Aug 28 2018

Bogotá im Zeichen des aufkommenden Friedens

von Karl

 

In keiner Stadt habe ich wohl so viel Zeit verbracht, wie in Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Mit ihren 7 Millionen Menschen eine der größeren. Als ich aus dem Bus ausstieg erwartete mich schon ihr kalt-nasses Wetter. Nicht, dass es tagsüber auch mal T-Shirt-warm werden kann, es kann auch regnen und Sonne scheinen im selben Moment.

Sicherheit und Geschichte des bewaffneten Konflikts bis heute in Kolumbien

gesamte Geschichte Kolumbiens

Bogotá ist eine Stadt die auch viel über aktuelle und vergangene Politik verrät. Kolumbien befindet sich an einem Wendepunkt zwischen bewaffneten Auseinandersetzungen und Frieden. Wie schon in anderen Städten Kolumbiens wird uns gedankt, dass wir als Touris gekommen sind, damit wir ein friedliches Bild Kolumbiens nach außen senden können.

Bis vor wenigen Jahren noch, war es sehr gefährlich, sodass selbst Einheimische kaum ihre Städte verlassen haben. Bus fahren war zu gefährlich und Fliegen ist in Kolumbien teuer. Aber selbst das Fliegen wurde teils durch paramilitärische oder Guerilla-Armeen unterbunden. Busse überfallen oder zumindest eine Passagen-Gebühr genommen. Paramilitärs galten als besonders brutal, d.h. sie töteten gleich die ganze Familie, wenn Menschen im Verdacht standen mit Guerillas zu kooperieren, während Guerillas Geiseln nahmen und Lösegeld forderten. Auch die Armee begang Menschenrechtsverbrechen. Bekannt sind z.B. die vielen „Falsos Positivos“. Im „Plan Colombia“ hat die US-Regierung mehrere Milliarden an Rüstungshilfe im Kampf gegen die Drogen bereit gestellt. Das Geld floss über Umwege zurück an US-Waffenhersteller. Umwege, weil laut UN-Vorgaben, Länder nicht anderen Geld geben dürfen, damit sie eigene Waffen kaufen. Es gibt aber private US-Sicherheitsdienste die dann zu Mittelsleute werden. Nicht nur der Kampf gegen Drogen stand im Interesse der USA, auch die Guerillas, die als links gelten, kamen ins Fadenkreuz. In dieser Zeit wurde das Geld auch eingesetzt um Kopfpauschalen für ermordete Guerilleros an Soldaten zu zahlen. Die Folge war dass Bäuer*innen und mit falschen Versprechen angeworbene in Guerilla-Uniformen gesteckt wurden, um sie dann zu töten und abzurechnen. Diese Zahl geht in die Tausende und werden „Falsche Positive“ also „Falsos Positivos“ genannt.

Die Paramilitärs entstanden als Reaktion auf die Guerillas und der Unfähigkeit des Staates diese zu bekämpfen. Großgrundbesitzer aus dem Norden Kolumbiens gründeten und finanzierten die paramilitärischen Kämpfer*innen. Paramilitärs gelten als rechts außen.

