Mrz 30 2019

Fröhlicher Hafen

Von Karl

Porte Alegre, Rio Grande do Sul, Brasilien

 

Da uns die Zeit langsam davon rennt, beschließen wir einen größeren Sprung zu machen und buchen ein Ticket nach Brasilien. Das erstaunliche ist dabei, dass es der wohl komfortabelste Grenzübertritt meiner ganzen Reise ist. Während ich friedlich im Sitz döse, organisiert die Busfirma, die meinen Reisepass hat, die Einreise nach Brasilien. Hinzu kommt, dass ich auch zum ersten und einzigen Mal ein vegetarisches Menü tatsächlich bekommen habe. In seltenen Fällen war es auch auf anderen Strecken während des Ticketkaufs wählbar, aber später im Bus dann nicht mehr.

Entsprechend entspannt kullern wir dann in Porto Alegre aus den Bus. Porto Alegre ist die Hauptstadt des südlichsten aller Bundesstaaten Brasiliens, Rio Grande do Sul. Nun sprechen nicht nur die Touris um uns herum portugiesisch, sondern auch alle anderen. Unser Gastgeber allerdings spricht auch fließend englisch und spanisch. Ich halte ihn auch für sehr intelligent. André ist stolzer Vater und IT-Techniker eines großen Konzerns und leitet de Bereich Lateinamerika. Von zu Hause aus. In seinem großen Haus ist entsprechend Platz und wir nehmen das letzte Stockwerk in Beschlag. Dieses besteht nur aus einem großem Zimmer mit je einer Terrasse links wie rechts. Auf der einen Seite hängt sogar eine Hängematte. Auf dem gefliesten Boden liegen ein paar Matratzen, ein Teppich, ein Tischchen, Hocker und was wir so brauchen um hier zu pennen.

Wir beginnen ein längeres Gespräch mit dem immer grinsenden André. Er ist auch Vegetarier und wir beginnen eine leckere Mahlzeit zu zaubern. André zeigt mir ein Gesellen-Zeugnis von 1902, das von irgendeinem Vorfahren stammt. Ich entziffere ihm die altdeutsche Schrift und er ist ziemlich erstaunt, dass er einem Metzger abstammt.

Nach einer kurzen Siesta steigen wir wieder in sein kleines Auto und fahren zum Markt. Am ersten Stand bleiben wir aber erstmal hängen. Eine erste brasilianische Spezialität begegnet uns. Ich würde es schlicht als Riesen-Empanda bezeichnen. Von der Größe eines Buches und gefüllt mit Palmherz, Käse oder einer Gemüse-Mischung namens Pizza. Dazu kann noch literweise frischer Orangensaft getrunken oder mitgenommen werden. Ein Angebot, dass wir nicht ausschlagen können.

Spannend auf dem Markt ist auch die Möglichkeit mit der Kreditkarte einkaufen zu können. Die Händler*innen akzeptieren Wert-Cupons, die wie Geldscheine funktionieren. Die gibt‘s an dem Stand mit dem Kartenleser.

André zeigt uns noch einen ziemlich großen Park im Zentrum der Stadt und den hübschen Ausblick auf den sehr sehr großen Enten-See (Lagoa dos Patos).

Porto Alegre, zu deutsch „Fröhlicher Hafen“, war nur ein kurzer Stop und schon geht es weiter nach Norden.


Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.


Dez 15 2018

Million unterm Blätterdach

Mendoza, Argentinien

Von Karl

 

Als ich aufwache und aus dem Fenster schaue, sehe ich wieder die weiten Flächen mit ihren grünen Sträuchern und Bäumen. Ab und zu kommt ein Feld. Doch mitunter mischen sich auch Weinfelder dazwischen, was meine unmittelbare Ankunft in Mendoza anzeigt, weil die gleichnamige Provinz landesweit berühmt für ihren Wein ist. Je näher wir der Großstadt kommen, desto deutlicher treten auch die Anden dahinter in Erscheinung. Direkt auf der anderen Seite der weißen Gipfel liegt Santiago de Chile und dazwischen liegt der höchste Berg außerhalb Asiens, der Aconcagua. Mendoza ist wohl Ausgangspunkt für dessen Besteigung, welche allerdings zwei bis drei Wochen dauern.

Was schnell auffällt, wenn mensch in Mendozas Straßen wandelt, sind die vielen Alleen. Es gibt so gut wie keine Straße, die nicht mit Bäumen begrünt ist. Mauro, mein Gastgeber, erklärt mir, dass für das Fällen Strafen verhängt werden. Mauro bewohnt eine kleine saubere Wohnung im wohlhabenden Westen der Stadt. Er ist noch ganz fertig von dem Trinkgelage am Vorabend, sodass ich relativ schnell die Wohnung übernehme. Wo ich auch gerne bin, da es tagsüber schon locker über 30 Grad werden und seine Wohnung ist klimatisiert. Wir sind uns sogar einig, kältere Temperaturen sind schöner. An den nächsten Tagen zeigt er aber seine krassen Kochkünste und wir diskutieren viel.

Kochkunst a la Mauro, dahinter frische Empanadas, die hier gewöhnlich als Dutzend („Docena“) verkauft werden

Dauerbrenner in Argentinien ist seit einiger Zeit die Abtreibungsdiskussion. Es gibt eine breite Bewegung die ein Recht auf kostenlose und legale Abtreibung fordert. Bislang ist nur in bestimmten Fällen, wie z.B. nach einer Vergewaltigung oder wenn Gefahr für Kind oder Mutter besteht, die Abtreibung erlaubt. Endgültig entscheidet aber dies immer noch eine andere Stelle, die, wenn ich das richtig verstanden habe, auch kein*e Mediziner*in ist. Sie kann also trotz Gefahren oder Vergewaltigung die Abtreibung verbieten. In Trelew, in der Provinz Chubut, haben sich erst vor wenigen Wochen 50.000 Frauen zu einem jährlich stattfindenden Kongress getroffen, wo es vor allem um die Forderung nach der Legalisierung ging. Am Rande kam es zu Ausschreitungen und eine Kirche wurde angezündet. Denn die katholische Kirche ist für das Abtreibungsverbot. Seitdem haben viele Frauen in Argentinien das grüne Halstuch als Protestsymbol und ich habe das grüne Halstuch sehr oft auch im Alltag gesehen. Ein erster Versuch der Legalisierung ist am Senat gescheitert. Die Abgeordnetenkammer, die landesweit gewählt wird, hat dem Gesetzesentwurf bereits zu gestimmt, aber der Senat, der aus von den Provinzen entsandte Senator*innen besteht, hat diesen abgelehnt. Angesichts der breiten Unterstützung der Bewegung halte ich es aber nur für eine Frage der Zeit, dass auch in diesem Bereich die Frauen ihre Selbstbestimmung erlangen. Damit würden sie sogar Deutschland überholen. Eine interessante Rolle spielen dabei auch die Medienberichte. Als ich zufällig Nachrichten sah, kommentierte der Sprecher die feministische Bewegung als „Feminazis“. Das ist ein von den Gegner*innen gewählter Ausdruck um die Forderungen als zu hysterisch, übertrieben, verbohrt, etc. abzuwerten. Er verwendet den Ausdruck als sei es die normale Bezeichnung für die Feminist*innen. Das ist dann wohl nicht mehr die objektive Berichterstattung.

Schnell verliebe ich mich in das Stadtbild mit den vielen Bäumen. Sie machen diese Stadt sehr lebenswert und schützen die Gehwege vor der intensiven Sonne. Eine Stadtführerin erklärt mir, dass sie im Sommer nicht empfiehlt nach Mendoza zu kommen. Tatsächlich ist der Gran Chaco, also die nördliche Region Argentiniens, der Hitzepol Südamerikas und weißt Temperaturmessungen von über 40 Grad auf.

Ein guter Ort gegen die Hitze und für eine Siesta ist auch der Parque San Martín im Westen der Stadt. Der ist tatsächlich sehr groß angelegt mit einem See und einen Hügel, von dem aus über die Stadt geschaut werden kann. Diese jedoch hat durch die vielen Bäume ein ganz anderes Gesicht und mensch könnte denken, es ragen nur ein paar Gebäude aus dem Wald hervor. Dabei lebt da knapp eine Million Menschen. Parks in Städten gibt‘s ja viele, aber einen so großen, dass für Lauf- und Rad-Einheiten Auswahlmöglichkeiten bestehen, soweit schaffen es die wenigsten.

