Apr 3 2019

Am Januar-Fluss

von Karl

Rio de Janeiro, Brasilien

 

Copacabana und Ipanema

Rio de Janeiro ist wohl Brasiliens berühmteste Metropole. Ort der Sehnsucht so vieler Reisenden und derer die es werden wollen. Dann dort anzukommen ist dann doch wie ein Abgleich mit der Realität. Was uns allerdings schon im Vorfeld erreichte sind Berichte von anderen Reisenden die ihrer Habseligkeiten erleichtert wurden bis hin zu einem argentinischen Reiseradler der in den Außenbezirken erschossen wurde. Entsprechend vorsichtig und vorbereitet sehen wir unsere Umgebung.

Tatsächlich verschlägt es uns unweit des berühmtesten aller Strände: der Copacabana. Der Strand erstreckt sich auf mehrere Kilometer, ist vielleicht hundert Meter breit, kaum Bäume, breite Küstenstraße und hohe Hotelbauten. Es erinnert ein wenig an Hollywood-Filme. Schon während des Sonnenaufgangs kommen die ersten Menschen an den Strand und spätestens ab Mittag ist Hochbetrieb. Fliegende Händler*innen bieten Cocktails, Acai, Sonnenbrillen, Bier, und vieles mehr. Mit Länderflaggen wird versucht die jeweiligen Touris anzulocken, obschon die meisten aus Brasilien selbst kommen.

Die Sonne bruzelt brachial, sodass für mich ein langer Strandtag ausgeschlossen erscheint. Die Wellen bauen sich bis auf zwei Meter Höhe auf und brechen ziemlich spät. Meist auch erst direkt am Strand, sodass es gefährlich wird. Einmal wirft mich eine der Wellen etwas unsanft an Land. Der massive Tourismus hat auch das Wasser und den Strand mit Müll angereichert. Gut, mal an der Copacabana gewesen sein, aber zum Urlaub machen gibt es schönere, sichere und preiswertere Orte.

Den Weg an der Copacabana entlang folgend kommen wir zum Ende des Strandes wo die Straße abknickt. Nach 500 Metern eröffnet sich ein ähnlicher Strand, allerdings mit zwei Meter Höhenunterschied zwischen Straße und Strand. Ipanema heißt Rios zweitwichtigster Strand. Minimal ruhiger und für die Sonnenuntergangsliebenden optimal. Am Strand oder von den nahen Felsen lässt sich die rote Scheibe beobachten die zwischen den Wolken im Meer versinkt.

Zuckerhut und Christus

Nach einem Strandtag folgen wir den Pfaden der Touris und wollen rausfinden, was denn so schön an dem berühmten Zuckerhut und dem großen Christus ist. Der Zuckerhut, eigentlich nur ein Felsen, heißt im brasilianischen Zuckerbrot und ist über zwei Seilbahnen angeschlossen. Dafür wird ein satter Preis von ungefähr 100 Reales verlangt, was weit über 20 Euro liegt. Dafür das die Seilbahn echt nicht weit fährt, ist uns das zu teuer und wir suchen einen neuen Weg.

Vorbei an einem Militärgebäude und kleinem Strand mit Bucht kommen wir auf einen geteerten Wanderweg.

Den immer folgend kommt ein Abzweig auf den ersten Hügel, wo die erste Seilbahn hinfährt. Von dort bezahlt mensch nur noch den halben Preis, aber selbst das überspringen wir und folgen dem Wanderweg weiter. Irgendwann endet der Weg und es folgt ein Trampelpfad der teils Kletterkünste erfordert und steil ist. Wir können aber alle Unebenheiten überwinden und finden auch den Punkt an dem es weiter bergauf geht. Irgendwann überholt uns eine kleine französische Gruppe und klärt auf, dass später bergsteigerisches Können und Material benötigt wird. Als dann tatsächlich der Anstieg sehr herausfordernd wird und wir die Gruppe klettern sehen können, geben wir dann doch auf. Wenn es machbar wäre, wäre wohl die Seilbahn günstiger. Nagut, dann nicht.

Gut, ich sag‘s vorab, dem Christus kann ich nichts abgewinnen, aber mal gucken gehen. Auch hier werden saftige Preise verlangt und wir bezahlen bei der Zwischenstation der Bergbahn den selben Preis, wie als wenn wir unten eingestiegen wären.

Oben angekommen geht es noch breite Treppen bis zum Fuße der hohen Statue, die, so wie sie ist, auch an anderen Orten und an ähnlicher Stelle über der jeweiligen Stadt steht, aber halt nicht so berühmt ist. Nun wird es zur Herausforderung nicht auf einen der herumliegenden Touris zu treten.

Tatsächlich legen sie sich reihenweise auf den Boden um das eine berühmte Photo machen zu können mit dem Jesus im Hintergrund. Eine gelungene PR-Aktion der Kirche, wie ich finde. Sie ist auch mit Nichten die größte Statue der Welt. Diese ist sechsmal größer.

Viel imposanter und beeindruckender ist der Blick auf Rio de Janeiro selbst. Zu deutsch heißt das übrigens „Januar-Fluss“. Es ist gut zu überblicken, dass die Stadt immer wieder unterbrochen wird von Bergen bzw. größeren Felsen. So ist der strandnahe Bereich mit Felsen unterbrochen vom eigentlichen Zentrum, welches schon an der Bucht liegt und nicht mehr am offenen Meer. Am Industriehafen ist dann auch eine lange und beachtliche Brücke die die Bucht überspannt. Die brasilianische Fernstraße BR-101 pulsiert hier, von dem südlichsten Bundesstaat kommend, entlang der Atlantikküste bis zur äußersten östlichen Ecke Brasiliens.