Guerillas

Ähnlich wie paramilitärische Verbände gibt es eine Vielzahl Guerilla-Armeen. Die berühmtesten sind wohl die FARC-EP, ELN und M-19. Die FARC begann als leninistisch-marxistische Gruppe in den 1960er Jahren in Folge der Auseinandersetzungen zwischen Liberalen und Konservativen in Kolumbien. Liberal meinte da noch links-progressive Ideen und nicht was heute unter neoliberal verstanden wird. Die Konservativen, vielleicht unter zur Hilfenahme der CIA, haben liberale Präsidentschaftskandidaten ermordet und so deren Machtübernahme verhindert. Als das in Straßenschlachten in Bogotá mündete, begann eine brutale und verdeckte Verfolgung der Liberalen. Zu Hause oder auf offener Straße wurden sie erschossen. Das radikalisierte Gruppen und mündete in Guerillas a la FARC. Mit der Zeit musste sich die FARC finanzieren, wodurch sie auch im Drogenhandel aktiv wurde. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion fiel auch diese Unterstützerin weg. 2016 schlossen FARC und Regierung mit Unterstützung von Norwegen und Kuba einen Friedensvertrag. Die FARC gibt die Waffen ab und firmiert als neue Partei. Sie hat nun für einige Jahre 10 feste Sitze im Parlament. Die Regierung ist verpflichtet die ländlichen Gegenden, in denen die FARC aktiv ist, zu unterstützen. In einer Volksabstimmung Ende 2016 stimmten allerdings 50,22% der Bevölkerung gegen das Friedensabkommen. Nur wenige Wochen vor der Abstimmung wurde der 300seitige Vertrag veröffentlicht. Viele befürchten, dass die Guerillas für ihre Menschenrechtsverbrechen nicht ausreichend bestraft werden.

Justizministerium, am Tag vor Duques Amtseinführung

Der erst am 7. August das Amt übernommene Präsident Ivan Duque steht auf der Seite der Kritiker. Dem rechten Politiker der konservativen Partei konnten Verbindungen zu Paramilitärs nachgewiesen werden, aber Morde an Zeugen verhindern Gerichtsverfahren. Mit ihm wird eine Rückkehr zur Gewalt befürchtet. Das kurz vor dem Abschluss stehende Friedensabkommen mit der ELN, der zweitgrößten Guerilla-Gruppe, wurde abgebrochen und wird von Duque nicht fortgeführt. Die stalinistische ELN operiert noch, u.a. im Nordosten. Als ich dort unterwegs war, sind mir die unzähligen Straßenkontrollen durch die Armee und Polizei aufgefallen. Teilweise im Zehn Minuten Takt sind wir in eine Kontrolle geraten. Es bleibt abzuwarten, wie die ELN, die sich auf Frieden eingesetellt hatte, darauf reagieren wird.

Am zentralen Platz der Stadt, dem Plaza Bolivar, wurde Duque vereidigt. In der Platzmitte steht Kolumbiens wichtigster Befreier von den spanischen Besatzer*innen: Simon Bolivar. Sein wichtigster Mitstreiter war Francisco de Paula Santander. Allerdings verstritten sich beide nach Erlangen der Unabhängigkeit. Bolivar war für eine Diktatur unter seiner Führung, während Santander Demokratie befürwortete. Am selben Platz steht das Justizministerium mit einem Zitat von Santander. Selbiges Gebäude ist Symbol einer M-19-Aktion. M-19 ist aus akademischen Kreisen in Bogotá entstanden und hat einen Bruch durchgemacht, als sie anfing mit den Drogen-Kartellen zusammenzuarbeiten. In den 1980er stürmten sie das Justizgebäude und nahmen zig Geiseln. Im Nachgang fehlten Beweisunterlagen für Prozesse gegen Drogen-Kartelle. Auch die Armee zeigte sich nicht kooperative und beschoss das Gebäude rücksichtslos teils mit Panzern, dass es im Nachgang komplett neu aufgebaut werden musste.

indigene Frauen protestieren während Duques Amtseinführung gegen dessen politischen Kurs

Mathilde, Laura und Isabelle

Meine ersten Tage waren dadurch geprägt die politische Auseinandersetzungen zu verfolgen, die durch die Amtseinführung Duques nochmal präsenter waren. Für zwei Nächte hatte ich allerdings das Glück bei Mathilde übernachten zu dürfen. Eine Couchsurferin die durch hartes Arbeiten sich bekannt machte. Die geborene Französin lebte schon einige Jahre in verschiedenen Ländern und macht nun ihren Abschluss in Bogotá. Mit BBC lernten wir am ersten Abend ein sehr leckeres und lokales Bier intensiv kennen.

