Apr 11 2019

Irgendwo im Atlantik

Von Karl

Schifffahrt von Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien nach Algeciras, Andalusien, Spanien

 

Kaum war ich auf dem Schiff, sogleich wurde ich dem Sicherheitsoffizier zugewiesen. Er war fröhlich und gesprächig und ich folgte dem blauen Overall mit gelben Leuchtstreifen und weißem Helm. Ich nun auch mit weißem Helm ausgestattet.

Es gibt verschiedene Arten vor Rettungsbooten und Rettungsinseln, die zum Teil einfach nur über Bord geworfen werden müssen und sich dann von alleine aufblasen. Am Heck gibt es aber auch ein großes Lifeboat mit genügend Plätze für alle, aber nicht nur das, jede*r hat ihren eigenen zugewiesenen Platz in dem riesigen orangenen Freifallboot. Mein Platz trägt die Nummer 14. Es ist voll umschlossen und hängt mit dem Bug 45 Grad geneigt nach unten und vom C-Deck, also vom dritten Stock aus, kann es vom Heck aus bestiegen werden. Gleich nebenan ist auch im Notfall der Treffpunkt.

Es gibt verschiedene Arten von Notfällen mit verschiedenen Alarmen und verschiedenen Handlungsanweisungen, sodass es teils etwas unübersichtlich war für mich. Teils betrifft es mich als Passagier auch gar nicht, z.B. im Falle eines Öllecks. Fast spannender war jedoch, dass wir während der Ladungsarbeiten eine Rundgang über das Schiff gemacht haben und ich dadurch mal in einen leeren Ladungsraum schauen konnte. Wir sind sogar bis auf den Boden geklettert, vielleicht sieben Stockwerke. Dort stehend sind es dann höchstens zwei Meter bis unter den Kiel. Das riesige Fassungsvermögen wirkt nochmal krasser, wenn es leer ist und dann stehen wir in nur einen der vielleicht zehn Reihen an Containern. Wenn mensch dann noch bedenkt, dass auf den Deckeln, wenn die Ladeluken verschlossen sind, nochmal fünf Container übereinander und zwölf nebeneinander gestapelt werden. Alles zusammen macht das über 1.100 Container nur auf diesem Schiff. Gut, es ist auch 190 Meter lang, aber es trotzdem enorm. Unzählige Wassertanks machen es möglich, dass auch relativ durcheinander die Container gestapelt werden können. Durch das Einpumpen oder Ablassen von Wasser, kann das Schiff immer austariert werden.

Erst am übernächsten Tag nach dem Aufstieg merke ich, dass sich die CMA CGM Saint Laurent aufs Auslaufen vorbereitet. Bis dahin habe ich noch drüber nachgedacht, vielleicht nochmal in die Stadt zu gehen, aber irgendwie hatte ich schon mit Natal abgeschlossen. Natal heißt übrigens Weihnachten auf portugiesisch. Also hatte ich mit Weihnachten abgeschlossen gehabt. Als dann aber die Kräne längsschiffs gestellt wurden und Seeleute an den Trossen hantierten, sah ich auch wie die Gangway hochgezogen wurde. Das macht ein kleiner Extra-Motor und schlussendlich wird sie nur noch ans Geländer geklappt.

Auf geht‘s

Irgendwie war ich froh, dass es nun endlich losgeht. Ein Schlepper kam nun auch noch, aber er nahm die Saint Laurent nicht an die Leine. Zwei Lotsen waren auch schon an der Brücke, sowie der Kaptain und wer sonst wichtig ist. Etwas aufregend zu sehen, wie wir uns von dem vermeintlich fest verbundenen Ufer lösen und davon gleiten. Als wenn ich dachte, dass das Schiff teil des Festlandes wäre.

Mittels Bug– und HeckStrahlruder beginnt das Schiff sich um 180 Grad zu drehen um mit dem Bug gen Ozean zu zeigen. Der kleine Schlepper drückt dabei mit seinem Bug seitlich gegen den unsrigen um beim Wenden zu helfen. Trotzdem geht alles deutlich langsamer als die meisten es wohl von Fahrzeugen gewohnt sind.

Das andere Ufer des Rio Potengi, gegenüber vom Hafen, ist ausschließlich von Bäumen überwachsen. Tropische Natur ein letztes Mal vor meinem Auge.

Die letzten zwei Abende verschwand die goldene Sonne hinter den Bäumen und tauchte den Hafen und die Altstadt Natals in ein abendliches orange. Am Horizont beginnen die Hochhäuser, die sehr prägend für Natal waren. Wohnhochhäuser soweit das Auge reicht, doch hier am Hafen gibt es deutlich kleinere.

Es erscheint mir unfassbar schwierig zehntausende Tonnen, die nicht gebremst werden können, durch den nun klein scheinen Fluss zu manövrieren. Auch die kleinen Segelboote im Yachthafen erscheinen wie Spielzeugboote. Es wäre schier unmöglich denen kurzerhand auszuweichen.

Langsam schieben wir uns durch den Fluss. Der Hafenlotse ist auf jedem ein- und auslaufenden Schiff dabei. Er steht dabei mittig ganz vorne auf der Brücke und sagt ab und zu sowas wie „Ruder 5 Grad Backbord“. Dann sagt der Rudergänger das auch nochmal und kurz darauf, wenn das Ruder wirklich 5 Grad Backbord ist, dann sagt der Rudergänger zum zweiten Mal „Ruder 5 Grad Backbord“. Darauf gibt‘s ein kurzes „Danke“ vom Lotsen. Im Hafen kommt alle paar Minuten ein solcher Befehl.

Wir passieren dabei eindrucksvoll die Newton-Navarro-Brücke, welche nachts rot angestrahlt wird.

Sie verbindet den Nord- und den Südteil Natals miteinander. Als wir dann aber weiter auf offener See sind, wird dann nur noch die Richtung vorgegeben und die Geschwindigkeit erhöht. Der Kompass wird dafür in 360 Grad geteilt und wenn der Lotse sagt, dass wir nach 180 Grad fahren, dann fahren wir nach Süden. 90 Grad ist Osten und 270 Grad wäre Westen. Relativ schnell verabschieden sich die beiden dann auch und werden von einem kleinen Boot abgeholt, welches sie zurück nach Natal schafft. Nun übernimmt wieder die normale Brückenwache das Kommando. Bestehend aus einem Offizier und einen Seemann. Es ist zudem erstaunlich wie sehr sich die Vibration des Motors auf das Schiff überträgt.

Obwohl, eigentlich übernimmt einer der beiden Autopiloten. Mit 17 oder 18 Knoten, was etwas über 30 km/h sind, nimmt der Autopilot Kurs auf Spanien. Er sagt auch eine ungefähre Ankunftszeit voraus und das obschon die Überfahrt über eine Woche dauert. Ich komme in laufe der Tage nochmal auf die Brücke, denn Zeit habe ich ja genug. Eine Brückenwache scheint eine sehr entspannte Sache zu sein. Sie trinken mal Kaffee und müssen alle zwölf Minuten einen Knopf drücken, damit kein Alarm anspringt. Um sicher zu stellen, dass sie nicht eingeschlafen sind oder irgendwo anders sind. Ein System was es bei Zügen zum Beispiel auch gibt. Im Prinzip überwachen die beiden nur die vielzähligen Computer und reagieren auf Alarme. Nichtsdestotrotz wird auch nochmal händisch auf Seekarten gezeichnet. Es gibt auch Handlungsanleitungen für Piratenüberfälle, doch die spielen in diesen Seegewässern keine Rolle. Ein weiteres Tool ist die Blackbox, die sämtliche Eingaben und Informationen der Computer speichert, sowie die Gespräche auf der Brücke. Sollte das Schiff demnächst untergehen und die Blackbox geborgen werden, wären meine Unterhaltungen auch dabei. Die beiden haben ein entspanntes Leben. Zwei Mal am Tag kommen sie für vier Stunden auf die Brücke. Zwischendurch noch etwas Papierkram.

Sonnige Tage bieten sich an einen kleinen Rundgang auf dem Schiff nach vorne zu machen. Jedes Mal wenn das Schiff sich anhebt und wieder in eine Welle sich hineinlegt, wird das Meerwasser im hohen Bogen vom Boot weggeschleudert. Es wirkt beruhigend und ich kann viel nachdenken. Fast wie tiefe Atemzüge, so arbeitet sich das Schiff durch das Dunkelblau.

An den Containern ist gut zu sehen, dass die Kühlcontainer extra Strom brauchen, Starkstrom. Aus den Seitenluken strömt beständig warme Luft. Nur damit wir Früchte essen können, die bei uns nicht wachsen. Tonnen an Schweröl werden wohl allein für die Kühlung gebraucht.

Grillfest

Einmal im Monat, so erfahre ich, gibt es auch ein Grillfest. Anstelle von Abendbrot gibt es verschiedenste gegrillte tote Tiere, Salate, Reis, frisches Knoblauch-Brot, Bier und feinste Torten.

Alles vom Koch, auf Schiffen Smut genannt, selbst gemacht. Den lerne ich dann auch noch kennen und wir unterhalten uns angeregt bis zu letzten Flasche Bier, als dann alle schon weg sind gegen Mitternacht. So erfahre ich, dass ihm die Knoblauch-Brote ziemlich schmecken und mir wird klar warum es alle paar Tage Knoblauch-Brot gibt. Die Baguettes dafür macht er übrigens auch selbst. Es ist ziemlich spannend zu sehen, wie aufwändig seine Arbeit ist. Meist beginnt er gegen sechs Uhr in der Frühe und ist nicht vor um zehn in seinem Zimmer. Die meiste Zeit ist er in seiner Küche.

Diese sieht aus wie eine typische Industrieküche mit Fließen und viel Edelstahl. Große Maschinen für alles mögliche, wie z.B. Teigkneter. Direkt von hier ab geht auch die Treppe in den Lagerraum und von dort zu mehreren Kühlkammern für Fleisch, Fisch, Käse, Milch, Obst und Gemüse.

Nur im französischen Hafen Le Havre wird das Lager aufgefüllt, welcher ungefähr einmal im Monat angelaufen wird. Ramil, der Smut, arbeitet allein. Vor Jahren waren sie noch zu zweit, aber nun nicht mehr. Sein Steward, eine Art Helfer, unterstützt ihn zwar, aber zufrieden ist Ramil damit nicht.

Ich unterhielt mich auch mit dem Bosun, zu deutsch Bootsmann. Lwin kommt aus Myanmar und hatte gute 15 Jahre für eine Bremerhavener Reederei gearbeitet. Da aber wegen der Schifffahrtskrise rund um die HSH Nordbank viele deutsche Reedereien aufgegeben haben, musste er wechseln und fährt nun für CMA CGM. Ein Bootsmann ist sowas wie ein Vorarbeiter und leitet die Seeleute an. Ramil, der als einziger von den Philippinen kommt ist nicht glücklich, denn es ist vielleicht seine letzte Fahrt. Die anderen Philippiner arbeiten auch nicht mehr an Bord, denn die Myanmarer arbeiten für 100 Dollar weniger im Monat. Die Offiziere kommen alle aus der Ukraine. Kaum ein Seemann der nicht eine Freundin oder gar Kinder und Familie zu Hause hat. Während die Ukrainer zum Teil feste Teams bilden und immer das gleiche Boot fahren, werden die Myanmarer jedes Mal neu eingesetzt. Sie sind meist zehn Monate an Bord und zwei Monate zu Hause. Die Ukrainer teils nur vier Monate an Bord und dann vier Monate zu Hause.

Die kurzen Verträge ermöglichen es schnell mal die Seeleute auszutauschen, auch wenn gute, wie Ramil, immer wieder angerufen worden. Er könnte sich nicht vorstellen in einem Kreuzfahrtschiff zu arbeiten, da dort sehr viele Köche*innen arbeiten, die jeden Tag nur Kleinigkeiten machen, das heißt auch mal stundenlang nur Zwiebeln schneiden. Eher wieder an Land arbeiten. Das ist ruhiger, da mensch dann nicht drei Mahlzeiten am Tag allein organisieren muss und es wäre näher an der Familie. Die Stimmung unter den Seeleuten ist kumpelhaft und wenn sie die gleiche Sprache sprechen nochmal besser. Nichtsdestotrotz ist wohl immer mal jemand angenervt, zumal sie ja auf Monate zusammen arbeiten müssen und niemand anderes treffen können.

Alkohol und Rauchen ist übrigens untersagt auf den Schiffen, genauso wie Mülltrennung vorgeschrieben ist. Nur hält sich niemand daran. Das Bier wird dann von Passagier-Trinkgeldern gekauft, die meist beim Kaptain landen. Für Ramil etwas unverständlich, weil lediglich er und der Steward zusätzliche Arbeit mit den Passagieren haben. Warum geben sie ihm denn nicht das Geld? Er ist aber eine ausgeglichene Seele und so richtig regt Ramil sich dann nicht auf. Die Verbote und Bestimmungen kamen von der Reederei, aber die Seeleute wurden nicht über die Hintergründe geschult. Sodass die leeren Bierflaschen und -dosen im hohen Bogen über Bord gehen. Vielleicht auch weil der andere Kaptain, der sonst das Schiff fährt, die Regeln durchsetzt.

Ramil muss noch einiges sauber machen, da die Vorschrift, nicht mit Arbeitsklamotte in die Messe und schon gar nicht in die Küche zu kommen, vollständig ignoriert wird. Es ist fast Mitternacht, er muss noch einiges aufräumen und ich verschwinde. Noch lange bevor ich aufstehe, steht er schon am Topf und kocht Porridge.

Schnelles Ende

Die Tage plätschern dahin. Ich schreibe für diesen Blog, schaue Dokus oder aufs weite Meer. Es ist faszinierend, wie weit und blau alles ist. Unter mir geht es drei Kilometer tief und im Umkreis von hunderten Kilometern gibt es keine anderen Schiffe oder gar Land. Nur auf der Karte ist irgendwann ersichtlich dass wir unter den Kapverdischen Inseln hindurch Höhe Senegals anfangen in weitem Abstand der Küstenlinie Nordwest-Afrikas zu folgen. Über Tage schieben wir uns nach Norden. Das beständig windige Wetter wird zunehmend kühler. Die flotten Wolkenfetzen sind aber beeindruckend. Besonders bei Sonnenunter- und -aufgang.

Der Wind trägt die Gischt hinauf und meine Brillengläser beschlagen. Zunehmend kommen die langen Wellen von der Seite. Auch wenn sie nicht besonders hoch sind, so bringen sie das Schiff etwas ins Schaukeln. Lediglich mal eine Birne kullert mir vom Tisch. Wirklich gefährlich ist es also nicht. Ich gehe auch mal zum Bug und beobachte die fliegenden Fische, wie sie ihre Flossen anstellen um dann über das Wasser zu segeln. In der Nähe der brasilianischen Küste gab es noch Möwen die sie gefressen haben. Sie flogen neben dem Schiff und haben die fliegenden Fische aus der Luft gefangen oder gar einen Meter unter Wasser.

So langsam nähern wir uns unserem Ziel. Als ich vor dem Schlafen nochmal raus gehe, sehe ich schon auf Steuerbord die marokkanische Küste. Die Lichter von Tanger oder einem kleinen Vorort. Im ruhigen Wissen, dass Laden und Entladen Tage dauert schlummere ich ein. Um sechs klingelt dann aber mein Festnetz und sie meinen, dass sie bald fertig werden. Schnell muss ich meine Sachen packen und noch zum Frühstück. Ramil Tschüss sagen, und dann zu Dmytro, der mich die ganze Zeit etwas betreut hat und mir meinen Reisepass wieder aushändigt. Auch hier nochmal gute Weiterreise gewünscht und schnell zur Gangway-Wache. Ein Seemann steht immer an der Gangway und kontrolliert wer kommt und geht.

Gerade ist großer Andrang und mehrere dutzend spanischer Hafenarbeiter verlassen das Schiff. Offensichtlich sind sie fertig mit dem Laden. Kurzes Tschüss und dann klettere ich über die wackelige Gangway an den Kai. Ein Shuttlebus nimmt auch mich mit zum Ausgang.

Die Sonne geht auf. Nun bin ich also in Europa wieder. Hier schließt sich der Kreis.

Knapp 11 Monate,

oder 47 Wochen und ein Tag,

oder 330 Tage.

330 Tage war ich weg, solange wie noch nie in meinem Leben. Es war sehr viel was darin passiert ist. Ich bin schon lange nicht mehr der selbe Karl. Ich hab mich geändert und mein Leben hat sich geändert. So schön beide waren und so schön war die Reise. Es ist schwer hier ein passenden Schlusssatz zu finden. Ich sag mal so, ich bereue nichts. und worauf ich besonders stolz bin: Ich bin keinen Meter geflogen.


Apr 12 2018

Gute Frage? Keine Frage!

50,46327° nördliche Breite

0,66121° östliche Länge

28. März 2018

Plötzlich brummt das Schiff. Der Stahlboden unter meinen Füßen vibriert und eine dunkle Rauchwolke verdunkelt kurz die Sonne. Es ist soweit. Der Hauptmotor erfasst die St Laurent. Die Kräne sind schon hochgeklappt oder weitergefahren. Die eigenen Kräne wurden längs des Schiffs gedreht. Ein Kleinwagen fuhr vor und der Lotse stieg an Bord. Die Gangway wurde hochgefahren und eingeklappt. Aus einem zweiten Hafenauto steigt ein Arbeiter und zieht die riesige nun locker hängende Schlaufe des Seils über den Poller. Es klatscht laut, als das schwere Seil ins Hafenbecken fällt. Große elektrische Winden ziehen die Seile an Bord. Je ein Seemann kontrolliert das Aufrollen und ein weiterer koordiniert die Aktion am Heck.

Langsam driftet der Stahlkoloss weg vom Kai. Das Wasser am Heck schäumt auf und immer schneller werdend fahren wir entlang des langen Kais vorbei an größeren und kleineren Containerschiffen. Eines kann weit über 18.000 Container auf einmal transportieren. Wir dagegen nur maximal 2.000. Vom 7ten Stock aus, der Brücke, erscheint auch dieser Gigant wie ein Lego-Boot, das die Container-Bausteine von einem farbenfrohen Kind erhalten hat. Besonders dann, als der Kai, dann der Hafen, dann sogar Le Havre immer kleiner werden. Auch das Wetter wird besser. Der Regen über der Normandie bleibt an Land und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen mischen sich unter die kalte Briese.

Nächster Hafen: Rotterdam. Eigentlich hätte es nach Philipsburg gehen sollen, doch im vorangegangenen Hafen, in Algeciras, gab es Probleme, sodass London und Rotterdam vor Le Havre nicht geschafft wurden. Jetzt geht es also, in entgegengesetzte Richtung, erstmal nach Rotterdam. 10 Stunden Fahrt, weil wir mit 20 Knoten fahren und das bei 200 Seemeilen Entfernung. Das Laden dort wird auch nochmal 10 Stunden brauchen, ehe es auf den offenen Ozean geht. Von einer Reise, die schon einige Jahre zurück liegt, weiß ich, dass der Rotterdamer Hafen sehr weit draußen liegt, also schon fast in der Nordsee und damit weit weg von der Stadt Rotterdam. Das erschwert nicht nur mir, sondern auch den Seeleuten generell den Besuch der Stadt. Zumal Liegezeiten auch mehr Arbeit an Bord bedeutet. Vieles davon habe ich heute beim Abendbrot erfahren, denn im Gegensatz zu mir, hat sich das Renten-Quartett schon getraut, mal auf die Brücke zu gehen. Sogleich nach dem Abendbrot bin ich dann auch aufgestiegen, erst ganz schüchtern, aber als ich ein bekanntes Gesicht sah, dann mit Mut. Ob ich mal schauen darf? Wie fahrt ihr eigentlich? Wie bist du Seemann geworden? Schaut ihr euch tatsächlich noch Seekarten an? Welche Sprachen sprecht ihr an Bord? Nix. Nagut, wenig. Das sind nur wenige der Fragen die ich gestellt habe und noch weniger von denen die ich hätte stellen wollen. Doch der eine Seemann hat sich nicht mit mir unterhalten und der andere hatte kaum Interesse und sprach eher schlechtes Englisch. Die sind nicht zu meiner Unterhaltung da, das habe ich gemerkt. Mein Interesse ist groß an dem Schiff und der Seefahrt, doch einen Menschen, den ich fragen kann: Fehlanzeige. Wir hatten Probleme uns zu verständigen, sodass ich relativ schnell auch wieder gegangen bin. Trotzdem: Ja, die Route wird auch anhand von klassischen Seekarten bestimmt. Es arbeiteten zu dem Zeitpunkt zwei Leute auf der Brücke. Der Stumme schaute die ganze Zeit durchs Fernrohr. Der Gleichgültige stand an den Karten. Das Schiff an sich, fährt per Autopilot und berechnet seine Route auch anhand anderer Schiffe so, dass es nicht zur Kollision kommt. Nur im Hafen und beim Ein- und Ausfahren aus dessen, wird das Steuer, was eher einem modernem Autolenkrad ähnelt, in die Hand genommen. Ein Messgerät zeigt den Abstand zwischen Boot und Meeresboden an. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er auch mich was gefragt hat. Hast du schon die Sicherheitseinweisung bekommen? Nein. Hmm. Warum fährst du mit dem Frachtschiff? Doch auch hier verstand er meine Antwort nicht. Schade.

Mit kurzem Dank geh ich wieder an die frische Luft. Der Himmel blau, die Sonne tief, schon orange am Horizont. Die ununterbrochene Weite gibt den Blick auf Regenwolken frei, die anderswo übers Wasser ziehen. Ich frag mich, wie es das Renten-Quartett geschafft hat, der Brücke so viele Informationen zu entlocken. Deren Englisch gleicht eher dem des Gleichgültigen oder dem des Stummen. Mittags wollte ich dann mal wissen, warum sie ihre Reise mit dem Schiff machen. Wenn ich es richtig verstanden haben, ist es wohl ein entspanntes Gemisch aus „wir-haben-halt-Zeit“ und „hier-sind-nicht-so-viele-Touris“ und „von-dem-anderen-Paar-der-Sohn-ist-Irgendwer-auf-einem-anderen-Schiff“. Zumindest sind sie immer freundlich und der eine Opa ist um keinen Scherz verlegen. Auch der Seemann, der uns bewirtet, grinst immer. Gestern habe ich ihm gesagt, dass er bei mir die Tiere einfach weglassen kann. Aber Fisch? Nein. Und Hühnchen? Auch nicht. Er scheint es nicht zu verstehen, aber er macht es einfach, denn wir grinsen uns immer noch an, wenn wir uns sehen. Irgendwie mag ich Leute lieber, die wenigstens einfach immer grinsen, auch wenn sie nix zu sagen haben, als Leute von deren Gesicht mensch ebenso wenig erfährt. Das reine Männer-Team bleibt soziologisches Beobachtungsfeld! Gute Fahrt und bis morgen!


