Apr 11 2019

Irgendwo im Atlantik

Von Karl

Schifffahrt von Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien nach Algeciras, Andalusien, Spanien

 

Kaum war ich auf dem Schiff, sogleich wurde ich dem Sicherheitsoffizier zugewiesen. Er war fröhlich und gesprächig und ich folgte dem blauen Overall mit gelben Leuchtstreifen und weißem Helm. Ich nun auch mit weißem Helm ausgestattet.

Es gibt verschiedene Arten vor Rettungsbooten und Rettungsinseln, die zum Teil einfach nur über Bord geworfen werden müssen und sich dann von alleine aufblasen. Am Heck gibt es aber auch ein großes Lifeboat mit genügend Plätze für alle, aber nicht nur das, jede*r hat ihren eigenen zugewiesenen Platz in dem riesigen orangenen Freifallboot. Mein Platz trägt die Nummer 14. Es ist voll umschlossen und hängt mit dem Bug 45 Grad geneigt nach unten und vom C-Deck, also vom dritten Stock aus, kann es vom Heck aus bestiegen werden. Gleich nebenan ist auch im Notfall der Treffpunkt.

Es gibt verschiedene Arten von Notfällen mit verschiedenen Alarmen und verschiedenen Handlungsanweisungen, sodass es teils etwas unübersichtlich war für mich. Teils betrifft es mich als Passagier auch gar nicht, z.B. im Falle eines Öllecks. Fast spannender war jedoch, dass wir während der Ladungsarbeiten eine Rundgang über das Schiff gemacht haben und ich dadurch mal in einen leeren Ladungsraum schauen konnte. Wir sind sogar bis auf den Boden geklettert, vielleicht sieben Stockwerke. Dort stehend sind es dann höchstens zwei Meter bis unter den Kiel. Das riesige Fassungsvermögen wirkt nochmal krasser, wenn es leer ist und dann stehen wir in nur einen der vielleicht zehn Reihen an Containern. Wenn mensch dann noch bedenkt, dass auf den Deckeln, wenn die Ladeluken verschlossen sind, nochmal fünf Container übereinander und zwölf nebeneinander gestapelt werden. Alles zusammen macht das über 1.100 Container nur auf diesem Schiff. Gut, es ist auch 190 Meter lang, aber es trotzdem enorm. Unzählige Wassertanks machen es möglich, dass auch relativ durcheinander die Container gestapelt werden können. Durch das Einpumpen oder Ablassen von Wasser, kann das Schiff immer austariert werden.

Erst am übernächsten Tag nach dem Aufstieg merke ich, dass sich die CMA CGM Saint Laurent aufs Auslaufen vorbereitet. Bis dahin habe ich noch drüber nachgedacht, vielleicht nochmal in die Stadt zu gehen, aber irgendwie hatte ich schon mit Natal abgeschlossen. Natal heißt übrigens Weihnachten auf portugiesisch. Also hatte ich mit Weihnachten abgeschlossen gehabt. Als dann aber die Kräne längsschiffs gestellt wurden und Seeleute an den Trossen hantierten, sah ich auch wie die Gangway hochgezogen wurde. Das macht ein kleiner Extra-Motor und schlussendlich wird sie nur noch ans Geländer geklappt.

Auf geht‘s

Irgendwie war ich froh, dass es nun endlich losgeht. Ein Schlepper kam nun auch noch, aber er nahm die Saint Laurent nicht an die Leine. Zwei Lotsen waren auch schon an der Brücke, sowie der Kaptain und wer sonst wichtig ist. Etwas aufregend zu sehen, wie wir uns von dem vermeintlich fest verbundenen Ufer lösen und davon gleiten. Als wenn ich dachte, dass das Schiff teil des Festlandes wäre.

Mittels Bug– und HeckStrahlruder beginnt das Schiff sich um 180 Grad zu drehen um mit dem Bug gen Ozean zu zeigen. Der kleine Schlepper drückt dabei mit seinem Bug seitlich gegen den unsrigen um beim Wenden zu helfen. Trotzdem geht alles deutlich langsamer als die meisten es wohl von Fahrzeugen gewohnt sind.

Das andere Ufer des Rio Potengi, gegenüber vom Hafen, ist ausschließlich von Bäumen überwachsen. Tropische Natur ein letztes Mal vor meinem Auge.