Sie sprach mir aus dem Herz, was ich bei vielen Backpackern vermisse: Das Bewusstsein über die eigenen Privilegien. Viele kommen nach Kolumbien und freuen sich, welch tolles Land das ist. Das aber vieles darauf beruht, dass sie hier wegen der schwachen Währung finanziell gut ausgestattet sind, wird gern ausgeblendet. Für einige in Kolumbien ist selbst der Bus zu teuer, der umgerechnet ca. 0,70 Euro kostet. Durchschnittseinkommen liegt wohl bei 200 Euro im Monat. Da ist ein 150-Euro-Zimmer in Bogotá, wie es Mathilde bewohnt, nicht mal eben zu haben. Wer im Hostel im Touri-Viertel abhängt und Touren bucht, wird wohl kaum hinter den Vorhang schauen. Am nächsten Tag lerne ich noch ihre bolivianische Mitbewohnerin kennen, die auch sehr freundlich und hilfsbereit ist.

Dank Mathilde bekomme ich später Kontakt zu Isabelle. Isabelle ist kanadische Menschenrechtsanwältin, arbeitet aber schon seit einigen Monaten in Bogotá. Ab und zu fährt sie in ländliche Gegenden und trifft Frauen. Frauen die unter dem bewaffneten Konflikt litten und deren Stimme sie in den Friedensprozess einfließen lässt. Isabelle schreibt nach den Gesprächen Berichte, die Teile einer Sonderjustiz sind, die Rahmen des Friedensabkommens Verbrechen von FARC und Armee aufarbeiten. Erst seit einem guten Monat laufen die ersten Verhandlungen vor der JEP. Isabelle erzählte uns bei guten Kaffee voller Energie von ihren Erlebnissen. Sie strotzt voller Stolz und Energie, wenn sie von ihrer Arbeit erzählt. Ich dagegen schweige und staune. Eine starke Arbeit, die sie da leistet und das direkt im historischen Weg Kolumbiens. Sie erzählt von lokalen Initiativen die Erfolge für die Unabhängigkeit der Frauen feiern. Oft ist die ökonomische Abhängigkeit vom eigenen Mann, ist oft ein Problem um sich effektiv gegen häusliche Gewalt zu wehren. Aber auch die Folgen des Konflikts werfen ihre Schatten. Vergewaltigungen haben alle bewaffneten Gruppen eingesetzt um ihre Region zu kontrollieren. Zugeben mag es nur niemand. Dann lieber zugeben, dass sie einen Mann getötet haben. Sie erzählt von einer Frau, die von einem Paramiltär vergewaltigt worden war und später darüber sprach. Das war traumatisierend auch für die Tochter, weil die nun Begriff wer ihr Vater ist. Viele trauen sich nicht offen darüber zu sprechen und da kann Isabelle mit Anonymität und vertrauensvollen Gesprächen trotzdem helfen.

Über Isabelle kommen wir in Kontakt mit ihrer Kollegin: Laura. Sie arbeitet auch für „Humanas“ und kümmert sich mehr um den Friedensaufbau. Besonders in Kontakt mit Paramilitärs im Nordwesten. Wir diskutieren wie sie mit Menschen umgehen muss, die grausamste Taten begangen haben. Wie sie Paramilitärs und Guerillas für gemeinsames Fußball-Schauen gewinnen konnte. Eine, die selbst Opfer von Paramilitärs wurde, meinte mal zu ihr: „Wir sind keine Opfer und Täter. Wir sind überlebende des Konfliktes.“ Verzeihen zu können scheint ihr wichtig zu sein, aber natürlich müssen sie ihre Taten zugeben und bei Aufklärung helfen. Laura spricht von ihren Job nicht als Job. Es ist ihr Leben. Ich frage sie, wie sie das Problem lösen möchte, da Kokain immer noch stark nachgefragt wird. Besonders Nordamerika und Europa konsumieren, während Länder wie Kolumbien produzieren. Sie spricht von Legalisierung und welche Folgen der Koka-Anbau hat. Ja da hängt Blut dran und es wird mir klar, dass auch hier die neokoloniale Ausbeutung zu finden ist. Die Folgen des Konsums im globalen Norden, trägt der globale Süden.

