Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.


Dez 17 2018

Deine Augen verbunden, deine Hände gefesselt, du wirst gefoltert und niemand weiß wo du bist …

Córdoba, Argentinien

Von Karl

 

Córdoba ist Argentiniens zweitgrößte Stadt und bekannt für ihre Kultur und Universitäten. Auf dem ersten Blick fallen auch die vielen weißen und gut erhaltenen Gebäude auf. Architekt*innen haben sich bestimmt große Mühe gegeben und deshalb wurde die Front einiger Gebäude auch nochmal im Boden nachgezeichnet, wie eine Art Schatten. Vielleicht damit die Leute die den Boden absuchen, auch die historischen Gebäude finden.

Die Universitäten Córdobas sind landesweit bekannt und verleihen der Stadt den Beinamen „La Docta“, also „die Doktorin“. Viele Gelehrte wohnen und leben hier. Nicht nur einmal habe ich gehört, dass Menschen zum studieren nach Argentinien gehen, weil es dort kostenlos sei. Selbst die Verpflegung in der Kantine alias Mensa ist selbst für arme Argentinier*innen noch sehr günstig. Hunderttausende Studierende bevölkern die Millionen-Metropole.

Als lokale Spezialität werden handgemachte Alfajor angepriesen. Die Leser*innen hier sind aber klüger, denn es gibt sie in ganz Chile und Argentinien. In verschiedenen Varianten. Ganz einfach mit Dulce de Leche zwischen zwei Kekshälften, oder teilweise mit mehreren Schichten und Schokoglasur. Mal abgepackt im Supermarkt, dann wieder in feinen Boxen zum Verschenken oder in speziellen Feinkostläden, die die wohl im Hinterzimmer per Hand machen.

Synagoge Córdoba

Als ich in Córdoba ankomme ist es noch frühs und in dem Hostel kann ich mir noch was vom feinen Frühstück nehmen. Was ich allerdings zum ersten Mal in Argentinien gesehen habe ist Kaffee in Tee-Beuteln. Eigentlich gar nicht so doof.

Nicht ganz so überragend wie in Mendoza, aber auch wunderschön sind die Parks der Stadt. Weitläufig, grün, Teiche, Inseln, Liebespaare, hohe Bäume mit viel Schatten, … Auch gäbe es ein hervorragendes Freibad, wenn es nur Wasser hätte. Eine alte Brücke überspannt das lange Becken.

Auf einem Platz im Zentrum steht eine übergroße gelbe Ente. Daneben werden kleine Badeenten verkauft. Dahinter steht eine soziale Initiative die Essen und Kleidung sammelt und verteilt.

Die soziale Ader kommt auch am Mittwoch zum Tragen. Da sind alle Museen und Gedenkstätten kostenlos. Mal eine Gelegenheit sich moderne Kunst anzutun. Leider muss ich kurz mit dem Kopf schütteln, da die vergangene Fußballweltmeisterschaft schon mit Farbe auf Leinwand gebracht worden ist. Ein großer Raum voll mit Spielern die gegen Bälle treten und darunter die Spielergebnisse.

An manchen Stellen in der Stadt, aber auch schon auf den letzten Stationen meiner Reise bin ich der Forderung begegnet: „Respekt, Freiheit und Wahrheit für Santiago Maldonado“. Wie ich nun herausgefunden habe, handelte es sich um einen Aktivisten aus der Provinz Buenos Aires (nicht der Hauptstadt), der sich dem Kampf der Mapuche verschrieben hatte. Genauso wie in Chile, gibt es, vor allem in Patagonien, noch Gebiete die von ihnen bewohnt werden und die sie gegen die Vertreibung verteidigen. Sie fordern weiterhin die Rückgabe ihrer Gebiete und die Autonomie auf diesen. Doch mit der konservativen Regierung unter Mauricio Macri ist keine Verhandlung in Sicht. Santiago Maldonado beteiligte sich an Protesten in Cushamen (Provinz Chubut), währenddessen Straßenblockaden errichtet wurden. Nach der Auflösung dieser war er tagelang vermisst und dann als Wasserleiche geborgen worden. Es ist unklar warum er gestorben ist. Die Protestbewegung wirft der Polizei den Mord vor.

Mich interessiert noch mehr von der aktuellen Politik und nehme die Gedenkstätte „La Perla“ in meinen Tagesplan. Es stellt sich schnell heraus, dass sie außerhalb der Stadt liegt und ich muss den entsprechenden Bus finden. Im neu errichteten Terminal 2 findet sich auch der entsprechende Bus. Er muss nämlich nach Villa Carlos Paz fahren, einen Nachbarort Córdobas, aber in Malagueño, einem Vorort, halten. Als der Bus dann aber nicht abfährt für Malagueño, zeige ich dem Busfahrer nochmal mein Ticket mit dem Zielort „La Perla“. Er fängt an zu schimpfen und lässt mich auf der Autobahn raus. Ich war einer von drei Fahrgästen und hatte ihm ja beim Einstieg mein Ticket gezeigt. Da es mir immer noch vergönnt ist, das „r“ nicht so auszusprechen, wie es die Einheimischen können, versteht mich leider niemand wenn ich „La Perla“ sage. Mehrmals habe ich z.B. beim Ticketkauf „La Perla“ gesagt, aber es wurde nicht verstanden. Erst als ich es als Gedenkstätte erläutert habe die bei Malagueño liegt, meinten sie „La Perla?“. Da denke ich auch: Was zum Teufel habe ich zehn Mal zu dir gesagt?

Tatsächlich liegt Malagueño südlich der Autobahn und La Perla nördlich, sodass ich jetzt nur noch einen Kilometer zu laufen habe. Eigentlich ist das ganze Gebiet Sperrgebiet, aber hier gibt es einen Weg zur Gedenkstätte. Als erstes passiere ich einen heruntergekommenen Checkpoint und kann mir schon vorstellen, wie hier die Militärfahrzeuge in den 70er Jahren an die Schranke ranfuhren, die sich dann öffnete und salutierend den Laster hinterherschauten.

Zur gleichen Zeit kommt ein älterer Mann in das Gelände und wir erscheinen quasi zeitgleich bei der Rezeption. Die ganze restliche Zeit sehe ich keine weitere Person. Das Areal ist eine ehemalige kleine Kaserne mit Tor, Wachtürmen und verschiedenen Hallen. Ich unterhalte mich mit der jungen Frau, die für uns zuständig zu sein scheint. Während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 sind über 30.000 Menschen verschwunden. Meist Linke oder Menschen denen es unterstellt wurde. Sie wurden tagelang gefoltert und ermordet. Ohne dass es Aufzeichnungen gibt. Deswegen wird die Methode „verschwinden lassen“ genannt. Es war brutaler Staatsterror, der noch aufgearbeitet wird. Die Familien wissen oft bis heute nicht, was mit ihren Angehörigen passiert ist. Ob sie vielleicht ins Exil gegangen sind, Glück hatten und überlebten oder einfach per Flugzeug über dem Atlantik rausgeworfen worden. Das faschistische Regime hat seine Methoden unter anderem von der „Schule der Amerikas“ in Panama, den französischen Doktrin, die entwickelt wurden um die Aufständigen in Algerien niederzuschlagen, und den Erfahrungen der eingewanderten deutschen Nazis im Rahmen des Holocaust.

Ich beginne meinen Rundgang und beginne zu begreifen. Für viele ist die Suche nach ihren Angehörigen schwerlich. Kunstwerke in der ehemaligen Fahrzeughalle zeugen von ihren Willen und Hoffnungen auf Frieden. In anderen Räumen, die als Auswahl oder Folterkammern genutzt wurden, hängen Steckbriefe der Täter. Viele sind unbestraft davon gekommen. Die heutigen Rechten und Sympathisant*innen der Militärdiktatur versuchen immer wieder die Ereignisse zu relativieren. Irgendwie kommt mir das bekannt vor.

die Täter, viele unbestraft

Gezeigt wird auch der Kampf der „Mütter vom Platz des Mais“. Der Platz des Mais oder Mai-Platz ist der zentrale Platz in Buenos Aires und noch während der Diktatur begannen sie für Aufklärung zu demonstrieren. Sie trugen alle weiße Kopftücher und dieses wurde zum Symbol. Noch heute gibt es in allen Städten weiße Kopftuch-Graffiti auf den Gehwegen. Noch heute wird demonstriert. Da auch einige schwangere Frauen verschwunden sind, gibt es nun auch die Bewegung der „Großmütter vom Platz des Mais“, die wissen wollen wo ihre Enkel*innen abgeblieben sind. Die Militärs sollen die Neugeborenen an regimetreue Familien abgegeben haben. So mancher Mensch in Argentinien, der vielleicht 50 Jahre alt ist, ist womöglich kein Kind seiner Eltern. Bei Vermutungen können kostenlos Tests gemacht werden.

