Nov 27 2018

Erst Obdachlos und dann Traumlagune

Von Karl

 

Noch vor meiner Abreise aus Temuco wurde mein folgendes Unterfangen als irrsinnig eingestuft. Ich wollte eine SIM-Karte in Santiago abholen, um an alle meine Kontakte zu kommen, und bin dafür über Nacht nach Santiago gefahren um dann wieder über Nacht nach Puerto Montt zu kommen. Also ein längeres Unterfangen. Die Post bräuchte für den Postdienst wohl nur einen halben bis ganzen Tag, so erfahre ich kurz vorher. Hätte ich doch einfach darum gebeten den Brief abzuschicken. Naja. Warum ich die chilenische Post nicht so gut eingestuft habe, weiß ich gar nicht. Nun ist es einmal so. Leider musste ich auch feststellen, dass die Busse an Feiertagen doppelt so teuer sind, als sonst. So bezahle ich für 8 Stunden Busfahrt das Doppelte im Vergleich zu 15 Stunden am nächsten Tag.

Meine neue Couchsurferin in Puerto Montt hatte mir geschrieben, dass 11 Uhr frühs eine gute Zeit ist um bei ihr anzukommen, also suche ich eine Verbindung, die mich um 8 Uhr frühs in Puerto Montt rauswirft. Mit möglicher Verspätung und Gehweg sollte dies also klappen. Mitten in der Nacht bleibt nun der Bus für mehrere Stunden stehen und ich seh‘s schon kommen, dass wir alle umsteigen müssen. Doch er fährt dann weiter und wir kommen mit einiger Verspätung an. 10:40 Uhr starte ich am Busbahnhof meine Wanderung zum Haus der baldigen Unterkunft. Leider schaffe ich es erst 11:10 am Haus zu sein … und es ist niemand da. Eine ruhige Einfamilien-Nachbarschaft am Ende einer kleinen Sackgasse. Ich stell den Rucksack ab und warte.

Sollte sie nun auf Arbeit sein, wäre es natürlich viel Zeit die ins Land geht, wenn ich warten würde bis zum späten Abend. Ich bringe meinen Rucksack also in die äußerste Ecke der kleinen Hofeinfahrt, decke ihn ab, schreibe einen kleinen Brief an meine Gastgeberin, schiebe den unter der Tür durch und schließe mit einer Kette aus dem Hof meinen Rucksack an einer Leitung fest. Nicht, dass er trotzdem ausgeraubt werden könnte, aber die Gegend erscheint mir sehr friedlich. Ich befürchte nix.

Also auf geht‘s, die Stadt erkunden. Nach nur wenigen Metern bleibe ich vor einer kleinen Bäckerei stehen und schau mich mal um. Ein Drittel der Auslage ist Kuchen, der auch so genannt wird. Der Plural ist „Kuchenes“. Tatsächlich sieht er aus wie gewöhnlicher Blechkuchen vom Geburtstag meiner Oma. Ich nehm‘ ein Stück und bekomm tatsächlich ein schönes großes Stück eingepackt. Gleich unten am Wasser werde ich mir das zu Gemüte führen. Lecker Streusel mit Waldfrucht und Pudding. Na, Hände hoch, wer will ein Bissen?

Der Strand besteht aus vielen großen runden Steinen, die von Muscheln, Moos, Algen und Möwen übersät sind. Neben ein paar bunten Fischereibötchen schauen mir ein paar alte Männer hinterher. In diesem Stadtteil kommen vermutlich keine Touris. Der Strand geht in einer Mole über auf der eine Straße einen Halbbogen um die Bucht macht. Das Wasser liegt kühl und ruhig da. Obschon die Stadt nicht die allerkleinste ist und zeitweise viele hin- und herwuseln, wirkt sie doch sehr friedlich. Immer wieder kommt die Sonne und dann ein Regenschauer. Sie wissen noch nicht wer heute das Wetter prägen soll.

Puerto Montt bietet eine unsichtbare Grenze in Chile. Ist der Süden sowieso arm und dünn besiedelt, so ist er südlich noch viel weniger besiedelt und erschlossen. Die Anden beginnen sukzessiver kleiner zu werden und das Tal zwischen Küste und Anden geht hier direkt ins Wasser über. Nun bleiben nur noch Inseln vor der Küste, die die Überreste der Küstenkordillere sind, bevor sie ganz versinken. Die Insel Chiloé ist die letzte große Landmasse dieses kleinen Gebirgszug am Wasser, der nur wenige hundert Meter hoch wird.

Buchtform von Puerto Montt wird auch durch eine kleine Insel geprägt, die südöstlich und seitlich vorgelagert ist und so nah am Festland sich befindet, dass mensch immer um die Ecke ein Zusammenfließen der beiden Landmassen vermutet. Bei schönen Wetter lassen sich in der Ferne ganze Gruppen weißer Gipfel in den Anden entdecken. Sie sind zwar deutlich kleiner, aber durch das kühlere Klima beginnt die Schneegrenze auch viel tiefer als beispielsweise in Nord-Chile.

Die Bucht liegt im Süden und nach Norden hin steigt die Stadt schnell an, sodass eine Anreise mit dem Bus aus dem Norden schnell einen weiten Blick über die Bucht eröffnet. Ein schöne Umarmung gleich zu Beginn. Am Wasser sind einige Hochhäuser entstanden und natürlich tummeln sich alle in der Shopping Mall die zur Zeit nochmal erweitert wird. Ist sie doch schon jetzt ziemlich groß. Im Zentrum befinden sich flachere Häuser und es offenbart sich wieder der Einfluss der deutschen Emigration. Holzhäuser, Kneipen, urige Restaurants, deutsche Vereine, etc.

Der Busbahnhof gleicht einen Flughafenterminal und vereint überregionale mit regionalen Verbindungen. Unweit gibt es auch das Büro der Fährgesellschaften, da ab hier auch einiges über Fähren abgewickelt wird. Wer also weiter in den Süden will, kommt um sie nicht herum, oder muss nach Argentinien reisen. und selbst das ist nicht ganz einfach. Ganz im Westen, hinter dem Hafen, kommt noch der große Fischmarkt mit einigen Restaurants und Handwerksläden. Aus dunkelrot-gestrichen Holz wurden zig Häuser aufgebaut, teilweise mit Stelzen im Wasser. Im Erdgeschoss ganz hinten befindet sich auch ein Markt mit Fischen und Meeresfrüchten aller Art. Die Anwerberinnen sind heute nicht so motiviert, vermutlich wegen des stetig wiederkehrenden Regens. Es liegt eine Mystik über diesen Ort, die unbeschreibbar ist. Es ist ein entspannter Ort mit verschlossenen Türen. Ein dunkler Ort mit hell erleuchteten Stuben. Ein regennasser Ort mit trockenen Gesichtern.

Nach meinem langen Rundgang durch das friedliche Puerto Montt, kehre ich zum Haus zurück und finde alles so vor, wie ich es verlassen habe. Leider aber auch keine Couchsurferin. Ich warte wieder. Ich lese etwas, mal in der Sonne mich wärmend, dann wieder unter dem langen Dach vor Regen schützend.

Ich unternehme noch eine Wanderung zu einer nahen großen Brücke, die mir einen großartigen Ausblick über einen Teil der Stadt verschafft. Noch kann ich den Ausblick genießen, aber irgendwie machen sich Sorgen breit. Ich hoffe, sie kommt noch. Aber insgeheim habe ich tiefes Vertrauen, dass ich auch heute ein warmes und trockenes Bett habe.

Kurz vor Sonnenuntergang kehre ich wieder auf ihr Grundstück zurück, aber immer noch niemand da, der oder die mir die Tür öffnen kann. Gut, es gibt die weiße Katze, die mir ihre Pfote unter dem Türspalt hindurch reicht, aber sie öffnet leider nicht die Tür. Ich lese wieder etwas. Schreibe einen Text auf dem Computer. Mach mir Abendbrot. Stunde um Stunde verrinnt und ich merke, wie dumm es vielleicht war, unendlich zu warten. Ich überlege immer mehr, die Einfahrt als Nachtlager zu nutzen und mein Schlafsack auszurollen.

Jetzt durch die Stadt zu ziehen, die jetzt kaum bezahlbare Unterkünfte bietet, scheint mir noch irrsinniger. Doch irgendwie kann ich nicht in Ruhe schlafen und so richtig warm ist es auch nicht. Die Temperaturen sind ja schon einstellig, der Boden hart und kalt. Meine Iso-Matte musste ich schon vor Wochen aufgeben, weil sie kaputt ist. Immer wenn ein Auto vorbei fährt, steigt meine Aufmerksamkeit und Konzentration auf hundert Prozent. Was war das? Hoffentlich sehen mich die Nachbar*innen nicht. Oder vielleicht doch und sie bekommen Mitleid? Soll ich klingeln, fragen? Oder sind es gar Einbrecher, die mich aus dem Weg räumen müssen. Oder ein blöder Hund, der mich anfällt. Naklar ist das Blödsinn, aber irgendwie hält mich das Gedankenkarussell wach.

Wieder ein Auto. Nachbar*innen kommen und gehen, aber diese Einfahrt bleibt unberührt. Ich habe das Tor geschlossen, damit es von außen so aussieht wie immer und keine Hunde reinkommen. Erneuter Versuch einzuschlafen. Wieder ein Auto. Ich kenne mittlerweile alle Autos aus der kleinen Straße und weiß sofort, dass dieses keine Hoffnung bringt. Ich versuch zu schlafen. Es wird auch nicht warm im Schlafsack und der Boden erweist sich schon jetzt als unangenehm hart. Doch was tun … Hätte ich doch mal in der Stadt Internet gesucht und Kontakt aufgenommen. Oder mir eine Notlösung gesucht.

Wieder ein Auto. Diesmal ein kleines rotes und hält direkt vor dem Tor. Sofort bin ich wach. Schnell bin ich in den Schuhen und geh langsam zum Tor. Blöde Situation. Ist sie das oder ist sie es nicht? Wenn ja, wie mach ich auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken. Ich rufe etwas zögerlich. Als sie anfängt das Tor aufzuschieben, merke ich, dass sie mich nicht wahrgenommen hat, dabei stehe ich nur einen Meter dahinter, aber halt im Dunkeln. Sie scheint in Gedanken versunken, aber ist offensichtlich die gesuchte Bewohnerin.

Sie erschrickt. Im Nachhinein denke ich, dass ich deutlich stärker erschrocken wäre, als sie das war. Ohne großes Tamtam gehen wir – es ist schon Elf – in die Wohnung.

Ich dachte du kommst morgen?

Hä?, denke ich, wieso morgen. Mist, ich hab mich bestimmt verzählt, als ich nach einer Unterkunft gefragt hatte. Später merke ich, dass ja mein Rechner auf deutscher Zeit läuft und dort ist es bekanntermaßen später als hier, sodass, wenn ich abends suche, sich schon der nächste Tag einstellt. Also hab ich mich tatsächlich verzählt. Richtig dumm von mir.

Doch kein Problem für Nicole. Die kleine und resolute Frau, Anfang 30, zeigt mir mein kleines Zimmer und schmeißt den Ofen an. Die einzige Wärmequelle. Da mir wirklich kalt ist, freue ich mich sehr über die wohlige Wärme. Sie hat lange gearbeitet. Sie ist als Psychologin für die Mitarbeitenden-Zufriedenheit in einem Lachs-Fischerei-Konzern zuständig. Wir unterhalten uns noch ein wenig bei Wein und sie erklärt, dass zur Zeit die größte Messe der Südhalbkugel in Puerto Montt ist. Die Agua Sur. Natürlich geht es um Fischerei und da ist sie grad sehr eingebunden und muss auch morgen viel arbeiten.

Als ich an diesem Abend frisch geduscht, in ein trockenes, weiches und bald warmes Bett steige, freue ich mich umso mehr darüber. Nur fünf Meter entfernt, lag ich noch wenige Stunden zuvor und war bitterlich von mir enttäuscht. Doch das Glück kam ganz am Ende doch noch. Wie ein Happy End.

 

Nichtsdestotrotz bleibt die Moral der Geschichte, dass das Glück nicht unbedingt herausgefordert worden sollte. Auch am nächsten Tag werde ich enttäuscht. Ich habe erfahren, dass es kostenlose Busse zur Messe gibt, die ich mir gern anschauen möchte. Ich erfahre, dass sie stündlich die verschiedenen teuren Hotels der Stadt anfahren. Doch jedes Mal wenn ich zur gegebenen Uhrzeit warte, kommt der Bus nicht. Warum, kann ich mir nicht erklären. Später sage ich Nicole, dass die Busse vermutlich unsichtbar sind. Ich ziehe es vor, das warme Zuhause zu genießen, doch meine Feuerkünste lassen zu wünschen übrig. Tja, ist halt kein Heizkörper mit Thermostat und ich nicht auf einem Bauernhof mit Feuerheizung aufgewachsen.

 

Auf Nicoles Anraten mache ich einen Ausflug nach Frutillar und Puerto Varas. Beide liegen am Lago Llanquihue, einem großen See nördlich von Puerto Montt. Seine Hauptattraktion: Von den beiden Orten aus liegen die großen weißen Vulkankegel genau gegenüber und spiegeln sich im stillen See. Doch nicht nur das, sie sind auch das Herz der ehemals deutschen Immigration. Feuerwehr, Kuchen, deutsche Schule.

Irgendwie passt das Bild Frutillars auch zu einem bayerischen Bergsee. Als die Schüler*innen aus der deutschen Schule kommen, tragen sie – wie in Chile üblich – ihre Schuluniform, nur diesmal mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Krawatte. In Fruttilar gibt es auch ein Museum der deutschen Kolonisierung. Es wirkt doch irgendwie befremdlich. Doch viel zu entdecken gibt es schlussendlich dann nicht, bis auf die ganze Deutschtümelei. Zurück in der Wohnung trinken wir mit dem Nachbarn noch ein Glas Rotwein und so erfahre ich, dass ziemlich viele in der Region in der Lachs-Industrie arbeiten. Es scheint ein wichtiges wirtschaftliche Standbein zu sein.

(warum wir immer Wein trinken? … einige Chilen*innen sind sehr stolz auf den chilenischen Wein)

Teil des Museums zur deutschen Kolonisierung, Frutillar

 

Am nächsten Tag, der auch mein letzter in Puerto Montt ist, ist dann Wochenende und wir unternehmen einen Ausflug mit einer Freundin von ihr. Die Saltos de Petrohué sind unser Ziel. Saltos meinen oft Wasserfälle. Touristisch gut erschlossen, können wir über Holzwege sehr nah rangehen. Es sind nun keine hohen oder großen Wasserfälle, aber es sind – und das lässt sich nicht immer sagen – äußerst beeindruckende. Das wuchtige hier, sind die türkisen Wassermassen die das kleine Tal entlang preschen. Sie stieben auseinander um im nächsten Moment wieder zu einem reisenden Strom zusammenzufallen. Es ist gewissermaßen die Rafting-Super-Klasse, nur dass der Versuch als Suizid einzuordnen wäre. Den äußerst wilden Wassermassen trotzen grüne Ränder und Bäume auf den tiefschwarzen Steinen. Es ist ein magisches Schauspiel. Als wenn sich alles in Bewegung gesetzt hätte. Und doch bleiben ja die Steine wo sie sind, aber dass sie der Wucht des Wassers standhalten, scheint wundersam zu sein. Am Ende so manches kurzen Falls, scheint das türkise Becken zu kochen. Doch vermutlich ist das Wasser frisch geschmolzener Gletscher. Was das ganze Bild umso schöner macht: Ganz in der Nähe erhebt sich der Vulkan Osorno. Majestätisch und makellos beginnt der Kegel direkt neben dem Fluss und die Sonne wird vom vielen Schnee prächtig reflektiert. Nicole fordert mich auf weiter zu gehen.

Wir erreichen noch einen Weiler, der auch Filmkulisse sein kann. Ein idealtypisches Becken, mit lauter grünen Bäumen außenrum, ein kleiner Sandstrand, klares Wasser, auf der anderen Seite ein kleiner Wasserfall und alles völlig einsam und unberührt. Es ist faszinierend, aber genau so stelle ich mir die ideale Lagune vor.

Mit diesem Eindruck im Gepäck bringen die beiden mich noch zum Busbahnhof.


Nov 25 2018

Einmal um die Welt

Von Karl

 

Deutsches Temuco

Je länger ich durch Temuco wandele, desto mehr bekomme ich den Eindruck, ich bin einmal um die Welt gereist und nun von der anderen Seite nach Deutschland wieder eingereist. Ich will erklären wieso.

Mit der Ankunft in Temuco erreiche ich auch deutlich eine Klimazone, die der in Mitteleuropa entspricht. Vom Breitengrad ist Temuco zwar soweit vom Äquator entfernt wie das italienische Palermo oder das spanische Mérida oder das griechische Patras. Nur das Europa unter dem Einfluss des wärmenden Golfstroms steht, während Chile durch einen kalten Antarktis-Strom beeinflusst wird. Orte in Chile die näher am Äquator liegen sind klimatisch vergleichbar mit Orten die in Europa entfernter sind vom Äquator.

In Temuco blühen die Frühlingsbäume, das Gras sprießt und es duftet nach Sonne kurz dem letzten Regen. Die Häuser bekommen spitzere Dächer und sind weitgehend aus Holz. Mir erscheinen immer mehr Schriftzüge auf Deutsch. So fährt in der Avenida Alemania (Allee Deutschland) die Linie 1 in schwarz-rot-goldenen Farben. Unweit gibt es einen deutschen Turnverein, eine deutsche Klinik und eine große deutsche Schule. Im Eingang der Schule hängt eine Karte der Bundesrepublik mit ihren Bundesländern und ein Zeitstrahl zur völkisch-deutschen Geschichte. Im Hof stehen Schilder mit „Sauberkeit ist Kultur“ und darunter ein Stadtbild gemalt mit vielen Fachwerkhäusern. Aber auch ganz subtil lassen sich die Spuren der deutschen Einwanderung lesen: in den vielen Nachnamen zum Beispiel die Arztpraxen, Autohäuser und andere Einrichtungen tragen.

So treffe ich auf der Straße dann auch einen alten Mann, der mich direkt fragt ob ich aus Deutschland sei und fängt an mit mir gebrochen Deutsch zu sprechen. Er zeigt mir noch sein altes Akkordeon und erklärt mir wie unsicher alles ist. Selbst die „German Angst“ hat überlebt, denke ich. Selbst die Graffiti sind auf deutsch!

Auf meinem Stadtrundgang finde ich die alte Markthalle völlig abgebrannt vor. Nicht dass sie gestern abgebrannt wäre, aber in allen Karten wird sie noch als aktueller Markt geführt. In der Nähe des ehemaligen Bahnhofs gibt es nun all die Marktstände, die seit langem mal wieder eine reichhaltige Vielfalt an Gemüse, Obst und Handwerk bieten. Tatsächlich bin ich hier beeindruckt über die unerwartet vielfältigen Angebote. Damit hatte ich in Chile nicht mehr gerechnet.

Weitere Sehenswürdigkeit ist eine kleiner stadtnaher Hügel, der Eintritt kostet, den es aber nicht wert ist. Er erreicht kaum beeindruckende Höhe und eröffnet nur einen kleinen Ausblick auf die Stadt. Wenn der Park-Wächter Feierabend macht, kommen die Leute um den Feierabend zu genießen, weil dann kostet es auch nix mehr. Für mich befremdlich: Die Natur erinnert an ein Spaziergang im Thüringer Wald.

Nichts zu sehen

Gegend Abend suche ich dann meinen hiesige Unterkunft auf. Kaum stehe ich im kleinen Wohnzimmer von Andres steht auch schon ein Humpen Bier vor meiner Nase. Nicht dass ich das ablehnen würde, doch mit so viel Klischee hab ich einfach nicht gerechnet. Auch sein bester Freund Mauro ist da und zusammen spielen sie seit Mittag Gitarre und Ukulele. Ja sie haben erst an dem Tag entschieden sich Instrumente anzuschaffen. Sie bilden die noch unbekannte Band „Nichts zu sehen“. Tatsächlich gibt es noch nix zu sehen, denn es gibt auch noch nix zu hören. Außer die Anfänge von dem mexikanischen Volkslied „La Bamba“. Ich muss gestehen: Eine gute Wahl, weil das Lied macht schon nach wenigen Takten gute Laune. Also wenn ihr Bock drauf habt, klickt einfach hier. Ich hab mal die Playing-for-Change-Version rausgesucht.

Nach den ersten Bieren sammeln wir noch Andres Freund Robert ein und nun wird es richtig kurios: er spricht fließend deutsch mit mir. Er ging auf die deutsche Schule, war auch eine Weile in Deutschland und kann sich noch mit seiner Oma auf Deutsch unterhalten. Seine Eltern unterhalten ein Ski-Hotel was sich insbesondere an deutsche Touris wendet. Die Ur-Eltern kamen mit dem Ersten Weltkrieg, gingen dann nochmal zurück, als aber der Zweite startete, emigrierten sie erneut nach Temuco.

Wir machen lecker Hamburger und trinken weiter. Pico oder Piscola ist das Getränk des Abends. Das ist Pisco mit Cola, also ein einfacher Cocktail. Immer mehr Leute kommen in das kleine Wohnzimmer. Erst wollten wir auf das „Bierfest“ gehen, eine Art Oktoberfest, gehen aber dann doch in die Disco. Mauro, sein bester Kumpel, ist stadtbekannter Veranstalter – was auch immer das bedeutet – und bringt uns alle kostenlos rein und zudem gibt es noch ein paar Getränke gratis. Wir zappeln eine Weile aber so richtig toll wird es dann nicht und als es vorbei ist, ziehen Andres und ich es vor heim zu gehen.

Am nächsten Tag setzen wir uns dann in sein Auto und fahren Richtung Meer. Auch wenn die Seenplatte, also Richtung Gebirge, als Highlight angepriesen wird. Wir durchfahren Carahue, eine kleine Stadt am Rio Imperial, der auch zum Meer fließt. Carahue zeichnet sich durch drei Stockwerke aus, dass heißt, es gibt drei Ebenen auf denen die Ortschaft liegt. Funfact: Angeblich die Ortschaft mit den meisten Alkohol-Abhängigen in der Welt. Ich hab keinen gesehen, aber vielleicht Saufen die auch grad in der Kneipe oder schlafen den Rausch zu Hause aus. Neu ist dort eine Klinik. Wir vermuten Zusammenhänge.

Am Meer liegt Puerto Saavedre. Das beschauliche Örtchen mit den bemoosten Straßenschildern hat sich eine neue Wasserkante gebaut und verfügt über heimelnde Restaurants aus ganz viel Holz gebaut. Es gibt wohl auch die weltbeste Ceviche hier. Da Feiertag ist – d.h. der Feiertag wurde auf den kommenden Montag verlegt, der nun ist – gibt es im Hafen auch ein Ruderwettbewerb, dem wir eine Weile zuschauen.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der Lago Budi, ein meeresnaher und ziemlich großer See. Wir suchen ein Plätzchen um diesen Ort zu bewundern und finden jemanden der uns den Weg zeigt: Ein immer noch Betrunkener. Mit blutigen Gesicht, schafft er es gerade so uns den Weg zu zeigen und wir nehmen ihn ein Stückchen mit. Der See liegt tatsächlich sehr ruhig da und wieder bekomme ich den Eindruck, die Müritz könnte es auch sein.

Araukarie

Auf den Weg zum und vom Meer passieren wir einige gerodete Gebiete. Exzessiv werden hier schnellwachsende Eukalypten-Wälder angelegt und wieder geholzt. Was damit passiert, weiß ich nicht, aber es führt zur Bodenaustrocknung, in einer eigentlich sehr feuchten Region. Die Region mit Temuco als Hauptstadt ist nach einen Baum benannt der vor allem hier vorkommt: Araukarie. Auf der Nordhalbkugel gibt’s den Baum nicht. Dieser Baum bildet lange stachlige Zweige aus und sieht tatsächlich etwas eigenwillig aus.

Eukalypten-Wald-Rodung

Was mir zudem auffällt, sind die immergleichen Häuserreihen in den Siedlungen. Wie aus US-Filmen oft bekannt, gibt es Straßenzüge die aus den immergleichen Häusern bestehen. Ganze Stadtteile mit den komplett gleichen Einfamilienhaus. Kurios.

Was die Region sehenswerter macht, ist wenn mensch gleichzeitig die Memoiren von Pablo Neruda liest. Er ist weltbekannter Dichter und mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Er schreibt in „Ich bekenne, ich habe gelebt“ über seine Kindheit und Jugend in der Region von Temuco. Seine Schreibstil ist ausgezeichnet bildgewaltig!

Flagge der Mapuche

Mapuche

Dem gegenüber stehen in den ländlichen Regionen die Rukas. Das sind die traditionellen Häuser der Mapuche, bestehend aus Holz und Lehm. Die Mapuche sind die größte indigene Gruppe in Chile und sind deren letzten Überlebenden. Die Kolonisation haben nur sie überlebt und dies vor allem, weil sie sich mit allen Mitteln gewehrt haben. Den Krieg gegen die Mapuche hat die chilenische Nation übernommen, sodass sie weiterhin in Reservaten gedrängt wurden und keine Chance mehr haben ihr Land zurück zu bekommen. Besonders in der Region um Temuco gibt es immer noch Auseinandersetzungen. Die Polizei bekämpft die ländlichen Siedlungen, die sich wiederum wehren und beispielsweise Rodungsfahrzeuge in Brand setzen, die Bäume in ihren Schutzgebieten fällen.

Ruka (traditionelles Mapuche-Haus)

Deswegen bin ich nach Temuco gefahren, aber erfahren kann ich nur wenig. Sie leben größtenteils in den weit entfernten Dörfern und sollten Weißen gegenüber verschlossen sein. Vermutlich aus bitterer Erfahrung. Auch wenn ihre Traditionen und Produkte zunehmend touristisch vermarktet werden. Temucos Museum hat nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten.

Die Mapuche an sich sind auch nicht nur ein Volk, sondern eine Vielzahl davon und leben in einem relativ großem Gebiet, was bis nach Argentinien reicht. Ihnen gemein ist unter anderem ihre Sprache Mapudungun. Mapuche heißt so viel wie „Menschen der Erde“. Viele sind schon in die großen Städte abgewandert und vermeiden ihre Mapuche-Herkunft, weil auch in Chile die indigene Herkunft mit unzivilisiert, naiv und rückständig assoziiert wird. Während meines Aufenthalts habe ich Aufrufe für Demonstrationen in Santiago gelesen und Nachrichten im Fernsehen dazu gesehen. Interessanterweise wurden die ersten Siedler*innen aus Deutschland mit Land, Steuererleichterung, kostenloser Überfahrt und chilenischer Staatsbürgerschaft gelockt, um ein Land fruchtbar zu machen, wo kurz vorher die Mapuche vertrieben worden.

Ich wollte eigentlich die Welt der Mapuche besser kennen lernen.


Nov 11 2018

Kupfer-Stadt

Von Karl

 

Ein ungeheuerlich großes graues Loch eröffnet sich vor mir. Über vier Kilometer breit und über ein Kilometer tief erstreckt sich ein Schlund in Form eines gestuften Trichters. Grauer Nebel hängt in der Grube. An den Rändern sind scheinbar willkürlich Wege angebracht die im Zickzack oder rund um den Trichter sich in die Höhe schrauben. Hellgraue Wege auf dunkelgrauen Boden. Wind in der Grube trägt immer eine Wolke grauen Nebels mit sich. Staub. Die oberen Ränder gehen in ein Gebirge über. Ein ganz normales bergiges Gelände, dass so sonst nicht beachtenswert ist. Trocken und steinig.

Wo ich hier stehe ist die Aussichtsplattform vor einem der größten Kupfer-Bergwerke der Welt. Im Tagebau baut hier die staatliche Kupfer-Firma CODELCO Tonnen an Kupfer ab. Das Kupfer liegt natürlich nicht einfach so rum, sondern ist nur 1,5% des Gesteins, sodass Tonnen an Erde abgebaggert und verladen werden. Der Bagger sieht von meiner Plattform sehr klein aus, doch neben der Aussichtsplattform steht ein weiterer und seine imposante Größe verrät, dass der aktive Bagger einfach sehr weit weg ist. Den Reisebus überragt der Bagger um ein Vielfaches.

Auch die LKWs sind riesig und entsprechen denen von Cerrejon in Kolumbien. Hinter uns passieren alle paar Minuten weitere dieser monströsen Fahrzeuge, vollgeladen mit Abraum aus dem Tagebau. Gemäß der Förderleistung ist Chuquicamata das zweitgrößte Kupferbergwerk der Welt. In der Region gibt es noch ein weiteres, welches noch größer ist. Der Kupferbergbau ist seit längerem das wichtigste chilenische Exportgut. Wir schauen also auch in die Herzkammer der chilenischen Wirtschaft, denn steigende und fallende Kupferpreise beeinflussen Chile umgehend. Seit dem China verstärkt Kupfer kauft, profitiert Chile insbesondere.

Geschichte Chiles

In Chile sind private Firmen im Geschäft tätig, aber auch die staatliche CODELCO, die ins Leben trat als der Sozialist Salvador Allende an die Macht kam und anfing Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Chuquicamata war vormals eine US-Amerikanische Firma. Die rechte Diktatur nach Allende hat vieles Rückgängig gemacht, aber eben nicht alles. So dass es CODELCO heute noch gibt.

Salvador Allende ist in den 1970er berühmt geworden, weil er als Sozialist an die Macht gewählt wurde und den „südamerikanischen Dritten Weg“ präferierte. Er begann schnell mit der Planwirtschaft. Viele Firmen aus dem globalen Norden verloren ihre chilenischen Töchter. Das gefiel im Kalten Krieg u.a. den USA nicht und so begannen sie starken Einfluss zu nehmen. 1973 endete die Auseinandersetzung im Lande mit dem Putsch der Armee gegen Allende. Der begang dabei Suizid. Diktator war nun der General Pinochet, der sein Land nun neoliberal umgestaltete. Chilenische Wirtschaftswissenschaftler, die sogenannten Chicago Boys, begannen mit neoliberalen Reformen, die aber schlussendlich nicht den erwünschten wirtschaftlichen Erfolg erzielten. Unter der Diktatur Pinochets wurden Linke verfolgt, verschwanden, gefoltert oder flüchteten ins Ausland.

1990 lies Pinochet dann abstimmen und da sich die Mehrheit für eine Demokratie aussprach, kam es zu ersten Wahlen. Er hatte aber die Verfassung schon so verändert, dass er selbst bis zu seinem Tode nichts zu befürchten hatte. Noch heute ist das Land in Befürworter*innen und Gegner*innen von Pinochet bzw. Allende gespalten.

Geisterstadt

Neben der Grube gibt es noch weitläufige Anlagen zur Kupferverarbeitung und weiterer Gesteine, die mit gefördert werden. In Chuquicamata arbeiten auch tausende Menschen, die bis 2004 im benachbarten gleichnamigen Örtchen gewohnt haben. Sie verdienen extrem gut. 9000 US-Dollar im Monat wurde uns mal gesagt. Dabei wurden ihnen noch Wohnung und einiges mehr gestellt. Dafür dass Chuquicamata nicht mehr bewohnt wird gibt es zwei Gründe: Die Staubbelastung durch die Mine ist zu stark, sodass die Siedlung geschlossen wurde. und unter Chuqicamata liegt Kupfer, dass CODELCO abbauen möchte. Wir werden von einer betriebseigenen Tour auch in das Dorf geführt, was an seinem Rande schon verschüttet wird. Die Geisterstadt wäre optimal für ein Western-Film, da noch alles so steht, wie vor wenigen Jahren verlassen. Nur ganz wenige Häuser werden als Büros genutzt. Neue Zäune versperren die Zugänge und passen so nicht in das Bild der Geisterstadt. Es gab ein Theater, ein Veranstaltungshaus und ein Stadion, nur halt ohne Gras.

Der Abraum frisst die Geisterstadt

Chuquicamata liegt in der Atacama-Wüste, wie schon Arica, und hat praktisch nie Niederschlag. In der Grube fahren Fahrzeuge die den Weg benetzen um den Staub etwas zu binden. Deswegen gibt es auch weit und breit keine natürliche Vegetation. Außer es kommt durch den El Niño ausnahmsweise doch zum Erblühen der Wüste. Das kurze Phänomen soll aber nur alle sechs bis zehn Jahre stattfinden.

Umso interessanter ist da der Hauptplatz der Geisterstadt. Hier gibt es noch die grünen Bäume und Wiesen in der Mitte. Dass sie grün sind, verdanken sie, der ständigen Bewässerung. Wir glauben unseren Augen erst nicht, aber als wir dann den Arbeiter und den Tanklaster mit der Aufschrift „Trinkwasser“ sehen, müssen wir es glauben: In der Geisterstadt wird der zentrale Platz weiter bewässert. Nix ungewöhnliches an solch trockenen Orten, aber wenn hier doch keiner lebt?

Trinkwasser für einen Platz in der Geisterstadt

Calama

Die Menschen die hier arbeiten leben und wohnen mittlerweile im wenige Kilometer entfernten Calama. Einer Kleinstadt und Verkehrsknoten in der Wüste. Auch hier ist der Kupferreichtum angekommen, sodass schwerlich Unterkünfte zu finden sind. Die Firmen zahlen den Arbeiter*innen oft die Unterkunft, sodass die Preise verdorben sind. Die Stadt wächst und es entstehen moderne Mehrgeschosser. Fast jede*r soll hier irgendwie mit dem Bergbau verbunden sein. Etwas besonderes gibt es in der Stadt aber sonst nicht.

Calama

Auch die Schattenseiten der Arbeiter*innen-Kolonnen werden uns nicht verschwiegen. Nicht wenige sollen dem Alkoholismus anheim gefallen sein und einige Kneipen bieten neben Bier auch Prostitution im Hinterzimmer.

Berlines

Wir entdecken später in der Bäckerei „Berlines“. Deutsche Einwanderung hat seine Spuren in Chile gelassen und so ist Bier trinken und Kuchen essen weit verbreitet. Deutsche Namen und Begriffe kommen uns hier immer wieder unter.

Ein weiteres neues Phänomen entdecken wir: In vielen der bereisten Länder sind Kleinbusse auf festen Routen mit Schilder ihrer Route normal. Dass diese aber mit Taxis kombiniert werden, ist neu. In Chile aber üblich, dass viele Taxen auf unzähligen Routen durch die Stadt fahren. Meist erst, wenn sie voll sind oder zumindest die meisten Plätze besetzt sind.

Zug mit Kupfer-Platten in Calama

Kurz vor Ende unseres Aufenthalts in Calama schließt sich der Kreis und ein Zug mit dem Exportgut in Reinform rollt an uns vorbei. Endlos lang liegen zig Kupferplatten für die Weiterverarbeitung auf den Waggons und fahren in die beginnende Nacht.


Jun 5 2018

Work and Travel

03. Juni 2018
Huancayo
von Karl

Wir sind relativ gewöhnlich mit dem Bus über Nacht nach Ayacucho gekommen. Gut, die Strecke ist etwas länger, sodass es schon fast Mittag war. Anderen Peru-Reisenden kann ich da die Busfirma „Movil“ sehr empfehlen. Größere Sitze, Verpflegung, Klimaanlage. Eine Stewardess hat Frühstück und Abendbrot ausgegeben, was angesichts der Serpentinen eine Meisterleistung ist. Da ist Flugzeug-Stewardess ein Kinderspiel dagegen.
Wir haben einen Couchsurfer, der sich mit uns am Plaza Santa Ana treffen möchte. Wir nehmen vom neuen Terrapuerto aus ein Taxi. Wir nehmen oft Taxis, weil die Strecken oft lang und Taxis nicht teuer sind. Für eine Stadtfahrt sind vier bis acht Sol normal, das sind eins bis zweieinhalb Euro. Auf längeren Strecken gibt es oft Taxis die erst dann los fahren wenn sie voll sind, sodass der Preis geteilt wird.
Am Plaza Santa Ana warten wir über eine Stunde und rufen dann einen anderen Couchsurfer an, der uns auch aufnehmen würde. Wieder müssen wir einmal durch die Stadt und werden tatsächlich aufgelesen, allerdings nicht von dem Couchsurfer sondern von dessen Mutter oder Oma. Die ältere Frau führt uns in ihr kleines zu Hause mit etwas Garten und ein paar Wellblechverschlägen. Nun erklärt sie uns, dass wir arbeiten müssen. Entweder die Küche neu gestalten, Die Mauer an der Straße streichen und mit Bilder verzieren oder einen Holzzaun streichen und verzieren oder Gärtnern. Das Zimmer in dem wir schlafen sollen ist vollgestellt bis unter die Decke.
Wir erklären ihr, dass wir schon Arbeit haben und dass wir Texte schreiben und Photos machen können, aber nicht malern. Sie bietet uns an, für den Verschlag zu zahlen. Wir lehnen ab und suchen eine Unterkunft in der Nähe. Wir sind enttäuscht, dass wir gar nicht mit dem eigentlichen Kontaktmenschen zu tun hatten und hier andere Erwartungen an uns gestellt wurden.
Unser erster Couchsurfer hat sich bei uns gemeldet, und wir fahren erneut am nächsten Tag zum Plaza Santa Ana, wo uns mittlerweile die Schulkinder kennen. Wir rufen ihn an. Versprochene fünf Minuten später erscheint – nicht der Couchsurfer, sondern – sein Vater. Über staubige steile Wege geht es an den Stadtrand Ayacuchos, bis wir wieder in einem Hanggarten mit Holzhäusern und ein paar Verschlägen landen. Der Vater erklärt uns, wo wir überall mitarbeiten könnten und wo Hilfe gebraucht wird. Diesmal gehen wir einfach nicht darauf ein.
Wir können ein Zimmer beziehen was aus einem Bett und einer Holzbank besteht. Die Mauern sind unverputzt und der Boden Beton. Die Toilette ein Holzverschlag mit Loch im Boden. Dusche gibt es nicht. Am gleichen Tag reisen zwei Deutsche ab. Wir sprechen etwas mit Ihnen und erfahren so mehr über die Familie. Sie haben einen Monat dort gelebt. Die Familie kauft Alpaca-Wolle auf dem Markt ein, färbt sie mit Chemie, webt diese dann mit den eigenen stromlosen Webstühlen und macht daraus Taschen, Kissen oder allerlei Kram. Lisa und Marten haben etwas mitgeholfen. Also eher Lisa, weil Marten erklärt, er habe eher nur ausgeschlafen, Yoga auf dem Dach gemacht und dann Essen gekocht. Wir können nicht verstehen, was so toll an einem so armen Leben sein soll und beschließen schon einen Tag früher aufzubrechen. Aber eine Nacht bleiben wir.
Jimmy, unseren eigentlichen Couchsurfer, bekommen wir zufällig auch zu sehen, aber eher als Randnotiz. An unseren Abreisetag hilft er uns aber noch sehr. Mein Laptop-Bildschirm hat einen Sprung bekommen und das Filme schneiden ist dadurch sehr eingeschränkt möglich. Teile des Screens sind nur noch schwarz. Jimmy arbeitet in einem Computer-Laden und wir suchen ihn dort auf. Er führt uns in eine Hinterstube und dort sitzen die erhofften Bastler. In nicht einmal einer Stunde repariert ein relativ stummer Kollege den Laptop und ich verlasse freudestrahlend den Laden.
Daraufhin gönnen wir uns eines der typischen peruanischen Menüs. An vielen Stellen gibt es kleine Restaurants die für alle Tageszeiten Menüs bereit halten. Immer gibt es eine Vorsuppe und ein Getränk und der gewählte Hauptgang. Unser Renner ist Arroz a la Cubana. Ein Menü kostet meist um die fünf Sol, also eineinhalb Euro.
Wir bringen der Familie noch Äpfel und Bananen vom Markt mit und verabschieden uns zum Nachtbus nach Huancayo.


Mai 29 2018

Frederic

29. Mai 2018

Ayacucho

von Karl

 

Manche Menschen leben länger als sie gelebt haben. Arnos Bruder ist ein solcher. Arno ist eine Rampensau. So bezeichnet er sich selbst. Er muss wohl als Kind in ein Wörterbuch gefallen sein. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall hat er viel zu erzählen und freut sich wenn er Fragen gestellt bekommt. Am liebsten über Peru, über Ivochote, dem Kakao-Anbau und natürlich „Peru Puro“. Seinem Baby. Er ist Geschäftsführer dieser Importfirma. Im direkten Handel, was er nicht ohne stolz sagt, in Abgrenzung zum Fairen Handel, importiert er direkt von den Bauern und Bäuerinnen Kakao nach Deutschland. Es gibt keine Zwischenhändler. Alles ist voll ökologisch und angebaut wird Chuncho, eine Ur-Kakao-Sorte. Daraus entsteht Edelkakao und -schokolade, die Arno dann in Deutschland vermarktet. So viel zur Vorrede.

Wie alles begann.

Schon am Minibus in Cusco lerne ich einen ehemaligen Ivochoter kennen. Gabriel ist jetzt Fahrer eines Minibusunternehmens, hat früher in Quillabamba im Kakao-Business gearbeitet und davor Strom in Ivochote verlegt. Seine Kolleg*innen stehen noch an der Straße um die letzten Plätze zu verkaufen. Laut rufen sie „Quillabamba“ auf die dichtbefahrene Straße. Die Fahrt nach Quillabamba lehrt uns das erste Mal bei tageslicht die Realität eines echten Gebirges. Immer wieder geht es Serpentinen hoch und runter. Oft führen die Straßen an Berghängen entlang. Ab über 3.500 Metern nimmt auch die Baumvegetation ab und die Berge sehen gelblicher aus, geprägt von dem Gras. Oft kann weit in das Tal hinein geschaut werden, sodass atemberaubende Ausblicke entstehen. Irgendwann halten wir auf einen Pass, der gut über 4.000m liegt. Nebel oder Wolken wabern von der anderen Seite über den Pass. Kurz darauf fahren wir im Achterbahntempo kilometerlang durch Wolken, bis wir wieder im Regenwald rauskommen. Eine der bedrohtesten und seltensten Vegetationszonen sind die Nebelwälder. Das sind Regenwälder die die meiste Zeit im Nebel stehen. Vielleicht sind wir durch einen solchen gefahren.

In Quillabamba finden wir eine günstige Unterkunft und schon steht Arno vor der Tür. Ganz wie ein deutscher Tourist auszusehen hat – nur – dass gerade er, gar keiner ist. Sandalen, beige-graue Trekkinghose, T-Shirt, gerötete schweißige Haut von der Hitze, blaues Shirt und lichter werdendes braunes Haar. Ein ständiges Grinsen begleitet das lose Mundwerk. Er führt uns gleich an unseren morgigen Treffpunkt und wir nutzen die Gelegenheit für eine Vorgespräch für unseren nächsten Film. Der Kakao in Ivochote soll den Fairen Handel in Deutschland bewerben. und wir sind das Film-Team. Unsere Magenschmerzen gehen vor allem zur spanischen Sprache. Wir können uns zwar verständigen, aber ein Interview ist nochmal eine andere Liga.

Der Geschäftsführer betont schon jetzt wie edel sein Kakao ist und dass kaum jemand, der oder die den Kakao probiert hat, diesen nicht wieder gekauft hat. Eine Info die uns noch öfters mitgeteilt wird.

Quillabamba

Wir nutzen die kurze Zeit in Quillabamba für einen Spaziergang und tatsächlich sind irgendwelche Festlichkeiten am Hauptplatz. Tribünen sind aufgebaut und viele Menschen mit und ohne Kostümen sind unterwegs. Plötzlich zieht an uns eine tanzende und musizierende Gruppe vorbei. Später werden wir solche Gruppen immer wieder sehen, nicht selten im Zusammenhang mit der Kirche. Quillabamba ist die größte Stadt mit 200.000 Einwohner*innen im Distrikt Echarati. Es ist vor allem deswegen reicher, weil sämtlicher Handel mit den umliegenden Dörfern über diese Stadt geht. Die Bäuerinnen und Bauern aus Ivochote zum Beispiel müssen für jede Reparatur nach Quillabamba. 6 Stunden hin und 6 Stunden zurück. Wenn es keinen Erdrutsch gab, sonst dauert es länger. Nicht selten fahren die Busse nachts, weil es da nicht so heiß ist. D.h. 2 Uhr nachts Abfahrt in Ivochote und dann wieder 2 Uhr nachts Abfahrt in Quillabamba. Schlafen scheint nicht so angesagt zu sein. Es gibt ja Coca.

Die Rentner*innen-Reise-Gruppe, kurz RRG

Arno meint, wir kommen genau richtig. Zum ersten Mal gibt es eine Touri-Gruppe aus Deutschland die u.a. mehrere Tage nach Ivochote reist. Es sind zwei Plätze frei geworden und nun können auch wir einfach mitkommen und werden mit ihnen an alle interessanten Plätze geführt. Tatsächlich macht uns das alles einfacher. Nach der einen Übernachtung in Quillabamba gehen wir mit unseren Gepäck zu Arnos Hotel und erwarten die Gruppe. Gemeinsam mit Ihnen packen wir unseren Kram auf das Dach des Minibusses.

Ich setze mich in die letzte Reihe und lerne im laufe der Fahrt nach Ivochote die beiden „jüngeren“ der Reise kennen, mit denen ich die Reihe teile. Ein Pärchen aus Franken. Er ist auch eher vom Typ Rampensau, schwer in Ordnung und nicht verlegen schlechte Witze zu machen. Dann kennt er noch das Känguru und engagiert sich gegen zu viel Religion in dieser Welt. Ganz sympathisch. Seine Frau dagegen, ist eher zurückhaltend. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nix von ihr.

Schon am Bus lerne ich den Sachsen kennen. Zwischen den ganzen schwäbisch-fränkischen Dialekten sticht er hervor. Reiseteam-intern nennen wir ihn „die Komödie“, weil er es schafft jedes Fettnäpfchen mitzunehmen. Er ist ganz lieb, nur kehrt er seine negative Sicht stark nach draußen. Wir schauen uns unbeteiligt die Konflikte zwischen ihm und der RRG an. Die Unterhaltung hatten wir gar nicht gebucht. Aber das schönste kommt ja meist überraschend. Nur die „Jüngeren“ scheinen ihn wirklich integrieren zu wollen.

Dann ist da das Vierer-Team vom Weltladen Ulm. Mit der kleinen braunhaarigen als zurückhaltende Anführerin. Die drei anderen Rentnerinnen sind auch ehrenamtlich Engagierte. Sie sind noch mehr dabei das als schönen Urlaub zu nehmen und erzählen viel und gern aus ihrem Leben.

Ein noch älteres Ehepaar, scheinbar Verwandte oder Bekannte von Arno, begleitet uns noch, doch besonders Er ist sehr in sich gekehrt. Freundlich sind sie wohl alle.

Bienvenido en Ivochote

Die Fahrt von Quillabamba nach Ivochote wurde mehrmals für Photo-Pausen unterbrochen. Allerdings ist der Bergregenwald mit dem Rio Urubamba auch ein prächtiges Motiv. Der Fluss schlängelt sich zwischen den steilen grünen Berghängen. Hier im Gebirge ist er nicht der ruhige Breite, sondern ein reißender Strom. Irgendwann verlassen wir die asphaltierte Strecke und biegen in Kiteni auf die Schotterpiste. Über sechs Stunden dauert die Fahrt, was angesichts der üblichen Distanzen in Peru eher wenig bis durchschnittlich ist. Ivochote ist ein Dorf mit einigen hundert Einwohner*innen. Ivochote liegt komplett rechtssseitig des schnellen Rio Urubamba und ist mit einer Hängebrücke mit dem anderen Ufer angebunden. Für Motorräder ist sie breit genug, nicht aber für Autos. Wir sind in einem der Hotels am Fluss untergebracht. Im Dorfkern thront ein großes Schulgelände und ein überdachter Fußballplatz mit einer kleinen Tribüne. Riesig im Vergleich zu den nicht mal hundert Schüler*innen.

Peru gibt viel Geld für Schulen aus, aber die Korruption ist auch hier ein Problem. Architekt*innen planen gerne groß, weil dann mehr abgerechnet werden kann und damit der prozentuale Eigenanteil größer wird. Eine andere Schule hatte sogar ein kleines Wasserbecken, jedoch ohne Wasser. und eine große Küche, jedoch ohne dem nötigen Gas. Auch die Lehrer*innen möchten lieber in den Städten arbeiten, sodass Bestechung bei der entsprechenden Vergabestelle normal sein. Mit 10.000 Soles für einen Großstadt-Arbeitsplatz sollte gerechnet werden. Auch seien Lehrer*innen schlechter je entfernter die Schule von der Großstadt liegt. Selbst an den Wegen abseits der Dörfer gibt es Schulen, für die Kinder der Bäuerinnen und Bauern, sowie der noch entfernter lebenden Mechungas, der einheimischen Indigenen.

Viele der Menschen in Ivochote arbeiten zur Zeit auch für die Gasfirma. Seit einiger Zeit wird eine sehr lange Erdgaspipeline von Camisea, was noch viel weiter östlich im Flachland-Regenwald liegt, bis an die Küste gezogen; das heißt auch einmal komplett über die Anden. Dafür wurden schon die meisten Kilometer im Bergregenwald abgeholzt und die Rohre ausgelegt. Arno hat uns auch einige Lagerstädte der zukünftigen Rohrelemente gezeigt. Anfangs seien viele vor Ort begeistert gewesen, weil die Firma Geschenke verteilt hat, die Straßen asphaltiert und viel Geld in Ausgleichsmaßnahmen gesteckt wurden. und natürlich weil es gut-bezahlte Arbeit gab. Als die Baufelder weiter-wanderten und die Naturzerstörung übrig blieb, begann der Protest. Camps der Gasfirma wurden in Brand gesteckt. Wenn deren Hubschrauber landeten, kamen die Einheimischen mit Fackeln. Dann schickte die Regierung das Militär. Um die Gasfirma zu schützen. Mittlerweile ist der Protest abgeebbt und der Bau geht weiter.

Jonathan

Mit Dreirad-Motorrädern soll es zum Kakao-Bauern Jonathan gehen. Mit dabei, der Präsident der ökologischen Kakao-Vereinigung Ivochote, oder einfach nur Adolfo. Manchmal auch Alfonso. Eines der Motorräder ist neu gekauft. Wir starten am neuen Zentrum der Vereinigung, wo wir auch mit Essen versorgt werden. Neue Toiletten, neue Küche, Gästezimmer, Lager, Versammlungsraum. Alles per Hand gemacht und mit Material von vor Ort. Es ist einfacher den Flusskies zu sieben und zu Zement anzurühren, als einen Laster kommen zu lassen. Bewundernswert was hier geschafft wurde. Jonathan und Adolfo sind noch dabei Bretter zuzuschneiden als wir frühstücken. Damit drei Reihen auf der Ladefläche eines Motorrads Platz nehmen kann. Neben dem Fahrer sind links und rechts noch je ein Sitz.

Ivochote liegt unter 500 Metern, aber die Bauernhöfe auf ca. 1.200 Metern über dem Meeresspiegel. Nach nur wenigen Kilometern den Schotterweg hinauf, platzt der Abluftschlauch am Motor. Stundenlang versuchen wir das zu reparieren. Teils mit Bananenblättern. Am Ende tut es ein Lappen und stetiges kühlen mit klaren Wasser vom Beifahrer. Der neue Schlauch muss erst in Quillabamba besorgt werden. Eine Weltreise entfernt. Jonathans Bauernhof besichtigen wir, der aus mehreren Holzbauten besteht und einem gut gepflegten Schrebergarten den Rang abläuft. Es gibt eine Küche, einen überdachten Versammlungstisch, eine Kakao-Anzucht, Unterkünfte, einen Gemüsegarten und einiges an Werkzeugen. Hühner laufen frei rum. Es gibt zig gut gepflegte Bäume, u.a zeigt er uns Zimt. Auch sein jüngster Sohn fährt mit seinem kleinen Fahrrad über den Hof und nähert sich immer wieder schüchtern den entzückten Rentner*innen die gerne mal wieder ein Photo von einem süßen Kind machen.

Er gibt uns Früchte zu essen, die wir noch nicht mal in Quillabamba kaufen könnten, weil die sehr schnell schlecht werden. Die kann mensch nur hier essen, wo sie wachsen. Früchte die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Leider sogar sehr leckere Früchte.

Der soziale Kakao

Wir werden auch hier von einer der Frauen-Gruppen bekocht. Arno erklärt, dass eines der zentralen Projekte der Kakao-Vereinigung die Frauen-Gruppen sind. Vormals sind nur die Männer zum Verkauf des Kakaos und wegen anderen Besorgungen ins Dorf gegangen. Nun aber treffen sich die Frauen und das stärke ihr Selbstbewusstsein ungemein. Als eine Frau von ihrem betrunkenen Mann immer wieder geschlagen wurde, haben sie sich gemeinsam aufgemacht und mit dem Mann gesprochen. Chefin des neuen Zentrums oder offiziell die Sekretärin der Vereinigung ist Amelia und hat als Frau eine führende Rolle eingenommen.

Ein weiterer Teil ist die Unterrichtung von Schwester Esther. Schwester Esther ist über einen christlichen Orden in das Tal gekommen und stammt aus dem Regenwald Indonesiens. Im Gegensatz zu den Bäuerinnen und Bauern kennt sie sich mit dem Regenwald aus. Arno erklärte uns, dass die meisten in Ivochote aus dem Hochland zugewandert sind und den Regenwald nicht kennen. Sie denken an die eigene Versorgung, sodass sie Land kaufen, abholzen, drei Jahre Kakao anbauen und dann neue Felder brauchen, weil der Boden keine Nährstoffe mehr trägt. Nun wird nachhaltig angebaut. Arno ist studierter Tropenökologe und trägt sein Wissen mit bei. Das wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Mittlerweile werden verschiedenste Pflanzen zur eigenen Versorgung angebaut, wie beispielsweise Salat, Tomaten und es wird sogar Kuchen gebacken. Alles das gab es vorher nicht. Mittlerweile ist es Teil der Schulspeißungen und es gibt Schulgärten.

Der Regenwald wird als nachhaltige Quelle geschützt, wieder aufgeforstet und für den Eigenbedarf genutzt. Über 90% von Jonathans Fläche ist natürlicher Regenwald, den er nun nicht mehr abholzen will. Vielleicht jagt er mal ein Tier, erntet eine Frucht oder fällt einen Baum für Neubauten. Nur ein paar Hektar nutzt er für den Kakao-Anbau.

Der Kakao

Kakao wächst an kleinen Bäumen die nicht größer sind als drei Meter. Interessanterweise wachsen die gelben oder roten Früchte direkt am Stamm oder den Ästen aber nicht bei den Blättern. Die Früchte sind hart, wasserflaschen-groß und geformt wie ein Football. Mit der Machete schlägt Jonathan eine Frucht in zwei und es kommt ein weißer Fruchtschleim zu Gesicht in dem die Kakao-Kerne geschützt sind. Der Schleim schmeckt ganz pasabel, aber die Kerne sind im Interesse von Adolfos Kolleg*innen. Die Kerne werden gewaschen, fermentiert und getrocknet. Erst dann werden sie Teils in Quillabamba weiterverarbeitet oder direkt nach Europa verschifft. Den Kakao erst „vor Ort“ zu Schokolade zu verarbeiten, ist ökologischer, weil der Transport dann nicht gekühlt werden muss.

Wir interviewen Adolfo zwischen Jonathans Kakao-Bäumen nach dem die RRG weitergezogen ist. Er sagt, dass der Klimawandel tatsächlich ein großes Problem ist. Mittlerweile breitet sich ein Insekt aus, welches sich vom Schleim ernährt und damit die Kerne im Wachstum schädigt. Das Insekt hat diese Höhen erst für sich entdecken können, weil es wärmer wurde. Ca. 50% der Früchte seien befallen. Ein riesiges Problem. Arno hält die Ur-Sorten für den Schlüssel um dem Trend Herr zu werden, sowie großflächigen Regenwaldschutz und Aufforstungen. Damit das Mikroklima im Urubamba-Tal konstant bleibt.

Arme Deutsche

Am letzten Abend sitzen wir sprachlos mit der RRG am Abendbrot-Tisch. Sie sammeln Geld für die Frauen-Gruppen. Ich habe die Bäuerinnen und Bauern als selbstbestimmte und stolze Menschen wahrgenommen. Ich konnte viel von Ihnen lernen und bin immer noch tief beeindruckt, wie sie ihr Leben gestalten und was sie geschafft haben. Menschen denen ich auf Augenhöhe begegnet bin und denen ich viel zugehört habe. Ihnen Geld zu spenden empfinde ich dabei als Abwertung. Ich der reiche Deutsche unterstreicht damit seine privilegierte Position. Rosa und ich wenden uns ab, was uns aber nicht so leicht gemacht wird. Sie diskutieren am Tisch den Gesamtpreis und legen fest wie viel jede*r zu geben hat. Als Rosa ablehnt, trifft sie der unverständliche Todesblick einer Rentnerin.

Bei einer Schulbesichtigung übergeben einige Rentnerinnen ihre Geschenke an die Direktorin der Schule. Nie wurde gefragt, was gebraucht wird. Kugelschreiber, Notizheftchen, Mini-Täschchen, Wasserbomben, … werden überreicht. Meines Erachtens Sachen, die sie einfach nicht mehr gebraucht haben. Sie denken, sie würden etwas gutes tun, wissen aber überhaupt nicht, ob es überhaupt helfen wird. Eigentlich geht es gar nicht darum den peruanischen Kindern zu helfen, sondern das gute Gewissen der schenkenden Deutschen. Die geistig Armen und die materiell Armen treffen sich hier in bewundernswerter Freundlichkeit.

Als sie dann sogar für Arno Geld sammeln, bin ich dann dran den Todesblick der Rentnerin einzufangen. Nie wurde ich gefragt, was ich davon halte, wie viel ich geben mag oder dergleichen. Nein, ich wurde einfach aufgefordert 30 Euro zu geben.

Der Touri-Tag

Unser letzter Tag vor der Abreise in Ivochote, ist ein touristischer Programmpunkt. Den Urubamba flussabwärts durchbricht der Fluss den letzten Gebirgszug der Anden und geht in den Flachlandregenwald über. Das Wasser gelangt über verschiedene Flüsse irgendwann in den Amazonas. Faszinierend ist dabei, dass die Amazonas-Mündung viele tausende Kilometer entfernt ist, aber der Höhenunterschied lediglich 300 Meter beträgt.

Wir fahren mit zwei lokalen Langbooten den Fluss hinab. Die Holzboote sind gute 40 Meter lang und mit Auto-Sesseln ausgestattet. Der Fluss macht noch einige Wendungen und hat einige Stromschnellen die viel Geschick erfordern. Ein Ausfall des Motors wäre der sichere Tod. Nach zig Stromschnellen und Hängebrücken erreichen wir die Schluchten des „Pongo de Mainique“. Faszinierend ragen links und rechts die Felswände auf. Hin und wieder durch Wasserfälle abgenutzt. Es ist leiser hier. Der laute Regenwald ist etwas zurückgetreten und nur das Wasser plätschert. Der Fluss ist immer noch reißend, aber er zeigt es nicht. Es ist kühler im Schatten der Felsen. Es ist dunkler ohne dem Grün und der Sonne.

Wir wandern später in einen Seitenarm und genießen ein Bad an einer ruhigeren Stelle. Gleich daneben hat der kleine Fluss eine natürliche Wasserrutsche gebastelt, was mich sehr lange sehr erfreut. Im Schatten der Bäume bleibt die Zeit stehen. Alle Arbeit mit dem Film ist vergessen. Ich lass mich immer wieder treiben und springe immer wieder von den Felsen in das kalte Nass. Die Sonne wärmt bedächtig die Felsen. Wohl Stunden hätte ich verbringen können, wenn nicht der Rest der Gruppe den Rückweg angebrochen hätte.

Arnos Bruder

Auf dem Weg zurück fordert Schwester Esther den Bootsfahrer auf kurz langsamer zu fahren. An einem Stein am Rande ist ein Name eingeschlagen. Fein säuberlich steht dort „Frederic“ geschrieben. Arnos Bruder. Er ist als Abenteuer-Tourist auf dem Rio Urubamba unterwegs gewesen, ist gekentert und wurde an dieser Stelle das letzte Mal gesehen. Wir staunen, dass Arno mit uns unterwegs ist. Er ist der Grund, warum Arno und seine Eltern immer wieder in diese Region kommen. Seit über 16 Jahren schon. Sie haben den Verein „Frederic – Hilfe für Peru“ aufgebaut, den viele in Ivochote kennen. Genauso wie Arno ein bunter Hund im Dorf ist. Der Verein ist der Anfang, der irgendwann zum direkten Handel mit Kakao führte. Es ist beeindruckend welche Spuren Frederic hinterlassen hat und wie er nun weiterlebt. Weit über sein Leben hinaus. Er war Backpacker, so wie wir.