Dez 17 2018

Deine Augen verbunden, deine Hände gefesselt, du wirst gefoltert und niemand weiß wo du bist …

Córdoba, Argentinien

Von Karl

 

Córdoba ist Argentiniens zweitgrößte Stadt und bekannt für ihre Kultur und Universitäten. Auf dem ersten Blick fallen auch die vielen weißen und gut erhaltenen Gebäude auf. Architekt*innen haben sich bestimmt große Mühe gegeben und deshalb wurde die Front einiger Gebäude auch nochmal im Boden nachgezeichnet, wie eine Art Schatten. Vielleicht damit die Leute die den Boden absuchen, auch die historischen Gebäude finden.

Die Universitäten Córdobas sind landesweit bekannt und verleihen der Stadt den Beinamen „La Docta“, also „die Doktorin“. Viele Gelehrte wohnen und leben hier. Nicht nur einmal habe ich gehört, dass Menschen zum studieren nach Argentinien gehen, weil es dort kostenlos sei. Selbst die Verpflegung in der Kantine alias Mensa ist selbst für arme Argentinier*innen noch sehr günstig. Hunderttausende Studierende bevölkern die Millionen-Metropole.

Als lokale Spezialität werden handgemachte Alfajor angepriesen. Die Leser*innen hier sind aber klüger, denn es gibt sie in ganz Chile und Argentinien. In verschiedenen Varianten. Ganz einfach mit Dulce de Leche zwischen zwei Kekshälften, oder teilweise mit mehreren Schichten und Schokoglasur. Mal abgepackt im Supermarkt, dann wieder in feinen Boxen zum Verschenken oder in speziellen Feinkostläden, die die wohl im Hinterzimmer per Hand machen.

Synagoge Córdoba

Als ich in Córdoba ankomme ist es noch frühs und in dem Hostel kann ich mir noch was vom feinen Frühstück nehmen. Was ich allerdings zum ersten Mal in Argentinien gesehen habe ist Kaffee in Tee-Beuteln. Eigentlich gar nicht so doof.

Nicht ganz so überragend wie in Mendoza, aber auch wunderschön sind die Parks der Stadt. Weitläufig, grün, Teiche, Inseln, Liebespaare, hohe Bäume mit viel Schatten, … Auch gäbe es ein hervorragendes Freibad, wenn es nur Wasser hätte. Eine alte Brücke überspannt das lange Becken.

Auf einem Platz im Zentrum steht eine übergroße gelbe Ente. Daneben werden kleine Badeenten verkauft. Dahinter steht eine soziale Initiative die Essen und Kleidung sammelt und verteilt.

Die soziale Ader kommt auch am Mittwoch zum Tragen. Da sind alle Museen und Gedenkstätten kostenlos. Mal eine Gelegenheit sich moderne Kunst anzutun. Leider muss ich kurz mit dem Kopf schütteln, da die vergangene Fußballweltmeisterschaft schon mit Farbe auf Leinwand gebracht worden ist. Ein großer Raum voll mit Spielern die gegen Bälle treten und darunter die Spielergebnisse.

An manchen Stellen in der Stadt, aber auch schon auf den letzten Stationen meiner Reise bin ich der Forderung begegnet: „Respekt, Freiheit und Wahrheit für Santiago Maldonado“. Wie ich nun herausgefunden habe, handelte es sich um einen Aktivisten aus der Provinz Buenos Aires (nicht der Hauptstadt), der sich dem Kampf der Mapuche verschrieben hatte. Genauso wie in Chile, gibt es, vor allem in Patagonien, noch Gebiete die von ihnen bewohnt werden und die sie gegen die Vertreibung verteidigen. Sie fordern weiterhin die Rückgabe ihrer Gebiete und die Autonomie auf diesen. Doch mit der konservativen Regierung unter Mauricio Macri ist keine Verhandlung in Sicht. Santiago Maldonado beteiligte sich an Protesten in Cushamen (Provinz Chubut), währenddessen Straßenblockaden errichtet wurden. Nach der Auflösung dieser war er tagelang vermisst und dann als Wasserleiche geborgen worden. Es ist unklar warum er gestorben ist. Die Protestbewegung wirft der Polizei den Mord vor.

Mich interessiert noch mehr von der aktuellen Politik und nehme die Gedenkstätte „La Perla“ in meinen Tagesplan. Es stellt sich schnell heraus, dass sie außerhalb der Stadt liegt und ich muss den entsprechenden Bus finden. Im neu errichteten Terminal 2 findet sich auch der entsprechende Bus. Er muss nämlich nach Villa Carlos Paz fahren, einen Nachbarort Córdobas, aber in Malagueño, einem Vorort, halten. Als der Bus dann aber nicht abfährt für Malagueño, zeige ich dem Busfahrer nochmal mein Ticket mit dem Zielort „La Perla“. Er fängt an zu schimpfen und lässt mich auf der Autobahn raus. Ich war einer von drei Fahrgästen und hatte ihm ja beim Einstieg mein Ticket gezeigt. Da es mir immer noch vergönnt ist, das „r“ nicht so auszusprechen, wie es die Einheimischen können, versteht mich leider niemand wenn ich „La Perla“ sage. Mehrmals habe ich z.B. beim Ticketkauf „La Perla“ gesagt, aber es wurde nicht verstanden. Erst als ich es als Gedenkstätte erläutert habe die bei Malagueño liegt, meinten sie „La Perla?“. Da denke ich auch: Was zum Teufel habe ich zehn Mal zu dir gesagt?

Tatsächlich liegt Malagueño südlich der Autobahn und La Perla nördlich, sodass ich jetzt nur noch einen Kilometer zu laufen habe. Eigentlich ist das ganze Gebiet Sperrgebiet, aber hier gibt es einen Weg zur Gedenkstätte. Als erstes passiere ich einen heruntergekommenen Checkpoint und kann mir schon vorstellen, wie hier die Militärfahrzeuge in den 70er Jahren an die Schranke ranfuhren, die sich dann öffnete und salutierend den Laster hinterherschauten.

Zur gleichen Zeit kommt ein älterer Mann in das Gelände und wir erscheinen quasi zeitgleich bei der Rezeption. Die ganze restliche Zeit sehe ich keine weitere Person. Das Areal ist eine ehemalige kleine Kaserne mit Tor, Wachtürmen und verschiedenen Hallen. Ich unterhalte mich mit der jungen Frau, die für uns zuständig zu sein scheint. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind über 30.000 Menschen verschwunden. Meist Linke oder Menschen denen es unterstellt wurde. Sie wurden tagelang gefoltert und ermordet. Ohne dass es Aufzeichnungen gibt. Deswegen wird die Methode „verschwinden lassen“ genannt. Es war brutaler Staatsterror, der noch aufgearbeitet wird. Die Familien wissen oft bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Ob sie vielleicht ins Exil gegangen sind, Glück hatten und überlebten oder einfach per Flugzeug über dem Atlantik rausgeworfen worden. Das faschistische Regime hat seine Methoden unter anderem von der „Schule der Amerikas“ in Panama, den französischen Doktrin, die entwickelt wurden um die Aufständigen in Algerien niederzuschlagen, und den Erfahrungen der eingewanderten deutschen Nazis im Rahmen des Holocaust.

Ich beginne meinen Rundgang und beginne zu begreifen. Für viele ist die Suche nach ihren Angehörigen schwerlich. Kunstwerke in der ehemaligen Fahrzeughalle zeugen von ihren Willen und Hoffnungen auf Frieden. In anderen Räumen, die als Auswahl oder Folterkammern genutzt wurden, hängen Steckbriefe der Täter. Viele sind unbestraft davon gekommen. Die heutigen Rechten und Sympathisant*innen der Militärdiktatur versuchen immer wieder die Ereignisse zu relativieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.

die Täter, viele unbestraft

Gezeigt wird auch der Kampf der „Mütter vom Platz des Mais“. Der Platz des Mais oder Mai-Platz ist der zentrale Platz in Buenos Aires und noch während der Diktatur begannen sie für Aufklärung zu demonstrieren. Sie trugen alle weiße Kopftücher und dieses wurde zum Symbol. Noch heute gibt es in allen Städten weiße Kopftuch-Graffiti auf den Gehwegen. Noch heute wird demonstriert. Da auch einige schwangere Frauen verschwunden sind, gibt es nun auch die Bewegung der „Großmütter vom Platz des Mais“, die wissen wollen wo ihre Enkel*innen abgeblieben sind. Die Militärs sollen die Neugeborenen an regimetreue Familien abgegeben haben. So mancher Mensch in Argentinien, der vielleicht 50 Jahre alt ist, ist womöglich kein Kind seiner Eltern. Bei Vermutungen können kostenlos Tests gemacht werden.

In La Perla ist auch der Raum zu besichtigen in denen die Gefangenen eingesperrt waren. Wie in alten Kasernen-Zeiten waren Doppel-Stock-Metall-Betten in unzähligen Reihen aufgestellt. Die Demütigung ging bis zum Stuhlgang und Duschen. Mit grausamer Freude wurden die Gefangenen gefoltert und entwürdigt. Berühmtestes deutsches Opfer ist Elisabeth Käsemann, die nach mehreren Tagen Folter getötet wurde. Unter anderem wegen ihr gab es dann auch Gerichtsverfahren in Deutschland, aber Argentinien hat die Täter nicht ausgeliefert.

Das Museum stellt die Ereignisse auch mit dem „Plan Condor“ der USA in Verbindung. Dabei handelt es sich um direkte Unterstützung und Intervention der USA in Lateinamerika von anti-kommunistischen Regierungen, Parteien, Milizen, Bewegungen, etc. Sie behaupteten, wenn ein Land sich dem Ostblock anschließen würde, dann fallen alle anderen Länder wie im Domino (Domino-Theorie). Deswegen wurde mit aller Macht versucht dies in allen Ländern Amerikas zu verhindern. Somit war die USA auch Freund des argentinischen faschistischen Militärregimes.

Besonders einprägend im Museum war ein Buch mit Zeichnungen eines ehemaligen Häftlings. Es sind Menschen zu sehen die mit verbundenen Augen auf dem Boden liegen. Wächter die mit Schlagstöcken unterwegs sind. Brutale Foltermethoden. Foltermethoden Made in Europe.

Ich bin schwer beeindruckt und noch in Gedanken versunken, als ich die Autobahn zu Fuß überquere um in Malagueño einen Bus zurück nach Córdoba zu finden.

Dort angekommen sehe ich in einer Nebenstraße des Hauptplatzes, dass hunderte Bilder aufgehängt worden sind. Bilder von Angehörigen, die vermisst werden. Quer über den Weg, von einer zu anderen Seite. Es hat Argentinien noch lange nicht losgelassen. Ein bisschen ist Argentinien Gefangene der eigenen Geschichte. Immer noch halten einige die Augen geschlossen, sind unfähig etwas zu unternehmen, viele tragen das tiefe Leid in sich und wissen nicht wo sie suchen sollen.


