Mrz 14 2019

Santa Cruz #4

Samaipata

Kurz vor Weihnachten unternehmen wir noch eine kurze Reise ins zwei Stunden entfernte Samaipata. Ein kleiner Ort auf dem Übergang vom Flachland zum Hochgebirge. Die Straße gen Westen laufend fängt diese irgendwann an sich zu schlängeln und wir durchfahren grüne Täler mit tiefen Flüssen. Der Ort ist von vielen Reisenden frequentiert und ein wenig Hippie-Flair bekommen. Plötzlich gibt es veganes Essen, Spanier*innen mit Dreadlocks die Armbänder verkaufen und Bücher von indischen Sektenführer. Ein Block vom Marktplatz entfernt durchstreifen wir eine Straße mit allerlei Gemüse- und Obstständen. Wir decken uns für die kommenden Tage ein.

Azul macht zwei Motorräder klar, die uns auf halbe Strecke zur touristischen Attraktion bringen sollen. Außerhalb gelegen befindet sich die Attraktion Samaipatas und der Weg dahin führt über eine einsame kleine Straße durch die Berge.

Wir gehen noch wenige Meter und finden einen Hang an dem wir ein Platz für das Zelt finden. Zwischen wilden Bäumen und Pflanzen falte ich die Sandwichs und genieße einen Ausblick auf das Tal vor mir. Grün ragen links und rechts die Hügel auf und gerade aus sinkt das Tal ab bis eine Kurve mir den Blick nimmt. An mancher Stelle hat sich der Mensch häuslich gemacht und auch unser Platz sieht aus, als wenn hier ein Feld vorbereitet wird oder versucht wurde.
Ein Berg aus Decken macht es bequem zu schlafen. Der kommende Morgen ist von mystischen Nebel begleitet. Die Pflanzen glänzen mit frischen Tau und folglich müssen wir das Zelt ziemlich nass zusammenfalten. Ich genieße den weiten Blick, der immer wieder vom Nebel frei gegeben wird. Ruhe liegt hier. Viel frische Energie in der Luft. Ich genieße.

Zurück auf der Straße, versuchen wir es mit dem Daumen und tatsächlich hält schon bald ein Pärchen an und nimmt uns mit zur Fuerte de Samaipata. Dies ist eine Weltkulturerbe-Stätte mit Ruinen aus der Inka-Zeit. Da es vermutlich ein Ort für Zeremonien gewesen war, ist es wohl der einzige überhaupt bei dem Inka-Zeremonien sich finden lassen. Die Konquistadoren haben ja nicht viel übrig gelassen.
Wir kommen in Begleitung schweren Regens auf die 40 Hektar große Anlage. Da sich alles auf einen Gipfel befindet müsste der Ausblick schön sein, doch für uns ist nur eine weiße Wand zu sehen. Der wichtigste Teil ist ein Sandstein-Felsen der auf 40 mal 200 Metern behauen wurde. Zahllose Linien, Symbole und Tierdarstellungen sind zu sehen. Zwei Linien verlaufen in exakter Ost-West-Richtung. An anderer Stellen gab es weitere archäologische Funde die bis 1.500 vor unserer Zeit reichen.
In meinen Schuhe transportiere ich reichlich Wasser und bin irgendwie froh wieder am überdachten Ausgangspunkt anzukommen. Während wir genüsslich bolivianische Erdnusssuppe schlürfen kommen wir mit den Tischnachbarn ins Gespräch. Solltet ihr mal nach Bolivien kommen so empfehle ich euch wirklich mal „Sopa de Maní“ (Erdnusssuppe) zu probieren. Das ist ziemlich lecker und gibt es wohl an vielen Ecken. Ich falte noch ein Paar Sandwichs und wir teilen fröhlich mit den beiden aus Santa Cruz. Als wir erfahren, dass sie genau dorthin zurück fahren werden, fragen wir nach einer Mitfahrgelegenheit und schwubbdiwupp sparen wir uns die aufwändige Rückfahrt.

Sie sind außerordentlich freundlich und wir halten noch an weiteren schönen Orten, wie beispielsweise einen hübschen Wasserfall. Wir teilen was wir haben, bis wir dann doch etwas einschlafen. Zwischenzeitlich wird es dunkel und es ist die Nacht hereingebrochen als wir wieder in Santa Cruz aussteigen. Sie lehnen es ab, dass wir Ihnen etwas Spritgeld geben. Wir schenken eine Flasche Rotwein die wir nicht getrunken hatten. Noch beeindruckt von der überragenden Nettigkeit der beiden brechen wir zu einen Freund Azuls auf.
Daniel ist Franzose oder Russe beziehungsweise beides. Spricht noch einige weitere Sprachen und hat schon in einem guten Dutzend Ländern gelebt. Er macht sich ziemlich ruhig, leise und schüchtern aus, ist aber ziemlich groß. Als Flugcaptain bereist er eh die ganze Welt. Mittlerweile hat er nach wenigen Jahren auch wieder Santa Cruz verlassen und lebt nun in Ecuador. Ein Leben was für manchen romantisch klingen mag doch Freundschaften und Beziehungen werden dadurch nicht befördert. Er lebte in einen der vielen Hochhäusern denen ich auf meiner Reise begegnet bin. Hier wohnen wohlhabende Leute hinter Stacheldraht mit Wache, Klimaanlage und Tiefgarage. So ziemlich alles, was sich viele Menschen sich nicht leisten können. Bevor wir uns auf den Heimweg machen, tauchen wir noch in das kleine Schwimmbecken.

Freund*in und Helfer*in

Als ich die Tage des späten Abends an einer Kreuzung darauf warte, dass mein Micro kommt, der mich zum Ziel führen könnte, bemerke ich zwei Männer auf mich zukommen, die dann unweit stehen bleiben. Einer stellt sich auf die Straße und hält nahezu jeden Bus an, der angerauscht kommt. Ganz wie ein normaler Passagier. Der jüngere geht dann wahlweise kurz in den Bus oder von außen die Fensterscheiben entlang. Entdeckt er z.B. ein Handy greift er blitzartig danach und verlässt das Fahrzeug schnell. Danach läuft er dann seelenruhig weiter, als wenn nichts passiert wäre. So arbeiten die beiden Diebe eine Weile und laufen dann die Straßen hinab und führen ihre Arbeit dabei fort. Ich stehe wie angewurzelt und will unter keinen Umständen auffallen um nicht selbst ausgeraubt zu werden. Auch im Auto nebenan haben vier Leute gewartet und geschaut bis die beiden weg sind.
Später erzähle ich Azul davon und dass ich überlegte die Polizei zu rufen. Doch sie lachte nur milde. Eine Erfahrung die sich mit vielen Berichten in Südamerika deckt. Die Polizei ist meist kein*e Freund*in oder Helfer*in. Meist hilft sie nur den Reichen, denn sie nutzt ihre Macht um an Geld zu kommen. Ganz nach dem Motto: Wenn ich dir helfen soll, musst du mir auch helfen. Die Leute glauben nicht an den Staat, die Polizei oder das Recht. Sie sind es gewohnt sich selbst zu helfen. In der Situation ruft deshalb auch keiner die Polizei. In manchen Straßen stehen Schilder die vor „Palomillos“ warnen. Das ist ein lokales Wort für die kleinen Räuber*innen.

