Okt 26 2018

Zu Fuß zum Pool und zurück

Von Karl

 

Es ist 3 Uhr früh, als wir vor unserem Hostel mit all unseren Sachen stehen. Wir warten in der noch kalten Nacht. Dann kommt ein Mann die Straße runter, nennt unsere Namen und nimmt uns mit. Immer wieder zwei Ecken und einmal telephonieren. Warten. Noch eine Ecke weiter und wieder telephonieren. Warten. Dann kommt der Bus und wir steigen schnell ein.

Tal der Condore

Zusammen mit einem guten Dutzend anderer Reisenden brechen wir auf zu unserer Wanderung ins Colca-Tal. Eines der tiefsten Täler der Erde. Genau genommen der zweittiefste Canyon der Erde. Über 3.200 m ist das Colca-Tal tief.

Noch morgens erreicht der Bus die Hauptstadt des Tals: Chivay. Dort gibt es kurz Frühstück und wir fahren weiter ins Tal hinein. Am Cruz del Condor machen wir Stopp und können einen fulminanten Ausblick wagen. Kilometer geht es steil nach unten, während wir auf Felsen sitzen. Gegenüber steigen die Berge auf bis sie weiße Kappen bekommen. Die Dimensionen sind unvorstellbar.

In den Lüften vor uns gleiten mühelos Condore. Braune oder Schwarz-Weiße. Sie zählen zu den größten Vögeln und beherrschen das Tal. Mal segeln sie über uns, mal segeln sie weit unter uns.

Abstieg

Nur kurz dürfen wir den Ausblick genießen, bevor es weiter geht an den Startpunkt unserer Wanderung bei Cabanaconde. Wir werden noch schnell aufgeteilt in die 3-Tages-Tour, 2-Tages-Tour und die Tages-Tour. Unser Guide, Fernando, kommt gerade von einer Tour und macht mit uns die Zweitägige. Nach nur wenigen Metern sind wir wieder am Rande der Schlucht und beginnen den Abstieg. Fernando ist nicht nur unser Guide, sondern auch das Lexikon zur Umgebung. So ist der Hang, den wir absteigen sehr trocken, während auf der anderen Seite auch Landwirtschaft möglich ist. Über grauen Schotter und Geröll geht es unter der sengenden Sonne Meter für Meter bergab. Eine Seite ist der Abgrund und auf der anderen geht es steil bergan. Kommt eine Kehre, wechseln die Seiten. Wir erfahren, dass im Talgrund 40 Grad Celsius herrschen. Wir haben zwar mit viel Wasser die Tour gestartet, aber der Pegel in der Flasche fällt kontinuierlich.

Gute drei Stunden sandig-rutschiger Abstieg später, erreichen wir den kontaminierten Fluss im Talgrund. Nach kurzer Pause geht es über eine Hängebrücke auf die andere Seite. Durch Gärten und vorbei an alten Frauen die Kekse, Obst und Wasser verkaufen. Wir kommen an unsere Pausenstation und bekommen mageres Mittag. Etwas enttäuscht versuchen wir unsere geschundenen Körper im Schatten zur Ruhe zu bringen, doch ein fettes Huhn lässt mich einfach nicht in Ruhe. Was auch immer ich den Huhn angetan hatte, es verfolgte mich über die Wiese bis wir den Ort wieder verließen. Gerne hätte ich die steilen Hänge aus ruhender Position unter dem schattigen Avocado-Baum genossen. Nun. Selten, dass ich einem Lebewesen ein Ende als Broiler gewünscht habe.

Bis zur unserem Ziel sind es aber nochmal drei Stunden. Wir beginnen die Wanderung entlang des Tals und schon bald folgen steile Auf- und Abstiege. Fernando entschuldigt sich immer wieder im voraus: Es sei halt ein Canyon. An einem Zwischenstopp bei einigen Kakteen erklärt er uns, dass diese auch industriell angebaut werden. Weil sich darauf ein kleiner Käfer parasitär entwickelt, der zerdrückt eine dunkelrote Farbe hat. Diese wird als Farbstoff und in der Kosmetik-Industrie verwendet.

Unsere Füße entwickeln zeitgleich Blasen und Muskelkater. Besonders Bergabstiege treffen nicht auf unsere Gegenliebe. Erste Blasen haben sich gebildet, die verarztet wurden. Eine halbe Stunde vor dem Ziel müssen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Nochmal 5 Liter und etwas Obst. Zum Glück hat ein alter Mann ein kleinen Holzverschlag aufgebaut – im Nirgendwo. Als wir den letzten Anstieg geschafft haben, eröffnet sich ein erster Blick auf unser Tagesziel: Oasis de Sangalle.