Dez 1 2018

Ablegestelle vom weißen Floß

Von Karl

 

Obschon es ja nur ein Katzensprung bis nach Castro ist, so bin ich vielleicht genau deswegen etwas langsam unterwegs und dann kommt der Bus nur mit viel Verspätung. Diesmal habe ich ein Bett gebucht, dass fast breiter als der Raum ist, in dem ich übernachte. Egal, ich schlaf ja nur hier.

links: Palafito, hinten: weitere Insel

Castro

Die Inselhauptstadt ist von ihrem einfachen und bescheidenen Leben geprägt. Es gibt einen netten Hauptplatz und das Leben spielt innerhalb von wenigen Blocks drum herum statt. Es ist alles einmal da. Hauptattraktion sind die Häuser die seeseitig an den Uferstraßen stehen. Sie sind auf Stelzen erbaut und sind von der Straße an und für sich nicht als solche zu erkennen. Sie nennen sich hier Palafitos. Nur vom Wasser aus gut zu erkennen.

In Castro ist vieles sehr ruhig und Hektik scheint etwas für Nicht-Insulaner*innen zu sein. Ich nutze den restlichen Tag um meine nächsten Tage zu organisieren, denn ich hab den großen Sprung nach Argentinien geplant.

diese Pflanze, photographiert im Nationalpark Chiloé, wird auf der ganzen Insel verkauft

Cucao – Muelle de las Almas (Mole der Seelen)

Von Castro aus fahren ständig Busse nach Cucao, an die Westküste. Hier ist einer der wichtigsten Eingänge in das Naturschutzgebiet Chiloé. Es gibt aber noch weitere Schutzgebiete auf der Insel. Das größte umfasst den ganzen Süden. Da ich aber gar nicht vor hatte in den Nationalpark zu gehen, beginne ich meine Wanderung entlang der Straße. Die Landschaft breitet sich ruhig und grün aus. Manchmal schauen mich auch Schafe oder Kühe an. Flüsse oder Fjorde durchbrechen die Landschaft und fordern Brücken.

Die Straße macht einen Schlenker und ich komm an das Meer. Hinter einem Wall aus runden schwarzen Steinen brodelt der Ozean gegen die Küste. Auf einigen Kilometern vor und hinter mir. Erst weit hinten kommt ein zig Meter hoher Fels und damit die Steilküste. Angespült werden auch die Braunalgen die an der Straße in der Stadt verkauft werden.

Vor der Steilküste biegt die Straße ins Hinterland und folgt nun der Küste in einigem Abstand, aber erst muss die Schotterstraße sich auf die nötige Höhe winden. So schön die Umgebung auch sein mag, ich hab offensichtlich die Entfernung unterschätzt. Schon das erste Fahrzeug, nachdem ich mich umgedreht habe, hält an und nimmt mich mit. Es ist ein Sammel-Taxi-Bus, wie ich dann merke, weil er schlägt direkt 1500 Pesos vor. Ungefähr 2 Euro.

Wenig später halten wir schon an einer Verkaufsstelle. Offensichtlich ist mein Ziel auch in einem Schutzgebiet, weil wir für 1500 weitere Pesos Eintrittstickets kaufen müssen. Was soll‘s. Der Ort, der noch letztes Jahr als Geheimtipp galt, wurde offensichtlich touristisch erschlossen. Nun kostet alles seinen Preis. Nagut. Ich werde nun wie gewünscht zwei Kilometer vor dem Ziel raus gelassen.

Der Weg ist nun schlammig, eher ein schmaler Pfad und windet sich hoch und runter. Ständig wechselt die Natur. Mal laufe ich über die niedrige Wiese eines Bauernhofes, dann wieder zwischen dichten Bäumen durch. Ein Arbeiter mit einer Motorsäge schneidet Äste zu, die dann in den Schlamm gelegt werden. Dadurch werden die Wege wieder begehbarer. Er kontrolliert auch die Tickets.

Manchmal verläuft der Weg entlang des Kamms der Hügelstrecke und die Bäume treten zurück, und schon werden weite Blicke frei. Große Buchten links und rechts, die nun viel gemächlicher wirken, als die gierigen Wellen, als ich noch davor stand. Allein diese Blicke über die weite chilotische Küste war die Reise wert.

Wieder einmal gelange ich auf den höchsten Punkt eines kleinen Hügels und beginne die Meter ins Tal, als sich mir eine Herde Rinder offenbart. Ziemlich teilnahmslos liegen sie rum mit zwei jungen Kälbern. Schon eine chilenische Familie ist schwer interessiert, sodass sie das eine Junge aufscheuchen. Ich hab ja generell etwas Respekt vor diesen mir unbekannten Tieren und passiere einfach ruhig.

Sie sind die letzte Hürde. Vom nächsten Hügel aus breitet sich der wahrlichst magischste Ort Chiloés aus. Sanft und grün fällt der Weg vor mir ab, aber dann läuft auf einen Steg, der seine Höhe beibehält für einige Meter, während der Boden weiter abfällt. Der Holzsteg ist eine Art Sprungschanze in der unberührten Umgebung. Unterhalb vom Steg bricht auch die Wiese ab und es folgt die Steilküste. Links und Rechts ragen halbe Berge auf, direkt davor Felsinseln. Stolze Vögel mit weiten Schwingen segeln über und vor mir. Auf dem Dach der großen Felsinsel hat sich eine Kolonie Vögel niedergelassen, die Nester gebaut haben, die kleinen Vulkanschloten ähneln, während sie diese oben auf den Ausgang sitzend verschließen. Vermutlich brüten sie. Aufgrund der Entfernung kann ich auch nicht ausschließen, dass es vielleicht Pinguine sind.

Am Fuße des Felses schlafen in der Sonne auch wieder ihre Freunde, die Seelöwen, diesmal aber gleich zwei Dutzend.

Von der Sprungschanze beziehungsweise Mole aus kommen die toten Seelen ins Jenseits. Es ist nicht nur für mich ein magisch-schöner Ort, sondern auch für die Mapuche ein heiliger. Die Geister der Toten müssen an die Küste wandern und steigen dann zum Flößer in sein weißes Gefährt, der ihn, insofern die Seele gut vorbereitet ist und bezahlen kann, dann bis zum Horizont und Himmel bringt.

Muelle de las Almas (Mole der Seelen)

Auf Chiloé gibt es noch eine Vielzahl von Sagen. So lebt ein Mann in den Baumstämmen, es gibt Hexen die sich in Vögel verwandeln, ein ältere Frau die mal hübsch war, eine Furie, eine Eule die in der dunkelsten Nacht am Fenster klopft, ein Drachen mit Hühnerkopf, ein Kalb das alle tötet die sich zwischen ihr und dem Meer stellen, ein klassischer Vampir, ein Kind das von Hexen adoptiert wurde und nun sein Fuß auf den eigenen Kopf legen kann … und ganz wichtig, Caleuche, eine Art fliegender Holländer.

Natürlich stellt sich nun die Frage, jetzt wo ich weiß wo die Toten ins Jenseits umsteigen, ob ich also ein Nahtoderfahrung gemacht habe? Ich glaub‘s zwar nicht, aber wenn, dann klingt‘s nicht so schlimm.

Auf dem Weg zurück nach Castro muss ich noch eine Stunde beim Nationalpark warten. Dort gibt es Wege an den Strand, die kostenlos sind. Mensch kann hier auf Holzwegen und durch den Wald schlendern und die raue Natur auf sich wirken lassen. Schöne Blüten treiben aus und der Wind füllt die Lungen ganz wohlig mit frischen Sauerstoff. Wieder ein Ort der zum Gedichte schreiben einladen könnte, doch dann ruft der Bus, schnell zurück nach Castro. Die nächste Reise wartet (-; (garantiert ohne weißem Floß)


Nov 25 2018

Einmal um die Welt

Von Karl

 

Deutsches Temuco

Je länger ich durch Temuco wandele, desto mehr bekomme ich den Eindruck, ich bin einmal um die Welt gereist und nun von der anderen Seite nach Deutschland wieder eingereist. Ich will erklären wieso.

Mit der Ankunft in Temuco erreiche ich auch deutlich eine Klimazone, die der in Mitteleuropa entspricht. Vom Breitengrad ist Temuco zwar soweit vom Äquator entfernt wie das italienische Palermo oder das spanische Mérida oder das griechische Patras. Nur das Europa unter dem Einfluss des wärmenden Golfstroms steht, während Chile durch einen kalten Antarktis-Strom beeinflusst wird. Orte in Chile die näher am Äquator liegen sind klimatisch vergleichbar mit Orten die in Europa entfernter sind vom Äquator.

In Temuco blühen die Frühlingsbäume, das Gras sprießt und es duftet nach Sonne kurz dem letzten Regen. Die Häuser bekommen spitzere Dächer und sind weitgehend aus Holz. Mir erscheinen immer mehr Schriftzüge auf Deutsch. So fährt in der Avenida Alemania (Allee Deutschland) die Linie 1 in schwarz-rot-goldenen Farben. Unweit gibt es einen deutschen Turnverein, eine deutsche Klinik und eine große deutsche Schule. Im Eingang der Schule hängt eine Karte der Bundesrepublik mit ihren Bundesländern und ein Zeitstrahl zur völkisch-deutschen Geschichte. Im Hof stehen Schilder mit „Sauberkeit ist Kultur“ und darunter ein Stadtbild gemalt mit vielen Fachwerkhäusern. Aber auch ganz subtil lassen sich die Spuren der deutschen Einwanderung lesen: in den vielen Nachnamen zum Beispiel die Arztpraxen, Autohäuser und andere Einrichtungen tragen.

So treffe ich auf der Straße dann auch einen alten Mann, der mich direkt fragt ob ich aus Deutschland sei und fängt an mit mir gebrochen Deutsch zu sprechen. Er zeigt mir noch sein altes Akkordeon und erklärt mir wie unsicher alles ist. Selbst die „German Angst“ hat überlebt, denke ich. Selbst die Graffiti sind auf deutsch!

Auf meinem Stadtrundgang finde ich die alte Markthalle völlig abgebrannt vor. Nicht dass sie gestern abgebrannt wäre, aber in allen Karten wird sie noch als aktueller Markt geführt. In der Nähe des ehemaligen Bahnhofs gibt es nun all die Marktstände, die seit langem mal wieder eine reichhaltige Vielfalt an Gemüse, Obst und Handwerk bieten. Tatsächlich bin ich hier beeindruckt über die unerwartet vielfältigen Angebote. Damit hatte ich in Chile nicht mehr gerechnet.

Weitere Sehenswürdigkeit ist eine kleiner stadtnaher Hügel, der Eintritt kostet, den es aber nicht wert ist. Er erreicht kaum beeindruckende Höhe und eröffnet nur einen kleinen Ausblick auf die Stadt. Wenn der Park-Wächter Feierabend macht, kommen die Leute um den Feierabend zu genießen, weil dann kostet es auch nix mehr. Für mich befremdlich: Die Natur erinnert an ein Spaziergang im Thüringer Wald.

Nichts zu sehen

Gegend Abend suche ich dann meinen hiesige Unterkunft auf. Kaum stehe ich im kleinen Wohnzimmer von Andres steht auch schon ein Humpen Bier vor meiner Nase. Nicht dass ich das ablehnen würde, doch mit so viel Klischee hab ich einfach nicht gerechnet. Auch sein bester Freund Mauro ist da und zusammen spielen sie seit Mittag Gitarre und Ukulele. Ja sie haben erst an dem Tag entschieden sich Instrumente anzuschaffen. Sie bilden die noch unbekannte Band „Nichts zu sehen“. Tatsächlich gibt es noch nix zu sehen, denn es gibt auch noch nix zu hören. Außer die Anfänge von dem mexikanischen Volkslied „La Bamba“. Ich muss gestehen: Eine gute Wahl, weil das Lied macht schon nach wenigen Takten gute Laune. Also wenn ihr Bock drauf habt, klickt einfach hier. Ich hab mal die Playing-for-Change-Version rausgesucht.

Nach den ersten Bieren sammeln wir noch Andres Freund Robert ein und nun wird es richtig kurios: er spricht fließend deutsch mit mir. Er ging auf die deutsche Schule, war auch eine Weile in Deutschland und kann sich noch mit seiner Oma auf Deutsch unterhalten. Seine Eltern unterhalten ein Ski-Hotel was sich insbesondere an deutsche Touris wendet. Die Ur-Eltern kamen mit dem Ersten Weltkrieg, gingen dann nochmal zurück, als aber der Zweite startete, emigrierten sie erneut nach Temuco.

Wir machen lecker Hamburger und trinken weiter. Pico oder Piscola ist das Getränk des Abends. Das ist Pisco mit Cola, also ein einfacher Cocktail. Immer mehr Leute kommen in das kleine Wohnzimmer. Erst wollten wir auf das „Bierfest“ gehen, eine Art Oktoberfest, gehen aber dann doch in die Disco. Mauro, sein bester Kumpel, ist stadtbekannter Veranstalter – was auch immer das bedeutet – und bringt uns alle kostenlos rein und zudem gibt es noch ein paar Getränke gratis. Wir zappeln eine Weile aber so richtig toll wird es dann nicht und als es vorbei ist, ziehen Andres und ich es vor heim zu gehen.

Am nächsten Tag setzen wir uns dann in sein Auto und fahren Richtung Meer. Auch wenn die Seenplatte, also Richtung Gebirge, als Highlight angepriesen wird. Wir durchfahren Carahue, eine kleine Stadt am Rio Imperial, der auch zum Meer fließt. Carahue zeichnet sich durch drei Stockwerke aus, dass heißt, es gibt drei Ebenen auf denen die Ortschaft liegt. Funfact: Angeblich die Ortschaft mit den meisten Alkohol-Abhängigen in der Welt. Ich hab keinen gesehen, aber vielleicht Saufen die auch grad in der Kneipe oder schlafen den Rausch zu Hause aus. Neu ist dort eine Klinik. Wir vermuten Zusammenhänge.

Am Meer liegt Puerto Saavedre. Das beschauliche Örtchen mit den bemoosten Straßenschildern hat sich eine neue Wasserkante gebaut und verfügt über heimelnde Restaurants aus ganz viel Holz gebaut. Es gibt wohl auch die weltbeste Ceviche hier. Da Feiertag ist – d.h. der Feiertag wurde auf den kommenden Montag verlegt, der nun ist – gibt es im Hafen auch ein Ruderwettbewerb, dem wir eine Weile zuschauen.

Ganz in der Nähe befindet sich auch der Lago Budi, ein meeresnaher und ziemlich großer See. Wir suchen ein Plätzchen um diesen Ort zu bewundern und finden jemanden der uns den Weg zeigt: Ein immer noch Betrunkener. Mit blutigen Gesicht, schafft er es gerade so uns den Weg zu zeigen und wir nehmen ihn ein Stückchen mit. Der See liegt tatsächlich sehr ruhig da und wieder bekomme ich den Eindruck, die Müritz könnte es auch sein.

Araukarie

Auf den Weg zum und vom Meer passieren wir einige gerodete Gebiete. Exzessiv werden hier schnellwachsende Eukalypten-Wälder angelegt und wieder geholzt. Was damit passiert, weiß ich nicht, aber es führt zur Bodenaustrocknung, in einer eigentlich sehr feuchten Region. Die Region mit Temuco als Hauptstadt ist nach einen Baum benannt der vor allem hier vorkommt: Araukarie. Auf der Nordhalbkugel gibt’s den Baum nicht. Dieser Baum bildet lange stachlige Zweige aus und sieht tatsächlich etwas eigenwillig aus.

Eukalypten-Wald-Rodung

Was mir zudem auffällt, sind die immergleichen Häuserreihen in den Siedlungen. Wie aus US-Filmen oft bekannt, gibt es Straßenzüge die aus den immergleichen Häusern bestehen. Ganze Stadtteile mit den komplett gleichen Einfamilienhaus. Kurios.

Was die Region sehenswerter macht, ist wenn mensch gleichzeitig die Memoiren von Pablo Neruda liest. Er ist weltbekannter Dichter und mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet. Er schreibt in „Ich bekenne, ich habe gelebt“ über seine Kindheit und Jugend in der Region von Temuco. Seine Schreibstil ist ausgezeichnet bildgewaltig!

Flagge der Mapuche

Mapuche

Dem gegenüber stehen in den ländlichen Regionen die Rukas. Das sind die traditionellen Häuser der Mapuche, bestehend aus Holz und Lehm. Die Mapuche sind die größte indigene Gruppe in Chile und sind deren letzten Überlebenden. Die Kolonisation haben nur sie überlebt und dies vor allem, weil sie sich mit allen Mitteln gewehrt haben. Den Krieg gegen die Mapuche hat die chilenische Nation übernommen, sodass sie weiterhin in Reservaten gedrängt wurden und keine Chance mehr haben ihr Land zurück zu bekommen. Besonders in der Region um Temuco gibt es immer noch Auseinandersetzungen. Die Polizei bekämpft die ländlichen Siedlungen, die sich wiederum wehren und beispielsweise Rodungsfahrzeuge in Brand setzen, die Bäume in ihren Schutzgebieten fällen.

Ruka (traditionelles Mapuche-Haus)

Deswegen bin ich nach Temuco gefahren, aber erfahren kann ich nur wenig. Sie leben größtenteils in den weit entfernten Dörfern und sollten Weißen gegenüber verschlossen sein. Vermutlich aus bitterer Erfahrung. Auch wenn ihre Traditionen und Produkte zunehmend touristisch vermarktet werden. Temucos Museum hat nur sehr eingeschränkte Öffnungszeiten.

Die Mapuche an sich sind auch nicht nur ein Volk, sondern eine Vielzahl davon und leben in einem relativ großem Gebiet, was bis nach Argentinien reicht. Ihnen gemein ist unter anderem ihre Sprache Mapudungun. Mapuche heißt so viel wie „Menschen der Erde“. Viele sind schon in die großen Städte abgewandert und vermeiden ihre Mapuche-Herkunft, weil auch in Chile die indigene Herkunft mit unzivilisiert, naiv und rückständig assoziiert wird. Während meines Aufenthalts habe ich Aufrufe für Demonstrationen in Santiago gelesen und Nachrichten im Fernsehen dazu gesehen. Interessanterweise wurden die ersten Siedler*innen aus Deutschland mit Land, Steuererleichterung, kostenloser Überfahrt und chilenischer Staatsbürgerschaft gelockt, um ein Land fruchtbar zu machen, wo kurz vorher die Mapuche vertrieben worden.

Ich wollte eigentlich die Welt der Mapuche besser kennen lernen.


Nov 19 2018

Wein und Smog

Von Karl

 

Die Wiese ist noch niedrig und gepflegt. Wenige Bäume schmücken sie. Ein paar Sofas stehen unter den größeren ausladenden Bäumen. Noch sind sie abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikplane, die durch das Morgentau noch ganz weiß ist. Hinter manchen niedrigen Büschen spielen Wasserstrahlen, künstlich in die Luft geworfen, einen Bogen. Hinter dem kleinen Weg befindet sich ein weitläufiges Weinfeld. Brusthoch erstrecken sich in Reih und Glied tausende kleine Pflanzen. Mit Bändern gezwungen einen besonderen Weg zu klettern.

Auch ein kleiner Erklär-Garten ist angelegt. Zu jeder Weinsorte drei oder vier Pflanzen. Durch Bäume verdeckt stehen bauchig große Betontanks. Bauglötzer von Riesen. Bestimmt passt ein kleines Einfamilienhaus in sie hinein. Mehrere stehen davon da und an ihnen schließen sich kleine Holzfässer an, ja Fässchen im Vergleich dazu, aber im Reellen könnt auch ich die nicht umschlingen.

Kein Wind geht, trotzdem schaukelt die lackierte Europalette. Ich sitze drauf und selbst ist sie an zwei Bäumen festgemacht. Nur vorsichtig trauen wir uns zu schaukeln, denn der Sekt darf nicht umfallen. Sekt, der hier nebenan angebaut wird. Ich muss kurz an die vielen Sektflaschen an meiner ehemaligen Arbeitsstelle denken. Zurück: Ein Genuss, auch wenn wir keine Kenner*innen sind. Das Ambiente lässt es gleich drei Mal so geil schmecken. Dazu: Käse. Vier Sorten, einer feiner als der andere, serviert auf kleinen Salzkeksen. Das Picknick-Angebot von „Undurraga“ steht allen offen, doch wir sind die einzigen, die gerade hier ihr Mittag verbringen. Noch eine paar Nüsse und Rosinen dazu. Ein Picknick auf dem Hof der*s Winzer*in, zwischen Fässern und Weinreben. Welch Traum.

Dafür sind wir nicht weit weg von einer Großstadt. Von Santiago aus, keine Stunde. Santiago ist Chiles Hauptstadt und mit Abstand die Größte. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in ihr. Im gesamten Tal sogar 80 Prozent. Alles gibt es und passierte hier. Dadurch ist die 7-Millionen-Metropole auch sehr groß und weitläufig, aber doch irgendwie weniger chaotisch. Ihre Herzschlagader ist die Alameda, die Ost-West-Achse, was aber nicht der wirkliche Name der Straße ist. Aber überall wird sie so genannt. Unter ihr befindet sich die Linie 1 der Metro. Zu Stoßzeiten quetschend gefüllt, ist sie doch sonst sehr erträglich. Sie fahren übrigens nicht auf Schienen, denn wer genau hinsieht, wird die Räder entdecken. Ein knappes Dutzend Linien gibt es. Doch sie nützen der Luft nix, denn Santiago hat einen endlosen Smog. Von allen Seiten Bergen, ist ein Tag in Santiago wie acht Zigaretten rauchen, erfahren wir bei einer Stadtführung. Von einem Hügel mit einer Marien-Statue aus, mitten im Zentrum, lässt sich die Stadt gut überblicken, wenn nicht in bestimmter Entfernung der Smog zu dick wird. Zum Berg führt sowohl eine Drahtseilbahn, als auch eine Kabinen-Seilbahn. Letztere hat den deutlich schöneren Ausblick über die Stadt und das bisschen Grün im Zentrum.

Smog über der Stadt

Dadurch ist die Stadt auch von Ost nach West in Arm und Reich geteilt. Auf den höheren Lagen am Fuße der Anden befinden sich die stromumzäunten und von Zähne fletschenden Kötern bewachten Villen. Im Wellblech-Westen dagegen sind sie nicht mehr auszumachen. Die Anden, mit ihren weißen Gebirgszügen. Etwas nordöstlich Santiagos befindet sich auch der höchste Berg der Anden und damit die höchste Erhebung Südamerikas und der Südhalbkugel und außerhalb Asiens. Der Aconcagua mit seinen knapp 7000 Metern, wird sogar von manchem Flugkapitän rechtzeitig angesagt.

Die Stadt ist nie leise oder still und als politisches Zentrum in Aufruhr. Es gibt unzählige Unis und ein Monat kann umgerechnet 800 US-Dollar kosten. Das führt seit einiger Zeit zu Protesten und als wir in der Stadt wahren, überfallen uns schlagartig hunderte Jugendliche. Als wenn sie gejagt werden rennen die meist schwarz gekleideten Jugendlichen zur Alameda. Kurz warten sie die Grünphase ab und schon stehen sie auf der Straße und blockieren die Hauptverkehrsachse. Skandieren und Springen. Sie fordern ein Recht auf kostenfreie Bildung.

Dann erscheinen auch schon die Jäger*innen. In Grün erscheinen die Carabineros, unter der Hand auch Pacos genannt. Die chilenische Polizei. Es gibt noch die PDI, aber die trägt keine Uniform und ist für komplizierte Straftaten zuständig. Sie rennen den Jugendlichen hinterher, die nun aber schon drei Ecken weiter sind. Ein Wasserwerfer versucht mit Vollgas noch welche zu erwischen. Das verfärbte Wasser soll die Täter*innen später identifizieren. Ich denke manche haben Wechselklamotten dabei.

Später ist die Alameda frei von Autoverkehr, aber die Sprint-Beteiligten scheinen anderswo unterwegs zu sein. Nur manchmal steht ein Dutzend Pacos an einer Straßenecke und wartet.

Wir ziehen weiter durch die Straßen und gelangen zur Moneda. Dem wohl geschichtsträchtigsten Haus Chiles. Hier wurde am 11. September 1973 Salvador Allende geputscht. Die ehemalige Münzprägeanstalt war damals Präsidentenpalast und ist heute ein Kulturhaus. Gerade gibt es Ausstellungen zu Wale an Chiles Küste, Handwerkskunst und eine Messe mit tierfreundlichen Produkte.

La Moneda

Pinochet war damals Oberbefehlshaber und hat die Macht übernommen, alle Kommunikationswege abgeschnitten und die Moneda bombadiert. Kampfflugzeuge, Soldaten auf jedem Dach und Panzer auf dem Platz davor. In der ausweglosen Lage hat Allende Selbstmord begangen. In einer Seitenstraße ist auch dem Kammermann Leonardo Henrichsen gedacht, der wichtige Aufnahmen an dem Tag machte, aber dann von Soldaten erschossen wurde. Ein brutales Regime insbesondere für Linke entstand an dem Tag.

Apropos Linke: Ich kann nicht mehr sagen, wie wir darauf kamen, aber es kam uns ulkig vor, wenn wir mal an Honeckers Grab gestanden hätten. Ja, ihr habt richtig gelesen, Erich Honecker, Ex-Generalsekretär, ist in Santiago begraben. Nur wo genau, dass ist ein Rätsel. Vielleicht hat er auch kein Grabstein. Wir waren offenkundig nicht die ersten, die danach fragten, denn auf dem riesigen Zentralfriedhof liegen tausende und sie konnten sofort erklären was los ist, als ich „deutscher Ex-Präsident“ sagte. Er sei beim Krematorium, Patio 83. Dort wurde er offensichtlich verbrannt, aber einen Grabstein finden wir nicht. Eine nette Friedhofsarbeiterin gibt uns dann noch ein anderes Planquadrat als Tipp, aber auch dort finden wir keinen passenden Grabstein. Aber es gibt auch hunderte, sodass es ein mühseliges Unterfangen ist. Ruhe gut Genosse, wir haben‘s versucht.

Es liegen noch unzählige andere wichtige chilenische Persönlichkeiten auf dem selben Friedhof. So ist Allendes Monument deutlich einfacher zu finden. Wir hoffen in Santiago etwas mehr auch über die 17jährige Diktatur, die an Allendes Tod sich anschloss. In der Londres 38 findet sich ein Haus, des ehemaligen Geheimdienstes, wo Gegner*innen Pinochets gefoltert und verhört wurden. Erklärt wird aber sonst nicht so viel. Etwas weiter im Westen dagegen gibt es ein größeres Museum, das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, welches sich ausführlicher mit dem 11.September ’73 beschäftigt und den Opfern. Es ist nicht sehr ausführlich, aber umfassend. So war der Druck 1990 so groß für Pinochet, dass er eine Volksabstimmung abhielten ließ, wo für eine freie Wahl plädiert worden ist. So war Pinochet weg von der Macht, hatte aber durch eine geschickte Verfassungsreform im Vorfeld sich geschützt und ist bis zu seinem Tod nie in ein Gefängnis gewandert.

Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur

In dem Museum erfährt man auch, dass dreißig Länder u.a. Deutschland und Chile in ihrer Geschichte Wahrheitskommissionen eingesetzt haben. Beide Länder verbinden auch Solidaritätsschreiben, z.B. der Falken an die Allende-Unterstützer*innen. Im obersten Stockwerk ist eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich den Indigenen Chiles widmet. Es geht um Rassismus und Geschichte. Gab es mal ein größere Fülle an verschiedenen Gruppen, so ist der Vernichtung durch die Konquistadoren und der Chilen*innen lediglich eine übrig geblieben. Die Mapuche. Sie gelten als besonders streitig, und haben seit dem ersten Zusammentreffen ihr Gebiet auch mit Gewalt verteidigt, was ihnen aber schlussendlich kaum gelang. Noch heute gibt es darum stärkere Auseinandersetzungen. Im Hof des Museums steht ein Haus der Mapuche.

Mapuche-Monument auf dem Plaza de Armas

Fans von Allende können auch in das Solidaritätsmuseum gehen, wo es zwei Räume zu seinen Verdienst gibt, aber ansonsten eher viel die Stadtteilarbeit des Museums vorgestellt wird, beziehungsweise die Einsendungen solidarischer Künstler*innen ausgestellt werden.

Neben der Museumslandschaft gehört auch der Umgang mit den Hunden zu den Kuriositäten. Die Straßenköter, die an jeder Ecke sind und einen gerne auch unangenehm hinterherlaufen oder anbellen können, werden von den Santiagoer*innen geschätzt. Sie werden gefüttert, gestreichelt und geliebkost. Manche ziehen ihnen vor dem Winter auch eine Art Pullover an. In öffentlichen Plätzen wurden extra kleine Hundehütten aufgebaut.

öffentliche Hundehäuschen

Und wer sonst keine Hoffnung hat: An jedem Lichtmast hängt die Nummer von der Tarot-Kartenlegerin. Sie hilft bei allen erdenklichen Gründen.

Echtes Glück verspricht dagegen Fast Food. Das Schnelle Essen oder auf Spanisch „Comida Rapida“, ist weit verbreitet und so geläufig wie in keinem anderen Land, in dem ich schon mal war. Typische Mahlzeit: Ein Completo. Das ist ein Hotdog, also Weißbrot mit Würstchen, dazu ggf. Sauerkraut, viel Avocado-Creme und Mayonnaise. Hamburger sind auch verbreitet, generell viel Fleisch und immer auch Pommes dazu. Typisch sind wohl auch die Sandwichs, die sich aber von einer Burger-Mahlzeit kaum unterscheiden.

Completo

Doch wo kann am besten Fast Food geschlemmt werden? Na am besten in einem der vielen Einkaufszentren. Südamerikas größte Shopping Mall und größtes Gebäude mit angeschlossen, steht im Ostteil und nennt sich „Costanera Norte“. Sie ist auch Gegenstand von Diskussionen, beispielsweise wegen vielen Selbstmorde durch Sprung aus dem achten Stock. Als wir vor Ort waren, war es eher beeindruckend wie viele Menschen gerade hier unterwegs sind. Die Essensbereiche sind übervoll und es gibt kaum Plätze. An den Fast Food Theken wird angestanden.

Valparaiso

Es gibt verschiedene Ausflugsziele, die von Santiago aus erreicht werden können. Eines ist mit Valparaiso auch ein besonders gelobtes. Es steht in jedem Reiseführer. Doch nun wollen wir es auch wissen. Direkt gegenüber vom Busbahnhof fällt einem der riesige Kasten ins Auge. Ein überdimensioniertes Monument. Der Kongress. Mag zwar Santiago die Hauptstadt sein, das Parlament versammelt sich in Valparaiso. Die Straßen sind schnöde und es ist etwas günstiger als im Zentrum der Hauptstadt. Rechts das Wasser, was aber oft nicht sichtbar wird oder mensch klettert links den Berg hinauf. Viele Straßen und manche Drahtseilbahn führt hinauf, ist es aber auf Grund der Kürze kaum Wert bezahlt zu werden. Die versprochenen bunten Häuser sind nicht ganz so farbenprächtig, aber mit dem Instagram-Filter geht‘s bestimmt.

der chilenische Kongress

Lohnenswert ist die Avenida Alemania entlang zu schlendern. Sie fällt nach Norden hin nur leicht ab und hat damit keine belastenden Berge. Gleichzeitig eröffnen sich einem ständig neue Ausblicke auf den Hafen, das Meer oder gar Viña del Mar. Nach wenigen Stunden haben wir aber alles gesehen und sind rechtzeitig wieder zurück in Santiago.

Ach und übrigens: wir haben auch den dortigen Wein getrunken, als wir auf dem Hof dekadent den Weinreben beim Wachsen zugeschaut haben …

PS.: Santiago de Chile liegt direkt in der Mitte des langgestreckten Landes: