Sep 15 2018

Faire Woche beginnt – mit unseren Videos – #fairhandeln

Gestern hat die Faire Woche begonnen! Wir sind ganz stolz mit eigenen Beiträgen dabei zu sein. Auf Facebook und Instagram findet ihr unsere Videos, die wir in Dorf 36 (Guyana), Ivochote (Peru) und Huancayo (Peru) mit Bäuerinnen und Bauern gemacht haben. Also schaut sie euch an und unterstützt die Faire Woche kräftig!

#fairhandeln


Apr 27 2018

The Sound of Guyana

„Sie mag Musik nur wenn sie laut ist“ singt Herbert Grönemeyer ohne wahrscheinlich einmal in seinem Leben in Georgetown gewesen zu sein. Dabei passt der Refrain des deutschen Popmusikers so gut zu Georgetown, als hätte er die Hauptstadt Guyanas gekannt. Die Stadt tanzt nach ihrem eigenen Beat und ist dabei im Gegensatz zum Rest des Landes quirlig, aufgedreht und stets laut, egal zu welcher Uhrzeit.

Schon als wir das Dorf des Reisproduzenten Richtung Georgetown verlassen, stellen wir fest, dass ein Musikinstrument in Guyana von ganz besonderer Bedeutung ist: die Autohupe. Sie gibt es in verschiedenen Tonlagen und Lautstärken mit Melodie oder ohne. Wird sie in Deutschland in der Regel dazu verwendet den Autofahrer vor uns freundlich darauf hinzuweisen, dass die Ampel schon seit mindesten zwei Sekunden auf grün steht, gibt es in Guyana unzählige weitere Einsatzmöglichkeiten. Beispielsweise werden auf den Straßen stehende Nutztiere wie Esel oder Kühe mit der Hupe verscheucht, ein Überholvorgang angezeigt oder andere Verkehrsteilnehmer gegrüßt. Der beliebteste Nutzungsgrund ist allerdings recht simpel: Achtung hier bin ich, alles aus dem Weg und zwar pronto! So würde es mich nicht verwundern, wenn es bei einem Verkehrsunfall Strafmilderung für den Verursacher gäbe, wenn dieser sich mit „Ich habe doch gehupt“ entschuldigt.

Nach drei Stunden Autofahrt, einigen Hupkonzerten unseres Fahrers, begleitet von seinem genuschelten Flüchen, erreichen wir Georgetown. Zum ersten Mal seit meiner Abreise in Europa habe ich das Gefühl in einer Art Großstadt zu sein. Georgetown hat 134.000 Einwohner. An den Straßen reiht sich ein Geschäft an das andere. Dazwischen fliegende Händler, die Zuckerwatte, Kleidung oder einen halbes Elektronikfachgeschäft mit sich herumtragen. In der Mittagshitze laufen sie unermüdlich von einer Menschentraube zur nächsten. Enttäuscht zieht ein Händler ab, als wir ihm keines seiner super modernen Haartrockengeräte abkaufen. Wir gehen weiter Richtung Hafen. In unseren Ohren treibende Rhythmen, die aus allen Lautsprechern tönen. Die Hauptsehenswürdigkeit in Georgetown ist der Strabroekmarkt, eine riesige Markthalle mit Wellblechdach und einem großen Uhrenturm als Wahrzeichen. In der Halle soll unter der Woche ein aufregendes Marktleben herrschen. Allerdings ist Sonntag und es gibt nur ein paar Stände vor dem Eingangstor. Einige Verkäufer haben auch Reis von unserem Reisproduzenten im Angebot. In Georgetown gibt es viele Kanäle, die nach holländischen Vorbild gebaut wurden. Mittlerweile funktioniert das Abwassersystem der Stadt nicht mehr und so dienen die Kanäle den Einwohnern eher als Mülleimer. Der Staat ist bemüht mit Kampagnen auf eine grüne und nachhaltige Entwicklung zu drängen. In einigen Regionen Guyanas gibt es aber bis heute kein Müllentsorgungssystem und so verwundert es nicht, dass der Müll entweder im Garten verbrannt oder in nahe gelegenen Flüssen entsorgt wird. Durch das dichte Hafengebiet gelangen wir zum Strand von Georgetown. Es ist ein lebendiger Platz, wo die Menschen sich treffen und feiern. Unsere Aufmerksamkeit fällt auf eine Gruppe, die Beachvolleyball spielt. Wir verbringen den Nachmittag damit mal das eine und mal das andere Team anzufeuern und so gehen alle mit einem guten Gefühl nach Hause.