In der Innenseite der Flusskurve breitet sich eine breite Grünfläche mit Palmen und Pools aus. Ein Pool entwickelt für uns schnell eine Anziehungskraft und spendet neue Motivation. Noch vor der Brücke auf die grüne Insel inzwischen der felsigen Landschaft, erscheint uns ein großer Wasserfall auf der gegenüberliegenden Seite. Mitten aus der Felswand scheint er zu entspringen und ab da und abwärts ist plötzlich alles grün. Doch dann ruft der Pool erneut. Ein letztes Mal über eine Brücke und letzte Meter nach oben, einmal quer durch das teils überwucherte Gebiet, bis wir in einer Bungalow-Siedlung ankommen. Strom ist hier Mangelware.

Unser Guide teilt uns auf die Zimmer auf. Kaum haben wir unsere Sachen in dem Bambus-Verschlag außerhalb der Reichweite von Kleintieren und Skorpionen geparkt, springe ich auch schon in den Pool. Das recht frische Wasser kühlt die geschundenen Beine und gleicht einer Wohltat. Ich könnte stundenlang darin ausspannen, wenn es nicht auf die Dauer zu kalt wäre. Zudem wirft sich der Schatten frühzeitig über uns und ich suche nach der Dusche die warmen Klamotten auf.

Gefühlte Ewigkeiten warte ich mit knurrenden Magen auf das Abendbrot und bleibe enttäuscht von der mageren Mahlzeit. Wir sind geschafft und suchen direkt den Weg in die Horizontale. Nicht ohne den krassen Sternenhimmel zu sehen. Fernab großstädtischer Lichter erscheinen Millionen kleiner Sterne und die Milchstraße ist ohne Probleme zu erkennen. Ich muss stehen bleiben und dieses seltene Bild tief in mir einprägen. Oft habe ich das Bild nicht gesehen. Mal bei einer Segelfahrt auf der Ostsee oder bei der Überfahrt mit dem Frachtschiff nach Südamerika oder auf dem Boot im Amazonas-Regenwald. Nein, so ein Himmel ist selten.

Aufstieg

Schon 4:30 Uhr treffen wir die Gruppe und Fernando, damit wir den Rückweg nach Cabanaconde machen. Diesmal eine andere Route, doch der Höhenunterschied bleibt gleich. Wir steigen direkt von 1.900m auf 3.300m. 1.400 Höhenmeter in wenigen Stunden. Im Zickzack den Weg über Schotter und Fels. Wir haben unsere Stirnlampen an und folgen jeweils unseren Vordermenschen. Andere Gruppen sind am Hang wie Lichterketten, die im Wind wackeln, zu erkennen. Langsam schieben wir uns Kurve um Kurve nach oben. Plötzlich sollen wir alle an die Innenseite gehen und warten. Eine Gruppe Esel rauscht an uns vorbei. Inklusive Esel-führer. Auf der gesamten Strecke nach oben transportieren Esel die nötigen Sachen für die Menschen im Tal oder Touris, die aufgegeben haben. Lediglich der Müll wird von Hand geleert und auf dem Rücken getragen. Der ältere Mann hat nur Sandalen an, zwei riesige Säcke Müll auf dem Rücken und überholt mich mühelos. Ich rede mir ein, dass ich kaum 1.400 Höhenmeter in Deutschland trainieren hätte können. Er schon.

Die Berge am Horizont werden zu erst in orangefarbenes Morgenlicht getaucht. Bis mich die wärmende Sonne erreicht, vergehen allerdings noch schweißtreibende Stunden. Das Orange wandelt sich langsam in kräftige Farben und diese fließen langsam ins Tal. Wie frische Farbe die nach und nach auf die Berggipfel aufgetragen wurde und dann über die Kanten ins Tal läuft.

Fernando hat uns mittlerweile drei Bäume gezeigt, bei denen wir uns wiedertreffen sollen. Sie sehen klein aus und ich glaube, dass sie ein erstes Zwischenziel mit Pause sind. Mittlerweile haben Pippi und ich die Strategie entwickelt, möglichst vorne zu laufen und Pausen zu vermeiden, damit wir an der eigentlichen Pausenstation eine umso größere Pause haben. Wir haben allerdings nicht mit DIESEN Bäumen gerechnet. Lange Zeit nehmen wir Stein für Stein während unsere Herzen pumpen und der Schweiß von der kühlen Luft schnell getrocknet wird. Als nach vielen unendlichen Minuten tatsächlich DIE Bäume wieder auftauchen, sind sie immer noch verdammt weit oben. Wir machen nun doch Trinkpausen und lassen unglaublich sportliche Menschen an uns vorbeiziehen. Immer wieder auch Esel. Manche Touris auf den schaukelnden Rücken am Rande des Abgrundes haben weiße Gesichter die im Kontrast das Esel-Fells schwarz erscheinen lassen.

Viele der Touris, die fast ausschließlich aus Westeuropa kommen, haben entsprechende Trekking-Kleidung und -Ausrüstung angelegt. Pippi mit Jeans und meinem alten Schulrucksack. Ich mit Leggins und Jutebeutel. Ja, wir passen nicht ganz ins Bild der gut vorbereiteten Extrembergsteiger*innen. Trotzdem wissen wir einen guten Teil unserer Gruppe hinter uns und beißen uns weiter den Berg hinauf. Nur, wo sind die scheiß Bäume?

Als sie dann doch wieder auftauchen, dämmert es mir endlich, dass die Bäume nicht klein und krüppelig sind, sondern groß und stolz. Ein Mann, der uns entgegen kommt, grüßt uns freundlich und verrät, dass es nur noch eine Stunde bergauf sei. Ich denke, dass die Distanz bis zum Gipfel gemeint ist, stelle aber fest, dass sie bis zu den Bäumen ist. Ja, tatsächlich sind wir noch an den riesigen drei Nadelbäumen angekommen. Ich habe kaum mit dem Pausieren begonnen, motiviert Fernando uns zum weiterwandern. Ich stelle mich innerlich auf weitere Stunden harten Anstiegs ein.

Doch nach zehn Meter klettern wir umständlich durch das Gipfelkreuz und erreichen einen Platz, voll mit Ankömmlingen. Geschafft! Wir Finisher ruhen uns kurz aus, bevor wir Siegesposen vor der Kamera machen. Meine Peace-Fahne kommt dabei zum Einsatz und motiviert Weitere sich damit zu photographieren. Ein Mann möchte sogar ein Photo mit mir, weil ich diese Idee mit der Flagge habe und er Frieden wichtig findet.

Die letzte halbe Stunde ist ohne Berge und wir erreichen Cabanaconde und somit auch unser Frühstück. Bevor ich aber in die letzte Straße einbiege, muss ich meine Augen reiben. Ein Mann läuft mit meinem Rucksack von links nach rechts und bringt ihn auch zum Frühstück. Die großen Rucksäcke haben wir am Vortag abgeben können und uns wurde versprochen dass wir sie hier wiederbekommen. Dass sie allerdings von jemandem durch das Dorf getragen werden, war uns nicht klar. Schon irgendwie komisch, den eigenen Rucksack an einem vorbeiwandern zu sehen.

Das Frühstück reihte sich in die Reihe der mageren Portionen ein, aber zumindest gab‘s Kaffee und Coca-Tee.

Nächster Stopp

Von nun an müssen wir nicht mehr laufen, sondern werden gefahren. Der Bus bringt uns zu einem Verkaufsstopp, wo auch je zwei Alpakas und Lamas warten. Highlight für uns soll aber ein Bad in einer heißen Quelle sein. Trotz der hohen Luft-Temperaturen tummeln sich einige Touris in den extra angelegten Becken, die mit bis zu 38 Grad sehr heiß sind. Der nahe Fluss ist ziemlich steinig, dafür aber erfrischend kalt. Das Quellwasser, dass auch teils einfach so in den Fluss fließt ist tatsächlich kochend heiß.

Unzählige Versuche uns das Mittagessen zu verkaufen haben wir während der Tour widerstanden und verabschieden uns kurz vorher bei Fernando, der sich rührend um uns gekümmert hat. Wir fahren nicht zurück nach Arequipa. Unser nächster Stopp soll Puno sein. Wir wurden von dem Touren-Anbieter in einen Touri-Bus gesetzt, wo eigentlich niemand so richtig motiviert ist. Der Guide im Bus zeigt uns zwar verschiedene reizvolle Landschaften, die aber hinter den Bildern der letzten Tage zurück bleiben.

Zum ersten Mal sehe ich aus der Ferne einen aktiven Vulkan, weil wir auf die Rauchsäule am Horizont aufmerksam gemacht werden. Schon komisch, dass die graue Wolke auf der Spitze aus dem Berg kommt. Der letzte Halt ist an einer riesigen Laguna auf über 4.400m. Auch hier packt die Alpaka-Produkte-Händlerin schon ihre Sachen ein und wir nehmen die letzte Hürde über Juliaca nach Puno.

PS.: Karte von der Gegend:


Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …