. Nebensächlichkeiten werden plötzlich zum Problem. So hat mir meine Bank – ohne ersichtlichen Grund – eine neue Kreditkarte zugeschickt und mir bis zum Ende des Monats Zeit gegeben, diese in Betrieb zu nehmen. Zu allen Überfluss auch noch soll ich diese dann an einem Automaten in einer ihrer Filialen aktivieren. Ich bin auf die Karte angewiesen, denn so kann ich mir hier Geld von meinem Konto ziehen. Die alte Karte wird aber deaktiviert. Dieser Prozess zog sich über Monate und ist der Grund warum ich zwei Mal in Santa Cruz war. Zwischenzeitlich war ich in Paraguay.

In den nächsten Monaten versuche ich verschiedene Wege. Erster Versuch: Ich versuche mit der Bank zu kommunizieren. Sie bevorzugen aber Papier oder Telephonate. Für mich aber nur schwer zu machen. Ersteres braucht Zeit und ist aufwändig, weil ich ja immer ein Internet-Laden aufsuchen muss. Zweiteres ist zu teuer von hier aus. Die Kommunikation ist beschwerlich und die Bank will auch nur mir persönlich wirklich Auskunft geben. Flexibel sind sie auch nicht. Kein Weg führt zur Idee die Karte zu verlängern.

Zweiter Anlauf: Noch in Argentinien bekomme ich die Adresse der Oma einer Freundin. Dankenswerterweise. Die Karte geht also auf Reise über den Atlantik und kommt – nie an. Warum? Erst im Januar erhalte ich Nachricht, dass die Post ein Dokument abgegeben hat, wonach die Grenzpolizei Argentiniens die Karte aufgehalten hat und möchte dass die Empfängerin mit Dokumenten zu einer Stelle kommt und diese dann abholt. Mittlerweile hatte ich aber schon eine andere Lösung, sodass die Grenzpolizei beziehungsweise Post die Karte wieder zurück an die Empfängerin sendete.

Dritter Anlauf: Später in Paraguay versuche ich ein Konto zu eröffnen, aber das stellt sich als schwierig heraus. Ich brauche eine Migrationskarte, das heißt ich müsste nach Paraguay emigrieren oder anders gesagt, Paraguayer werden. Klingt erstmal lustig und ist wohl nirgendwo so einfach, wie in Paraguay. Gesagt getan, ich beginne den Prozess. Doch dann sind es doch einige Papiere und dann noch hohe Zahlungen. Ein Freund hilft und übernimmt die Verantwortung gegenüber der Bank. Die Bank teilt uns mit, dass in zwei Tagen die Karte bereit steht. Das war Anfang Dezember. Anfang Februar war die Karte immer noch nicht da.

Vierter Anlauf: Azul hat ein Konto auf ihren Namen eröffnet und mir die Karte weitergereicht. Bei der Mercantil Santa Cruz schien das innerhalb weniger Stunden möglich gewesen zu sein. Ihren Aussagen nach ist es eine von zwei vertrauenswürdigen bolivianischen Banken. Die andere ist BNB. Nun hab ich also ein bolivianisches Konto und meine Referenzwährung ist der Boliviano, der oft als BOB angezeigt wird. Ich zahl jetzt in Bob.

Darüber hinaus hätte ich dann nur noch Geldsendung via Western Union organisieren können. Das soll aber auch teuer sein, geht aber ohne Konto oder Kreditkarte. Warum die Bank meine bis 2020 gültige Karte ersetzen will, weiß ich bis heute nicht. In den Tagen drauf merke ich, dass das IBAN-System nur in wenigen Euro-Ländern umgesetzt wird und ich eine umständliche Auslandsüberweisung auf mein neues Konto vornehmen muss. Mit 9,50 Euro ist die Gebühr dafür auch nicht grad niedrig und das Geld braucht dann gute drei bis fünf Tage. Vielleicht drücken die jemanden das Geld in die Hand und der läuft dann los um es hierher zu bringen.


Nov 7 2018

Karneval-Hochburg ohne Karneval aber mit Straßenumzug

Von Karl

 

Der graue Zug hat uns in der ehemaligen Bergbau-Metropole Oruro rausgeworfen, die jedoch nicht zu den Top-Destinationen Boliviens gehört. Für uns mal wieder die Gelegenheit hinter die Kulissen zu schauen. Ganz im Westen Boliviens gelegen und immer noch auf über 3700 Meter ist auch diese Stadt eher trocken und durch ein starkes Tageszeitenklima geprägt. Ein hier verbreitetes Phänomen, dass die Temperaturen im Tagesverlauf mehr schwanken, als im Jahresverlauf.

Wir gehen durch die teils schmalen Straßen der ehemaligen Industriestadt, die ihren Bergbau schon Anfang der 90er verlor. Trotzdem macht die Stadt einen einfachen und schmutzigen Eindruck. Gebaut wurde wie immer im Schachbrett-Muster. Mit etwas Glück fährt ein Güterzug über die Straßen der Stadt. Züge in Oruro haben dabei keine eigene Spur, sondern fahren auf ihrer Schiene, die den Rest des Tages Teil der Hauptstraße ist. Die Stadt, die ein gewöhnliches Chaos an Fahrzeugen hat, stört sich da auch nicht dran.

Wir finden erneut eine Menge an Straßenmärkten, die sich über zig Kreuzungen ziehen und sämtliche Waren anbieten. Von der Hauptachse aus geht die Stadt bergan und etwas oberhalb finden sich Verwaltungsgebäude und Parks. Wer etwas nicht-bolivianisches sucht ist aber in der Stadt fehl. Der Versuch etwas zu Essen zu bekommen, was ohne Fleisch ist, scheitert kläglich. Die Speisekarte im letzten Laden ist dann noch eine Illusion, weil es eigentlich nix von dem wirklich gibt. Auf der Markt kaufen und Selbst-Kochen ist wohl hier das beste.

Für was Oruro aber landesweit bekannt sein soll, ist der Karneval. Gerade ist nicht die Jahreszeit dafür, aber dann hätten wir auch keine Unterkunft mehr bekommen. Dann kommen Menschen aus dem ganzen Land um den Karneval von Oruro zu sehen. Wir sehen zwar den Karneval nicht, dafür kommt uns aber ein Blaskapellen-Umzug entgegen. Hunderte, vor allem Jugendliche, Tanzen, Marschieren und Musizieren im Stile einer Militär-Blaskapelle und laufen im Gleichschritt und der Uniform ihrer Schule oder Musikschule entlang der Straße. Es sind so viele, dass die ganze Straßenbreite belegt ist und ich vermute, dass auch drei Blocks weiter noch jede*r mitbekommt, welch Spektakel hier stattfindet. Es müssen auch unzählige Gruppen sein, die hier beteiligt sind, denn es dauert lange, bis wir uns dem Ende nähern. Wenn das nur der Schatten vom eigentlichen Umzug ist, dann muss der „Echte“ schon ziemlich groß sein.

Wir sind nur kurz in dem Ort, denn für uns geht es weiter. Grund ist, dass die Grenze nur tagsüber auf hat. Oruro liegt aber nicht an der Grenze, sodass wir noch einen Bus suchen. Der Busbahnhof im Zentrum, ist aber schon nicht mehr der Busbahnhof und es soll einen neuen geben. Wo der aber ist, scheint auch nicht ganz klar zu sein. Die Mini-Busse die durch die Stadt düsen schreiben oft nur „Terminal“ an die Windschutzscheibe, sodass unklar ist, ob der Bus nun zum alten oder neuen fährt. Unser erster Anlauf zum neuen Busbahnhof von Oruro zu kommen führt auch erst in die falsche Richtung. Im zweiten Anlauf fahren wir dann zwar etwas länger, kommen aber schlussendlich an der riesigen Halbkugel an, in deren Innenkreis die Büros angeordnet sind.

Obschon wir vorab informiert wurden, dass Busse nach Arica nur sehr selten fahren würden, bekommen wir umgehend ein Ticket für einen Direktbus. Wir hatten uns schon auf den Umweg über La Paz eingestellt, aber so ist‘s allerdings besser.

Dass der Busbahnhof noch neu ist, sieht man dann im zweiten Obergeschoss wo allerlei Essensläden und Kioske vorgesehen sind, die aber noch am handwerken sind.

Unsere Busfirma ist etwas kurios, da wir dann aus dem Bahnhof geführt werden und mit der Schalter-Frau an der Hauptstraße stehen. Der Bus kommt aus Cochabamba und ist nur auf der Durchfahrt durch Oruro, sodass wir als einzige schnell aufhüpfen und die verbliebenen Plätze einnehmen.

Auf geht‘s zu neuen Abenteuern.