Apr 12 2018

Aufgeladen

Le Havre

27. März 2018

Krachend, Stahl auf Stahl, verhakt sich der Greifarm in dem Container. An jeder Ecke hat er einen kurzen runden Stil in den Öffnungen versenkt, die jetzt, beim zurückziehen arretieren. Schnell bewegen sich der LKW-Anhänger-große Koloss mit seinem Greifer an den acht Stahlseilen und vier Umlenkrollen nach oben. In schwindelerregende Höhe eines vielleicht achtgeschossigen Hochhauses, um dann auf dem Kai wieder abzusetzen. Vorher entfernen Arbeiter*innen Verbindungselemente auf einer halbhohen Plattform. Während der Greifer erneut, aber nun ohne Container, gen Himmel schnellt, düst ein achträdriges Gestell heran. Wie überdimensionierte hochkantige Ameisen wuseln diese Gefährten durch die langen Containerreihen. Sie holen und bringen Container. So fahren sie nun auch über den Container, der gerade abgestellt wurde, greifen diesen in sich auf und fahren wieder hinfort. In eine schier endlos erscheinenden Wüste an bunten Containerstapeln. Im diesig kalt-nassen Wetter scheinen Container bis zum Horizont zu stehen. Längs der Hafenkante fahren die übergroßen Ladekräne. Sie überbieten das größte Schiff und haben mächtige lange weiße Arme die über das Schiff reichen. An denen schnellt die Kabine mit der*m Kranfahrer*in vor und zurück, die am anderen Ende der acht Stahlseile hängt. Gleich drei der riesigen Ladekräne entladen die CMA CGM Saint Laurent parallel. Immer wieder fährt ein Ruck durch das Schiff.

Auf dieses hat mich ein netter Taxifahrer gebracht. Keine normale Taxiagentur, sondern eher ein Seemann/frau-Service-Agentur. Im kalten Regen der Normandie wartend hat er mich mit seinem silbernen Renault-Bus eingesammelt und durch das Hafengewirr bis zur Hafen-Sicherheitsschleuse gebracht. Leider hat der zuständige Hafenagent die nötige Crew-Liste denen noch nicht zugesandt, sodass wir zusammen vor dem Schleusengebäude warten. Im Sekundentakt fahren Privatfahrzeuge, Dienstfahrzeuge und LKWs mit Containern durch die verschiedenen Schleusen. Die meisten mit einer Chipkarte, sodass die Schranke teilweise es nicht mal mehr vermag zu schließen. Irgendwann, nach etlichen Diskussionen und Telephonaten kam dann das Okay. Wieder zurück in den Bus, ab durch die Schleuse und rein ins Herz des Hafens. Nochmal durch eine besonders hohe automatische Schleuse und schon fahren wir auf der Kaimauer unter den riesigen Kränen durch. Vorbei an anderen Containerschiffen bis zur St Laurent. Ich nehme meinen großen Rucksack, verabschiede mich und warte kurz. Aber schon bekomme ich den Hinweis über die außenbords hängende Treppe aufzusteigen. Zuvor noch über unterarm-dicke Seile steigen und ab geht‘s an Bord. Nun sprechen alle russische miteinander, war aber für mich kein Unterschied macht. Französisch konnte ich auch nicht. Immer mal wieder wendet sich jemand an mich und sagt oder fragt mich was auf englisch. Ob ich russisch kann? Ich soll folgen. Ein netter junger Arbeiter in leucht-gelber Winterjacke und weißen Helm bringt mich im Turm des Schiffs nach oben, aber bricht ab und wird zurückgerufen. Sie dachten ich sei der neue Ingenieur, weil sie gleichzeitig auch die Crew teils austauschen. Bin ich aber nicht. Also zurück in das Aufenthaltszimmer mit den Arbeitsrechnern. Ein älterer Typ, mit weniger Haaren, im Bürostuhl, ohne Wetterkleidung und geöffneten E-Mail-Programm nennt meinen Namen und fragt, ob ich das bin. Ich bestätige und nun geht‘s erneut los. Vier oder fünf Stockwerke steigen wir den engen Treppenschacht nach oben. Er zeigt mir das neue Zuhause. 15 Tage habe ich mir das hier ausgesucht. Kein Internet und kein Telephon. Ich fange an mein Kram auszubreiten, in gewohnter Art und Weise, beschlagnahme ich das ganze Zimmer. Es gibt ein schmales Doppelbett, eine 2-Personen-Couch, Stühle, ein Kühlschrank, Schreibtisch mit Tischlampe, Schrank, sowie eine Nasszelle mit Klo und Dusche. Alles da, um es hier auszuhalten. Schon klopft es und ein anderer junger Russe kommt in T-Shirt, kurzer Hose und Badelatschen herein. Wir besprechen Formalitäten und ich gebe ihm meine Dokumente. Die verbleiben beim Schiff, bis ich wieder aussteige.