In La Perla ist auch der Raum zu besichtigen in denen die Gefangenen eingesperrt waren. Wie in alten Kasernen-Zeiten waren Doppel-Stock-Metall-Betten in unzähligen Reihen aufgestellt. Die Demütigung ging bis zum Stuhlgang und Duschen. Mit grausamer Freude wurden die Gefangenen gefoltert und entwürdigt. Berühmtestes deutsches Opfer ist Elisabeth Käsemann, die nach mehreren Tagen Folter getötet wurde. Unter anderem wegen ihr gab es dann auch Gerichtsverfahren in Deutschland, aber Argentinien hat die Täter nicht ausgeliefert.

Das Museum stellt die Ereignisse auch mit dem „Plan Condor“ der USA in Verbindung. Dabei handelt es sich um direkte Unterstützung und Intervention der USA in Lateinamerika von anti-kommunistischen Regierungen, Parteien, Milizen, Bewegungen, etc. Sie behaupteten, wenn ein Land sich dem Ostblock anschließen würde, dann fallen alle anderen Länder wie im Domino (Domino-Theorie). Deswegen wurde mit aller Macht versucht dies in allen Ländern Amerikas zu verhindern. Somit war die USA auch Freund des argentinischen faschistischen Militärregimes.

Besonders einprägend im Museum war ein Buch mit Zeichnungen eines ehemaligen Häftlings. Es sind Menschen zu sehen die mit verbundenen Augen auf dem Boden liegen. Wächter die mit Schlagstöcken unterwegs sind. Brutale Foltermethoden. Foltermethoden Made in Europe.

Ich bin schwer beeindruckt und noch in Gedanken versunken, als ich die Autobahn zu Fuß überquere um in Malagueño einen Bus zurück nach Córdoba zu finden.

Dort angekommen sehe ich in einer Nebenstraße des Hauptplatzes, dass hunderte Bilder aufgehängt worden sind. Bilder von Angehörigen, die vermisst werden. Quer über den Weg, von einer zu anderen Seite. Es hat Argentinien noch lange nicht losgelassen. Ein bisschen ist Argentinien Gefangene der eigenen Geschichte. Immer noch halten einige die Augen geschlossen, sind unfähig etwas zu unternehmen, viele tragen das tiefe Leid in sich und wissen nicht wo sie suchen sollen.


Nov 19 2018

Wein und Smog

Von Karl

 

Die Wiese ist noch niedrig und gepflegt. Wenige Bäume schmücken sie. Ein paar Sofas stehen unter den größeren ausladenden Bäumen. Noch sind sie abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikplane, die durch das Morgentau noch ganz weiß ist. Hinter manchen niedrigen Büschen spielen Wasserstrahlen, künstlich in die Luft geworfen, einen Bogen. Hinter dem kleinen Weg befindet sich ein weitläufiges Weinfeld. Brusthoch erstrecken sich in Reih und Glied tausende kleine Pflanzen. Mit Bändern gezwungen einen besonderen Weg zu klettern.

Auch ein kleiner Erklär-Garten ist angelegt. Zu jeder Weinsorte drei oder vier Pflanzen. Durch Bäume verdeckt stehen bauchig große Betontanks. Bauglötzer von Riesen. Bestimmt passt ein kleines Einfamilienhaus in sie hinein. Mehrere stehen davon da und an ihnen schließen sich kleine Holzfässer an, ja Fässchen im Vergleich dazu, aber im Reellen könnt auch ich die nicht umschlingen.

