Jul 7 2018

Vom Paradies gefangen

von Rosa

Eine lange Straße führt über Serpentinen bis zur Spitze der Steilküste. Der Reiseführer schreibt: es fällt schwer sich von diesem Ort wieder zu trennen. Nun steht so einiges Malerisches in Reiseliteratur, aber auch uns wird der Abschied nicht leicht fallen.

Doch noch liegt alles vor uns. Wir biegen um die letzte Kurve und ich schaue aus dem Fenster des alten Busses. Ich sehe eine breit gestreckte Bucht und eine kleine Häuseransammlung. Vor der Küste liegen zahlreiche Fischerboote, die sich mit den Wellen auf- und absenken als wären sie mit ihnen verwachsen. Vor den ersten Häusern steht ein Schild: Willkommen in Puerto López!

Wir brauchen nicht lange um unsere Unterkunft zu finden. Diesmal sind wir in einem richtigen Backpacker-Hostel gelandet. Doch es scheinen nicht viele von ihnen da zu sein. Unser Zimmer befindet sich auf dem Dach und wir können eine große Terrasse für uns nutzen Die erste Erkundungstour durch den Ort führt vorbei an Hostels und Geschäften. Als es nicht mehr weiter geht, biegen wir Richtung Strand ab. Immer deutlicher ist das Meer erkennbar. Bis wir vor Palmen, Sand, Strandhüten und dem Pazifik stehen und einen Moment innehalten.

So muss das Paradies aussehen. Schnell sind die Schuhe ausgezogen. Die Schritte werden immer schneller bis das Meer die Füße umspült. Seevögel fliegen tief über die Wellen und stürzen sich wie Pfeile in die Fluten um wenig später mit einem Fisch im Maul wieder aufzutauchen. Andere versuchen etwas aus den großen Körben der Fischer zu ergattern, die ihren Fang vom Boot zum Strand transportieren. Immer mehr Vögel werden es. Die Fischer haben Mühe die Angreifer mit Holzstöcken auf Distanz zu halten. Meine Augen versuchen alle Eindrücke auf einmal aufzunehmen. In mir steigt das Glücksgefühl hier zu sein.

In einem Café direkt am Strand haben wir den besten Blick aufs Meer umrahmt von Palmen. In der einen Hand den Kaffee, in der anderen Hand unser Smartphone um die ersten Eindrücke nach Europa zu senden. Jetzt fühlt es sich nach Urlaub an.

Am Abend sitzen wir mit einer Flasche Wein am Strand. Ins Dunkel blinken bunte Lichter der Strandbars. Eine nach der anderen reiht sich im Zentrum des Ortes aneinander. Es läuft Salsa, Raggaeton oder Elektro. Nur die Besucher fehlen und so blicken sich die Besitzer nach allen möglichen Gästen um. Man ist hier auf Touristen eingestellt. Nur ist der Ort schneller gewachsen, als sich der Geheimtipp bei den Touristen rumgesprochen hat. Unser Glück.

Da uns Puerto López so gut gefällt, wollen wir ein paar Tage bleiben. Nun suchen wir eine Unterkunft, die unser Budget weniger belastet. Etwas entfernter vom Strand auf einer Anhöhe werden wir fündig. Ich begrüße die Besitzerin des Hostels mit den Worten: „Wir suchen eine preisgünstige Unterkunft“. Sie lacht und fragt „Wie viel wir uns denn vorgestellt hätten“. „Zehn Dollar für beide“ sage ich. Nun lacht auch ihr Mann. Es geht eine Weile hin und her. Dann erklärt sie uns, dass das Zimmer normalerweise 35 Dollar kostet, sie aber gerne hilft. Wenn wir es nicht weitersagen das Zimmer ausnahmsweise für den vorgeschlagen Preis bekommen könnten. Jackpot. Wir können die Küche mitbenutzen und auf dem Dach befindet sich eine große Terrasse mit Hängematten und Blick aufs Meer. Bei den Händlern auf der Straße und im Supermarkt um die Ecke decken wir uns mit frischem Gemüse und Obst ein. So sitzen wir am Abend auf der Dachterrasse, verspeisen unsere Gemüsepfanne mit Kochbananen und lassen uns von einer Meeresbrise abkühlen.

Am nächsten Morgen klingelt der Wecker zeitig. Wir wollen bei der Kulisse am Strand joggen. Mein Plan barfuß zu laufen, stellt sich allerdings als nicht so glücklich heraus. Nach einer Weile fühlt sich der Sand nicht mehr weich an, sondern eher wie Sandpapier. Am Ende der Tour habe ich zwei große Blasen an den Füßen. Nicht alles was in der Werbung gut aussieht, fühlt sich auch so an. Wer hätte das gedacht. Den Rest des Tages verbringe ich lieber liegend am Strand.

Natürlich zieht so eine Kulisse auch die Selbstdarsteller und Instagramfreunde an. Eine schwangere Frau präsentiert ihren Babybauch vor einer Palme. Daneben wackelt eine Teenagerin mit ihrem Hinterteil. Angefeuert von ihrer Freundin, die die kleine Showeinlage filmt. Ganz vorne am Meer ein verliebtes Pärchen auf der Picknickdecke, die Probleme haben sich, ihre Biergläser und das Fischerboot auf ein Bild zu bekommen. Alles für die Clicks, Likes und das Gefühl wirklich da gewesen zu sein. Kurz vor Sonnenuntergang zeigt sich die Sonne selbst nochmal. Der rote Feuerball verfärbt die Wolken rosa und taucht dann langsam in den tiefblauen Ozean ein. Die alten Fischerboote ruhen müde am Strand. Es ist schon fast zu perfekt, um es nicht für den Abspann aus eienem Rosamunde-Pilcher-Film zu halten. Ehe ich mich versehe, klickt der Auslöser meines Smartphones.

Die Tage am Strand kommen und gehen.

Meine Füße sind zwar noch im Streik, aber heute wird gewandert. Auch um den Nationalpark Machalilla zu besuchen, sind wir nach Puerto López gekommen. Es ist der einzige Nationalpark Ecuadors, der an der Küste liegt und soll einen der schönsten Strände des Landes beherbergen. Viele der Besucher nutzen das Auto um direkt zum Strand zu kommen. Wir entscheiden uns für den vier Kilometer langen Wanderweg. Entlang des schmalen Pfades wachsen Kakteen. Ansonsten Bäume und dichte Sträucher, die aber eher vertrocknet als lebendig sind. Der Weg ist gut ausgeschildert und wir gelangen zu einem Aussichtspunkt. Von dort haben wir einen spektakulären Ausblick auf die Steilküste, eine einsame Insel, die wie ein kleiner Berg aus Wasser ragt und die Stadt Machalilla. Ein paar hundert Meter bergab steht ein weiteres Hinweisschild zum Strand der Krabben. Wir werden nicht enttäuscht. Am menschenleeren Strand tanzen die Krabben über den Sand. Wenn wir uns ihnen nähern wollen, flitzen sie blitzschnell über den Sand in ihre kleinen Höhlen. Eine Weile genießen wir die Wellen und das Krabbenballet. Das Wetter ist trüb, die Sonne brennt nicht auf der Haut und die Lichtstimmung passt wunderbar zu den wild brandenden Wellen. Am Ende des Pfades blicken wir auf den Strand Los Frailes. Die Bucht, wie ein Halbmond geformt, mit hellem fast weißem Sand nutzen vor allem die Einheimischen um hier zu baden. Wir entscheiden unser heimischer Strand reicht uns auch vollkommen aus und wandern weiter zu einem anderen Eingang des Nationalparks.

In Agua Blanca können wir unsere zweite Wanderung starten. Im kleinen Museum erfahren wir mehr über antike Funde im Dorf. Im Nationalpark sollen Brüllaffen und Ameisenbären wohnen. Wir begegnen ihnen heute nicht. Dafür ein paar Hängebauchschweinen. Die Wanderung führt durch ein fast ausgetrocknetes Flussbett, vorbei an einem über 100-Jährigen Kaktusbaum und zahlreichen Termitennestern, die in den Bäumen hängen, bis zur Hauptattraktion: einer schwefelhaltigen Lagune. Das Baden soll angeblich gesund machen und der Schlamm heilende Kräfte haben. Als wir an dem natürlichen Swimmingpool ankommen, hocken am Rand menschliche Moormonster. Auch wir machen den Spaß mit und schmieren uns die Paste auf Gesicht und Körper. Das grüne Wasser riecht nach faulen Eiern. Ganz nach dem Motto wer schön sein will muss leiden, springen wir ins Wasser. Eine Veränderung nach der Gesundheitskur konnten wir übrigens nicht bemerken.

Von einem Aussichtspunkt eröffnet sich uns ein beeindruckender Blick über das grüne Meer des Machalilla Nachtionalparks. Wir können eine deutliche Grenze zwischen den tiefgrünen Bäumen rund um den Fluss und den hellgrünen höhergelegenen trockenen Sträuchern erkennen. Nach fünf Kilometern erreichen wir wieder den Eingang des Nationalparks. Nicht einmal eine Minute sitze ich auf einem Baumstamm am Straßenrand, um meine Füße auszuruhen, da sehen wir auch schon einen Bus in der Ferne. Wie wir es oft beobachtet haben, halten wir unseren Arm Richtung Straße. Mit einer Staubwolke kommt der Bus zum Stehen und bringt uns für 50 Cent wieder zurück nach Puerto López.

Die Wolken wollen nicht mehr so richtig verschwinden von unserem Paradiesstrand. Der Freude am Schwimmen im Pazifik tut das keinen Abbruch. Einige Meter von mir entfernt springt ein Fisch kerzengerade aus dem Wasser, ein zweites und drittes Mal hüpft er nach oben. Dann verschwindet er vor den hungrigen Vögeln. So wie wir von diesem Ort, bevor er uns gefangen nimmt. Noch einmal lasse ich mich von den Wellen umwerfen und tauche wieder auf. Das Salz brennt auf der Haut. Die Fischer ziehen ihre Boote zum Strand. Der letzte Schluck Kaffee vor meinem Fenster ins Paradies. Nelly Furtado singt „Why does all good things come to an end“. Weil sie sonst nicht mehr so schön wären.