Ein Beispiel: Azul lief, so erzählte sie mir, erst kürzlich am Abend durch die Straße. Es war schon dunkel und eigentlich sollte dann auch niemand mehr sein Handy zücken. Der Dieb erschien urplötzlich, riss ihr das Handy aus der Hand und rannte in eine Menschenmasse. So verschwand er. Azul lief ihm nach, aber verlor ihn umgehend. Dann machte ging sie zum nächsten Polizeirevier, aber die meinten nur, dass sie keine Leute hätten um den Fall zu verfolgen. Sie weinte und pochte auf Hilfe.
Irgendwann meinten die Beamt*innen, dass sie das Handy orten könnten, aber das koste Geld. Nun beginnt das Verhandeln ohne das Gesicht zu verlieren. Deshalb gab sie erstmal ein Teil ihres Geldes und behauptete das sei alles. Da sich in der ersten Runde die Polizist*innen damit nicht zufrieden gaben, kann dann nochmal gesucht werden und – sieh einer an – noch weiteres Geld hinzugelegt werden. Der Bruder kam dann noch hinzu und so konnten sie dann einiges an Geld aufbringen.
Erst führte dann die Polizei den vermutlichen Räuber vor, der aber das Handy nicht mehr hatte, sondern nur ein Mittelsmann ist. Später bringen sie dann einen weiteren Mann, der allerdings allerlei Wertgegenstände mit sich führt und unter anderem auch das Handy von Azul. Schlussendlich ist nicht klar wie sehr die Polizei mit den Räubern zusammenarbeitet, aber sie ist unterm Strich Teil des Problems und nicht Teil der Lösung.


Jun 4 2018

Alle auf Einen

von Rosa

„Kann ich bitte auch mal den Kaffee haben“ tönt es über den Frühstückstisch. Es ist 5 Uhr morgens. Alle stürzen sich auf die kleine Glaskanne mit der schwarzen Flüssigkeit in der Hoffnung der Inhalt macht ihre müden Augen etwas weiter. Es sind die letzten Minuten in Ivochote, einem Dorf in das sich im Jahr vielleicht 20 Touristen verirren. Der Grund für unser zeitiges Aufstehen ist ein anderes Dorf, das jedoch in einem anderen Land zu liegen scheint. Aguas Caliente (Heiße Quellen) ist die letzte Siedlung vor der berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus, dem Machu Picchu. Täglich besuchen 2500 Menschen die sagenumwobene Inkastadt. Doch bis dahin ist es für uns noch ein weiter Weg.

Ich halte mich aus dem Kaffeekrieg raus und frühstücke stattdessen eine Reisetablette mit drei Schluck Wasser. In mir tobt ein ganz anderer Krieg. Mein Magen gegen die holprigen, kurvigen Andenstraßen. Die Fahrt von Cusco nach Ivochote war im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Diesmal muss ich besser vorbereitet sein. Ich erkämpfe mir gegen die Rentnergruppe den Platz neben dem Fahrer, denn wenn ich die Straße im Blick habe, ist es weniger schlimm. Drei leere Plastiktüten, Coca-Blätter, etwas Wasser und Tablettennachschub. Das muss reichen. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern und es geht los. Unser Fahrer übt zum Glück nicht wie sein Vorgänger für das zweite Standbein „Formel 1 Karriere“ und meine Müdigkeit lässt mich zwei Stunden schlafen. Die Straße schlängelt sich entlang des Urubamba-Flusses vorbei an bunt bemalten Häusern. Die Motive und Sprüche wiederholen sich. Arno erzählt uns, dass die politischen Parteien vor den Wahlen an die Häuser klopfen und fragen, ob sie ihre Wahlsprüche an die Fassaden malen dürfen. Einige Hausbesitzer nehmen das Angebot für umgerechnet 20 Euro an, ungeachtet dessen, ob sie die Partei wählen werden. Viele Peruaner, das hören wir immer wieder, sind so oder so von den Politikern enttäuscht und nehmen auch eine Geldstrafe fürs Nicht-Wählen in Kauf. Circa 15 Prozent der für Investitionen bestimmten Haushaltsmittel gehen aufgrund von Korruption verloren.

Nach sieben Stunden Fahrt erreichen wir Santa Maria, einem der letzten größeren Orte vor Machu Picchu. Mittagspause. Mein Magen hat durchgehalten und die 40 Minuten Fahrt sollen nicht mehr so schlimm werden. Also versuche ich eine Kleinigkeit zu essen. Arroz a la Cubana (Reis nach cubanischer Art) mit einem Spiegelei und Banane. Es ist leckerer als es klingt. Arno zweifelt berechtigterweise an, ob es dieses Gericht überhaupt auf Kuba gibt. Nein gibt es nicht. Während meines zweimonatigen Kubaaufenthalt gab es leider fast nur Reis mit Bohnen.

Aus den angekündigten 40 Minuten Fahrt bis zum Ziel werden 90 Minuten. Dann die ersten Hinweisschilder zu Hydroelectrica und Machu Picchu. In Hydroelectrica endet die Straße und ab hier geht es nach Aguas Caliente nur noch zu Fuß oder mit dem Zug. Da der Zug aber extrem teuer ist, laufen einige Reisende die 12 km lange Strecke zu Fuß. Die meisten unter ihnen ohne Gepäck. Da wir nicht aus Richtung Cusco kommen und dort unserer Rucksäcke im Hostel lassen konnten, drücken jetzt 20 kg auf unseren Schultern. Wir verabschieden uns von Arno auf Bald und von der Touristengruppe mit den Worten ihr werdet uns sowieso einholen, denn ihr Gepäck wird in ein Hotel nach Cusco gefahren.

Der Weg führt direkt an den Bahngleisen entlang und wenn ein Zug kommt, müssen alle zur Seite gehen und stehen bleiben. An engen Stellen ist das gar nicht so ungefährlich. Die ersten Meter im Schatten laufen sich leicht. Dann geht der Weg einen steilen Berg hoch. Ich habe Mühe nicht nach hinten zu fallen und bin am Ende des Weges außer Puste. Nach den ersten 3,5 km setzen die ersten stärkeren Schmerzen ein. Mitleidige Gesichter schauen uns entgegen, die nur mit einem leichten Wanderrucksack unterwegs sind. Andere Wanderer überholen uns, nur nicht die Touristengruppe. Das Gehen auf dem Gleisschotter ist anstrengend, mehrmals knicke ich um. Immer wieder wechsle ich die Seite, um einen ebenen Untergrund zu finden. Noch 4 km bis zum Ziel. Jedes mal denke ich bis zur nächsten Ecke und dann mache ich eine Pause. Aber jedes mal laufe ich weiter, weil es nach dem Absetzen des Rucksacks bestimmt noch schwerer geht. Wir laufen jetzt zwischen den hohen Bergen, der Blick ist beeindruckend und einschüchternd zu gleich und doch haften meine Augen eher auf dem holprigen Boden. Irgendwann können wir die Gleise verlassen und laufen auf einen riesigen Schriftzug auf dem Machu Picchu steht zu. Hier befindet sich also der Eingang zur berühmtesten Sehenswürdigkeit Perus.

Wir müssen noch ein Stückchen weiter nach Aguas Caliente. Noch nicht einmal richtig im Dorf angekommen, begrüßt uns schon ein Mann, der für seine Unterkunft wirbt. Das trifft sich gut, wir haben noch keine. Wir gehen weit den Berg hinauf. Aguas Caliente ist komplett auf den Tourismus abgestimmt. Teure Designerhotels, unzählige Restaurants, Musiker, die Guantanamera spielen und Geldautomaten an jeder Ecke. Auch die Essensvielfalt haben wir so in Peru noch nicht vorgefunden. Éclairs aus Frankreich, Schokolade aus Deutschland und Chips aus den USA. Natürlich zu teuren Preisen. Selbst das Wasser ist hier doppelt so teuer. Wir fühlen uns eher wie in einem Touristenort am Mittelmeer. Nur mit Bergen und viel kälter. Schnell besorgen wir noch die Tickets für Machu Picchu bei der offiziellen Kulturbehörde. Mein internationaler Studierendenausweis wird nicht akzeptiert und ich muss die knapp 50 Euro ohne Vergünstigung bezahlen. Die Buchung übers Internet funktionierte bei der Bezahlung nicht. Es scheint als würde es den Touristen so schwer wie möglich gemacht das Erlebnis auf eigene Faust zu organisieren. Stattdessen sollen die ansässigen Agenturen in Anspruch genommen werden. Der Bus zur Spitze des Machu Picchu kostet dann nochmal 10 Euro. Auch hier gibt es nur Vergünstigungen für Personen aus Lateinamerika. Unsere Unterkunft hingegen haben wir für umgerechnet 5 Euro bekommen. Dementsprechend sieht sie auch aus und es riecht nach Schimmel. Aber unsere Nacht wird sowieso kurz. Denn die ersten Busse Richtung Machu Picchu fahren schon 5:30 Uhr und ab 4:00 Uhr morgens sollen die ersten Touristen Schlange stehen.

Also warten auch wir kurz vor 4:00 Uhr eingepackt in warmer Kleidung vor der Bushaltestelle. So kalt wie erwartet ist es dann gar nicht. Schmunzelnd beobachte ich die länger werdende Warteschlange und die enttäuschten Gesichter, die sich weiter hinten einreihen müssen. Ich bin ein bisschen aufgeregt tatsächlich gleich Machu Picchu zu sehen. Der Bus kämpft sich die 12 km bis zum Gipfel hinauf. Die Umrisse der umliegenden Berge werden immer klarer. Die großen Riesen thronen im Nebelkleid über dem Tal. 6:00 Uhr warten wir fast ganz vorn in der Reihe darauf, dass sich das Tor zur Ruinenstadt endlich öffnet. Dann ist es soweit. Wir haben den Tipp bekommen, gleich hoch zum Wächterturm zu laufen. Dort soll der Blick am schönsten sein. Schnellen Schrittes machen wir uns auf den Weg. Auch wenn der alte Gipfel (Machu Picchu) nur auf 2430 Meter liegt, pocht unser Herz ganz schön. Nach 10 Minuten haben wir es geschafft. Das Postkartenmotiv wird Realität. Es ist tatsächlich noch besser als erwartet. Meine Lippen formen sich zu einem Lachen und ich bin überwältigt von dem Blick, der sich mir bietet. Die grüne Terrassenstadt zwischen den riesigen zum Teil schneebedeckten Gipfeln hätte man besser nicht malen können.

Langsam füllt sich die Anlage mit Menschen, die unbedingt noch ein Foto ohne die anderen störenden Touristen ergattern möchten. Man setzt sich in Szene, die Selfiesticks werden ausgepackt und selbst die Lamas posieren als würden sie dafür bezahlt werden. Alles für das perfekte Bild.

Täglich dürfen maximal 2500 Personen das Gelände betreten. Die Unesco fordert allerdings eine maximale Besucherzahl von 800 Personen, um das Kulturerbe und die umliegende Landschaft nicht zu gefährden. Wir warten auf die ersten Sonnenstrahlen und hören einem Guide zu, der über die Geschichte Machu Picchus erzählt.

Als offizielles Wiederentdeckungsdatum wird das Jahr 1911 genannt, als der Leiter einer Yale-Expedition Hiram Bingham durch Zufall die Stadt fand. Er war eigentlich auf der Suche nach einer anderen Inkastadt. Ein 11-Jähriger Junge führte ihn allerdings zu Machu Picchu. Dort lebten zu dieser Zeit drei Familien, die ihre Söhne vor dem Krieg versteckten.

Wir bewegen uns von unserem Beobachtungsposten in Richtung Stadtkern. Die Inkas galten als eine der besten Baumeister ihrer Zeit und die alten Mauern lassen keinen Zweifel daran. Jeder Stein passt auf den anderen. Zu ihrer Blütezeit sollen 1000 Menschen in der Stadt gelebt haben. Über die Bedeutung von Machu Picchu gibt es zahlreiche Theorien. Am verbreitetsten ist die Annahme einer religiösen Zufluchtsstätte der Inkas. Nach einem Rundgang durch die Anlage ist unser Machu Picchu Erlebnis vorbei.

