Apr 18 2018

Wir können aber auch …

18. April 2018

Paramaribo, Surinam

Es regnet in Paramaribo. Soeben noch war es heiß, schwül und etwas bewölkt. Kaum stehe ich wieder am Ladenausgang, so hat sich die Hauptstraße verwandelt. Der unebene schwarze Asphalt ist dunkler geworden und wird durch einen leicht schräg einfallenden Schauer glänzend-schwarz. Im Linksverkehr düsen Autos die Straße entlang und spritzen das Wasser aus den sich schnell volllaufenden Kuhlen. Entlang der höher stehenden Bordsteine hat sich ein kleiner Bach mit irren Tempo entwickelt der vom nächsten Gulli verschlungen wird. Die Menschen in ihren bunten T-Shirts, Kleidern, Uniformen mit ihren Locken, Dutts und Rastas sind angehalten worden. Als wenn ihre Ampel auf Rot gesprungen wäre. An dem Ladenausgang, an dem Marktausgang gegenüber, an dem Landenausgang links von uns, überall warten die Menschen. 10 Minuten. Die erste wagt den Weg mit ihren Regenschirm. Der starke Regen beginnt kontinuierlich langsam abzunehmen. Immer mehr Mensch wagen sich auf die Fußsteige, die durch Treppeneingänge, Stände, Schäden, parkende Autos und Ampelanlagen zu einem Slalom umfunktioniert wurden.

Der Markt gegenüber ist der der zentrale Markt von Paramaribo und vor allem eine riesige wellblechbedeckte Halle. Auf zwei Etagen und mehreren Abteilen wird alles für halbwegs alltägliche Bedarfe verkauft. Bananen von grün über gelb bis schwarz, bunte Shampoos, Reis in allen Verpackungsmöglichkeiten, Garn, frisches Fleisch, grüne Tomaten, Goldkettchen, Torten, Fisch in allen Sorten und vor allem komplett und tot.

Paramaribo ist die Hauptstadt von Surinam oder Suriname. Halbe Million Menschen leben hier, vor allem an der Küste, wo es die meisten Straßen gibt. Das Hinterland ist vor allem Regenwald. Okay, es gibt einen großen Stausee und etwas Tourismus dort. Amtssprache hat Surinam von den ehemaligen Kolonialherren übernommen, Niederländisch. Die Währung 9,25 Surinam-Dollar (SRD) für 1 Euro. Vieles wird in Niederländisch und Englisch beschriftet. Im Taxi und auf der Straße ist aber Englisch bzw. Sranan-Tongo gebräuchlicher. Am Niederländisch und Französisch ist der Touri zu erkennen. Tourist*innen gibt es kaum. Nur hier und da mal zwei oder drei. Das Straßen-Englisch ist auch nicht britisch, sondern wieder eigenständig. Pidgin-Englisch in Fachkreisen genannt. Für unsere ungewohnten Ohren, doch sehr herausfordernd. Die Kolonialzeit verfolgt Paramaribo bis heute. Der Ort ist in der Innenstadt geprägt von den alten Holzhäusern. Sie reihen sich teilweise endlos aneinander. Wir sind auch in einem solchen untergekommen. Drei Stockwerke, komplett aus Holz, dünne Wände, weiß angestrichen, großzügige Balkone und offene Terasse auf dem Gehweg. Viele der Häuser stehen leer oder sind teuer vermietet. Anwaltskanzlei, Ministerium oder Gästehaus. oder sie verfallen, teils angekokelt, vor allem aber Ruinen.

Schon nach wenigen hundert Meter können wir das Regierungsviertel verlassen und finden Busstände, die voll sind mit den runden asiatischen 30-Sitzern. Voll beklebt mit Bollywood-Merchandise. Finden Supermärkte, die ungekühlt sind, kaum Brot verkaufen und meistens von Asiat*innen betrieben werden. Erst eine Bäckerei löst die nötige Freude aus. Die meisten Menschen in Surinam sind Nachfahren der ehemals von Europa verschleppten Sklaven. Teils konnten sie flüchten und lebten lange Zeit im schützenden Regenwald. Teils unterlagen sie auch nach der Abschaffung der Sklaverei einer „Arbeitspflicht“. Die weißen Plantagen-Besitzer wurden sogar für den „Verlust“ der Arbeitskräfte entschädigt. Neue Kontraktarbeiter*innen aus Indonesien, Indien und China kamen später nach Surinam. Sie bilden eine weitere große Gruppe der heute hier lebenden Menschen. Vorbildlich wirkt das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Religionen. Die zentrale Moschee und Synagoge befinden sich direkt nebeneinander. Auch andere Tempel, Kirchen, Halal-Fleischerein, Bibel-Missions-Zentren und vieles mehr mischen sich in den Straßen.

