Sep 13 2018

Die Odyssee zum Strand

Von Karl

 

Vor kurzem bin ich von einem befreundeten Peruaner gefragt worden, was ich denn vermissen werde, aus Lateinamerika, wenn ich zurück in Deutschland bin. „Vida sin Planes“ Das Leben ohne Pläne. Das ganz spontane Leben. Unbemerkt hat sich dieser Lebensstil eingeschlichen und als ich in Machachi aufbreche merke ich ganz deutlich, dass ich ihn schon lebe und erst später lerne ich ihn in Worte zu fassen. Kurz gesagt: Auch gut.

Ich geh also zur Panamericana, der Hauptachse Ecuadors, die auch direkt durch den Ort geht und stelle mich auf die richtige Straßenseite. Kaum hab ich den Rucksack abgestellt, blinkt mich auch schon ein großer Reisebus an. Eigentlich will ich nach Riobamba, aber dieser fährt nur bis Ambato. Auch gut. Ich spring schnell in den gewohnt ungeduldigen Bus. Ich denke ich müsse viele Umsteige machen, aber schon in Ambato finde ich wieder erwartend mehrere Verbindungen an die Grenze nach Peru. 10 Stunden fahrt. Auch gut. Leider bedeutet dies gegen 11:30 nachts im Zentrum von Huaquillas herauszupurzeln. Als einziger. Doch wie immer, steht auch hier schon direkt ein Taxifahrer bereit. Auch gut. Ich will verhandeln, er will nicht. Komisch. Erst später erfahre ich, dass es festgelegte Preissätze gibt.

Also rein ins Taxi, raus aus der Stadt, den kühlen Fahrtwind in der Hand, zurück auf die Panamericana, die am Ort vorbei zur Grenze führt und direkt zur Grenzbehörde Ecuadors. Er könne nicht nach Ecuador fahren, ich solle einfach dort warten. Dann bekommt bestimmt mal ein Taxi. Ich schau mich um. Zur Zeit sehe ich kein Taxi weit und breit. Auch gut. Ich hol mir also den Stempel für die Ausreise. Draußen wurden große Wasserspender aufgebaut, vermutlich vom Roten Kreuz oder den Vereinten Nationen wegen den vielen flüchtenden Venezolaner*innen. Aber auch ich kann mein Vorrat auffüllen. Gerade kommen nicht mehr so viele, weil seit neusten Ecuador die Vorlage eines Reisepasses verlangt und den haben die meisten nicht.

Ich suche also eine geeignete Wartestelle und hab kaum mein Rucksack abgestellt, kommt ein Taxi angeschlichen. Ab geht‘s nach Peru. Ich frag den Fahrer ob er die Nordküste Perus kennt und was er empfehlen kann. Er meint Mancora wäre das beste. Wenn er das sagt, musst das ja gut sein. Jetzt hab ich auch ein Ziel. Auch gut. An der Grenzbehörde Perus hol ich mein Einreisestempel und mische mich unter die wartenden Venezolaner*innen. Schnell werde ich von einem Taxifahrer identifiziert und mir direkt eine Fahrt nach Tumbes angeboten. Da will ich auch hin, aber erst nach mehrmaligen Wiederholen begreift er, dass ich die übliche Sammel-Taxi-Variante möchte. Das heißt, wenn alle Sitze belegt sind, fahren wir los und dann wird der Gesamtpreis geteilt. Es ist gegen 1 Uhr nachts. Das Warten beginnt. Auch gut. Nach einer halben Stunde wird ihm das zu viel und ich muss mein Rucksack wieder ausladen. Ich werde den Eindruck nicht los, dass die Enttäuschung umso größer ist, je größer der Eifer war als er mich als vermeintlich reichen Ausländer aufgelesen hatte. Das ich aber nicht mehr zahlen möchte als jede*r andere, scheint ihn zu frustrieren. Auch gut.

Irgendwann kommt dann eine Peruanerin, die es eilig hat. Ich argumentiere so lange, dass ich es nicht eilig habe und ja warten könne, bis die Frau bereit ist, 5 der 10 Dollar zu bezahlen. Anfangs sollte ich noch 7, 6 und dann 5,70 bezahlen.