Kein Wind geht, trotzdem schaukelt die lackierte Europalette. Ich sitze drauf und selbst ist sie an zwei Bäumen festgemacht. Nur vorsichtig trauen wir uns zu schaukeln, denn der Sekt darf nicht umfallen. Sekt, der hier nebenan angebaut wird. Ich muss kurz an die vielen Sektflaschen an meiner ehemaligen Arbeitsstelle denken. Zurück: Ein Genuss, auch wenn wir keine Kenner*innen sind. Das Ambiente lässt es gleich drei Mal so geil schmecken. Dazu: Käse. Vier Sorten, einer feiner als der andere, serviert auf kleinen Salzkeksen. Das Picknick-Angebot von „Undurraga“ steht allen offen, doch wir sind die einzigen, die gerade hier ihr Mittag verbringen. Noch eine paar Nüsse und Rosinen dazu. Ein Picknick auf dem Hof der*s Winzer*in, zwischen Fässern und Weinreben. Welch Traum.

Dafür sind wir nicht weit weg von einer Großstadt. Von Santiago aus, keine Stunde. Santiago ist Chiles Hauptstadt und mit Abstand die Größte. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in ihr. Im gesamten Tal sogar 80 Prozent. Alles gibt es und passierte hier. Dadurch ist die 7-Millionen-Metropole auch sehr groß und weitläufig, aber doch irgendwie weniger chaotisch. Ihre Herzschlagader ist die Alameda, die Ost-West-Achse, was aber nicht der wirkliche Name der Straße ist. Aber überall wird sie so genannt. Unter ihr befindet sich die Linie 1 der Metro. Zu Stoßzeiten quetschend gefüllt, ist sie doch sonst sehr erträglich. Sie fahren übrigens nicht auf Schienen, denn wer genau hinsieht, wird die Räder entdecken. Ein knappes Dutzend Linien gibt es. Doch sie nützen der Luft nix, denn Santiago hat einen endlosen Smog. Von allen Seiten Bergen, ist ein Tag in Santiago wie acht Zigaretten rauchen, erfahren wir bei einer Stadtführung. Von einem Hügel mit einer Marien-Statue aus, mitten im Zentrum, lässt sich die Stadt gut überblicken, wenn nicht in bestimmter Entfernung der Smog zu dick wird. Zum Berg führt sowohl eine Drahtseilbahn, als auch eine Kabinen-Seilbahn. Letztere hat den deutlich schöneren Ausblick über die Stadt und das bisschen Grün im Zentrum.

Smog über der Stadt

Dadurch ist die Stadt auch von Ost nach West in Arm und Reich geteilt. Auf den höheren Lagen am Fuße der Anden befinden sich die stromumzäunten und von Zähne fletschenden Kötern bewachten Villen. Im Wellblech-Westen dagegen sind sie nicht mehr auszumachen. Die Anden, mit ihren weißen Gebirgszügen. Etwas nordöstlich Santiagos befindet sich auch der höchste Berg der Anden und damit die höchste Erhebung Südamerikas und der Südhalbkugel und außerhalb Asiens. Der Aconcagua mit seinen knapp 7000 Metern, wird sogar von manchem Flugkapitän rechtzeitig angesagt.

Die Stadt ist nie leise oder still und als politisches Zentrum in Aufruhr. Es gibt unzählige Unis und ein Monat kann umgerechnet 800 US-Dollar kosten. Das führt seit einiger Zeit zu Protesten und als wir in der Stadt wahren, überfallen uns schlagartig hunderte Jugendliche. Als wenn sie gejagt werden rennen die meist schwarz gekleideten Jugendlichen zur Alameda. Kurz warten sie die Grünphase ab und schon stehen sie auf der Straße und blockieren die Hauptverkehrsachse. Skandieren und Springen. Sie fordern ein Recht auf kostenfreie Bildung.

Dann erscheinen auch schon die Jäger*innen. In Grün erscheinen die Carabineros, unter der Hand auch Pacos genannt. Die chilenische Polizei. Es gibt noch die PDI, aber die trägt keine Uniform und ist für komplizierte Straftaten zuständig. Sie rennen den Jugendlichen hinterher, die nun aber schon drei Ecken weiter sind. Ein Wasserwerfer versucht mit Vollgas noch welche zu erwischen. Das verfärbte Wasser soll die Täter*innen später identifizieren. Ich denke manche haben Wechselklamotten dabei.

Später ist die Alameda frei von Autoverkehr, aber die Sprint-Beteiligten scheinen anderswo unterwegs zu sein. Nur manchmal steht ein Dutzend Pacos an einer Straßenecke und wartet.

Wir ziehen weiter durch die Straßen und gelangen zur Moneda. Dem wohl geschichtsträchtigsten Haus Chiles. Hier wurde am 11. September 1973 Salvador Allende geputscht. Die ehemalige Münzprägeanstalt war damals Präsidentenpalast und ist heute ein Kulturhaus. Gerade gibt es Ausstellungen zu Wale an Chiles Küste, Handwerkskunst und eine Messe mit tierfreundlichen Produkte.

La Moneda

Pinochet war damals Oberbefehlshaber und hat die Macht übernommen, alle Kommunikationswege abgeschnitten und die Moneda bombadiert. Kampfflugzeuge, Soldaten auf jedem Dach und Panzer auf dem Platz davor. In der ausweglosen Lage hat Allende Selbstmord begangen. In einer Seitenstraße ist auch dem Kammermann Leonardo Henrichsen gedacht, der wichtige Aufnahmen an dem Tag machte, aber dann von Soldaten erschossen wurde. Ein brutales Regime insbesondere für Linke entstand an dem Tag.

Apropos Linke: Ich kann nicht mehr sagen, wie wir darauf kamen, aber es kam uns ulkig vor, wenn wir mal an Honeckers Grab gestanden hätten. Ja, ihr habt richtig gelesen, Erich Honecker, Ex-Generalsekretär, ist in Santiago begraben. Nur wo genau, dass ist ein Rätsel. Vielleicht hat er auch kein Grabstein. Wir waren offenkundig nicht die ersten, die danach fragten, denn auf dem riesigen Zentralfriedhof liegen tausende und sie konnten sofort erklären was los ist, als ich „deutscher Ex-Präsident“ sagte. Er sei beim Krematorium, Patio 83. Dort wurde er offensichtlich verbrannt, aber einen Grabstein finden wir nicht. Eine nette Friedhofsarbeiterin gibt uns dann noch ein anderes Planquadrat als Tipp, aber auch dort finden wir keinen passenden Grabstein. Aber es gibt auch hunderte, sodass es ein mühseliges Unterfangen ist. Ruhe gut Genosse, wir haben‘s versucht.

Es liegen noch unzählige andere wichtige chilenische Persönlichkeiten auf dem selben Friedhof. So ist Allendes Monument deutlich einfacher zu finden. Wir hoffen in Santiago etwas mehr auch über die 17jährige Diktatur, die an Allendes Tod sich anschloss. In der Londres 38 findet sich ein Haus, des ehemaligen Geheimdienstes, wo Gegner*innen Pinochets gefoltert und verhört wurden. Erklärt wird aber sonst nicht so viel. Etwas weiter im Westen dagegen gibt es ein größeres Museum, das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, welches sich ausführlicher mit dem 11.September ’73 beschäftigt und den Opfern. Es ist nicht sehr ausführlich, aber umfassend. So war der Druck 1990 so groß für Pinochet, dass er eine Volksabstimmung abhielten ließ, wo für eine freie Wahl plädiert worden ist. So war Pinochet weg von der Macht, hatte aber durch eine geschickte Verfassungsreform im Vorfeld sich geschützt und ist bis zu seinem Tod nie in ein Gefängnis gewandert.

Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur

In dem Museum erfährt man auch, dass dreißig Länder u.a. Deutschland und Chile in ihrer Geschichte Wahrheitskommissionen eingesetzt haben. Beide Länder verbinden auch Solidaritätsschreiben, z.B. der Falken an die Allende-Unterstützer*innen. Im obersten Stockwerk ist eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich den Indigenen Chiles widmet. Es geht um Rassismus und Geschichte. Gab es mal ein größere Fülle an verschiedenen Gruppen, so ist der Vernichtung durch die Konquistadoren und der Chilen*innen lediglich eine übrig geblieben. Die Mapuche. Sie gelten als besonders streitig, und haben seit dem ersten Zusammentreffen ihr Gebiet auch mit Gewalt verteidigt, was ihnen aber schlussendlich kaum gelang. Noch heute gibt es darum stärkere Auseinandersetzungen. Im Hof des Museums steht ein Haus der Mapuche.

Mapuche-Monument auf dem Plaza de Armas

Fans von Allende können auch in das Solidaritätsmuseum gehen, wo es zwei Räume zu seinen Verdienst gibt, aber ansonsten eher viel die Stadtteilarbeit des Museums vorgestellt wird, beziehungsweise die Einsendungen solidarischer Künstler*innen ausgestellt werden.

Neben der Museumslandschaft gehört auch der Umgang mit den Hunden zu den Kuriositäten. Die Straßenköter, die an jeder Ecke sind und einen gerne auch unangenehm hinterherlaufen oder anbellen können, werden von den Santiagoer*innen geschätzt. Sie werden gefüttert, gestreichelt und geliebkost. Manche ziehen ihnen vor dem Winter auch eine Art Pullover an. In öffentlichen Plätzen wurden extra kleine Hundehütten aufgebaut.

öffentliche Hundehäuschen

Und wer sonst keine Hoffnung hat: An jedem Lichtmast hängt die Nummer von der Tarot-Kartenlegerin. Sie hilft bei allen erdenklichen Gründen.

Echtes Glück verspricht dagegen Fast Food. Das Schnelle Essen oder auf Spanisch „Comida Rapida“, ist weit verbreitet und so geläufig wie in keinem anderen Land, in dem ich schon mal war. Typische Mahlzeit: Ein Completo. Das ist ein Hotdog, also Weißbrot mit Würstchen, dazu ggf. Sauerkraut, viel Avocado-Creme und Mayonnaise. Hamburger sind auch verbreitet, generell viel Fleisch und immer auch Pommes dazu. Typisch sind wohl auch die Sandwichs, die sich aber von einer Burger-Mahlzeit kaum unterscheiden.

Completo

Doch wo kann am besten Fast Food geschlemmt werden? Na am besten in einem der vielen Einkaufszentren. Südamerikas größte Shopping Mall und größtes Gebäude mit angeschlossen, steht im Ostteil und nennt sich „Costanera Norte“. Sie ist auch Gegenstand von Diskussionen, beispielsweise wegen vielen Selbstmorde durch Sprung aus dem achten Stock. Als wir vor Ort waren, war es eher beeindruckend wie viele Menschen gerade hier unterwegs sind. Die Essensbereiche sind übervoll und es gibt kaum Plätze. An den Fast Food Theken wird angestanden.

Valparaiso

Es gibt verschiedene Ausflugsziele, die von Santiago aus erreicht werden können. Eines ist mit Valparaiso auch ein besonders gelobtes. Es steht in jedem Reiseführer. Doch nun wollen wir es auch wissen. Direkt gegenüber vom Busbahnhof fällt einem der riesige Kasten ins Auge. Ein überdimensioniertes Monument. Der Kongress. Mag zwar Santiago die Hauptstadt sein, das Parlament versammelt sich in Valparaiso. Die Straßen sind schnöde und es ist etwas günstiger als im Zentrum der Hauptstadt. Rechts das Wasser, was aber oft nicht sichtbar wird oder mensch klettert links den Berg hinauf. Viele Straßen und manche Drahtseilbahn führt hinauf, ist es aber auf Grund der Kürze kaum Wert bezahlt zu werden. Die versprochenen bunten Häuser sind nicht ganz so farbenprächtig, aber mit dem Instagram-Filter geht‘s bestimmt.

der chilenische Kongress

Lohnenswert ist die Avenida Alemania entlang zu schlendern. Sie fällt nach Norden hin nur leicht ab und hat damit keine belastenden Berge. Gleichzeitig eröffnen sich einem ständig neue Ausblicke auf den Hafen, das Meer oder gar Viña del Mar. Nach wenigen Stunden haben wir aber alles gesehen und sind rechtzeitig wieder zurück in Santiago.

Ach und übrigens: wir haben auch den dortigen Wein getrunken, als wir auf dem Hof dekadent den Weinreben beim Wachsen zugeschaut haben …

PS.: Santiago de Chile liegt direkt in der Mitte des langgestreckten Landes: