Nov 12 2018

Die Filmkulisse

Huaraz, Peru

von Rosa

Nächstes Ziel: Süden! Nagut, noch mal ein Stückchen Norden für einen besonderen Juwel. Manchmal sehen Fotos besser aus als die Realität. Alle Online-Dating-Nutzer wissen wovon ich spreche;). In diesem Fall zum Glück nicht. Da ist es genau andersherum. Denn man kann die Schönheit dieses Nationalparks einfach nicht auf Fotos festhalten.

Die Reise von Kolumbien nach Peru gestaltet sich schwieriger als erwartet. Im Ticketpreis nicht inklusive ist zu meiner Überraschung mein großer Rucksack. Der muss aber mit. Also beiße ich in den sauren Apfel und zahle 70 Euro für mein tragbares Haus. Meine Miene verfinstert sich allerdings noch einmal als mir die gute Frau am Schalter sagt, dass ich ein Ausreiseticket für Peru brauche, bevor ich überhaupt einreisen darf. Ganz dunkel kommt mir das bekannt vor. Also renne ich zum nächsten Internetpunkt und kaufe mir ein Ticket von Puno (Grenzstadt in Peru) nach La Paz für 12 Euro und bin mir fast sicher, dass ich es nie einlösen werde. Wie ich später erfahre, gibt es extra Internetseiten, die Fake-Tickets für solche Situationen ausstellen. Zurück zur Frau am Schalter. Sie macht schnell ein Foto vom Ticket und dann darf ich endlich zum Boarding. Dort kommt mein Rucksack nicht durch die Kontrolle. Angeblich habe ich scharfe Gegenstände dabei. Meine kleine Nagelschere und Nagelfeile habe ich in meinem Rucksack vergessen und jetzt landen sie im Müll. Ich stelle mir bildlich vor wie ich die Stewardess mit einer Nagelfeile bedrohe, damit sie mir ein vegetarisches Sandwich gibt. Aber noch nicht mal ein Sandwich ist im Flugticket inbegriffen. Das billigste Essbare was ich im Flughafen finde, ist eine Tüte Chips. Als ich sie in meinem Rucksack verstauen will, rufe ich laut Puta Madre! Es ist das Schimpfwort was ich schon so oft in Kolumbien, Ecuador und Peru gehört habe und diesmal ist es ein dreifaches Puta Madre! Kurz bin ich überrascht, dass ich sogar schon auf spanisch fluche, dann kommt der Ärger zurück. Als ich die Chips verstauen möchte, bemerke ich, dass ich zu viel Platz in meinem Rucksack habe. Das ist nicht gut. Das heißt immer: es fehlt etwas. Mein Schlafsack ist noch in Bogotá. Ich nehme ihn immer mit ins Handgepäck, weil die Busse in Südamerika durch die Klimaanlage so kalt temperiert werden, dass man fast erfriert. Warum das so ist, versteht keiner. Nun ist so eben ein Teil meines Schneckenhauses verloren gegangen. Dann auch noch mein Schutzmantel. Mein wärmendes Fell. Ausgerechnet jetzt wo es in den kalten Süden geht. Meine Chips und ich warten mürrisch am Gate. Dann muss ich mir jetzt eben eine extra Fettschicht gegen die Kälte zulegen. Hilft ja alles nix!

Die ersten Schneegipfel sind zu sehen. Langsam verliert das Flugzeug an Höhe. Lima begrüßt mich in bekannter Weise mit Nebel. Bei der Immigration nach Peru interessiert sich niemand für mein Ausreiseticket. Sehr schön. Ein aufgedrehter Taxifahrer bringt mich zum Gran Terminal Plaza Norte, dem größten Busbahnhof in Lima. Der Taxifahrer kann jedes Lied im Radio mitsingen und hat 14 Jahre in den USA gelebt. Aber es hat ihn wieder nach Peru gezogen. Weihnachten wäre hier besser, sagt er. Neben dem Busbahnhof befindet sich ein riesiges Shoppingcenter. Ich mache mich auf die Suche nach einem Schlafsack. Kurz bevor ich aufgeben möchte und meinem natürlichen Wärmespeicherplan mit Fast Food nachgehen will, finde ich doch noch ein Outdoor-Geschäft. Allerdings haben sie nur ein Monstrum von Schlafsack. Der Gedanke an die acht Stunden Fahrt in die Berge, schlägt die Zweifel in den Wind. Ich baue an. Mein Haus hat jetzt noch eine Garage. Wehe ich nicht mehr so schnell weg. Kurz vor Mitternacht rollt der Bus los von Lima wieder Richtung Norden. Ironischerweise ist die Heizung im Bus an.

Die Straßen sind noch fast leer am frühen Morgen. Die Innenstadt von Huaraz ist mit vielen Geschäften gesäumt. Rechts von der Hauptverkehrsader ist es sehr ruhig. Ich laufe den Berg hinauf bis zur Unterkunft. Doch anscheinend habe ich die falsche Straße erwischt und bin zwanzig Minuten in die falsche Richtung gelaufen. Puta Madre! Verschwitzt und müde komme ich endlich an. Es gibt eine heiße Dusche als Belohnung. Huaraz liegt in 3000 Meter Höhe und ist umgeben von imposanten Berglandschaften. Ein schneebedeckter Gipfel reiht sich an den nächsten. Zwei Stunden von Huaraz entfernt liegt der Nationalpark Huascarán, der einen großen Teil der Cordillera Blanca unter Schutz stellt. In dem über 3400 Quadratkilometer großen Gebiet gibt es unzählige Wanderwege, die über 16 Tage dauern können. Heiß empfohlen wurde mir der Trek zur Lagune 69, den man an einem Tag schaffen kann, wenn man zeitig aufsteht. Ganz nach dem Motto der frühe Vogel fliegt auf den Berg. Mit Fliegen hat die anstrengende Wanderung allerdings wenig zu tun.

Es ist mitten in der Nacht und der Wecker klingelt. Es gibt Leute, denen macht das zeitige Aufstehen nichts aus. Und dann gibt es mich. Aber seit ich die Fotos von der türkisblauen Lagune gesehen habe, bin ich ein Stück weit verliebt. Also schiebt sich mein Körper unter der warmen Bettdecke hervor in die noch kalte Morgenluft. Wir fahren mit dem Bus aus der Nacht der Sonne entgegen, die sich langsam hinter den Schneegipfeln zeigt. Das Aufstehen hat sich jetzt schon gelohnt. Die Bergriesen reihen sich aneinander bis wir von der Asphaltstraße auf eine Schotterstraße wechseln. Am Eingang des Nationalparks müssen wir acht Euro bezahlen und dann wird es richtig spannend. Mich umgeben hohe Felsmauern. Sie wirken wie abgehakt. Rote, braune, graue Farben wechseln sich in den Steinformationen ab.

Bevor die Wanderung losgeht, halten wir an einem See, dessen Farbe an schönste Karibikstrände erinnert. Nur gibt es hier eben noch Berge. Im Nationalpark soll sich angeblich auch der Berg befinden, der als Motiv für die bekannte Filmproduktionsfirma Paramount Pictures fungiert. Deswegen ist der Gruppenname unserer Wandergruppe Paramount. Vier Stunden dauert die Wanderung bis zur Lagune 69. Im Park gibt es über 400 Seen. Schon die ersten Meter begeistern mich.

Ein kleiner Bach schlängelt sich im Tal entlang. Aus den Felswänden sprudeln kleine Wasserfälle. Die Wanderstrecke gibt keinen Grund zur Langeweile. Die Flora und Fauna ist so abwechslungsreich, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus komme. Die ersten Wanderer kommen aus dem Schnaufen nicht mehr raus. Wir sind fast auf 4000m Höhe. Ich fühle mich gut und kann lange Strecken ohne Pausen laufen.

Vor mir türmen sich immer neue Schneeriesen auf. Langsam werden auch meine Schritte langsamer und die letzten Meter auf dem steinigen Untergrund eine kleine Tortur. Ich biege um die letzte Kurve und schon sehe ich es türkisblau schimmern.

Es ist ein wunderschöner Anblick. Wie ein seltener Stein liegt das saftige blau zwischen großen Felsen hinter denen Eisberge thronen. Es sind fast keine Menschen da. Ich laufe über Steine, um die Lagune von allen Seiten zu betrachten. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich bekomme die Lagune nicht in ihrer vollen Pracht auf ein Foto.

Langsam trudeln die anderen Wanderer ein. Einer will es wissen und hat sogar eine Drohne dabei, um DAS Bild zu bekommen. Ich erfreue mich am Rückweg, der nur noch bergab geht.

Am Abend schnalle ich mir wieder mein Haus auf den Rücken und diesmal komme ich ohne Umwege beim Busbahnhof an. Ich kuschle mich in meinen neuen Schlafsack und fahre durch die Nacht zurück nach Lima.