Okt 16 2018

Vom Schnee verweht

von Rosa

Autsch! Das tat weh. Gerade schaue ich noch in die Augen eines süßen Hundes, der mich an einen Teddybären erinnert. Schon erinnert er mich daran, dass Hunde eben nicht nur niedlich sind. Mit einem Satz ist mir der flauschige Bär von Hund an mein Bein gesprungen und hat einmal in den Oberschenkel gebissen. So schnell er da war, ist er auch wieder weg. Der Hund hat tatsächlich ein Stück meiner Hose rausgerissen. Der Biss war zum Glück nicht tief. Die Hunde in Südamerika sind mir irgendwie nicht so zu getan oder eben doch. Wie man es sieht. Bekanntschaften schließe ich jedenfalls leicht mit Ihnen und eine Einladung brauchen sie dafür auch nicht. In solchen Momenten bin ich immer froh über meine Tollwut-Impfung.

Wenn man so möchte ist heute nicht mein Tag. Am Busbahnhof von Baños läuft noch alles glatt. Ich erwische innerhalb von fünf Minuten einen Bus nach Machachi. Von dort aus möchte ich den Cotopaxi zumindest bis zum Base Camp besteigen. Ich sage dem Busfahrer noch, dass er mir bitte Bescheid geben soll, wenn wir in Machachi sind. Als ich nach einem kurzen Nickerchen aufwache, denke ich die Stadt kennst du doch. Sie ist ungewöhnlich groß und zu dicht besiedelt für alle Städte auf dem Weg. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Als ich die ersten Metrostationen sehe, bestätigt sich dieses. Wir sind in Quito. Ich frage beim Busfahrer nach, warum er mir nicht Bescheid gesagt hat. Er zuckt nur mit den Schultern und meint schlafen wäre gesund. Etwas angesäuert verlasse ich den Bus und suche im Terminal Quitumbe nach einem Bus, der zurück nach Machachi fährt. Der ist gar nicht so einfach zu finden, weil er nicht bei den anderen Bussen abfährt. Dann sitze ich aber doch in einem überfüllten grünen Bus nach Machachi. Neben mir eine Mutter mit drei Kindern. Das Kind auf dem Rücken versucht mich die ganze Zeit mit seiner Mandarine zu hauen. Den Vater scheint das alles nicht zu stören. Er schaut lieber ein Fußballspiel auf seinem Smartphone. Er bewegt sich auch nicht als seine Frau versucht alle drei Kinder gleichzeitig zu beruhigen. Diesmal bleibe ich wach und steige tatsächlich in Machachi aus. Im Starkregen laufe ich zur Unterkunft. Kurz vor dem Eingang dann das Kurz-Intermezzo mit dem Teddybär-Hund.

David, der Besitzer, begrüßt mich und erklärt mir gleich welche Optionen ich habe um zum Cotopaxi zu kommen. Da ich nur bis zum Base-Camp möchte, stelle ich es mir nicht so schwierig vor. Doch das ist es wohl. Machachi befindet sich noch einmal 40 Minuten vom Eingang des Nationalparks entfernt. Hmm. Er bietet zwei anderen Reisenden und mir eine Tour für jeweils 25 Euro an. Der Parkeintritt ist immerhin schon inklusive. 7:30 Uhr geht’s los. David empfiehlt Doro, Johanna und mir zum Abendbrot ein Steakhouse. Es wäre die beste Option für Vegetarier. Da freuen wir uns drei Vegetarier doch und sind schon gespannt auf die Karte. Es gibt Pommes. Salat, Gemüsepfanne und Suppe stehen zwar auf der Karte, aber heute nicht verfügbar. Nun gut. Wenigstens wurden unsere niedrigen Erwartungen erfüllt.

Für die Wanderung dürfen wir uns am Eingang des Nationalparks noch Handschuhe kaufen und dann rollt der Kleinbus auch schon an mehreren schneebedeckten Gipfeln immer weiter Richtung Cotopaxi. Serpentine für Serpentine. Der Untergrund ist Vulkangestein. Trotzdem gut zu befahren. Eigentlich. Wir stecken fest. Die Räder vergraben sich immer tiefer im Sand bis gar nichts mehr geht. Einige andere Autos halten an. Gemeinsam versuchen wir den Kleinbus nach oben zu schieben. Keine Chance. Letzte Hilfe ein Abschleppseil. Mittlerweile hat sich eine richtige Menschentraube versammelt und feuert fleißig an. Der Kleinbus bewegt sich ein Stück, ein weiteres Stück und ist befreit. Es kann weiter gehen. Bis zum Ende der Straße kommen wir nun problemlos. Von hier ist es eine weitere Stunde bergauf zu Fuß. Klingt machbar. Ist es auch, aber die Luft auf 4600 Metern ist doch etwas dünn und so werden die Schritte kleiner und die Pausen größer. Die Aussicht nebelverhangen. Ich rutsche im Gemisch aus schwarzer Vulkanasche und Schnee. Es geht ein kalter Wind. Dann endlich sehen wir das Refugio.

Von hier aus machen sich die Bergsteiger auf, die bis zum Gipfel auf 5800 Metern klettern. Dafür allerdings braucht man gute Kondition, Ausrüstung und Erfahrung. 50 Prozent schaffen es nicht. Unser Guide war bis 2002 mehr als 200 mal auf dem Gipfel. Dann hat er aufgehört zu zählen. Sein Leben sind die Berge. Wir laufen noch einmal weiter bis zu den Gletschern. Das Wetter wird ungemütlicher. Der Untergrund nun Eis und Schnee. Die Höhe erreicht meinen Kopf und mir ist ein wenig schwindelig. Vor ein paar Jahren war der Gletscher noch mehrere 100 Meter weiter unten.

Für einen Moment reißt der Himmel auf und die Sonne zeigt, wie schön das im Verborgenen ist. Weit oben erleuchten, von der Sonne in Szene gesetzt, die schönsten und skurrilsten Eisskulpturen. Es bleibt nur Zeit für ein Foto in unserer Erinnerung. Gut abgespeichert. Dann fällt der graue Vorhang wieder und wir rutschen langsam ins Tal. Aus den Schneeflocken werden schwere Regentropfen. Wir halten noch bei einer Lagune die sich in wunderbarer Kulisse vor einem Berg mit weißen Spitzen präsentiert.

In unserer Unterkunft wärmen wir uns mit heißer Schokolade dann geht es zurück nach Quito. Der Bus bis in die Hauptstadt ist schwer zu finden. Jeden, den wir fragen hat einen anderen guten Rat. Am Ende hält mit quietschenden Rädern ein klappriger Bus und wirft uns am Terminal Quitumbre aus.

Der Weg zum Cotopaxi war anstrengend. Seit ich ihn zum ersten Mal in Quito von Weitem bestaunen konnte, ein Ziel auf der Reiseliste und der Wunsch ihn von Nahem zu sehen. Wie es mit Erwartungen so ist, werden sie auch manchmal nicht erfüllt. Den glitzernden Schnee des Gipfels im Sonnenlicht habe ich nicht gesehen. Dafür einen rauen Riesen, der es seinen Bezwingern gerne schwer macht und sie auch mal im Nebel stehen lässt. Das Postkartenmotiv kann man eben nicht erleben.


Okt 12 2018

Der perfekte Tag

von Rosa

Kinder, wie die Zeit vergeht. Klingt abgedroschen und ist doch immer wieder wahr. Als ich an diesem Abend auf mein Handy schaue, leuchtet da in weißen Lettern der 12. September. Vor genau fünf Monaten bin ich los gereist. Fünf Monate Südamerika. Die Hälfte meiner Reisezeit ist um. Bergfest. Obwohl Bergfest feiert man ja eigentlich nur, wenn man daraufhin fiebert, dass etwas endet. Ich freue mich nicht auf das Ende. Genieße ich doch gerade viel zu sehr diese Reise. Natürlich gab es Situationen, da wusste ich nicht, ob ich so lange hier bleibe. Da gibt es Menschen und auch ein paar Sachen, die ich vermisse. Ich vermisse sie aber auch ein Stück weit gern, weil ich gemerkt habe ihren Wert noch mehr zu schätzen. Meine Reise hat mir nicht nur die Augen für Neues geöffnet, sondern auch meinen Blick geschärft für all das was schon lange in meinem Leben war. Das Licht fällt anders auf ein Bild, wenn man die Perspektive ändert.

Wir müssen einiges aufholen. Erst war Ronny krank, dann ich. Die Zeit bis zu seinem Abflug läuft davon und zumindest Ronny kann nicht ohne ein wenig Adrenalin zurück nach Deutschland. Wo könnten wir uns das besser einimpfen als in der Action-Hauptstadt Ecuadors: Baños. Also sagen wir Hello again zu unserer Abenteuerstadt. Baños 2.0. Noch am Abend unserer Ankunft begeben wir uns auf die Suche nach Anbietern für den Adrenalinrausch. Wir werden fündig: Brücken springen und Paragliding.

Der Wecker klingelt nicht. Ich drehe mich einmal, zweimal um. Es ist halb elf und wir sitzen am Tisch unseres Lieblingsladens: Ricoo Pan. Das heißt so viel wie sehr leckeres Brot und das ist es auch. Normalerweise bin ich vom Brot in Ecuador oder Kolumbien nicht so angetan. Meistens ist es süß oder süß und salzig. Nicht meine Kombination. Aber in diesem Brotladen gibt es Schwarzbrot, richtiges Schwarzbrot und Käse. Jeder Reisende kennt das Gefühl irgendwann an dem Punkt zu sein Heißhunger auf irgendetwas Bekanntes zu haben. Nicht selten ist es schnödes Schwarzbrot. Das Frühstück zieht sich über zwei Stunden hin, denn es gibt noch Eier, Pancakes, Obstsalat und frischen Saft. Lecker!

Gut gestärkt laufen wir zur Brücke. Dort warten schon zwei Männer mit Gurten. Der Sprung soll nur 30 Meter in die Tiefe gehen. Bis zur Schlucht in die wir gleich springen werden sind es fast 100 Meter. Es ist ratsam dabei nicht so oft nach unten zu schauen. Ronny besteht darauf, dass einer der beiden Männer zuerst springt, um sicher zu gehen, dass die Seile halten. Das ist natürlich kein Problem. Wir müssen wie ins Wasser am besten mit dem Kopf nach vorne springen. Ronny möchte trotzdem, dass ich als zweite springe, damit er noch sicherer sein kann, dass der Strick nicht reißt. Mir wird ein Gurt um meine Hüfte und Beine gelegt. Ich laufe langsam zur Kante. Schaue nur geradeaus. Ronny filmt mich mit seinem Handy und fragt nach letzten Worten. Hinter mir zählt jemand von drei runter.

Drei, Zwei, Eins. Ich springe. Einfach so. Doch was danach kommt ist schlimm. Ich habe das Gefühl: Jetzt ist es vorbei. Ich falle ins Nichts. So ein Gefühl hatte ich vorher noch nie. Doch ehe ich darüber Nachdenken kann, ob ich ein guter Mensch gewesen bin und wo ich jetzt wohl landen werde, stoppt das Seil mit einem Ruck und ich spüre einen Schmerz in meinen Oberschenkeln. Glück gehabt. Mir bleibt noch etwas Zeit für die letzte Frage. Ich schwinge am Seil noch ein paar mal hin und her und habe jetzt auch endlich Augen für die unglaubliche Landschaft in die ich gerade so kopflos gesprungen bin. Unter mir fließt das Wasser, links und rechts neben mir Felsen und am Horizont grüne Berge. Das Seil und ich pendeln über einem Felsvorsprung. Irgendwann lande ich sicher. Es bleibt ein gutes Gefühl und der Wunsch das Irgendwann zu wiederholen. Ronny springt nach ein paar Aufmunterungsversuchen auch. Als er wieder oben ankommt, will er am liebsten gleich nochmal springen, doch die Zeit ist knapp.

Wir kaufen noch schnell ein paar Souvenirs bevor es zum Paragliding geht. Im Kleinbus treffen wir Andrew aus Californien und Fernando seinen Schwager aus Ecuador. Eigentlich leben beide an der Küste und sind hier gerade im Urlaub. Der Bus fährt eine Stunde bis zu einem Berghang. Auf der Wiese stehen zwei Kühe, die sich von uns nicht beeindrucken lassen. Der Guide gibt uns eine kurze Einweisung. Beim Starten drei Schritte nach vorne rennen, wieder zurück und die Arme kreuzen. Ganz wichtig auch noch weiterrennen, wenn man eigentlich schon in der Luft ist. Das sieht zwar bescheuert aus, aber mit einem Paraglideschirm kommt man manchmal auch wieder schneller auf die Erde als einem lieb ist. Ronny darf als erster fliegen. Es funktioniert problemlos. Schon nach wenigen Sekunden schwebt er hoch in der Luft. Wir beobachten die bunten Schirme in der untergehenden Sonne.

Nach Andrew und Fernando bin nun endlich auch ich dran. Der Schirm bläst sich auf. Ich nehme Anlauf und schon bin ich in der Luft. Drücke meinen Sitz nach hinten und liege bequem in meinem Sitz. Der Kapitän hinter mir sagt: Willkommen in meinem Büro. Schöner Ausblick antworte ich lachend. Ich hänge in den Seilen hundert Meter über dem Boden und habe mich selten so sicher gefühlt. Der Schirm wackelt kaum in der Luft, nur wenn der Kapitän Wendungen unternimmt. Unter mir die kleinen Häuser sehe ich kaum noch wie sich die Autos bewegen. Viele Felder und riesige Berge. Hinter den Wolken versteckt sich der Tungurahua, ein immer noch aktiver Vulkan, der zum letzten Mal 2006 ausgebrochen ist. Das Besondere an diesem Flug ist, dass wir wieder zum Startpunkt zurückfliegen werden. Wir drehen noch ein paar Runden. Wirklich weit von unserem Startpunkt entfernen wir uns nie. Die Winde sind heute nicht ganz einfach sagt der Kapitän. Dafür klappt das alles aber gut, denke ich. Der Schirm senkt sich. Ich lasse nochmal den Blick über die Kulisse schweifen. Dann setzen wir zur Landung an. Über den Köpfen der Kühe. Ich laufe in der Luft bis meine Fußspitzen leicht den Boden berühren. Der Wind zieht den Schirm wieder nach oben und der Guide muss uns helfen anzuhalten. Dann stoppen wir und der Schirm fällt zu Boden. Auf der Wiese sind noch andere Flugschüler, die gerade lernen zu landen. Sie haben zwei Optionen. Entweder sie landen auf dem Arsch oder auf den Füßen. Letzteres birgt aber die Gefahr, dass der Wind sie wieder fortträgt und sie eine weitere Runde drehen müssen. Per Walki-Talki gibt der Kapitän Anweisungen an seine Schüler. Er kann die Winde auf seinem Smartphone beobachten. Als alles wieder Boden unter den Füßen haben geht es zurück.

Andrew und Fernando besorgen uns noch ein Taxi, denn wir wollen den Abend in den heißen Quellen über der Stadt ausklingen lassen. Eigentlich gehören die Quellen zu einer Hotelanlage und so müssen wir den Bademeister erst mal überzeugen, dass wir rein dürfen. Doch dann ist es kein Problem und wir stehen in weißen Bademänteln vor den kleinen Pools. Die meisten sind angenehm warm und beleuchtet. Wir steigen in den Whirlpool und bekommen ein Cocktail direkt an den Pool gebracht. Ungewohnter Luxus. Vom Beckenrand können wir auf die Lichter von Baños schauen. Der Anblick ist magisch. Es ist fast niemand mehr da und so nutzen wir die Gelegenheit und springen trotz Verbotes in die Pools. Wir werden ein bisschen schief angeschaut, aber das ist uns der Spaß wert.