Am Abend sind wir bei Roxana zum Essen eingeladen. Sie hat uns bei der Vermittlung zu unserem Reisproduzenten sehr geholfen. Als wir uns gerade fertig machen, hupt es draußen eindringlich. Diesmal sind wir gemeint. Roxana hat uns extra ein Taxi bestellt, weil es nachts für Touristen zu gefährlich sei auf die Straße zu gehen. Dies hören wir von Einheimischen hier öfters. Wir hatten allerdings nie das Gefühl uns in einer Situation bedroht oder unsicher zu fühlen. Roxana ist eine kleine aufgeweckte Frau mittleren Alters mit schwarzen schulterlangen Haaren. Ihr Haus ist stilvoll mit alten Holzmöbeln eingerichtet und überall stehen Bücher herum. Sie ist Journalistin, hat in England studiert und lebte in den 80zigern sechs Jahre lang in Deutschland. Sie erzählt uns von der aufregenden Wendezeit in Berlin, ihren Sorgen über die geplanten Ölförderungen in Guyana und die großen ausländischen Konzerne die davon profitieren werden. Auf unsere Ansprache der aktuellen Regierung winkt Roxana gleich ab und verdreht die Augen. Keinen den wir getroffen haben, scheint mit der neuen Bündnisregierung, die nach der jahrzehntelangen Regierungszeit der kommunistischen Partei 2015 an die Macht kam, zufrieden zu sein. Von draußen hören wir ein dumpfes hölzernes Geräusch. „Das sind die Frösche, es wird gleich regnen“, erklärt Roxana. Und tatsächlich keine fünf Minuten später prasselt der Regen gegen die Fenster. Mit dem aufkommenden Regen verabschieden wir uns von unserer herzlichen Gastgeberin. In der Unterkunft angekommen, vermischen sie die Geräusche von Georgetown. Aus einer nahe gelegenen Diskothek dröhnen die Bässe durchs geschlossene Fenster, von oben trommelt der Regen aufs Dach und dazwischen das vertraute Summen des Ventilators. Unser Nachtlied.

Pünktlich 16:30 Uhr stehen wir mit unserem Gepäck vor der Geschäftsstelle von Carles Busservice. Nur mit dem Bus kommt man durch den Regenwald über den Landweg in den Süden Guyanas nach Letham. Dort wollen wir die Grenze nach Brasilien passieren. Der Kleinbus sieht so aus als hätte er schon ein paar Jahre auf dem Buckel und macht generell nicht den Eindruck ein TÜV Abzeichen zu bekommen. Vor der Geschäftsstelle sitzen schon wartende Passagiere mit viel Gepäck. Es stehen Koffer, Lebensmittelsäcke, ein Fahrrad und sogar ein Gasherd quer verteilt auf dem Hof. Mit der Zeit wird es voller und ich frage mich, wie all die Menschen und Gegenstände nur in diesen Bus passen sollen. Als 18 Uhr endlich das gesamte Gepäck irgendwie Platz auf dem Dach gefunden hat und verschnürt ist, drängeln sich schon die ersten Fahrgäste an die Türen des Busses. Unser Fahrer, ein Mitte vierzigjähriger, schlanker, Indo-Guyaner, weißt jedem einzelnen Passagier den Platz zu. Es wird spannend. Er zeigt auf uns und dann auf den Vordersitz. Jackpot, denke ich. Es scheint der Platz mit der größten Beinfreiheit zu sein. Meinen überschwänglichen Gedanken werde ich im Laufe der Fahrt noch bereuen. Ein Blick ins hintere Abteil des Busses zeigt mir aber, dass den besten Platz hier wohl der Fahrer hat. Jeweils auf einen Sitzplatz quetschen sich zwei Personen, sodass am Ende 15 Menschen mehr oder weniger in den Bus passen. Der Schweiß tropft jetzt schon bei jedem Einzelnen. Der Bus tuckelt aus der Stadt und aus dem Radio tönen Liebesschnulzen von Whitney Housten bis Aerosmith. Eine skurrile Situation, aus der ich mir einen Spaß mache und einfach mitsinge. Gegen 22 Uhr ist die gute Laune verflogen. Es ist heiß, es ist eng und aufgrund der vielen Stopps geht es nicht voran. Mittlerweile weiß ich auch, warum sich mein Sitz so warm anfühlt. Unter ihm ist direkt der Motor, der des öfteren auf Hals und Nieren geprüft wird. Des weiteren ist die Handbremse defekt, der 2. Gang funktioniert nicht und meine Tür lässt sich nicht richtig schließen. Anschnallen kann man sich grundsätzlich in keinem Fahrzeug in Guyana. Jeder Fakt für sich würde schon für ein ungutes Gefühl sorgen. Dafür ist aber keine Zeit, jetzt geht die Fahrt erst richtig los. Bis zu diesem Punkt sind wir noch auf einer befestigten Straße gefahren. Nun im Regenwald ist es eine rote Sandstraße mit Hügeln, Schlaglöchern, wassergefüllten Gräben und Schlammpfützen, die kleinen Seen gleichen. Der Fahrer befördert den Bus von links nach rechts, fährt Schlängellinien, nur um irgendwie den Hindernissen auszuweichen. Ist die Straße etwas ebener brettert er mit 80 km/h über die Piste. Ich sende eilige Stoßgebete aus, dass die Achse nicht bricht, denn wer sollte hier im Nirgendwo schon vorbeikommen. Aus dem Radio tönt mittlerweile indische Bollywoodmusik. Ich sitze direkt neben dem Lautsprecher. Die lauten Arienstimmen der Sängerinnen verursachen bei mir Kopfschmerzen. Mitten im dichten Regenwald halten wir an einer Art Raststätte, die wahrscheinlich wie überall auf der Welt Lebensmittel zu überteuerten Preisen anbietet. Der einzige Reisende, der noch Spaß zu haben scheint, ist ein älterer dürrer Mann mit grauen Haaren und Schiebermütze. Er dreht das Radio noch lauter und legt ein Flotte Sohle auf den Sandboden. Dabei tänzelt er federleicht wie eine Bauchtänzerin mit einem Hüftschwung von denen viele wohl nur träumen können. Erst wird der alte Mann kritisch von den Reisenden beäugt, dann belächelt und am Ende seiner Performance bekommt er von einigen sogar Applaus. Für einen Moment wurden die müden und geplagten Gesichter wach. Dann scheucht unser Fahrer wieder alle Reisenden in den Bus. Nach drei weiteren durchgeschüttelten Stunden auf der Sandpiste kommt der Bus unsanft zum Halten. Um uns ist nichts, nur die Scheinwerfer des Busses legen ein kleines Sichtfeld frei. Es ist mal wieder was kaputt. So richtig wohl ist mir nicht in die Dunkelheit auszusteigen, doch es wird sich lohnen. Der Anblick der Sterne ist unbeschreiblich und es fällt mir schwer meinen Blick von den leuchtenden Himmelskörpern zu lösen. Immer wieder bin ich fasziniert von diesem klaren Bild. Kein Wunder die nächsten Lichtquellen müssen etliche Kilometer entfernt liegen. Ich versuche mir diesen Moment gut einzuprägen, denn es wird noch eine lange Fahrt werden, in der wir mehr als 21 Stunden unterwegs sind, den drittgrößten Fluss Südamerikas, den Essequibo, überqueren, mehrere Pannen haben, immer wieder unserer Pässe mehr oder weniger freundlichen Grenzbeamten präsentieren müssen, Passagiere in entlegenen Gegenden absetzen und schließlich drei Minuten vor Abfahrt unseres Busses nach Boa Vista die brasilianische Grenze überschreiten. Noch ahne ich nichts von den vor mir liegenden aufregenden Stunden. Glücklicherweise fallen mir meine kleinen Helfer im Rucksack ein: Oropax. Erleichtert stecke ich sie mir fest in die Ohren, was die Musik endlich auf eine Normallautstärke runterregelt. Ich schaue mir nochmal den Sternenhimmel an. Schließe die Augen und denke: Ich mag Musik auch wenn sie leise ist.