Jul 2 2018

Der Elfenbeinturm

von Rosa

Nächster Halt Ecuador! Zwei Backpacker, die wir in Piura getroffen hatten, kamen gerade aus dem Norden und erzählten uns von schönen Orten in Ecuador. Aber auch, dass sie dort fast einen Monat die Sonne nicht gesehen hatten und wir uns auf deutlich teurere Preise einstellen sollten. Mit dem Busunternehmen Civa, das als einziges direkt nach Ecuador fährt, traten wir am Abend trotzdem die 12 Stunden Fahrt an. Der Grenzübertritt in Aguas Verdes war einfach. Wir mussten uns nur zweimal anstellen. Jeweils einmal bei der peruanischen und ecuadorianischen Grenzbehörde. Schnell noch drei Fragen beantworten und schon konnten wir passieren. Zu einer ausführlicheren Auskunft wäre ich drei Uhr morgens auch nicht in der Lage gewesen. Weitere fünf Stunden später hielt der Bus am Terminal in der größten Stadt des Landes: Guayaquil.

Die Prophezeiung der beiden Packpacker sollte fürs Erste in Erfüllung gehen. Der Himmel über uns in dichte graue Wolken gehüllt. In der Eingangshalle des Busbahnhofes begrüßen uns McDonalds Filialen. Doch nicht nur der Shoppingmall ähnliche Busbahnhof auch die Scheine aus dem Geldautomaten erinnern an die USA. Seit dem Jahr 2000 wird in Ecuador mit dem US-Dollar bezahlt. Eine Maßnahme um die damalige Inflation zu stoppen. Mit der neuen Währung wurden auch die Preise erhöht. Einzig und allein der Nahverkehr liegt noch auf dem selben Niveau wie vor der Währungsumstellung. Wie teuer es werden kann, merken wir gleich beim Einsteigen ins Taxi. Fünf Dollar sollen wir für eine kurze Strecke zahlen. Auf unsere Verhandlungen gehen die Taxi Fahrer nicht ein. Zähne knirschend zahlen wir den vierfachen Preis gegenüber Peru.

Ganz sicher sind wir uns nicht, ob wir hier richtig sind. Wir stehen vor einem mehrgeschossigen Turm mit Glasfassade, großer Eingangstür und Portier. Der Name des Gebäudes Elite Building. Hier soll Katerina wohnen, unsere Gastgeberin für die nächsten Tage. Sie lebt tatsächlich hier erzählt uns der Mann am Empfang, ist aber momentan nicht Zuhause. Wir sitzen auf einer gepolsterten Bank vor einer großen goldenen Vase über uns ein Kronleuchter. Alles blitzt wie frisch poliert. Dann kommt die Nachricht, dass sie doch da ist. Der Portier begleitet uns zum Fahrstuhl und bedient die Tasten. Im Spiegel des Fahrstuhls sehe ich einen Mann in einem glatt gebügelten schwarzen Anzug mit zurück gekämmten Haaren und zwei müde Gestalten, bepackt wie Nomaden in staubigen Schuhen. Finde den Fehler.

Wir warten vor der Tür mit der Nummer 107 und klopfen zögerlich. Wer wird uns wohl aufmachen. Laut dem Couchsurfingprofil wohnt hier Katerina, die sieben Jahre in Indien gelebt hat und an neuen Kulturen und Menschen interessiert ist. Die Tür öffnet uns eine große Frau mit braunem Pferdeschwanz und einem konzentrierten Gesicht, dass wenig Mimik zeigt. Die Begrüßung ist etwas kühl. Sie erklärt uns die Wohnung mechanisch und antwortet nur knapp auf unsere Fragen. Ihr Zuhause ist sehr sauber und mit allem ausgestattet. Es gibt ein Wohnzimmer mit zwei weißen Sofas, eine Kochnische, ein geräumiges Bad und ein Schlafzimmer. Die Wohnung ist deutlich über dem Standard, den wir bisher kennengelernt haben, aber nicht so luxuriös wie die Eingangshalle erwarten lies. Es gibt eine Dusche mit konstant warmen Wasser. Das ist mein Luxus in Südamerika.

Unser Magen meldet sich zu Wort und will Frühstück. Katerina empfiehlt uns ein Shoppingcenter gleich um die Ecke. Mitkommen mag sie aber nicht. Im Supermarkt sehen wir zum ersten Mal dunkles Brot. Es ist natürlich immer noch weich, aber der Geschmack erinnert dennoch entfernt an Schwarzbrot. Dazu gibt es holländischen Käse aus Ecuador. Die Preise für Lebensmittel im Supermarkt sind teurer als in Deutschland. Dafür ist der Bus mit 30 Cent preiswert. Wir nutzen die Gelegenheit und fahren bis ins Zentrum. An einer Haltestelle steigt ein Mann mit Mikrofon ein. Schnell hat er einen Hefter ausgepackt. Darin befinden sich Bilder von kranken Menschen und schlechten Nahrungsmitteln. Immer wieder erzählt er wie ungesund fettiges Essen und Alkohol sind. Dabei drückt er jedem Fahrgast eine Pillendose in die Hand. Nur zwei Dollar kosten die Wunderpillen, die uns wieder gesund machen sollen. Heute als Sonderangebot gibt es drei Dosen für fünf Dollar. Von einigen sammelt er das Wundermittel nach seiner Rede wieder ein, andere geben ihm zwei Dollar. Der Bus ein guter Ort um Geschäfte zu machen. Die Kunden können ja nicht weglaufen. Diese Gelegenheit nutzen auch ein Blockflötenspieler und ein Obstverkäufer aus. Es ist ein bisschen wie analoges Teleshopping, nur können wir nicht umschalten. Irgendwann geht der Busverkehr nicht mehr weiter und wir steigen aus. Unser Ziel ist der Malecón. So wird in Lateinamerika die Promenade am Meer genannt. Doch bis dahin ist es ein Slalomlauf zwischen fliegenden Händlern. Vielmehr als im Bus, wird auf der Straße verkauft. Ein Angebot jagt das nächste nach der Devise wer am lautesten schreit, verkauft auch am meisten. Immer wieder wird das Angebot und der Preis wie ein Gebet wiederholt. Es ist ein richtiger Singsang. Neben Kleidung und Lebensmitteln werden hier auch kleine Hunde verkauft. In jeder ihrer Hände halten die Männer einen dieser Miniaturhunde und laufen damit durch die Straßen. Man könnte sie fast mit Kuscheltieren verwechseln, wenn nicht ihre quälenden Rufe wären.

Der Malecón ist der Stolz von Guayaquil. Auf drei Kilometern kann man hier auf den asphaltierten Fußgängerwegen entlang spazieren. Es gibt Spielhallen, Shoppingcenter, Restaurants, Spielplätze, einen botanischen Garten, ein Rundkino und ein großes Riesenrad. Alles ganz modern und überall Wlan. Ein Amüsiermeile für Touristen und Stadtbewohner. Weitere Entertainmentangebote wie eine Achterbahn werden gerade gebaut. Auch Bildung und Kultur dürfen nicht fehlen. Doch als wir am Museum für Moderne Kunst ankommen, hat es geschlossen. Am nördlichen Ende des Malecons befinden sich die beiden historischen Stadtteile Las Penas und Santa Ana. Sie sind auf Hügeln gelegen und beeindrucken durch ihre verspielten Gassen und bunt gestrichenen Fassaden. Wir schlendern durch die Kopfsteinpflasterstraßen und genießen den Ausblick über die Stadt, die Meerzunge und die benachbarten Inseln. Als wir den Weg zurück in die Stadt nehmen, versperren uns auf den Treppen sitzende Menschen den Weg. Gut 30 Frauen hocken mit Stift und Zettel auf den Treppenstufen. Immer wieder wiederholt eine Stimme verschiedene Zahlen. In der Mitte der Treppe steht eine Frau und zieht kleine Zettel aus einer alten Milchkanne. Sie spielen Bingo. Wir beobachten das Spektakel eine Weile. Mit dem Sonnenuntergang über der Stadt verlassen wir das malerische Viertel.

Den Weg zurück in unsere Unterkunft nehmen wir mit der Metro. So werden hier Busse bezeichnet, die an festen Punkten halten und eine eigene Busspur haben. Dadurch sind sie viel schneller unterwegs als die gewöhnlichen Stadtbusse, in die man an beliebigen Stellen ein- und aussteigen kann. Normalerweise benötigten wir dafür eine aufladbare Karte, aber vor den Einlassschleusen finden sich immer hilfsbereite Menschen, die uns auf ihrer Karte mitnehmen. Als wir am Abend Katerina von unserer Bustour erzählen, schaut sie uns mit großen Augen an. Sie würde nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, viel zu gefährlich. Erst neulich wurde die Mutter ihres Fahrers ausgeraubt. Bei dem Wort Fahrer stocke ich etwas. Katerina kommt ursprünglich aus der Ukraine und ist hier in Guayaquil, weil sie Managerin bei einer großen Bananenfirma ist. Sie ist zuständig für den Export nach Osteuropa.

Auf ihrem Schlafzimmerboden liegen Puzzelteile aus denen eine Berglandschaft entstehen soll. Ich setze mich zu ihr und wir sprechen über Vegetarismus. Ob sie schon mal vegan gelebt hat, möchte ich wissen. Nein, das wäre quatsch. Sie liebt Kühe und diese würden ihre Milch mit Liebe geben. Wie viel Liebe eine Kuh wohl durch eine Melkmaschine verspürt, frage ich mich. Aber Katerina ist so eine Art Mensch, der nicht diskutiert. Erst recht nicht beim Puzzeln, denn das ist für sie wie meditieren. So ganz will das Profil und der Mensch Katerina nicht zusammenpassen. Als sie im Bett ist, lesen wir uns noch einmal die Bewertungen von anderen Couchsurfern durch. Sie sind allesamt positiv und schwärmen von der freundlichen und hilfsbereiten Katerina. Wir fragen uns, wo diese Katerina ist.

Am nächsten Morgen verabschiedet sie sich früh Richtung Fitnessstudio. Wann sie zurück ist, frage ich. In einer Stunde meint Katerina. Das Fitnessstudio befinde sich im Haus, genau wie ein Kino und ein Swimmingpool auf dem Dach. Sie klingt gelangweilt. Sie muss ihr Haus nicht verlassen, um irgendetwas zu bekommen und das tut sie auch das gesamte Wochenende nicht.

Unser Sonntagsspaziergang führt zum Parque Bolivar. Hier sollen Landleguane leben, die bis zu einem Meter lang werden. Und tatsächlich, mal langsam, mal flink bewegen sich die Drachentiere über die gepflasterten Wege oder faulenzen auf grünen Rasenflächen. Die Tiere zeigen fast keine Scheu und lassen sich mit Salatblättern füttern. Es gibt auch Tauben im Park, die sich gerne auf einem Leguanrücken niederlassen. Leguane können auf Bäume klettern. Besser geht es immer rauf. Runter rutschen sie eher an der Baumrinde entlang. Leider können sie sich nicht wehren, wenn die Kinder ihnen am Schwanz ziehen als wären sie Hunde und ihr Schwanz eine Leine. Ein kleines kräftiges Mädchen schleift einen Leguan ein paar Meter über die Steine. In der anderen Hand ihr Eis, dass auf ihr weißes Spitzenkleid tropft. Einen Moment später jagt sie die Tauben im Park von ihrem Futter weg. Viel zu spät schleift der Vater das Mädchen aus dem Park nach Hause. Wir sitzen eine Weile auf einer Bank und beobachten die sogenannten Tierfreunde und wie sie mit ihren Freunden umgehen. Vor uns steht ein Baum, der überlagert ist mit Tauben und Leguanen. Wahrscheinlich der einzige Platz wo sie ihre Ruhe haben. Ein Touri will gerade einen Leguan ins perfekte Licht rücken, da verrichtet eine Taube ihre Notdurft auf dem Baum und trifft ihn auf der Schulter. Vielleicht gibt es doch so etwas wie Karma.

Wir sitzen gerade beim Frühstück, als uns Katerina freundlich darauf hinweist, dass es schon zehn Uhr ist und wann wir denn aufbrechen wollen. Wir verstehen, was sie sagen will und packen schnell unsere Sachen. In der Zwischenzeit kommen noch zwei Arbeitskollegen von ihr vorbei und kurzerhand finden die Besprechungen auf ihrem Bett statt. Ihre Wohnung steht scheinbar jedem offen, ihr Leben nicht. In unserem Bild von Katerina passen die Puzzleteile immer noch nicht zusammen, aber das müssen sie auch nicht. Wir verlassen die Eiskönigin in ihrem Elfenbeinturm. Uns zieht es an einen wärmeren Platz an den Strand. Wir fahren natürlich Bus.