Es geht los, aber ich denke, dass ich vielleicht doch einen anderen Weg hätte wählen sollen. Der Fahrer ist extrem müde und das Auto kommt mehrmals verdächtig nahe an die Ränder. Ich such den Sicherheitsgurt. Diesmal ist einer da. Diesmal. Auch gut. Mal wieder geraten wir in eine Polizeikontrolle und zum ersten Mal in Südamerika werde ich auch zum Thema. Als sie aber mein verschnürrten Rucksack sehen, belassen sie es dann doch bei der Frage ob ich Drogen dabei habe. Auch gut. Während die Peruanerin einmal komplett durchwühlt wurde.

An einer Busfirma haut uns der Fahrer raus und ich bekomm‘ ein Platz im Bus gen Lima. Noch mitten in der Nacht hält er in Mancora und ich steh an einer Straße mit ein paar Moto-Taxen, diesen dreirädigen überdachten Motorrädern. Erst versuchen wir es bei dem bekanntesten Hostel nebenan, aber die sind voll und zudem im Partyfieber. Dann werden mir direkt sämtliche Drogen angeboten. Ich finde dann eine Unterkunft und zum ersten Mal eine mit Pool. Auch gut.

Der Typ an der improvisierten Rezeption erklärt mir gar nix und die nächsten Tage bleiben schleierhaft. Ich genieße den nahen Strand.

Wirklich nur eine Minute entfernt. Ist das Wasser ruhig sind hunderte Seesterne im Wasser. Mehrmals gehe ich in die schönen Fluten. Als der Wind aufdreht kommen die Kite-Surfer*innen. Doch die Wellenreiter*innen bleiben draußen. Das kühle Wasser bleibt wunderschön. Gebaut wurde in der Touri-Hochburg bis an den Strand und nur bei Ebbe sind alle Bereiche miteinander verbunden. Die Preise in den Läden sind seeseitig der Hauptstraße gepfeffert. Schnell ist mensch aber auch rausgelaufen aus dem Ort und findet ruhige Stellen mit Dünen und tollem Sonnenuntergang. Im Meer schauckeln Fischerboote, die nächste Einnahmequelle in der Region. Ansonsten bleibt hier nur noch Wüste.

 


Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …


Aug 20 2018

Schwarze Steine mit roten Flecken

Von Karl

 

Maicao

Von dem beschaulichen Santa Marta aus fährt der Bus über Riohacha nach Maicao. Immer gen Osten. Hinter der Fensterscheibe hat sich die Landschaft gewandelt. Soweit das Auge blicken kann, stehen gedrungene grüne bis braune Bäume. Trockene Bäume mit ein paar knorrigen Hecken unter sich. Die Landschaft ist sehr flach und es weht eine beständige warme Briese.

Augenfällig ist auch, dass der Plastikmüll stärker den Blick trübt. Nicht dass ich bislang ausschließlich saubere Straßen und Hecken gesehen hätte, doch hier hat das eine neue Qualität. Müll der die wenigen Grashalme bedeckt. Da es nicht immer eine funktionierende Müllabfuhr bis in die letzte Kleinstadt gibt, wird Müll gern auch einfach auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Zu dem vielen Müll paart sich ein Verhalten, bei dem Verpackungsmüll an Ort und Stelle fallen gelassen wird. Manche Orte werden allerdings sauber gehalten. Busbahnhöfe beispielsweise werden regelmäßig durchgewischt.

In Maicaos Busbahnhof tobt das Leben. Die Nähe der gut 10km entfernten Grenze macht sich bemerkbar. Krisenbedingt ist Maicao ein wichtiger erster Umstiegs- und Lebensort für die vielen Venezolaner*innen, die ihr Land verlassen. Auch auf der Hauptstraße, die hier die Nummer 16 trägt, ist sehr viel los. Wie so viele Orte die wir in letzter Zeit bereist haben, ist auch Maicao so aufgebaut, dass alle Straßen ein Schachbrett bilden und es Carreras und Calles gibt, die sich im rechten Winkel kreuzen. Diese werden dann einfach durchgezählt. Wenn ich also die Adresse „Calle 5 #6-12“ suche, dann ist das Haus in der Calle 5, ganz in der Nähe der Kreuzung mit der Carrera 6 und trägt die Hausnummer 12.