Auch ein größerer See liegt im Rücken Ipanemas. Auf den Hügeln sind die Armensiedlungen zu erkennen, die in Brasilien Favela genannt werden. Benannt nach einer Kletterpflanze, weil sich die Siedlungen an den Hügeln entwickelt hatten und bis zu den Gipfeln gewachsen sind. Sie sind in sich sehr verschieden. In manchen wurde Infrastruktur von Strom über öffentliche Verwaltung bis Freizeitangebote eingerichtet und das in Zusammenarbeit mit den Bewohner*innen. In anderen führt die Militärische Polizei einen Krieg gegen Jugendbanden die mit Drogen oder Waffen handeln. Einmal dürft ihr raten, was allen Seiten mehr geholfen hat.

Mittlerweile soll es von der Polizei bezahlte Banden geben, die Schutzgeld erpressen. Wenn die Polizei versucht die Banden zu mischen, kann es, wie zur Zeit wohl in Fortaleza, dazu kommen, dass sie sich zusammen schließen und gemeinsam Polizei und öffentliche Infrastruktur angreifen. Als besonders bezeichnend soll der Roman und Film „Die Stadt Gottes“ sein, der die Entwicklung einer gleichnamigen Favela in Rio über die Jahrzehnte anhand von verschiedenen Menschen erzählt. Der Autor ist selbst in der Favela aufgewachsen. Mittlerweile und auch durch die Fußball-Weltmeisterschaft wurden besonders die innerstädtischen und touristisch interessanten Favelas „polizeilich befriedet“. Zunehmend übernehmen Investoren die Gebiete und bauen neue hochpreisige Anlagen für Touris hin. Die Armen ziehen an den Rand der Stadt.

Ankommen und Bleiben und Sein

Neben den Strandgebieten bietet auch Rio in der Innenstadt ein paar sehenswerte Ecken. So gibt es ein größeres Viadukt dass eine einen Platz überspannt und auf dem eine historische Straßenbahn rollt.

Unweit führt der Weg zu einer bunten Treppe, die mit lauter Fließen gepflastert ist und auf der Touris anstehen um ein Photo vor den Kacheln zu machen. Rund herum versuchen Leute etwas zu verkaufen. Wir schauen uns das Spektakel an und die Graffiti in der Umgebung.

Allerdings erscheinen uns die Nebenstraßen als nicht besonders sicher. Viele jugendliche Gruppen warten am Straßenrand und schauen uns eine Spur zu düster drein, als dass wir da durchwandern möchten. Dabei habe ich Angst, dass ich Angst bekomme allein weil ich Schwarze Jugendliche sehe. Leider ist Armut und Rassismus auch in Brasilien zu oft verbunden und führt dann zu dem Kriminalitätsdruck, der mich vorsichtig werden lässt. In einem Touri-Führer las ich, dass ich nicht nur traurig sein solle, wenn mir Geld abgenommen wird, es würde auch den Hunger bekämpfen. Hier entstehen Bilder im Kopf, die schon so oft auf den Großplakaten von „Brot für die Welt“ mich traurig angeschaut haben. Ja, Rassismus und Klassismus sind intersektional. Das heißt, dass eine bedingt das andere und lässt sich schwer trennen. Wie kann ich hier als weißer Europäer diskriminierungsarm auftreten? Ich kann es euch nicht abschließend beantworten, aber vielleicht ist es hilfreich, die konkreten Ursachen und die gesellschaftlichen Zusammenhänge zu benennen. Im besten Fall die eigenen Auswirkungen sich bewusst zu machen und daraus Handlungen abzuleiten. Als Touri stehen wir nicht nur außen und machen ein Photo von dem Ist-Zustand, nein, wir verändern und beeinflussen den auch. und vielleicht ist es tatsächlich nicht so schlimm, wenn wir mal beklaut werden. Die allermeisten Gewalttaten, besonders auch die Schießereien, finden in den Armensiedlungen statt und die allermeisten Opfer sind die armen und damit zu oft auch die Afrobrasilianer*innen.

Vielleicht sollten Reisende Schwarze Realität und Geschichte also auch sichtbar machen. So war Rio ein wichtiger Ankunftshafen für die Sklav*innen der europäischen Kolonialherren. Der Valongo-Kai ist heute als Weltkulturerbe und archäologische Ausgrabungsstätte leicht zu besichtigen. Hier sollen bis zu einer Million Menschen angekommen sein. Ein Symbol für die wohl größte erzwungene Migrationsbewegung und eines der größten Verbrechen der Menschheit. Besonders für Afrobrasilianer*innen haben Orte wie der Valongo-Kai eine besondere Bedeutung. Der Valongo-Kai liegt heute nicht mehr an der Wasserkante, weil über die Jahre der Strand weiter versandet ist, beziehungsweise verbaut wurde, und damit ist das Wasser von dem Denkmal aus gar nicht mehr einsehbar. Ein Teil des alten gemauerten Kais ist freigelegt und befindet sich auf einem kleinen Platz unweit des Zentrums. Einige Schilde informieren umfassend über das Monument.

In unmittelbarer Umgebung gibt es noch weitere Denkmäler afrobrasilianischer Geschichte, wie z.B. ein Garten, ein Friedhof und ein kulturelles Zentrum. 

