Apr 3 2019

Am Januar-Fluss

von Karl

Rio de Janeiro, Brasilien

 

Copacabana und Ipanema

Rio de Janeiro ist wohl Brasiliens berühmteste Metropole. Ort der Sehnsucht so vieler Reisenden und derer die es werden wollen. Dann dort anzukommen ist dann doch wie ein Abgleich mit der Realität. Was uns allerdings schon im Vorfeld erreichte sind Berichte von anderen Reisenden die ihrer Habseligkeiten erleichtert wurden bis hin zu einem argentinischen Reiseradler der in den Außenbezirken erschossen wurde. Entsprechend vorsichtig und vorbereitet sehen wir unsere Umgebung.

Tatsächlich verschlägt es uns unweit des berühmtesten aller Strände: der Copacabana. Der Strand erstreckt sich auf mehrere Kilometer, ist vielleicht hundert Meter breit, kaum Bäume, breite Küstenstraße und hohe Hotelbauten. Es erinnert ein wenig an Hollywood-Filme. Schon während des Sonnenaufgangs kommen die ersten Menschen an den Strand und spätestens ab Mittag ist Hochbetrieb. Fliegende Händler*innen bieten Cocktails, Acai, Sonnenbrillen, Bier, und vieles mehr. Mit Länderflaggen wird versucht die jeweiligen Touris anzulocken, obschon die meisten aus Brasilien selbst kommen.

Die Sonne bruzelt brachial, sodass für mich ein langer Strandtag ausgeschlossen erscheint. Die Wellen bauen sich bis auf zwei Meter Höhe auf und brechen ziemlich spät. Meist auch erst direkt am Strand, sodass es gefährlich wird. Einmal wirft mich eine der Wellen etwas unsanft an Land. Der massive Tourismus hat auch das Wasser und den Strand mit Müll angereichert. Gut, mal an der Copacabana gewesen sein, aber zum Urlaub machen gibt es schönere, sichere und preiswertere Orte.

Den Weg an der Copacabana entlang folgend kommen wir zum Ende des Strandes wo die Straße abknickt. Nach 500 Metern eröffnet sich ein ähnlicher Strand, allerdings mit zwei Meter Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Ipanema heißt Rios zweitwichtigster Strand. Minimal ruhiger und für die Sonnenuntergangsliebenden optimal. Am Strand oder von den nahen Felsen lässt sich die rote Scheibe beobachten die zwischen den Wolken im Meer versinkt.

Zuckerhut und Christus

Nach einem Strandtag folgen wir den Pfaden der Touris und wollen rausfinden, was denn so schön an dem berühmten Zuckerhut und dem großen Christus ist. Der Zuckerhut, eigentlich nur ein Felsen, heißt im brasilianischen Zuckerbrot und ist über zwei Seilbahnen angeschlossen. Dafür wird ein satter Preis von ungefähr 100 Reales verlangt, was weit über 20 Euro liegt. Dafür das die Seilbahn echt nicht weit fährt, ist uns das zu teuer und wir suchen einen neuen Weg.

Vorbei an einem Militärgebäude und kleinem Strand mit Bucht kommen wir auf einen geteerten Wanderweg.

Den immer folgend kommt ein Abzweig auf den ersten Hügel, wo die erste Seilbahn hinfährt. Von dort bezahlt mensch nur noch den halben Preis, aber selbst das überspringen wir und folgen dem Wanderweg weiter. Irgendwann endet der Weg und es folgt ein Trampelpfad der teils Kletterkünste erfordert und steil ist. Wir können aber alle Unebenheiten überwinden und finden auch den Punkt an dem es weiter bergauf geht. Irgendwann überholt uns eine kleine französische Gruppe und klärt auf, dass später bergsteigerisches Können und Material benötigt wird. Als dann tatsächlich der Anstieg sehr herausfordernd wird und wir die Gruppe klettern sehen können, geben wir dann doch auf. Wenn es machbar wäre, wäre wohl die Seilbahn günstiger. Nagut, dann nicht.

Gut, ich sag‘s vorab, dem Christus kann ich nichts abgewinnen, aber mal gucken gehen. Auch hier werden saftige Preise verlangt und wir bezahlen bei der Zwischenstation der Bergbahn den selben Preis, wie als wenn wir unten eingestiegen wären.