Die letzten zwei Abende verschwand die goldene Sonne hinter den Bäumen und tauchte den Hafen und die Altstadt Natals in ein abendliches orange. Am Horizont beginnen die Hochhäuser, die sehr prägend für Natal waren. Wohnhochhäuser soweit das Auge reicht, doch hier am Hafen gibt es deutlich kleinere.

Es erscheint mir unfassbar schwierig zehntausende Tonnen, die nicht gebremst werden können, durch den nun klein scheinen Fluss zu manövrieren. Auch die kleinen Segelboote im Yachthafen erscheinen wie Spielzeugboote. Es wäre schier unmöglich denen kurzerhand auszuweichen.

Langsam schieben wir uns durch den Fluss. Der Hafenlotse ist auf jedem ein- und auslaufenden Schiff dabei. Er steht dabei mittig ganz vorne auf der Brücke und sagt ab und zu sowas wie „Ruder 5 Grad Backbord“. Dann sagt der Rudergänger das auch nochmal und kurz darauf, wenn das Ruder wirklich 5 Grad Backbord ist, dann sagt der Rudergänger zum zweiten Mal „Ruder 5 Grad Backbord“. Darauf gibt‘s ein kurzes „Danke“ vom Lotsen. Im Hafen kommt alle paar Minuten ein solcher Befehl.

Wir passieren dabei eindrucksvoll die Newton-Navarro-Brücke, welche nachts rot angestrahlt wird.

Sie verbindet den Nord- und den Südteil Natals miteinander. Als wir dann aber weiter auf offener See sind, wird dann nur noch die Richtung vorgegeben und die Geschwindigkeit erhöht. Der Kompass wird dafür in 360 Grad geteilt und wenn der Lotse sagt, dass wir nach 180 Grad fahren, dann fahren wir nach Süden. 90 Grad ist Osten und 270 Grad wäre Westen. Relativ schnell verabschieden sich die beiden dann auch und werden von einem kleinen Boot abgeholt, welches sie zurück nach Natal schafft. Nun übernimmt wieder die normale Brückenwache das Kommando. Bestehend aus einem Offizier und einen Seemann. Es ist zudem erstaunlich wie sehr sich die Vibration des Motors auf das Schiff überträgt.

Obwohl, eigentlich übernimmt einer der beiden Autopiloten. Mit 17 oder 18 Knoten, was etwas über 30 km/h sind, nimmt der Autopilot Kurs auf Spanien. Er sagt auch eine ungefähre Ankunftszeit voraus und das obschon die Überfahrt über eine Woche dauert. Ich komme in laufe der Tage nochmal auf die Brücke, denn Zeit habe ich ja genug. Eine Brückenwache scheint eine sehr entspannte Sache zu sein. Sie trinken mal Kaffee und müssen alle zwölf Minuten einen Knopf drücken, damit kein Alarm anspringt. Um sicher zu stellen, dass sie nicht eingeschlafen sind oder irgendwo anders sind. Ein System was es bei Zügen zum Beispiel auch gibt. Im Prinzip überwachen die beiden nur die vielzähligen Computer und reagieren auf Alarme. Nichtsdestotrotz wird auch nochmal händisch auf Seekarten gezeichnet. Es gibt auch Handlungsanleitungen für Piratenüberfälle, doch die spielen in diesen Seegewässern keine Rolle. Ein weiteres Tool ist die Blackbox, die sämtliche Eingaben und Informationen der Computer speichert, sowie die Gespräche auf der Brücke. Sollte das Schiff demnächst untergehen und die Blackbox geborgen werden, wären meine Unterhaltungen auch dabei. Die beiden haben ein entspanntes Leben. Zwei Mal am Tag kommen sie für vier Stunden auf die Brücke. Zwischendurch noch etwas Papierkram.

Sonnige Tage bieten sich an einen kleinen Rundgang auf dem Schiff nach vorne zu machen. Jedes Mal wenn das Schiff sich anhebt und wieder in eine Welle sich hineinlegt, wird das Meerwasser im hohen Bogen vom Boot weggeschleudert. Es wirkt beruhigend und ich kann viel nachdenken. Fast wie tiefe Atemzüge, so arbeitet sich das Schiff durch das Dunkelblau.

An den Containern ist gut zu sehen, dass die Kühlcontainer extra Strom brauchen, Starkstrom. Aus den Seitenluken strömt beständig warme Luft. Nur damit wir Früchte essen können, die bei uns nicht wachsen. Tonnen an Schweröl werden wohl allein für die Kühlung gebraucht.

Grillfest

Einmal im Monat, so erfahre ich, gibt es auch ein Grillfest. Anstelle von Abendbrot gibt es verschiedenste gegrillte tote Tiere, Salate, Reis, frisches Knoblauch-Brot, Bier und feinste Torten.

Alles vom Koch, auf Schiffen Smut genannt, selbst gemacht. Den lerne ich dann auch noch kennen und wir unterhalten uns angeregt bis zu letzten Flasche Bier, als dann alle schon weg sind gegen Mitternacht. So erfahre ich, dass ihm die Knoblauch-Brote ziemlich schmecken und mir wird klar warum es alle paar Tage Knoblauch-Brot gibt. Die Baguettes dafür macht er übrigens auch selbst. Es ist ziemlich spannend zu sehen, wie aufwändig seine Arbeit ist. Meist beginnt er gegen sechs Uhr in der Frühe und ist nicht vor um zehn in seinem Zimmer. Die meiste Zeit ist er in seiner Küche.

Diese sieht aus wie eine typische Industrieküche mit Fließen und viel Edelstahl. Große Maschinen für alles mögliche, wie z.B. Teigkneter. Direkt von hier ab geht auch die Treppe in den Lagerraum und von dort zu mehreren Kühlkammern für Fleisch, Fisch, Käse, Milch, Obst und Gemüse.

Nur im französischen Hafen Le Havre wird das Lager aufgefüllt, welcher ungefähr einmal im Monat angelaufen wird. Ramil, der Smut, arbeitet allein. Vor Jahren waren sie noch zu zweit, aber nun nicht mehr. Sein Steward, eine Art Helfer, unterstützt ihn zwar, aber zufrieden ist Ramil damit nicht.

Ich unterhielt mich auch mit dem Bosun, zu deutsch Bootsmann. Lwin kommt aus Myanmar und hatte gute 15 Jahre für eine Bremerhavener Reederei gearbeitet. Da aber wegen der Schifffahrtskrise rund um die HSH Nordbank viele deutsche Reedereien aufgegeben haben, musste er wechseln und fährt nun für CMA CGM. Ein Bootsmann ist sowas wie ein Vorarbeiter und leitet die Seeleute an. Ramil, der als einziger von den Philippinen kommt ist nicht glücklich, denn es ist vielleicht seine letzte Fahrt. Die anderen Philippiner arbeiten auch nicht mehr an Bord, denn die Myanmarer arbeiten für 100 Dollar weniger im Monat. Die Offiziere kommen alle aus der Ukraine. Kaum ein Seemann der nicht eine Freundin oder gar Kinder und Familie zu Hause hat. Während die Ukrainer zum Teil feste Teams bilden und immer das gleiche Boot fahren, werden die Myanmarer jedes Mal neu eingesetzt. Sie sind meist zehn Monate an Bord und zwei Monate zu Hause. Die Ukrainer teils nur vier Monate an Bord und dann vier Monate zu Hause.

Die kurzen Verträge ermöglichen es schnell mal die Seeleute auszutauschen, auch wenn gute, wie Ramil, immer wieder angerufen worden. Er könnte sich nicht vorstellen in einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten, da dort sehr viele Köche*innen arbeiten, die jeden Tag nur Kleinigkeiten machen, das heißt auch mal stundenlang nur Zwiebeln schneiden. Eher wieder an Land arbeiten. Das ist ruhiger, da mensch dann nicht drei Mahlzeiten am Tag allein organisieren muss und es wäre näher an der Familie. Die Stimmung unter den Seeleuten ist kumpelhaft und wenn sie die gleiche Sprache sprechen nochmal besser. Nichtsdestotrotz ist wohl immer mal jemand angenervt, zumal sie ja auf Monate zusammen arbeiten müssen und niemand anderes treffen können.