Als positives Beispiel führt sie das Café an, indem wir uns verabredet hatten. „Cantera Café Work“ setzt ausschließlich auf Regionalität. Selbst die Kaffeemaschinen sind aus Kolumbien. Eingestellt werden ehemalige FARC-Kämpfer*innen. So wird ihnen ein Weg vom/von der Soldat*in hinüber ins zivile Leben ermöglicht. Da das Mittag und der Kaffee ausgezeichnet sind, möchte ich allen Bogotá-Reisenden diese Location unbedingt ans Herz legen.

Noch Stunden nach dem Treffen bin ich schwer beeindruckt von Laura und ihrer Arbeit. Rosa und ich unterhalten uns noch länger über sie und hoffen, dass ihre Arbeit fruchtbar sein wird.

Grün und Bunt

Eine Region die Guerillas und Regierung nicht beherrschen, sind die Smaragd-Abbaugebiete. Kolumbien ist der größte Smaragd-Produzent der Welt. In der Innenstadt Bogotás bietet jede*r Schmuckhändler*in Smaragde und Smaragd-Schmuck an. An einer unscheinbaren Stelle im Zentrum können auch illegal die Edelsteine erworben werden. Immer zwei bis drei Männer stehen zusammen. Bei einer hinteren Gruppe konnte ich beobachten wie einer mit einem speziellen Lupen-Gerät seine Serviette untersuchte. Ich vermute mal, dass in der halboffen gehaltenen Serviette das grüne Gold schlummerte.

Wer nicht nur auf grün steht, sollte einfach mit offenen Auge durch die Stadt gehen. Auch unter Brücken, an Straßenrändern und Hausfasaden sind zig große und besonders gute Graffiti zu bestaunen. Auch wenn die Stadtpolitik das eingrenzen will, so sind viele Wände besonders kunstvoll gestaltet. Allein aus dem Fenster der Buslinien 6 und 1 konnte ich einiges sehen. Vögel sind oft gesprüht worden, weil sie auf die besonders hohe Biodiversität Kolumbiens verweisen. Kolumbien hat Naturschutzgebiete, die größer sind als die Niederlande.

Besonders bunt ging es auch am Sonntag los, als der 480te Stadtgeburtstag nachgefeiert wurde. Sonntags ist generell Ciclovia in Bogotá, d.h. viele Hauptstraßen werden für den Motorverkehr gesperrt. Fahrräder, Spaziergänger*innen, Sportler*innen verschiedenster Art und alles was Rollen hat, erobert die Straßen. Die Stadtverwaltung bietet u.a. auch Reparaturservice an. Diese Ciclovia wurde um einen langen und bunten Umzug ergänzt. Kulturgruppen haben verschiedenste Themen in Szene gesetzt. Teils durch Choreographien, Tänze, Akrobatik oder/und kunstvolle Kostüme und Puppen. Gruppe um Gruppe zog an mir und vielen anderen Schaulustigen vorbei.

Wer einen schönen Ausblick in der Stadt sucht, dem sei Montserrate empfohlen. Ein Gipfel an der Ostseite ist über einen langen steilen Weg zu erreichen oder Zahnradbahn oder Seilbahn. Die Seilbahn ist Sonntags günstiger. Wenn das Wetter besser ist, soll ein traumhafter Sonnenuntergang zu sehen sein. Neben einen wunderschönen Rundblick sei darauf hingewiesen, dass das kühle Wetter und der Wind einen nicht vor Sonnenstich und Sonnenbrand schützen kann. Leider. Auch das Hochhaus der Colpatria-Bank bietet einen schicken Rundblick.

In den Straßen Bogotás, aber auch in vielen anderen Orten Kolumbiens, werden „Minutos“ also Minuten angeboten. Das sind quasi mobile private Telephonzellen. Menschen bieten da Telephonate, meist nach Venezuela, für günstige Preise an. Meist wird damit geworben, welche Funknetze abgedeckt werden.

Trennung und der Weg nach Süden

Nun geht auch die schönste Zeit irgendwann vorbei. Bogotá war besonders spannend und ich konnte viel lernen. Ich breche auf, lasse aber Rosa zurück. Beide erwarten wir Gäste, die uns auf der Reise begleiten werden, nur, dass ich dafür Anfang September in Lima und sie in knapp zwei Wochen in Ecuador sein muss. Ich hoffe unsere Wege führen danach wieder zusammen.

Um etwas Strecke zu machen bin ich mit dem Bus direkt bis an die ecuadorianische Grenze gefahren. 23 Stunden brauchte der Bus bis Ipiales und mit dem geteilten Taxi war ich noch rechtzeitig bei der Migrationsbehörde Kolumbiens. Nach ca. 2 Stunden hatte ich meinen Stempel. Anders geht es vielen Venezolaner*innen, die in einer eigenen Schlange anstehen müssen und wodurch gut hundert übernachten müssen auf der Straße bis am nächsten Morgen die Behörde ihre Schalter wieder öffnet. Alle anderen haben privilegierten Vorzug. Das Rote Kreuz ist nun am Start. Ecuador hat das eleganter gelöst. Gleich acht Schalter sind nun rund um die Uhr besetzt, sodass niemand warten muss. Dadurch bin ich schnell durch an der Grenze und hab auch gleich ein geteiltes Taxi zum Busbahnhof gefunden. Kaum angekommen fuhr schon 20 Minuten später der Bus ab. Gegen 3:15 stieg ich etwas gerädert an einem der Busbahnhofe in Quito aus …


Aug 26 2018

Adrenalin

von Rosa

Das Leben ist eine Achterbahn, sagen die Leute. Mal ist man unten, mal oben. Da macht auch Südamerika keine Ausnahme. Die letzten Tage, vielleicht Wochen waren anstrengend. Der Reisefaden wurde dünner wie die Nerven an manchen Tagen.

Resignation und Neustart. Manchmal, da muss man den Faden loslassen. Sich fallen lassen.

Die ersten Schritte sind unsicher. Das Gefühl es zu schaffen ist da, auch wenn man noch nicht ganz überzeugt ist. Ich laufe die Stufen der rostigen Treppe nach oben. Eigentlich will ich erst langsam anfangen, aber die kleinere Rutsche ist geschlossen. Also gehe ich gleich aufs Ganze. Das Wasser spritzt gegen meinen Körper. Ich fliege schnell. Ein Kribbeln im Bauch und schon knalle ich auf das Wasser. Tauche ein und wieder auf. Ich bin wieder da. Das geile Gefühl ist wieder da. Nochmal.

Zwischen Hochhäusern, ein Stückchen außerhalb von Bucaramanga, wurde ein Wasserpark gebaut. Mein 12-Jähriges-Ich bekommt immer noch leuchtende Augen und Hummeln im Arsch, wenn es nur das Wort Freizeitpark hört. Also gebe ich meinem Affen Zucker, renne die Treppen hoch und lass mich die Rutschen runterfallen. Eine ist wie ein Trichter, in den ich mit Tempo über eine steile Abfahrt gelange. Ich drehe ein paar Runden und dann spuckt mich der Trichter aus. Ich falle Kopfüber ins Wasser.

