Mrz 20 2019

Meine neue Familie in Paraguay

Von Karl

Asunción, Paraguay

 

Schon mit meiner Ankunft lerne ich die Größe Asuncións kennen. Der Bus war viel früher am Ziel als gedacht und ich wurde entsprechend am Busbahnhof geweckt. Irgendwann frühs, vielleicht um fünf Uhr. Nun ist Asunción, oder einfach nur „Asu“ genannt, das Zentrum einer Agglomeration, die sich Gran Asunción nennt und noch einige weitere größere Städte zusammenfasst und ein größeres urbanes Gebiet bildet.
Mit einer Mischung aus Glück, Karte und Nachfragen schaffe ich es tatsächlich innerhalb von drei Stunden vor das Haus von Luzi, Frans Mutter. Ohne Taxi versteht sich, nur Busse. Nach zwei gesunden Stunden, die ich auf dem Sofa im Wohnzimmer verschlummerte, brachte sie Frühstück. Weißbrot mit Dulce de Leche und Kaffee.

Zu dem Zeitpunkt bin ich davon noch schwer beeindruckt, doch es ist nur der Anfang davon, dass ich sagen muss, dass die Gastfreundschaft in Paraguay außerordentlich ausgeprägt ist. Sie bekochte mich rund um die Uhr kümmerte sich fast pausenlos um mich. „Mein Haus ist dein Haus“ ist einer der wohl meist gehörten Sätze während dieser Reise und insbesondere in Paraguay. Dass ich nun Teil der Familie sei und ich so behandelt werde, erfahre ich auch.
Frans Schwester, Liz, samt Familie lerne ich die nächsten Tage auch kennen. Beide sind sie Bodybuilder*in und haben eine Tochter die wohl erst seit kurzem in die Schule geht. Zwei Geschwister leben oder arbeiten noch bei der Familie, doch ob sie Freundinnen oder Angestellte sind, kann ich schlussendlich nicht klären. Die ältere, sie mag vielleicht 20 sein, wird zur Stadtführung verpflichtet, was ihr aber nicht sonderlich viel Spaß bereitet, da nun Asunción nicht die klassische Stadt dafür ist. Hinzu kommt, dass sie nur spärlich spanisch spricht und mein Guaraní nicht über drei Wörter hinausgeht.

Die Stadt

Der touristische Teil mit der hübsch hergerichteten Innenstadt wurde bei Asunción ausgelassen, aber nichtsdestotrotz ist alles da, was das Herz begehrt. Museen, Café, Geldwechseln, etc. Die Museen scheinen gratis zu sein und haben auch beeindruckend schöne Pflanzen.

Lucía, eine Couchsurferin, die mich zwar nicht aufnehmen kann, zeigt mir nochmal alle interessanten Teile der Stadt und tatsächlich gibt es kaum mehr als bei der vorhergegangenen zu sehen. Der Präsident*innen-Palast wurde rosa gestrichen.

Das Parlament ist von Polizei und Blechwänden umstellt. Grund dafür sind die anhaltenden Proteste in der Stadt. Viele Indigene halten seit einiger Zeit die Plätze besetzt und das mit mehr oder minder ausgebauten Zelten oder Häusern. Manche wiederum haben erste Infrastrukturen wie z.B. Kioske entwickelt. Der Konflikt liegt meist zwischen den Indigenen, die besonders ärmlich in den abgelegen Gebieten leben und den Großgrundbesitzer*innen, die z.B. Wald roden um weiteres Soja anzubauen. Viele sind Geschäftsleute aus Brasilien. Die Indigenen fordern Unterstützung von der Regierung, die sie vermutlich nicht erhalten.

Die Partido Colorado, die rote Partei, entschied erst 2018 das Rennen um das Präsident*innen-Amt für sich. Kurioserweise sieht deren Flagge aus, als wenn sie eine kommunistische Partei wäre, mit weißem Stern in der oberen linken Ecke auf rotem Grund.

In Paraguay ist es aber eine rechts-konservative Partei. Obschon Luzi eine solche Flagge in der Küche hängen hat, stimmt sie wie so ziemlich alle ein, wenn es gegen Marito geht, den Spitznamen des neuen Präsidenten. Mittlerweile sei sein Name zum geflügelten Wort geworden, wenn es darum geht etwas zu beschreiben, was verbockt worden ist. Auch wenn im Alltag irgendwas furchtbar daneben ging, ist ein „Que Marito!“ als schimpfender Ausdruck schnell auf der Zunge. Ich zieh innerlich den Hut, dass ein Wahlsieger so schnell so unbeliebt werden kann.
Es ist noch nicht lange her da wurde das Parlament ziemlich demoliert und in Brand gesteckt. Die Spuren sind noch gut zu erkennen und offensichtlich sind die Reparatur-Maßnahmen am „Palacio Legislativo“ noch lange nicht abgeschlossen.

