Apr 9 2019

Ein letzter Strand

Von Karl

Natal, Rio Grande do Norte, Brasilien

 

Auf dem Weg nach Natal wurde uns deutlicher, dass Brasilien ein riesiges Land ist mit riesigen Unterschieden. Die Infrastruktur nach Norden hin wurde langsam dünner. Zudem kamen wir in eine andere Zeitzone, aber in die Gegenrichtung als üblich wird die Uhr umgestellt. Was ich neues gesehen habe: Kaktus-Plantagen!

Ein letztes Mal bereise ich einen Ort auf dieser langen Reise. Kein Gedanke der mich sehr fröhlich stimmt. Nein, es ist die Zeit gekommen. Doch noch einmal darf ich hier eintauchen. Es ist Alax der uns empfängt. Ein Junger Mann der schon ein paar Jahre in der Schule als Lehrer gearbeitet hat, aber nun nochmal verreisen möchte. Neue Ideen, neue Ziele. Bei ihm wohnt noch die ganze Familie, das heißt ein kleinerer Bruder, sein Vater und seine Mutter. Während der Vater sich es nicht nehmen lässt immer einen witzigen Spruch zu drücken, zeichnet sich die Mutter durch umsorgende Gastfreundschaft aus. Sie arbeitet als Lehrerin.

Alax hat sogar sein Zimmer für uns geräumt und schläft im Wohnzimmer. Nicht nur das, er zeigt sich auch extrem hilfsbereit, denn es ist nicht so leicht mit dem Hafenagenten in Kontakt zu kommen, da seiner Aussage nach noch nie Passagiere hier in ein Containerschiff stiegen. Irgendwie klappt das dann aber mit Alax‘ Hilfe.

Der Vater arbeitet als Uber-Fahrer und bietet uns eine Tagestour mit diversen Sehenswürdigkeiten an, zum halben Preis, als sonst üblich. Schnäppchen und die Möglichkeit der Familie was zurück zu geben … da greifen wir direkt zu.

Ausflug in Rio Grande do Norte

Nach einer Weile Autobahn, biegen wir ein und passieren Alleen an Palmen, bis wir einer türkisen Flussmündung folgen.

Bald halten wir an einer Steilküste um den weiten Ozean zu überblicken. Unter uns ein idyllisch breiter Sandstrand. Bis in die Ferne verlängert sich dieser und liegt nahezu unberührt da. Es ist, was das Herz begehrt.

Unser Ziel ist der kleine Ort Praia da Pipa, was soviel wie Drachen-Strand bedeutet, wobei aber ein Steig-Drachen gemeint ist. Es ist ein verschlafener Hippie-Ort, mit Touris, Stränden, Lädchen und alles was die Touris so kaufen würden. Die Strände tragen wiederum verschiedene Namen. Einer ist als Liebesstrand bekannt. Von einem Parkplatz aus nähern wir uns wieder von oben und es führt eine steile Treppe hinab in eine grüne schmale Waldkette zwischen Fels und Strand.

Wir entgehen relativ flott wieder dem überlaufenen Ort und fahren zurück nach Tibau do Sul, vielleicht zehn Minuten entfernt. Auch hier gibt es einen Strand oder besser gesagt gleich zwei. In wenigen Laufminuten getrennt gibt es neben dem offenen Meer auch die Möglichkeit an der Flussmündung zu baden, was besonders für Nichtschwimmer*innen spannender ist, weil es vor Wellen geschützt ist. Ein Teppich aus Plastik-Stühlen, -Tischen und Schirmen wurde zudem aufgebaut. Restaurants verkaufen in ihren Bereichen Menüs mit viel Fisch, sowie Cocktails, Bier und das übliche. Auch Acai mit Cupuacu. Cupuacu ist eine Frucht, die wie Wein schmeckt.

und bei den Cocktails gibt es übrigens nicht nur Caipirinha.

Für ein paar Stunden genießen wir die Herrlichkeit des Ortes in vollen Zügen. Die Sonne ist ungebrochen und der Schatten der Abreise aus Südamerika ist nicht zu spüren. Dafür umspült die AtlantikGischt viel zu traumhaft die schwarzen Felschen auf dem weiß-gelben Strand. und im Hintergrund die Palmen …

Auf dem Weg zurück nach Natal halten wir noch in Pirangi do Norte einem Stadtteil des kleinen Städtchen Parnamirim nur noch wenige Kilometer vor Natal. Die Besonderheit hier ist der größte Cashew-Baum der Erde.

Wie ein kleiner Wald erscheint von außen der Baum mit seinen festen Blättern und dünnen Stämmen, die sich wie gelegte Leitungen durch die Luft schlängeln.

Auf Holzpfaden lässt sich das Innere des Baumes erkunden und so machen wir uns auf unter dem grünen Walddach zu wandeln.

Spannend ist dabei, dass schon die Mehrheit der Stämme irgendwie aus der Mitte heraus kommt.

Hinweisschilder klären über den Cashew-Baum und seine Nüsse auf, die demzufolge sehr gesund sein können. Auch fast alles andere ist essbar. Überraschend für mich war es, dass die Frucht mit der Nuss einer Paprika ziemlich ähnlich sieht. In der Erntezeit trägt der Baum Früchte mit einem Gesamtgewicht von 2,5 Tonnen. Das Wort Cashew kommt von den indigenen Tupis, die vormals große Teile Brasiliens besiedelten. In vielen Sprachen wurde dieses Wort übernommen.

Wir lernen von der Familie noch eine Oma kennen und kochen einmal ausgiebig für alle. Azul macht wieder bolivianische Erdnusssuppe und von mir kommt deutscher Eierkuchen. Auch ein letztes Mal. Aber zur Freude der lieben Mutter und des jungen Bruders, die regelmäßig um unsere Töpfe und Pfannen schleichen.

Natals touristischster und sicherster Ort soll der Strand-Stadtteil Ponta Negra sein. Hier gibt es Surfer*innen wie Sand am Meer. Eine lange Strandpromenade, unzählige Hotels und Restaurants und Verkaufsstände säumen den gut frequentierten Strand. Ansonsten soll Natal nicht besonders sicher sein, so zumindest meint es Alax. Wir passen entsprechend auf. Besonders aber die Stadtteile nördlich des Rio Potengi sollen regelmäßig durch Raubüberfälle und Schießereien berühmt werden.