Tatjana aus der Schweiz und ihr Freund Rico nehmen uns in ihrem Mietwagen zurück mit in die Stadt. In einer Bar erzählen sie uns, wie sie sich kennengelernt haben. Er war ihr Dozent und sie hat die Brandschutzverordnung nicht verstanden. Was für ein tolles Thema um sich zu verlieben. Aber scheinbar hat die Nachhilfe etwas gebracht. Tatjana arbeitet jetzt in Costa Rica bei einem Holzbauunternehmen. Wir tanzen noch ein bisschen Salsa und dann bewegt sich der große Zeiger langsam Richtung Zwölf. Wir schlendern nach Hause und fallen müde ins Bett. Mein Puls muss sich vom Tag etwas erholen und so denke ich noch ein bisschen darüber nach was wohl in den nächsten fünf Monaten vor mir liegt. Langweilig wird es wohl nicht. Bald geht es in den Süden. Ich bin gespannt mein Südamerika.

Am nächsten Tag beim Schwarzbrotfrühstück herrscht zwar keine Katerstimmung, dafür Abschiedsstimmung. Für Ronny geht es zurück nach Deutschland. Er fliegt am Abend von Quito. Auch wenn der Start mit der Krankheit alles andere als optimal verlief, war die kurze Zeit umso schöner. Eine kurze Umarmung, dann rollt der Bus los. Ich bleibe hier, denn es gibt noch viel zu erleben.  Da bin ich sicher.


Okt 3 2018

Die blaue Lagune

von Rosa

Ecuador ist für mich wie bisher kein Zweites ein Land der Gegensätze. Besonders was die Natur betrifft. Gerade noch lag ich am Strand unter Palmen und nun befinde ich mich auf 4000 Metern Höhe. Der Wind pfeift mir um die Ohren, es ist kalt und mit jedem Schritt fällt das Atmen schwerer.

Mit einem Pickup-Truck werden wir vom Ort Zumbahua nach Quilotoa gebracht. Drei Stunden südlich von Quito ist die Infrastruktur etwas schwächer ausgeprägt. Die erste Herberge im Ort soll auch schon eine der besten sein. Für neun Euro pro Person dürfen wir in großen Betten in einem Zimmer mit Ofen übernachten. Zum ersten Mal sehe ich in Südamerika so etwas wie eine Heizung und ich bin positiv überrascht. In der Herberge arbeiten zwei junge Frauen mit schwarzen Zöpfen, Rock und Hut. Es ist die traditionelle Kleidung, die man hier bei jung und alt finden kann.

Nach einer kurzen Aklimatisierungspause wollen wir zur Lagune Quilotoa. Es sind nur ein paar 100 Meter, dann eröffnet sich das blaue Meer auch schon vor unseren Augen. Umschlossen von einer Bergkette liegt der See ruhig in einem ehemaligen Vulkankrater.

Das Wasser wechselt die Farbe je nach Tageszeit. Im Moment ist es fast grün. Bis zum See selbst geht es eine Stunde nach unten. Der Untergrund ist rutschig, er besteht nur aus Sand. Ich freue mich schon jetzt auf den Aufstieg. Der Quilotoa-Loop ist eine berühmte Wanderroute die über drei Tage bis zur Lagune führt. Uns reicht allerdings schon die Wanderung zur Lagune. Unten angekommen, kann man sich ein Kanu ausleihen und über den See paddeln. Doch wir sind für diese Aktivität zu spät. Also gönnen wir uns einen Schokoriegel und genießen die stillen Wellen des Wassers. Der Weg zurück ist wie erwartet anstrengend. Immer wieder rutschen meine Füße zurück und ich muss Pausen machen, um zu atmen. Ein Mädchen kommt mit ihren Eseln vorbeigeritten und fragt uns ob wir aufsteigen wollen. Wir versuchen zu verhandeln. Doch nichts zu machen. Die taffe Zehnjährige beharrt auf ihren neun Euro. Auch wenn wir schon die Hälfte der Strecke geschafft haben. Besonders Ronny ist immer wieder überrascht, dass die Menschen hier so wenig zum Handeln bereit sind. Ich habe mich schon daran gewöhnt. Mehr verwundert bin ich darüber, dass eine Zehnjährige hier arbeitet. Auch in den Geschäften und Hostels in Quilotoa arbeiten 15-Jährige. Unsere Füße tragen uns dann doch besser als unser Kopf vermutet und so sitzen wir schneller beim Abendbrot als erwartet.

Zu späterer Stunde sitzt die ganze Familie der Hotelbesitzer um den Ofen und versucht sich ein Stück weit zu wärmen. Doch auch hier hat die technische Revolution Einzug gehalten und alle starren auf ihre Smartphones. Selbst die Alten schauen gebannt auf die Bildschirme ihrer Enkel. Die kalte Dusche am Abend ist bei fünf Grad Außentemperatur eine besondere Herausforderung. Zum Glück wärmt das Federbett schnell. Schlafen können wir trotzdem nicht. Erst in den frühen Morgenstunde finde ich in den Schlaf. Ich habe schon öfters gehört, dass einige bei dieser Höhe Probleme haben einzuschlafen. Die anderen Reisenden versichern uns am Frühstückstisch, dass sie wie Steine geschlafen haben. Etwas müde wollen wir uns noch einmal die Lagune anschauen, um zu sehen, ob sich die Farbe verändert hat. Obwohl wir nun viel früher als gestern dort sind, werden wir enttäuscht. Der Anblick lohnt dennoch ein zweites Mal. Auf dem Rückweg zum Hotel ziehen uns die flauschigen Alpaka-Pullover an und wir verfallen in einen regelrechten Schoppingrausch. Es gibt verschiedene Muster, allen gemeinsam: Sie sind unglaublich warm und sehr sehr flauschig. Bei der Kälte hier behalten wir unsere Errungenschaften gleich an.

Aufgrund der Kälte und den Schlafproblemen verwerfen wir erst mal den Plan direkt zum Cotopaxi zu reisen und entscheiden uns spontan noch einmal nach Baños zu fahren und uns in den heißen Quellen aufzuwärmen.


Okt 1 2018

Wassersprünge und Flügelschläge

von Rosa

Man sieht sich immer zweimal im Leben. Bei manchen Personen freut man sich da mehr, bei anderen weniger. Bei Puerto Lopéz ist der Fall klar. Ich freue mich riesig die Perle am Pazifik wiederzusehen. Die verschlagene Bucht, die Fischerboote und die Palmen. Mein Flecken Paradies. Alles sieht noch genauso aus wie vor zwei Monaten. Naja fast, es sind nochmal weniger Touristen auf den Straßen zu sehen. Perfekt. Es ist schon dunkel als uns das kleine Motortaxi vom Busbahnhof zum Hostel bringt. Diese Nacht verbringen wir in einer Art Baumhaus. Liebevoll wurde das Hostel auf kleinen Holzstegen errichtet. Bevor ich einschlafe, höre ich das Meeresrauschen. Vertraut und immer wieder schön.

Wie ein Kind am Weihnachtsmorgen, wache ich am nächsten Tag auf. Wir werden heute mit großer Wahrscheinlichkeit Wale sehen. Auch, wenn ich etwas Angst vor der Bootsfahrt habe, freue ich mich wie ein Honigkuchenpferd. Am Pier treffen wir unsere Supermarktbekanntschaften Vincent und Moritz wieder. Im Moment lernen wir Menschen meistens dadurch kennen, dass Ronny fragt, ob sie denn Doppelkopf spielen können. Dabei fragt er direkt drauf los, egal ob die Hotelbesitzerin oder der weiße-Socken-Sandalen-Tourist (was für mich eher ein Erkennungsmerkmal wäre). Er tut dies mit einer Freude und Begeisterung, dass die meisten Befragten fast beschämt sind, wenn sie das Spiel nicht kennen. Zu meiner Verwunderung kennen es aber tatsächlich fast 30 Prozent der Angesprochenen. Allerdings niemand, der nicht ein paar Jahre in Deutschland gelebt hat. Das spricht wieder für meine Sandalen-Theorie. Unser Ziel ist es mindestens einmal im Urlaub Doppelkopf zu spielen. Allerdings brauchen wir noch zwei Mitspieler und an der Zahl zwei scheitert es meistens. Ich nehme es vorweg: Wir werden es nicht schaffen. Obwohl, eine Lösung haben wir dann doch noch gefunden. Was tut Mensch im 21. Jahrhundert, wenn er etwas im Leben nicht bekommt? Richtig, er besorgt es sich im Internet. Also eine Doppelkopf-App muss her. Unsere beiden Online-Mitspieler haben eher einen mürrischen Blick drauf und sind weniger verlässliche Mitspieler wie manche erst nach vier Bier. Das Bier schmeckt zum Smartphone-Spiel dann leider auch nicht so gut. Einen Vorteil gibt es trotzdem. Man muss keine Angst haben, dass die Mitspieler einem in die Karten schauen.

Zurück zu den Walen. Die wollen erst mal nicht auftauchen. Dafür kommt mit jedem weiteren Wellengang die Übelkeit. Das Gefühl der Übelkeit und Schlechtseins entsteht durch eine Dissonanz zwischen Gesehenem und Erlebtem. Also mir wird schlecht, da ich sehe, dass ich mich bewege. Ich mich allerdings nicht wirklich bewege, sondern in diesem Fall mich das Boot bewegt. Ein Trick ist zu schlafen. Schwierig, denn mir spritzt permanent kaltes Wasser ins Gesicht. Der zweite Trick, in Gedanken die Bewegungen mitzugehen. So stelle ich mir vor wie ich mit den Wellen auf und ab wiege bis ich plötzlich ein lautes „Wooow“ höre. Na super, denke ich, im Wellentrance den ersten Wal verpasst. Ganz genau genommen, kommen jedes Jahr zwischen Juli und September Buckelwale so nah an die Küste, um ihren Nachwuchs zu gebären. Das Wasser ist hier wärmer. Allerdings gibt es nicht genug Futter für das gesamte Jahr. Doch jetzt sind sie erstmal da.

Einmal, zweimal, dreimal springt ein Wal gerade nach oben und lässt sich wieder fallen. Es sieht zugeben immer etwas schwerfällig aus. Die männlichen Tiere versuchen die Weibchen entweder durch ihre Sprünge zu beeindrucken oder dadurch, dass sie möglichst lange tauchen können. Bis auf 20 Meter kann das Boot heranfahren. So ist es für beide Seiten ungefährlich. Neben den Männchen springen auch immer wieder Jungtiere aus dem Wasser. Nur zum Spaß sagt unser Guide. Vincent und Moritz hängen an ihren Smartphone und Spiegelreflexkameras um den perfekten Moment einzufangen. Ich genieße das Spektakel lieber ganz analog.

Die Walbeobachtung ist nicht der einzige Höhepunkt des Boottrips. Wir fahren noch zur „Isla de la Plata“. Ihren Namen hat sie von ihren Bergen, die im Sonnenlicht silber scheinen. Ein anderer Name der Insel ist Klein-Galapagos oder Galapagos für Arme. Na wenn das nichts für uns ist. Auf der Insel brüten verschiedenste Vogelarten. Am präsentesten sind die Blaufußtöpel. Mit ihren hellblauen Füßen sind sie leicht zu erkennen. Blaufußtöpel legen zwei Eier im Jahr und sowohl Männchen als auch Weibchen brüten die Eier aus, während sich der andere auf Futtersuche begibt. Nur ein Neugeborenes wird aufgrund der Futterknappheit überleben. Die Insel wirkt unberührt, obwohl in den Hauptzeiten ihr mehr als 100 Touristen einen Besuch abstatten. Ein raues Paradies mitten im Nirgendwo. Aber auch in das Nirgendwo können Menschen vordringen und die Blaufußtöpel sind teilweise von den Touristen irritiert. Selbst wenn die Guides größten Wert darauf legen den Tieren nicht zu Nahe zu kommen und in verständlicher Weise auch schon Kindern erklären, dass der flauschige Jungvogel kein Kuscheltier ist.

Nach dem Inselrundgang gibt es Mittagessen auf dem Boot und wir können uns eine Schnorchelausrüstung ausleihen. Ich schlucke ein paar mal Salzwasser und tauche durch kleine Fischschwärme. Unter mir sehe ich immer wieder bunte Fische vorbei schwimmen. Da gibt es nachtblaue mit neongrüner Schwanzflosse, feuerrote mit weißen Spitzen und schwarze mit weißen Punkten. Die Vielfalt ist beeindruckend. Wie aus dem Nichts ziehen zwei Riesenschildkröten vorbei. Sie sind beide mindestens einen halben Meter lang und schwimmen langsam und elegant an einem Korallenfelsen vorbei. Ich könnte Stunden an diesem Ort verweilen. Doch das Boot will weiter und 40 Kilometer schwimmen ist mir dann doch etwas zu weit. Die Bootsfahrt zurück ist kalt. Nach einer Stunde bin ich froh wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Moritz und Vincent laden uns noch nach Montanita zum Party machen ein. Doch mir ist auch schon ohne übermäßigen Alkoholkonsum zum Übergeben. Am Abend tritt das auch ein und ich verbringe die nächsten drei Tage im Bett. Ob nun ein Sonnenstich, schlechtes Essen oder ein Infekt dafür verantwortlich waren, weiß ich bis zum Schluss nicht.

Von einer Reisenden haben wir von einer Schildkröten-Auffangstation gehört. Dafür laufen wir 20 Minuten am Strand bis fast ans Ende von Puerto Lopéz. Da wo es an der Steilküste nicht mehr weiter geht. Dort steht eine Art große Halle mit mit zwei Meter breiten Becken. In diesen Becken befinden sich verletzte Riesenschildkröten. Einigen sieht man ihr Leiden an, anderen nicht. George erklärt uns, warum die Tiere hier sind. Die meisten haben entweder Plastik gefressen, das sie nicht verdauen können und das operativ entfernt werden muss oder sie haben eine Kopfverletzung durch die Propeller der Motorboote bekommen. Die Wunden an den Köpfen sind tief. Die Patienten werden in der Station ernährt und gesundheitlich versorgt. Ein Pilotprojekt der ecuadorianischen Regierung. Freiwilligenarbeit kann man hier auch ableisten. Im Schnitt werden die Tiere nach sechs Wochen wieder ausgesiedelt. Aus einem Becken läuft Wasser über den Rand. Die Schildkröte darin paddelt wild um sich. Sie sieht den Beckenrand nicht, erklärt George, und legt einen Stein an den Rand. Sofort hört das Paddeln auf. George und sein Team arbeiten mit Gegebenheiten, welche die Schildkröten aus ihrem natürlichen Umfeld kennen. Die Umstellung plötzlich in einer anderen Umgebung zu sein ist groß genug. Ob das Projekt nach Jahresende weiter finanziert wird ist noch unklar. Wir drücken fleißig die Flossen.

Wieder einmal verlasse Puerto Lopez ein bisschen wehmütig. Aber wie heißt es so schön: Aller guten Dinge sind drei. Also vielleicht auf Bald, mein kleines Paradies am Meer!


Sep 13 2018

Die Odyssee zum Strand

Von Karl

 

Vor kurzem bin ich von einem befreundeten Peruaner gefragt worden, was ich denn vermissen werde, aus Lateinamerika, wenn ich zurück in Deutschland bin. „Vida sin Planes“ Das Leben ohne Pläne. Das ganz spontane Leben. Unbemerkt hat sich dieser Lebensstil eingeschlichen und als ich in Machachi aufbreche merke ich ganz deutlich, dass ich ihn schon lebe und erst später lerne ich ihn in Worte zu fassen. Kurz gesagt: Auch gut.

Ich geh also zur Panamericana, der Hauptachse Ecuadors, die auch direkt durch den Ort geht und stelle mich auf die richtige Straßenseite. Kaum hab ich den Rucksack abgestellt, blinkt mich auch schon ein großer Reisebus an. Eigentlich will ich nach Riobamba, aber dieser fährt nur bis Ambato. Auch gut. Ich spring schnell in den gewohnt ungeduldigen Bus. Ich denke ich müsse viele Umsteige machen, aber schon in Ambato finde ich wieder erwartend mehrere Verbindungen an die Grenze nach Peru. 10 Stunden fahrt. Auch gut. Leider bedeutet dies gegen 11:30 nachts im Zentrum von Huaquillas herauszupurzeln. Als einziger. Doch wie immer, steht auch hier schon direkt ein Taxifahrer bereit. Auch gut. Ich will verhandeln, er will nicht. Komisch. Erst später erfahre ich, dass es festgelegte Preissätze gibt.

Also rein ins Taxi, raus aus der Stadt, den kühlen Fahrtwind in der Hand, zurück auf die Panamericana, die am Ort vorbei zur Grenze führt und direkt zur Grenzbehörde Ecuadors. Er könne nicht nach Ecuador fahren, ich solle einfach dort warten. Dann bekommt bestimmt mal ein Taxi. Ich schau mich um. Zur Zeit sehe ich kein Taxi weit und breit. Auch gut. Ich hol mir also den Stempel für die Ausreise. Draußen wurden große Wasserspender aufgebaut, vermutlich vom Roten Kreuz oder den Vereinten Nationen wegen den vielen flüchtenden Venezolaner*innen. Aber auch ich kann mein Vorrat auffüllen. Gerade kommen nicht mehr so viele, weil seit neusten Ecuador die Vorlage eines Reisepasses verlangt und den haben die meisten nicht.

Ich suche also eine geeignete Wartestelle und hab kaum mein Rucksack abgestellt, kommt ein Taxi angeschlichen. Ab geht‘s nach Peru. Ich frag den Fahrer ob er die Nordküste Perus kennt und was er empfehlen kann. Er meint Mancora wäre das beste. Wenn er das sagt, musst das ja gut sein. Jetzt hab ich auch ein Ziel. Auch gut. An der Grenzbehörde Perus hol ich mein Einreisestempel und mische mich unter die wartenden Venezolaner*innen. Schnell werde ich von einem Taxifahrer identifiziert und mir direkt eine Fahrt nach Tumbes angeboten. Da will ich auch hin, aber erst nach mehrmaligen Wiederholen begreift er, dass ich die übliche Sammel-Taxi-Variante möchte. Das heißt, wenn alle Sitze belegt sind, fahren wir los und dann wird der Gesamtpreis geteilt. Es ist gegen 1 Uhr nachts. Das Warten beginnt. Auch gut. Nach einer halben Stunde wird ihm das zu viel und ich muss mein Rucksack wieder ausladen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Enttäuschung umso größer ist, je größer der Eifer war als er mich als vermeintlich reichen Ausländer aufgelesen hatte. Das ich aber nicht mehr zahlen möchte als jede*r andere, scheint ihn zu frustrieren. Auch gut.

Irgendwann kommt dann eine Peruanerin, die es eilig hat. Ich argumentiere so lange, dass ich es nicht eilig habe und ja warten könne, bis die Frau bereit ist, 5 der 10 Dollar zu bezahlen. Anfangs sollte ich noch 7, 6 und dann 5,70 bezahlen.

Es geht los, aber ich denke, dass ich vielleicht doch einen anderen Weg hätte wählen sollen. Der Fahrer ist extrem müde und das Auto kommt mehrmals verdächtig nahe an die Ränder. Ich such den Sicherheitsgurt. Diesmal ist einer da. Diesmal. Auch gut. Mal wieder geraten wir in eine Polizeikontrolle und zum ersten Mal in Südamerika werde ich auch zum Thema. Als sie aber mein verschnürrten Rucksack sehen, belassen sie es dann doch bei der Frage ob ich Drogen dabei habe. Auch gut. Während die Peruanerin einmal komplett durchwühlt wurde.

An einer Busfirma haut uns der Fahrer raus und ich bekomm‘ ein Platz im Bus gen Lima. Noch mitten in der Nacht hält er in Mancora und ich steh an einer Straße mit ein paar Moto-Taxen, diesen dreirädigen überdachten Motorrädern. Erst versuchen wir es bei dem bekanntesten Hostel nebenan, aber die sind voll und zudem im Partyfieber. Dann werden mir direkt sämtliche Drogen angeboten. Ich finde dann eine Unterkunft und zum ersten Mal eine mit Pool. Auch gut.

Der Typ an der improvisierten Rezeption erklärt mir gar nix und die nächsten Tage bleiben schleierhaft. Ich genieße den nahen Strand.

Wirklich nur eine Minute entfernt. Ist das Wasser ruhig sind hunderte Seesterne im Wasser. Mehrmals gehe ich in die schönen Fluten. Als der Wind aufdreht kommen die Kite-Surfer*innen. Doch die Wellenreiter*innen bleiben draußen. Das kühle Wasser bleibt wunderschön. Gebaut wurde in der Touri-Hochburg bis an den Strand und nur bei Ebbe sind alle Bereiche miteinander verbunden. Die Preise in den Läden sind seeseitig der Hauptstraße gepfeffert. Schnell ist mensch aber auch rausgelaufen aus dem Ort und findet ruhige Stellen mit Dünen und tollem Sonnenuntergang. Im Meer schauckeln Fischerboote, die nächste Einnahmequelle in der Region. Ansonsten bleibt hier nur noch Wüste.

 


Sep 11 2018

Das Warten auf das Steigeisen

von Karl

 

Nach nicht einmal einer Stunde steig ich in Machachi aus. Als einziger bin ich bis zum Busbahnhof gefahren, der eher ein Busparkplatz sein könnte. Nach einem ersten gescheiterten Versuch, finde ich doch noch eine nette Unterkunft. Allerdings meint der Betreiber, dass es gerade ruhig sei. Die Unterkunft gleicht einem Kloster. Weiße Wände, dunkelbraune Holzbalken, Tische, Stühle, Zimmer, alles sehr alt. Viele jahrhundertealte Relikte an den Wänden. Uralte Reiseführer auf den Tischen. In eines der Bücher hat jemand auf spanisch reingeschrieben: „Dieses Buch ist schon lange veraltet. Im Jahr 2008.“ Neben den Büchern liegt noch ein Stapel Bibeln. Alles im Allem habe ich aber auch meine Ruhe dadurch. Auch wenn ich nachts als einziger durch die Gänge streifen kann. Die Ruhe passt zu meiner Tätigkeit: Warten. Abends erst soll der Bergführer vorbeikommen. Agenturen gibt es nicht. Wer hätte das ahnen können.

Ich mach einen Rundgang durch das sonntägliche Machachi und bin positiv beeindruckt. Bei schönsten Wetter wird die Stadt durch imposante Wolken und Berge umrandet. Der Markt ist riesig und LKW-Ladungen werden verladen und auf dem weitläufigen Markt verkauft. Aus der ganzen Region Mejía kommen die Bäuerinnen und Bauern. In harter Arbeit wird alles mögliche angebaut. Sonntags sind alle am Kaufen und Verkaufen dann auf Machachis riesigen Markt. Der allergrößte Bereich ist für Gemüse, Kräuter und Obst vorgesehen. Aber auch Fleisch, Obst und alle möglichen Haushaltswarten werden verkauft. In einer Ecke werden nur Eier verkauft. In den benachbarten Straßen, bis zum Busbahnhof, ist zudem Wollmarkt, weil Sonntag ist. Mützen, Schuhe, Kleidung und vieles mehr kann nun zu günstigen Preisen erworben werden. Gerade hier sind die Preise locker unter dem des Supermarktes. Da ich ja die Küche für mich habe, koche ich umfangreich mit dem leckeren Zeug vom Markt. Nur das ich alleine im Speisesaal sitze gibt mir wieder das Gefühl ein Mönch zu sein. Ein Mönch mit Wifi.

Cotopaxi

Der Bergführer, Xavier, stellt sich als junger und zuvorkommender Vater vor. Er erzählt mir nicht nur alle Details zur Tour auf Iliniza und Cotopaxi, sondern auch wie ich weiterkomme und wir quatschen wenn wir uns in der Straße begegnen. Ich hab hohes Vertrauen und glaube, dass er mich zum Gipfel bringt. Nur muss jetzt Sam, der zweite im Team noch kommen. Etwas zögerlich, aber dann gibt er sein „Go!“. Im letzten Moment, weil ich weiter nach Peru muss und nicht mehr länger warten kann.

Ich habe also erneut Zeit hinzubekommen und mache eine Wandertour. Nicht ganz klar wohin, laufe ich gen Naturschutzgebiet und werde von einem geteilten Taxi bis nach „Santa Ana de Pedregal“ gefahren, was lokal auch nur Santana oder Pedregal genannt wird. Von dort setze ich meine Wanderung durch die karge Steppe fort. Der Wind pfeift kalt, aber gleichzeitig sticht die Sonne. Wolkenfetzen ziehen in knapper Entfernung über die Hochebene oder kleben an Gipfeln. Das Gras wächst in flachen Büscheln, gelblich. Ich komme an den Eingang zum Naturschutzgebiet. Warntafeln erklären was zu tun ist beim Ausbruch des Cotopaxi. Dieser liegt nun direkt vor mir. Ich folge dem Weg und erreiche nach Stunden die Straße zur Berghütte. Ich kann schon die Serpentinen sehen, die an dem idealen Kegel emporschlengeln. Die Gletscher sind deutlich zu sehen. Zwischen schwarzsandigen Fußbereich und weißem Schnee befinden sich rote Felsenbereiche. Je höher ich komme, desto weniger Bäume und desto flacher die Pflanzen. Auch große und kleine Steine sind überall verstreut. Der Cotopaxi ist nicht nur sehr schön, er ist auch einer der aktivsten und höchsten Vulkane der Welt. Ecuador hat nur einen noch höheren Berg bzw. Vulkan: der Chimborazo. Weiter als bis zum Fuße des Cotopaxi schaffe ich es nicht, denn gegen Mittag muss ich den Rückweg anzutreten. Nicht ohne einen siegesgewisses Lächeln. Ab Pedregal fährt übrigends auch ein Bus für 60 Centevos nach Machachi. Der altersschwache Bus ist eine wahre Rüttelmaschine auf dem Kopfsteinpfaster, das die Ortschaften verbindet.

Zurück im „Kloster“ erwarte ich Sam, doch der ist nicht da. Ein Blick in die Mails lässt den Traum zusammenbrechen. Zwei Wochen Anlaufschwierigkeiten scheitern jetzt an Sams verletzten Knie. Er kann sein Bein kaum bewegen. Ich kann nicht verschieben. Gleichzeitig bekomme ich kein Geld von der Anzahlung wieder (160 US-Dollar). Der Guide hat es schon für Reservierungen und dergleichen ausgegeben. Er selbst hat nun das Problem, in der Zeit keine Arbeit zu haben und damit kein Geld zu verdienen. Mit unserem Frust stehen wir eine gute halbe Stunde gegenüber, aber wir finden keine Lösung. Keine die ich bezahlen könnte.

Ich brauch also eine andere Lösung:

Weg von hier.

Mach‘s gut Ecuador!

Surfbrett statt Steigeisen!


Sep 1 2018

Atemberaubender Gipfel

von Karl

 

Der Wind steigt aus der Tiefe des Tals entlang des Berghangs nach oben. Auf einer unsichtbaren Höhengrenze beginnt er milchig zu werden. Als wenn etwas Milch ins Wasser gerät. Doch was sich vor mir, direkt am Berghang sitzend, auf Augenhöhe und zum Greifen nah abspielt, ist, dass sich eine neue Wolke bildet. Immer mehr und mehr weiße Watte bildet sich und gerne würde ich in die Watte greifen und mit ihr aufsteigen. Gebannt schaue ich auf das Naturschauspiel und merke die Zeit nicht mehr.

Eben bin ich den Sandhang vom Gipfel hinunter geschlittert. Die letzten hundert Höhenmeter zum Rucu Pichincha musste ich aufwärts ein Sandfeld umklettern, was aber abwärts es umso leichter macht. Die allerletzten Meter sind allerdings felsig und es muss mit allen Vieren geklettert werden. Jede Bewegung nach oben, jeder Schwenk mit dem Kopf von unten nach oben oder zurück, verursacht schon massives Herzrasen. Mit der Seilbahn bin ich aus Quito auf knapp 4000m Höhe gefahren. Von diesem Erlebnis und vielen weiteren Highlights in Quito habe ich schon vor Wochen berichtet, als wir gen Norden unterwegs waren. Von der Bergstation aus führt ein Weg, mal steil, mal gemächlich zum Fuße des Rucu Pichincha. Dann eine Weile parallel zu seinen Felsen, vorbei an Höhlen, bis dann der besagte steile Anstieg erfolgt. Schon dort sind schnelle Bewegungen zu viel. Wenn ich das übertreibe, werde ich benommen und merke wie mir das Bewusstsein entgleitet. Also mache ich langsam. Diese Höhen sind neu für meinen Körper und Akklimatisierung braucht seine Zeit.

Als dann der letzte Meter überwunden wurde bestaune ich erst das Schild mit den 4690m. Das ist vielleicht der Höchste Punkt an dem ich auf dieser Reise komme. Zumindest bewusst. Aber dann erfolgt das zweite Mal, dass mir fast der Atem weg bleibt. Ein gigantischer 360Grad-Blick eröffnet sich mir. Lediglich der etwas höhere Brudergipfel Guagua Pichincha unterbricht den fantastischen Ausblick. Vor mir breitet sich die Millionen-Metropole Quito aus. Die gesamte Länge dieser unfassbar langgezogenen Großstadt ist gut zu erkennen. Nachbarortschaften inklusive. Flugzeuge sind kaum zu erkennen und fliegen tiefer als ich. Die Gebirgskette hinter Quito liegt in Wolken und wird unterbrochen von drei weißen Kegeln. Den Cayambe, den Antisana und den Cotopaxi. Die Vulkane heben sich nur durch ihre Form von den weißen Wolken ab. Immer wieder werden sie verdeckt, um wenig später wieder frei zu stehen. Es ist ein grandioser Anblick und insbesondere der Höchste der drei, der Cotopaxi, erstrahlt in seiner ganzen Schönheit. Ein alleinstehender Vulkankegel der weit über die 5000m hinausgeht.

Hinten der Cotopaxi, vorne Quito

Er gilt als technisch einfach zu besteigen und gilt als meist-bestiegener Berg Südamerikas. Wenn das mal nicht nach einer meisterbaren Herausforderung klingt. Ich mach mich also in Quito ans Werk: online wie offline lege ich viele Meter hinter mir und frage unzählige Agenturen und Leute. Ich brauche ein gutes Angebot inklusive der ganzen Sachen die für einen Bergbesteigung nötig sind. Anerkannte*r Bergführer*in, Gletscherausrüstung, Wintersachen, Transport, Verpflegung, etc. Auch die Familie, die mich aufnimmt nutzt ihre Kontakte und telephoniere mit deren Telephon mit der Freundin der Mutter. Doch gute Angebote sind Fehlanzeige, weil ich alleine bin. Die Preise schwanken zwischen 6 und 900 USDollar. Ich suche eine Agentur, wo zufällig gerade noch ein*e andere*r allein anfragt und wir so den Preis halbieren können.

Ich muss euch noch die Familie vorstellen. Eingeladen hat mich Camila, PR-Studentin im letzten Semester, die mir ihrer Familie vor einem Jahrzehnt aus Bogotá nach Quito kam. Wir quatschen viel, wenn es die Zeit zulässt. Über Sexismus in den beiden Ländern. Z.B. dass Schulen Mädchen verpflichten kurze Röcke und hohe Schuhe als Schuluniformen zu tragen, die äußerst unpraktisch sind. Sprüche und Übergriffe in Bussen. In allen Bussen und Haltestellen ist eine Hotline ausgehängt, bei der sexualisierte Übergriffe gemeldet werden können. Dass Clubs an ihren Eingängen die Menschen nach ihren Aussehen bemessen und daraufhin die Preise festlegen. Hübsche Frauen kommen oft kostenlos rein. Wer nicht ins Raster passt, zahlt mehr. Sie erzählt auch vom Erdbeben 2016. Viele Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung nicht geschult ist, was sie im Ernstfall tun sollte. Die Armensiedlungen entstehen meist informell und gebaut wird je nach Einkommenslage. Viele der Randsiedlungen Quitos würden einem Erdbeben kaum stand halten. Selbst Erdbeben unterscheiden zwischen Arm und Reich. Eine*n Architekt*in, der ein erdbebensicheres Haus konstruiert, muss mensch sich halt leisten können.

Aber auch Musikempfehlungen teilen wir. Die Familie würde mich auch rund um die Uhr mit allen Mahlzeiten versorgen. Oder schaut neugierig auf mein Teller, wenn ich mal essen mache. Ich probiere Tacso- bzw. Curubá-Saft. Eine Frucht die geschmacklich der Maracuja nahe kommt. Die kolumbianische Heiße Schokolade mit Käse als Topping nennt der Vater „Chocolate Santa Fereño“. Der Bruder von Camila, Miguel, hat sogar sein Zimmer geräumt und ist zur Schwester gezogen, damit ich ein Zimmer habe. Ich fühle mich aufgenommen und fast schon zu sehr umsorgt. Ich will was zurückgeben und mache Eierkuchen für alle. Als sie freudig schmatzend am Tisch sitzen, erzählen sie von ihrer Lieblingsspeise: Arepa mit Käse. Mich verführt der Maisfladen nicht so sehr. Als ich erkläre, dass Eierkuchen eigentlich in allen Ländern gibt (Pancake, Crepe, Palatschinken, …) und mit allen möglichen gegessen werden können – ich habe frischen Apfelmus mit Zimt und Rosinen serviert – kommt auch schon eine typisch kolumbianische Süßspeise auf den Eierkuchen: (aufmerksame Leser*innen können‘s sich denken) Käse. Vielleicht ist das eine Marktlücke … süßer Eierkuchen mit Käse in Kolumbien verkaufen …

Bevor ich aber zur Camila kam, verbrauchte ich meine Zeit bei Nancy. Dazu muss ich sagen, dass ich auch viel Zeit im Bus verbrachte. Quitos Bussystem begann ich zu hassen, nachdem ich öfters 3 oder mehr Stunden verbracht habe um von einem zum anderen Ort zu kommen. Da sind selbst die BVG schnell. Gegen 17 Uhr werden schon erste Hauptverkehrsachsen dicht gemacht. Busse außerhalb der drei Achsen fehlt jede Information, damit Nicht-Einheimische sich vorstellen können wohin der Bus vielleicht fährt. Es mag zwar günstig sein, mit 25 Centavos, aber wenn ich diese 6mal am Tag zahle, wird’s langsam teurer. Busse in Vororte fahren teils von benachbarten Terminals ab und haben eigene Preise. Auch mein Umzug von Nancy zu Camila war von vier Stunden geprägt. Im falschen Stadtteil angekommen, wurde mir mehrmals gesagt: Ja, hier ist Condado, aber Condado liegt weiter unten. Etwas ist hier und gleichzeitig wo anders. Dieses Rätsel grenzt an philosophischem Wahnsinn. Sollte mein trainiertes Öffis-Können auch da versagt haben, so kam der berühmte Funken Glück ins Spiel und ich fand doch noch das Ziel.

Nancy ist 50 Jahre und hat zwei Kinder die in Deutschland oder Österreich studieren oder dies anstreben. Da sie ihren Mann rausgeschmissen hat, bewohnt sie ihre große Wohnung alleine. Die Kinder sind gerade auf Urlaub in Ecuador, aber kamen erst an meinen letzten Abend. Die Oma und die Schwester leben noch auf dem Grundstück. Abends saßen wir bei Kaffee zusammen und unterhielten uns lange. Ja, Kaffee wird in Ecuador und Kolumbien gern und zu jede*r Uhrzeit getrunken. Es wird eher wie Tee gehandhabt. Als sie den alten Kaffee mit etwas Wasser verdünnt und dann in der Mikrowelle erhitzt, werden alte WG-Erinnerungen wach. Sie brachte uns auch heimisches Abendbrot mit, allerdings trifft auch das nicht meine vollste Begeisterung: Mais-Käse-Teig in Maisblättern eingewickelt oder einfach nur Mais zum Abknabbern mit Salz und Frischkäse. Dabei meine ich nicht den in Deutschland üblichen Mais, sondern immer den weichen weißen großen Mais. Sie erzählt von ihren Vater, der schon seit über 39 Jahren Tod ist, aber in offiziellen Registern als lebend geführt wird. An vergangenen Abstimmungen hat er laut Register teilgenommen – obwohl er Tod ist. So geht Wahlmanipulation in Ecuador. Auch meinte sie, dass für das Wählen Gehen sie Dokumente erhält, die sie für größere Käufe oder Auslandsreisen benötigt. Diese anderweitig zu bekommen bedeutet lange bürokratische Umwege. Deswegen gehen viele lieber wählen.

Eine Agentur hat mittlerweile mich mit einem zweiten Menschen verbunden. Uns ist das aber zu teuer und wir vereinbaren gemeinsam weiter zu schauen. Mehrere Agenturen geben als Standort Machachi an, einen kleinen Ort eine Stunde südlich von Quito. Ich mach mich also dran, dorthin zu reisen um dort meine Recherchen fortzuführen. Vorher muss ich aber verlängern, weil Camilla mich noch zu ihrer vorgezogenen Geburtstagsfeier einlädt. Mit einigen Freund*innen von ihr gehen wir erst Vorglühen. Shots sind die Mittel der Wahl. Im Anschluss dann in den Club mit moderner lokaler Musik. Sie schwankt zwischen beliebten Salsa-Hits, Reggaeton und europäischer Disko-Musik. So klingt „Quito II“ für mich aus und ich finde den Weg über das Terminal Quitumbe nach Machachi.

PS.: im Bus in Quito habe ich gleich zu Beginn mein Handy verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, aber das lässt sich nicht zweifellos feststellen. Klar ist nur: Da ist es nicht mehr.