Wer von Osten kommend nach Paramaribo-Zentrum möchte, fährt unweigerlich über die riesige Brücke die den Fluss Suriname überspannt. Nach Sonnenuntergang lohnt es sich an der Waterkant zu sitzen und über den Fluss zu schauen. Die Spitzdach-förmige Brücke wird von den vielen Autos erleuchtet. Flüsse erscheinen uns hier generell in anderen Dimensionen und die Breite des Suriname müsste am ehesten in Kilometern angegeben werden. Auch uns hat sie den ersten Atem genommen, als wir Paramaribo mit den geteilten Taxi erreicht haben. Zusammen mit einer netten Frau aus Französisch-Guyana hat uns der Taxifahrer direkt vom Anleger in Albina hierher gebracht. Albina ist die Grenzstadt am Maroni, direkt gegenüber von Saint-Laurent, der Grenzstadt in Französisch-Guyana. Die Taxifahrt war geprägt durch endloses grün und einer Polizeikontrolle die unserer Mitfahrerin Probleme bereitet hat. Ohne Ein- und Ausreise-Stempel wollten sie sie erst nicht weiterlassen.

Auch für uns war es unerwartet, dass wir uns um unsere Stempel selbst zu kümmern haben, aber der Grenzübertritt sonst ungeregelt ist. Es gibt eine reguläre Fahrzeug-Fähre, aber auch hunderte Pirogen die ständig hin und her fahren. Für 2 oder 3 Euro ist mensch im anderen Land.

In St-Laurent hatten wir noch einen Couchsurfer, dessen Name wir nur bedingt aussprechen können. Mit sehr großer Offenheit und Freundlichkeit nahm er uns in seiner Wohnung in Empfang, in die uns sein Mitbewohner schon gelassen hat. Pierre hat uns auch einen leckeren Begrüßungscocktail gemixt. Er ist Lehrer und der, dessen Name wir nicht sprechen können, ist Krankenpfleger auf einen Rettungswagen. Beide vielleicht kurz vor den 30ern. Nach kurzer Zeit sitzen wir schon mit Bier im kleinen Freibad der Gated Community, in der die beiden eine Wohnung haben. Wir leben das Leben. Abends fahren wir noch gemeinsam zu einen Restaurant. Zu unserer Überraschung werden die Wege immer weniger befahrbarer, bis wir laufen müssen. Überall Holz und Wellblech, Straßenkatzen und Müll. Wir suchen ein illegales Restaurant im Haitianischen Viertel auf. Viele Haitianer*innen emigrieren nach Französisch-Guyana erzählt uns der große französische Freund*innen-Kreis, der hier scharfen Salat mit frittierten Bananenscheiben isst. Kein fließend Wasser, nur geduldet.

Die Euro-Französ*innen, die wir am meisten getroffen haben, scheinen dagegen eher den Weg zurück nach Europa zu suchen. Der Mangel in bestimmten Berufen führt dazu, dass die Löhne um 40% höher liegen und auch Menschen aus anderen Ländern Arbeitserlaubnisse bekommen. Die einen gehen und die anderen kommen. Die einen Können und die anderen Dürfen nicht. Es ist wie mit unseren kolonialen Gästehaus in Paramaribo. Wir können, im Zentrum wohnen. Wir können, auf den Balkon sitzen. Wir können, die koloniale Vergangenheit ignorieren. Wir können, die Ungerechtigkeit ausnutzen. Wir können aber auch wütend sein.

 

PS.: Leseempfehlung von mir und einer tollen Leserin: Urlaub auf Privilegien (Missy Magazin, Valerie-Siba Rousparast)


Apr 13 2018

„Sorry, ich kann kein Französisch“

Cayenne

13. April 2018

„Cool, ich auch nicht“

Quincy sitzt unter dem Vorsprung eines kleinen Ladens. Eine schmale Kante lädt auch mich zum verweilen ein. Ich setz mich zu ihm. Quincy ist schmal gewachsen, lediglich auf der Oberlippe unrasiert, grinst die ganze Zeit, neigt sich im Gespräch mir zu. Weiße Sneakers, helle blaue Jeans und graues Polo-Shirt. Der arbeitssuchende Metallarbeiter aus Surinam grinst und zeigt auf meine verschwitzte Kleidung. „Wir tragen hier eher Flipflops und helle Kleidung“ Ich denke nochmal über meine schwarz-schwarze Einkleidung nach und grinse bestätigend zurück. Wir unterhalten uns über Französisch-Guyana und Surinam. Er hat schon mal in Paris gelebt, aber da ist es zu kalt. Er wartet noch auf die Erlaubnis in Frankreich und damit auch im Departement Französisch-Guyana arbeiten zu dürfen. Hier verdient er das 10fache im Vergleich zu Surinam. Aber empfiehlt mir Paramaribo und ich solle da hin reisen. Er bietet mir auch Hilfe an, wie ich nach Surinam komme. Dafür bekomme ich auch seine Handynummer. Er gibt noch zu vielen Auskunft und wir finden Gemeinsamkeiten. Warum kaufen Leute Wasser in Flaschen, obschon das Leitungswasser trinkbar ist?

Ich bin auf dem Weg zu meiner Unterkunft in der Hängematte. Das ist die einzige bezahlbare Unterkunft hier im Ort. Erst abends meldet sich die Couchsurferin. Eineinhalb Stunden bin ich in der Sonne mit dem Rucksack gelaufen um vom Zentrum raus aus der Stadt zu kommen. In der angegebenen Straße befindet sich aber kein Schild. Nach einiger Zeit erst finde ich jemensch der selbst dort schläft und er zeigt auf das Tor neben uns. Eine Spanierin empfängt mich und baut mir eine Hängematte mit Netz gegen die Malaria-Mücken. Für heute wär‘s okay, sagt sie. Ich lern‘ die anderen beiden kennen, die hier auch pennen und erst sehr spät kommt noch ein Vierter hinzu. Sehr nette Leute. Sehr hilfsbereite Menschen. Allerdings sprechen hier alle Französisch. Hätten sie auch Ukrainisch sprechen können.

Am frühen Morgen hat die CMA CGM St Laurent im Hafen Degrad des Cannes festgemacht und nach dem Frühstück sind wir von Bord gegangen. Schon vorher war der Hafenagent da und wir haben ein Taxi vereinbart. Er bringt uns aus dem Hafen zur Agentur, wo das Taxi wartet. Das Renten-Quartett wohnt auf halber Strecke nach Cayenne. Wir verabschieden uns, nicht ohne mir ihre Kontaktadressen zu schenken. Ich bin eingeladen auf Champagner. Ich hatte erzählt, dass ich das erst zweimal welchen getrunken habe und auch nur den billigsten aus einen französischem Supermarkt. Außerdem will ich sie beim eigenhändigen Krabbenfischen in der Bretagne im Mai besuchen. Das Taxi bringt mich ins Zentrum und ich suche Wifi, was aber im ersten Anlauf am Französisch scheitert. Als mir das instabile Netz zu anstrengend wird, gebe ich die Hoffnung auf die Couchsurferin auf und mach mich auf die Strecke zur Hängematte.

Unter einem Holzgerüst mit Tisch, Stühlen und Wellblechdach sind die Hängematte gespannt. Im Prinzip im Garten einer jungen Familie mit zwei Kindern. Sämtliche Sachen müssen in Netzen unters Dach oder auf Stühlen, weil ziemlich viele kleine Tiere hier herumkrabbeln und es bei Regen sonst alles nass werden würde. Hängematte ist übrigens etwas gewöhnungsbedürftig, aber dann ist es ziemlich chillig drinn zu schlafen. Bitte mehr davon!

 

 
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