Etwas angefixt vom, schon fast Bullaugen-förmigen Fenster, schraube ich die Klemmen auf und öffne das Fenster. Draußen regnet es fast schon waagerecht, aber trotzdem bin ich fasziniert von dem Blick auf die Container. Meine nächsten Stunden verbringe ich damit die Ladearbeiten zu beobachten und freue mich, als der erste Ladekran vorgefahren kommt. Ich mache Photos, ganz entzückt, dies mal vor Ort erleben zu können. Aber schon muss ich runter auf Deck B, in die Offiziers-Messe, zum Mittag.

Vom Taxifahrer wusste ich, dass er noch vier weitere zum Schiff bringt, sodass ich am Mittagstisch nicht ganz überrascht auf die vier anderen stoße. Es sind zwei französische Pärchen im Rentenalter die eine Reise nach Französisch-Guyana machen. Eineinhalb Personen können sogar englisch, sodass ich zumindest das eine Pärchen etwas kennenlerne. Sie wollen acht oder neun Tage das französische Überseegebiet bereisen, um dann aber zurückzufliegen. Mit Spaß nehmen sie es, dass sie ja länger mit dem Schiff unterwegs sind, als im Ziel-Land. Besonders einer von Ihnen scheint eine Art Witzbold zu sein. So weiß ich jetzt nicht nur, dass das Ablegen sich verzögern wird, weil noch Ladung fehlt, sondern dass es auch der Champagner ist, der noch geliefert werden muss. Für morgen früh um 6Uhr ist das ablegen geplant, sodass es zumindest ein Tag später wird.

Während wir vor uns hin essen, geht wieder ein Ruck durch das Schiff. Wir drücken fast die Nasen an den Fenster breit, weil nun direkt vor unseren Augen angefangen wurde, die Container zu entladen. Wir sind fasziniert von dem, was für die leucht-gelben Menschen draußen, und die Schlafanzug-Typen drinnen, völliger Alltag ist. Gespannt schauen wir zu, wie der Greifer sich verlangsamt und auf den Container krachend einrastet.


Mrz 26 2018

Tschüss ihr Landratten!

Die Reise geht los … morgen ist es soweit. Ich werde auf das Containerschiff „CMA CGM Saint Laurent“ aufsteigen und mit diesem nach Südamerika schippern. Ganz aufgeregt warte ich in Le Havre, dass es bald losgeht. Ihr findet u.a. die aktuelle Position des Schiffs auf Seiten wie marinetraffic.com.

Leinen los, Ruder hart Backbord und volle Kraft voraus!