Aug 30 2018

Palmen und Berge?!

von Rosa

Wir liegen im grünen Gras. Es fällt uns schwer die Augen aufzuhalten. So blinzeln wir der Sonne entgegen und lassen einfach nur die Umgebung auf uns wirken. Hellgrüne Berghänge, dunkelgrüne Bergspitzen und blauer Himmel mit vorbeiziehenden Schäfchenwolken. Ich lege den Kopf ins Gras und muss mir immer noch die Augen reiben, um zu begreifen, dass zwischen den Bergen in diesem Tal Palmen stehen. Es gibt ganz unterschiedliche, kleinere, größere, manchmal ist nur noch der Stamm da. Wie Zahnstocher in Landschaft. Kein Meer weit und breit.

Fünf Uhr morgens bin ich in Armenia. Zwei Stunden eher als geplant. Im Busbahnhof stehen Backpacker in den Ecken und warten auf ihre Weiterfahrt. Ich warte auf einen ganz besonderen Backpacker: Daniel. Für mich ist er Schweizer, obwohl er erst seit vier Jahren dort lebt. Wir hatten uns in San Gil im Hostel kennengelernt und bis fünf Uhr morgens über Gott, die Welt und die Schweiz philosophiert. Zufällig haben wir uns in Bogotá wiedergetroffen. Er meinte, er buche immer das günstigste Hostel und so kreuzten sich unsere Wege weil das auch meiner Reisephilosophie entspricht. Nach einem Bier in Papiertüten (weil es in Bogotá verboten ist in der Öffentlichkeit zu trinken) beschlossen wir gemeinsam nach Salento zu fahren.

Zwischen den anderen Reisenden sehe ich einen Mann mit Basecap unter dem eine Justin Bieber Frisur zu erkennen ist. Das ist Daniel. Er ist genauso müde wie ich, aber wir schleppen uns zu einem kleinen Bus, der uns in 40 Minuten nach Salento bringt. Ein buntes Touristenstädtchen mit viel Handwerk, kleinen Restaurants und eben jeder Menge Touristen. Unser Hostel sieht aus wie die Villa Kunterbunt und so sind im Garten wahllos Gegenstände verteilt, u. a. auch ein Nussknacker und ein Weihnachtsmann. Frohe Weihnachten!

Auf dem Marktplatz stehen die Touristen in einer Schlange und warten bis sie ein Jeep ins Valle Cocora – Tal der Palmen mitnimmt. Daniel stellt sich mutig auf die kleine Ladefläche des Jeeps und genießt dafür einen tollen Ausblick. Die meisten Touristen setzten sich auf ein Pferd, um das Tal zu erkunden. Wir wählen unsere Füße und wandern die Hügel hinauf und wieder hinunter. Aller 200 Meter halte ich an, um wieder ein Foto aus einer anderen Perspektive aufzunehmen. Ich bin von der Schönheit dieses Ortes überwältigt und nur mein knurrender Magen kann mich zum gehen überreden.

Es gibt sie wirklich. Eine Bar, wo es erlaubt ist Sprengstoff zu zünden. Als mir ein paar andere Backpacker von der Bar erzählen, glaube ich eher an einen Werbetrick. Doch jetzt stehe ich in einer Halle, habe ein Bier in der Hand und es riecht nach Silvester. Das Ganze hat auch noch einen offiziellen Namen und heißt Tejo. Ein Volkssport in Kolumbien. Am Eingang der Halle durften wir uns einen zwei-bis drei Kilogramm schweren Stein aussuchen, der unser Wurfglück bestimmen soll. Jetzt stehen wir vier Meter von einem Lehmhügel entfernt. In der Mitte des Lehmhügels liegt ein tellergroßer Ring auf dem kleine Papierdreiecke liegen. So ganz habe ich das Spiel noch nicht verstanden, aber ich werfe einfach mal und erschrecke mich prompt, weil es tatsächlich knallt. In den Papierdreiecken ist Sprengstoff und es dampft. Für mein Anfängerglück wird mir auf die Schulter geklopft. Aber es geht hier nicht nur um den Spaß, sondern auch um Punkte. Die bekommt man entweder, wenn man direkt in den Ring trifft, es knallt oder wenn sein Stein von allen Werfern am nächsten am Ring landet. Es geht bis 21. So werfen wir, zählen Punkte und ab und zu erschrecken wir uns. Zwei andere und ich haben alle 20 Punkte. Es kommt zum Showdown. Am Ende gewinne ich unspektakulär mit Präzision. Liebe Leser, bitte nachmachen. Vielleicht auf der nächsten Gartenparty.

Salento liegt in der sogenannten Kaffeezone, einem Gebiet, wie es der Name schon verrät, in dem besonders viel Kaffee angebaut wird. Wir machen eine kleine Wanderung, vorbei an Kaffee- und Obstplantagen. Da ich schon in Peru einiges über den Kaffeeanbau gelernt habe, entscheiden wir uns für einen frisch gepressten Saft am Wegesrand. Die Wanderung wird nicht langweilig, da Daniel ein begnadeter Geschichtenerzähler ist. Südamerika ist für ihn nur ein Zwischenstopp auf seiner Weltreise, die ihn von Hongkong über Australien, Lateinamerika bis nach Indien führt. In den vier Jahren Schweiz hat er soviel gespart, dass er sich nun seinen Traum erfüllen kann. Als wir gerade auf dem Weg nach Hause sind, beißt mich ein Hund während des Laufens in meinen Knöchel. Nicht tief, aber es kommt ein bisschen Blut. Nachdem die Hunde in Südamerika meine Schuhe und Reiseführer angefressen habe, bin nun auch noch ich selbst dran. Ein Hoch auf die Tollwutimpfung.

Mit einem Zwischenstopp in Cali, reisen wir weiter nach Ipiales, einem Ort an der ecuadorianischen Grenze. Dort gibt es eigentlich nicht viel zu sehen, außer eine Kirche, die in eine Schlucht gebaut wurde. Santuario de las Lajas ist in 20 Minuten gut von Ipiales zu erreichen. Das neogotische Bauwerk wurde über einem Fluss errichtet und der Blick von einer nahegelegenen Erhöhung auf die Kirche ist mehr als beeindruckend.

An der Grenze nach Ecuador warten wir insgesamt drei Stunden. Es sind hier deutlich weniger Venezolaner als noch vor ein paar Wochen. Menschen ohne Reisepass dürfen nicht mehr einreisen. Leisten kann sich diesen Reisepass fast niemand mehr in Venezuela. Als wir nach sechs Stunden Fahrt endlich in Quito ankommen, stehen am Busbahnhof auf einer Verkehrsinsel viele Zelte aneinandergereiht. Hier leben Geflüchtete aus Venzuela. Auch ohne jemals in Venzuela gewesen zu sein, habe ich durch die Menschen viel über das Land und die politische Situation erfahren. Hoffnung, dass es in ihrem Land bald besser wird, haben die wenigsten. Das Privileg frei reisen zu können, wird mir in solchen Momenten immer besonders deutlich. Im Hostel in Cali habe ich einen jungen Mann aus Chemnitz getroffen. Er hat sich in Kolumbien, seine Arbeit im Hostel und eine Frau aus Cali verliebt. Bleiben will er auf jeden Fall. Er verstehe aber nicht, warum der deutsche Staat Ausländern so viel Geld gäbe, um in Deutschland auf die Beine zu kommen. Vielleicht, sage ich, damit sie sich ein bisschen von dem Glück aufbauen können, dass du auch fern von deiner Heimat gefunden hast. Er schweigt und geht. Es sind Momente wie diese in denen ich traurig werde. Traurig über die Unfähigkeit von Menschen zu teilen. Traurig über die Fähigkeit von Menschen zu Kategorisieren, zu Verallgemeinern und andere Menschen in Schubladen zu stecken. In Cali, Quito oder Chemnitz.

Ich finde die Palmen sind ein schönes Beispiel. Ich habe sie bisher immer mit Strand und Meer in Verbindung gebracht. Aber Palmen und Berge? Geht gut und sieht auch noch richtig geil aus!


Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.