Ich versuche zwei Mal vergeblich Zutritt zum Parlament zu bekommen, doch jedes Mal werde ich unter fadenscheinigen Gründen abgewiesen. Sowohl Kleidungsordnung als auch Öffnungszeiten waren die Argumente. Asunción atmet das Gefühl der politischen Instabilität an sehr vielen Ecken. Immer wieder kommt es zu größeren Protestmärschen, Streiks, Straßenblockaden. Jugendliche ziehen skandierend mit Eisenstangen durch die Straße.
Die wohl schönsten Teil bildet Asuncións Uferpromenade am Rio Paraguay. Dort kann auf einigen hundert Metern geschlendert werden und es gibt auch einen kleinen Sandstrand, wo Bootstour-Anbieter*innen auf die nicht vorhandenen Touris warten. Es gibt nahe dem Hafen eine Art Fähranbieter, d.h. ein Böötchen, dass die Überfahrt nach Chaco-Í anbietet, was aber nicht wirklich spektakulär ist. aber günstiger. Im Zentrum gibt es auch eine Bar mit Ausblick über die schnörkellose Stadt mir ihren riesigen Wohnkomplexen.

Eine besonders empfehlenswerte Bar und Geheimtipp ist das Café Consulado in der Straße O‘Leary. Im Süden der Stadt gibt es noch einen kleinen Hügel, Cerro Lambaré gennant, der einen kleinen Ausblick ermöglicht. Auch über den Fluss hinweg in das benachbarte Argentinien. Ansonsten ist es nicht empfehlenswert spät abends in Asunción unterwegs zu sein.

Bei Luzi

Luzis Gegend ist über eine Stunde vom Zentrum entfernt. Ich lerne nun auch ihre Schwester und den Neffen kennen, der viel bei ihr ist. Alle drei sind sie sehr gläubig. Im Hof leben noch mehr Menschen. Auch gibt es verschiedene Arten von Mango-Bäumen, Bananen-Bäume und einen Apfelbaum der eine Sorte trägt, die nur Kirsch-große Äpfel trägt. Luzi macht daraus leckeren Apfelsaft.

Mangos gibt es überall und deswegen ist es so billig, dass es keine*r auf der Straße verkauft. Das knappe Dutzend Menschen, welches Zugang zu den großen und kleinen Mangos hat, isst weniger als verfügbar sind. In der Bananenstaude haben kleine Vögel ein Nest gebaut und Eier gelegt.

Als ich mit Elias einmal in den Straßen unterwegs bin, sehen wir drei in offiziellen Westen gekleidete Menschen, die durch die Straßen gehen und die Häuser begutachten. Elias erklärt mir, dass sie hygienisch zweifelhafte Orte suchen um Quellen für Dengue, Malaria, Chikungunya und Zika zu finden. Alle Krankheiten haben gemein, dass sie von Mücken übertragen werden, die sich an das menschliche Leben gewöhnt haben und deren Blut saugen. Stehendes warmes Wasser nutzen die Tiere um ihre Eier abzulegen und das sollte vermieden werden. Müll und versiegelte Grundflächen bieten solche Wasserpfützen an. Asunción hat insbesondere mit Dengue Schwierigkeiten, hat aber besonders gegen Malaria schon Erfolge erzielt. Selbst die größte Bierfirma des Landes beteiligt sich am Kampf gegen das Dengue-Fieber. Dengue ist bereits bei der ersten Infektion überhaupt nicht lustig, aber zum Glück nicht tödlich. Beim zweiten Mal dann aber schon.
Die Familie spricht mehrfach von „Sanber“, was ich erst eine Weile lang nicht verstehe. Bis wir dann nach San Bernardino fahren, was die landläufige Abkürzung Sanber trägt. Das ist ein kleiner touristischer Ort, der an einem See liegt. Früher mal zum baden geeignet, ist er mittlerweile zu schmutzig dafür. Es werden Bootstouren angeboten und allerlei Handwerkszeug. Insbesondere jetzt, in der Vorweihnachtszeit, werden auch verstärkt Ñandutí gezeigt. Das sind Spitzen-Decken, die nicht geklöppelt werden, aber denen zum verwechseln ähnlich aussehen. Es gibt wohl nicht mehr viele die dieses Handwerk beherrschen, aber es ist berühmt für diese Region und die Menschen sind stolz drauf.

In Sanber treffen verschiedenste Touris aufeinander. Manche trinken Bier und hören Musik, andere spielen auf dem Spielplatz und andere genießen teure Hotels. Eines hat einen lohnenswerten Park mit besonderen Bäumen und Blumen. Ein Baum trägt Herz-förmige Blätter.

Langsam habe ich mich dran gewöhnt, dass die deutschen überall sind und tatsächlich überrascht es mich nicht, dass die Bäckereien in deutscher Hand sind. Ein wichtiger Punkt auf einer Sanber-Reise scheint ein Halt in einer der beiden Bäckerein zu sein, die passenderweise auch durchnummeriert sind.
Vorab verstehe ich aber dass alle unbedingt Hühnchen essen wollen und ich verstehe auch nicht warum mir das zig Mal erzählt wird. Zum einen weil Hühnchen eh überall und täglich gegessen wird und weil bekannt ist, dass ich keine Tiere esse. und dann noch das Hühnchen beim Bäcker gegessen wird. Fleischer würde mehr Sinn machen.

Das spanische Wort für Huhn ist „Pollo“. Tatsächlich sprechen sie aber von „Bollo“ und das bezeichnet Pfannkuchen bzw. Berliner. Hier natürlich mit Dulce de Leche gefüllt. So schlemmen wir alle gleich mehrere dieser Leckerein in uns hinein bis wir kurz vorm platzen sind. Ich muss sagen, dass ich mich an das immens süße Dulce de Leche gewöhnt habe. Wenn ich nach der Reise zuckerkrank bin, weiß ich wieso.

Übrigens Leckerei: Liz hat ein ganzes Blech Sopa für mich organisiert. Ich muss sagen, dass es außerordentlich lecker ist. Hinzu kommt Chipa. Das ist im Prinzip ein Ring aus Käsebrot und an fast jeder Ecke erhältlich.

Auffällig während der Reise ist auch, dass ich mehr und mehr spanisch lerne, aber leider ändern sich auch einfache Wörter von Ort zu Ort. Aussprachen ändern sich zusätzlich. In Paraguay wird zum Teil eine leichte Variante des „sch“ für das ursprünglich „j“-klingende verwendet, also in etwa „ch“. Es mutet wie eine Mischung aus dem üblichen und dem argentinischen Spanisch an. Wörter des alltäglichen Gebrauchs sind besonders von regelmäßigen Änderungen bedacht. So wird ein kleiner Laden, der die geläufigsten Sachen des täglichen Bedarfs veräußert hier „Despensa“ genannt. Fragt mich nicht warum.

In Asunción kreuzt zufällig mein Weg den von Rosa und wir freuen uns riesig nach so langer Zeit wieder gemeinsam zu reisen. Nach einem gemeinsamen Chipa am Abends starten wir zu einem neuen gemeinsamen Abenteuer am folgenden Tag. Unser Ziel ist das einzige Highlight welches Rosa sich schon vor der Reise vorgenommen hatte. Wir sind gespannt.


Jun 17 2018

Eine fast unendliche Geschichte

von Rosa

Alles hat ein Ende, nur Huancayo nicht. Aus den ursprünglichen zwei Tagen wurden sechs, dann acht, dann neun und zwölf.

Wie alles begann…

Die Busfahrt war mal wieder unruhig. Ich hatte Mühe und Not mich auf meinem Sitz zu halten und meine Beine so zwischen die Absperrung zur Bustreppe zu klemmen, dass ich nicht bei jeder Kurve das Gleichgewicht verlor. Schlagloch um Schlagloch. Zwischen kalt und warm. Zwischen Schlaf und Wachkomma. In den frühen Morgenstunden eines Donnerstags hatte auch diese Fahrt ihr Ende. Freudig stieg ich nun endlich aus dem Bus ins…kalte Schwarz. Es war unerwartet kalt. Wir warteten im improvisierten Busbahnhof auf die Sonne. Unseren Host sollten wir erst 9 Uhr treffen. Noch vier Stunden. Mit den ersten Sonnenstrahlen fahren wir zum verabredeten Treffpunkt. Nach einer Weile kommt die Polizei auf uns zu. Schnell wird das Coca versteckt, obwohl es ja in Peru nicht verboten ist. Nur das Ausführen ist nicht erlaubt. Es stellt sich heraus, dass es nur die Touristenpolizei ist, die uns von den Sehenswürdigkeiten Huancayo überzeugen will.

Javier, unser Host zeigt uns seine Wohnung, die er mit einer Familie teilt. Seine eigene Familie ist quer in der Welt verteilt, sein Vater in den USA, seine Mutter in Italien und sein Bruder in Lima. Er irgendwo dazwischen. Javier sieht nach Metropole aus, leicht Hipster mit Nerdbrille und für peruanische Verhältnisse sehr groß. Darauf ist er stolz. Sein Vater war wohl ein erfolgreicher Torhüter in Peru und hat ihm seine Größe vererbt. Viel mehr ist ihm von seinem Vater nicht geblieben. Ab September will Javvier einen Master in Fotografie in Rom machen. Geldprobleme hat die Familie nicht. Ihnen gehören ein paar Immobilien, die sie an Studenten vermieten. Trotz seiner 29 Jahre wirkt er eher, wie jemand der nicht erwachsen werden will. Eben ganz „La Dolce Vita“.

Wir laufen mit Javier bis ins Zentrum der Stadt, Huancayo wirkt modern, die Menschen sehen nach Großstadt aus. Wieder kommen uns zwei junge Frauen entgegen, die uns eine Tour anbieten wollen. Rund um Huancayo gibt es viel zu sehen. Nur die Touristen fehlen. In Huancayo selbst tut sich unser Gastgeber schwer uns Besonderheiten der Stadt zu zeigen. Zufällig treffen wir seine Cousine Maria und sie lädt uns zum Abendessen ein. Es gibt Pasta „a la Peruana“. Der Abend wird lustig mit Rotwein, Zaubertricks und Politik. In Peru ist man der Auffassung, dass Europa das Paradies wäre und in Europa alles läuft. Vor allem in der Politik. Doch diesen Glauben müssen wir ihnen rauben. Vielleicht wirken die Probleme über den Pazifik weniger groß, doch auch in Deutschland gibt es Korruption, große Wirtschaftskonzerne werden nicht sanktioniert, weil sie zu mächtig sind. Eben auch wie überall auf der Welt. Die Wohnung von Maria ist modern eingerichtet. In ihrer Wohnstube steht ein zweiter unbenutzte Herd. Wir sprechen sie darauf an. Sie lächelt. Es wäre ein Hochzeitsgeschenk gewesen. Dann zählt sie auf was sie noch alles zu ihrer Hochzeit bekommen hat. Es sind fast alle Möbelstücke der Wohnung inklusive der Wohnung selbst. Heiraten in Huancayo lohnt sich. Nicht selten entsteht ein Wettstreit zwischen den Familien. Da kann auch schon mal ein Auto oder ein Apartment verschenkt werden. Na mal sehen was sich machen lässt in den paar Tagen in Huancayo scherzen wir. Da wird uns schon Hilfe bei der Partnersuche angeboten. Wir lehnen trotz des verlockenden Angebot ab.

Aus zwei mach sechs

Am nächsten Morgen sind wir endlich mit Yannet verabredet. Sie ist die Chefin von Agropia. Der Grund warum wir eigentlich in Huancayo sind. Agropia stellt Chips und frittierte Maiskörner aus okölogischem und fairem Anbau her, die dann schon als Fertigprodukte nach Deutschland und Frankreich verschickt werden. Am Stadtrand steht die kleine Fabrik. Alles sieht sehr ordentlich aus. Uns werden erst einmal die produzierten Chips als Kostprobe angeboten. Ich kenne Chips schon aus Deutschland und bin amüsiert jetzt am Produktionsort zu sein. Die Besprechung dauert eine Weile, weil viel zu tun ist, einiges nicht gefilmt werden kann, weil der Prozess zu lange dauert und wir immer wieder darum bitten müssen alles noch einmal langsam zu wiederholen. Am Wochenende wird nicht gearbeitet, d. h. wir können erst ab Montag drehen. Drei Tage Leerlauf für uns. Arbeitsmeeting auf Spanisch beendet. Es hat alles geklappt, aber der Kopf raucht etwas.

Als wir nach Hause kommen hat Javier eine Überraschung für uns. Vor der Tür steht ein kleiner gelber VW Käfer. Besonders in Huancayo sind uns die vielen alten Autos aufgefallen. Es gibt sogar ein Kinderspiel. Man ruft „Sapito“ (kleiner Frosch) und die jeweilige Farbe, wenn man einen sieht. Auch wir beteiligen uns am Spiel. Der Gang geht schwer, doch dann fährt er los, der alte Rennwagen. Mit dabei ist diesmal Javiers Cousin Hernán. Er ist nicht überzeugt von den Fahrkünsten seines Verwandten, steigt aber trotzdem ein. Der kleine Käfer quält sich den Berg bis zu einem Aussichtspunkt hinauf. Beim Ausblick über die Stadt fragt uns Hernán, ob wir nicht Lust hätten morgen mit auf eine Hochzeit zu kommen. Wir sagen zu, aber verweisen auf unsere eher kaputten Schuhe und unsere sportliche Kleidung. Der Anzug für Sponatanhochzeiten hat dann doch nicht mehr in den Rucksack gepasst. Wir werden kurz gemustert. Dann nickt Hernán ab.

Den Samstagmorgen verbringen wir, wie scheinbar andere Familien in Huancayo auch in der Werkstatt. Bei dem Verkehr in Huancayo kein Wunder. Der kleine Sapito war im Stadtverkehr nicht stark genug. Die Lampe ist kaputt und der Lack ab. Es gibt aber tatsächlich noch einen Fachbedarfladen für Käfer Ersatzteile. Der Lack wir abgeschliffen, neue Masse aufgespachtelt, wieder abgeschliffen und mit Farbe bespritzt. Wie neu. Glück gehabt.

Samstag ist großer Hochzeitstag in Peru. So verwundert es auch nicht, dass wir erst einige Minuten auf der falschen Hochzeit tanzen, bis ein Freund von Hernán bemerkt, dass er das Brautpaar gar nicht kennt. Wir ziehen uns mit einem leichten Schmunzeln zurück. Vor der richtigen Hochzeit begrüßt uns dann schon ein LKW mit Bierkästen. Das Brautpaar feiert in einer Art Halle, die spärlich geschmückt ist. Als wir gegen frühen Nachmittag ankommen, übergeben einige der 200 Gäste gerade ihre Geschenke. Das Überreichen der Geschenke ist eine Zeremonie. Vom Gemüsekorb bis zum Auto ist alles dabei. Eine Blaskapelle spielt den Takt vor und die Schenker tippeln in in kleinen Schritten nacheinander bis sie beim Brautpaar angekommen sind. Dann wird dieser Vorgang noch einmal mit Bierkästen wiederholt. Irgendwann dürfen die Gäste dann auch trinken, aber das erfolgt ebenfalls nach einer bestimmten Regel. Es gibt eine Bierflasche und einen Becher. Alle stehen im Kreis. Der erste in der Reihe schenkt sich einen kleinen Schluck in den Becher und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn weiter. Dann wird sich zugeprostet. Aber nur der mit dem Becher trinkt. Der Becher wird maximal in 2 Schlucken fast leer getrunken. Der kleine Rest im Becher wird auf den Boden geschüttet für die Pachamama (Mutter Erde). Dann geht der Becher weiter an den nächsten, der schenkt sich wieder ein und gibt die Bierflasche an seinen Nachbarn und so weiter. Wir haben relativ schnell gemerkt, dass weniger mehr ist, denn im Kreis können auch schon mal mehre Bierflasche rotieren. Durch die kleinen Schlucke wird man weniger schnell betrunken. Wenn nicht getrunken wird, dann tanzen alle. Aber es geht auch beides gleichzeitig. Entweder zu Blasmusik in kleinen Tippelschritten oder zu Cumbia (traditioneller peruanischer Musik) in größeren Tippelschritten mit etwas mehr Hüfte. Man hat Freude daran den Deutschen Tanzen beizubringen, mit uns Fotos zu machen oder uns zu Fragen wie wir die Peruaner finden. Gegen zehn Uhr abends leert sich der Saal etwas, alle sind gut angetrunken. Wir besorgen uns noch etwas zu Essen, denn das haben wir nicht so richtig auf der Hochzeit gefunden.

Es gibt nicht alles soviel wie Bier in Huancayo. Es fehlt vor allem an Wärme, Wasser und Toilettenpapier. Es ist normal in geschlossenen Räumen mit dicker Jacke zu sitzen. Kinder haben sogar Wollmützen auf. Heizungen gibt es nicht. Meine Nase ist eigentlich permanent kalt. Es sei denn, die Sonne scheint. Dann brennt sie und man darf sich nicht zu sehr an den Sonnenstrahlen laben, um keinen Sonnenstich zu bekommen. Das Schlafen ist nur im Schlafsack oder mit mehreren Decken möglich. Wärme bringt auch eine heiße Dusche, die ist dann aber wirklich sehr heiß. Dieser Plan funktioniert aber nur, wenn es tatsächlich Wasser gibt. Manchmal kommen nur Tropfen aus dem Wasserhahn und manchmal gar kein Wasser. Am nächsten Morgen geht es dann plötzlich wieder. Toilettenpapier, was eigentlich in ganz Peru auf Toiletten nicht vorhanden ist, sollte man immer bei sich haben. Man sieht auch Leute, die mit so einer Papierrolle spazieren gehen und auch in unserer Unterkunft hat jeder seine eigene Rolle. Dafür kann man es auch an jeder Ecke kaufen wie Zigaretten eben. Man muss es eben nur wissen. Rauchen ist in Peru übrigens nicht üblich.

Dann acht, wer hät‘s gedacht

Aus dem Schlafsack zu klettern, ist eine besondere Herausforderung. Halb sieben am Morgen umso mehr. Es ist Dienstag und wir können endlich anfangen zu drehen. Wir besorgen uns noch ein paar Blätterteigspezialitäten und ein Brötchen mit Ei. An jeder Ecke, wirklich an jeder Ecke, kann man sich irgendetwas kaufen. Es gibt unzählige Tante-Emma-Läden, Essensstände mit gegrilltem Fleisch, belegten Brötchen, Süßigkeiten oder frischen Säften. Javier erklärt uns, dass sich jeder irgendwie über Wasser halten muss und so werden die Menschen kreativ und verkaufen alles was geht. Wir laufen gerade an einer Schule vorbei. Die Süßigkeiten und Spielzeugstände werden von Schülern belagert. Sich etwas Kleines zu gönnen scheint bei dem Angebot unvermeidlich. Wir haben uns schnell an diese Lebensart gewöhnt. Kurz nach acht sitzen wir dann im Auto von Silvestre und Pedro. Silvestre ist der Technik-Chef von Agropia und Pedro sein Assistent. Gut 45 Minuten geht es bergauf nach Aymara. Aus den Lautsprecher des Autos tönen Gitarrenklänge und spanischer Gesang. Die Musik untermalt perfekt den Anblick, der sich uns bietet. Grüne Berge und Täler, unterbrochen von Anbauflächen, die sich über weite Strecken der Berghänge verteilen. Wir treffen auf Schafhirten und Schafe, die uns den Weg versperren. Es ist Andenromantik pur.

In Aymara angekommen werden die Schlaglöcher größer und der Nebel dichter. Wir laufen einen kleinen Hügel hinauf und dort bereiten gerade ein paar Bäuerinnen und Bauern ein Feuer vor. Es ist für unser Mittagessen gedacht. Neomi, eine Kartoffelproduzentin, hat extra ihren festlichen Rock mitgebracht und eine Blume steckt in ihrem Hut.

Normalerweise würde sie so nicht auf dem Feld arbeiten, aber heute ist ein besonderer Tag. Noemi ist etwas aufgeregt, als wir ihr Kamera und Mikrofon vor die Nase halten. Um sie herum stehen die anderen Mitglieder der Kooperative und schauen ihr gespannt über die Schulter. In 4000 Meter Höhe wachsen nicht nur gelbe Kartoffeln in der Erde, sondern auch rote und blaue. Es ist ein ungewöhnlicher Anblick.