Parque San Martín

Mauro ist etwas feinfühliger als ich und fragt mich ob ich das Erdbeben vor 10 Minuten mitbekommen hätte. Online lässt es sich verifizieren, es gab tatsächlich eines. Aber ich hab‘s bei besten Willen nicht mitbekommen. Ich bin schon etwas enttäuscht, denn ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt …

Eigentliches Standbein der Region ist nicht der Wein, sondern das Erdöl. Davon bekommt mensch aber in Mendoza nicht so viel mit. Größere Erdgas-Vorkommen Argentiniens haben auch dazu geführt, dass es in den südlichen und kälteren Regionen die Häuser mit Gasheizungen ausgestattet sind. Aber meist dann doch nicht in jedem Zimmer, sondern im wichtigsten Zimmer mit einem einzelnen Heizkörper. Wer übrigens eine typische Rebsorte aus Argentinien beziehungsweise Mendoza probieren möchte, sollte nach Malbec Ausschau halten. Sie ist wohl sehr fruchtig würzig. Wein wird von allen Gesellschaftsschichten getrunken, bis hin zu den Alkoholabhängigen gescheiterten Seelen der Straße. Es ist günstiger als Bier zu trinken.

Ein weiteres Kuriosum, was ich mal niederschreiben möchte, ist der Cannabis-Konsum. Gefühlt fast jede*r in Chile und Argentinien konsumiert und einige bauen auch an. Es ist nirgends legal, aber es gibt auch so gut wie keine Kontrollen. Selbst im Freien wird gern eine Tüte gedreht und solange mensch nicht direkt vor der Polizeiwache dies tut, gibt es auch keine Probleme. Jede Stadt verfügt deshalb auch über die entsprechenden Grow-Shops.

Was nun aber Mendozas absolutes Kuriosum ist, ist die Straßenbahn. Es gibt tatsächlich eine einzige Linie, die mit roten Wagen verkehrt und „grüne Linie“ heißt. Mauro versteht meine Verwunderung nicht so sehr. Ich dagegen frag mich ob es zu weit weg ist um es als „realer Irrsinn“ bei Extra 3 vorzuschlagen.


Dez 13 2018

Wie es in der Pampa ist …

Von Karl

 

Es ist schon spät Abend als ich in Santa Rosa aus dem Bus klettere. Es scheint einer von den berühmten Langstrecken-Bussen gewesen zu sein, die das ewig lange Land von Nord nach Süd durchfahren. Es soll Verbindungen mit über 50 Stunden Fahrtdauer geben. Die Stunden im Bus gaben mir die Möglichkeit das platte Land zu bestaunen. Nach den Monaten in den Anden ist es umso interessanter, dass es hier keine Hügel gibt und nur Landwirtschaft, Sträucher-Meere und der Horizont. Irgendwie erinnert Patagonien ans Meer. Der Blick geht endlos, der Wind ist streng und kühl.

Lucas holt mich ab, so freundlich ist er. Auch wenn er den Tag mit einen ernsten Gesicht durchlebt, lässt er sich schnell zu einem Lachen motivieren. Er ist wohl ein Grübler, der sich sicher sein möchte in dem was macht. Darin finde ich mich wieder und zusammen mit seinem aufgeschlossenen Freund kommen wir schnell ins Gespräch. Ein Sofa wird mein zu Hause und der Vorbenutzer ist noch da. Erst Mitternacht bringen wir ihn zum Bus nach Buenos Aires, oder einfach BA genannt.

Gründungs-Hacienda von Santa Rosa

Lucas klärt mich auf, was es in Santa Rosa zu sehen gibt und das ist tatsächlich überschaubar und wenig spektakulär. Er fragt nach meiner Motivation hierher zu kommen. und da trifft er ins schwarze. Santa Rosa ist die Hauptstadt der Provinz Pampa und ich wollte schon immer mal in der Pampa sein. Der Redewendung „Ich bin in der Pampa“ folgend, wollte ich rausfinden, wie es dort ist. Übrigens gibt es die Redewendung auch in Argentinien. Santa Rosa ist auch eine der kleinsten Provinzhauptstädte des Landes und viele weitere Städte gibt es nicht in der Provinz. Es gibt noch sogenannte Mennoniten-Siedlungen im Nirgendwo (also in der Pampa). Das sind Bauernhof-Ansammlungen, die in sich geschlossen sind und deren Bewohner*innen eine Art Deutsch sprechen. Sie sind eine christliche Gruppe mit sehr mittelalterlichen Methoden. So wird so gut wie keine Technik eingesetzt, sodass mit Pferdekarren gearbeitet wird. Die Frauen dürfen die Gehöfte nicht verlassen. Besorgen sich die Jugendlichen ein Handy werden sie vom Hof geschmissen. Geheiratet wird innerhalb der Sippe. Sie sind wohl irgendwann mal aus Deutschland ausgewandert.

Im Ausgehenden 19. Jahrhundert fuhr das junge Argentinien die Wüstenkampagne. Dabei ging es um die Besiedlung Pampas und Patagoniens, weg von der Primatstadt Buenos Aires. Die Regionen waren größtenteils von Indigenen bewohnt, die gewaltsam vertrieben worden. Besonders General Roca tat sich als Kriegsminister hervor und gilt als Anführer des Genozids an der einheimischen Bevölkerung. Dem zu Grunde lag eine zutiefst rassistische Ideologie von der Höherwertigkeit der europastämmigen Bevölkerung. Erst später kam starke Kritik auf, dessen Wortführer der Menschenrechtsaktivist Osvaldo Bayer sein soll. Er dokumentierte die Geschehnisse Anfang des 20. Jahrhunderts, da die gewaltsame Unterdrückung und Verfolgung weiterging. Heute gibt es kaum noch Indigene in Argentinien.

Das ganze Regal voll mit Yerba Mate

Die Innenstadt von Santa Rosa ist wenig spektakulär. Es gibt einen größeren gestalteten Platz, daneben die typischen im Kolonialstil gehaltenen Verwaltungsgebäude und eine moderne Kirche. Wir unternehmen auch einen kleinen Ausflug um den stadtnahen See, der allerdings nicht zum Schwimmen geeignet ist, da er die ganze Zeit einfach in der Sonne steht. Er wurde angelegt, weil bei Regen eh das ganze Wasser dort hin fließt und stehen bleibt. Bei einer flachen Ebene breitet sich das natürlich aus und so ist der künstliche See ziemlich groß.

Dahinter befindet sich eine Hacienda, eine Landgut von dem aus die Länderein bestellt werden und die höherklassigen im 19. Jahrhundert gelebt haben. Es wurde sauber und äußerst ordentlich rekonstruiert und mit allen informativen Schnickschnack ausgestattet. Nun ist meine Neugier schwer klein zu kriegen, aber soweit reicht sie dann doch nicht, dass ich mich für jedes Detail der Stadtgeschichte Santa Rosas interessiere. Doch das bekomme ich fünfzehn Minuten ungefragt frei Haus. Der Angestellte ist offensichtlich froh, dass sich mal ein Tourist hierher verirrt und versucht sich in Englisch. Lucas muss aber ab und zu einspringen, beim übersetzen. Ich gönne dem jungen Mann den Erfolg und höre zu und stelle Fragen. Viel behalte ich aber danach nicht.

Lucas vor seinem Handyladen

Tags drauf komme ich mit auf Lucas‘ Arbeit. Ein Handyladen in der Innenstadt ist sein Domizil. Frühs macht ihn wie gewohnt die Mutter auf und Nachmittags ist Siesta. Sodass er um fünf erneut öffnet. Aber Öffnungszeiten sind eh was fürs Papier und so erlebe ich die Tage bei Lucas, dass er das nicht so genau nimmt und auch wenn sich jemand beschwert, dann soll er oder sie halt später kommen, wenn er da ist.

während der Arbeit (-;

Er hat wohl durch seinen Laden gute Kontakte in der Stadt, was ich bei einem abendlichen Bierbarbesuch mitbekomme. Im Hinterzimmer ist befindet sich die Welt eines Bastlers. Alle möglichen Handyteile und Werkzeuge stehen herum. Sein Freund, Er und ich nutzen die Freiläufe und trinken Bier in seiner Werkzeugsstube. Ja das Leben nimmt er leicht und ich bring die leere Flasche zurück um eine neue zu holen. Tatsächlich gibt es eine Art Pfand-System in Argentinien. Wenn ich eine leere Flasche abgebe, bekomme ich eine volle günstiger. So vergeht dann auch meine letzter Nachmittag in der Pampa, im Hinterzimmer des besten Handyladens der Pampa.

Jenga ist typisches Bar-Spiel

Am späten Abend hau ich dann wieder ab. Über Nacht geht‘s weiter, wie so oft (-;