Wir planen nicht dorthin zu gehen, doch dann kommt die letzte Nacht und wir müssen Azul nachts zum Flughafen bringen. Nun gesellt sich zu der ausgiebigen Abschiedstrauer noch die Angst, denn tatsächlich werden auf dem Weg zum Flughafen, der im Norden liegt, auch immer wieder bewaffnete Raubüberfälle durchgeführt, so Alax, weshalb der Vater sich bereit erklärt uns zu fahren. Tatsächlich sehen wir in den frühen Morgenstunden ein paar Jugendliche durch die Straßen streifen, doch wir bleiben in Ruhe.

Abstieg

Es bleiben mir noch zwei Stunden zu schlafen, bis ich dann auch meinen Rucksack mir auf den Rücken schnüre. Ich hab noch 5 Reals, vielleicht 1,20 Euro, für den Bus, der 3,65 Reals kostet. Also stelle ich mich an die Haltestelle, doch nun bemerke ich, dass Sonntag ist und die Busse seltener verkehren. Um Acht soll ich am Hafen sein, doch dies lässt sich nun nicht mehr machen. Ich bekomme es mit der Angst zu tun. Wenn das Schiff weg ist, hab ich ein derbes Problem.

Gegen 8:45 war ich dann am Hafen und ich beginne das Warten am Eingang neben den beiden Sicherheitsleuten. Mhh, denke ich, da war der deutsche Pünktlichkeitsfanatiker doch schon wieder da. Natürlich ist das Schiff noch lange nicht weg. Mir wird zwar versucht irgendwas zu erklären, aber ich verstehe nun mal kaum etwas in portugiesisch. Ich beobachte wie LKWs mit ISO-Containern kommen und gehen. Ein Kranwagen lädt die Container auf und ab oder bringt sie woanders hin. Hin und her wuseln die Maschinen. Ein Gabelstapler-Team entfernt oder bringt Kühlaggregate an die weißen Kühlcontainer an.

Im nächsten Schritt sitze ich dann in einem weißen Container und warte wieder, dass Eduardo kommt. Das Spiel kenne ich schon und Geduld zu haben fällt mir nach über zehn Monaten Südamerika ziemlich leicht. Das berühmte Theaterstück würde in Natal übrigends „Warten auf Eduardo“ heißen, da das wohl so das üblichste war was ich an verschiedenen Orten im Hafen gemacht habe. Tatsächlich haben mich dann aber immer wieder andere Leute geführt oder gefahren.

Dann stehe ich bei der Hafenpolizei. Ein einziger völlig unmotivierter Beamter sitzt hinter seinen Rechner und schaut meine Papiere an. Er sagt nichts und gibt sie mir irgendwann wieder. Währenddessen sind gleich zwei Seeleute von der „CMA CGM Saint Laurent“ kommen. Meinem Schiff. „CMA CGM“ ist der Name der Reederei. Den einen ukrainischen Schiffsoffizier, Dmytro, erkenne ich auch direkt wieder. Nachdem ich ihm das erklärt habe, meint auch er, dass er mich wiedererkennt. Naja, freudiges Wiedersehen sieht anders aus, aber das ist wohl unseren kühlen Naturellen zu verdanken.

Sie haben zwei große Stapel blauer und roter Reisepässe mitgebracht, die der Hafenbeamte nun auch noch alle bearbeitet. Als das unspektakulärste Spektakel sein Ende fand, gehe ich einfach mit den beiden Seeleuten mit. Es ist nicht weit und das große Containerschiff unschwer zu erkennen. Im dunklen Ozean-Blau liegt sie wieder da. Beachtet mich nicht, aber für mich ist sie beachtlich. Die schiffseigenen Kräne sind am rotieren und laden und entladen nach und nach. Irgendwie ist der Schritt zum Schiff auch vertraut. Seltsam bekannt und aufregend zu gleich. und traurig, da es das Anfang vom Ende ist.

Wir gelangen zur Gangway und ich beginne den Aufstieg aufs Schiff. Aber der Aufstieg auf das Schiff ist auch der Abstieg von Südamerika …


Dez 3 2018

Eine Reise in sechs Akten

Von Karl

 

So manche*r wird staunen und neunmalklug behaupten: Ein Theaterstück hat doch nur 3, 4 oder 5 Akte. Tjaaa, dann lest das folgende Stück. Vorhang auf:

Akt 1: Castro → Quellón

Kurz nach meiner Rückkehr in Castro bekomme ich eine Rückmeldung für meine nächste Unterkunft. Es soll nach Esquel in Argentinien gehen. Das ist nicht so weit, denke ich.

Ich war tags zuvor bei der Fährgesellschaft Naviera Austral und habe meine Überfahrt von der Insel Chiloé zurück auf das Festland geplant. So habe ich erfahren, dass meine angestrebte Überfahrt von Quellón nach Chaitén nur an zwei Tagen in der Woche möglich ist. Einmal legt das Schiff am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht ab und das andere mal am Sonntag um 18:30 Uhr. Beides ist doof, weil kein Bus von Castro in der Nacht nach Quellón fährt und wenn ich 18:30 abfahre, dann bin ich Mitternacht in Chaitén. In dem Dorf fährt zu der Zeit dann sicherlich kein Bus. Die Überfahrt dauert vier bis fünf Stunden.

Von Castro aus gibt es zur Zeit keine Fähre. Ich war schon in Puerto Montt in dem Büro von Naviera Austral und habe zudem den Eindruck bekommen, dass sich die Pläne hier wohl regelmäßig ändern. Das bestätigen auch die Hosts und schimpfen auf die sich ständig ändernden Pläne. Es werden auch längere Fähr-Strecken angeboten, die bis in den äußersten Süden Chiles reichen. In Castro bin ich gefühlt der erste der überhaupt ein Ticket gekauft hat. Vielleicht stellt mir die Fährgesellschaft auch einfach ein Ruderboot hin und sagt, mache selbst. Die Einheimischen nehmen den Bus über Puerto Montt, der dann in Hornopirén auf die Fähre fährt. Die Strecke soll landschaftlich sehr reizvoll sein. Manche nehmen auch kleine Flugzeuge, die aber oft wegen dem Wetter ausfallen oder starke Verspätung haben.