Oben angekommen geht es noch breite Treppen bis zum Fuße der hohen Statue, die, so wie sie ist, auch an anderen Orten und an ähnlicher Stelle über der jeweiligen Stadt steht, aber halt nicht so berühmt ist. Nun wird es zur Herausforderung nicht auf einen der herumliegenden Touris zu treten.

Tatsächlich legen sie sich reihenweise auf den Boden um das eine berühmte Photo machen zu können mit dem Jesus im Hintergrund. Eine gelungene PR-Aktion der Kirche, wie ich finde. Sie ist auch mit Nichten die größte Statue der Welt. Diese ist sechsmal größer.

Viel imposanter und beeindruckender ist der Blick auf Rio de Janeiro selbst. Zu deutsch heißt das übrigens „Januar-Fluss“. Es ist gut zu überblicken, dass die Stadt immer wieder unterbrochen wird von Bergen bzw. größeren Felsen. So ist der strandnahe Bereich mit Felsen unterbrochen vom eigentlichen Zentrum, welches schon an der Bucht liegt und nicht mehr am offenen Meer. Am Industriehafen ist dann auch eine lange und beachtliche Brücke die die Bucht überspannt. Die brasilianische Fernstraße BR-101 pulsiert hier, von dem südlichsten Bundesstaat kommend, entlang der Atlantikküste bis zur äußersten östlichen Ecke Brasiliens.

Auch ein größerer See liegt im Rücken Ipanemas. Auf den Hügeln sind die Armensiedlungen zu erkennen, die in Brasilien Favela genannt werden. Benannt nach einer Kletterpflanze, weil sich die Siedlungen an den Hügeln entwickelt hatten und bis zu den Gipfeln gewachsen sind. Sie sind in sich sehr verschieden. In manchen wurde Infrastruktur von Strom über öffentliche Verwaltung bis Freizeitangebote eingerichtet und das in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. In anderen führt die Militärische Polizei einen Krieg gegen Jugendbanden die mit Drogen oder Waffen handeln. Einmal dürft ihr raten, was allen Seiten mehr geholfen hat.

Mittlerweile soll es von der Polizei bezahlte Banden geben, die Schutzgeld erpressen. Wenn die Polizei versucht die Banden zu mischen, kann es, wie zur Zeit wohl in Fortaleza, dazu kommen, dass sie sich zusammen schließen und gemeinsam Polizei und öffentliche Infrastruktur angreifen. Als besonders bezeichnend soll der Roman und Film „Die Stadt Gottes“ sein, der die Entwicklung einer gleichnamigen Favela in Rio über die Jahrzehnte anhand von verschiedenen Menschen erzählt. Der Autor ist selbst in der Favela aufgewachsen. Mittlerweile und auch durch die Fußball-Weltmeisterschaft wurden besonders die innerstädtischen und touristisch interessanten Favelas „polizeilich befriedet“. Zunehmend übernehmen Investoren die Gebiete und bauen neue hochpreisige Anlagen für Touris hin. Die Armen ziehen an den Rand der Stadt.

Ankommen und Bleiben und Sein

Neben den Strandgebieten bietet auch Rio in der Innenstadt ein paar sehenswerte Ecken. So gibt es ein größeres Viadukt dass eine einen Platz überspannt und auf dem eine historische Straßenbahn rollt.

Unweit führt der Weg zu einer bunten Treppe, die mit lauter Fließen gepflastert ist und auf der Touris anstehen um ein Photo vor den Kacheln zu machen. Rund herum versuchen Leute etwas zu verkaufen. Wir schauen uns das Spektakel an und die Graffiti in der Umgebung.