Später erzählt mir ein Venezolaner, der als Automechaniker in Maicao arbeitet, warum alle hundert Meter Benzin in ehemaligen großen Wasserflaschen verkauft werden. In Venezuela kostet das Benzin weniger als ein kolumbianischer Centavo. Der Umrechnungskurs ist ungefähr 3300 kolumbianische Pesos für ein Euro. Alle Tankstellen der Region haben zugemacht, weil jede*r für 2300 Pesos pro Gallone (ca. 4,5 Liter) Sprit kaufen kann. In den Seitenstraßen stehen Autos aus denen heraus die Flaschen abgefüllt werden.

Kohle

Uns hat es hierher verschlagen, weil ich Felipe treffen möchte. Felipe hat früher mal in der Gegend gewohnt, wo jetzt große Tagebaue klaffen. Anstatt auf meine Fragen zu warten, erzählt er einfach in einem schier nicht enden wollenden Monolog seine Geschichte. Ich habe schon einen Krampf in der Hand, aber mir dünkt, dass er gerade sehr spannende Sachen wiedergibt. Er endet nach fast zwei Stunden mit: „Wenn ihr die Steinkohle aus La Guajira verwendet, dann klebt da Blut dran, Menschenblut“. La Guajira nennt sich diese Region, eine Halbinsel, auf der Cerrejón der größte Kohle-Tagebau Lateinamerikas ist. Kolumbien ist der viertgrößte Steinkohle-Exporteur und macht ein Drittel aller importierter deutscher Steinkohle aus. In Deutschland wurden erst neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut. Für Kohle aus Kolumbien. Die Kohle wird in verschiedenen Regionen in Tagebauen abgebaut, dabei ist Cerrejón der größte mit fast 700 Quadratkilometern. Insgesamt besteht Cerrejón aus drei Tagebauen. Sie sind jeweils zu einen Drittel im Besitz von us-amerikanischen, schweizer und englischen Investoren, mit Lizenzen bis 2034.

Die Kohle wird auf die eigens errichte Bahnlinie gebracht. Die Kohlezüge sollen 120 Waggons haben und werden durch zwei oder drei Loks gezogen. Im eigens errichteten Kohlehafen, der aber auch nur einer von vielen in Kolumbien ist, wird die Kohle dann in Frachtschiffe verladen.

Dafür wurden einige indigene Ortschaften umgesiedelt. Teils unter Anwendung von Gewalt und durch Beihilfe durch die Armee werden sie vertrieben. Ihnen wird die Fläche genommen, auf der sie ihre Lebensmittel anbauen. Die Wayuú, die schon sehr lange in der Region leben, leiden besonders unter dem Kohleabbau. Sie haben sich erfolgreich gegen die Kolonialisierung durch die Spanier*innen behaupten können, weil sie als besonders widerständig gelten. Doch jetzt sterben sie am Hunger. Das Grundwasser wurde durch Cerrejón abgesenkt, damit der Tagebau nicht zum See wird, und ein Fluss wurde auf zig Kilometer Länge umgeleitet. Seitdem muss Wasser in Plastikflaschen gekauft werden. Was die Kolonialherren aus Europa des 16. Jahrhundert nicht vermocht haben, schafft Europa heute. Das nennt sich übrigens Neokolonialismus.

Felipe beschreibt die Umwelt-Belastung mit einem Experiment. Ich solle ein Becher mit Wasser aufstellen. Ein paar Stunden später sieht man die schwarzen Ränder vom Kohlestaub. und falls noch nicht genügend Argumente gegen die Kohleförderung geliefert worden sind, dann können wir gern noch über Klimawandel debattieren …

Albania

Ich will‘s selbst sehen. Ich mach mich am nächsten Tag auf und fahr‘ nach Albania, einen kleinen Ort der sich ganz in der Nähe vom Haupteingang und Besucher*innen-Zentrum entwickelt hat. 1000 Einwohner*innen vielleicht. Der Weg nach Albania im geteilten Taxi ist allerdings nicht sofort erfolgreich. Geteilt meint, dass solange gewartet wird, bis alle Plätze verkauft sind. Der Taxifahrer fährt rechts ran und stellt – nicht wirklich enttäuscht – fest, dass der Keilriemen gerissen ist. Er hält einfach ein Auto im Gegenverkehr an und lässt uns zurück nach Maicao schleppen. Bis zur Werkstatt. Dort warten wir eine knappe Stunde und schon wagen wir einen zweiten Anlauf.

Schon nachmittags schwinge ich mich als Sozius auf einem Taximotorrad gen Eingang, den letzten Kilometer in Angriff nehmend und – hab kein Glück. Am Eingang sagt mir die freundliche Frau, ich müsse eine Nummer anrufen. Der nette Mann im Hörer aber sagt: Nein, heute und morgen ist voll, keine Plätze mehr. Es geht also nur mit Führung.

Nach einer ganzen Weile meint ein Motorradfahrer er wüsste, dass in einem Hotel eine Gruppe eingecheckt hat, die morgen eine Führung hat. Also fahren wir wieder los. Im Hotel kann ich mit der Rezeption sogar auf englisch die Herausforderung besprechen. Ihr Anruf ergibt: Sie muss morgen früh nochmal anrufen. Also ruft sie mich morgen früh an, ob noch ein Platz frei wird.

Wohlweißlich bin ich früh genug aufgestanden und schon halb Acht klingelt das Telephon. Ich solle sofort am Eingang erscheinen. Bei der jetzigen Führung sei ein Platz frei. Drei Sachen in den Beutel, Tür zu, zur Straße gerannt, und – ich bin noch nicht mal auf der Straße – da kommt schon ein Motorrad. Ich spring auf, einmal Mineneingang bitte. Tatsächlich bin ich nicht der Letzte. Läuft.

Cerrejón

Kamera an. Alles was spannend ist wird gefilmt. Ich muss ja das Interview noch bebildern. Zuerst warten wir zwischen einen großen Kipplader und anderen kleineren Ausstellungsgegenständen, bis wir in einen größeren Raum geführt werden. Viele Info-Tafeln und Monitore. Wie zum Hohn eine übergroße Tafel mit Wörtern aus der Sprache der Wayuu. Alle Wörter drehen sich um den Kohleabbau. Viele Ausstellungsgegenstände möchten die soziale Seite Cerrejóns betonen. Mir wird klar, dass die Firma Teile ihrer Infrastruktur mit Wayuu-Wörtern schmückt. Seit 1975 gibt es die Grube nun schon und einige Präsidenten Kolumbiens waren zu irgendwelchen Einweihungen da. Obschon Kolumbien kaum Einfluss hat. Alle Fahrzeuge sind in Miniatur ausgestellt. Große Förderbrücken oder Förderkräne wie in deutschen Braunkohle-Tagebaue gibt es allerdings nicht. Dann müssen wir noch alle ein Sicherheitsvideo anschauen, Helme abgreifen und über den Zebrastreifen zum Reisebus gehen.

Durch das große Werksgelände düst der Bus raus auf die Schnellwege, die wegen den übergroßen Kippladern extrem breit sind und eigene kleine Parallelwege haben, die unser Bus nimmt. An einem Aussichtspunkt können wir in die Grube schauen. Ein Führer erzählt parallel viele technische Details. Als einer der Bagger gerade des Weges kommt, wird klar, dass auch diese überdimensioniert sind. Allein die Kipplader sind monströs groß.

Anschließend fährt der Bus noch zu einem anderen Aussichtspunkt, von dem wir die weiten Renaturierungsflächen bewundern sollen. Allerdings entwickelt sich daran, dass Kolumbien nicht so sehr von der Kohleförderung profitiert, eine schnell hitzig werdende Diskussion, die damit beendet wird, dass wir zurück in den Bus gehen. Offensichtlich sind nicht alle mit allem einverstanden.

Carrito

Zurück in Albania packe ich nur schnell die Sachen um nach Bogotá abzuhauen. Erst mit dem Carrito (so nennt sich hier das geteilte Taxi) bis nach Valledupar und dort dann mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Das Internet verrät mir später: Im Februar erst hat ein Indigener wohl einen Anschlag auf die Bahnschiene verübt. Ich kann‘s ihm nachempfinden.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.


Mai 12 2018

Caesar ist stark

Porto Velho

9. Mai 2018

 

Ein schrilles Pfeifen zerreißt die Stille. Stille in die ich seit zehn Minuten hineingehört habe. Immer mal unterbrochen von Flip-Flops die über Metallboden scharen. Die Stille wäre keine Stille wenn ich das laute Brummen des Schiffsdiesel noch hören würde. Doch das ist zu einem Grundrauschen geworden. Irgendwo im Hintergrund. Vor zehn Minuten hat der oder die erste an meiner Hängematten-Aufhängung gerüttelt. Unabsichtlich bestimmt. Im Vorbeigehen. Seitdem habe ich den begrenzten Ausschnitt beobachtet den ich rechts an meiner Hängematte vorbei sehen kann. Hinter der Reling liegt der Rio Madeira und Regenwald an dessen Ufer. Willkommen auf der „Almte Moreira IX“ unserem Schiff, unserem zu Hause, unseren Fenster in den Amazonas-Regenwald, unserem Bus nach Porto Velho, unserem Gefängnis und unserer Klassenfahrt.

Unser Fenster

Unser Schiff fährt dicht am Ufer, weil wir flussaufwärts unterwegs sind und am Ufer die Strömung weniger stark ist. So kann ich die vielen großen und kleinen Sträucher und Bäume gut beobachten. Mit ihren ausladenden Zweigen. Das Ufer ändert sich ständig. Manchmal kommt Schwemmland und dann tritt die Vegetation hinter riesigen Pfützen zurück. Manchmal rote Steilhänge. Manchmal stehen Holzhütten auf Stelzen mit oder ohne Menschen davor. Hölzerne Boote schaukeln in unserer Bugwelle oder fahren an uns vorbei. Die Holzboote sind ungefähr zehn Meter lang und auf der Heckreling ist ein unverdeckter Motor angebracht. Die Welle zur Schraube ist gute zwei Meter lang, sodass mensch den Eindruck erlangen kann, die Boote fahren mit übergroßen Stab-Mixern die flach ins Wasser gehalten werden.

Bei Holzhütten gibt es meist auch kleine Plantagen. Je mehr Holzhütten beieinander stehen, desto öfter kommt noch ein Sozial-Zentrum, eine Schule, ein Fußballplatz oder eine Kirche hinzu. Alles entsprechend klein, aus Holz und bunt angestrichen. Menschliche Siedlungen unterbrechen lediglich die unendliche Strecke des Regenwald-Ufers. Immer wieder schlüpfen aus den Wipfeln die langen weißen und die schnellen Blauen Vögel hervor. Die weißen stehen mit ihren langen Beinen oft am Ufer. Die grauen treten in Scharen auf und machen Lärm wie hundert ungeölte Fahrräder. Einmal lag am Ufer auch ein schwarzes Krokodil (Anmerkung: Der Autor hat keine Ahnung von Tieren und Pflanzen. Das Tier hält er für ein Krokodil, weil es halt so aussieht, wie er sich ein Krokodil vorstellt.) Aus dem kaffee-braunen Wasser des Rio Madeira taucht auch hin und wieder einer der grauen oder rosanen Flussdelphine auf.

Unsere Klassenfahrt

Schon mit Beginn der Reise merken wir, dass viele sehr gut gelaunt sind. Viele sind sehr gesprächig, sodass auch ich viele Menschen sehr schnell kennen lerne. Ein Großteil der Menschen ist auf dem Weg aus Venezuela in ein schöneres Leben in einem spanisch-sprachigen Land. So auch Kevin, mein Hängematten-Nachbar. Als er sich aus seiner Hängematte schält, werde ich erneut geweckt und mache es ihm gleich. Aufgrund der Enge geschieht das nicht, ohne dass wir uns gegenseitig wecken. Kevin ist auf dem Weg nach Peru. Er grinst fast ausnahmslos und ich habe ihn seinem Erscheinen nach auf 18 Jahre geschätzt. Tatsächlich ist er 25. Kurze schwarze Haare, langes Gesicht, dünn gebaut und flott zu Fuß. Kevin ist allein unterwegs. Wir unterhalten uns abends manchmal, von Hängematte zu Hängematte und dabei lerne ich venezolanisches Spanisch. „Pingue“ zum Beispiel ist eine starke Steigerung, die vor allem zusammen mit heiß und kalt verwandt wird. Mensch könnte es mit „bastante“ oder im weitesten Sinne mit „mucho“ gleichsetzen. Kevin ist ein wenig wie Mickey Maus‘ Goofy. So richtig scheint er keinen Plan zu haben, aber irgendwie hat er ständig das Glück, zufällig an sein Ziel zu kommen. ohne jemals wirklich traurig zu sein.

Diese ständige Freude, die Enge und die Zeit machen die Reise zu einer Art Klassenfahrt. Schnell freunden sich viele an. Da ist der Musiker, da der Draufgänger und dort der Ruhige. Einer erzählt mir, dass er drei Jobs in Venezuela hatte, von dessen Einkommen er sich im Monat gerade mal ein Huhn leisten konnte. Ein anderer fordert, dass der Bolivar, die venezolanische Währung, mit dem US-Dollar gekoppelt wird, damit die Hyperinflation ein Ende hat. Sie vereint die Flucht und das Wissen, dass Venezuela nicht so schnell stabil wird. Die nächsten Wahlen sind keine echten Wahlen, meint der eine. Wenn Maduro nicht gewinnt, gibt der Gewinner seine Macht an Maduro ab. Das Land hätte keine andere Wirtschaft außer die Erdöl-Industrie. Das macht die Situation zu einer Katastrophe. Hector erzählt, dass er zwei Töchter und eine Frau zu Hause hat. Er möchte in Peru arbeiten und diese versorgen oder nachholen.

Joseph, Caesar und Ramon reisen zusammen und möchten von Argentinien aus ihre Eltern und Geschwister unterstützen. Caesar ist 27, vielleicht 1,70m groß, ärmelloses türkises T-Shirt, muskulös gebaut. Caesar ist nicht ganz so überschwänglich und erklärt mir, dass Venezolaner*innen auch dann freudig sind, wenn ihnen grad was schlechtes widerfahren ist. Caesar hat Informatik studiert und einen Bruder in Buenos Aires. Sein Traum ist es, ein eigenes sicheres und freies Betriebssystem zu programmieren, dass viele verwenden. Er ist Fan von freier Software wie Linux. Wir können uns viel unterhalten und ich lerne dabei zusehend spanisch. Es ist hart. Den Satz „Kannst du es nochmal langsam sagen“ kann ich auf spanisch mittlerweile auswendig. Ich erzähle viel von unserer Reise, unseren Vorhaben, meinem Leben in Deutschland. Er ist sehr interessiert. Hinter den freudig-freundlichen Gesichtern vermute ich aber auch eine traurige Seite. Ich kann es mir schwerlich ausmalen, dass so viele Menschen so beschwingt ihr Land verlassen. Umso schöner, dass sie es mit Leichtigkeit machen. Ob er eine Freundin hat, frag ich Caesar.

Ja und Nein, sagt er.

Pause.

Ja, aber wir machen grad eine Pause, solange wie ich unterwegs bin.

Es klingt aufrichtig, aber nicht mehr so sorgenlos.

Unser Schiff – unser zu Hause – unser Gefängnis

Der Pfiff hat uns zum Frühstück gerufen. Vor dem Eingang in den Essensbereich steht schon eine Schlange. Ich reihe mich ein und schau mich wartend um. Das erste Obergeschoss ist im vorderen Bereich Stauraum und in der hinteren Hälfte der Hängematten-Bereich. Dieser Bereich ist auch überdacht durch den 2. Stock. Am Heck befindet sich, durch ein Plastikgitter abgetrennt, der Essensraum. Unten stehen noch mehr Sachen, die transportiert werden, wie beispielsweise, Farbdosen, Para-Nüsse oder Holzkohle. Vor allem aber stehen dort Autos. Auf dem obersten Deck gibt es eine überdachte Fläche mit Stühlen, ein Kiosk mit Fernseher, der Crew-Bereich und natürlich die Brücke. Sogar auf dem obersten Dach transportieren wir Materialien, wie beispielsweise Stühle. Auf dem Vorschiff ist alles verdeckt durch Planen, bis auf die Fahrräder und Stühle. Die Brücke ist sehr eng und gesteuert wird mit einem historisch wirkenden roten Steuerrad. Schon die Gesamterscheinung des Schiffes mutet historisch an. Besonders die anderen hölzernen Varianten dieser Schiffe, die wir öfters sehen, geben den Eindruck, dass schon im 19. Jahrhundert diese auf den Flüssen unterwegs waren.

Nach und nach dürfen wir in den Speisesaal, und wenn Menschen fertig gegessen haben, werden neue eingelassen. Ich lasse mir etwas vorgesüßten Kaffee in den Plastikbecher und zwei süße Milchbrötchen. Nach ein paar Tagen gibt‘s keine Brötchen mehr, dann gibt‘s kleine Kekse. An langen steinernen Tischen, nehme ich auf einen der weißen Plastikhocker platz. In den Margarine-Schachteln stecken Messer, mit dem ich die Brötchen aufschneiden und mit der salzigen Margarine bestreichen kann. Das ist das Frühstück hier an Bord.

Auf dem Rückweg schlängele ich mich an wartenden Menschen und Hängematten vorbei. Gute 50 Hängematten in allen Farben gibt es hier. Die meisten aus Stoff und nicht so billiger Plaste-Kram wie unsere. Wir glauben nicht, dass wir sie mehrmals brauchen, aber für das Schiff ist eine Hängematte unerlässlich. Die Hängematte hängen quer zum Schiff und überlappend passen drei nebeneinander. Mein Tag beginnt mit der Naht-Kontrolle. Jedes Mal wenn ich mich in die Hängematte setze, macht sie ein Geräusch, als wenn gleich Nähte reißen. Deswegen das Sicherheitsritual nach dem Frühstück. Auch tagsüber verbringe ich und viele andere ihre Zeit in der Hängematte. Lesen, schlafen, Musik-hören, Podcast-hören, unterhalten. Bei fünf Tagen die das Schiff braucht, haben wir viel Zeit für alles mögliche. So nähe und lese ich viel, was ich sonst nicht machen würde. Eingezwängt zwischen vielen Menschen, ohne Privatsphäre und kaum Raum in dem ich mich bewegen kann. Es hat auch etwas von Gefängnis.

Unser „Bus“ nach Porto Velho

Unser Weg führt von Manaus nach Porto Velho. Etwas den Amazons runter und dann rechts abbiegen in den Rio Madeira. Eine andere Verbindung über Land als das Schiff gibt es nicht. Es gab und gibt Planungen über eine Straße, aber diese ist wieder zugewachsen. Die Transamazonica soll Höhe des Äquators vom Atlantik bis zum Pazifik reichen. Sie würde auch Manaus und Porto Velho verbinden. In Brasilien heißt sie BR-319. Die anderen Länder neben Brasilien befürchten den brasilianischen Einfluss, sodass sie nicht ganz so eifrig hinter dem Projekt stehen. Aber auch indigene Völker und Umweltschützer protestieren, teils mit Besetzungen. Bis nach Manaus und damit ein erhebliches Stück ist schon fertiggestellt. Das Stück nach Porto Velho und weiter Richtung Grenze ist allerdings überwuchert und wurde nicht komplett asphaltiert. Sollte die Straße zukünftig Städte an das Straßennetz verbinden, würde das deren Wirtschaft unterstützen. Diese besteht aber zu nicht unerheblichen Teilen aus der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Bergbau. Alle drei reduzieren den Regenwald schon jetzt nachhaltig, sodass im Bundesstaat Rondonia, wo wir hinfahren, ein Viertel des Waldes abgeholzt ist. Die Rohstoffe gehen oft nach Europa. Die Landwirtschaft produziert vor allem Soja, das Haupt-Futter in der industriellen Massentierhaltung. Für neue Felder wird Regenwald abgebrannt oder abgeholzt.

Schon jetzt hat Brasilien entlang der Transamazonica eine Blutspur gezogen. Mindestens 9 indigene Völker wurden ganz oder fast vollständig umgebracht. Da die Völker nicht gegen die selben Krankheiten immun sind, wie die zugewanderten Europäer*innen, wurden vielen der Völker bspw. mit Windpocken vergiftete Geschenke gemacht. Eine Windpocken-Pandemie tötete dann das indigene Volk. Erst spät wurde das europäische Märchen vom nahezu unbewohnten Regenwald widerlegt. Von den ehemals fünf Millionen Indigenen im Amazonas-Regenwald gibt es heute nur noch ca. 300.000. Viele werden noch heute diskriminiert oder durch Holzfäller und Bauern vertrieben. Die übrigen unkontaktierten Völker im Regenwald verhalten sich oft sehr aggressiv gegenüber Fremden, weil der mörderische Umgang der europäischen Nachfahren mit ihnen bekannt ist. Hätte es eine Busverbindung über die Transamazonica für uns gegeben, ich hätte mir sehr schwer getan, diese zu nutzen.

Porto Velho kommt

Zurück aufs Schiff. Wir halten an Tag 4 für ungefähr acht Stunden in Humaitá, wo etwas Ladung und vor allem Brasilianer*innen von Bord gehen. Mittlerweile nimmt das Langeweile-Gefühl zu und das Essen bleibt einseitig. Reis, Spaghetti, Bohnen und gekochtes Fleisch. Mittags und Abends. Jeden Tag. An einigen Tagen wird zusätzlich gegrillt auf dem Oberdeck. Ich unterhalte mich mit Ramon und frage ihn nach den Holzhaus-förmigen Booten, die vor jeder noch so kleinen Siedlung liegen. Es sind Baggerschiffe, sagt er. Später sehe ich auch größere im Fluss. Mittels einer Pumpanlage wird der Fluss-Schlamm angesaugt und über breite Holzrinnen geleitet. Dort soll sich das gesuchte und schwerere Gold ablagern. Vermutlich unter dem Einsatz des giftigen Quecksilbers, das die Arbeit effektiver macht.

An Tag 5 ist es endlich so weit. Agraranlagen werden sichtbar. Eine große Brücke und Hochhäuser kommen ins Blickfeld. Wir sind glücklich, weil bald können wir das Boot verlassen. Alle packen. Wir auch. Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden und wünschen uns gegenseitig viel Erfolg auf unseren neuen Wegen. Ich tausche mit Caesar Kontaktdaten und muss an unseren letzten Abend denken.

Er erzählte von seinen Eltern, die ihn ungern gehen ließen. Er selber würde nicht so viel an zu Hause denken und meint, seine Eltern seien halt sentimental. Er verkauft sich als stark, aber ich empfinde Mitgefühl. Es ist diese Stärke, die die andere Schwäche ausgleichen soll. Er erzählt, dass er seinen Eltern nicht gesagt hat, dass er mit Karten-Tricks in den Straßen Geld hinzuverdient hat. Touris seien sehr leichtgläubig. Dadurch konnte Caesar sich schickere Kleidung und Schuhe kaufen. Er und ich führen den herumstehenden Menschen unsere Karten-Tricks auf. Nachdem die meisten sich schlafen gelegt hatten, um bis zum 6-Uhr-Pfeifen zu schlafen, sitzen Caesar und ich noch unter dem imposanten Sternenhimmel, der durch keine Stadtlichter beeinträchtigt wird. Wir sprechen über die ungerechte Welt. Dass Touris immer höhere Preise zahlen und das Latinos/as immer Preise unter den angezeigten verhandeln können.

Dann zeigt er mir ein Photo auf seinem Handy.

Völlig ungefragt.

Seine Freundin.

und seine Augen verraten mir, dass auch der starke Caesar nicht nur stark ist.