Jun 27 2018

Kaffee, der stresst

von Karl, 26. Juni 2018, Playas (General Villamil)

 

Heute stelle ich euch Piura vor. Piura hat für mich zwei Gesichter. Sie heißen NorAndino und Kev. Beide Gesichter möchte ich euch vorstellen. Auch wenn es vielleicht unglücklich losgeht, so seid beruhigt, es wird besser.

(Nicht) Willkommen bei NorAndino

Unser zentrales Anliegen in Piura war der Besuch der großen Exportfirma „NorAndino“. NorAndino beliefert die ganze Welt, vor allem aber Europa, mit fairen Kaffee, Kakao und Rohrzucker. Schon in Huancayo kannten Leute NorAndino. Mehrere Tausend Bäuerinnen und Bauern arbeiten für NorAndino und es gibt mindestens eine große Fabrik, sowie eine Geschäftsstelle. Wir haben Probleme Informationen von unserer Kontaktfrau zu bekommen und werden sie nicht einmal zu Gesicht bekommen. Am ausgemachten Tag rufen wir an und können dann doch einfach vorbei kommen. Nun warten wir lange, doch Interesse an uns hat hier niemand. Das war bei den anderen Firmen meist anders, weil unser Film oft eine Gelegenheit ist, auch die eigenen Produkte vorzustellen. Gratis Werbung halt. Irgendwann sprechen wir mit einem Ingenieur, aber auch ihm erzählen wir alles von vorn. Dann schickt er uns mit einen Fahrer in die Kaffee-Fabrik.

Unbegleitet schlendere ich zwischen riesigen Lagern von Kaffee-Säcken und lauten staubigen Rüttelmaschinen und Transportbändern umher und mache Photos und Filmaufnahmen. Ich verstehe nicht, was die Maschinen machen. Die Lagerhallen sind beeindruckend groß und es prangern die großen Bio- und Fair-Handels-Siegel der importierenden Länder an den Wänden. NorAndino ist offensichtlich eine große und stolze Firma. Neben den Maschinen ist es kaum auszuhalten. Es ist extrem laut und staubig. Obschon es sehr aufgeräumt aussieht, ist der Boden von dem staubigen Sand bedeckt. Der Staub entsteht in der Produktion und stammt von den Kaffee-Bohnen. Die Kaffee-Schalen torkeln neben manchen Maschinen durch die Luft. Die staubige Luft wird matt von den Lampen erhellt und taucht die Umgebung in dunkles Gelb. Ein Arbeiter begegnet mir, alle anderen sind in der Mittagspause. Die Maschinen laufen wohl auch ohne Arbeiter*innen ganz gut.

Unser Begleiter taucht wieder auf und erklärt uns, dass wir am nächsten Tag zu den Kaffee-Feldern können, allerdings müsste NorAndino für uns ein Auto mieten. 60 Soles meint er. Das sind ca 15 Euro. Wir überlegen lange, ob wir den Film weiter verfolgen, wenn wir sogar für unsere Arbeit zahlen sollen. Schlussendlich gewinnt die Neugier und wir willigen ein. Er erklärt uns noch, dass eine Präsidentin einer deutschen Firma oder NGO gerade bei NorAndino zu Gast ist und sie uns gern treffen mag. Wir sollen um 4 Uhr nochmal zum Büro kommen.

Punkt um 4 sitzen wir wieder an gewohnter Stelle und warten. Irgendwann ist es nach um 5 und ein Angestellter fragt uns, ob wir sie gern heute oder morgen treffen mögen. Auf heute haben wir kein Bock mehr. Wir kommen uns ziemlich verarscht vor.

Tags drauf sind wir dann schon um 7 Uhr in der Frühe vor der Geschäftsstelle und finden unseren wortkargen Fahrer samt Geländewagen. Auf geht‘s. Auf der neuen Landstraße geht es mit 160 Sachen voran. Nur für die Bodenwellen wird abgebremst, die extra dafür da sind, dass langsam gefahren wird; und wohl auch in den Dörfern an der Strecke die einzige Überlebensversicherung ist, die Straßenseite zu wechseln. Irgendwann wird die Straße zu Beton und dann zu Schotter. Wir durchqueren Bachläufe und sehen die Berge. Ich bin überrascht, dass der Fahrer gar nicht von NorAndino ist und auch nicht den Weg kennt. Er hat nur einen Namen und einen Ort. Wir fahren durch die Berge in verschiedene Dörfer und mehrere Dutzend Mal fragt unser Fahrer nach dem Weg. Nach über vier Stunden und mehren Hin und Her finden wir den gesuchten Mann und folgen seinem Motorrad.