Alkohol und Rauchen ist übrigens untersagt auf den Schiffen, genauso wie Mülltrennung vorgeschrieben ist. Nur hält sich niemand daran. Das Bier wird dann von Passagier-Trinkgeldern gekauft, die meist beim Kaptain landen. Für Ramil etwas unverständlich, weil lediglich er und der Steward zusätzliche Arbeit mit den Passagieren haben. Warum geben sie ihm denn nicht das Geld? Er ist aber eine ausgeglichene Seele und so richtig regt Ramil sich dann nicht auf. Die Verbote und Bestimmungen kamen von der Reederei, aber die Seeleute wurden nicht über die Hintergründe geschult. Sodass die leeren Bierflaschen und -dosen im hohen Bogen über Bord gehen. Vielleicht auch weil der andere Kaptain, der sonst das Schiff fährt, die Regeln durchsetzt.

Ramil muss noch einiges sauber machen, da die Vorschrift, nicht mit Arbeitsklamotte in die Messe und schon gar nicht in die Küche zu kommen, vollständig ignoriert wird. Es ist fast Mitternacht, er muss noch einiges aufräumen und ich verschwinde. Noch lange bevor ich aufstehe, steht er schon am Topf und kocht Porridge.

Schnelles Ende

Die Tage plätschern dahin. Ich schreibe für diesen Blog, schaue Dokus oder aufs weite Meer. Es ist faszinierend, wie weit und blau alles ist. Unter mir geht es drei Kilometer tief und im Umkreis von hunderten Kilometern gibt es keine anderen Schiffe oder gar Land. Nur auf der Karte ist irgendwann ersichtlich dass wir unter den Kapverdischen Inseln hindurch Höhe Senegals anfangen in weitem Abstand der Küstenlinie Nordwest-Afrikas zu folgen. Über Tage schieben wir uns nach Norden. Das beständig windige Wetter wird zunehmend kühler. Die flotten Wolkenfetzen sind aber beeindruckend. Besonders bei Sonnenunter- und -aufgang.

Der Wind trägt die Gischt hinauf und meine Brillengläser beschlagen. Zunehmend kommen die langen Wellen von der Seite. Auch wenn sie nicht besonders hoch sind, so bringen sie das Schiff etwas ins Schaukeln. Lediglich mal eine Birne kullert mir vom Tisch. Wirklich gefährlich ist es also nicht. Ich gehe auch mal zum Bug und beobachte die fliegenden Fische, wie sie ihre Flossen anstellen um dann über das Wasser zu segeln. In der Nähe der brasilianischen Küste gab es noch Möwen die sie gefressen haben. Sie flogen neben dem Schiff und haben die fliegenden Fische aus der Luft gefangen oder gar einen Meter unter Wasser.

So langsam nähern wir uns unserem Ziel. Als ich vor dem Schlafen nochmal raus gehe, sehe ich schon auf Steuerbord die marokkanische Küste. Die Lichter von Tanger oder einem kleinen Vorort. Im ruhigen Wissen, dass Laden und Entladen Tage dauert schlummere ich ein. Um sechs klingelt dann aber mein Festnetz und sie meinen, dass sie bald fertig werden. Schnell muss ich meine Sachen packen und noch zum Frühstück. Ramil Tschüss sagen, und dann zu Dmytro, der mich die ganze Zeit etwas betreut hat und mir meinen Reisepass wieder aushändigt. Auch hier nochmal gute Weiterreise gewünscht und schnell zur Gangway-Wache. Ein Seemann steht immer an der Gangway und kontrolliert wer kommt und geht.

Gerade ist großer Andrang und mehrere dutzend spanischer Hafenarbeiter verlassen das Schiff. Offensichtlich sind sie fertig mit dem Laden. Kurzes Tschüss und dann klettere ich über die wackelige Gangway an den Kai. Ein Shuttlebus nimmt auch mich mit zum Ausgang.

Die Sonne geht auf. Nun bin ich also in Europa wieder. Hier schließt sich der Kreis.

Knapp 11 Monate,

oder 47 Wochen und ein Tag,

oder 330 Tage.

