Mrz 26 2019

Altstadt an der Flussmündung

Von Karl

Colonia del Sacramento, Uruguay

 

Als wir in Uruguay von der Fähre gehen ist es schon dunkel. Nichtsdestotrotz wirkt Colonia del Sacramento ruhig und friedlich. Wir fragen in der Tanke nach dem nötigen Bus um zu unserer Unterkunft am Rande der Stadt zu kommen. Der Busfahrer hilft uns dann noch an der richtigen Stelle auszusteigen. Beim Aussteigen bemerke ich, dass eine Gruppe Jugendlicher an der Haltestelle wartet und wir machen uns schleunigst auf den Weg. Gute fünfhundert Meter soll es die große Ausfallstraße weiter gehen. Nach einer kleinen Brücke hören die Häuser erstmal auf und die Straße ist unbeleuchtet.
Ein Blick zurück verrät uns aber, dass sich die Gruppe Jugendlicher, die nicht besonders wohlhabend ausschaut uns gefolgt ist. Wir gehen ein Stück zurück und nun verteilen sie sich auf beide Seiten der Straße. Offensichtlich hängen wir in einer Sackgasse. Ich bin für solche Gefahren nicht gemacht, Azul dagegen wirkt schon fast routiniert. Wir hoffen, dass die Jugendlichen nicht näher kommen und tatsächlich warten sie auch. Wir versuchen Autos zu stoppen, aber keines hält an. Es ist eine bedrohliche Situation.
Mindestens eine halbe Stunde beäugen wir uns gegenseitig, während Azul und ich Lösungen diskutieren.
Dann kommt uns die rettende Idee. In manchen Ländern habe ich SIM-Karten gekauft und unter anderem habe ich noch die argentinische in meinem Handy. Claro, der Netzanbieter den ich gewählt hatte, wirbt dafür, dass für das Telephonieren kein Roaming anfällt, wenn ich die Karte in Chile, Argentinien, Uruguay, Paraguay oder Brasilien benutze. Kaum, dass wir anfangen die Nummer unseres Gastgebers heimlich in mein Handy zu tippen, geben die Jugendlichen auf und ziehen ab.
Unser Gastgeber, Leo, springt offensichtlich sofort ins Auto und in wenigen Minuten sind wir am Ziel. Nochmal Glück gehabt.

Uruguay und Colonia

Uruguay gilt als das wohl wohlhabendste und stabilste aller Länder in Südamerika. Damit ist es auch relativ teuer. Tatsächlich macht es auf mich einen relativ friedliebenden Eindruck. Trotz des gefährlichen Begrüßungsempfanges. Unser Gastgeber versichert uns, dass es kaum Jugendbanden gibt. Die wollten sich höchstens mal ausprobieren, aber normalerweise ist es ungefährlich. Er erzählt mir auch, dass er nach Uruguay gekommen ist, weil hier das Leben ruhiger und sicherer ist. Raubüberfälle und dergleichen machten das Leben in Argentinien ungemütlich und deshalb zog es ihn als Musiker nach Colonia. Er hat ein kleines Haus deren hinterer Bereich an uns vermietet wird, inklusive grandiosen Frühstück in der Sonne.

Von hier aus können wir in einer halben Stunde zum Strand laufen, der sich zwar ausnimmt wie ein traumhafter Meeresstrand, aber in Wirklichkeit nur am Rio de la Plata (Silberfluss) liegt. Dies bezeichnet den riesigen unüberschaubaren Mündungstrichter der Flüsse Paraná und Uruguay.

Der offizielle Name des Landes kommt übrigens von diesem großen Fluss: Republik östlich des Uruguay. Eine, wie ich finde, witzige Idee. Warum nicht: Bundesrepublik östlich des Rhein.

Colonias Altstadt ist vergleichsweise hübsch und gut restauriert. Viele alte weiße Gebäude und mittelalterliches Gemäuer. In harmonischer Kombination direkt am Wasser. Es scheint auch „Geheimtipp“ im LonelyPlanet zu sein, denn es gibt viele Rucksacktouris und die Preise sind überdurchschnittlich. Hinzu kommt, dass es nah an Argentinien und Buenos Aires ist und leicht erreichbar. Auch wir schlendern genießend eine Runde durch das historische Viertel. Findige Aktivistis haben kluge Sprüche auf A4-Zettel gedruckt und an vielen Ecken aufgehängt. Es scheinen Feminist*innen unterwegs zu sein. Auf dem ersten stand „Es ist nicht die Länge meines Rockes sondern die Kürze deiner Ideen“.