In einem NorAndino-Kaffee-Tal

Ricces ist Agrar-Ingenieur und das erst seit ein paar Monaten bei NorAndino. Hinzu kommt noch seine Kollegin, die den selben Job mit der selben Erfahrung macht. Sie betreuen Bäuerinnen und Bauern bei der Kaffee-Produktion. Er zeigt mit der Hand in das Tal und erklärt uns, dass hier überall Kaffee von Kleinbäuerinnen und Kleinbauern angebaut wird und auch alle für NorAndino arbeiten. Das ganze Tal. Ein NorAndino-Kaffee-Tal. Jede*r der Ingenieur*innen hat eine bestimmte Region und kümmert sich um eben jene Kaffee-Bäuerinnen und -Bauern dieser Region. Entlang eines steilen schlammigen Pfades steigen wir mit den beiden von dem Dorf abwärts gen Tal. Ricces und Kollegin sind sehr geduldig und freundlich mit uns und erklären uns alles mögliche zur Kaffee-Produktion.

Es werden verschiedene Sorten angebaut, die verschieden schnell tragen und verschieden ertragreich sind. Normal sind die Beeren an den Sträuchern grün und wenn sie geerntet werden rot bis dunkelrot. In etwa wie kleine Kirschen. Es gibt aber auch Sorten, die gelbe Beeren tragen. Ricces quetscht den Kern aus der Kirsche und zeigt uns damit, worum es bei der Kaffee-Produktion geht. Der Kern verliert noch seine Schale in der Fabrik und in Europa werden die Kerne dann geröstet, wodurch sich erst das Aroma entfaltet. Da das wichtig ist und das Aroma mit der Zeit verschwindet, wird nicht in Peru geröstet, sondern erst vor Ort.

Die Bäuerinnen und Bauern haben Bäche mit Gräben umgeleitet und fangen zum Teil das Wasser auf. Damit kann dann an den entscheidenden Stellen gewässert werden. Die Kaffee-Felder liegen am Hang im Bergregenwald versteckt. Es sind nur wenige Hektar große Flächen, die von außen für uns nicht zu erkennen sind. Zumal zwischen den Kaffee-Sträuchern noch Bäume gepflanzt wurden, die verschiedene Zitrusfrüchte tragen. Sie bringen den nötigen Schatten, weil sie allesamt größer sind als die nur menschenhohen Kaffee-Sträucher. Ricces bestätigt unser Frage nach dem Klimawandel so schnell wie wir sie gestellt haben. Unsichere Regen- und Trocken-Zeiten seien die Folge, sowie das verstärkte Auftreten von Schädlingen. Vor dem Klimawandel waren die Jahreszeiten eindeutiger. Start und Ende sind ungewisser.

Es ist erstaunlich, wie für alle Bäuerinnen und Bauern die wir schon in Südamerika getroffen haben, es offensichtlich ist, dass es den Klimawandel gibt. Während in Europa und Nordamerika es immer noch Menschen gibt, die daran zweifeln.

Wir haben großes Glück mit der von Ricces Kollegin gewählten Plantage, weil gerade geerntet wird, obwohl es nicht Erntezeit ist. Der Bauer und viele Bäuerinnen sammeln in Körben per Hand die roten Kirschen ein. Sie schauen etwas schüchtern als sie uns sehen. Als wenn sie sich etwas schämen. Ich habe den Eindruck, dass sie es jetzt besonders gut machen möchten. Wir platzieren Ricces, als den selbstbewusstesten, zwischen den Reihen mit Kaffee-Pflanzen und interviewen ihn. Er schlägt sich ganz gut und freut sich, fast schon wie ein Kleinkind, ein erstes Interview in seinem Leben gegeben zu haben.

Wir verabschieden uns von den Arbeitenden und arbeiten uns zwischen den Sträuchern den Steilhang hoch. Auf dem Weg angekommen begrüßt uns eine Tarantula, größer als meine Hand. Gefährlich sei sie wohl, aber Ricces vertreibt sie mit einem Holzstab. Eine Distanz, die mir etwas zu wenig ist. Für mich zu nah an der schon fast kuschelig anmutenden Spinne.

Wir schauen uns noch Verarbeitungsanlagen an, um zu verstehen, wie die Kerne vom Fruchtfleisch getrennt werden. Allerdings sind diese weitgehend klein und draußen. Mit einen umgeleiteten Bach werden die Bohnen gereinigt und später auf einer schwarzen Plane getrocknet. Laster bringen die Säcke voll mit Kernen dann in die vier Stunden entfernte Fabrik in Piura.

Erst gegen Sonnenuntergang sind wir wieder zurück in Piura und unserer Fahrer nimmt nur wenige Meter vor unserem Ausstieg einen Kollegen auf, der deutlich kräftiger und bedrohlicher ist. Beim Ausstieg will dieser dann das Geld abrechnen, aber nun sind es 770 Soles und damit ca. 200 Euro. Wir sind sehr verärgert und diskutieren lange mit ihm. Wir haben das Geld einfach nicht und können es auch nicht bezahlen. Die Situation ist sehr beschissen für uns. Erst will er mit uns zu NorAndino fahren, um zu erfragen ob die den Betrag teils übernehmen, aber er verfolgt seinen Vorschlag nicht. Plötzlich bietet er uns an, die eben getankten 160 Soles (40 Euros) zu zahlen. Für uns deutlich annehmbarer. Als die beiden dann glücklich gestimmt lächeln, erscheint uns dieser Deal als ziemliche Verarsche. Wir sind schnurstracks abgedampft und ärgern uns noch eine Weile. Selbst wenn sie 160 Soles vertankt haben, so hat der Fahrer an dem Tag ja nix verdient. Warum dann die Freude? Wir können es uns nicht erklären. Wir denken zumindest: Nie wieder NorAndino.