330 Tage war ich weg, solange wie noch nie in meinem Leben. Es war sehr viel was darin passiert ist. Ich bin schon lange nicht mehr der selbe Karl. Ich hab mich geändert und mein Leben hat sich geändert. So schön beide waren und so schön war die Reise. Es ist schwer hier ein passenden Schlusssatz zu finden. Ich sag mal so, ich bereue nichts. und worauf ich besonders stolz bin: Ich bin keinen Meter geflogen.


Apr 18 2018

Wir können aber auch …

18. April 2018

Paramaribo, Surinam

Es regnet in Paramaribo. Soeben noch war es heiß, schwül und etwas bewölkt. Kaum stehe ich wieder am Ladenausgang, so hat sich die Hauptstraße verwandelt. Der unebene schwarze Asphalt ist dunkler geworden und wird durch einen leicht schräg einfallenden Schauer glänzend-schwarz. Im Linksverkehr düsen Autos die Straße entlang und spritzen das Wasser aus den sich schnell volllaufenden Kuhlen. Entlang der höher stehenden Bordsteine hat sich ein kleiner Bach mit irren Tempo entwickelt der vom nächsten Gulli verschlungen wird. Die Menschen in ihren bunten T-Shirts, Kleidern, Uniformen mit ihren Locken, Dutts und Rastas sind angehalten worden. Als wenn ihre Ampel auf Rot gesprungen wäre. An dem Ladenausgang, an dem Marktausgang gegenüber, an dem Landenausgang links von uns, überall warten die Menschen. 10 Minuten. Die erste wagt den Weg mit ihren Regenschirm. Der starke Regen beginnt kontinuierlich langsam abzunehmen. Immer mehr Mensch wagen sich auf die Fußsteige, die durch Treppeneingänge, Stände, Schäden, parkende Autos und Ampelanlagen zu einem Slalom umfunktioniert wurden.

Der Markt gegenüber ist der der zentrale Markt von Paramaribo und vor allem eine riesige wellblechbedeckte Halle. Auf zwei Etagen und mehreren Abteilen wird alles für halbwegs alltägliche Bedarfe verkauft. Bananen von grün über gelb bis schwarz, bunte Shampoos, Reis in allen Verpackungsmöglichkeiten, Garn, frisches Fleisch, grüne Tomaten, Goldkettchen, Torten, Fisch in allen Sorten und vor allem komplett und tot.

Paramaribo ist die Hauptstadt von Surinam oder Suriname. Halbe Million Menschen leben hier, vor allem an der Küste, wo es die meisten Straßen gibt. Das Hinterland ist vor allem Regenwald. Okay, es gibt einen großen Stausee und etwas Tourismus dort. Amtssprache hat Surinam von den ehemaligen Kolonialherren übernommen, Niederländisch. Die Währung 9,25 Surinam-Dollar (SRD) für 1 Euro. Vieles wird in Niederländisch und Englisch beschriftet. Im Taxi und auf der Straße ist aber Englisch bzw. Sranan-Tongo gebräuchlicher. Am Niederländisch und Französisch ist der Touri zu erkennen. Tourist*innen gibt es kaum. Nur hier und da mal zwei oder drei. Das Straßen-Englisch ist auch nicht britisch, sondern wieder eigenständig. Pidgin-Englisch in Fachkreisen genannt. Für unsere ungewohnten Ohren, doch sehr herausfordernd. Die Kolonialzeit verfolgt Paramaribo bis heute. Der Ort ist in der Innenstadt geprägt von den alten Holzhäusern. Sie reihen sich teilweise endlos aneinander. Wir sind auch in einem solchen untergekommen. Drei Stockwerke, komplett aus Holz, dünne Wände, weiß angestrichen, großzügige Balkone und offene Terasse auf dem Gehweg. Viele der Häuser stehen leer oder sind teuer vermietet. Anwaltskanzlei, Ministerium oder Gästehaus. oder sie verfallen, teils angekokelt, vor allem aber Ruinen.

Schon nach wenigen hundert Meter können wir das Regierungsviertel verlassen und finden Busstände, die voll sind mit den runden asiatischen 30-Sitzern. Voll beklebt mit Bollywood-Merchandise. Finden Supermärkte, die ungekühlt sind, kaum Brot verkaufen und meistens von Asiat*innen betrieben werden. Erst eine Bäckerei löst die nötige Freude aus. Die meisten Menschen in Surinam sind Nachfahren der ehemals von Europa verschleppten Sklaven. Teils konnten sie flüchten und lebten lange Zeit im schützenden Regenwald. Teils unterlagen sie auch nach der Abschaffung der Sklaverei einer „Arbeitspflicht“. Die weißen Plantagen-Besitzer wurden sogar für den „Verlust“ der Arbeitskräfte entschädigt. Neue Kontraktarbeiter*innen aus Indonesien, Indien und China kamen später nach Surinam. Sie bilden eine weitere große Gruppe der heute hier lebenden Menschen. Vorbildlich wirkt das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen. Die zentrale Moschee und Synagoge befinden sich direkt nebeneinander. Auch andere Tempel, Kirchen, Halal-Fleischerein, Bibel-Missions-Zentren und vieles mehr mischen sich in den Straßen.

Wer von Osten kommend nach Paramaribo-Zentrum möchte, fährt unweigerlich über die riesige Brücke die den Fluss Suriname überspannt. Nach Sonnenuntergang lohnt es sich an der Waterkant zu sitzen und über den Fluss zu schauen. Die Spitzdach-förmige Brücke wird von den vielen Autos erleuchtet. Flüsse erscheinen uns hier generell in anderen Dimensionen und die Breite des Suriname müsste am ehesten in Kilometern angegeben werden. Auch uns hat sie den ersten Atem genommen, als wir Paramaribo mit den geteilten Taxi erreicht haben. Zusammen mit einer netten Frau aus Französisch-Guyana hat uns der Taxifahrer direkt vom Anleger in Albina hierher gebracht. Albina ist die Grenzstadt am Maroni, direkt gegenüber von Saint-Laurent, der Grenzstadt in Französisch-Guyana. Die Taxifahrt war geprägt durch endloses grün und einer Polizeikontrolle die unserer Mitfahrerin Probleme bereitet hat. Ohne Ein- und Ausreise-Stempel wollten sie sie erst nicht weiterlassen.

Auch für uns war es unerwartet, dass wir uns um unsere Stempel selbst zu kümmern haben, aber der Grenzübertritt sonst ungeregelt ist. Es gibt eine reguläre Fahrzeug-Fähre, aber auch hunderte Pirogen die ständig hin und her fahren. Für 2 oder 3 Euro ist mensch im anderen Land.

In St-Laurent hatten wir noch einen Couchsurfer, dessen Name wir nur bedingt aussprechen können. Mit sehr großer Offenheit und Freundlichkeit nahm er uns in seiner Wohnung in Empfang, in die uns sein Mitbewohner schon gelassen hat. Pierre hat uns auch einen leckeren Begrüßungscocktail gemixt. Er ist Lehrer und der, dessen Name wir nicht sprechen können, ist Krankenpfleger auf einen Rettungswagen. Beide vielleicht kurz vor den 30ern. Nach kurzer Zeit sitzen wir schon mit Bier im kleinen Freibad der Gated Community, in der die beiden eine Wohnung haben. Wir leben das Leben. Abends fahren wir noch gemeinsam zu einen Restaurant. Zu unserer Überraschung werden die Wege immer weniger befahrbarer, bis wir laufen müssen. Überall Holz und Wellblech, Straßenkatzen und Müll. Wir suchen ein illegales Restaurant im Haitianischen Viertel auf. Viele Haitianer*innen emigrieren nach Französisch-Guyana erzählt uns der große französische Freund*innen-Kreis, der hier scharfen Salat mit frittierten Bananenscheiben isst. Kein fließend Wasser, nur geduldet.

Die Euro-Französ*innen, die wir am meisten getroffen haben, scheinen dagegen eher den Weg zurück nach Europa zu suchen. Der Mangel in bestimmten Berufen führt dazu, dass die Löhne um 40% höher liegen und auch Menschen aus anderen Ländern Arbeitserlaubnisse bekommen. Die einen gehen und die anderen kommen. Die einen Können und die anderen Dürfen nicht. Es ist wie mit unseren kolonialen Gästehaus in Paramaribo. Wir können, im Zentrum wohnen. Wir können, auf den Balkon sitzen. Wir können, die koloniale Vergangenheit ignorieren. Wir können, die Ungerechtigkeit ausnutzen. Wir können aber auch wütend sein.

 

PS.: Leseempfehlung von mir und einer tollen Leserin: Urlaub auf Privilegien (Missy Magazin, Valerie-Siba Rousparast)


Apr 13 2018

„Sorry, ich kann kein Französisch“

Cayenne

13. April 2018

„Cool, ich auch nicht“

Quincy sitzt unter dem Vorsprung eines kleinen Ladens. Eine schmale Kante lädt auch mich zum verweilen ein. Ich setz mich zu ihm. Quincy ist schmal gewachsen, lediglich auf der Oberlippe unrasiert, grinst die ganze Zeit, neigt sich im Gespräch mir zu. Weiße Sneakers, helle blaue Jeans und graues Polo-Shirt. Der arbeitssuchende Metallarbeiter aus Surinam grinst und zeigt auf meine verschwitzte Kleidung. „Wir tragen hier eher Flipflops und helle Kleidung“ Ich denke nochmal über meine schwarz-schwarze Einkleidung nach und grinse bestätigend zurück. Wir unterhalten uns über Französisch-Guyana und Surinam. Er hat schon mal in Paris gelebt, aber da ist es zu kalt. Er wartet noch auf die Erlaubnis in Frankreich und damit auch im Departement Französisch-Guyana arbeiten zu dürfen. Hier verdient er das 10fache im Vergleich zu Surinam. Aber empfiehlt mir Paramaribo und ich solle da hin reisen. Er bietet mir auch Hilfe an, wie ich nach Surinam komme. Dafür bekomme ich auch seine Handynummer. Er gibt noch zu vielen Auskunft und wir finden Gemeinsamkeiten. Warum kaufen Leute Wasser in Flaschen, obschon das Leitungswasser trinkbar ist?

Ich bin auf dem Weg zu meiner Unterkunft in der Hängematte. Das ist die einzige bezahlbare Unterkunft hier im Ort. Erst abends meldet sich die Couchsurferin. Eineinhalb Stunden bin ich in der Sonne mit dem Rucksack gelaufen um vom Zentrum raus aus der Stadt zu kommen. In der angegebenen Straße befindet sich aber kein Schild. Nach einiger Zeit erst finde ich jemensch der selbst dort schläft und er zeigt auf das Tor neben uns. Eine Spanierin empfängt mich und baut mir eine Hängematte mit Netz gegen die Malaria-Mücken. Für heute wär‘s okay, sagt sie. Ich lern‘ die anderen beiden kennen, die hier auch pennen und erst sehr spät kommt noch ein Vierter hinzu. Sehr nette Leute. Sehr hilfsbereite Menschen. Allerdings sprechen hier alle Französisch. Hätten sie auch Ukrainisch sprechen können.

Am frühen Morgen hat die CMA CGM St Laurent im Hafen Degrad des Cannes festgemacht und nach dem Frühstück sind wir von Bord gegangen. Schon vorher war der Hafenagent da und wir haben ein Taxi vereinbart. Er bringt uns aus dem Hafen zur Agentur, wo das Taxi wartet. Das Renten-Quartett wohnt auf halber Strecke nach Cayenne. Wir verabschieden uns, nicht ohne mir ihre Kontaktadressen zu schenken. Ich bin eingeladen auf Champagner. Ich hatte erzählt, dass ich das erst zweimal welchen getrunken habe und auch nur den billigsten aus einen französischem Supermarkt. Außerdem will ich sie beim eigenhändigen Krabbenfischen in der Bretagne im Mai besuchen. Das Taxi bringt mich ins Zentrum und ich suche Wifi, was aber im ersten Anlauf am Französisch scheitert. Als mir das instabile Netz zu anstrengend wird, gebe ich die Hoffnung auf die Couchsurferin auf und mach mich auf die Strecke zur Hängematte.

Unter einem Holzgerüst mit Tisch, Stühlen und Wellblechdach sind die Hängematte gespannt. Im Prinzip im Garten einer jungen Familie mit zwei Kindern. Sämtliche Sachen müssen in Netzen unters Dach oder auf Stühlen, weil ziemlich viele kleine Tiere hier herumkrabbeln und es bei Regen sonst alles nass werden würde. Hängematte ist übrigens etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann ist es ziemlich chillig drinn zu schlafen. Bitte mehr davon!

 

 
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