Allerdings erscheinen uns die Nebenstraßen als nicht besonders sicher. Viele jugendliche Gruppen warten am Straßenrand und schauen uns eine Spur zu düster drein, als dass wir da durchwandern möchten. Dabei habe ich Angst, dass ich Angst bekomme allein weil ich Schwarze Jugendliche sehe. Leider ist Armut und Rassismus auch in Brasilien zu oft verbunden und führt dann zu dem Kriminalitätsdruck, der mich vorsichtig werden lässt. In einem Touri-Führer las ich, dass ich nicht nur traurig sein solle, wenn mir Geld abgenommen wird, es würde auch den Hunger bekämpfen. Hier entstehen Bilder im Kopf, die schon so oft auf den Großplakaten von „Brot für die Welt“ mich traurig angeschaut haben. Ja, Rassismus und Klassismus sind intersektional. Das heißt, dass eine bedingt das andere und lässt sich schwer trennen. Wie kann ich hier als weißer Europäer diskriminierungsarm auftreten? Ich kann es euch nicht abschließend beantworten, aber vielleicht ist es hilfreich, die konkreten Ursachen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu benennen. Im besten Fall die eigenen Auswirkungen sich bewusst zu machen und daraus Handlungen abzuleiten. Als Touri stehen wir nicht nur außen und machen ein Photo von dem Ist-Zustand, nein, wir verändern und beeinflussen den auch. und vielleicht ist es tatsächlich nicht so schlimm, wenn wir mal beklaut werden. Die allermeisten Gewalttaten, besonders auch die Schießereien, finden in den Armensiedlungen statt und die allermeisten Opfer sind die armen und damit zu oft auch die Afrobrasilianer*innen.

Vielleicht sollten Reisende Schwarze Realität und Geschichte also auch sichtbar machen. So war Rio ein wichtiger Ankunftshafen für die Sklav*innen der europäischen Kolonialherren. Der Valongo-Kai ist heute als Weltkulturerbe und archäologische Ausgrabungsstätte leicht zu besichtigen. Hier sollen bis zu einer Million Menschen angekommen sein. Ein Symbol für die wohl größte erzwungene Migrationsbewegung und eines der größten Verbrechen der Menschheit. Besonders für Afrobrasilianer*innen haben Orte wie der Valongo-Kai eine besondere Bedeutung. Der Valongo-Kai liegt heute nicht mehr an der Wasserkante, weil über die Jahre der Strand weiter versandet ist, beziehungsweise verbaut wurde, und damit ist das Wasser von dem Denkmal aus gar nicht mehr einsehbar. Ein Teil des alten gemauerten Kais ist freigelegt und befindet sich auf einem kleinen Platz unweit des Zentrums. Einige Schilde informieren umfassend über das Monument.

In unmittelbarer Umgebung gibt es noch weitere Denkmäler afrobrasilianischer Geschichte, wie z.B. ein Garten, ein Friedhof und ein kulturelles Zentrum. 

Als es für uns hieß einen Bus zu finden, der weiter der BR-101 nach Norden folgt, kamen wir dann auch unerwartet am berühmten Sambódromo vorbei. Es ist der Ort wo jedes Jahr der berühmte Karneval von Rio stattfindet. Auf hunderten Metern stehen große Tribüne beidseits eines ungenutzten Weges, in deren Mitte dann die Samba-Schulen in vier Ligen gegeneinander antreten. Gerade ist kein Karneval, aber er wirft seinen Schatten schon voraus.

Ruhiger und weniger tanzend klettern wir in einen der Busse und verlassen die Metropole am vermeintlichen Januar-Fluss gen Norden über die imposante Brücke.


Okt 30 2018

Abenteuer Busfahren

Von Karl

 

Nicht, dass ich nicht schon unzählige Male Bus gefahren bin in Südamerika, aber diese Fahrt ist einen eigenen Beitrag wert:

Wir brechen in Puno in aller Frühe mit dem Bus am zentralen Busbahnhof auf. Statt einen Direktbus nach La Paz zu nehmen, ist es günstiger über Umwege einen Touri-Bus zu nehmen. D.h. mit Führerin im Bus. Die allerdings nur ab und zu leise ganz vorne ein paar Ansagen macht.

Wir haben kaum Puno verlassen und biegen auf eine Tankstelle ein, schon unterschätzt der Busfahrer die Höhe des Zapfsäulen-Daches und wir können zugucken, wie zwei Reihen vor uns, die Scheibe vom Beton eingedrückt wird. Es kracht kurz und einige Schocksekunden später setzt der Bus aber schon zurück. Mit jedem Ruckeln rieseln nun Glassplitter aus dem faustgroßem Loch.

Während und nach dem Tanken fangen die versammelten Schaulustigen nun an den Bus mit durchsichtigen Paket-Klebeband zu flicken. Irgendwann wird ein Kleinbus vorgefahren, von dessen Dach aus der Busfahrer die Scheibe repariert.

Notdürftig gesichert, rollen wir weiter, auch wenn weitere Glassplitter bei jedem Schlagloch aus dem Fenster rieseln. Durch unser ganzes Fenster ist der Ausblick auf den Titicacasee fesselnd, zumal wir auch immer wieder andere Blickwinkel bekommen. Irgendwann hält der Bus fürs Geld wechseln und später für die Grenzbehörde. Wir bekommen den peruanischen Ausreisestempel und wandern zu Fuß zur bolivianischen Behörde. Hier gibt‘s zum Stempel noch ein grünes Papier, was wir vorab ausfüllen mussten und ab geht‘s.

die südamerikanische Lösung des Busfahrens: Die Haltestelle ist da, wo du deine Hand raushälst

Der Bus endet allerdings im bolivianischen Copacabana. Eine touristische Stadt am Titicacasee mit vielen Booten und Stegen. Allerdings liegt sie sehr ruhig da, als wir eine kurze Runde drehen.

Copacabana, Blick auf den Titicacasee

Zeitgleich fahren zwei Busse ab Copacabana nach La Paz und wir ergattern die schönsten Plätze ganz vorne oben im Bus. Noch mehr können wir auf der folgenden Fahrt den Blick auf die Landschaft und den Titicacasee genießen. Nach nicht langer Fahrt kommen wir nach San Pedro de Tiquina. Einem Dörfchen, dass mit Fähren verbunden ist. Hier müssen wir also ein kurzes Stück über den Titicacasee mit der Fähre fahren. Allerdings der Bus für sich und wir mit einem kleineren Boot. Unser Bus ist schnell aufgeladen, während wir noch warten, dass die Holzschale voll wird. Keine zehn Minuten später landen wir auch auf der anderen Seite an. Manche nutzen die Gelegenheit der nahen Toilette. Eh alle im Bus sind, wird es dauern. Niemand scheint in Hektik.

Als wir allerdings auf unseren Bus zulaufen fährt dieser vor unseren Augen ab. Pippi und ich glauben es erst gar nicht, aber tatsächlich ist unser Bus gerade ohne uns Richtung La Paz abgefahren. Inklusive unseren Rucksäcken im Kofferraum und Essensbeutel und Wasser auf den Sitzen. Ich hätte nicht gedacht, dass das möglich ist. Wenn jetzt unser gesamtes Gepäck weg ist, haben wir ein großes Problem. Das ist was mir ab diesem Moment durch den Kopf geht. Das würde der ganzen Reise ein erheblichen Schaden versetzen.

das letzte Photo vom Bus …

Wir sprechen aufgeregt mit dem Busfahrer von dem zweiten Bus, der nun auch an Land ist. Tatsächlich hat er noch zwei Plätze frei. Wir können also mitkommen und er sagt, er würde anrufen. So kommen wir also noch gen La Paz. Immer mit dem Gedanken bei meinem Rucksack, fällt es mir schwer die weißen Gebirgsketten zu genießen, die mir geboten werden. Irgendwann passieren wir El Alto und fahren in das Tal von La Paz. An der Hauptstraße hält der Bus und lässt nur uns beide raus. Offensichtlich fährt dieser Bus nicht zum Busbahnhof. Er zeigt uns den Weg und kassiert für die Fahrt.

Wir finden auch den Busbahnhof und suchen ewig bis wir „Vicuña Travel“ finden. Das Unternehmen unseres eigentlichen Busses. Ein riesiger Stein fällt mir vom Herzen als ich unsere Rucksäcke wiedersehe. Tatsächlich wurden sie zu ihnen hinter den Schalter gebracht. Ich frag noch nach unseren Sachen, die auf den Sitzen lagen, und werden auf eine weitere halbe Stunde Warten vertröstet. Ich versuche die Extra-Kosten wiederzubekommen, aber die beiden Schalter-Frauen sehen die Schuld bei uns. Am Ende lässt sich schwer sagen, wer hier etwas nicht gesagt oder nicht verstanden hat.

Trotzdem sind wir glücklich, dass unsere Rucksäcke vollständig auf unseren Rücken sind!