Kev

Kev ist die positive Seite der Medaille Piura. Kev ist unser Gastgeber. Der erste Eindruck ist nicht, dass er offen auf Menschen zugeht, aber seine vielen Fragen strafen diesen Eindruck Lügen. Auch für uns hat er viel Zeit und Beratung. Als Ingenieur verdient er selbst für peruanische Verhältnisse extrem gut. Besitzt ein fünfstöckiges Haus mit zig Wohnungen, welche er an Angestellte, aber vor allem Studierende vermietet. Im fünften Stock können wir ein Zimmer beziehen. Ein anderes wird von einem jungen Venezolaner, 19 Jahre, und einer Venezolanerin, etwa Anfang 30, bewohnt. Das Wohnzimmer ist sehr groß und beherbergt auch eine geräumige Küche. Befremdlich wirkt der große Monitor an der Wand der in Echtzeit die Aufnahmen der Überwachungskameras im ganzen Hans anzeigt. Zu Kev gehört Alexandra, seine Freundin. Sie ist Studentin, aber verbringt viel Zeit im Wohnzimmer mit schlafen und fernsehen.

An den meisten Abenden sitzen wir bis nach Mitternacht und tauschen uns über Deutschland und Peru aus. Er erklärt uns, wie größere Firmen in Peru ihre Steuern zurück bekommen können, sodass sie unterm Stricht so gut wie keine zahlen. Ähnlich wie in Deutschland sind Spenden steuerlich absetzbar.

Auch seien viele Peruaner*innen sehr rücksichtslos untereinander, währenddessen sie sehr zuvorkommend gegenüber Ausländern seien. Kev ist großer Freund von Bier, sodass wir den einen Abend mit einer kurzen Motorradfahrt zur Tankstelle beginnen. Dabei zeigt er mir welche Bereiche beim letzten „El Niño“ überschwemmt wurden.

El Niño, zu deutsch „das Christkind“, ist ein ca. alle vier Jahre zur Weihnachtszeit auftretenden Klimaphänomen vor der Westküste Südamerikas. Normalerweise trägt der Humboldtstrom das Pazifik-Wasser vom Land weg, Richtung Westen, Richtung Indonesien. Dabei steigt kaltes Tiefenwasser vor der Küste auf, sodass das Klima an der Küste etwas kühler und sehr trocken ist. Wüste. Bei El Niño versiegt der Strom und das Wasser vor der Küste wird aufgeheizt. Es entsteht ein warm-feuchtes Klima mit starken Niederschlägen. Bäche werden zu riesigen Strömen. Kev meinte, dass das Wasser bis in die Häuser gelaufen ist, obwohl der aktuelle Flusslauf gut 10 bis 20 Meter tiefer liegt und ein sehr breites Flussbett hat. Alle Straßen waren überschwemmt. 2016 hat ein El Niño die Westküste heimgesucht. Aber nicht nur diese Region ist dann betroffen, sondern das Wettergleichgewicht auf der ganzen Erde gerät aus dem Fugen. Selbst in Europa soll es dann kälter sein. Die Meeresflora und -fauna an der Küste ist dadurch massiv gestört, sodass viele Tiere hungern und sterben, weil die Nahrungskette zu einer Art Domino-Kette wird. Peruanische Fischer haben, weil Weihnachten plötzlich keine Fische mehr da waren, dieses Phänomen irgendwann El Niño getauft.

Kev berät uns aber auch, wie wir den zusätzlichen Tag nutzen können, der uns geschenkt wurde, als wieder mal zu spät uns um Bustickets gekümmert haben. Also stehen wir eines vormittags an der Kreuzung um die Ecke und suchen den Bus ins empfohlene Catacaos. Ein touristisches Dorf ganz in der Nähe. Tatsächlich finden wir ihn irgendwann, doch Catacaos ist uns keinen langen Besuch wert. Es gibt sehr viel Handwerk mit Gold und Silber, doch brauchen wir gerade kein Schmuck. Nach nur wenigen Stunden nehmen wir den Bus in die Gegenrichtung.

 

Mit Kev habe ich einen Freund auf der Reise kennengelernt. Der viel Geduld mit mir hatte, obschon ich seine Sprache nur schlecht spreche. Bei der Verabschiedung ist er dann wieder ganz der distanzierte. Für uns geht es weiter, nächster Stopp ist an der Grenze. Seid gespannt (-;