Mrz 24 2019

Die Stadt um den Obelisk

Von Karl

Buenos Aires, Argentinien

 

Ein letztes Mal, aber auch eine ungezählte Wiederholung dessen, verabschiede ich mich von Fran, Frans Freund, Elias und Luzi. Die vier hatten uns nach Puerto Falcón gebracht, einer kleinen Grenzstadt bei Asunción und dann sind wir zu Fuß nach Clorinda gelaufen, der argentinischen Stadt auf der anderen Seite des kleinen Flusses.

Es nieselt und lässt die beiden Städte in einem düsteren Bild erscheinen. Verstärkt durch den Eindruck der gelangweilten Grenzbeamt*innen und den überdachten Marktstraßen. Wir versuchen einen Bus nach Buenos Aires zu bekommen, doch der ist schon weg.

Wir werden angesprochen und bekommen Angebote in Sammeltaxen nach Formosa mitzufahren bzw. als klar ist, dass wir mindestens bis nach Resistencia möchten, sogar bis dahin. Da die Angebote aber viel zu günstig sind und auch zufällig erscheinende Gestalten uns versuchen zu überreden, nehmen wir von der Idee schnell Abstand uns im Nirgendwo ausrauben zu lassen. Bei einer Busfirma bekommen wir dann aber noch ein Busticket und sind froh aus dieser unheimlichen Stadt herauszukommen, zumal die Nacht anfing sich auszubreiten.

In Asunción hatte ich meine Brille vergessen, sodass ich nochmal für eine Nacht zu Frans Familie reiste. Es lag zudem auf dem Weg. Selbst Fran war da. Trotz der Kürze unseres Aufenthalts ließ Elias es sich nicht nehmen uns eine kleine Führung im Viertel zu geben. Einer der berühmtesten Fußballer Paraguays, Derlis González, hat ein Haus zwei Blocks weiter. Später verbringen wir aber die meiste Zeit damit bei einem Supermarkt zu warten, dass ein heftiges Gewitter vorbeizieht. Zudem fällt auf, dass unsere Kreditkarten, sowohl die von Azul, als auch meine, erst für die jeweiligen Länder freigeschaltet werden muss.

Ein letztes Mal bereitete Luzi für uns Vori-Vori zu, eine paraguayische Spezialität. Wir witzelten noch, dass sie das eigentliche Highlight von Asunción ist. Schon ziemlich traurig, dass wir die sehr gastfreundliche Familie hinter uns lassen, winke ich ihnen ein letztes Mal, bevor ich um die Ecke verschwinde.

Die lange Reise nach Buenos Aires

Der Bus nach Resistencia entlässt uns gegen Mitternacht und wir suchen die letzten noch offenen Schalter ab und tatsächlich geht es direkt weiter, über Nacht, nach Rosario.

Eine weitere Großstadt auf dem Weg zum Ziel. Wer Geld sparen möchte, dem empfehle ich öfters mal umzusteigen, dann die Ticket-Preise können in der Addition günstiger sein, als der Direktbus. Wir wählen aber notgezwungen unsere Busse. Obschon wir in Rosario nicht mehr weit von Buenos Aires entfernt sind, so gibt es doch nur einen Bus als Option. Sie hüpfen wir also von Bus zu Bus, bis wir auf vierspurigen Autobahnen parallel zu Metro-Zügen auf eine Stadt mit unzähligen Bürohochhäusern zusteuern.

Buenos Aires ist nicht nur die Hauptstadt, sondern auch eine Provinz. Der Kern an sich ist nur die Verwaltungshochburg mit knapp drei Millionen Menschen. In der Provinz leben aber knapp sechzehn Millionen. Der Übergang ist fließend und Vorortzüge, sowie die Metro, genannt Subte, verbinden die umliegenden Gebiete fließend. Bei den Zügen gibt es verschiedene Verbindungen auf der gleichen Strecke, sodass auch Züge gewählt werden können, die einzelne Haltestellen auslassen und deshalb schneller sind. In der Nacht wird der Verkehr eingestellt.

Mit einen der Züge geht es in eines dieser unzähligen Stadtviertel, wo wir in entspannter Umgebung zwei Nächte unterkommen können. Fernando heißt unser stiller Gastgeber. Er ist aber sofort hilfsbereit und schon zehn Minuten nach unserer Ankunft grast er das Internet nach Möglichkeiten ab nach Uruguay zu kommen. Abends kochen wir lecker gemeinsam und trinken mit seinen Freunden Bier. Es ist einer dieser vielen entspannten Abenden. Jedoch merke ich wieder wie mein Gehirn nach einer Weile auf Standby geht, da es auf die Dauer ziemlich anstrengend ist, wenn ich die Sprache nicht gut kann. Fertig von der langen Reise bin ich ziemlich froh dann in ein weiches Bett zu legen.

Buenos Aires

Manche Highlights waren mir als solche vorab nicht bekannt. An einer Straßenecke im Zentrum sitzt Mafalda auf einer Bank und eine lange Schlange hat sich davor gebildet. Ein jede*r möchte ein Photo mit ihr. Mafalda ist eine wohl berühmte Comic-Figur aus Argentinien, vermutlich aus Buenos Aires. Ihre Berühmtheit ging leider bislang an mir vorüber, aber angesichts dessen was ich nun über sie weiß, scheint sie zu den cooleren Comic-Held*innen zu gehören.

Ein weiterer Held begegnet mir dann zwei Blocks weiter. Schon lange misse ich die leckere vegane Küche und als aber ein junger Mann mit Fahrrad und veganen Schnitzel-Sandwichs vor mir auftaucht, ist mein Tag gerettet. So einfach kann ich glücklich werden.

Buenos Aires überragt Argentiniens restliche Regionen um ein Vielfaches und enthält alle entscheidenden Organisationen. So kann Präsident*innen-Palast, Kongress und Senat besichtigt werden, wobei letzterer sich nicht besonders verkleidet.

Der wohl schönere Ort der Stadt ist der Obelisk, der als Kilometer 0, also Zentrum der Stadt bzw. Argentiniens gilt.

Weiterhin gibt es den ehemaligen alten Hafen, der sich zum Geschäftszentrum entwickelt hat und vor allem der Oberschicht vorbehalten ist. Es ähnelt ein wenig der Hamburger Speicherstadt.

Ansonsten bietet die Stadt ruhige Parks und Monumente. Eigentlich alles, was eine lebenswerte Stadt hat. Auch die tapferen Aktivistis sind unterwegs und machen auf die absurden Lebensbedingungen der Tiere im Zoo aufmerksam. Natürlich am Eingang vom Zoo.

Wer günstig und nicht-fleischig essen mag, der empfehle ich die, meist asiatischen, Selbstbedienungs-Restaurants. Hier wird nach Gewicht bezahlt und es kann sich aus einer breiten Auswahl bedient werden.

Neujahr

Azul konnte eine Freundin ausfindig machen die mit ihrer Schwester eine kleine Wohnung weit näher am Zentrum bewohnt. Wir belagern nun den Boden des kleinen Wohnzimmers und versuchen als Dank die Wohngemeinschaft mit Essen zu versorgen. Damariz und Blanquita haben viele Antworten zu unseren Fragen und nehmen uns mit auf ihre Silvester-Fete. Eigentlich ist, besonders in Argentinien Silvester auch eine Familien-Feier, doch wir sind ja bei bolivianischen Emigrantinnen und die feiern im Kreise von Freund*innen. Es gibt lecker Essen und Trinken und dann wandern wir zu Fuß zum alten Hafen.

Bemerkenswert für mich sind die deutlich wenigeren Raketen, jedoch erfreuen sich die Leute den wenigen umso mehr. Zu dieser Zeit, die auch Hauptreisezeit ist, scheint die Stadt fest in brasilianischer Hand, denn von dort kommen die meisten Touris. Die Einheimischen sind bekanntlich bei den Familien zu Hause. Wir sparen uns den Eintritt in die teuren Clubs der Stadt – sie sind tatsächlich ungeheuerlich teuer – und spazieren durch die Stadt, bis wir vor dem Morgengrauen in die Koje fallen.

Am nächsten Tag mache ich eine Lerneinheit in Sprache und Kultur. Diesmal war ich dran einen Polizisten zu fragen wo denn ein günstiges Restaurant in der Nähe sei. Gesagt, getan, ich frage ohne Umschweife direkt danach. Der Polizist ist sichtlich verwirrt. Azul muss eingreifen und erklärt mir, dass ich sehr unfreundlich daherkomme. Das war mir gar nicht so bewusst, aber ja, wer spanisch oder englisch spricht, sollte eine Spur freundlicher sein, als auf deutsch. Ein „Entschuldigung, …“ oder „Wissen sie vielleicht …“ oder „Ich bin grad auf der Suche nach …“ oder „Können sie mir kurz helfen …“ oder dergleichen ist immer angebracht.

Fähre

Buenos Aires ist eine nette Gegend um zu verweilen, doch die Zeit drängt und wir brechen erneut auf. Der günstigste Weg nach Uruguay ist der Bus, doch die sind alle ausgebucht und zudem gibt es Konflikte am Grenzübergang zwischen den beiden Ländern wegen einer Zellulosefabrik. Also buchen wir die günstigste Fähre am Tag. Was aber immer noch saftig teuer ist.

Das Fährterminal nimmt sich wie ein Flughafen aus und ich bekomme den Eindruck die gehobene Klasse gebucht zu haben, nur dass es auch Massenabfertigung ist. Die Fähre ist ausgestattet mit zig Reihen von Bussitzen. Zu meiner Enttäuschung führt leider kein Weg raus aufs Deck. Die Sonne ist gerade untergegangen als wir an der Skyline von Buenos Aires vorbeigleiten. Ein letzter Blick zurück bevor die Stadt im diesigen Dunkel verschwindet.


Dez 15 2018

Million unterm Blätterdach

Mendoza, Argentinien

Von Karl

 

Als ich aufwache und aus dem Fenster schaue, sehe ich wieder die weiten Flächen mit ihren grünen Sträuchern und Bäumen. Ab und zu kommt ein Feld. Doch mitunter mischen sich auch Weinfelder dazwischen, was meine unmittelbare Ankunft in Mendoza anzeigt, weil die gleichnamige Provinz landesweit berühmt für ihren Wein ist. Je näher wir der Großstadt kommen, desto deutlicher treten auch die Anden dahinter in Erscheinung. Direkt auf der anderen Seite der weißen Gipfel liegt Santiago de Chile und dazwischen liegt der höchste Berg außerhalb Asiens, der Aconcagua. Mendoza ist wohl Ausgangspunkt für dessen Besteigung, welche allerdings zwei bis drei Wochen dauern.

Was schnell auffällt, wenn mensch in Mendozas Straßen wandelt, sind die vielen Alleen. Es gibt so gut wie keine Straße, die nicht mit Bäumen begrünt ist. Mauro, mein Gastgeber, erklärt mir, dass für das Fällen Strafen verhängt werden. Mauro bewohnt eine kleine saubere Wohnung im wohlhabenden Westen der Stadt. Er ist noch ganz fertig von dem Trinkgelage am Vorabend, sodass ich relativ schnell die Wohnung übernehme. Wo ich auch gerne bin, da es tagsüber schon locker über 30 Grad werden und seine Wohnung ist klimatisiert. Wir sind uns sogar einig, kältere Temperaturen sind schöner. An den nächsten Tagen zeigt er aber seine krassen Kochkünste und wir diskutieren viel.

Kochkunst a la Mauro, dahinter frische Empanadas, die hier gewöhnlich als Dutzend („Docena“) verkauft werden

Dauerbrenner in Argentinien ist seit einiger Zeit die Abtreibungsdiskussion. Es gibt eine breite Bewegung die ein Recht auf kostenlose und legale Abtreibung fordert. Bislang ist nur in bestimmten Fällen, wie z.B. nach einer Vergewaltigung oder wenn Gefahr für Kind oder Mutter besteht, die Abtreibung erlaubt. Endgültig entscheidet aber dies immer noch eine andere Stelle, die, wenn ich das richtig verstanden habe, auch kein*e Mediziner*in ist. Sie kann also trotz Gefahren oder Vergewaltigung die Abtreibung verbieten. In Trelew, in der Provinz Chubut, haben sich erst vor wenigen Wochen 50.000 Frauen zu einem jährlich stattfindenden Kongress getroffen, wo es vor allem um die Forderung nach der Legalisierung ging. Am Rande kam es zu Ausschreitungen und eine Kirche wurde angezündet. Denn die katholische Kirche ist für das Abtreibungsverbot. Seitdem haben viele Frauen in Argentinien das grüne Halstuch als Protestsymbol und ich habe das grüne Halstuch sehr oft auch im Alltag gesehen. Ein erster Versuch der Legalisierung ist am Senat gescheitert. Die Abgeordnetenkammer, die landesweit gewählt wird, hat dem Gesetzesentwurf bereits zu gestimmt, aber der Senat, der aus von den Provinzen entsandte Senator*innen besteht, hat diesen abgelehnt. Angesichts der breiten Unterstützung der Bewegung halte ich es aber nur für eine Frage der Zeit, dass auch in diesem Bereich die Frauen ihre Selbstbestimmung erlangen. Damit würden sie sogar Deutschland überholen. Eine interessante Rolle spielen dabei auch die Medienberichte. Als ich zufällig Nachrichten sah, kommentierte der Sprecher die feministische Bewegung als „Feminazis“. Das ist ein von den Gegner*innen gewählter Ausdruck um die Forderungen als zu hysterisch, übertrieben, verbohrt, etc. abzuwerten. Er verwendet den Ausdruck als sei es die normale Bezeichnung für die Feminist*innen. Das ist dann wohl nicht mehr die objektive Berichterstattung.

Schnell verliebe ich mich in das Stadtbild mit den vielen Bäumen. Sie machen diese Stadt sehr lebenswert und schützen die Gehwege vor der intensiven Sonne. Eine Stadtführerin erklärt mir, dass sie im Sommer nicht empfiehlt nach Mendoza zu kommen. Tatsächlich ist der Gran Chaco, also die nördliche Region Argentiniens, der Hitzepol Südamerikas und weißt Temperaturmessungen von über 40 Grad auf.

Ein guter Ort gegen die Hitze und für eine Siesta ist auch der Parque San Martín im Westen der Stadt. Der ist tatsächlich sehr groß angelegt mit einem See und einen Hügel, von dem aus über die Stadt geschaut werden kann. Diese jedoch hat durch die vielen Bäume ein ganz anderes Gesicht und mensch könnte denken, es ragen nur ein paar Gebäude aus dem Wald hervor. Dabei lebt da knapp eine Million Menschen. Parks in Städten gibt‘s ja viele, aber einen so großen, dass für Lauf- und Rad-Einheiten Auswahlmöglichkeiten bestehen, soweit schaffen es die wenigsten.

Parque San Martín

Mauro ist etwas feinfühliger als ich und fragt mich ob ich das Erdbeben vor 10 Minuten mitbekommen hätte. Online lässt es sich verifizieren, es gab tatsächlich eines. Aber ich hab‘s bei besten Willen nicht mitbekommen. Ich bin schon etwas enttäuscht, denn ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt …

Eigentliches Standbein der Region ist nicht der Wein, sondern das Erdöl. Davon bekommt mensch aber in Mendoza nicht so viel mit. Größere Erdgas-Vorkommen Argentiniens haben auch dazu geführt, dass es in den südlichen und kälteren Regionen die Häuser mit Gasheizungen ausgestattet sind. Aber meist dann doch nicht in jedem Zimmer, sondern im wichtigsten Zimmer mit einem einzelnen Heizkörper. Wer übrigens eine typische Rebsorte aus Argentinien beziehungsweise Mendoza probieren möchte, sollte nach Malbec Ausschau halten. Sie ist wohl sehr fruchtig würzig. Wein wird von allen Gesellschaftsschichten getrunken, bis hin zu den Alkoholabhängigen gescheiterten Seelen der Straße. Es ist günstiger als Bier zu trinken.

Ein weiteres Kuriosum, was ich mal niederschreiben möchte, ist der Cannabis-Konsum. Gefühlt fast jede*r in Chile und Argentinien konsumiert und einige bauen auch an. Es ist nirgends legal, aber es gibt auch so gut wie keine Kontrollen. Selbst im Freien wird gern eine Tüte gedreht und solange mensch nicht direkt vor der Polizeiwache dies tut, gibt es auch keine Probleme. Jede Stadt verfügt deshalb auch über die entsprechenden Grow-Shops.

Was nun aber Mendozas absolutes Kuriosum ist, ist die Straßenbahn. Es gibt tatsächlich eine einzige Linie, die mit roten Wagen verkehrt und „grüne Linie“ heißt. Mauro versteht meine Verwunderung nicht so sehr. Ich dagegen frag mich ob es zu weit weg ist um es als „realer Irrsinn“ bei Extra 3 vorzuschlagen.