Ich habe mich für die nächste Fähre entschieden, die überhaupt abfährt und das ist schon diese Nacht um 3 Uhr. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr ab, sodass ich diesen dann auch nehme. Die Dunkelheit bricht über Castro ein, als sich der Reisebus auf der Straße nach Quellón herauswindet. Gut eineinhalb Stunden ist dieser unterwegs und direkt beim Busterminal ist auch schon der Anleger. Spärlich ist die Stadt erleuchtet und der kalte Seewind dringt in die Klamotten. Ein völlig Betrunkener torkelt an mir vorbei und vervollständigt, ohne es zu wollen, das Bild einer heruntergekommen Hafenstadt. Sicherlich gibt es um die Ecke die düstere Kneipe wo bärtige alte Männer literweise Bier trinken und so laut und tief lachen, dass die Holztische beben.

Es steht eine Fähre bereit und es ist mächtig Betrieb. LKWs rollen hin und her und einige stehen mit Sack und Pack am Anleger. Als diese dann auf den Kai gelassen werden, frag ich nach, aber diese Fähre ist noch nicht meine. Mir wird ein Aufenthaltsraum in einiger Entfernung empfohlen.

Tatsächlich, Naviera Austral hat ein eigenes großes Büro mit großem Aufenthaltsraum, der mit einem Ofen gut geheizt ist und es läuft mal wieder eine ins Spanische übersetzte Schnulzen-Serie, Made in Türkei. Ich hab zwar noch nie darüber geschrieben, aber tatsächlich habe ich schon wartend viele Folgen dieser türkischen Serie gesehen. Es ist die typische Abendberieselung die ihr auch aus dem deutschen Fernsehprogramm kennt. Beziehungsdramen halt.

Das Warten ist ansonsten wenig spektakulär und ich schlaf auch ein wenig.

Akt 2: Quellón → Chaitén

Eine gute Stunde vor Abfahrt kommt Unruhe unter die Wartenden und wir machen uns nach und nach auf den Weg zum Anleger. Gut hundert Meter einsamer Beton, dann geht die Rampe nach unten und der Ausleger der Fähre beginnt. Das kalte nasse Seewetter erfüllt meine Lunge mit Glück. Ja, Seefahrtsromantik kommt wieder auf. Nicht alle mögen‘s verstehen, aber jedes Mal wenn ich ein Boot betrete, ja, dann werd‘ ich zum Dichter.

Es wartet eine Fähre, die der von der frühen Nacht gleicht. Zum Glück kein Ruderboot. Die RoRo-Fähre ist ziemlich klein im Vergleich zu denen die in Calais, Dover, Travemünde oder Warnemünde abfahren, aber doch um einiges größer als die Auto-Fähren auf den Priwall oder die zwischen Kleinzschachwitz und Pillnitz. Zwei Dutzend Fährzeuge können über die Heckluke auf das einzige Deck mit drei Spuren fahren und nach dem Anlegen über die Bugluke geradewegs abfahren.

Über Außentreppen geht es in das Passagierdeck, was aus hunderten Busstühlen und einer Cafeteria besteht. Eigentlich haben sich fast alle immer drei Sitze nebeneinander geschnappt und hingelegt. Dem Beispiel folgend und der Tatsache geschuldet, dass in der Dunkelheit nix zu sehen ist, leg ich mich auch hin, mach mir den Wecker an, damit ich ja die Einfahrt und den Sonnenaufgang nicht verpasse.

Wie beschreib‘ ich den Sonnenaufgang nur richtig … Sagen wir mal so: Es war ein Qualitäts-Sonnenaufgang der von der Stiftung Warentest die Note Sehr Gut (1,0) bekommt. Ohne Witz, es ist unvorstellbar. Aus dem spiegelglatten Meer ragen die Anden gen Himmel, die bis in winterliche Höhen vorstoßen. Die Sonne geht hinter diesen auf und wirft orange Strahlen durch die Spalten und schafft harte Rahmen um die Gipfelkette. und nun noch alles in 3D, weil manche Berge weiter vorne stehen im Vergleich zu anderen. Der Himmel ist klar und die seltenen Wolken spielen mit den Bergen. Manche Wolke ergänzt den Berg und lässt ihn wachsen und andere spiegeln das orange auf ihren weiß-grauen Bauch. Das noch nachtschwarze Wasser hat eine goldene Schicht bekommen, die auf ihr schimmert, als wenn der goldene Morgen an der Oberfläche kondensiert wäre und nun wie Öl darauf schwimmt. Hach, einfach schön …

Nicht lange nach dem Sonnenaufgang fährt die Fähre wieder in den Schatten der Berge und erreicht den Anleger von Chaitén. Dieser liegt keinen Kilometer vom Ortseingang entfernt. Das Festmachen scheint nicht so einfach zu sein, weil es keinen klassischen Kai gibt und die Poller sind irgendwo in den Felsen verankert. Nun sehe ich auch, dass wirklich nur eine handvoll Fahrzeuge an Bord sind. Es sind ausschließlich Reisende, d.h. Bullis, Geländewagen oder Reisebusse. Die gut Fünfzig Passagiere verteilen sich darin oder wandern an Land.

Anlegemanöver in Chaitén

Dort wartet ein Bus, doch irgendwie scheint es mir nicht gerechtfertigt für einen knappen Kilometer Geld auszugeben. All die Rucksackreisenden nehmen aber den Bus und kommen nur kurz vor mir im Ort an. Wo sie aber verbleiben, ist mir ein großes Rätsel. Sie tauchen nicht wieder auf. Noch später frag ich mich, was sie eigentlich vor hatten und wie sie das bewerkstelligt haben.

Akt 3: Chaitén → Villa Santa Lucía

An dem Busbahnhof oder besser gesagt Reisebüro-Häuschen angekommen warten schon schon ein älteres Pärchen und ein junger Rentner. Das Paar will auch nach Argentinien und der alte Mann in den nahen Nationalpark. Der Mini-Busbahnhof wird nebenan gerade gebaut.

Wir warten, denn das Häuschen ist noch geschlossen. Der Mann fragt die Arbeiter nebenan und offensichtlich macht der Betreiber auf, wie er lustig ist. Öffnungszeiten sind ja eh relativ. Doch mein Mit-Wartender findet zwei weitere Einheimische die durch Anruf den Verantwortlichen wecken und nach eine guten halben Stunde kommt ein Mann mit grauen und wuscheligen Haaren und breiten Grinsen angeradelt.

Wir werden freundlich eingeladen und all unsere Fragen beantwortet. Ich habe Glück. Zwei Mal die Woche fährt ein Bus nach Futaleufú, der nächste und letzte Ort vor der Grenze, und heute ist so ein Tag. Um 12 Uhr von der Tankstelle geht es los. Angesichts der Entfernung ist mir das aber zu spät. Ich muss ja noch viel weiter, von Futaleufú aus. Ich hab mit mehr Verkehr gerechnet. Schlimmer aber: Von Futaleufú fährt heute vermutlich kein Bus mehr nach Esquel. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber er meint, heute nicht. Ich hab keine Wahl. Ich muss bis zum Abend ankommen.

Nun also die Notfalllösung, aber auch irgendwie das, was ich schon länger mal ausprobieren wollte: Con Dedo? Mit Daumen?

Ja, meint er, das geht bestimmt. Einfach am Ortsausgang, beim Friedhof, da ist ein super Ort zum Trampen. Chaitén ist ja ziemlich klein und ich treff‘ den jungen Rentner wieder. Ein, zwei, drei, maximal vier Fahrzeuge würde ich warten. Das ist ganz normal hier. Viele würden Trampen.

Das motiviert. Natürlich ist es nicht mein erster Tag hier, um zu wissen, dass ich nicht nur vier Autos warten werde. Naja.

Chaitén ist übrigens deswegen so klein, weil erst 2008 der gleichnamige Vulkan ausbrach und große Teile des Dorfes zerstörte. Der Vulkan wurde vorher als erloschen eingestuft und brach völlig überraschend aus. Die Einwohner*innen wollten aber ihr Dorf nicht aufgeben und mittlerweile wohnen wieder mehrere tausend Menschen dort.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, … naja ich hab aufgehört zu zählen. Autos kommen und gehen. Nur anhalten tut keines. Beruhigend, dass ja irgendwann der Bus kommt. Viele Fahrer*innen machen irgendwelche Handzeichen, die ich so deute, dass sie nicht Chaitén verlassen, sondern vorher abfahren. Es gibt zwar nur noch eine Ausfahrt, aber es scheinen sehr viele zu sein, die dahin müssen. Vermutlich. Es vergeht auch die erste Stunde, ohne dass etwas passiert. An meiner Stelle kann es ja nicht liegen, denn die ist perfekt. Ich bin gut von weiten zu sehen und anhalten können die Autos auch problemlos hier.

Hier warte ich mit dem Daumen, Ortsausgang Chaitén

Die Sonne bruzzelt und ich versuche die Langeweile mit Musik oder Essen totzuschlagen. Das Trampen wird zur Lethargie. Ich versuch freundlich drein zu schauen, aber das Daumen hochhalten passiert rein mechanisch. Als dann doch ein schwarzer Geländewagen neben mir hält, wach ich auf. Tatsache! Er kann mich ein Stück mitnehmen. Wie schön ist das!

Wir steigen direkt ein und können uns über einiges unterhalten. Besonders das Leben in dieser Einöde interessiert mich. Hier leben auf zig Kilometern nur noch ganz wenig Menschen. Die Infrastruktur ist minimal. Er selbst wohnt in einer Häuseransammlung (Dorf wäre übertrieben), die nur über ein Boot von einem Dorf auf der anderen Seite der Flussmündung erreichbar ist. Seine Kinder lehrt er zu Hause. Einmal, weil es ein längerer Schulweg wäre, aber auch weil er kaum was auf das chilenische Bildungssystem hält. Zu schlecht seien die Lehrer*innen und er könne das besser. Seine Kinder würden bei den Prüfungen gut abschneiden, besonders in Meeresbiologie. Gut, sein Job ist Meereskonservation, d.h. er belegt was alles in den nahen Gewässern lebt und wie es sich verändert. Auch er benennt das Problem der industriellen Lachs-Zucht mit den roten Algen. Er zeigt mir ein Buch mit großen Farbphotos von krassen Unterwassertieren und -pflanzen.

Irgendwann stoppt er dann und packt eine Drohne aus. Vor wenigen Monaten ist an dieser Stelle ein Teil eines nahen Berges abgerutscht. Eine Bodenverflüssigung. Eine Gerölllawine, von unvorstellbaren Ausmaß, ging des Nachts den Berg ab und folgte den Flussbett. Hektarweise wurde Wald links und rechts einfach umgeholzt und die Straße begraben. Stahlbeton und uralte Bäume sind wie Zahnstocher gebrochen.

Vom Berg hinten rechts fehlt die Hälfte und alles zwischen den Bäumen links, rechts und am Hang war vormals Wald

Noch Kilometer weiter unten hat die Gerölllawine Wald begraben und auch die Ortschaft Villa Santa Lucía zur Hälfte. Da sie mitten in der Nacht kam, waren alle zu Hause und haben geschlafen. Viele sind in ihren Häusern gestorben. Die Holzhäuser sind einfach weggespült worden und als wir in den Ort kommen, sind noch völlig deformierte Häuser gut zu erkennen. Auch wenn die Straße schon erneuert ist und schweres Gerät am Aufräumen ist, wird es wohl noch dauern bis alles wieder beim alten ist.

Villa Santa Lucía, links die Häuser stehen noch, rechts wurde alles begraben, in der Mitte ist ein stark deformiertes, der Weg wurde mittlerweile wieder angelegt

Villa Santa Lucía ist auch der Ort mit dem Abzweig. Ich muss zur Grenze, aber meine Mitfahrgelegenheit weiter nach Süden. Wir verabschieden uns und ich suche den neuen gewalzten Weg nach Futaleufú. Am Ortsausgang schmeiß ich meinen Rucksack hin und das Warten beginnt auf‘s Neue.

Akt 4: Villa Santa Lucía → Futaleufú

Motiviert von dem Erfolg ein Drittel schon getrampt zu sein und der Sicherheit, dass irgendwann der Bus kommt, warte ich auf weitere Fahrzeuge die mich gegebenenfalls zum Ziel bringen. Anders als meiner erster Wartestelle ist hier auch deutlich weniger los. Es kommen so gut wie keine Autos, auch wenn es die einzige Straße nach Futaleufú ist. Doch vielleicht nimmt mich dann erst recht jemand mit.

Die Umgebung hilft aber über die Einsamkeit. Hohe schneebedeckte Gipfel, weite grüne Wälder und ein kleiner Bach umgeben mich. Doch kommt mal ein Fahrzeug angerauscht, so bleibt nur der Staub in der Luft stehen. Gleichzeitig brennt die Sonne auf mich runter. Es ist mittlerweile Mittag geworden. Mein Fahrer von eben war optimistischer mit meinem Plan. Vielleicht fährt ein Bus und wenn nicht, dann ist es nicht weit zur Grenze und dahinter fährt bestimmt etwas.

Nach einer halben Stunde fange ich an eine Statistik zu führen. An die schon gekommenen Fahrzeuge kann ich mich noch gut erinnern und Steine gibt es hier ja genug. Auf der Absperrung zur alten Straße, die vom Geröll zerstört wurde, lege ich die Steine ab.

Doch es vergehen die Stunden und das einzige was mich ab und zu besucht, ist eine neue Staubwolke, aufgeworfen von Fahrzeugen. Als nach zwei Stunden zehn Steine nach links und fünf Steine nach rechts liegen, kommt der Bus aus Chaitén. Nur gut, dass ich diese Notfalllösung habe. Das Zehn-zu-Fünf-Ergebnis ist aber auch ein wissenschaftlicher Beleg für Murphys Gesetz. Kurz gesagt, das dümmste Ergebnis tritt meist ein. Da zehn Fahrzeuge in die falsche Richtung gefahren sind, also diese in die ich nicht möchte, aber nur fünf in die meinige, sehe das Gesetzt für belegt an.

Ich finde noch einen Platz in dem Bus und offensichtlich hat der Busfahrer hier nicht mit mir gerechnet. Mir egal. In dem wohlig-warmen Treibhaus fallen mir direkt die Augen zu.

Über eine Stunde ruckelt der ältere Bus durch die Berge und lässt uns dann in Futaleufú raus. Einem kleinen Touri-Ort. Wieder ein Ort der für sich wunderschön ist. Flache ruhige Häuser in einer atemberaubenden Landschaft. Völlig unberührt. Traumhaft. Mittlerweile habe ich aber schon 50% meine Motivation eingebüßt und will einfach nur weiter.

Futaleufú

Akt 5: Futaleufú → KM 15

Der Busfahrer weiß nix zu weiteren Bussen, aber sein Kumpel meint, einen zu kennen. An dem von ihm angegebenen Ort finde ich die besagte Firma nicht, geschweige denn überhaupt irgend eine Art Transportmöglichkeit. Dafür aber die Touri-Info. Sichtlich erfreut über meinen Erscheinen erklärt mir die junge Frau auf feinsten Englisch was sie weiß: Morgen früh.

Ja, es gibt Busse, zwei Mal die Woche (das scheint hier der Takt zu sein mit dem die Leute leben). Aber halt erst morgen früh. Ich habe aber kein Internet und auch keine andere Möglichkeit meiner Couchsurferin Bescheid zu geben und entscheide mich das Glück weiter herauszufordern. Ich muss heute noch in Esquel bei ihr ankommen. Das habe ich vor über 24 Stunden ihr so mitgeteilt.

Also wieder: Auf zur Ausfallstraße Richtung Grenze. Die Karte sagt 10,6 Kilometer bis zum argentinischen Grenzposten. Ich ruf mir den netten Fahrer in Erinnerung und entscheide mich mit dem Laufen zu beginnen. Gleichzeitig strecke ich aber auch jeden den Daumen hin, der in meiner Richtung an mir vorbei fährt.

Gleichzeitig ändert sich die Landschaft regelmäßig. Andere Gebirgszüge kommen und gehen. Mal komme ich nah an einen schnellen und breiteren Fluss. Dann wieder eine Wiese mit Tieren. Autos kommen und gehen. Sie machen immer irgendwelche Zeichen. Vermutlich, dass sie nicht zur Grenze fahren. Was sie offensichtlich nicht wissen: Ich wäre auch einverstanden, wenn sie mich nur einen Kilometer fahren. Einfach nur etwas. Aber keine*r erbarmt sich.

irgendwo zwischen Futaleufú und Grenze, in Richtung Grenze photographiert

Von Kilometer zu Kilometer wird der Rucksack schwerer. Ich bin schon so verschwitzt, dass ich mich selbst riechen kann. und das kommt nicht mal eben. Immer schwerer und immer mehr Zweifel. Es ist zum Verzweifeln, aber es hält wirklich niemand. Ich verfluche all die Menschen die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie einfach doch trampen ist. All die Menschen die es ach so einfach und toll finden. Ich kann mich hier mit niemanden austauschen, der mich liebevoll weiter bringt. Ich kann mir die Natur anschauen und mit dem viel zu schweren Rucksack mich unterhalten. Doch der antwortet nicht. Ich fang‘ an jede*n zu belegen, die oder der mich einfach stehen lässt.

Kilometer um Kilometer schleppe ich mich weiter und so langsam tun mir die Füße weh. Das bin ich nun nicht gewohnt. Es ist nicht zu vergleichen mit der Wanderung nach Aguas Caliente, dem Machu Picchu Dorf. Es ist auch eine andere Herausforderung als die tagelange Urwald-Tour von Georgetown über Lethem nach Boa Vista. Warum mach ich diese Reise eigentlich. Immer mehr Zweifel kommen auf. In meinem schönen zu Hause in Deutschland könnte ich die Füße hochlegen. Doch hier mache ich diese aberwitzige Wanderung im Nirgendwo. Immer weniger Fahrzeuge passieren mich, dafür gibt es immer mal wieder Anstiege, die es nicht einfacher machen. Pause will ich nicht mehr machen, weil ich Angst habe, dann ganz die Motivation zu verlieren. Also weiter. Und weiter.

Als ich die Hälfte geschafft ist, kommt die aberwitzige Motivation, doch bald an der Grenze zu sein. und ja, nach Stunden der Qual erreiche ich die Grenze. Endlich mal den Rucksack absetzen. Ein sauberes Klo. Frisches Trinkwasser. Ein Wunder ist geschehen. Der Grenzbeamte mustert mich neugierig, sagt aber nicht viel. Ziemlich entspannt akzeptiert er meine Ausreise und weiter geht‘s. Ich treffe andere Reisende, die zweieinhalb Stunden in die Gegenrichtung getrampt haben, aber fündig geworden sind. Herzlichen Glückwunsch.

Ich wandere weiter und bald endet die geteerte Straße. Schotterweg beginnt. Das hat noch gefehlt. Darauf lässt es sich noch blöder laufen. Das erste Zeichen was mir Argentinien schickt, ist ein Schild mit den Umrissen der Falkland-Inseln beziehungsweisen Islas Malvinas wie sie hier heißen. Darüber der Spruch „Für immer argentinisch“. Die haben Humor denke ich. Dunkel entsinne ich mich, dass sie den Krieg um die Inseln gegen Großbritannien verloren haben und dass die Bevölkerung in einer Abstimmung für den Verbleib beim Vereinigten Königreich gestimmt hat. Doch das belastet mich nicht.

Nächstes Schild: Blau-wei-blau, Willkommen in Argentinien. Das Handy bestätigt es auch nochmal. Wenigstens das habe ich geschafft. Es folgt eine Schranke und nebenan ein Holzhaus. Drei Grenzbeamt*innen erwarten mich. Etwas umständlich, aber dann doch erfolgreich schaffe ich die Einreise. Wir unterhalten uns noch nett, auch wenn es mir schwer fällt sie gut zu verstehen. Ich versuche meine Situation klar zu machen und will wissen ob es Busse gibt.

Sie gucken mich an als wenn ich nach Ufos gefragt hätte. Nee, heute nicht. Morgen früh kommt der Bus aus Futaleufú. Mhh, danke, nee, ich muss heute ankommen. Ob sie mir helfen können ein Taxi zu rufen. Nee, geht nicht, hier gibt es kein Signal. Aber ob ich die Toten Hosen kennen. Die spielen Mitte November in Buenos Aires. Ja, gute Musik, sag ich, und verlasse niedergeschlagen ihre Holzhütte.

Was nun? Ich laufe einfach. Jetzt habe ich kein Ziel mehr. Esquel ist 24h zu Fuß von hier entfernt. Es muss motorisiert weiter gehen. Der eine Grenzbeamte meinte, in der nächsten Ortschaft, Los Cipreses genannt, elf Kilometer entfernt, könnte ich es versuchen. Aber er wüsste sonst nix. Ich laufe einfach, weil es mir an anderen Möglichkeiten fehlt. Einfach immer weiter. 18 Uhr ist lange durch und ich sehe schon die Sonne hinter den Bergketten verschwinden. Auf dem Schiff war ich noch fit, aber die letzten Stunden haben mich fertig gemacht.

Was, wenn ich hier jetzt campen muss. Mitten im Nirgendwo. Gut, es sieht sehr schön aus, ein breiter Fluss, vielfältige Bäume und die sich ändernde und wunderschöne Kulisse aus weißen Gipfeln. Ich bekomme es mit der Angst, denn einfach nur den Schlafsack am Straßenrand ausrollen, das ist kein schöner Gedanke. Es wird sicherlich kalt und wer weiß welche Tiere hier leben. Es ist ja schließlich so gut wie im Nationalpark. Dieser beginnt gleich am anderen Ufer des Flusses.

ersten Meter in Argentinien

Die Anzahl der Autos, die mich passieren, ist gefühlt im Minus-Bereich. Aber es kommen welche. Das erste kommt – und geht. Ich denke, dass, wenn die Grenzbeamtin und die beiden Beamten Feierabend machen, um 20 Uhr, die ja noch vorbei kommen und vielleicht habe ich einen freundlichen Eindruck hinterlassen. Zweites Auto, kommt – und geht.

Ich hab schon wieder einen Kilometer geschafft. Ich rede kurz laut mit mir. Ist das schon das Zeichen verrückt zu sein? Ich vermisse gerade umso mehr, dass ich keine*n Reisepartner*in habe. Keine Stimme der Vernunft, niemand um mich auszukotzen, niemand für etwas Galgenhumor. Ich verlege den Jutebeutel zum hundertsten Mal von einer auf die andere Schulter.

Drittes Auto. Mit ungeminderter Geschwindigkeit fährt es zur Fahrbahnmitte und hinterlässt eine neue Staubwolke. Was hab ich auch erwartet. Dass sie anhalten? Mich würde ja jeder verdammte Kilometer helfen, aber vielleicht denken sie in ihren klimatisierten und mit Radiomusik unterlegten Fahrzeug, dass sie nicht dahin fahren wo ich hin will. Doch! Will ich.

Ich versuche mir aktiv positive Gedanken zu machen, doch ich bin am Boden der Reisemotivation und ich schwöre, nie wieder Trampen und nie wieder einfach irgendwo hin fahren, wo ich nicht weiß wie es weiter geht. Der eine der mich heute mitgenommen hatte, hat ehrliche Bewunderung für meinen Plan ausgesprochen. Doch die kann ich hier nicht einlösen.

Ich höre ein viertes Auto von hinten kommen. Mittlerweile spielt mein Kopf verrückt und manchmal kommt kein Auto, obwohl ich glaube eines zu hören. Die entgegen kommenden nehme ich schon nicht mehr wahr. Es sind auch mehr, als in meine Richtung. Siehe Murphys Gesetz.

Doch diesmal kommt tatsächlich eines von hinten. Nummer 4 zähle ich schon, doch dann hält es, ca. hundert Meter hinter mir, und gibt Lichthupe. Ich bleib verdutzt stehen.

Akt 6: KM 15 → Esquel

Was da los? Circa Fünfzehn Kilometer (KM 15) bin ich gelaufen und jetzt das? Ich bin der einzige weit und breit, also muss ich gemeint sein. Egal, los, bevor sie es sich anders überlegen. Ein freundlicher Mann steigt schon lange bevor ich beim Auto bin aus und öffnet das Gitter zur Ladefläche von seinem Geländewagen. Mir fällt es schwer spanisch zu sprechen, aber ich sage, dass sie meine Held*innen sind. Doch das interessiert sie kaum. Auf dem Beifahrersitz sitzt noch eine Frau, vermutlich sind sie ein Paar. Ich wage kaum zu fragen wo sie denn hinfahren, denn mir schwant, dass es einen weiteren Akt geben wird. Doch ihre Antwort ist eine zweite Rettung. Esquel. Direkt zum Ziel. Das Glück kam sehr spät, aber es kam.

Ich stelle auf freundlich und gesprächig um. Doch ich bin auch erschöpft und kann kaum noch. Sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Einer kommt aus Esquel und eine aus Futaleufú. Deswegen haben sie zwei Häuser. Er zeigt mir eine Gebirgskette, die wie ein hingelegtes Gesicht aussieht und hält extra an, damit ich ein Photo machen kann. Ja, schön ist es, gebe ich zurück. Ich will schlafen, denke ich.

Wir kommen in dem kleinen Ort an, von dem der Grenzbeamte sprach. Sie halten an um gesammelte Pilze abzuholen. Die Frau gibt mir eine Visitenkarte, denn sie sammelt Pilze und verarbeitet sie zu Essen. Ein Hobby von ihr. Würde sonst keiner machen. In Europa auch nicht, oder? Ich gebe zurück, dass es tatsächlich einige Menschen machen, da wo ich herkomme.

Dass ich heute noch über das Pilze Sammeln sprechen muss, hätte ich nie vorhersagen können, aber ja, so ist es nun. Doch damit endet unsere Konversation.

gesammelte Pilze aus Los Cipreses

Erst als wir kurz vor Esquel sind, fragen sie mich, wo ich denn hin muss. Ich sage, dass ich am Ortseingang eine Freundin habe, die mich unterbringt. Welche Adresse das ist. Sie kennen sie nicht, aber gemeinsam finden wir das Haus, was ich suche. Ich versuche nochmal klar zu machen, dass sie meine Retter*innen sind und ich hundertmal dankbar bin.

Die Rettung kam, auch wenn sie spät kam. Ich werde mein Glück trotzdem nicht nochmal herausfordern.

Als ich die Wiese vor dem großen Holzhaus überquere und dann klingele und meinen Rucksack abstelle, sehe ich dass sie noch gewartet haben, ob ich mir sicher bin, dass ich hierher muss. Manche Menschen, so denke ich, wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Ich atme durch und bin schon jetzt glücklich. Obschon niemand aufmacht. Ich klingel immer wieder, aber nix passiert. Das Holztor daneben ist nur angelehnt und ich überlege in den Garten zu gehen. Noch warte ich, aber als ich es dann doch versuche, kommen kläffende Köter angerannt und nun weiß die ganze Nachbarschaft, dass ich hier warte.

Dieser Lärm hat aber auch meine dritte Retterin gerufen: Mailén. Hochgewachsen, kurze Haare, kluges Grinsen und immer zuvorkommend, steht sie hinter den Hunden. Ein erleichtertes Dankes-Grinsen bricht nun auch aus mir raus und sie begleitet mich ins Haus. Ob ich Essen möchte. Ich hatte aus Vorsicht vor den Grenzkontrolle alles aufgegessen und habe tatsächlich Hunger. Die kleine bescheidenen Mahlzeit die ich mir aus dem bisschen Baguette bastele, ist für mich die eines Königs.

das rettende Haus für die nächsten Tage

Wir unterhalten uns eine Weile und es stellt sich heraus, dass sie selbst oft Couchsurfing genutzt hat um Unterkünfte zu bekommen. Eine Seltenheit, denn meist machen die Leute entweder das eine oder das andere, also bieten eine Couch oder erfragen eine Couch. Sie kennt meine Seite aber ziemlich gut und zeigt sich sehr verständlich, als ich ihr Angebot, auf die Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen zu gehen, ausschlage. Ich bin fertig, erzähle meine Story, beziehe mein Zimmer für die nächsten Tage. Ja, ihr lest richtig, ich hab ein eigenes geräumiges Zimmer. Mit komfortablen Bett und frischer Bettwäsche. Davor noch eine warme Dusche.

und da ist es wieder. Das Gefühl, dass eine warme Dusche und ein eigenes weiches Bett der alles erfüllende Traum sein kann. So wie Puerto Montt. Kaum habe ich mich und die Glieder ausgestreckt, holt sich der Körper die Erholung die er verdient … Vorhang zu.


Nov 9 2018

Pelikane und Robben

Von Karl

 

Gemüsegrenze

Schneller als erwartet erreicht der Bus die Grenze. Eben noch haben wir den kommenden Sonnenuntergang nebst riesiger schneebedeckter Kegel beobachtet, da biegt der Bus in den Bereich bolivianischen Grenzabfertigung ein. Das ist allerdings schnell gemacht. Dann folgt noch ein längerer Weg und wir halten in einer Art Busbahnhof.

Alle müssen wir aussteigen, unsere Sachen packen und an einem Schalter unsere grünen bolivianischen Touri-Ausweise abgeben. Am nächsten Schalter bekommen wir nun Kassenbons mit Strichcode. Wieder etwas was wir bis zur Ausreise aufheben müssen.

Parallel läuft die SAG, eine Agentur des Landwirtschaftsministerium, mit Hunden durch die Reihen. Interessanterweise ist Chile sehr streng mit der Einfuhr von Lebensmitteln, insbesondere von frischen Essen. Ein roher Apfel kann 100 US-Dollar Strafe kosten. Eigentlich wollten wir unser übriges Essen zum Abendbrot mampfen, aber dazu kamen wir nicht. Wir haben es einfach im Bus gelassen und die frische Avocado unterm Sitz versteckt.

Als ich aber den Spürhund sehe, bekomme ich es dann doch mit der Angst zu tun. Der Hund schlägt bei verschiedenen Gepäck immer wieder an und die grimmigen Hundeführer*innen lassen daraufhin alles durchwühlen. Als eine Frau vor uns in der Reihe ihre offene Milch kurz unbeaufsichtigt lässt, springt sogar der Hund hoch und leckt daran. Ich versuche mich normal zu benehmen. Leichter gedacht als getan. Das gesamte Gepäck geht durch große Scanner, wie sie bei Flughäfen geläufig sind. Da am anderen Ende des Förderbandes die Uniformierten schwer beschäftigt sind mit dem Gepäck anderer Reisender, nehme ich flink meinen Kram und verlasse den Bereich.

Zwischen Ankommens- und Abfahrtsbereich wurde ein Gitter errichtet, sodass auch der Bus wohl erst freigegeben werden muss, bevor er auf unserer Hälfte dann vorfährt. Auf meinem Platz finde ich dann meinen Essensbeutel ausgeschüttet vor. Offensichtlich wurde hier gewühlt und kontrolliert, aber die Avocado ist noch im Versteck. Als dann der Bus das Terminal verlässt, sind wir etwas vergnügt und beginnen mit der Vernichtung des verbotenen Gemüses. Nochmal Glück gehabt.

Warten und Schlafen vor der Tür

Gegen Mitternacht entlässt uns der Bus auf der Rückseite des internationalen Terminals. Um etwas Geld zu sparen im nun teureren Chile, begeben wir uns in das nationale Terminal und versuchen irgendwie eine Warteposition zu finden, die angenehm ist. Nun kostet alles wieder zehntausende Pesos, denn der Wechselkurs ist ungefähr 750 Pesos für 1 Euro, bei gleichzeitig hohem Preisniveau. Wir sind in Arica, der nördlichsten Stadt Chiles. Die Grenze zu Peru ist ganz nah. Wir haben das trocken kalte Hochland gegen das trocken-warme Küstenklima getauscht.

Eigentlich liegt die Stadt in der Wüste. Der Strand scheint ungebrochen in die Dünen hinter der Stadt überzugehen. Wenn da nicht künstliche Bewässerung und einige Palmen wären.

Unser nächtlicher Aufenthalt währt nicht lange, denn der Busbahnhof soll geschlossen werden. Wir ziehen etwas durch die Straße, aber als uns irgendwelche düsteren Gestalten grüßen, gehen wir zur angestrebten Unterkunft. Da wir aber keine Klingel finden und auch nicht stören wollen, bauen wir ein Lager vor der Tür auf.

Leider lässt es sich auch hier kaum pennen und nach nicht einmal einer Stunde öffnet sich die Tür. Ein alter Mann mit perfektem Englisch öffnet die Tür. Der Alte holt uns in sein Wohnzimmer. Wir haben nicht das Gefühl in einem Hostel zu sein, denn alles sieht aus wie in dem Wohnzimmer alter Leute. Viele Sofas, viele Bilder, Blumen, ein Hometrainer, ein langer Essenstisch, viele kleine Deckchen. Richtig viele Bilder hängen an den Wänden.

Der Alte sagt, dass es gefährlich ist draußen und hat tatsächlich direkt zwei Betten im unbelegten Mehrbettzimmer. Vorher bekommen wir noch Saft und Kekse und er erklärt uns die Stadt und Sehenswürdigkeiten. Er macht einen sehr vertrauenswürdigen und rührigen Eindruck. Damit haben wir nachts um 3 Uhr nicht gerechnet. Dankbar bringen wir unser Gepäck in das Zimmer und legen uns in ein richtiges Bett.

Sehenswertes

Der Alte hat das weltbeste Frühstück. Zumindest in Südamerika. Mit Genuss verzehren wir gutes Brot, guten Kaffee, Saft, Käse, Marmelade, viel Obst und Müsli. Wenn was alle ist, kommt er mit neuem und bietet auf Nachfrage sämtliche Infos zur Region. In dem weitläufigem Haus beginnt unser Start in Chile und Arica damit bestens. Der Alte scheint übrigens aus Neuseeland eingewandert zu sein.

Wir beginnen Arica zu erkunden. Arica hat im Norden einen weiten Sandstrand und im Süden Hafen und steinige Küste. Der Hafen ist ein gewöhnlicher Container-Hafen, der aber auch einen jedermensch zugänglichen Bereich bietet. Im Wasser schaukeln schon vom Weiten sichtbar große und kleine Fischereiboote. Im Containerhafen auch Container- und Schüttgut-Frachter.

Im allgemein zugänglichen Bereich befinden sich zwei Fischmärkte, einer Indoor und einer am Ende, Outdoor. Viele der Verkäufer*innen arbeiten gleichzeitig daran den frischen Fisch zu verarbeiten. Die Vielfalt der Meerestiere ist dabei erstaunlich. Es werden auch Fischteile angeboten, die offensichtlich von Tieren stammen, deren Länge meine Größe deutlich übersteigt. Vielleicht Haie, Wale oder Delfine?

An der Wasserkante sind aber andere Tiere das große Spektakel. Seelöwen und Pelikane streiten sich um die Fischreste, die hin und wieder von den Fischern ins Wasser geworfen werden. Hunderte Pelikane warten mit ihren langen Schnäbeln auf den Steinen und Dächern. Die Robben sonnen sich oder tollen durch das Wasser, dass es nur so spritzt. Auch andere, vor allem kleinere, Vögel mischen sich dazwischen.

Vor dem Hafen von Arica kann auch Fisch gekauft werden, allerdings gibt es dort auch sehr gute und günstige Empanadas, die frisch zubereitet werden. Ja, ich gestehe, wir mussten dort halten und probieren.

Der Hauptmarkt der Stadt hat dagegen seine besten Tage gesehen und nur wenige bieten noch Obst und Gemüse an. Es gibt einen anderen Markt, der besser funktioniert. Nichtsdestotrotz fehlt die Straßen-Markt-Kultur hier fast völlig, im Vergleich zu Bolivien, wo es der Herzmuskel zu sein scheint. Dagegen begegnen uns riesige Einkaufscenter. Shopping Malls kommen uns auch im weiteren Verlauf in Chile immer wieder unter und sie sind der Ort wo wir die meisten Menschen antreffen. Wenn die Straßen sonst leer und ausgestorben erscheinen: In der Shopping Mall ist die Hölle los. Die Liebe zum Einkaufscentern ist mir etwas ungeheuer.

Sehenswert ist Arica ist auch der Ausblick vom Morro, einem riesigen Felsvorsprung, der bis ans Wasser reicht und einen Ausblick über die Stadt erlaubt. Es fehlt nur die Spielkonsole und schon ließen sich die bunten Containerchen und Sandberge in Schiffe und LKWs verladen. Vielleicht noch ein Regler für die Eisenbahn.

Ganz im Hintergrund befindet sich der weitläufige Strand Aricas. Von einigen wenigen Buden und alten Hochhäusern belagert, ist der Strand ziemlich ruhig und bietet lange und große Wellen. Ideal um mal wieder das Surfbrett unter die Füße zu bekommen. Auch wenn die heftige Strömung und die harten Wellen einiges an Kraft kosten. Kurz nicht aufgepasst und schon bin ich mit dem Brett weit abgedriftet. Da ist es besser zu liegen und zu paddeln.

Nun sind wir also in Chile angekommen und damit wird es noch ein Weilchen weitergehen (-;

 

PS.: Eine Karte von Chile mit Arica ganz im Norden: