Sep 28 2018

Von Superhelden, dem Teufel und Schlümpfen

von Rosa

Der Kranke

Was will man auf jeden Fall nicht, wenn man auf Reisen ist? Richtig, krank werden. Doch, da sich das Leben des öfteren den Spaß macht Pläne durcheinander zu bringen, passieren eben auch solche Unannehmlichkeiten. Als ich meinen ehemaligen Mitbewohner Ronny in Quito treffe, sieht er müde aus. Das ist auch kein Wunder nach über 18 Stunden Flug. Am nächsten Tag fühlt er sich noch schlechter. Kopf- und Gliederschmerzen, erhöhte Temperatur und Bettschwere. Hinzu kommt, Ronny hat sich vor einer Woche fünf Zeckenstiche in Bayern eingefangen. Da sitzt die Angst vor einer Borreliose im Nacken. Also doch lieber auf Nummer sicher und zum Arzt.

Unter der Neonröhre tropft ein Medikament aus dem Schlauch, das wir beide noch nie gehört haben. Wikipedia hilft und verrät, dass es in den meisten Industrieländern nicht mehr verwendet wird, aber wohl unbedenklich sei. Die behandelnde Ärztin hat einen mit Superhelden bedruckten Kittel an. Von allen Krankenhäusern in Quito wurde uns das Metropolitano empfohlen. Als einziges mit englischsprachigen Ärzten. Englischsprachige Ärzte heißt aber nicht automatisch englischsprachiges Personal. Der Krankenhausvertrag ist für mein Spanisch etwas zu viel. Also alles Übersetzen oder Augen zu und durch. Ronny schließt die Augen. Er ist müde. Es wird Blut abgenommen, Fragebögen ausgefüllt, nach Symptomen mehr schlecht als recht gefragt und dann sind erst mal alle weg. Das erste Urlaubsfoto wird nicht der Blick über Quito in der Abendsonne, sondern der Kranke am Tropf und im Nachthemd im Neonröhrenschein. Nach einer Stunde ist die Ärztin wieder da und die Bluttests auch: Alles im grünen Bereich. Die Superhelden-Ärztin verschreibt Paracetamol und Ausruhen. Ganz wichtig: nicht auf den Chimborazo oder Cotopaxi wandern. Beide sind über 5000 m hoch. Das war wohl der Witz des Tages. Mir brummt der Kopf vom Fachspanisch und Organisieren. Schnell besorge ich noch die Tabletten in der Apotheke. Dort werden auch Cola und Chips angeboten. Clever denke ich, gleich ein Angebot für die Nachfrage schaffen. So funktioniert Wirtschaft.

Nach einigen Recherchen im Hostel stellen wir fest, dass Borreliose sicher erst nach vier- bis sechs Wochen im Blut nachgewiesen werden kann. Ronny wird fast die Hälfte seines Urlaubs brauchen, um wieder auf die Beine zu kommen. Am Ende war es aber wahrscheinlich nur ein starker grippaler Infekt. Aber wenigstens ein Urlaubsmotiv, dass nicht jeder bei Facebook postet.

Eine lange (Ab)Fahrt

Um der Höhe etwas zu entkommen, die Ronny zu schaffen macht, fahren wir drei Stunden südlich nach Baños. Der Name der Stadt „Bad“ ist Programm. Hier gibt es ganz unterschiedliche Thermalquellen und Wasserfälle. Da Ronny noch nicht richtig fit ist, schwinge ich mich alleine aufs Fahrrad, um die Wasserfälle rund um Baños zu erkunden. Der Fahrradverleiher erklärt mir, dass ich entweder nur bis zum größten Wasserfall „Pailon del Diablo“ (Teufelsschlucht) fahren kann oder bis ins 60 Kilometer entfernte Puyo. Bei der Zahl 60 stocke ich kurz, aber es würde wohl alles nur bergab gehen. Wie sich später herausstellt, war die Aussage nur zu 60 Prozent richtig.

Schon auf den ersten Metern fängt es an stark zu regnen. Das Wasser und der Dreck spritzen mir ins Gesicht und als ich beim ersten Wasserfall ankomme, sehe ich aus wie gerade aus dem Moor gestiegen. Der Ausblick auf die Wasserfälle und Schluchten ist beeindruckend. Aus den grünen Baumteppichen sprudeln größere oder kleinere Wasserquellen und stürzen in die Tiefe. Zu einigen Wasserfällen kann man entweder mit einer Gondel fahren oder sich an einem Seil hinüberschwingen. Ich entscheide mich erst mal bis zur Teufelsschlucht zu fahren. Der Weg ist schlecht ausgeschildert. Da könnte Mephisto wirklich mehr Werbung für sich machen. Wie sollen die verirrten Seelen ohne blinkenden Leuchtpfeil und High-End-Marketing zu ihm finden. Vielleicht dreht sich die Welt selbst für den Satan zu schnell. Ich bekomme gerade noch rechtzeitig die Abfahrt für mein teuflisches Date. Mein schlammiges Outfit ist etwas gewagt, aber vielleicht steht er ja auf Erdmenschen. Über eine Steintreppe geht es nach unten. Nach ein paar Metern sehe ich einen gewaltigen Wasserstrom, der in die Tiefe stürzt.

Selbst in einiger Entfernung, denkt man es regnet, obwohl das Wasser eigentlich vom Aufprall von unten nach oben gespritzt wird. Es wirkt tatsächlich als würde der Teufel hier persönlich wohnen. Durch eine Höhle, die wirklich nur für Zwerge ausgelegt ist, krieche ich bis hinter den Wasserfall. Die Lautstärke durch den Wasseraufprall ist ohrenbetäubend. Den Teufel habe ich allerdings auch nach mehrfachen Suchen nirgends gefunden. Was für ein Gentleman. Versetzt mich einfach.

Bis zur Teufelsschlucht stimmte die Aussage, dass es nur bergab ging. Aber bis Puyo liegen noch 36 Kilometer vor mir. Das Wetter ist unbeständig. Regen, Sonne und wieder Schauer. Die Abfahrten werden immer wieder durch kleine Dörfer, Tunnel und zu meiner besonderen Freude von Steigungen unterbrochen. Ich schleiche wie eine Schnecke im ersten Gang den Berg hoch. Andere Fahrradfahrer treffe ich nicht. Immer wieder hupen Autos und winken mir zu. Kinder drehen ihre Köpfe aus dem Fenster, um die Verrückte noch einmal zu sehen, die sich hier abschuftet. Irgendwann holt mich dann doch ein Radfahrer ein, der wohl gerade von der Tour de France kommt. Ich darf ein Stückchen in seinem Windschatten mitfahren. 30 Minuten sagt er noch bis Puyo. Ich erkenne schon an seiner Tonlage, dass er wohl mir zu Liebe nicht ganz die Wahrheit sagt. Wenigstens hat der Regen und der Schweiß meine Schlammkruste vom Gesicht und der Kleidung gewaschen.

An einem Aussichtspunkt kommt mir eine Rast sehr gelegen. Das Stück Zitronenkuchen schmeckt trotz seiner Trockenheit in diesem Moment wie die beste Sonntagstorte von Oma. Noch 12 km. Diesmal stimmt es tatsächlich und der Weg ist bis auf ein paar Ausnahmen fast eben. Nach vier Stunden erreiche ich Puyo in Wasser gebadet ob vom Regen oder der Hitze ist schon lange egal. Mein Fahrrad kann im Innenraum des Buses verfrachtet werden und ich bin erstaunt und ernüchtert wie schnell ich wieder in Baños bin. Ein Motor ist eben doch etwas anderes als (meine) Muskelkraft.

Einmal bis zur Sonne und zurück

Trotz meines Muskelkaters mache ich mich am nächsten Tag auf zu einer Wanderung. Bis zum Baumhaus „Casa de Arbol“ soll es gehen. Acht Kilometer klingt machbar. Allerdings alles bergauf und ich meine das steile bergauf. Bis zur einer Maria-Statue kommen mir noch ein paar Wanderer entgegen. Irgendwann ist der Weg nur noch ein Trampelpfad und die Menschen verschwunden. Die Sonne brennt. Nach vier Kilometern brennen auch meine Beine und ich betäube meinen Schmerz mit spanischem Raggaeton. Das treibt an. Nach einer weiteren Serpentine erschrecke ich fast. Tatsächlich zwei andere Wanderer und wie sollte es anders sein, sie sprechen deutsch. Solche Wanderungen machen nur die dummen Europäer lacht mich der Schweizer an. Sie haben Wanderstöcke dabei und ich bin kurz neidisch. Ob ich alleine unterwegs wäre, fragt mich der Begleiter des Schweizers, der scheinbar aus der Region kommt. Ja, antworte ich. Oh, ich solle aufpassen. Vor zwei Jahren wäre hier ein Amerikaner verschwunden und ich solle mir einen Stock suchen. Oben auf dem Plateau wären bissige Hunde. Ich mache mir über die Hunde wesentlich mehr Gedanken, als über das Verschwinden des Amerikaners. Wer macht sich schon die Mühe hier hoch zu krabbeln und hat dann noch die Energie jemanden tot zu schlagen oder gar wieder runter zu schleppen. Ich frage wie weit es noch ist und wie eigentlich immer, ist die Antwort nicht mehr weit. Endlich oben angekommen bellt nur ein Hund von Weitem. Vorbei an Papaya-Plantagen und dem Trampelpfad weiter folgend, komme ich irgendwann verschwitzt und durstig an einer weiteren Hauptattraktion von Baños an. An dem Baumhaus hängt eine riesengroße Schaukel, die über einem Abgrund schwingt. Das verspricht Spaß. Es ist Sonntag und so stehen an der Attraktion eine Hand voll Menschen an. Ich steige in die Schaukel, bekomme einen Gurt umgeschnallt. Ein kräftiger Schubs und ich fliege Richtung Wolken. Ein tolles Gefühl. Mit jedem Anschubs komme ich dem Himmel ein Stück näher. Am Ende verpasse ich die Sonne nur knapp.

Auf dem Weg zurück ins Tal nach Baños führt mich meine Karte einmal quer Feld ein. Unbedarft wandere ich den Weg entlang, als mich um die Ecke plötzlich ein grauer Stier anschaut. Einige Sekunden später realisiere ich, dass ich einen roten Rucksack auf der Brust trage. Ich bin in diesem Moment froh, dass er an einem Seil angebunden ist. Trotzdem versperrt mir das schöne Tier den Weg und links und rechts ist ein Zaun. Wir müssen uns also arrangieren. Ich binde mir den Rucksack auf den Rücken und bitte den Stier zum Tanz. Wir schauen uns in die Augen. Ich bewege mich langsam. Vorsichtig, immer mit den Augen auf die zwei Hörner fixiert. Dann stolpere über einen Ast und das Tier sieht es als Zeichen loszurennen. In diesem Moment bin ich zum Glück schon weit genug entfernt um engeren Kontakt zu vermeiden. Ich verabschiede mich unvermittelt und laufe zur Sicherheit noch ein paar Meter weiter. Vom kleinen Intermezzo erholt, eröffnet sich mir ein wunderschöne Blick. Die Sonne geht zwischen den Bergen unter und wirft einen goldenen Schein auf die Berghänge und die kleinen Häuser von Baños.

Heiße Quellen

Entspannung im warmen Wasser. Genau das richtige für meine müden Beine. In Baños gibt es verschiedene Thermalquellen. Die berühmtesten sind die Piscinas de la Virgen, die Quellen der Jungfrau. An diesem Abend ist viel los. Alle Badegäste müssen Badekappen tragen und so erinnert die Menschenansammlung ein bisschen an die Schlumpfenparade. Auch ich schmeiße mich in Schale und halte meine Fußzeh in den ersten Pool. Autsch. Es ist heiß. So richtig Kochwasserheiß. Ich schaffe es bis zu den Knien, denn ich will noch nicht gar werden. Man muss den Schrumpelprozess ja nicht noch vorantreiben. Der nächste Pool ist dafür eher Schockfrostung und ich schwimme schnell hin und her, um mich irgendwie aufzuwärmen. Hier ist es zwar ein paar Sekunden länger auszuhalten, aber die Entspannungsphase setzt auch nicht ein. In einem anderen Schwimmbecken sehe ich von weiten nur die vielen bunten Schlumpfenmützen. Das Becken ist so überfüllt, dass alle wie Frösche im Wasser hocken und darauf warten, dass am Rand ein Platz frei wird, den sie ergattern können. Das Wasser ist zwar auch heiß, aber dennoch auszuhalten. Bei so einer kuscheligen Atmosphäre kommt man automatisch ins Gespräch und so hört sich das Becken nach kurzer Zeit wie ein Froschkonzert an. Ich springe abwechselnd zwischen kaltem und warmen Wasser hin und her und hoffe auf stärkere Abwehrkräfte. Es ist vielleicht nicht wirklich entspannend, aber dennoch ein Spektakel sich in die heißen Quellen von Baños zu stürzen oder zu quetschen.


Sep 1 2018

Atemberaubender Gipfel

von Karl

 

Der Wind steigt aus der Tiefe des Tals entlang des Berghangs nach oben. Auf einer unsichtbaren Höhengrenze beginnt er milchig zu werden. Als wenn etwas Milch ins Wasser gerät. Doch was sich vor mir, direkt am Berghang sitzend, auf Augenhöhe und zum Greifen nah abspielt, ist, dass sich eine neue Wolke bildet. Immer mehr und mehr weiße Watte bildet sich und gerne würde ich in die Watte greifen und mit ihr aufsteigen. Gebannt schaue ich auf das Naturschauspiel und merke die Zeit nicht mehr.

Eben bin ich den Sandhang vom Gipfel hinunter geschlittert. Die letzten hundert Höhenmeter zum Rucu Pichincha musste ich aufwärts ein Sandfeld umklettern, was aber abwärts es umso leichter macht. Die allerletzten Meter sind allerdings felsig und es muss mit allen Vieren geklettert werden. Jede Bewegung nach oben, jeder Schwenk mit dem Kopf von unten nach oben oder zurück, verursacht schon massives Herzrasen. Mit der Seilbahn bin ich aus Quito auf knapp 4000m Höhe gefahren. Von diesem Erlebnis und vielen weiteren Highlights in Quito habe ich schon vor Wochen berichtet, als wir gen Norden unterwegs waren. Von der Bergstation aus führt ein Weg, mal steil, mal gemächlich zum Fuße des Rucu Pichincha. Dann eine Weile parallel zu seinen Felsen, vorbei an Höhlen, bis dann der besagte steile Anstieg erfolgt. Schon dort sind schnelle Bewegungen zu viel. Wenn ich das übertreibe, werde ich benommen und merke wie mir das Bewusstsein entgleitet. Also mache ich langsam. Diese Höhen sind neu für meinen Körper und Akklimatisierung braucht seine Zeit.

Als dann der letzte Meter überwunden wurde bestaune ich erst das Schild mit den 4690m. Das ist vielleicht der Höchste Punkt an dem ich auf dieser Reise komme. Zumindest bewusst. Aber dann erfolgt das zweite Mal, dass mir fast der Atem weg bleibt. Ein gigantischer 360Grad-Blick eröffnet sich mir. Lediglich der etwas höhere Brudergipfel Guagua Pichincha unterbricht den fantastischen Ausblick. Vor mir breitet sich die Millionen-Metropole Quito aus. Die gesamte Länge dieser unfassbar langgezogenen Großstadt ist gut zu erkennen. Nachbarortschaften inklusive. Flugzeuge sind kaum zu erkennen und fliegen tiefer als ich. Die Gebirgskette hinter Quito liegt in Wolken und wird unterbrochen von drei weißen Kegeln. Den Cayambe, den Antisana und den Cotopaxi. Die Vulkane heben sich nur durch ihre Form von den weißen Wolken ab. Immer wieder werden sie verdeckt, um wenig später wieder frei zu stehen. Es ist ein grandioser Anblick und insbesondere der Höchste der drei, der Cotopaxi, erstrahlt in seiner ganzen Schönheit. Ein alleinstehender Vulkankegel der weit über die 5000m hinausgeht.

Hinten der Cotopaxi, vorne Quito

Er gilt als technisch einfach zu besteigen und gilt als meist-bestiegener Berg Südamerikas. Wenn das mal nicht nach einer meisterbaren Herausforderung klingt. Ich mach mich also in Quito ans Werk: online wie offline lege ich viele Meter hinter mir und frage unzählige Agenturen und Leute. Ich brauche ein gutes Angebot inklusive der ganzen Sachen die für einen Bergbesteigung nötig sind. Anerkannte*r Bergführer*in, Gletscherausrüstung, Wintersachen, Transport, Verpflegung, etc. Auch die Familie, die mich aufnimmt nutzt ihre Kontakte und telephoniere mit deren Telephon mit der Freundin der Mutter. Doch gute Angebote sind Fehlanzeige, weil ich alleine bin. Die Preise schwanken zwischen 6 und 900 USDollar. Ich suche eine Agentur, wo zufällig gerade noch ein*e andere*r allein anfragt und wir so den Preis halbieren können.

Ich muss euch noch die Familie vorstellen. Eingeladen hat mich Camila, PR-Studentin im letzten Semester, die mir ihrer Familie vor einem Jahrzehnt aus Bogotá nach Quito kam. Wir quatschen viel, wenn es die Zeit zulässt. Über Sexismus in den beiden Ländern. Z.B. dass Schulen Mädchen verpflichten kurze Röcke und hohe Schuhe als Schuluniformen zu tragen, die äußerst unpraktisch sind. Sprüche und Übergriffe in Bussen. In allen Bussen und Haltestellen ist eine Hotline ausgehängt, bei der sexualisierte Übergriffe gemeldet werden können. Dass Clubs an ihren Eingängen die Menschen nach ihren Aussehen bemessen und daraufhin die Preise festlegen. Hübsche Frauen kommen oft kostenlos rein. Wer nicht ins Raster passt, zahlt mehr. Sie erzählt auch vom Erdbeben 2016. Viele Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung nicht geschult ist, was sie im Ernstfall tun sollte. Die Armensiedlungen entstehen meist informell und gebaut wird je nach Einkommenslage. Viele der Randsiedlungen Quitos würden einem Erdbeben kaum stand halten. Selbst Erdbeben unterscheiden zwischen Arm und Reich. Eine*n Architekt*in, der ein erdbebensicheres Haus konstruiert, muss mensch sich halt leisten können.

Aber auch Musikempfehlungen teilen wir. Die Familie würde mich auch rund um die Uhr mit allen Mahlzeiten versorgen. Oder schaut neugierig auf mein Teller, wenn ich mal essen mache. Ich probiere Tacso- bzw. Curubá-Saft. Eine Frucht die geschmacklich der Maracuja nahe kommt. Die kolumbianische Heiße Schokolade mit Käse als Topping nennt der Vater „Chocolate Santa Fereño“. Der Bruder von Camila, Miguel, hat sogar sein Zimmer geräumt und ist zur Schwester gezogen, damit ich ein Zimmer habe. Ich fühle mich aufgenommen und fast schon zu sehr umsorgt. Ich will was zurückgeben und mache Eierkuchen für alle. Als sie freudig schmatzend am Tisch sitzen, erzählen sie von ihrer Lieblingsspeise: Arepa mit Käse. Mich verführt der Maisfladen nicht so sehr. Als ich erkläre, dass Eierkuchen eigentlich in allen Ländern gibt (Pancake, Crepe, Palatschinken, …) und mit allen möglichen gegessen werden können – ich habe frischen Apfelmus mit Zimt und Rosinen serviert – kommt auch schon eine typisch kolumbianische Süßspeise auf den Eierkuchen: (aufmerksame Leser*innen können‘s sich denken) Käse. Vielleicht ist das eine Marktlücke … süßer Eierkuchen mit Käse in Kolumbien verkaufen …

Bevor ich aber zur Camila kam, verbrauchte ich meine Zeit bei Nancy. Dazu muss ich sagen, dass ich auch viel Zeit im Bus verbrachte. Quitos Bussystem begann ich zu hassen, nachdem ich öfters 3 oder mehr Stunden verbracht habe um von einem zum anderen Ort zu kommen. Da sind selbst die BVG schnell. Gegen 17 Uhr werden schon erste Hauptverkehrsachsen dicht gemacht. Busse außerhalb der drei Achsen fehlt jede Information, damit Nicht-Einheimische sich vorstellen können wohin der Bus vielleicht fährt. Es mag zwar günstig sein, mit 25 Centavos, aber wenn ich diese 6mal am Tag zahle, wird’s langsam teurer. Busse in Vororte fahren teils von benachbarten Terminals ab und haben eigene Preise. Auch mein Umzug von Nancy zu Camila war von vier Stunden geprägt. Im falschen Stadtteil angekommen, wurde mir mehrmals gesagt: Ja, hier ist Condado, aber Condado liegt weiter unten. Etwas ist hier und gleichzeitig wo anders. Dieses Rätsel grenzt an philosophischem Wahnsinn. Sollte mein trainiertes Öffis-Können auch da versagt haben, so kam der berühmte Funken Glück ins Spiel und ich fand doch noch das Ziel.

Nancy ist 50 Jahre und hat zwei Kinder die in Deutschland oder Österreich studieren oder dies anstreben. Da sie ihren Mann rausgeschmissen hat, bewohnt sie ihre große Wohnung alleine. Die Kinder sind gerade auf Urlaub in Ecuador, aber kamen erst an meinen letzten Abend. Die Oma und die Schwester leben noch auf dem Grundstück. Abends saßen wir bei Kaffee zusammen und unterhielten uns lange. Ja, Kaffee wird in Ecuador und Kolumbien gern und zu jede*r Uhrzeit getrunken. Es wird eher wie Tee gehandhabt. Als sie den alten Kaffee mit etwas Wasser verdünnt und dann in der Mikrowelle erhitzt, werden alte WG-Erinnerungen wach. Sie brachte uns auch heimisches Abendbrot mit, allerdings trifft auch das nicht meine vollste Begeisterung: Mais-Käse-Teig in Maisblättern eingewickelt oder einfach nur Mais zum Abknabbern mit Salz und Frischkäse. Dabei meine ich nicht den in Deutschland üblichen Mais, sondern immer den weichen weißen großen Mais. Sie erzählt von ihren Vater, der schon seit über 39 Jahren Tod ist, aber in offiziellen Registern als lebend geführt wird. An vergangenen Abstimmungen hat er laut Register teilgenommen – obwohl er Tod ist. So geht Wahlmanipulation in Ecuador. Auch meinte sie, dass für das Wählen Gehen sie Dokumente erhält, die sie für größere Käufe oder Auslandsreisen benötigt. Diese anderweitig zu bekommen bedeutet lange bürokratische Umwege. Deswegen gehen viele lieber wählen.

Eine Agentur hat mittlerweile mich mit einem zweiten Menschen verbunden. Uns ist das aber zu teuer und wir vereinbaren gemeinsam weiter zu schauen. Mehrere Agenturen geben als Standort Machachi an, einen kleinen Ort eine Stunde südlich von Quito. Ich mach mich also dran, dorthin zu reisen um dort meine Recherchen fortzuführen. Vorher muss ich aber verlängern, weil Camilla mich noch zu ihrer vorgezogenen Geburtstagsfeier einlädt. Mit einigen Freund*innen von ihr gehen wir erst Vorglühen. Shots sind die Mittel der Wahl. Im Anschluss dann in den Club mit moderner lokaler Musik. Sie schwankt zwischen beliebten Salsa-Hits, Reggaeton und europäischer Disko-Musik. So klingt „Quito II“ für mich aus und ich finde den Weg über das Terminal Quitumbe nach Machachi.

PS.: im Bus in Quito habe ich gleich zu Beginn mein Handy verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, aber das lässt sich nicht zweifellos feststellen. Klar ist nur: Da ist es nicht mehr.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.


Jul 3 2018

Wo wir sind … in Ecuador

Zur Zeit sitzen oder liegen wir in Puerto López. Unsere Route verlief über Guayaquil und Playas hierher. Unsere nächsten Orte – so unser Plan – werden Quevedo, dann Mindo und schlussendlich Quito sein. Danach geht’s ab nach Kolumbien. Wir werden aber nochmal nach Ecuador zurückkehren …