Noemi erzählt, dass sie als Bäuerinnen den Klimawandel bei ihrer Produktion deutlich merken. Seit fünf Jahren hat sich die Regenzeit stark verändert, manchmal regnet es zu viel, manchmal zu wenig. Neue Schädlinge sind aufgetaucht und in einem Jahr ist die gesamte Ernte ausgeblieben, weil es zu stark geregnet hatte. In der Mittagspause gibt es dann eine Kostprobe von den blauen und roten Kartoffeln mit Käsecreme und Lamm. Alles gegart auf Steinen im Erdloch. Nach dem Mittag hält Silvestre noch eine Ansprache und auch wir werden zu ein paar Worten überredet. Dann müssen wir noch in den Arbeitsnachweishäften der Bäuerinnen und Bauern unterschreiben. In diesem Heft wird alles genau protokolliert. Einkauf, Ernte, Düngemittel und Weiterbildungen. Auch bei Naomi geht es genau zu. Alle ihre Utensilien für ihre Arbeit sind beschriftet. Die Kartoffeln für Agropia und die Kartoffeln für den Markt. Dann zeigt uns Naomi noch stolz ihr Meerschweinchenzucht. 120 der kleinen Nager tummeln sich in einer kleinen Halle. Auch Hasen gibt es. Zurück in der Fabrik von Agropia, erklärt uns Yannet, dass es besser wäre am Donnerstag weiterzufilmen, d. h. wir haben wieder einen Tag frei.

Zum Feierabend gönnen wir uns ein Eis. Genauer genommen frittiertes Eis. Dabei wird eine fetthaltige Milch mit Früchten oder Schokolade gemixt und auf einer geraden Fläche auf -15 Grad gefroren. Dann wird mit einem Spachtel die dünne Eisschicht zu Rollen abgetragen. Es gibt noch verschiedene Toppings dazu. Die Zubereitung ist ein Spektakel. Als wir hören, dass es das ganze auch schon in Dresden gibt und zwar für 7 Euro statt den hier 1,50 Euro beschließen wir am nächsten Tag wiederzukommen.

Dann neun

Seit einer Woche sind wir in Huancayo. Wir sitzen gerade beim Frühstück, als die Kinder der Familie wieder nach Hause kommen und der Vater uns erklärt, dass es einen Generalstreik gibt. Alle Transportunternehmen und der Schulsektor sind betroffen. In diesem Moment klingelt unser Telefon. Es ist Yannet. Sie erklärt uns, dass der Weg zur Fabrik durch Straßenspeeren blockiert wäre und wir erst am Freitag kommen könnten. Dumm gelaufen. Die Tickets für den Nachtbus nach Lima sind schon gekauft, aber nicht umtauschbar. Im Zentrum ist es anders als angekündigt relativ ruhig. Auf dem Weg dahin begegnen uns weniger Taxis und Busse. Einige Läden haben geschlossen. Die Polizei steht vor Regierungsgebäuden und Banken. Ein Zug von 100 Menschen zieht mit Kochtöpfen und Stöcken durch die Straßen. Ab und zu kommen neue Protestzüge vorbei. Ein Mann erklärt uns, dass seit einer Woche der Ölpreis gestiegen ist und alle Bereiche davon betroffen sind. Zum Beispiel sind die Lebensmittel teurer geworden.

Und zwölf

Neben mir hustet es. Karl ist krank. Fieber. Auch heute ist das Filmen nicht möglich. Es ist Freitag. Das heißt noch ein Wochenende in Huancayo. Wir rufen Yannet an, dass wir erst am Montag kommen, um die letzten Bilder zu drehen. Ich verbringe die Tage im „Parque de la Identidad“ (Park der Identität). Die Gestaltung erinnert mich an Hundertwasser. Ich lausche der Musik, beobachte Wolken und lese Destojewski. Dünne Fäden ziehen sich aus den Wolken wie Zuckerwatte. Stunden vergehen. So schnell wie das Fieber gekommen ist, ist es auch wieder verschwunden. Unser Host muss nach Lima und wir ziehen in ein Hostel um.

Dann ist es endlich Montag, wir stehen vor der Fabrik und treffen noch einmal Noemi. Bevor es losgeht, müssen wir noch Schutzkleidung anziehen. Dann kommen die ersten Kartoffeln, werden geschnitten, gewaschen, frittiert und verpackt. Immer wieder kontrolliert von der Produktionschefin. Es läuft wie am Schnürchen und doch steckt im ganzen Prozess mehr Handarbeit als wir gedacht hätten. Zum Mittag gibt es, wie sollte es anders sein, die frischen Chips. Die Chefin erzählt stolz, dass hier viele Frauen arbeiten, die einen guten Lohn bekommen und somit unabhängiger sind.

Uuund Cut. Die letzte Szene ist im Kasten. Was lange währt, wird endlich gut. So sitzen wir nach 12 langen, kalten und schönen Tagen wieder im Bus. Wir verlassen nach einiger Zeit das Hochgebirge, um in wärmere Regionen an die Küste Perus zu fahren.