Nov 11 2018

Kupfer-Stadt

Von Karl

 

Ein ungeheuerlich großes graues Loch eröffnet sich vor mir. Über vier Kilometer breit und über ein Kilometer tief erstreckt sich ein Schlund in Form eines gestuften Trichters. Grauer Nebel hängt in der Grube. An den Rändern sind scheinbar willkürlich Wege angebracht die im Zickzack oder rund um den Trichter sich in die Höhe schrauben. Hellgraue Wege auf dunkelgrauen Boden. Wind in der Grube trägt immer eine Wolke grauen Nebels mit sich. Staub. Die oberen Ränder gehen in ein Gebirge über. Ein ganz normales bergiges Gelände, dass so sonst nicht beachtenswert ist. Trocken und steinig.

Wo ich hier stehe ist die Aussichtsplattform vor einem der größten Kupfer-Bergwerke der Welt. Im Tagebau baut hier die staatliche Kupfer-Firma CODELCO Tonnen an Kupfer ab. Das Kupfer liegt natürlich nicht einfach so rum, sondern ist nur 1,5% des Gesteins, sodass Tonnen an Erde abgebaggert und verladen werden. Der Bagger sieht von meiner Plattform sehr klein aus, doch neben der Aussichtsplattform steht ein weiterer und seine imposante Größe verrät, dass der aktive Bagger einfach sehr weit weg ist. Den Reisebus überragt der Bagger um ein Vielfaches.

Auch die LKWs sind riesig und entsprechen denen von Cerrejon in Kolumbien. Hinter uns passieren alle paar Minuten weitere dieser monströsen Fahrzeuge, vollgeladen mit Abraum aus dem Tagebau. Gemäß der Förderleistung ist Chuquicamata das zweitgrößte Kupferbergwerk der Welt. In der Region gibt es noch ein weiteres, welches noch größer ist. Der Kupferbergbau ist seit längerem das wichtigste chilenische Exportgut. Wir schauen also auch in die Herzkammer der chilenischen Wirtschaft, denn steigende und fallende Kupferpreise beeinflussen Chile umgehend. Seit dem China verstärkt Kupfer kauft, profitiert Chile insbesondere.

Geschichte Chiles

In Chile sind private Firmen im Geschäft tätig, aber auch die staatliche CODELCO, die ins Leben trat als der Sozialist Salvador Allende an die Macht kam und anfing Schlüsselindustrien zu verstaatlichen. Chuquicamata war vormals eine US-Amerikanische Firma. Die rechte Diktatur nach Allende hat vieles Rückgängig gemacht, aber eben nicht alles. So dass es CODELCO heute noch gibt.

Salvador Allende ist in den 1970er berühmt geworden, weil er als Sozialist an die Macht gewählt wurde und den „südamerikanischen Dritten Weg“ präferierte. Er begann schnell mit der Planwirtschaft. Viele Firmen aus dem globalen Norden verloren ihre chilenischen Töchter. Das gefiel im Kalten Krieg u.a. den USA nicht und so begannen sie starken Einfluss zu nehmen. 1973 endete die Auseinandersetzung im Lande mit dem Putsch der Armee gegen Allende. Der begang dabei Suizid. Diktator war nun der General Pinochet, der sein Land nun neoliberal umgestaltete. Chilenische Wirtschaftswissenschaftler, die sogenannten Chicago Boys, begannen mit neoliberalen Reformen, die aber schlussendlich nicht den erwünschten wirtschaftlichen Erfolg erzielten. Unter der Diktatur Pinochets wurden Linke verfolgt, verschwanden, gefoltert oder flüchteten ins Ausland.

1990 lies Pinochet dann abstimmen und da sich die Mehrheit für eine Demokratie aussprach, kam es zu ersten Wahlen. Er hatte aber die Verfassung schon so verändert, dass er selbst bis zu seinem Tode nichts zu befürchten hatte. Noch heute ist das Land in Befürworter*innen und Gegner*innen von Pinochet bzw. Allende gespalten.

Geisterstadt

Neben der Grube gibt es noch weitläufige Anlagen zur Kupferverarbeitung und weiterer Gesteine, die mit gefördert werden. In Chuquicamata arbeiten auch tausende Menschen, die bis 2004 im benachbarten gleichnamigen Örtchen gewohnt haben. Sie verdienen extrem gut. 9000 US-Dollar im Monat wurde uns mal gesagt. Dabei wurden ihnen noch Wohnung und einiges mehr gestellt. Dafür dass Chuquicamata nicht mehr bewohnt wird gibt es zwei Gründe: Die Staubbelastung durch die Mine ist zu stark, sodass die Siedlung geschlossen wurde. und unter Chuqicamata liegt Kupfer, dass CODELCO abbauen möchte. Wir werden von einer betriebseigenen Tour auch in das Dorf geführt, was an seinem Rande schon verschüttet wird. Die Geisterstadt wäre optimal für ein Western-Film, da noch alles so steht, wie vor wenigen Jahren verlassen. Nur ganz wenige Häuser werden als Büros genutzt. Neue Zäune versperren die Zugänge und passen so nicht in das Bild der Geisterstadt. Es gab ein Theater, ein Veranstaltungshaus und ein Stadion, nur halt ohne Gras.

Der Abraum frisst die Geisterstadt

Chuquicamata liegt in der Atacama-Wüste, wie schon Arica, und hat praktisch nie Niederschlag. In der Grube fahren Fahrzeuge die den Weg benetzen um den Staub etwas zu binden. Deswegen gibt es auch weit und breit keine natürliche Vegetation. Außer es kommt durch den El Niño ausnahmsweise doch zum Erblühen der Wüste. Das kurze Phänomen soll aber nur alle sechs bis zehn Jahre stattfinden.

Umso interessanter ist da der Hauptplatz der Geisterstadt. Hier gibt es noch die grünen Bäume und Wiesen in der Mitte. Dass sie grün sind, verdanken sie, der ständigen Bewässerung. Wir glauben unseren Augen erst nicht, aber als wir dann den Arbeiter und den Tanklaster mit der Aufschrift „Trinkwasser“ sehen, müssen wir es glauben: In der Geisterstadt wird der zentrale Platz weiter bewässert. Nix ungewöhnliches an solch trockenen Orten, aber wenn hier doch keiner lebt?

Trinkwasser für einen Platz in der Geisterstadt

Calama

Die Menschen die hier arbeiten leben und wohnen mittlerweile im wenige Kilometer entfernten Calama. Einer Kleinstadt und Verkehrsknoten in der Wüste. Auch hier ist der Kupferreichtum angekommen, sodass schwerlich Unterkünfte zu finden sind. Die Firmen zahlen den Arbeiter*innen oft die Unterkunft, sodass die Preise verdorben sind. Die Stadt wächst und es entstehen moderne Mehrgeschosser. Fast jede*r soll hier irgendwie mit dem Bergbau verbunden sein. Etwas besonderes gibt es in der Stadt aber sonst nicht.

Calama

Auch die Schattenseiten der Arbeiter*innen-Kolonnen werden uns nicht verschwiegen. Nicht wenige sollen dem Alkoholismus anheim gefallen sein und einige Kneipen bieten neben Bier auch Prostitution im Hinterzimmer.

Berlines

Wir entdecken später in der Bäckerei „Berlines“. Deutsche Einwanderung hat seine Spuren in Chile gelassen und so ist Bier trinken und Kuchen essen weit verbreitet. Deutsche Namen und Begriffe kommen uns hier immer wieder unter.

Ein weiteres neues Phänomen entdecken wir: In vielen der bereisten Länder sind Kleinbusse auf festen Routen mit Schilder ihrer Route normal. Dass diese aber mit Taxis kombiniert werden, ist neu. In Chile aber üblich, dass viele Taxen auf unzähligen Routen durch die Stadt fahren. Meist erst, wenn sie voll sind oder zumindest die meisten Plätze besetzt sind.

Zug mit Kupfer-Platten in Calama

Kurz vor Ende unseres Aufenthalts in Calama schließt sich der Kreis und ein Zug mit dem Exportgut in Reinform rollt an uns vorbei. Endlos lang liegen zig Kupferplatten für die Weiterverarbeitung auf den Waggons und fahren in die beginnende Nacht.