Im Geschäft nebenan kann auch Souvenir von Uruguays berühmtester Persönlichkeit gekauft werden. Mit Konterfei und klugen Spruch. José Mujica war Präsident des Landes und ging als „ärmster Präsident der Welt“ in die Geschichte ein. Im Spanischen ist „Pepe“ der Spitzname für alle die José heißen, weswegen er auch oft nur El Pepe genannt wird. Pepe machte eine Legislatur von 2010 bis 2015 und nahm nur 10% vom Präsidentengehalt. Den Rest steckte er in ein Wohnungsbauprogramm oder NGOs. Er legalisierte auch Cannabis, womit Uruguay das erste Land der Welt wurde. In vielerlei Hinsicht eine spannende Persönlichkeit und vergleichsweise vorbildlich für einen Politiker. So blieb er in seiner Chacra, einem kleinen Bauernhof, wohnen, statt in den Präsidentenpalast zu ziehen.
Uruguay ist kulturell stark verwandt mit dem Osten Argentiniens. So streiten sich wohl beide darum, wer nun die Wiege des Tangos gewesen ist. So berühmt wie der Tango in der Welt ist, so selten habe ich jemanden Tango tanzen sehen. Nur für eine paar Touris in der Innenstadt von Buenos Aires, aber ansonsten scheint dass gar nicht so verbreitet zu sein, aber vielleicht war ich einfach nicht in den richtigen Ecken. Eine andere Gemeinsamkeit sind die Membrillos. Eine gelee-artige Masse, hergestellt aus Quittenmus. Es ist zuckersüß und die paar Mal die ich beobachten konnte wie es gegessen wurde, wurde es pur gelöffelt. Mein erster Impuls wäre es als Marmelade aufs Brot zu schmieren. Auch das Asado, das Grillerchen, eint beide Regionen.

Zu meiner tiefsten Überraschung, neben dem das eingemachte Marmelade verkauft wird, wird Marmelade verkauft die aus Aubergine oder Zwiebel hergestellt wird. Kein Witz. Ja, jetzt wo ich das schreibe, merke ich, dass ich es mal hätte kaufen sollen und probieren.

Wir waren nur kurz in Colonia. Da wir ja schon auf dem Weg nach Montevideo wohnten, konnten wir direkt an der Ausfallstraße noch in einen Bus steigen ohne erst in die Innenstadt zu torkeln.


Mrz 14 2019

Santa Cruz #4

Samaipata

Kurz vor Weihnachten unternehmen wir noch eine kurze Reise ins zwei Stunden entfernte Samaipata. Ein kleiner Ort auf dem Übergang vom Flachland zum Hochgebirge. Die Straße gen Westen laufend fängt diese irgendwann an sich zu schlängeln und wir durchfahren grüne Täler mit tiefen Flüssen. Der Ort ist von vielen Reisenden frequentiert und ein wenig Hippie-Flair bekommen. Plötzlich gibt es veganes Essen, Spanier*innen mit Dreadlocks die Armbänder verkaufen und Bücher von indischen Sektenführer. Ein Block vom Marktplatz entfernt durchstreifen wir eine Straße mit allerlei Gemüse- und Obstständen. Wir decken uns für die kommenden Tage ein.

Azul macht zwei Motorräder klar, die uns auf halbe Strecke zur touristischen Attraktion bringen sollen. Außerhalb gelegen befindet sich die Attraktion Samaipatas und der Weg dahin führt über eine einsame kleine Straße durch die Berge.

Wir gehen noch wenige Meter und finden einen Hang an dem wir ein Platz für das Zelt finden. Zwischen wilden Bäumen und Pflanzen falte ich die Sandwichs und genieße einen Ausblick auf das Tal vor mir. Grün ragen links und rechts die Hügel auf und gerade aus sinkt das Tal ab bis eine Kurve mir den Blick nimmt. An mancher Stelle hat sich der Mensch häuslich gemacht und auch unser Platz sieht aus, als wenn hier ein Feld vorbereitet wird oder versucht wurde.
Ein Berg aus Decken macht es bequem zu schlafen. Der kommende Morgen ist von mystischen Nebel begleitet. Die Pflanzen glänzen mit frischen Tau und folglich müssen wir das Zelt ziemlich nass zusammenfalten. Ich genieße den weiten Blick, der immer wieder vom Nebel frei gegeben wird. Ruhe liegt hier. Viel frische Energie in der Luft. Ich genieße.

Zurück auf der Straße, versuchen wir es mit dem Daumen und tatsächlich hält schon bald ein Pärchen an und nimmt uns mit zur Fuerte de Samaipata. Dies ist eine Weltkulturerbe-Stätte mit Ruinen aus der Inka-Zeit. Da es vermutlich ein Ort für Zeremonien gewesen war, ist es wohl der einzige überhaupt bei dem Inka-Zeremonien sich finden lassen. Die Konquistadoren haben ja nicht viel übrig gelassen.
Wir kommen in Begleitung schweren Regens auf die 40 Hektar große Anlage. Da sich alles auf einen Gipfel befindet müsste der Ausblick schön sein, doch für uns ist nur eine weiße Wand zu sehen. Der wichtigste Teil ist ein Sandstein-Felsen der auf 40 mal 200 Metern behauen wurde. Zahllose Linien, Symbole und Tierdarstellungen sind zu sehen. Zwei Linien verlaufen in exakter Ost-West-Richtung. An anderer Stellen gab es weitere archäologische Funde die bis 1.500 vor unserer Zeit reichen.
In meinen Schuhe transportiere ich reichlich Wasser und bin irgendwie froh wieder am überdachten Ausgangspunkt anzukommen. Während wir genüsslich bolivianische Erdnusssuppe schlürfen kommen wir mit den Tischnachbarn ins Gespräch. Solltet ihr mal nach Bolivien kommen so empfehle ich euch wirklich mal „Sopa de Maní“ (Erdnusssuppe) zu probieren. Das ist ziemlich lecker und gibt es wohl an vielen Ecken. Ich falte noch ein Paar Sandwichs und wir teilen fröhlich mit den beiden aus Santa Cruz. Als wir erfahren, dass sie genau dorthin zurück fahren werden, fragen wir nach einer Mitfahrgelegenheit und schwubbdiwupp sparen wir uns die aufwändige Rückfahrt.

Sie sind außerordentlich freundlich und wir halten noch an weiteren schönen Orten, wie beispielsweise einen hübschen Wasserfall. Wir teilen was wir haben, bis wir dann doch etwas einschlafen. Zwischenzeitlich wird es dunkel und es ist die Nacht hereingebrochen als wir wieder in Santa Cruz aussteigen. Sie lehnen es ab, dass wir Ihnen etwas Spritgeld geben. Wir schenken eine Flasche Rotwein die wir nicht getrunken hatten. Noch beeindruckt von der überragenden Nettigkeit der beiden brechen wir zu einen Freund Azuls auf.
Daniel ist Franzose oder Russe beziehungsweise beides. Spricht noch einige weitere Sprachen und hat schon in einem guten Dutzend Ländern gelebt. Er macht sich ziemlich ruhig, leise und schüchtern aus, ist aber ziemlich groß. Als Flugcaptain bereist er eh die ganze Welt. Mittlerweile hat er nach wenigen Jahren auch wieder Santa Cruz verlassen und lebt nun in Ecuador. Ein Leben was für manchen romantisch klingen mag doch Freundschaften und Beziehungen werden dadurch nicht befördert. Er lebte in einen der vielen Hochhäusern denen ich auf meiner Reise begegnet bin. Hier wohnen wohlhabende Leute hinter Stacheldraht mit Wache, Klimaanlage und Tiefgarage. So ziemlich alles, was sich viele Menschen sich nicht leisten können. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, tauchen wir noch in das kleine Schwimmbecken.

Freund*in und Helfer*in

Als ich die Tage des späten Abends an einer Kreuzung darauf warte, dass mein Micro kommt, der mich zum Ziel führen könnte, bemerke ich zwei Männer auf mich zukommen, die dann unweit stehen bleiben. Einer stellt sich auf die Straße und hält nahezu jeden Bus an, der angerauscht kommt. Ganz wie ein normaler Passagier. Der jüngere geht dann wahlweise kurz in den Bus oder von außen die Fensterscheiben entlang. Entdeckt er z.B. ein Handy greift er blitzartig danach und verlässt das Fahrzeug schnell. Danach läuft er dann seelenruhig weiter, als wenn nichts passiert wäre. So arbeiten die beiden Diebe eine Weile und laufen dann die Straßen hinab und führen ihre Arbeit dabei fort. Ich stehe wie angewurzelt und will unter keinen Umständen auffallen um nicht selbst ausgeraubt zu werden. Auch im Auto nebenan haben vier Leute gewartet und geschaut bis die beiden weg sind.
Später erzähle ich Azul davon und dass ich überlegte die Polizei zu rufen. Doch sie lachte nur milde. Eine Erfahrung die sich mit vielen Berichten in Südamerika deckt. Die Polizei ist meist kein*e Freund*in oder Helfer*in. Meist hilft sie nur den Reichen, denn sie nutzt ihre Macht um an Geld zu kommen. Ganz nach dem Motto: Wenn ich dir helfen soll, musst du mir auch helfen. Die Leute glauben nicht an den Staat, die Polizei oder das Recht. Sie sind es gewohnt sich selbst zu helfen. In der Situation ruft deshalb auch keiner die Polizei. In manchen Straßen stehen Schilder die vor „Palomillos“ warnen. Das ist ein lokales Wort für die kleinen Räuber*innen.

Ein Beispiel: Azul lief, so erzählte sie mir, erst kürzlich am Abend durch die Straße. Es war schon dunkel und eigentlich sollte dann auch niemand mehr sein Handy zücken. Der Dieb erschien urplötzlich, riss ihr das Handy aus der Hand und rannte in eine Menschenmasse. So verschwand er. Azul lief ihm nach, aber verlor ihn umgehend. Dann machte ging sie zum nächsten Polizeirevier, aber die meinten nur, dass sie keine Leute hätten um den Fall zu verfolgen. Sie weinte und pochte auf Hilfe.
Irgendwann meinten die Beamt*innen, dass sie das Handy orten könnten, aber das koste Geld. Nun beginnt das Verhandeln ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb gab sie erstmal ein Teil ihres Geldes und behauptete das sei alles. Da sich in der ersten Runde die Polizist*innen damit nicht zufrieden gaben, kann dann nochmal gesucht werden und – sieh einer an – noch weiteres Geld hinzugelegt werden. Der Bruder kam dann noch hinzu und so konnten sie dann einiges an Geld aufbringen.
Erst führte dann die Polizei den vermutlichen Räuber vor, der aber das Handy nicht mehr hatte, sondern nur ein Mittelsmann ist. Später bringen sie dann einen weiteren Mann, der allerdings allerlei Wertgegenstände mit sich führt und unter anderem auch das Handy von Azul. Schlussendlich ist nicht klar wie sehr die Polizei mit den Räubern zusammenarbeitet, aber sie ist unterm Strich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.


Sep 1 2018

Atemberaubender Gipfel

von Karl

 

Der Wind steigt aus der Tiefe des Tals entlang des Berghangs nach oben. Auf einer unsichtbaren Höhengrenze beginnt er milchig zu werden. Als wenn etwas Milch ins Wasser gerät. Doch was sich vor mir, direkt am Berghang sitzend, auf Augenhöhe und zum Greifen nah abspielt, ist, dass sich eine neue Wolke bildet. Immer mehr und mehr weiße Watte bildet sich und gerne würde ich in die Watte greifen und mit ihr aufsteigen. Gebannt schaue ich auf das Naturschauspiel und merke die Zeit nicht mehr.

Eben bin ich den Sandhang vom Gipfel hinunter geschlittert. Die letzten hundert Höhenmeter zum Rucu Pichincha musste ich aufwärts ein Sandfeld umklettern, was aber abwärts es umso leichter macht. Die allerletzten Meter sind allerdings felsig und es muss mit allen Vieren geklettert werden. Jede Bewegung nach oben, jeder Schwenk mit dem Kopf von unten nach oben oder zurück, verursacht schon massives Herzrasen. Mit der Seilbahn bin ich aus Quito auf knapp 4000m Höhe gefahren. Von diesem Erlebnis und vielen weiteren Highlights in Quito habe ich schon vor Wochen berichtet, als wir gen Norden unterwegs waren. Von der Bergstation aus führt ein Weg, mal steil, mal gemächlich zum Fuße des Rucu Pichincha. Dann eine Weile parallel zu seinen Felsen, vorbei an Höhlen, bis dann der besagte steile Anstieg erfolgt. Schon dort sind schnelle Bewegungen zu viel. Wenn ich das übertreibe, werde ich benommen und merke wie mir das Bewusstsein entgleitet. Also mache ich langsam. Diese Höhen sind neu für meinen Körper und Akklimatisierung braucht seine Zeit.

Als dann der letzte Meter überwunden wurde bestaune ich erst das Schild mit den 4690m. Das ist vielleicht der Höchste Punkt an dem ich auf dieser Reise komme. Zumindest bewusst. Aber dann erfolgt das zweite Mal, dass mir fast der Atem weg bleibt. Ein gigantischer 360Grad-Blick eröffnet sich mir. Lediglich der etwas höhere Brudergipfel Guagua Pichincha unterbricht den fantastischen Ausblick. Vor mir breitet sich die Millionen-Metropole Quito aus. Die gesamte Länge dieser unfassbar langgezogenen Großstadt ist gut zu erkennen. Nachbarortschaften inklusive. Flugzeuge sind kaum zu erkennen und fliegen tiefer als ich. Die Gebirgskette hinter Quito liegt in Wolken und wird unterbrochen von drei weißen Kegeln. Den Cayambe, den Antisana und den Cotopaxi. Die Vulkane heben sich nur durch ihre Form von den weißen Wolken ab. Immer wieder werden sie verdeckt, um wenig später wieder frei zu stehen. Es ist ein grandioser Anblick und insbesondere der Höchste der drei, der Cotopaxi, erstrahlt in seiner ganzen Schönheit. Ein alleinstehender Vulkankegel der weit über die 5000m hinausgeht.

Hinten der Cotopaxi, vorne Quito

Er gilt als technisch einfach zu besteigen und gilt als meist-bestiegener Berg Südamerikas. Wenn das mal nicht nach einer meisterbaren Herausforderung klingt. Ich mach mich also in Quito ans Werk: online wie offline lege ich viele Meter hinter mir und frage unzählige Agenturen und Leute. Ich brauche ein gutes Angebot inklusive der ganzen Sachen die für einen Bergbesteigung nötig sind. Anerkannte*r Bergführer*in, Gletscherausrüstung, Wintersachen, Transport, Verpflegung, etc. Auch die Familie, die mich aufnimmt nutzt ihre Kontakte und telephoniere mit deren Telephon mit der Freundin der Mutter. Doch gute Angebote sind Fehlanzeige, weil ich alleine bin. Die Preise schwanken zwischen 6 und 900 USDollar. Ich suche eine Agentur, wo zufällig gerade noch ein*e andere*r allein anfragt und wir so den Preis halbieren können.

Ich muss euch noch die Familie vorstellen. Eingeladen hat mich Camila, PR-Studentin im letzten Semester, die mir ihrer Familie vor einem Jahrzehnt aus Bogotá nach Quito kam. Wir quatschen viel, wenn es die Zeit zulässt. Über Sexismus in den beiden Ländern. Z.B. dass Schulen Mädchen verpflichten kurze Röcke und hohe Schuhe als Schuluniformen zu tragen, die äußerst unpraktisch sind. Sprüche und Übergriffe in Bussen. In allen Bussen und Haltestellen ist eine Hotline ausgehängt, bei der sexualisierte Übergriffe gemeldet werden können. Dass Clubs an ihren Eingängen die Menschen nach ihren Aussehen bemessen und daraufhin die Preise festlegen. Hübsche Frauen kommen oft kostenlos rein. Wer nicht ins Raster passt, zahlt mehr. Sie erzählt auch vom Erdbeben 2016. Viele Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung nicht geschult ist, was sie im Ernstfall tun sollte. Die Armensiedlungen entstehen meist informell und gebaut wird je nach Einkommenslage. Viele der Randsiedlungen Quitos würden einem Erdbeben kaum stand halten. Selbst Erdbeben unterscheiden zwischen Arm und Reich. Eine*n Architekt*in, der ein erdbebensicheres Haus konstruiert, muss mensch sich halt leisten können.

Aber auch Musikempfehlungen teilen wir. Die Familie würde mich auch rund um die Uhr mit allen Mahlzeiten versorgen. Oder schaut neugierig auf mein Teller, wenn ich mal essen mache. Ich probiere Tacso- bzw. Curubá-Saft. Eine Frucht die geschmacklich der Maracuja nahe kommt. Die kolumbianische Heiße Schokolade mit Käse als Topping nennt der Vater „Chocolate Santa Fereño“. Der Bruder von Camila, Miguel, hat sogar sein Zimmer geräumt und ist zur Schwester gezogen, damit ich ein Zimmer habe. Ich fühle mich aufgenommen und fast schon zu sehr umsorgt. Ich will was zurückgeben und mache Eierkuchen für alle. Als sie freudig schmatzend am Tisch sitzen, erzählen sie von ihrer Lieblingsspeise: Arepa mit Käse. Mich verführt der Maisfladen nicht so sehr. Als ich erkläre, dass Eierkuchen eigentlich in allen Ländern gibt (Pancake, Crepe, Palatschinken, …) und mit allen möglichen gegessen werden können – ich habe frischen Apfelmus mit Zimt und Rosinen serviert – kommt auch schon eine typisch kolumbianische Süßspeise auf den Eierkuchen: (aufmerksame Leser*innen können‘s sich denken) Käse. Vielleicht ist das eine Marktlücke … süßer Eierkuchen mit Käse in Kolumbien verkaufen …

Bevor ich aber zur Camila kam, verbrauchte ich meine Zeit bei Nancy. Dazu muss ich sagen, dass ich auch viel Zeit im Bus verbrachte. Quitos Bussystem begann ich zu hassen, nachdem ich öfters 3 oder mehr Stunden verbracht habe um von einem zum anderen Ort zu kommen. Da sind selbst die BVG schnell. Gegen 17 Uhr werden schon erste Hauptverkehrsachsen dicht gemacht. Busse außerhalb der drei Achsen fehlt jede Information, damit Nicht-Einheimische sich vorstellen können wohin der Bus vielleicht fährt. Es mag zwar günstig sein, mit 25 Centavos, aber wenn ich diese 6mal am Tag zahle, wird’s langsam teurer. Busse in Vororte fahren teils von benachbarten Terminals ab und haben eigene Preise. Auch mein Umzug von Nancy zu Camila war von vier Stunden geprägt. Im falschen Stadtteil angekommen, wurde mir mehrmals gesagt: Ja, hier ist Condado, aber Condado liegt weiter unten. Etwas ist hier und gleichzeitig wo anders. Dieses Rätsel grenzt an philosophischem Wahnsinn. Sollte mein trainiertes Öffis-Können auch da versagt haben, so kam der berühmte Funken Glück ins Spiel und ich fand doch noch das Ziel.

Nancy ist 50 Jahre und hat zwei Kinder die in Deutschland oder Österreich studieren oder dies anstreben. Da sie ihren Mann rausgeschmissen hat, bewohnt sie ihre große Wohnung alleine. Die Kinder sind gerade auf Urlaub in Ecuador, aber kamen erst an meinen letzten Abend. Die Oma und die Schwester leben noch auf dem Grundstück. Abends saßen wir bei Kaffee zusammen und unterhielten uns lange. Ja, Kaffee wird in Ecuador und Kolumbien gern und zu jede*r Uhrzeit getrunken. Es wird eher wie Tee gehandhabt. Als sie den alten Kaffee mit etwas Wasser verdünnt und dann in der Mikrowelle erhitzt, werden alte WG-Erinnerungen wach. Sie brachte uns auch heimisches Abendbrot mit, allerdings trifft auch das nicht meine vollste Begeisterung: Mais-Käse-Teig in Maisblättern eingewickelt oder einfach nur Mais zum Abknabbern mit Salz und Frischkäse. Dabei meine ich nicht den in Deutschland üblichen Mais, sondern immer den weichen weißen großen Mais. Sie erzählt von ihren Vater, der schon seit über 39 Jahren Tod ist, aber in offiziellen Registern als lebend geführt wird. An vergangenen Abstimmungen hat er laut Register teilgenommen – obwohl er Tod ist. So geht Wahlmanipulation in Ecuador. Auch meinte sie, dass für das Wählen Gehen sie Dokumente erhält, die sie für größere Käufe oder Auslandsreisen benötigt. Diese anderweitig zu bekommen bedeutet lange bürokratische Umwege. Deswegen gehen viele lieber wählen.

Eine Agentur hat mittlerweile mich mit einem zweiten Menschen verbunden. Uns ist das aber zu teuer und wir vereinbaren gemeinsam weiter zu schauen. Mehrere Agenturen geben als Standort Machachi an, einen kleinen Ort eine Stunde südlich von Quito. Ich mach mich also dran, dorthin zu reisen um dort meine Recherchen fortzuführen. Vorher muss ich aber verlängern, weil Camilla mich noch zu ihrer vorgezogenen Geburtstagsfeier einlädt. Mit einigen Freund*innen von ihr gehen wir erst Vorglühen. Shots sind die Mittel der Wahl. Im Anschluss dann in den Club mit moderner lokaler Musik. Sie schwankt zwischen beliebten Salsa-Hits, Reggaeton und europäischer Disko-Musik. So klingt „Quito II“ für mich aus und ich finde den Weg über das Terminal Quitumbe nach Machachi.

PS.: im Bus in Quito habe ich gleich zu Beginn mein Handy verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, aber das lässt sich nicht zweifellos feststellen. Klar ist nur: Da ist es nicht mehr.