Apr 1 2019

Die Größte

Von Karl

São Paulo, Brasilien

 

Willkommen

Heute darf ich euch Samuel alias Samant und Isabel vorstellen. Isabel hat noch Familie in Nicaragua, aber da grad der olle Diktator nicht gehen will und das Land terrorisiert, zog sie es vor in den USA bzw. jetzt in Brasilien zu wohnen. Sie unterrichtet Englisch und lernt portugiesisch, was ihr leichter fällt, da sie ja Spanisch als Muttersprache hat. Anders als Samant, der Englisch als Muttersprache hat und aus Ghana nach Brasilien kam, nachdem er auf einer halben Weltreise Isabel kennenlernte. Ein ziemlich interessantes Pärchen, mit dem wir dann auch mal zum Bäcker gegangen sind.

Jups, ihr lest richtig, zum Bäcker. Die Kuriosität daran ist, dass es ein Plastikkarten-System gibt. Die Karten sind allerdings deutlich größer als gewöhnlich und kommen aus einer Vorrichtung die dann das Drehkreuz freigibt wenn mensch sich eine gezogen hat. Neben der klassischen Möglichkeit Brote und Süßwaren zu kaufen oder zu schlemmen, gibt es auch eine Art Restaurant oder Bar oder Kiosk. Irgendwie ist ein wenig von allem dabei. Manche sitzen beim Feierabend-Bierchen zusammen und anderen haben ein Menü bestellt. Andere ziehen mit einer Tüte Pão de Queijo ab.

Pão de Queijo heißt so viel wie „Käsebrot“ und meint Kugeln oder Kügelchen, die im Prinzip wie Käse schmecken. Der Käse ist dem Maniok-Mehl dazu gegeben worden, bevor es gebacken wurde. Es ist super lecker insbesondere, wenn es frisch zubereitet wurde. In Porto Alegre gab es sogar welche mit flüssigem Käse in der Mitte. Om-nom-nom.

Samant erzählt uns noch von seinem musikalischen Projekt und wenn ihr mal reinhören wollt schaut nach „Samant ID“. Isabel und Samant sind unsere Gastgeber*innen in São Paulo der größten Metropole Latein– und Südamerikas, sowie der zweitgrößten auf der Südhalbkugel; nur Jakarta ist größer. 21 Millionen sollen in der Metropole wohnen, also eine schier endlose Stadt. Entsprechend viele Seiten beherbergt sie und hat einen entsprechend enormen Stellenwert in Brasilien.

Ihren Aufstieg fußt auf der Industrie. Auch deutsche Konzerne lassen Unmengen in der Stadt produzieren und ist wohl eine der größten deutschen Industriestandorte. Sie ist die Stadt in der gearbeitet wird, so heißt es. 60 Prozent des brasilianischen Stromverbrauchs entfällt auf São Paulo. Ein Drittel des brasilianischen Exports kommt aus São Paulo. Dazu gehört die nahe Hafenstadt Santos, die den größten Hafen Lateinamerikas betreibt. São Paulo ist auch der Schoß der berühmten Arbeiterpartei PT, die den ehemaligen Präsidenten Lula da Silva stellte. Selbst international ist der Prozess um Lula berühmt geworden. Noch im Amt wurde nach Ermittlungen unter anderem ihm der Prozess wegen Korruption gemacht und er wanderte ins Gefängnis. Es steht allerdings zu vermuten, dass es politisch motiviert war, denn neben all den Mittäter*innen ist nur er eingewandert. Das hat schlussendlich auch den Rechtsaußen-Populisten Bolsonaro geholfen 2018 an die Macht zu kommen. Lula verfolgte eine sozialistische Politik, die Armut und Hunger verringern konnte. Dass Politik sehr korrupt ist in Brasilien, das, so höre ich mehrfach, scheint eher normal zu sein, nichtsdestotrotz etwas was viele ärgert.

Fast zwangsläufig hat eine solch große Stadt ein Problem mit der Luftverschmutzung. Aber auch die Bodenversiegelung schlägt hier zu. Bei den tropischen Regenfällen die manchmal in die Metropole gelangen kommt es schnell zu lokalen Hochwassern und Verkehrschaos.

Das Rückgrat des öffentlichen Personenverkehrs bildet die Metro mit knapp zwei Dutzend Linien. Eine Fahrt vom Zentrum an den Rand kann entsprechend lange dauern. Arbeiter*innen brauchen im Schnitt zweieinhalb Stunden pro Fahrtstrecke in São Paulo. Die Metro ist auf einigen Strecken sehr modern und gilt als drittleistungsfähigste der Welt. Im Abstand von 100 Sekunden fahren Züge ab.

Unterschrift und Stempel

Wie schon auf der Überfahrt nach Südamerika, so auch auf der Rückfahrt beabsichtige mit dem Containerschiff zu fahren und dies bedarf leider ein paar Dokumenten. Das allerletzte dass ich nun besorgen muss, ist ein medizinisches Zertifikat, welches beweist, dass ich gesund genug bin auf einem Schiff mitzufahren. Gesagt, getan, ich beginne also die Suche nach entsprechenden Adressen. Die us-amerikanische Botschaft bietet beispielsweise ein Liste an Krankenhäusern, die vermutlich auch englisch sprechen. Was schon mal gut ist, weil mein Dokument in englisch gehalten ist.

Samant berichtet mir aber auch von seinem Arzt und dieser würde auch englisch sprechen. Samant selbst tut sich noch schwer mit portugiesisch. Portugiesisch ist tatsächlich ziemlich herausfordernd, wenn mensch jetzt nicht grad Profi in Spanisch ist. So ist es schwierig zu erlernen, das „ã“ richtig auszusprechen. Manchmal klingt das „t“ wie ein „sch“, das „r“ wie ein „h“ und das „l“ wie ein „u“. Sie schreibt sich Brasilien in portugiesisch „Brasil“, aber wird in etwa wie „Brasiu“ ausgesprochen.

Auf dem Weg zu seiner Anschrift, kommen wir an einem Ärztinnen- und Ärztehaus vorbei. Sie haben leider nur Spezialist*innen, finden aber eine Krankenpflegerin, die auch spanisch spricht und uns eine Brief auf portugiesisch verfasst. Gegenüber, 100 Meter bergan, gibt es aber einen Gesundheitsposten, wo wir hingeschickt werden und den Brief abgeben. Der kleine Anmeldebereich ist voll mit Menschen. Vielleicht fünfzig warten und es ist das bunte Potpourri an Problemchen.

Ich werde im System aufgenommen und mit einer grünen Karte ausgestattet.

