Aug 20 2018

Schwarze Steine mit roten Flecken

Von Karl

 

Maicao

Von dem beschaulichen Santa Marta aus fährt der Bus über Riohacha nach Maicao. Immer gen Osten. Hinter der Fensterscheibe hat sich die Landschaft gewandelt. Soweit das Auge blicken kann, stehen gedrungene grüne bis braune Bäume. Trockene Bäume mit ein paar knorrigen Hecken unter sich. Die Landschaft ist sehr flach und es weht eine beständige warme Briese.

Augenfällig ist auch, dass der Plastikmüll stärker den Blick trübt. Nicht dass ich bislang ausschließlich saubere Straßen und Hecken gesehen hätte, doch hier hat das eine neue Qualität. Müll der die wenigen Grashalme bedeckt. Da es nicht immer eine funktionierende Müllabfuhr bis in die letzte Kleinstadt gibt, wird Müll gern auch einfach auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Zu dem vielen Müll paart sich ein Verhalten, bei dem Verpackungsmüll an Ort und Stelle fallen gelassen wird. Manche Orte werden allerdings sauber gehalten. Busbahnhöfe beispielsweise werden regelmäßig durchgewischt.

In Maicaos Busbahnhof tobt das Leben. Die Nähe der gut 10km entfernten Grenze macht sich bemerkbar. Krisenbedingt ist Maicao ein wichtiger erster Umstiegs- und Lebensort für die vielen Venezolaner*innen, die ihr Land verlassen. Auch auf der Hauptstraße, die hier die Nummer 16 trägt, ist sehr viel los. Wie so viele Orte die wir in letzter Zeit bereist haben, ist auch Maicao so aufgebaut, dass alle Straßen ein Schachbrett bilden und es Carreras und Calles gibt, die sich im rechten Winkel kreuzen. Diese werden dann einfach durchgezählt. Wenn ich also die Adresse „Calle 5 #6-12“ suche, dann ist das Haus in der Calle 5, ganz in der Nähe der Kreuzung mit der Carrera 6 und trägt die Hausnummer 12.

Später erzählt mir ein Venezolaner, der als Automechaniker in Maicao arbeitet, warum alle hundert Meter Benzin in ehemaligen großen Wasserflaschen verkauft werden. In Venezuela kostet das Benzin weniger als ein kolumbianischer Centavo. Der Umrechnungskurs ist ungefähr 3300 kolumbianische Pesos für ein Euro. Alle Tankstellen der Region haben zugemacht, weil jede*r für 2300 Pesos pro Gallone (ca. 4,5 Liter) Sprit kaufen kann. In den Seitenstraßen stehen Autos aus denen heraus die Flaschen abgefüllt werden.

Kohle

Uns hat es hierher verschlagen, weil ich Felipe treffen möchte. Felipe hat früher mal in der Gegend gewohnt, wo jetzt große Tagebaue klaffen. Anstatt auf meine Fragen zu warten, erzählt er einfach in einem schier nicht enden wollenden Monolog seine Geschichte. Ich habe schon einen Krampf in der Hand, aber mir dünkt, dass er gerade sehr spannende Sachen wiedergibt. Er endet nach fast zwei Stunden mit: „Wenn ihr die Steinkohle aus La Guajira verwendet, dann klebt da Blut dran, Menschenblut“. La Guajira nennt sich diese Region, eine Halbinsel, auf der Cerrejón der größte Kohle-Tagebau Lateinamerikas ist. Kolumbien ist der viertgrößte Steinkohle-Exporteur und macht ein Drittel aller importierter deutscher Steinkohle aus. In Deutschland wurden erst neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut. Für Kohle aus Kolumbien. Die Kohle wird in verschiedenen Regionen in Tagebauen abgebaut, dabei ist Cerrejón der größte mit fast 700 Quadratkilometern. Insgesamt besteht Cerrejón aus drei Tagebauen. Sie sind jeweils zu einen Drittel im Besitz von us-amerikanischen, schweizer und englischen Investoren, mit Lizenzen bis 2034.

Die Kohle wird auf die eigens errichte Bahnlinie gebracht. Die Kohlezüge sollen 120 Waggons haben und werden durch zwei oder drei Loks gezogen. Im eigens errichteten Kohlehafen, der aber auch nur einer von vielen in Kolumbien ist, wird die Kohle dann in Frachtschiffe verladen.

Dafür wurden einige indigene Ortschaften umgesiedelt. Teils unter Anwendung von Gewalt und durch Beihilfe durch die Armee werden sie vertrieben. Ihnen wird die Fläche genommen, auf der sie ihre Lebensmittel anbauen. Die Wayuú, die schon sehr lange in der Region leben, leiden besonders unter dem Kohleabbau. Sie haben sich erfolgreich gegen die Kolonialisierung durch die Spanier*innen behaupten können, weil sie als besonders widerständig gelten. Doch jetzt sterben sie am Hunger. Das Grundwasser wurde durch Cerrejón abgesenkt, damit der Tagebau nicht zum See wird, und ein Fluss wurde auf zig Kilometer Länge umgeleitet. Seitdem muss Wasser in Plastikflaschen gekauft werden. Was die Kolonialherren aus Europa des 16. Jahrhundert nicht vermocht haben, schafft Europa heute. Das nennt sich übrigens Neokolonialismus.

Felipe beschreibt die Umwelt-Belastung mit einem Experiment. Ich solle ein Becher mit Wasser aufstellen. Ein paar Stunden später sieht man die schwarzen Ränder vom Kohlestaub. und falls noch nicht genügend Argumente gegen die Kohleförderung geliefert worden sind, dann können wir gern noch über Klimawandel debattieren …

Albania

Ich will‘s selbst sehen. Ich mach mich am nächsten Tag auf und fahr‘ nach Albania, einen kleinen Ort der sich ganz in der Nähe vom Haupteingang und Besucher*innen-Zentrum entwickelt hat. 1000 Einwohner*innen vielleicht. Der Weg nach Albania im geteilten Taxi ist allerdings nicht sofort erfolgreich. Geteilt meint, dass solange gewartet wird, bis alle Plätze verkauft sind. Der Taxifahrer fährt rechts ran und stellt – nicht wirklich enttäuscht – fest, dass der Keilriemen gerissen ist. Er hält einfach ein Auto im Gegenverkehr an und lässt uns zurück nach Maicao schleppen. Bis zur Werkstatt. Dort warten wir eine knappe Stunde und schon wagen wir einen zweiten Anlauf.

Schon nachmittags schwinge ich mich als Sozius auf einem Taximotorrad gen Eingang, den letzten Kilometer in Angriff nehmend und – hab kein Glück. Am Eingang sagt mir die freundliche Frau, ich müsse eine Nummer anrufen. Der nette Mann im Hörer aber sagt: Nein, heute und morgen ist voll, keine Plätze mehr. Es geht also nur mit Führung.

Nach einer ganzen Weile meint ein Motorradfahrer er wüsste, dass in einem Hotel eine Gruppe eingecheckt hat, die morgen eine Führung hat. Also fahren wir wieder los. Im Hotel kann ich mit der Rezeption sogar auf englisch die Herausforderung besprechen. Ihr Anruf ergibt: Sie muss morgen früh nochmal anrufen. Also ruft sie mich morgen früh an, ob noch ein Platz frei wird.

Wohlweißlich bin ich früh genug aufgestanden und schon halb Acht klingelt das Telephon. Ich solle sofort am Eingang erscheinen. Bei der jetzigen Führung sei ein Platz frei. Drei Sachen in den Beutel, Tür zu, zur Straße gerannt, und – ich bin noch nicht mal auf der Straße – da kommt schon ein Motorrad. Ich spring auf, einmal Mineneingang bitte. Tatsächlich bin ich nicht der Letzte. Läuft.

Cerrejón

Kamera an. Alles was spannend ist wird gefilmt. Ich muss ja das Interview noch bebildern. Zuerst warten wir zwischen einen großen Kipplader und anderen kleineren Ausstellungsgegenständen, bis wir in einen größeren Raum geführt werden. Viele Info-Tafeln und Monitore. Wie zum Hohn eine übergroße Tafel mit Wörtern aus der Sprache der Wayuu. Alle Wörter drehen sich um den Kohleabbau. Viele Ausstellungsgegenstände möchten die soziale Seite Cerrejóns betonen. Mir wird klar, dass die Firma Teile ihrer Infrastruktur mit Wayuu-Wörtern schmückt. Seit 1975 gibt es die Grube nun schon und einige Präsidenten Kolumbiens waren zu irgendwelchen Einweihungen da. Obschon Kolumbien kaum Einfluss hat. Alle Fahrzeuge sind in Miniatur ausgestellt. Große Förderbrücken oder Förderkräne wie in deutschen Braunkohle-Tagebaue gibt es allerdings nicht. Dann müssen wir noch alle ein Sicherheitsvideo anschauen, Helme abgreifen und über den Zebrastreifen zum Reisebus gehen.

Durch das große Werksgelände düst der Bus raus auf die Schnellwege, die wegen den übergroßen Kippladern extrem breit sind und eigene kleine Parallelwege haben, die unser Bus nimmt. An einem Aussichtspunkt können wir in die Grube schauen. Ein Führer erzählt parallel viele technische Details. Als einer der Bagger gerade des Weges kommt, wird klar, dass auch diese überdimensioniert sind. Allein die Kipplader sind monströs groß.

Anschließend fährt der Bus noch zu einem anderen Aussichtspunkt, von dem wir die weiten Renaturierungsflächen bewundern sollen. Allerdings entwickelt sich daran, dass Kolumbien nicht so sehr von der Kohleförderung profitiert, eine schnell hitzig werdende Diskussion, die damit beendet wird, dass wir zurück in den Bus gehen. Offensichtlich sind nicht alle mit allem einverstanden.

Carrito

Zurück in Albania packe ich nur schnell die Sachen um nach Bogotá abzuhauen. Erst mit dem Carrito (so nennt sich hier das geteilte Taxi) bis nach Valledupar und dort dann mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Das Internet verrät mir später: Im Februar erst hat ein Indigener wohl einen Anschlag auf die Bahnschiene verübt. Ich kann‘s ihm nachempfinden.


Aug 18 2018

Hitze im Überfluss

von Rosa

Die ersten Hochhäuser begrüßen uns in Santa Marta. Es ist die erste Stadt, die mir in Kolumbien empfohlen wurde. Ich bin gespannt.
„Ey Leser“
Leider hatten wir auch diesmal kein Glück mit einer Couchsurfing-Unterkunft, deswegen haben wir uns ein Hostel rausgesucht. Das vorher Nichtbuchen war ein Fehler, denn die Unterkunft ist voll. So wie auch die Innenstadt. Busse und Taxen drängeln sich durch die Straßen.
„Ey sexy Leser“
Wir klappern ein paar Hostels ab, einige haben einen Pool im Foyer. Doch nicht unsere Preisklasse. „So ein schöner Leser, ja genau du“(Naja, um ehrlich zu sein, meine ich alle Leser, also du bist jetzt nix besonderes oder so)“
In unserer Preisklasse gibt es statt dem Pool ein Loch in der Wand mit einem Rohr. Darf ich vorstellen: Die Dusche. Wir sind froh, dass es Wasser und einen Ventilator gibt, denn es ist HEIß.
„Na, du süßer Leser“
Wir nutzen die Abendkühle und gehen an den Malećon (Promenade am Strand). Im Hafen stehen mit Lichterketten behangene Segelschiffe und bei mir kommt kurz Weihnachtsstimmung auf. Alles ist auf den Beinen. Ein Artist springt durch einen Reifen mit Messern. Ein große Menschentraube versammelt sich, um die Show zu sehen. Doch selbst als er an dem scharfen Gegenstand hängen bleibt, macht ihm das nichts aus.
„Ey Leser, Ey Leser, Eeyy Leser!!“
Gut, dass die Leute vorher das Geld bezahlt haben.

Auch wir bezahlen diesmal im Vorfeld und bekommen dafür eine Unterkunft mit Klimaanlage.
„UiUiUi Leser, na ich sag mal ne Acht“
Jedes mal, wenn wir den Raum betreten, spürt der Körper die Erleichterung sich endlich etwas runterzukühlen. Doch wie sagt man: Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst. Der geplante Ausflug zum Tayrona Nationalpark fällt ins Wasser. Bereits auf der einstündigen Fahrt zum Zielort fängt es an stark zu regnen. Das Dach des Busses hält dem nicht stand und so bekomme ich eine kostenlose Dusche ab.
„Fühl dich angestarrt“ (Ich checke ab, ob du gut aussiehst beim Lesen)“
Der Eintritt kostet 17 Euro. Am Eingang laufen Bilder von schönen Stränden und Touristen, die aus Zelten schauen über den Flatsreen. Die Laune der Touristen vor dem Eingang des Nationalparks ist allerdings eher mürrisch wie das Wetter. Wie entscheiden uns aufgrund unserer nicht wetterfesten Kleidung, lieber den Heimweg anzutreten.
„Leser, mmmhhhh“
In Santa Marta hingegen ist der Regen nicht angekommen. Doch auch beim dritten Stadtrundgang, springt der Funke bei mir für die Stadt nicht über. Ein zentraler Platz oder Park ist nicht wirklich vorhanden, keine bunten Häuser oder Gassen und der Stadtstrand ist klein und vollkommen überfüllt. Und natürlich die Hitze!

Lieber Leser, wie geht es dir damit, dass ich dich immer wieder so angesprochen habe?
Wolltest du nur in Ruhe den Text lesen und hast gedacht was soll das? Und dachtest du, was tut das überhaupt zur Sache, wie ich aussehe und wer ich bin, wenn ich hier einen Text lesen will? Hat es dich vom Lesen abgelenkt?

„Ey Chica, so lecker“

Kann ich verstehen.

Nach dem Stadtrundgang sitze ich in einem Café und tippe auf meinem Handy herum. An dem Tisch neben mir sitzen drei junge Männer in ein Gespräch vertieft und am gegenüberliegenden Tisch sitzen zwei alte Männer und lesen Zeitung. Alle paar Minuten schaut mich entweder der junge oder der alte Tisch an. Ich höre, wie die jungen Männer sich über meine Haare, mein Gesicht und meine Brüste unterhalten.
Ich befinde mich in einer Situation in der ich lieber gehen würde, aber erstens regnet es draußen als würde die Welt untergehen und zweitens finde ich es nicht gut, dass ich mir meinen Kaffee vermiesen lasse. Ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren.

Nachdem es aufgehört hat zu regnen, gehe ich nach Hause. Die Straßen haben sich in reißende Flüsse verwandelt. Kein Durchkommen mit trockenen Füße. Ein Mann spricht mich mit „Ey Prinzessin“ an und bietet mir an mich über den „Fluss“ zu tragen. Ich lehne ab und ziehe mir die Schuhe aus. Ich laufe durch die knietiefe Suppe. Ich fühle mich in eine Situation gebracht, in der ich erst recht beweisen muss, dass ich eben keine Prinzessin bin. Aber warum muss ich das überhaupt beweisen?

In Medellín gehe ich die Straße entlang und ein Mann versucht mich zu küssen. Ich sage nein, lass mich in Ruhe. Ich bin nicht interessiert. Er folgt mir. Ich laufe schneller, wechsle die Straßenseite. Ich frage: Warum hörst du mir nicht zu, wenn ich nein sage? Warum lässt du mich nicht in Ruhe, wenn ich es sage? Warum versuchst du mich zu küssen, du hast mich doch gar nicht gefragt? Keine Antwort.

Zu meinem Südamerika-Alltag gehören auch diese Situationen. Und jeden Tag muss ich mich entscheiden, was ich mache gegen die Sprüche, die Kommentare, die Bewertungen und die Belästigungen. Egal, ob ich es ignoriere, erkläre oder kämpfe. Es ist nervig.