Einen Weg zurück gibt es nicht. Zwar kann man mit seinem Ticket über den offiziellen Eingang wieder zum Wächterturm zurück, muss aber dann erneut den Weg durch die Anlage und die Touristenschlangen gehen. So machen wir uns schon um 9 Uhr auf den Rückweg zum Fuß des Berges, den schon die Inkas gegangen sind. Selten habe ich am frühen morgen schon so viel gesehen. Auch wenn die Anreise beschwerlich ist und ein Besuch das Reisebudget stark schrumpfen lässt, lohnt sich Machu Picchu mehr als aus dem Grund ein schönes Foto zu haben.

Für uns geht zurück nach Cusco. Nach langem Überlegen haben wir uns entschieden die 70 Euro pro Person zu investieren und mit dem Zug von Aguas Caliente nach Ollantaytambo zu fahren. Es ist die nahezu preisgünstigste Option. Die Züge von und nach Aguas Caliente sind überteuert, aber die einzige Möglichkeit diesen Ort zu erreichen. Dafür fühlt man sich wie 1. Klasse im Orient Express. Alter Charme in modernem Gewand. Am Bahnhof treffen wir zwei alte Bekannte unserer Reisegruppe wieder. Eine Frau hatte sich das Knie während der Wanderung verletzt und musste sogar noch mit dem Polizeiauto nach Aguas Caliente gebracht werden. Deswegen hatten sie uns auf der Gleiswanderung nicht eingeholt. Die wacklige Zugstrecke führt uns zwischen Bergen entlang. Aber selbst dieser Ausblick hält unsere Augen nicht mehr offen. Die Hälfte des Zuges verschläft das Andenpanorama. Ein teurer Mittagsschlaf. Nach 90 Minuten ist die Fahrt vorbei. Von Ollantaytambo geht es mit einem Kleinbus zurück nach Cusco. Wir machen uns gleich auf den Weg zum Busbahnhof und haben Glück. Nach langem Suchen finden wir einen Nachtbus der nach Ayacucho fährt und noch zwei Plätze frei hat. Im Bus sitzen nur Einheimische, kein Englisch mehr, keine Selfies mehr. Spätestens jetzt befinden wir uns wieder abseits der ausgetretenen Touristenpfade. Nur mein Magen fühlt sich noch nicht ganz wohl in den hohen Bergen und so gibt es zum Abendbrot wieder Reisetabletten und Kamillentee, bevor uns unser Reise erneut die Anden hoch und runter führt.


Mai 28 2018

die Gewerkschaft der Herzen

21. Mai 2018

Cusco

von Karl

 

Es muss ja auch mal ein Ende haben. Unser Pech. Dass wir eigentlich in 1,5 Tagen die Strecke Porto Velho bis Cusco schaffen wollten, ist schon jetzt illusorisch, aber vielleicht kommt jetzt die verdiente Wende. Wir sind gerade aus dem Bus vor dem brasilianischen Grenzposten herausgepurzelt, schon werden uns Plätze im einzigen Mini-Bus nach Puerto Maldonado zu besten Preisen angeboten. Sofort schlagen wir zu, hieven unser Gepäck mit aufs Dach und gehen mit unseren Reisepässen zum Polizei-Büro. Der Grenzbeamte erklärt uns, dass wir bei der Einreise nur 15 Tage Aufenthalt in Brasilien angegeben haben, heute wäre schon der Tag 24 und für jeden Tag drüber wird eine Steuer fällig. Er ist aber so kulant und verlängert das im System. Ich hielte diese Angabe für bloße Statistik, aber offensichtlich hat sie Folgen. Gibt es doch nette Polizist*innen? Als uns der Bus bei dem peruanischen Büro rauswirft geben wir auch gleich 60 Tage an. Bestimmt viel zu viel, aber sicher ist sicher. Grenzbeamt*innen sind vielleicht nicht immer gut drauf.

Peru gibt uns etwas Sicherheit wieder, weil wir nun unser gebüffeltes Spanisch auch etwas anwenden können. Wir können uns selbst verständigen, das gibt uns mehr Freiheit und Selbstbestimmung. Der Mini-Bus düst so schnell er kann durch den schon gewohnten Regenwald. Nach Sonnenuntergang erreichen wir Puerto Maldonado und nehmen ein dreirädriges Moped-Taxi zum Busbahnhof von dem die Busse nach Cusco abfahren. Für uns ist es ungewohnt überraschend, dass ein Dutzend verschiedener Anbieter nahezu zeitgleich abends zum selben Zielort abfährt. Das muss diese Marktwirtschaft sein, wo alle umeinander konkurrieren und niemand verdient. Etwas gerädert von den letzten Tagen nehmen wir ein „Bett“, statt des üblichen Sitzplatzes. Das heißt dann aber nur, dass der Sitz etwas komfortabler ist. Die Lehne lässt sich weit zurückklappen. Der Reisebus fährt über Nacht. Da es an einer Klimaanlage fehlt, wird es auch zusehend kälter im Bus, während wir uns merklich Serpentinen hochschlängeln. Erste Kopfschmerzen machen sich breit.

In Cusco fallen wir aus dem Bus, greifen das Gepäck und fangen an uns zu orientieren. Ohne Ansage, ziemlich abrupt, waren wir einfach da. Ich verlasse den Busbahnhof, das Terminal Terrestre, und merke wie beim leichten Anstieg mein Herz anfängt ungewöhnlich schnell und stark zu pochen.

Ein Taxi bringt uns dann zum Couchsurfer, der bei unserer Ankunft auch aus dem Fenster winkt, aber dann nicht die Tür öffnet. Etwas verärgert warten wir noch eine viertel Stunde, aber jedes Klingeln und Klopfen hilft nicht. Wir sind verblüfft und rätseln warum er nun die Tür nicht öffnet und uns hier sitzen lässt. Wir ziehen um die Ecke und der Zufall bietet uns direkt ein Hostel an. Nennen wir es Glück im Unglück.

Endlich ankommen. Es ist das schöne Gefühl, endlich einen Anker zu haben. Endlich können wir wieder unseren Kram aus dem Rucksack in allen Ecken verteilen. Der neue Gastgeber lässt mit sich reden und wir bekommen sogar noch Frühstück. Der Weg in den vierten Stock bringt mein Herz erneut auf Höchsttouren, wo ich doch sonst kein Problem mit Treppen habe. Bei meinem ersten Coca-Tee kann ich den Blick über Cusco schweifen lassen. Wir haben in unserem Glück sogar noch einen fulminanten Ausblick auf Cusco erhalten.

Cusco schmiegt sich zwischen Bergen in einem weitläufigen Tal und ist im Zentrum durch rote Kolonial-Dächer geprägt. Der übliche Morgennebel über Cusco zieht gerade langsam von dannen. Die Berge um Cusco haben nur wenige Bäume. Nicht verwunderlich auf ca. 3.500 m über Meeresspiegel, da beginnt in den Anden die Baumgrenze. Ja, Cusco ist eine der höchsten Städte und deshalb auch die ganzen körperlichen Beschwerden. Die Höhenkrankheit hat uns erwischt. Kopfschmerzen, etwas Übelkeit, allgemeine Benommenheit. Vor allem aber schlapp. Eigentlich fühle ich mich den ganzen Tag wie frisch aufgestanden, nach einer hart durchzechten Nacht. Der berühmte Kater danach. Nur, dass er nicht weggeht. Mensch kann sich nur bedingt dran gewöhnen. Oft werden die Coca-Blätter empfohlen. Die sollen etwas helfen. Zum Kauen oder als Tee aufgebrüht. Schmeckt übrigens wie Kräuter-Tee nur in leckerer. Die Höhe bringt auch ungewohnte Kälte mit sich, so gehen hier die Temperaturen bis kurz vor dem Gefrierpunkt runter und erreichen selten 20 Grad.

Wir versuchen uns eine peruanische SIM-Karte zu organisieren, aber das gestaltet sich als Schnipsel-Jagd. Die ersten Läden verkaufen keine SIM-Karten, obwohl Handy-Netz-Werbung draußen dran ist. Dann versuchen wir es in den Handy-Läden, aber die verweisen auf einen größeren. Den endlich gefunden, stellen wir fest, dass die SIM-Karten dieses Anbieters nicht mit unseren Handys funktionieren. Also geht das Spiel auf ein neues los, aber tatsächlich funktioniert es dann irgendwann.

Wir kommen immer wieder an Touri-Sachen vorbei wie alte Kirchen und Inka-Ruinen. Die ganze Stadt ist ein einziges Tourismus-Zentrum. Alles ist darauf ausgerichtet. Ein Hostel reiht sich manchen Orts ans andere. Die Sehenswürdigkeiten haben stolze Preise, sodass wir nix von innen sehen und eigentlich dreht sich auch alles um Machu Picchu, den Inka-Ruinen einige Kilometer von hier. Machu Picchu gehört zu den Top Ten Sehenswürdigkeiten in Südamerika und entsprechend viele Touris sind hier unterwegs. Uns interessiert das erstmal nicht, denn für uns ist die Fahrt zur Fair-Trade-Kakao-Plantage angedacht. Dafür bereiten wir uns vor.

Wir müssen dafür in Quillabamba umsteigen, und suchen das Busterminal nach Quillabamba. Tatsächlich finden wir das mit Hilfe sehr netter Bahnmitarbeiter. So wie wir das Terminal betreten, prasseln die Rufe auf uns ein. Die zig Anbieter möchten uns alle ihren Bus verkaufen. Sie verstehen auch nicht, dass wir gar nicht zum Machu Picchu möchten. Es gibt nämlich eine günstigere Route zu Machu Picchu über Santa Maria, was auf halber Strecke nach Quillabamba liegt. Montag wollen wir zurückkehren zum Busterminal.

Die nun übrige Zeit nutzen wir für einen Aufstieg zum Christo Blanco. Eine kleine Jesus-Statue, ähnlich der berühmten in Rio de Janeiro, thront am Rande der Stadt. Es ist auch die einzige Sehenswürdigkeit ohne teuer Eintritt zahlen zu müssen. Tausende Stufen führen uns zu ihm.

Wir müssen einige Pausen machen, weil unsere Herzen rebellieren. Es tut schon richtig weh. Das Herz pocht mit einer Gewalt gegen die Rippen, dass ich das Gefühl habe, es würde ohne Brustkorb herausspringen. Wenn unsere Herzen eine Gewerkschaft gründen würden, sie hätten schon längst gestreikt. Es kostet uns einiges an Zeit die Stufen zum Jesus zu erklimmen, aber wer sagt schon, dass der Weg zu Gott einfach ist. Scheint mir aber auch kein guter Gott zu sein, wenn er uns so quält. Dieser Gott kam mit den Konquistadoren nach Cusco. Vormals war Cusco Hauptstadt des Inka-Reiches, aber die Spanier*innen haben erstmal alle versklavt, alle Reichtümer geplündert und die Stadt zerstört. Danach wurde ihre Kolonie auf den Überresten errichtet und nun sind die europäischen Touris überall.

Zu Jesus‘ Fuße genießen wir den Überblick, horchen den Touri-Guides der Gruppenreisenden und schauen uns vom Aufstieg fertige Touris an. So vergeht etwas Zeit in der Sonne.

Selbst der spätere Abstieg macht uns noch zu schaffen und wir steuern nach kleinen Umwegen unsere Unterkunft an. Geplagt von der Sonne und den rebellierenden Herzen, versuchen wir uns etwas zu beruhigen, sodass wir morgen fit sind wenn es nach Quillabamba geht.

PS.: Die Stadt-Flagge von Cusco ist wunderschön (-;