Als es für uns hieß einen Bus zu finden, der weiter der BR-101 nach Norden folgt, kamen wir dann auch unerwartet am berühmten Sambódromo vorbei. Es ist der Ort wo jedes Jahr der berühmte Karneval von Rio stattfindet. Auf hunderten Metern stehen große Tribüne beidseits eines ungenutzten Weges, in deren Mitte dann die Samba-Schulen in vier Ligen gegeneinander antreten. Gerade ist kein Karneval, aber er wirft seinen Schatten schon voraus.

Ruhiger und weniger tanzend klettern wir in einen der Busse und verlassen die Metropole am vermeintlichen Januar-Fluss gen Norden über die imposante Brücke.


Dez 21 2018

Bröselnder Berg

Tupíza, Bolivien

Von Karl

 

Als die junge Sonne durch die beschlagenen Scheiben zu blinzeln beginnt, geht es für mich auch schon zu Fuß weiter. Ein paar hundert Meter durch die beschauliche Kleinstadt La Quiaca. Das Ebenbild einer Grenzstadt. Ein paar Unterkünfte überall. Geldwechselstuben. Viele Menschen mit Reisegepäck oder Waren. Andere mit besonderen Angeboten. Eine kurze Brücke überspannt den kleinen Bach und verlängert den Weg nach Bolivien. Nach Villazón.

Grenzfluss, links Bolivien, rechts Argentinien

Ein gutes Dutzend Wartender steht schon vor dem weißen Container der Migrationsbehörde. Diesmal bekomme ich eine andere Art Kassenbon in den Ausweis. Immer wieder was neues. Auf bolivianischer Seite dagegen meint der Eingangswächter, dass der Kassenbon zum Aufenthalt reiche. Ich bräuchte keinen bolivianischen Stempel.

Geldwechseln und weiter geht‘s. Es gäbe ein Zug der in Richtung Uyuni fährt, leider nur selten und leider zu ungünstigen Zeiten. Kleinbusse sind da schneller und günstiger. Sobald ich am Busbahnhof ankomme, fülle ich den letzten Platz im Kleinbus auf und schon rattert der alte Toyota raus aus dem Ort. Die Gegend wird deutlich trockener und wir schrauben uns durch die faszinierende Landschaft und immer auch bergan. Zurück in den Altiplano führt die Reise. Eine Hochebenen in den Anden, die große Teile Boliviens ausmacht und gut besiedelt ist.

Keine Stunde später kommt schon Tupíza, mein Tagesziel. Bevor die Stadt endgültig erwacht, kann ich schon den ersten Stadtspaziergang machen. Der zentrale Platz ist beeindruckend begrünt, obschon die Straßen von staubiger Trockenheit strotzen. Fein säuberlich wird der Sand beständig beiseite gefegt und die blühenden Pflanzen gehegt. Mit zärtlicher Liebe halten die Bewohner*innen die Stadt sauber und zeigen sich als höfliches Gegenbeispiel zu den doch oft vollgemüllten Ecken Boliviens.

Der Tourismus hat das Antlitz des Städtchen geändert, sodass es ein-zwei Straßenzüge mit den entsprechenden Angeboten gibt. Für mich ist leider keins dabei. Ich beginne das bolivianische Leben zu genießen und kaufe meine Sachen auf den Märkten, bis hin zu leckeren Mahlzeiten.

Der kleine Ort hat auch eine Art Hausberg, den Cerro Cruz. Eine Wanderung sollte nicht das Problem sein, so denke ich. Das entsprechende Schild am Straßenrand weißt auf einen Eingang, der übersät mit Müll ist. Der Aufstieg wechselt schnell ins sehr beschwerliche. Doch die größte Herausforderung bleibt der Berg an sich. Das rote Gestein erscheint zwar fest, ist aber sehr lose und zerbröckelt leicht in den Händen. Alles scheint nicht wirklich fest oder sicher zu sein. Das Klettern wird zum großen Risiko, weil doch hin wieder ein Stein wegrutscht, den ich vorher als fest eingestuft hatte. Starke Temperaturschwankungen zwischen einstellig in der Nacht und über 30 am Tag, haben das Gestein ganz porös gemacht. Es ist leider auch steil genug um weit genug zu falle. Und dann sind da noch die ganzen stachligen Pflanzen. Nach einer knappen Stunde sinnlosen Kampfes mit dem Berg, beschließe ich den Abstieg und – wie es so oft ist – finde ich sodann den eigentlichen Weg. Deutlich unbeschwerlicher geht es nun bergan. Leider fehlt es komplett an Beschilderung und so komme ich weitere Mal vom Weg ab.

Am dreckigen Gipfelkreuz angekommen, beginnt ein schöner Ausblick über die Stadt und deren Umgebung. Tupízas Umgebung hat eine Vielzahl von steinigen Erhebungen die in den verschiedensten Farben leuchten. Alle Farbtöne von rot, grau, gelb, grün sind gut vertreten. Es ist prächtig anzusehen und der Ort entspannt um ein wenig sich auszuruhen und zu genießen. Ein weiterer Berg im Rücken hat die Form eines Elefanten. Kein Witz. Die Stadt ist von einem Bach durchzogen der sich durch ein breites und trockenes Flussbett zieht. Es deutet sich an, dass zu anderen Zeiten der Bach auch deutlich anschwellen kann und dann die Größe eines reißenden Stroms erreicht.

Um halb Eins mache ich dann Photos vom Gipfelkreuz, weil gut zu erkennen ist, dass die Sonne im Zenit steht, das heißt im rechten Winkel zum ebenen Boden. Das ist mir noch nie begegnet in meinem Leben und ich habe extra öfters nachgeschaut um einen Ort und Tag zu finden. Nun ist es soweit.

Sodann erklimmt auch ein Australier den Berg, der wohl weitere einzige Mensch weit und breit, der sich diesen Berg antut. Wir lassen uns gemeinsam über den schlecht beschilderten Cerro Cruz aus und als wir an der Straße ankommen, merken wir, dass der Einstieg zum Berg gut zehn Meter hinter dem Schild ist. Er ist auch direkt am Schild eingebogen.

Manchmal bin ich einfach zufrieden, wenn ich nicht der einzige dumme bin.


Okt 26 2018

Zu Fuß zum Pool und zurück

Von Karl

 

Es ist 3 Uhr früh, als wir vor unserem Hostel mit all unseren Sachen stehen. Wir warten in der noch kalten Nacht. Dann kommt ein Mann die Straße runter, nennt unsere Namen und nimmt uns mit. Immer wieder zwei Ecken und einmal telephonieren. Warten. Noch eine Ecke weiter und wieder telephonieren. Warten. Dann kommt der Bus und wir steigen schnell ein.

Tal der Condore

Zusammen mit einem guten Dutzend anderer Reisenden brechen wir auf zu unserer Wanderung ins Colca-Tal. Eines der tiefsten Täler der Erde. Genau genommen der zweittiefste Canyon der Erde. Über 3.200 m ist das Colca-Tal tief.

Noch morgens erreicht der Bus die Hauptstadt des Tals: Chivay. Dort gibt es kurz Frühstück und wir fahren weiter ins Tal hinein. Am Cruz del Condor machen wir Stopp und können einen fulminanten Ausblick wagen. Kilometer geht es steil nach unten, während wir auf Felsen sitzen. Gegenüber steigen die Berge auf bis sie weiße Kappen bekommen. Die Dimensionen sind unvorstellbar.

In den Lüften vor uns gleiten mühelos Condore. Braune oder Schwarz-Weiße. Sie zählen zu den größten Vögeln und beherrschen das Tal. Mal segeln sie über uns, mal segeln sie weit unter uns.

Abstieg

Nur kurz dürfen wir den Ausblick genießen, bevor es weiter geht an den Startpunkt unserer Wanderung bei Cabanaconde. Wir werden noch schnell aufgeteilt in die 3-Tages-Tour, 2-Tages-Tour und die Tages-Tour. Unser Guide, Fernando, kommt gerade von einer Tour und macht mit uns die Zweitägige. Nach nur wenigen Metern sind wir wieder am Rande der Schlucht und beginnen den Abstieg. Fernando ist nicht nur unser Guide, sondern auch das Lexikon zur Umgebung. So ist der Hang, den wir absteigen sehr trocken, während auf der anderen Seite auch Landwirtschaft möglich ist. Über grauen Schotter und Geröll geht es unter der sengenden Sonne Meter für Meter bergab. Eine Seite ist der Abgrund und auf der anderen geht es steil bergan. Kommt eine Kehre, wechseln die Seiten. Wir erfahren, dass im Talgrund 40 Grad Celsius herrschen. Wir haben zwar mit viel Wasser die Tour gestartet, aber der Pegel in der Flasche fällt kontinuierlich.

Gute drei Stunden sandig-rutschiger Abstieg später, erreichen wir den kontaminierten Fluss im Talgrund. Nach kurzer Pause geht es über eine Hängebrücke auf die andere Seite. Durch Gärten und vorbei an alten Frauen die Kekse, Obst und Wasser verkaufen. Wir kommen an unsere Pausenstation und bekommen mageres Mittag. Etwas enttäuscht versuchen wir unsere geschundenen Körper im Schatten zur Ruhe zu bringen, doch ein fettes Huhn lässt mich einfach nicht in Ruhe. Was auch immer ich den Huhn angetan hatte, es verfolgte mich über die Wiese bis wir den Ort wieder verließen. Gerne hätte ich die steilen Hänge aus ruhender Position unter dem schattigen Avocado-Baum genossen. Nun. Selten, dass ich einem Lebewesen ein Ende als Broiler gewünscht habe.

Bis zur unserem Ziel sind es aber nochmal drei Stunden. Wir beginnen die Wanderung entlang des Tals und schon bald folgen steile Auf- und Abstiege. Fernando entschuldigt sich immer wieder im voraus: Es sei halt ein Canyon. An einem Zwischenstopp bei einigen Kakteen erklärt er uns, dass diese auch industriell angebaut werden. Weil sich darauf ein kleiner Käfer parasitär entwickelt, der zerdrückt eine dunkelrote Farbe hat. Diese wird als Farbstoff und in der Kosmetik-Industrie verwendet.

Unsere Füße entwickeln zeitgleich Blasen und Muskelkater. Besonders Bergabstiege treffen nicht auf unsere Gegenliebe. Erste Blasen haben sich gebildet, die verarztet wurden. Eine halbe Stunde vor dem Ziel müssen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Nochmal 5 Liter und etwas Obst. Zum Glück hat ein alter Mann ein kleinen Holzverschlag aufgebaut – im Nirgendwo. Als wir den letzten Anstieg geschafft haben, eröffnet sich ein erster Blick auf unser Tagesziel: Oasis de Sangalle.

In der Innenseite der Flusskurve breitet sich eine breite Grünfläche mit Palmen und Pools aus. Ein Pool entwickelt für uns schnell eine Anziehungskraft und spendet neue Motivation. Noch vor der Brücke auf die grüne Insel inzwischen der felsigen Landschaft, erscheint uns ein großer Wasserfall auf der gegenüberliegenden Seite. Mitten aus der Felswand scheint er zu entspringen und ab da und abwärts ist plötzlich alles grün. Doch dann ruft der Pool erneut. Ein letztes Mal über eine Brücke und letzte Meter nach oben, einmal quer durch das teils überwucherte Gebiet, bis wir in einer Bungalow-Siedlung ankommen. Strom ist hier Mangelware.

Unser Guide teilt uns auf die Zimmer auf. Kaum haben wir unsere Sachen in dem Bambus-Verschlag außerhalb der Reichweite von Kleintieren und Skorpionen geparkt, springe ich auch schon in den Pool. Das recht frische Wasser kühlt die geschundenen Beine und gleicht einer Wohltat. Ich könnte stundenlang darin ausspannen, wenn es nicht auf die Dauer zu kalt wäre. Zudem wirft sich der Schatten frühzeitig über uns und ich suche nach der Dusche die warmen Klamotten auf.

Gefühlte Ewigkeiten warte ich mit knurrenden Magen auf das Abendbrot und bleibe enttäuscht von der mageren Mahlzeit. Wir sind geschafft und suchen direkt den Weg in die Horizontale. Nicht ohne den krassen Sternenhimmel zu sehen. Fernab großstädtischer Lichter erscheinen Millionen kleiner Sterne und die Milchstraße ist ohne Probleme zu erkennen. Ich muss stehen bleiben und dieses seltene Bild tief in mir einprägen. Oft habe ich das Bild nicht gesehen. Mal bei einer Segelfahrt auf der Ostsee oder bei der Überfahrt mit dem Frachtschiff nach Südamerika oder auf dem Boot im Amazonas-Regenwald. Nein, so ein Himmel ist selten.

Aufstieg

Schon 4:30 Uhr treffen wir die Gruppe und Fernando, damit wir den Rückweg nach Cabanaconde machen. Diesmal eine andere Route, doch der Höhenunterschied bleibt gleich. Wir steigen direkt von 1.900m auf 3.300m. 1.400 Höhenmeter in wenigen Stunden. Im Zickzack den Weg über Schotter und Fels. Wir haben unsere Stirnlampen an und folgen jeweils unseren Vordermenschen. Andere Gruppen sind am Hang wie Lichterketten, die im Wind wackeln, zu erkennen. Langsam schieben wir uns Kurve um Kurve nach oben. Plötzlich sollen wir alle an die Innenseite gehen und warten. Eine Gruppe Esel rauscht an uns vorbei. Inklusive Esel-führer. Auf der gesamten Strecke nach oben transportieren Esel die nötigen Sachen für die Menschen im Tal oder Touris, die aufgegeben haben. Lediglich der Müll wird von Hand geleert und auf dem Rücken getragen. Der ältere Mann hat nur Sandalen an, zwei riesige Säcke Müll auf dem Rücken und überholt mich mühelos. Ich rede mir ein, dass ich kaum 1.400 Höhenmeter in Deutschland trainieren hätte können. Er schon.

Die Berge am Horizont werden zu erst in orangefarbenes Morgenlicht getaucht. Bis mich die wärmende Sonne erreicht, vergehen allerdings noch schweißtreibende Stunden. Das Orange wandelt sich langsam in kräftige Farben und diese fließen langsam ins Tal. Wie frische Farbe die nach und nach auf die Berggipfel aufgetragen wurde und dann über die Kanten ins Tal läuft.

Fernando hat uns mittlerweile drei Bäume gezeigt, bei denen wir uns wiedertreffen sollen. Sie sehen klein aus und ich glaube, dass sie ein erstes Zwischenziel mit Pause sind. Mittlerweile haben Pippi und ich die Strategie entwickelt, möglichst vorne zu laufen und Pausen zu vermeiden, damit wir an der eigentlichen Pausenstation eine umso größere Pause haben. Wir haben allerdings nicht mit DIESEN Bäumen gerechnet. Lange Zeit nehmen wir Stein für Stein während unsere Herzen pumpen und der Schweiß von der kühlen Luft schnell getrocknet wird. Als nach vielen unendlichen Minuten tatsächlich DIE Bäume wieder auftauchen, sind sie immer noch verdammt weit oben. Wir machen nun doch Trinkpausen und lassen unglaublich sportliche Menschen an uns vorbeiziehen. Immer wieder auch Esel. Manche Touris auf den schaukelnden Rücken am Rande des Abgrundes haben weiße Gesichter die im Kontrast das Esel-Fells schwarz erscheinen lassen.

Viele der Touris, die fast ausschließlich aus Westeuropa kommen, haben entsprechende Trekking-Kleidung und -Ausrüstung angelegt. Pippi mit Jeans und meinem alten Schulrucksack. Ich mit Leggins und Jutebeutel. Ja, wir passen nicht ganz ins Bild der gut vorbereiteten Extrembergsteiger*innen. Trotzdem wissen wir einen guten Teil unserer Gruppe hinter uns und beißen uns weiter den Berg hinauf. Nur, wo sind die scheiß Bäume?

Als sie dann doch wieder auftauchen, dämmert es mir endlich, dass die Bäume nicht klein und krüppelig sind, sondern groß und stolz. Ein Mann, der uns entgegen kommt, grüßt uns freundlich und verrät, dass es nur noch eine Stunde bergauf sei. Ich denke, dass die Distanz bis zum Gipfel gemeint ist, stelle aber fest, dass sie bis zu den Bäumen ist. Ja, tatsächlich sind wir noch an den riesigen drei Nadelbäumen angekommen. Ich habe kaum mit dem Pausieren begonnen, motiviert Fernando uns zum weiterwandern. Ich stelle mich innerlich auf weitere Stunden harten Anstiegs ein.

Doch nach zehn Meter klettern wir umständlich durch das Gipfelkreuz und erreichen einen Platz, voll mit Ankömmlingen. Geschafft! Wir Finisher ruhen uns kurz aus, bevor wir Siegesposen vor der Kamera machen. Meine Peace-Fahne kommt dabei zum Einsatz und motiviert Weitere sich damit zu photographieren. Ein Mann möchte sogar ein Photo mit mir, weil ich diese Idee mit der Flagge habe und er Frieden wichtig findet.

Die letzte halbe Stunde ist ohne Berge und wir erreichen Cabanaconde und somit auch unser Frühstück. Bevor ich aber in die letzte Straße einbiege, muss ich meine Augen reiben. Ein Mann läuft mit meinem Rucksack von links nach rechts und bringt ihn auch zum Frühstück. Die großen Rucksäcke haben wir am Vortag abgeben können und uns wurde versprochen dass wir sie hier wiederbekommen. Dass sie allerdings von jemandem durch das Dorf getragen werden, war uns nicht klar. Schon irgendwie komisch, den eigenen Rucksack an einem vorbeiwandern zu sehen.

Das Frühstück reihte sich in die Reihe der mageren Portionen ein, aber zumindest gab‘s Kaffee und Coca-Tee.

Nächster Stopp

Von nun an müssen wir nicht mehr laufen, sondern werden gefahren. Der Bus bringt uns zu einem Verkaufsstopp, wo auch je zwei Alpakas und Lamas warten. Highlight für uns soll aber ein Bad in einer heißen Quelle sein. Trotz der hohen Luft-Temperaturen tummeln sich einige Touris in den extra angelegten Becken, die mit bis zu 38 Grad sehr heiß sind. Der nahe Fluss ist ziemlich steinig, dafür aber erfrischend kalt. Das Quellwasser, dass auch teils einfach so in den Fluss fließt ist tatsächlich kochend heiß.

Unzählige Versuche uns das Mittagessen zu verkaufen haben wir während der Tour widerstanden und verabschieden uns kurz vorher bei Fernando, der sich rührend um uns gekümmert hat. Wir fahren nicht zurück nach Arequipa. Unser nächster Stopp soll Puno sein. Wir wurden von dem Touren-Anbieter in einen Touri-Bus gesetzt, wo eigentlich niemand so richtig motiviert ist. Der Guide im Bus zeigt uns zwar verschiedene reizvolle Landschaften, die aber hinter den Bildern der letzten Tage zurück bleiben.

Zum ersten Mal sehe ich aus der Ferne einen aktiven Vulkan, weil wir auf die Rauchsäule am Horizont aufmerksam gemacht werden. Schon komisch, dass die graue Wolke auf der Spitze aus dem Berg kommt. Der letzte Halt ist an einer riesigen Laguna auf über 4.400m. Auch hier packt die Alpaka-Produkte-Händlerin schon ihre Sachen ein und wir nehmen die letzte Hürde über Juliaca nach Puno.

PS.: Karte von der Gegend:


Okt 24 2018

Kleinstadt zwischen den Bergen

Von Karl

 

Selten, dass eine Stadt so warm und nah an schneebedeckten Gipfeln ist. Stehen wir auf dem zentralen Platz – der gewöhnlich in Peru Plaza de Armas heißt – wird das friedliche Palmen-Kathedrale-Panorama von den drei Gipfeln umrahmt: Misti, Chachani und Picchu Picchu. Wobei Ersterer sehr nah an der Stadt steht. An der zweitgrößten Stadt Perus: Arequipa. Sie gilt als rebellischer Gegenpol zu Lima, wo ein Drittel der peruanischen Bevölkerung lebt. Der peruanische Staat ist zentralistisch aufgebaut und viel Geld verbleibt in Lima. Gegen das erhebt sich immer wieder Protest und nach Arequipa folgen dann oft weitere Städte insbesondere im Süden.

Arequipa ist auch im Schachbrett aufgebaut, auch wenn die Hausnummern einer Straße mit jeder Kreuzung um ein weiteren Hunderter erhöht werden. Sodass die erste Ziffer Einem verrät, wie viele Blocks das gesuchte Haus entfernt ist. Ein System was nicht nur in Arequipa eingesetzt wird.

Ein Geheimnis konnte ich lüften, dass mich schon länger irritiert hat. Die Müllabfuhr mit der fröhlichen Musik. Warum tönt aus den Lautsprechern des Müllautos sehr laute Kindermusik oder zumindest fröhliche oder folkloristische Musik? In Ecuador war es immer das selbe Lied, in Peru ändert sich das ständig. Kommt das Müllauto durch die Straßen, hören so die Anwohner*innen dies und bringen noch schnell den Müll an die Straße. Da die Musik bis vor einigen Jahren die Menschen in Peru genervt hat, wurde sie durch schönere und verschiedenere ersetzt. Bei guter-Laune-Musik Müll abholen. Klingt nach einen angenehmeren Job. Zudem gibt es in wenigen Straßen Metallstäbe am Straßenrand, mit einem Metallkorb auf Augenhöhe, in dem der Müll abgestellt wird, bis er abgeholt wird. Das verhindert, dass die Straßenhunde den Müll zerreißen.

Ansonsten macht Arequipa einen friedlichen und kleinstädtischen Eindruck. Dass eine Million Menschen in dem Ballungsraum wohnen, merkten wir ihr kaum an.

Wir haben nur eine Übernachtung in Arequipa gebucht. Am nächsten Tag geht es in aller Frühe los. 2:40 Uhr klingelt der Wecker.

Hervorheben möchte ich noch Pippis geilen Salat. Dafür hat sie hat den lokalen Bergkäse geschnitten und in der Pfanne gebraten, was eine sehr geile Idee ist, die ich anderen nur empfehlen kann. Es ähnelt dann Halloumi. Den Käse und alle anderen Zutaten gibt es auf dem Mercado San Camillo. Dort kann günstig, lokal und gut alles mögliche erworben werden und sogar Snacks und Mahlzeiten gegessen werden. Wir haben Kartoffel-Spaghetti-Auflauf bekommen. Wie lecker der war! Auch gibt es schon die bolivianische Spezialität der Salteñas. Sie ähneln den Empanadas und sind meist mit Fleisch und Gemüse gefüllt. In Arequipa konnten wir vegetarische ergattern.

Glücklich nach so viel leckerem, ging es früh in die Koje.

Salteña auf dem Mercado San Camillo

PS.: und da ist übrigens Arequipa:


Aug 20 2018

Schwarze Steine mit roten Flecken

Von Karl

 

Maicao

Von dem beschaulichen Santa Marta aus fährt der Bus über Riohacha nach Maicao. Immer gen Osten. Hinter der Fensterscheibe hat sich die Landschaft gewandelt. Soweit das Auge blicken kann, stehen gedrungene grüne bis braune Bäume. Trockene Bäume mit ein paar knorrigen Hecken unter sich. Die Landschaft ist sehr flach und es weht eine beständige warme Briese.

Augenfällig ist auch, dass der Plastikmüll stärker den Blick trübt. Nicht dass ich bislang ausschließlich saubere Straßen und Hecken gesehen hätte, doch hier hat das eine neue Qualität. Müll der die wenigen Grashalme bedeckt. Da es nicht immer eine funktionierende Müllabfuhr bis in die letzte Kleinstadt gibt, wird Müll gern auch einfach auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Zu dem vielen Müll paart sich ein Verhalten, bei dem Verpackungsmüll an Ort und Stelle fallen gelassen wird. Manche Orte werden allerdings sauber gehalten. Busbahnhöfe beispielsweise werden regelmäßig durchgewischt.

In Maicaos Busbahnhof tobt das Leben. Die Nähe der gut 10km entfernten Grenze macht sich bemerkbar. Krisenbedingt ist Maicao ein wichtiger erster Umstiegs- und Lebensort für die vielen Venezolaner*innen, die ihr Land verlassen. Auch auf der Hauptstraße, die hier die Nummer 16 trägt, ist sehr viel los. Wie so viele Orte die wir in letzter Zeit bereist haben, ist auch Maicao so aufgebaut, dass alle Straßen ein Schachbrett bilden und es Carreras und Calles gibt, die sich im rechten Winkel kreuzen. Diese werden dann einfach durchgezählt. Wenn ich also die Adresse „Calle 5 #6-12“ suche, dann ist das Haus in der Calle 5, ganz in der Nähe der Kreuzung mit der Carrera 6 und trägt die Hausnummer 12.

Später erzählt mir ein Venezolaner, der als Automechaniker in Maicao arbeitet, warum alle hundert Meter Benzin in ehemaligen großen Wasserflaschen verkauft werden. In Venezuela kostet das Benzin weniger als ein kolumbianischer Centavo. Der Umrechnungskurs ist ungefähr 3300 kolumbianische Pesos für ein Euro. Alle Tankstellen der Region haben zugemacht, weil jede*r für 2300 Pesos pro Gallone (ca. 4,5 Liter) Sprit kaufen kann. In den Seitenstraßen stehen Autos aus denen heraus die Flaschen abgefüllt werden.

Kohle

Uns hat es hierher verschlagen, weil ich Felipe treffen möchte. Felipe hat früher mal in der Gegend gewohnt, wo jetzt große Tagebaue klaffen. Anstatt auf meine Fragen zu warten, erzählt er einfach in einem schier nicht enden wollenden Monolog seine Geschichte. Ich habe schon einen Krampf in der Hand, aber mir dünkt, dass er gerade sehr spannende Sachen wiedergibt. Er endet nach fast zwei Stunden mit: „Wenn ihr die Steinkohle aus La Guajira verwendet, dann klebt da Blut dran, Menschenblut“. La Guajira nennt sich diese Region, eine Halbinsel, auf der Cerrejón der größte Kohle-Tagebau Lateinamerikas ist. Kolumbien ist der viertgrößte Steinkohle-Exporteur und macht ein Drittel aller importierter deutscher Steinkohle aus. In Deutschland wurden erst neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut. Für Kohle aus Kolumbien. Die Kohle wird in verschiedenen Regionen in Tagebauen abgebaut, dabei ist Cerrejón der größte mit fast 700 Quadratkilometern. Insgesamt besteht Cerrejón aus drei Tagebauen. Sie sind jeweils zu einen Drittel im Besitz von us-amerikanischen, schweizer und englischen Investoren, mit Lizenzen bis 2034.

Die Kohle wird auf die eigens errichte Bahnlinie gebracht. Die Kohlezüge sollen 120 Waggons haben und werden durch zwei oder drei Loks gezogen. Im eigens errichteten Kohlehafen, der aber auch nur einer von vielen in Kolumbien ist, wird die Kohle dann in Frachtschiffe verladen.

Dafür wurden einige indigene Ortschaften umgesiedelt. Teils unter Anwendung von Gewalt und durch Beihilfe durch die Armee werden sie vertrieben. Ihnen wird die Fläche genommen, auf der sie ihre Lebensmittel anbauen. Die Wayuú, die schon sehr lange in der Region leben, leiden besonders unter dem Kohleabbau. Sie haben sich erfolgreich gegen die Kolonialisierung durch die Spanier*innen behaupten können, weil sie als besonders widerständig gelten. Doch jetzt sterben sie am Hunger. Das Grundwasser wurde durch Cerrejón abgesenkt, damit der Tagebau nicht zum See wird, und ein Fluss wurde auf zig Kilometer Länge umgeleitet. Seitdem muss Wasser in Plastikflaschen gekauft werden. Was die Kolonialherren aus Europa des 16. Jahrhundert nicht vermocht haben, schafft Europa heute. Das nennt sich übrigens Neokolonialismus.

Felipe beschreibt die Umwelt-Belastung mit einem Experiment. Ich solle ein Becher mit Wasser aufstellen. Ein paar Stunden später sieht man die schwarzen Ränder vom Kohlestaub. und falls noch nicht genügend Argumente gegen die Kohleförderung geliefert worden sind, dann können wir gern noch über Klimawandel debattieren …

Albania

Ich will‘s selbst sehen. Ich mach mich am nächsten Tag auf und fahr‘ nach Albania, einen kleinen Ort der sich ganz in der Nähe vom Haupteingang und Besucher*innen-Zentrum entwickelt hat. 1000 Einwohner*innen vielleicht. Der Weg nach Albania im geteilten Taxi ist allerdings nicht sofort erfolgreich. Geteilt meint, dass solange gewartet wird, bis alle Plätze verkauft sind. Der Taxifahrer fährt rechts ran und stellt – nicht wirklich enttäuscht – fest, dass der Keilriemen gerissen ist. Er hält einfach ein Auto im Gegenverkehr an und lässt uns zurück nach Maicao schleppen. Bis zur Werkstatt. Dort warten wir eine knappe Stunde und schon wagen wir einen zweiten Anlauf.

Schon nachmittags schwinge ich mich als Sozius auf einem Taximotorrad gen Eingang, den letzten Kilometer in Angriff nehmend und – hab kein Glück. Am Eingang sagt mir die freundliche Frau, ich müsse eine Nummer anrufen. Der nette Mann im Hörer aber sagt: Nein, heute und morgen ist voll, keine Plätze mehr. Es geht also nur mit Führung.

Nach einer ganzen Weile meint ein Motorradfahrer er wüsste, dass in einem Hotel eine Gruppe eingecheckt hat, die morgen eine Führung hat. Also fahren wir wieder los. Im Hotel kann ich mit der Rezeption sogar auf englisch die Herausforderung besprechen. Ihr Anruf ergibt: Sie muss morgen früh nochmal anrufen. Also ruft sie mich morgen früh an, ob noch ein Platz frei wird.

Wohlweißlich bin ich früh genug aufgestanden und schon halb Acht klingelt das Telephon. Ich solle sofort am Eingang erscheinen. Bei der jetzigen Führung sei ein Platz frei. Drei Sachen in den Beutel, Tür zu, zur Straße gerannt, und – ich bin noch nicht mal auf der Straße – da kommt schon ein Motorrad. Ich spring auf, einmal Mineneingang bitte. Tatsächlich bin ich nicht der Letzte. Läuft.

Cerrejón

Kamera an. Alles was spannend ist wird gefilmt. Ich muss ja das Interview noch bebildern. Zuerst warten wir zwischen einen großen Kipplader und anderen kleineren Ausstellungsgegenständen, bis wir in einen größeren Raum geführt werden. Viele Info-Tafeln und Monitore. Wie zum Hohn eine übergroße Tafel mit Wörtern aus der Sprache der Wayuu. Alle Wörter drehen sich um den Kohleabbau. Viele Ausstellungsgegenstände möchten die soziale Seite Cerrejóns betonen. Mir wird klar, dass die Firma Teile ihrer Infrastruktur mit Wayuu-Wörtern schmückt. Seit 1975 gibt es die Grube nun schon und einige Präsidenten Kolumbiens waren zu irgendwelchen Einweihungen da. Obschon Kolumbien kaum Einfluss hat. Alle Fahrzeuge sind in Miniatur ausgestellt. Große Förderbrücken oder Förderkräne wie in deutschen Braunkohle-Tagebaue gibt es allerdings nicht. Dann müssen wir noch alle ein Sicherheitsvideo anschauen, Helme abgreifen und über den Zebrastreifen zum Reisebus gehen.

Durch das große Werksgelände düst der Bus raus auf die Schnellwege, die wegen den übergroßen Kippladern extrem breit sind und eigene kleine Parallelwege haben, die unser Bus nimmt. An einem Aussichtspunkt können wir in die Grube schauen. Ein Führer erzählt parallel viele technische Details. Als einer der Bagger gerade des Weges kommt, wird klar, dass auch diese überdimensioniert sind. Allein die Kipplader sind monströs groß.

Anschließend fährt der Bus noch zu einem anderen Aussichtspunkt, von dem wir die weiten Renaturierungsflächen bewundern sollen. Allerdings entwickelt sich daran, dass Kolumbien nicht so sehr von der Kohleförderung profitiert, eine schnell hitzig werdende Diskussion, die damit beendet wird, dass wir zurück in den Bus gehen. Offensichtlich sind nicht alle mit allem einverstanden.

Carrito

Zurück in Albania packe ich nur schnell die Sachen um nach Bogotá abzuhauen. Erst mit dem Carrito (so nennt sich hier das geteilte Taxi) bis nach Valledupar und dort dann mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Das Internet verrät mir später: Im Februar erst hat ein Indigener wohl einen Anschlag auf die Bahnschiene verübt. Ich kann‘s ihm nachempfinden.