Anders als im Spanischen kommt der mütterliche Nachname an erste Stelle und es werden auch die mütterlichen Nachnamen an die Kinder weitergegeben. Weil ich das nicht gerafft habe, blieb das Feld „Name der Mutter“ frei. Hinzu kommt, dass „Nachname“ auf Spanisch „Spitzname“ auf Portugiesisch heißt und umgekehrt. Nachdem wir aber all dies überwunden hatten, begannen wir damit zu warten. Entgegen meiner Annahme nun zig Stunden warten zu müssen, weil wir offensichtlich bei einem offiziellen Gesundheitsposten des Gesundheitsministeriums sind, werde ich schon nach einer halben Stunde in ein kleines Zimmer geführt und ein paar wenige Tests gemacht. Blutdruck und Herzfrequenz und was sonst noch schnell geht.

Vorab waren wir bei einer privaten Praxis die einen Betrag verlangte, dass wir lieber weitersuchten. Ich kann nun im nächsten Stockwerk warten und auch hier sitzen schon einige. Aber es geht Schlag auf Schlag. Mindestens sechs Sprechzimmer sind auf dem Gang, vielleicht auch zehn. Keine zwanzig Minuten später sitze ich vor einem Arzt am Besprechungstisch und der packt sein fließendes us-amerikanisches Englisch aus. Er geht kurz den Bogen mit mir durch, wir unterhalten uns kurz, dann haut er Stempel und Unterschrift drauf und ich kann das Zimmer wieder verlassen. Bevor ich aber die Klinke in die Hand nehme, frage ich noch, wo und wie ich denn die Leistung bezahlen muss. Nicht ohne Stolz bemerkt er, dass die Gesundheitsversorgung in Brasilien kostenlos ist. Ich sag ihm, dass ich das gut finde, und hebe nun meine grüne brasilianische Gesundheitskarte auf.

Tokio und London

São Paulo ist über die Jahrzehnte auch Ziel von Zuwanderung aus der ganzen Welt gewesen und wohl auch deswegen gilt es als größte japanische Stadt außerhalb von Japan. Ein entsprechender Stadtteil zeugt von dem japanischen Einfluss. Ampeln sind mit entsprechenden Schrift-Zeichen versehen, Straßenzüge haben speziell geformte Laternen und Läden sind in japanischem Stil gestaltet. Unsere Entdeckungstour endet aber, als ein unglaublicher Wasserfall über der Stadt sich ergießt, kombiniert mit Windböen, die die Fallrichtung um 90 Grad von vertikal auf horizontal ändern. Wir müssen also in einem asiatischen Restaurant zuschlagen. Hilft alles nichts.

Am nächsten Tag wollen wir einen Ausblick über die Stadt wagen und kommen in das Geschäftsviertel der Stadt. Breite Fußgänger*innen-Zonen, Geschäftsleute, Kanzleien, Hochhäuser, … ja einiges erinnert ziemlich an London.

Das Hochhaus mit der besuchbaren Ausblicksebene breitet den Teppich aus wie ein Fünf-Sterne-Hotel und verlangt gutes Geld für ein wenig Aufzug. Naja, der Ausblick ist gut, aber nicht der höchste. Eine Ansammlung an Hochhäusern durchzogen von großen Straßennetzen und das soweit das Auge reicht. Auch an anderer Stelle finden wir eine breite Straße vor, die sich schnurstracks bis ins unendlich verliert, die zwar Fahrradspuren und moderne Busse hat, anders als in unserer Gegend, aber die Angebote rundherum sind nicht für unseren Geldbeutel gemacht.

Dann doch lieber unsere Gegend, die mir einfach und bodenständig erscheint. Im Selbstbedienungs-Restaurant um die Ecke gibt es lecker Feijoada. Das ist eine Art Bohneneintopf. Meist wohl mit dunkelroten Bohnen, aber es gibt auch einen mit schwarzen Bohnen. Vielleicht heißt einer von beiden nicht Feijoada, aber egal, von mir gibt es eine absolute Essempfehlung. Aufgepasst, manchmal ist es mit Fleisch angereichert. Auch frisch gepresster Orangensaft kommt auf unseren täglichen Speiseplan, hier „Suco de Laranja“ genannt.

Wer erneut einen Abstecher in die Bäckerei wagt, sollte auch mal Brigadeiros probieren. Aufgepasst, Diabetes-Gefahr. Brigadeiros sind Kugeln aus Kakao-Masse mit Schokostreuseln und gehören zur Familie der Trüffelpralinen. Gibt es an vielen Ecken.

Nach einer herzlichen Verabschiedung von Samant und Isabel klappern wir nochmal all unsere Lieblingsplätze ab, bevor es mit der Metro wieder zurück zum größten Busbahnhof Lateinamerikas geht.


Mai 12 2018

Caesar ist stark

Porto Velho

9. Mai 2018

 

Ein schrilles Pfeifen zerreißt die Stille. Stille in die ich seit zehn Minuten hineingehört habe. Immer mal unterbrochen von Flip-Flops die über Metallboden scharen. Die Stille wäre keine Stille wenn ich das laute Brummen des Schiffsdiesel noch hören würde. Doch das ist zu einem Grundrauschen geworden. Irgendwo im Hintergrund. Vor zehn Minuten hat der oder die erste an meiner Hängematten-Aufhängung gerüttelt. Unabsichtlich bestimmt. Im Vorbeigehen. Seitdem habe ich den begrenzten Ausschnitt beobachtet den ich rechts an meiner Hängematte vorbei sehen kann. Hinter der Reling liegt der Rio Madeira und Regenwald an dessen Ufer. Willkommen auf der „Almte Moreira IX“ unserem Schiff, unserem zu Hause, unseren Fenster in den Amazonas-Regenwald, unserem Bus nach Porto Velho, unserem Gefängnis und unserer Klassenfahrt.

Unser Fenster

Unser Schiff fährt dicht am Ufer, weil wir flussaufwärts unterwegs sind und am Ufer die Strömung weniger stark ist. So kann ich die vielen großen und kleinen Sträucher und Bäume gut beobachten. Mit ihren ausladenden Zweigen. Das Ufer ändert sich ständig. Manchmal kommt Schwemmland und dann tritt die Vegetation hinter riesigen Pfützen zurück. Manchmal rote Steilhänge. Manchmal stehen Holzhütten auf Stelzen mit oder ohne Menschen davor. Hölzerne Boote schaukeln in unserer Bugwelle oder fahren an uns vorbei. Die Holzboote sind ungefähr zehn Meter lang und auf der Heckreling ist ein unverdeckter Motor angebracht. Die Welle zur Schraube ist gute zwei Meter lang, sodass mensch den Eindruck erlangen kann, die Boote fahren mit übergroßen Stab-Mixern die flach ins Wasser gehalten werden.

Bei Holzhütten gibt es meist auch kleine Plantagen. Je mehr Holzhütten beieinander stehen, desto öfter kommt noch ein Sozial-Zentrum, eine Schule, ein Fußballplatz oder eine Kirche hinzu. Alles entsprechend klein, aus Holz und bunt angestrichen. Menschliche Siedlungen unterbrechen lediglich die unendliche Strecke des Regenwald-Ufers. Immer wieder schlüpfen aus den Wipfeln die langen weißen und die schnellen Blauen Vögel hervor. Die weißen stehen mit ihren langen Beinen oft am Ufer. Die grauen treten in Scharen auf und machen Lärm wie hundert ungeölte Fahrräder. Einmal lag am Ufer auch ein schwarzes Krokodil (Anmerkung: Der Autor hat keine Ahnung von Tieren und Pflanzen. Das Tier hält er für ein Krokodil, weil es halt so aussieht, wie er sich ein Krokodil vorstellt.) Aus dem kaffee-braunen Wasser des Rio Madeira taucht auch hin und wieder einer der grauen oder rosanen Flussdelphine auf.

Unsere Klassenfahrt

Schon mit Beginn der Reise merken wir, dass viele sehr gut gelaunt sind. Viele sind sehr gesprächig, sodass auch ich viele Menschen sehr schnell kennen lerne. Ein Großteil der Menschen ist auf dem Weg aus Venezuela in ein schöneres Leben in einem spanisch-sprachigen Land. So auch Kevin, mein Hängematten-Nachbar. Als er sich aus seiner Hängematte schält, werde ich erneut geweckt und mache es ihm gleich. Aufgrund der Enge geschieht das nicht, ohne dass wir uns gegenseitig wecken. Kevin ist auf dem Weg nach Peru. Er grinst fast ausnahmslos und ich habe ihn seinem Erscheinen nach auf 18 Jahre geschätzt. Tatsächlich ist er 25. Kurze schwarze Haare, langes Gesicht, dünn gebaut und flott zu Fuß. Kevin ist allein unterwegs. Wir unterhalten uns abends manchmal, von Hängematte zu Hängematte und dabei lerne ich venezolanisches Spanisch. „Pingue“ zum Beispiel ist eine starke Steigerung, die vor allem zusammen mit heiß und kalt verwandt wird. Mensch könnte es mit „bastante“ oder im weitesten Sinne mit „mucho“ gleichsetzen. Kevin ist ein wenig wie Mickey Maus‘ Goofy. So richtig scheint er keinen Plan zu haben, aber irgendwie hat er ständig das Glück, zufällig an sein Ziel zu kommen. ohne jemals wirklich traurig zu sein.

Diese ständige Freude, die Enge und die Zeit machen die Reise zu einer Art Klassenfahrt. Schnell freunden sich viele an. Da ist der Musiker, da der Draufgänger und dort der Ruhige. Einer erzählt mir, dass er drei Jobs in Venezuela hatte, von dessen Einkommen er sich im Monat gerade mal ein Huhn leisten konnte. Ein anderer fordert, dass der Bolivar, die venezolanische Währung, mit dem US-Dollar gekoppelt wird, damit die Hyperinflation ein Ende hat. Sie vereint die Flucht und das Wissen, dass Venezuela nicht so schnell stabil wird. Die nächsten Wahlen sind keine echten Wahlen, meint der eine. Wenn Maduro nicht gewinnt, gibt der Gewinner seine Macht an Maduro ab. Das Land hätte keine andere Wirtschaft außer die Erdöl-Industrie. Das macht die Situation zu einer Katastrophe. Hector erzählt, dass er zwei Töchter und eine Frau zu Hause hat. Er möchte in Peru arbeiten und diese versorgen oder nachholen.

Joseph, Caesar und Ramon reisen zusammen und möchten von Argentinien aus ihre Eltern und Geschwister unterstützen. Caesar ist 27, vielleicht 1,70m groß, ärmelloses türkises T-Shirt, muskulös gebaut. Caesar ist nicht ganz so überschwänglich und erklärt mir, dass Venezolaner*innen auch dann freudig sind, wenn ihnen grad was schlechtes widerfahren ist. Caesar hat Informatik studiert und einen Bruder in Buenos Aires. Sein Traum ist es, ein eigenes sicheres und freies Betriebssystem zu programmieren, dass viele verwenden. Er ist Fan von freier Software wie Linux. Wir können uns viel unterhalten und ich lerne dabei zusehend spanisch. Es ist hart. Den Satz „Kannst du es nochmal langsam sagen“ kann ich auf spanisch mittlerweile auswendig. Ich erzähle viel von unserer Reise, unseren Vorhaben, meinem Leben in Deutschland. Er ist sehr interessiert. Hinter den freudig-freundlichen Gesichtern vermute ich aber auch eine traurige Seite. Ich kann es mir schwerlich ausmalen, dass so viele Menschen so beschwingt ihr Land verlassen. Umso schöner, dass sie es mit Leichtigkeit machen. Ob er eine Freundin hat, frag ich Caesar.

Ja und Nein, sagt er.

Pause.

Ja, aber wir machen grad eine Pause, solange wie ich unterwegs bin.

Es klingt aufrichtig, aber nicht mehr so sorgenlos.

Unser Schiff – unser zu Hause – unser Gefängnis

Der Pfiff hat uns zum Frühstück gerufen. Vor dem Eingang in den Essensbereich steht schon eine Schlange. Ich reihe mich ein und schau mich wartend um. Das erste Obergeschoss ist im vorderen Bereich Stauraum und in der hinteren Hälfte der Hängematten-Bereich. Dieser Bereich ist auch überdacht durch den 2. Stock. Am Heck befindet sich, durch ein Plastikgitter abgetrennt, der Essensraum. Unten stehen noch mehr Sachen, die transportiert werden, wie beispielsweise, Farbdosen, Para-Nüsse oder Holzkohle. Vor allem aber stehen dort Autos. Auf dem obersten Deck gibt es eine überdachte Fläche mit Stühlen, ein Kiosk mit Fernseher, der Crew-Bereich und natürlich die Brücke. Sogar auf dem obersten Dach transportieren wir Materialien, wie beispielsweise Stühle. Auf dem Vorschiff ist alles verdeckt durch Planen, bis auf die Fahrräder und Stühle. Die Brücke ist sehr eng und gesteuert wird mit einem historisch wirkenden roten Steuerrad. Schon die Gesamterscheinung des Schiffes mutet historisch an. Besonders die anderen hölzernen Varianten dieser Schiffe, die wir öfters sehen, geben den Eindruck, dass schon im 19. Jahrhundert diese auf den Flüssen unterwegs waren.

Nach und nach dürfen wir in den Speisesaal, und wenn Menschen fertig gegessen haben, werden neue eingelassen. Ich lasse mir etwas vorgesüßten Kaffee in den Plastikbecher und zwei süße Milchbrötchen. Nach ein paar Tagen gibt‘s keine Brötchen mehr, dann gibt‘s kleine Kekse. An langen steinernen Tischen, nehme ich auf einen der weißen Plastikhocker platz. In den Margarine-Schachteln stecken Messer, mit dem ich die Brötchen aufschneiden und mit der salzigen Margarine bestreichen kann. Das ist das Frühstück hier an Bord.

Auf dem Rückweg schlängele ich mich an wartenden Menschen und Hängematten vorbei. Gute 50 Hängematten in allen Farben gibt es hier. Die meisten aus Stoff und nicht so billiger Plaste-Kram wie unsere. Wir glauben nicht, dass wir sie mehrmals brauchen, aber für das Schiff ist eine Hängematte unerlässlich. Die Hängematte hängen quer zum Schiff und überlappend passen drei nebeneinander. Mein Tag beginnt mit der Naht-Kontrolle. Jedes Mal wenn ich mich in die Hängematte setze, macht sie ein Geräusch, als wenn gleich Nähte reißen. Deswegen das Sicherheitsritual nach dem Frühstück. Auch tagsüber verbringe ich und viele andere ihre Zeit in der Hängematte. Lesen, schlafen, Musik-hören, Podcast-hören, unterhalten. Bei fünf Tagen die das Schiff braucht, haben wir viel Zeit für alles mögliche. So nähe und lese ich viel, was ich sonst nicht machen würde. Eingezwängt zwischen vielen Menschen, ohne Privatsphäre und kaum Raum in dem ich mich bewegen kann. Es hat auch etwas von Gefängnis.

Unser „Bus“ nach Porto Velho

Unser Weg führt von Manaus nach Porto Velho. Etwas den Amazons runter und dann rechts abbiegen in den Rio Madeira. Eine andere Verbindung über Land als das Schiff gibt es nicht. Es gab und gibt Planungen über eine Straße, aber diese ist wieder zugewachsen. Die Transamazonica soll Höhe des Äquators vom Atlantik bis zum Pazifik reichen. Sie würde auch Manaus und Porto Velho verbinden. In Brasilien heißt sie BR-319. Die anderen Länder neben Brasilien befürchten den brasilianischen Einfluss, sodass sie nicht ganz so eifrig hinter dem Projekt stehen. Aber auch indigene Völker und Umweltschützer protestieren, teils mit Besetzungen. Bis nach Manaus und damit ein erhebliches Stück ist schon fertiggestellt. Das Stück nach Porto Velho und weiter Richtung Grenze ist allerdings überwuchert und wurde nicht komplett asphaltiert. Sollte die Straße zukünftig Städte an das Straßennetz verbinden, würde das deren Wirtschaft unterstützen. Diese besteht aber zu nicht unerheblichen Teilen aus der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Bergbau. Alle drei reduzieren den Regenwald schon jetzt nachhaltig, sodass im Bundesstaat Rondonia, wo wir hinfahren, ein Viertel des Waldes abgeholzt ist. Die Rohstoffe gehen oft nach Europa. Die Landwirtschaft produziert vor allem Soja, das Haupt-Futter in der industriellen Massentierhaltung. Für neue Felder wird Regenwald abgebrannt oder abgeholzt.

Schon jetzt hat Brasilien entlang der Transamazonica eine Blutspur gezogen. Mindestens 9 indigene Völker wurden ganz oder fast vollständig umgebracht. Da die Völker nicht gegen die selben Krankheiten immun sind, wie die zugewanderten Europäer*innen, wurden vielen der Völker bspw. mit Windpocken vergiftete Geschenke gemacht. Eine Windpocken-Pandemie tötete dann das indigene Volk. Erst spät wurde das europäische Märchen vom nahezu unbewohnten Regenwald widerlegt. Von den ehemals fünf Millionen Indigenen im Amazonas-Regenwald gibt es heute nur noch ca. 300.000. Viele werden noch heute diskriminiert oder durch Holzfäller und Bauern vertrieben. Die übrigen unkontaktierten Völker im Regenwald verhalten sich oft sehr aggressiv gegenüber Fremden, weil der mörderische Umgang der europäischen Nachfahren mit ihnen bekannt ist. Hätte es eine Busverbindung über die Transamazonica für uns gegeben, ich hätte mir sehr schwer getan, diese zu nutzen.

Porto Velho kommt

Zurück aufs Schiff. Wir halten an Tag 4 für ungefähr acht Stunden in Humaitá, wo etwas Ladung und vor allem Brasilianer*innen von Bord gehen. Mittlerweile nimmt das Langeweile-Gefühl zu und das Essen bleibt einseitig. Reis, Spaghetti, Bohnen und gekochtes Fleisch. Mittags und Abends. Jeden Tag. An einigen Tagen wird zusätzlich gegrillt auf dem Oberdeck. Ich unterhalte mich mit Ramon und frage ihn nach den Holzhaus-förmigen Booten, die vor jeder noch so kleinen Siedlung liegen. Es sind Baggerschiffe, sagt er. Später sehe ich auch größere im Fluss. Mittels einer Pumpanlage wird der Fluss-Schlamm angesaugt und über breite Holzrinnen geleitet. Dort soll sich das gesuchte und schwerere Gold ablagern. Vermutlich unter dem Einsatz des giftigen Quecksilbers, das die Arbeit effektiver macht.

An Tag 5 ist es endlich so weit. Agraranlagen werden sichtbar. Eine große Brücke und Hochhäuser kommen ins Blickfeld. Wir sind glücklich, weil bald können wir das Boot verlassen. Alle packen. Wir auch. Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden und wünschen uns gegenseitig viel Erfolg auf unseren neuen Wegen. Ich tausche mit Caesar Kontaktdaten und muss an unseren letzten Abend denken.

Er erzählte von seinen Eltern, die ihn ungern gehen ließen. Er selber würde nicht so viel an zu Hause denken und meint, seine Eltern seien halt sentimental. Er verkauft sich als stark, aber ich empfinde Mitgefühl. Es ist diese Stärke, die die andere Schwäche ausgleichen soll. Er erzählt, dass er seinen Eltern nicht gesagt hat, dass er mit Karten-Tricks in den Straßen Geld hinzuverdient hat. Touris seien sehr leichtgläubig. Dadurch konnte Caesar sich schickere Kleidung und Schuhe kaufen. Er und ich führen den herumstehenden Menschen unsere Karten-Tricks auf. Nachdem die meisten sich schlafen gelegt hatten, um bis zum 6-Uhr-Pfeifen zu schlafen, sitzen Caesar und ich noch unter dem imposanten Sternenhimmel, der durch keine Stadtlichter beeinträchtigt wird. Wir sprechen über die ungerechte Welt. Dass Touris immer höhere Preise zahlen und das Latinos/as immer Preise unter den angezeigten verhandeln können.

Dann zeigt er mir ein Photo auf seinem Handy.

Völlig ungefragt.

Seine Freundin.

und seine Augen verraten mir, dass auch der starke Caesar nicht nur stark ist.


Apr 12 2018

Auch Waffen?

25,85517° nördliche Breite

51,63847° westliche Länge

05.April 2018

Es hat sich viel geändert über die Tage auf See. Vor einer Woche sind wir noch in der Nacht losgedampft. Nachdem es tagelang nass und kalt war. Hoher Seegang und steifer Wind. Ich konnte mich mit meinen Körper schräg in den Wind stellen ohne umzufallen. Saß ich nun im T-Shirt nach Sonnenuntergang draußen. Das Meer ruhig, kaum Bewegung im Schiff. Wir sind jetzt im Sargasso-Meer, ein Teil des Atlantiks, der eher ruhig ist.

Erst jetzt fällt mir auf, wie krass der weite Blick ist. Endlos weit. Wo kann ein Mensch soweit zum Horizont sehen, wenn nicht von einem Schiff, um das herum auf tausende Kilometer Entfernung keine Küste ist. Jede große und kleine Wolke ist zu erkennen. Scharf und dunkel stechen sie vor dem Abendrot hervor. Es ist eher ein Abend-Orange. Aber in seiner Breite unglaublich unbegrenzt. Durch kein Berg, kein Haus, noch nicht mal ein Hügelchen, verdirbt die Sicht.

Schon langsam schälen sich Sterne aus dem dunkler werdenden Blau hervor. Die hellsten zu erst. Wenn es dann richtig dunkel ist und die Augen sich daran gewöhnt habe, dann beginnt der Himmel 3D zu werden. Es ist ein Schauspiel was ich nur von langen Seefahrten kenne. In Städten und auch in hunderten Kilometern Nähe ist die Lichtverschmutzung immer noch so immens, dass der Sternenhimmel sich nicht vollständig entfaltet. Hier aber, gibt es unzählige Sterne, Abermillionen, die den selten Eindruck verleihen auch vor- und hintereinander zu sein. Der Himmel erscheint in 3D. Es ist – glaube ich – leider kaum vorstellbar, wenn mensch es nicht erlebt hat.

Ich merke auch, dass ich mich hier eingelebt habe. Drei Mal am Tag stopfen wir uns voll, und beschäftigen uns dann wieder. Mit dem einen Opa spiele ich nun seit Tagen Schach, was mich echt herausfordert, weil er ziemlich gut ist. Zum Teil kann er nicht einmal den Läufer vom Bauern unterscheiden, gewinnt aber trotzdem in einer Tour. Eine Partie dauert auch mal über zwei Stunden. Schweigsam kombinieren wir abwechselnd sämtliche Möglichkeiten des Gegners um dann festzustellen, dass die hundertvierundfünfzigste von mir nicht betrachtet wurde. Während der Partie vor dem Abendbrot kommt dann auch die fast tägliche Durchsage, dass nachts die Uhren um eine Stunde zurückgestellt werden.

Gestern sind wir auch mal in den Keller gestiegen. Der Chief Engineer hat auf unsere Nachfrage hin eine kleine Führung gegeben. Mit einer irren Geschwindigkeit sauste er mit uns dadurch. Noch Fragen? Gut. Tschüss. Der Maschinenraum ist nochmal vier oder fünf Stockwerke tief mit zig Maschinen. Im Herzen befindet sich eine Wärtsilä-Maschine die den Propeller antreibt, der etwas größer ist, als die meisten Menschen mit ausgebreiteten Händen fassen können. 150 Tonnen Schweröl verbraucht das Schiff zurzeit pro Tag. Wir fahren mit 20 Knoten, was umgerechnet 37 km/h sind. Grad genug um in der 30er-Zone geblitzt zu werden. Im Maschinenraum ist es sehr warm und es riecht nach Öl. Viele gelbe Leuchten erleuchten die verwinkelten Metalltreppen, Ebenen, Räume und Brücken. Das Schweröl muss vor dem verbrennen auch erhitzt und unter Druck gebracht werden. Viele der Maschinen gehen auch über mehrere Stockwerke. Von einer Art Kommandozentrale aus, überwachen und steuern die leitenden Ingenieure die Maschine. Jede Kleinigkeit können sie einsehen, bis hin zu Temperatur und Druck in jeden einzelnen Zylinder. Von der Maschine aus kommend sieht mensch als erstes den gut 40 Meter langen grünlichen Schaltschrank. Davor ein nur etwas kürzeres Schaltpult inklusive einiger Bildschirme und Laptops. Vom Gang zwischen Schrank und Pult aus, wacht der diensthabende Ingenieur. Vermutlich Ukrainer, zumindest verrät dies eine riesige Flagge an der Wand. Neben der Hauptmaschine, die für die Fortbewegung nötig ist, gibt es weitere die den Strom liefern. Es gibt unzählige Seitenräume, deren Funktion ich nicht immer verstand. Sogar eine kleine Werkstatt gibt es. Wie gesagt, riesig!

In den Gängen und im Zimmer hängen dutzende Bilder von CMA-CGM-Schiffen, insbesondere von den größten Container-Schiffen. Interessant ist, dass die natürlich festgeschraubt sind, wegen des Seegangs. An Info-Tafeln hängt der Wachplan von der Brücke, eine Übersicht über die Crew und Meldungen von der Reederei. Dieses Jahr sind in Ostasien schon Container von CMA CGM über Bord gegangen und andere schwer beschädigt worden. Auch gab es eine Kollision mit einem Fischerboot aufgrund zu hoher Geschwindigkeit.

Die Entwicklung der Container-Schifffahrt tendiert aber zu langsamer, größer und effizienter. Maersk, ein großer dänischer Reeder, nimmt Schiffe in Betrieb die über 20.000 Container tragen und langsamer fahren um Sprit zu sparen. Zwei-Propeller-Zweitakt-Motoren die langsamer drehen sollen effizienter sein und das Abgas wird noch genutzt um ein Turbine anzutreiben. Die Maschine wird soweit wie möglich achtern angebracht, aber das Deckshaus steht am Ende des vorderen Drittels. Damit ist die Sicht besser und es können auch vorne mehr Container geladen werden. Bis zu 10 Container stehen dann an Deck übereinander. Allerdings können die Riesen-Frachter nun nicht mehr jeden Hafen anlegen. Manche Schiffe können in Europa dann nur noch im neuen Hafen von Rotterdam anlegen. Das größte Container-Schiff, die OOCL Hongkong, kann in Deutschland nur am JadeWeserPort festmachen.

Unser Frachter ist da ein Spielzeug dagegen. Mittlerweile kann ich einige Offiziere zuordnen und bekomme ein Gefühl wer wer ist. So dann habe ich mal den erfolgversprechendsten unter den Offizieren gefragt, was wir denn eigentlich in unseren Containern transportieren. Er sagt, er weiß es und grinst. Wir warten gespannt. Alles. Das heißt? Von Früchten über Shampoo bis zu Fahrzeugen, einfach alles mögliche. Auch Waffen? Kann sein.


Apr 12 2018

Solltest du mal …

34,0431° nördliche Breite

36,40965° westliche Länge

03. April 2018

… auf die Idee kommen, auf ein Frachtschiff zu steigen, sodann hier ein paar womöglich nützliche Informationen bzw. zu Einstimmung darauf …

* Nimm‘ dir Beschäftigung mit! Filme, Dokus, Serien, Bücher, was du schon immer mal lernen wolltest, Karten, Sportsachen, Nähwerkzeug, Freund*in, unentdeckte Kamerafunktionen, Arbeit, Briefe, Reparaturbedürftiges und das nötige Material, komplizierte Fragen über die du sinnieren musst, Computerspiele, dein Laptop, Smartphone, … wenn du nicht grad viel Geld für Wifi oder Satelliten-Telephonate ausgeben magst. Natürlich kannst du auch mal übers Schiff schlendern, auf die Brücke gehen, verträumt die Wellen und den Horizont beobachten, in die Muckibude gehen oder mal fragen ob du eine Führung im Maschinenraum bekommst, aber bei gern mal zwei Wochen Reisedauer, ist das nicht viel.

* Die Leute an Deck sind nicht zum Vergnügen da. Sie arbeiten und wenn nicht, dann wollen sie ihre Freizeit genießen. Stellt euch vor, ihr arbeitet viel und dann kommt eine*r um die Ecke und fragt was ihr da macht, wie das hier alles so funktioniert und ist offensichtlich gelangweilt. Vielleicht ist es mal angenehm, aber meistens bremst es, ist zusätzliche Belastung und Chef hat gesagt, dass die gut zu behandeln sind.

* Auf See geht meist alles. Im Hafen ist Stress, sowie beim Ein- und Auslaufen. Alle müssen arbeiten. Die Container müssen los- oder festgemacht werden. Viel Bürokratie. Die Crew wechselt. Neue Lebensmittel kommen an Bord. Es wird getankt und vieles mehr, was wir als Laien gar nicht wissen. An- und Ablegen, bzw. die Fahrt durch die Steuer- und Backbord-Tonnen in bzw. aus den Hafen, ist immer noch Handarbeit auf der Brücke, inklusive eines Lotsen von dem jeweiligen Hafen, der mittels Lotsenboot schon vor dem Hafen zu- bzw. aussteigt. Aber auf offener See, ist ein Besuch der Brücke oder des Vorschiffs kein Problem. Einfach auf der Brücke fragen.

* Schlafen auf der Baustelle. Das muss mensch können. Eine Passagierin hat sogar nach Ohrenschützern aus dem Maschinenraum gefragt. Es wackelt, schwankt, vibriert, brummt, piept, stinkt … nichts für Menschen mit leichten Schlaf.

* Satt aber nichts besonderes. Die Mahlzeiten sind groß und viel, immer warm, oft mit Vorspeise, aber nichts teures. Wer besondere Essgewohnheiten hat, kann Schwierigkeiten haben. Der Hauptgang wird gebracht. Dem Servierer habe ich erklärt, dass er bei mir die Tiere weglassen kann. Das macht die Kombüse nun seit Tagen sehr liebevoll. Du kannst dir aber vorstellen, dass – wie in einer Kantine – es schwierig ist, wenn jede*r seine speziellen Essgewohnheiten umsetzen will. Ich denke aber, vegetarisch lässt sich noch gut umsetzen, vegan wird hart. Du isst in der Offiziersmesse und da hat dann jede*r sein Platz und die Passagiere essen nach der Crew. Dadurch ist das Essen nicht immer heiß, aber mensch kann so lange sitzen wie er*sie mag. Die Essenszeiten sind festgelegt. Aus irgendeinen Grund bekommen wir nun jeden Abend eine Flasche Wein mit auf den Tisch.

* Plan‘ nicht zu fest die An- und Abreise. Mein Schiff wäre fast schon in der Nacht zum Vortag gekommen. Du musst zusteigen, wenn der Hafenagent das sagt. Drei Tage vor dem geplanten Abfahrtstag musst du den*die Hafenagent*in anrufen, dessen Nummer du von der Reiseagentur bekommst. Der sagt dann, Tag und Uhrzeit. Das kann, muss aber nicht, der vorher bekannte Termin sein. Unter Webseiten wie MarineTraffic könnt ihr die geplante Ankunftszeit eures Schiffes schon vorher sehen. Das heißt unter Umständen, dass ihr schon ein paar Tage vorher in die Nähe des Hafens reisen müsst, falls die Anreise sehr weit ist. Ebenso mit der Ankunft. Mein Schiff hatte schon vor meinem Zustieg Verspätung aufgebaut und zwei Häfen ausgelassen. Einen hat es nach dem Ablegen noch zusätzlich angesteuert. Das bedeutet, dass ihr dann auch ein paar Tage später ankommt. Für den Weg zum oder vom Schiff musst du meistens noch eine spezielle Taxi-Agentur in Anspruch nehmen.

* Helm auf und Raus. Das Schiff besteht ganz vereinfacht aus dem Hochhaus und den Containern. Vier Fünftel oder mehr sind Container, über oder unter Deck gestapelt, bis an die Reling. Am Heck ist „im Keller“ der Schiffsdiesel und darüber ein acht-geschossiges Hochhaus. Dort lebt die ca. 20-köpfige Crew. Am Hochhaus sind seitlich Treppen und Plattformen. Dort kannst du jederzeit hingehen. Aufs Deck an sich, am besten nur wenn das Schiff auf See ist. Dafür musst du aber den Watch-Officer auf der Brücke bescheid sagen und den Helm aufsetzen. Pass auf, draußen ist alles nass, windig, kalt und salzig. Die Geländer sind oft von einer salzig-klebrigen Schicht überzogen. Grad am Bug kann bei Seegang auch mal Meerwasser übers Deck wehen, und bei starken Wind, auch bis in den sechsten Stock. An Deck kann ich den Helm empfehlen. Für den Keller musst du fragen.

* Der frühe Vogel. Wenn es für dich ans buchen geht, so ist frühzeitige Planung oft sehr hilfreich. An Bord sind hier nur zwei Paar- und ein Einzel-Zimmer verfügbar. Bestimmte Routen sind beliebt, auf anderen kannst du auch kurzfristiger Glück haben. Trotzdem ist das ganze Papier-Procedere im Vorfeld sehr aufwändig, sodass du sicherlich nicht übernächste Woche fahren kannst. Es ist zudem teuer. Mindestens das doppelte zum Flug auf der Strecke musst du rechnen.

* Stunde um Stunde. Fast jede Nacht stellen wir die Uhren um. Wir fahren seit Tagen südwestwärts und überfahren regelmäßig Zeitzonengrenzen. Meist kommt vor dem Abendbrot eine Durchsage und dann wird Mitternacht die Uhr verstellt. Das kann manchmal gewöhnungsbedürftig sein. Als wenn jeden Tag auf Sommerzeit umgestellt werden würde.

* harte Währung. Die einzig internationale Währung ist der US-Dollar. Zu seltenen Momenten öffnet der Kapitän den Shop und dort kann Alkoholika, Süßes und Knabberkram gekauft werden. Er lies sich aber erweichen und akzeptierte diesmal auch den Euro, nur kann er nicht wechseln.

* Selbstsäubern. Für die Sauberkeit ist jede*r selbst verantwortlich. Der Müll wird mal abgeholt, aber Bettwäsche muss einfach selbst gewaschen werden. Es gibt eine Waschmaschine mit integrierten Trockner auf dem Gang. Auch für die eigene Wäsche. Für die Selbstreinigung muss nicht extra auf den Gang. Duschen bei Seegang sollte mensch einfach mal gemacht haben. Das Hochhaus-Innere ist sehr sauber.

* Türen schließen. Türen können nicht auf halb acht bleiben. Im blödesten Fall kommt eine Welle und schmeißt dir die Tür an den Kopf. Unbedingt drauf achten.

* Gemeinschaft. Von der Crew bekomme ich gar nix mit. Keine Ahnung was die in ihrer Freizeit machen. Für die Passagiere gibt es einen Gemeinschaftsraum mit Tee, Kaffee, Fernseher zum DVD abspielen, ein Schrank mit Büchern, DVDs und Spiele sowie eine Couch mit Tisch und zwei Stühle. Kein großer Raum, aber für eine Partie Schach ausreichend.

Fazit: Es ist machbar. Das wirkliche Probleme für viele Menschen ist eher die Zeit. Bei 21 Tagen Jahresurlaub möchte mensch verständlicherweise nicht 16 auf einem Container-Schiff verbringen. Aber ansonsten ist es nur eine Frage der Vorbereitung. und hey, es ist schon manchmal beeindruckend schön, hochoben auf einem schwankenden Schiff zu sitzen und weit und breit nur das Meer … Hach …


Apr 12 2018

Wenn Riesen atmen

48,08633° nördliche Breite

13,80216° westliche Länge

31. März 2018

Der Koloss, der Schiffsrumpf, hebt und senkt sich. Mal ganz flach, mal voller Energie. Als wenn ich auf der Brust eines Riesen stünde. Der stählerne Bug, an dessen Spitze ich stehe, gleitet durch den Atlantik. Es ist ein Kampf mit dem Atlantik. Die Welle rollt, völlig unbeeindruckt und im dunkelsten Blau, schräg auf den Bug zu. Viel kleiner als das Schiff in seiner Höhe, aber mächtiger. Schwerfällig atmet der Riese die Welle ein; der Rumpf hebt sich. Als er im nächsten Wellental wieder ausatmet, kann die kommende Welle nichts mehr ausrichten und zerschellt in Wasserstaub, bis über die Reling, wird zu kleinen Salzkristallen auf meiner Jacke, auf meiner Haut, auf meiner Brille. Mein Hände sind kalt vom nassen Wasser und steifen Wind. Doch die Faszination klammert mich an die fette graue Bugreling.

Doch plötzlich, ganz unerwartet, springt einer, dann noch ein weiterer, Delphin aus dem Wasser. Nur ganz kurz. Nicht wie im zeitverzögerten Film um ihn in seiner vollen Pracht bestaunen zu können; Nein, blitzschnell! Ich habe Schwierigkeiten sie wiederzufinden. Erneut rauscht ein Gruppe schräg frontal auf das Schiff zu. In Sekundenbruchteilen wenden sie und schwimmen nun um der roten Nase des Schiffes; eine Art U-Boot-förmige runde rote Spitze knapp unter der Wasserkante. Ihre grauen Rücken schimmern durch die Wasseroberfläche und ich schätze eher zwölf statt fünf Tiere. Sodann springt auch einer, aber nach wenigen Minuten, sind sie auch wieder verschwunden. So schnell, wie sie kamen, waren sie dann auch wieder weg. Einfach so.

Ich schau mich weiter um; den weißen Helm fest auf den Kopf gepresst. Bei sonnigen Wetter holte ich mir die Erlaubnis über Deck zu streunern. Unter den oberen Containern durch, und dann mal zwischen den Container-Reihen. Es ist zumindest mal was anderes und es gibt andere Perspektiven. Doch ohne eine Erklärung bleibt vieles einfach rätselhaft. Eines der größten Gefahren für die Arbeit auf See scheinen reißende Seile beim Festmachen oder Losmachen zu sein. Es wird mit vielen Illustrationen deutlich vor den Bereichen gewarnt, in denen gerissene, losschnellende Seile einen erfassen können.

Später, beim Abendbrot, fragt mich das Renten-Quartett, ob es Liegestühle am Bug gibt. Weil ich es nicht gleich verstehe, reißen plötzlich drei von Ihnen ihre Hände nach oben und ihren Kopf in den Nacken, um einen Liegenden zu demonstrieren. Mir war der Gedanke fremd, wenn mir regelmäßig kaltes Salzwasser über den Körper gegossen wird, ein Sonnenbad zu nehmen. Zumindest mussten wir herzlich lachen. Als sie wieder anfingen sich zu unterhalten, d.h. auf französisch, schweiften meine Gedanken wieder aus dem Fenster, zum Meer und dem schwankenden Schiff. Die Reling fest im Griff, das Wasser im Gesicht und ein Schiffsbug im Spiel der Wellen unter den Füßen – da kommt eine alte Kindheitserinnerung hoch: Eine unvergessliche Fahrt von Bornholm nach Świnoujście (Swinemünde).


Apr 12 2018

Noch siebeneinhalb Tage …

50,03002 nördliche Breite

2,55123 westliche Länge

30. März 2018

… bis Saint-Martin bzw. Sint Maarten, der kleinen Insel in der östlichen Karibik. Die Insel ist zwei-geteilt. Seit der Kolonisation gibt es eine französische Nordhälfte und eine niederländische Südhälfte. Wir steuern zu auf Philipsburg, dem Hauptort auf der Südhälfte. Aber noch sind es um die 3.500 Seemeilen. So langsam stellt sich ein Trott für mich ein, der in nicht allzu große Langeweile mündet, da ich mir wohlweislich viel zu lesen, schauen, schreiben, hören und lernen mitgenommen habe. Trotzdem ist es gut, ab und zu das kleine Zimmer zu verlassen. Doch draußen windet und regnet es stark. Sodass ich entweder auf Geländer und Treppen hoch klettere um nicht nasse Füße zu bekommen, oder meine Brille festhalten muss. Da halte ich es dann auch nicht lange aus.

Dem Renten-Quartett zu Folge, fahren wir grad in der Nähe ihres Zuhauses vorbei. Tatsächlich habe ich sogar Empfang über das Handy-Netz von Jersey bekommen. Dies gehört nur leider nicht zur EU, anders als Saint-Martin. Wäre schade um‘s gute Geld, sodass ich jetzt nicht in‘s Roaming investiere. Kein Handy, Kein Wifi, seitdem wir heute nacht zwischen 3 und 4 Uhr Rotterdam verlassen haben.

Zu dem ständigen allgegenwärtigem Vibrieren und Rumoren des Hauptmotors, sowie hin und wieder dem Geruch von verbrannten Schweröl, dem Treibstoff, gesellte sich nun das wellenbedingte Rollen und Schaukeln. Der Captain hat heute auch eine kleine Durchsage gemacht, dass heute Nacht die Uhren von Mitternacht auf 23 Uhr zurückgestellt werden. Vermutlich erreichen wir eine neue Zeitzone. Das wird wohl noch ein paar Mal passieren und mir jedesmal eine Stunde mehr geschenkt. Trotzdem wäre ich lieber schon morgen als übermorgen da …


Apr 12 2018

Gute Frage? Keine Frage!

50,46327° nördliche Breite

0,66121° östliche Länge

28. März 2018

Plötzlich brummt das Schiff. Der Stahlboden unter meinen Füßen vibriert und eine dunkle Rauchwolke verdunkelt kurz die Sonne. Es ist soweit. Der Hauptmotor erfasst die St Laurent. Die Kräne sind schon hochgeklappt oder weitergefahren. Die eigenen Kräne wurden längs des Schiffs gedreht. Ein Kleinwagen fuhr vor und der Lotse stieg an Bord. Die Gangway wurde hochgefahren und eingeklappt. Aus einem zweiten Hafenauto steigt ein Arbeiter und zieht die riesige nun locker hängende Schlaufe des Seils über den Poller. Es klatscht laut, als das schwere Seil ins Hafenbecken fällt. Große elektrische Winden ziehen die Seile an Bord. Je ein Seemann kontrolliert das Aufrollen und ein weiterer koordiniert die Aktion am Heck.

Langsam driftet der Stahlkoloss weg vom Kai. Das Wasser am Heck schäumt auf und immer schneller werdend fahren wir entlang des langen Kais vorbei an größeren und kleineren Containerschiffen. Eines kann weit über 18.000 Container auf einmal transportieren. Wir dagegen nur maximal 2.000. Vom 7ten Stock aus, der Brücke, erscheint auch dieser Gigant wie ein Lego-Boot, das die Container-Bausteine von einem farbenfrohen Kind erhalten hat. Besonders dann, als der Kai, dann der Hafen, dann sogar Le Havre immer kleiner werden. Auch das Wetter wird besser. Der Regen über der Normandie bleibt an Land und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen mischen sich unter die kalte Briese.

Nächster Hafen: Rotterdam. Eigentlich hätte es nach Philipsburg gehen sollen, doch im vorangegangenen Hafen, in Algeciras, gab es Probleme, sodass London und Rotterdam vor Le Havre nicht geschafft wurden. Jetzt geht es also, in entgegengesetzte Richtung, erstmal nach Rotterdam. 10 Stunden Fahrt, weil wir mit 20 Knoten fahren und das bei 200 Seemeilen Entfernung. Das Laden dort wird auch nochmal 10 Stunden brauchen, ehe es auf den offenen Ozean geht. Von einer Reise, die schon einige Jahre zurück liegt, weiß ich, dass der Rotterdamer Hafen sehr weit draußen liegt, also schon fast in der Nordsee und damit weit weg von der Stadt Rotterdam. Das erschwert nicht nur mir, sondern auch den Seeleuten generell den Besuch der Stadt. Zumal Liegezeiten auch mehr Arbeit an Bord bedeutet. Vieles davon habe ich heute beim Abendbrot erfahren, denn im Gegensatz zu mir, hat sich das Renten-Quartett schon getraut, mal auf die Brücke zu gehen. Sogleich nach dem Abendbrot bin ich dann auch aufgestiegen, erst ganz schüchtern, aber als ich ein bekanntes Gesicht sah, dann mit Mut. Ob ich mal schauen darf? Wie fahrt ihr eigentlich? Wie bist du Seemann geworden? Schaut ihr euch tatsächlich noch Seekarten an? Welche Sprachen sprecht ihr an Bord? Nix. Nagut, wenig. Das sind nur wenige der Fragen die ich gestellt habe und noch weniger von denen die ich hätte stellen wollen. Doch der eine Seemann hat sich nicht mit mir unterhalten und der andere hatte kaum Interesse und sprach eher schlechtes Englisch. Die sind nicht zu meiner Unterhaltung da, das habe ich gemerkt. Mein Interesse ist groß an dem Schiff und der Seefahrt, doch einen Menschen, den ich fragen kann: Fehlanzeige. Wir hatten Probleme uns zu verständigen, sodass ich relativ schnell auch wieder gegangen bin. Trotzdem: Ja, die Route wird auch anhand von klassischen Seekarten bestimmt. Es arbeiteten zu dem Zeitpunkt zwei Leute auf der Brücke. Der Stumme schaute die ganze Zeit durchs Fernrohr. Der Gleichgültige stand an den Karten. Das Schiff an sich, fährt per Autopilot und berechnet seine Route auch anhand anderer Schiffe so, dass es nicht zur Kollision kommt. Nur im Hafen und beim Ein- und Ausfahren aus dessen, wird das Steuer, was eher einem modernem Autolenkrad ähnelt, in die Hand genommen. Ein Messgerät zeigt den Abstand zwischen Boot und Meeresboden an. Zu seiner Ehrenrettung sei gesagt, dass er auch mich was gefragt hat. Hast du schon die Sicherheitseinweisung bekommen? Nein. Hmm. Warum fährst du mit dem Frachtschiff? Doch auch hier verstand er meine Antwort nicht. Schade.

Mit kurzem Dank geh ich wieder an die frische Luft. Der Himmel blau, die Sonne tief, schon orange am Horizont. Die ununterbrochene Weite gibt den Blick auf Regenwolken frei, die anderswo übers Wasser ziehen. Ich frag mich, wie es das Renten-Quartett geschafft hat, der Brücke so viele Informationen zu entlocken. Deren Englisch gleicht eher dem des Gleichgültigen oder dem des Stummen. Mittags wollte ich dann mal wissen, warum sie ihre Reise mit dem Schiff machen. Wenn ich es richtig verstanden haben, ist es wohl ein entspanntes Gemisch aus „wir-haben-halt-Zeit“ und „hier-sind-nicht-so-viele-Touris“ und „von-dem-anderen-Paar-der-Sohn-ist-Irgendwer-auf-einem-anderen-Schiff“. Zumindest sind sie immer freundlich und der eine Opa ist um keinen Scherz verlegen. Auch der Seemann, der uns bewirtet, grinst immer. Gestern habe ich ihm gesagt, dass er bei mir die Tiere einfach weglassen kann. Aber Fisch? Nein. Und Hühnchen? Auch nicht. Er scheint es nicht zu verstehen, aber er macht es einfach, denn wir grinsen uns immer noch an, wenn wir uns sehen. Irgendwie mag ich Leute lieber, die wenigstens einfach immer grinsen, auch wenn sie nix zu sagen haben, als Leute von deren Gesicht mensch ebenso wenig erfährt. Das reine Männer-Team bleibt soziologisches Beobachtungsfeld! Gute Fahrt und bis morgen!