Doch erstmal zum Anfang. Von Maicao bin ich zurück nach Santa Marta gefahren und über Nacht nach Bucaramanga. In dieser Stadt halten die meisten Reisenden nur um die Fahrt nach Bogotá zu unterbrechen. Tatsächlich gibt es eher wenig Touristisches zu sehen. Als ich das Zimmer meines Hostels betrete, schallt mir ein „Hey, how are you?“ The beds are so amazing, you will feel so good! It´s amazing“ entgegen. Ich denke, jetzt bin ich endgültig in der Backpacker-Hostel-Hölle angekommen. Jessica spricht tatsächlich mit dieser hohen Stimme, die man sich bei Amerikanern vorstellt und in jedem zweiten Satz kommt mindestens einmal das Wort „amazing“ oder „crazy“ vor. Ansonsten ist sie aber sehr nett. Jessica erzählt mir von der Angst ihrer mexikanischen Eltern aus den USA ausgewiesen zu werden, aussichtsreichen Demokraten, die bei den Senatswahlen gewinnen können und wie wichtig sie es findet grün zu leben. Während ihres zwei Wochen Trips, steigt sie trotzdem fünfmal ins Flugzeug. Ein Punkt den ich an Hotels gut finde sind die Menschen, die man dort trifft. Es ist nicht nur möglich etwas über das Land, welches bereist wird zu erfahren, sondern auch über andere Länder und Menschen. Es ist spannend, wie sie Situationen in Südamerika vor dem Hintergrund ihrer Lebenswelt und Sozialisation reflektieren. So ist Jessica fast schon überrascht als sie beim Bäcker nicht mit ihrer Kreditkarte zahlen kann, weil es für sie ein Zeichen von wirtschaftlicher Unterentwicklung ist. Da sind Deutschland und Kolumbien doch mal gleichgestellt. Dem Geschmack meines Kuchens tut die Barzahlung keinen Abbruch. Wir schlendern durch die Straßen. Alles ist sehr modern, Shoppingcenter, unzählige Bars, Restaurants und Coffee-Shops. Keine Touristen. Bei einem Straßenhändler kaufen wir Guanabana. Die Frucht schmeckt so ein bisschen wie eine Mischung aus Banane und Ananas.

Im Hostel arbeitet Pedro aus Venezuela. Nachts kellnert er noch in einem Restaurant und schickt das Geld nach Hause. Einen Reisepass können sich nur die wenigsten Venezolaner leisten, der mittlerweile fast 1000 Dollar kosten soll, sagt Pedro. Vor einer Woche hat Ecuador die Einreise für Venozolaner ohne Reisepass verboten.

Ein zweiter schöner Punkt an Hostels ist, wenn sie leer sind. Nachdem Jessica ihre Sachen gepackt und ihr Huber-Taxi zum Flughafen zum Glück wieder mit Kreditkarte bestellt hat, bin ich allein im Zimmer. Zum ersten Mal nach vier Monaten habe ich ein Zimmer für mich. Luxus. Nachdem ich das Gefühl lange genug ausgekostet habe, will ich dann doch ins Rutschenparadies.

Weil mir das noch nicht genug war, fahre ich am nächsten Tag zwei Stunden südlich nach San Gil, der Abenteuer-Hauptstadt Kolumbiens. Hier soll alles möglich sein vom Rafting, Paragliding bis zum Bungeejumping. Ich muss dem Busfahrer sagen, dass er mich doch bitte am Busbahnhof rauslässt, sonst wäre er einfach weitergefahren. Der Weg nach San Gil war aufregend. Der Bus schob sich durch enge Kurven an Schluchten vorbei. San Gil selbst ist eher weniger spektakulär, eine große Kirche und ein grüner Marktplatz. Die erwartenden Touristenmengen verstecken sich in ihren Hostels und so ist San Gil trotz seines Rufes eine authentische Kleinstadt geblieben.

In meinem Zimmer im neuen Hostel schlafen Florence und Adrian aus Frankreich. Florence ist mit dem Segelschiff nach Südamerika gekommen. Während ihrer fünfmonatigen Bootstour machte sie Stopp auf den Karibikinseln, lernte Segeln und hat für 10-20 Euro pro Tag auf dem Boot gelebt. Wir freunden uns schnell an und fahren am nächsten Tag nach Curiti. Ein kleines Dorf von dem man einen Fluss entlangwandern und in den natürlichen Badebecken schwimmen kann. Meine Freunde, die Moskitos sind bei der Poolparty zwar nicht eingeladen, aber auch wieder zahlreich am Start. Am Abend trinken wir Bier und essen Burger, um unseren Energiehaushalt nach der Wanderung wieder aufzufüllen.

Wie gemalt scheint der kleine Ort Barichara. Ein Buseta (so werden hier kleine Busse genannt) bringt mich in das 45 Minuten entfernte Städtchen. Die Straßen sind fast leer. Die Sonne brennt auf den Ziegeln. Es fehlt nur der Grasbusch, der wie in Westernfilmen über den Sand weht. Mein Weg führt mich zu einer kleinen Kathedrale vorbei an weißen Häusern mit bunten Fenstern und Türen.

Vom Garten der Kathedrale eröffnet sich mir ein Blick über ein  grünes Tal. Wer Entschleunigung sucht ist hier genau richtig. Auf dem Rückweg fängt es an zu Regnen. Ich habe Glück und erwische gerade so einen Bus. Mir wird auch gleich ein Platz neben einem älteren Mann angeboten. Er erzählt mir von enormen Regenfällen in den letzten zwei Jahren auf die hier niemand vorbereitet war. Häuser lösten sich und sogar Menschen starben in den vergangen Monaten. Der Klimawandel zeigt immer schlimmere Folgen bemerkt er. Als ich aus dem Bus aussteige, sind alle Straßen in reißende Flüsse verwandelt, wie ich es auch schon aus Santa Marta kannte.

Der Suarez ist auch ein reißender Fluss, allerdings ist dieser gewollt und von Raftingfans weltweit geschätzt. Hier kann man das höchste Level ohne extra Ausbildung absolvieren. Die Guides fragen mich, ob ich denn schon mal Rafting gemacht habe. Als ich den Kopf schüttle, schauen sie mich mit großen Augen an. Noch denke ich, dass sie uns nur Angst machen wollen. Während der Trainingsstunde dämmert es mir, dass es wohl doch nicht nur die heitere Bootsfahrt werden wird. Es gibt ein extra Kajak, dass uns retten soll, wenn wir über Bord gehen und zu weit vom Boot wegtreiben. Wir lernen nicht nur richtig zu paddeln und auf Kommandos zu hören, sondern auch wie wir unsere Crewmitglieder wieder aus dem Wasser ziehen. Zu unserer Crew gehören vier Menschen und ein Steuermann, der uns lautstark anschreit, dass wir schneller paddeln sollen. Das ist auch nötig. Die Stromschnellen sind so stark, dass es jede Sekunde Konzentration und Einsatz erfordert. Das Boot läuft mit Wasser voll und die Wellen schlagen mir ins Gesicht. Doch die Devise ist immer weiterpaddeln. Nach einem kleinen Wasserfall schlage ich mit dem Kopf gegen den Helm meines Vordermanns. Ich bin kurz benommen, dann geht es wieder. Die Metapher wir sitzen alle im selben Boot habe ich noch nie stärker am eigenen Laib erlebt. Manchmal sind wir parallelisiert von der Kraft des Wassers, die uns entgegenkommt. Doch je stärker diese ist, desto wacher müssen wir sein. Zum Schluss der Strecke kommt der härteste Teil. Es gibt viele Felsen durch die wir uns mit Kraft navigieren müssen. Die Abfahrt ist so steil, dass wir ein Crewmitglied verlieren. Ich schaue zurück, doch sehe niemanden. Dann taucht ein roter Helm auf und wir paddeln zurück, um ihn wieder ins Boot zu holen. Am Ende haben wir den Fluss mit ein paar Schrammen und blauen Flecken bezwungen. Rafting ist fast so krass wie Leben, nur mit Sturzhelm.

Berauscht vom Adrenalin der letzten Tage setzte ich mich in den Bus nach Bogotá. Die Fahrt geht weiter auf der Achterbahn. Wieder im Fieber der Reise. Bewusst mal schneller und mal langsamer atmen, auch wenn mein Faden nicht den geraden Weg nimmt. Wie immer begleiten mich die Rechts- und Linkskurven, das Hoch und Runter. Doch ohne, fehlte das Kribbeln im Bauch.


Mai 12 2018

Caesar ist stark

Porto Velho

9. Mai 2018

 

Ein schrilles Pfeifen zerreißt die Stille. Stille in die ich seit zehn Minuten hineingehört habe. Immer mal unterbrochen von Flip-Flops die über Metallboden scharen. Die Stille wäre keine Stille wenn ich das laute Brummen des Schiffsdiesel noch hören würde. Doch das ist zu einem Grundrauschen geworden. Irgendwo im Hintergrund. Vor zehn Minuten hat der oder die erste an meiner Hängematten-Aufhängung gerüttelt. Unabsichtlich bestimmt. Im Vorbeigehen. Seitdem habe ich den begrenzten Ausschnitt beobachtet den ich rechts an meiner Hängematte vorbei sehen kann. Hinter der Reling liegt der Rio Madeira und Regenwald an dessen Ufer. Willkommen auf der „Almte Moreira IX“ unserem Schiff, unserem zu Hause, unseren Fenster in den Amazonas-Regenwald, unserem Bus nach Porto Velho, unserem Gefängnis und unserer Klassenfahrt.

Unser Fenster

Unser Schiff fährt dicht am Ufer, weil wir flussaufwärts unterwegs sind und am Ufer die Strömung weniger stark ist. So kann ich die vielen großen und kleinen Sträucher und Bäume gut beobachten. Mit ihren ausladenden Zweigen. Das Ufer ändert sich ständig. Manchmal kommt Schwemmland und dann tritt die Vegetation hinter riesigen Pfützen zurück. Manchmal rote Steilhänge. Manchmal stehen Holzhütten auf Stelzen mit oder ohne Menschen davor. Hölzerne Boote schaukeln in unserer Bugwelle oder fahren an uns vorbei. Die Holzboote sind ungefähr zehn Meter lang und auf der Heckreling ist ein unverdeckter Motor angebracht. Die Welle zur Schraube ist gute zwei Meter lang, sodass mensch den Eindruck erlangen kann, die Boote fahren mit übergroßen Stab-Mixern die flach ins Wasser gehalten werden.

Bei Holzhütten gibt es meist auch kleine Plantagen. Je mehr Holzhütten beieinander stehen, desto öfter kommt noch ein Sozial-Zentrum, eine Schule, ein Fußballplatz oder eine Kirche hinzu. Alles entsprechend klein, aus Holz und bunt angestrichen. Menschliche Siedlungen unterbrechen lediglich die unendliche Strecke des Regenwald-Ufers. Immer wieder schlüpfen aus den Wipfeln die langen weißen und die schnellen Blauen Vögel hervor. Die weißen stehen mit ihren langen Beinen oft am Ufer. Die grauen treten in Scharen auf und machen Lärm wie hundert ungeölte Fahrräder. Einmal lag am Ufer auch ein schwarzes Krokodil (Anmerkung: Der Autor hat keine Ahnung von Tieren und Pflanzen. Das Tier hält er für ein Krokodil, weil es halt so aussieht, wie er sich ein Krokodil vorstellt.) Aus dem kaffee-braunen Wasser des Rio Madeira taucht auch hin und wieder einer der grauen oder rosanen Flussdelphine auf.

Unsere Klassenfahrt

Schon mit Beginn der Reise merken wir, dass viele sehr gut gelaunt sind. Viele sind sehr gesprächig, sodass auch ich viele Menschen sehr schnell kennen lerne. Ein Großteil der Menschen ist auf dem Weg aus Venezuela in ein schöneres Leben in einem spanisch-sprachigen Land. So auch Kevin, mein Hängematten-Nachbar. Als er sich aus seiner Hängematte schält, werde ich erneut geweckt und mache es ihm gleich. Aufgrund der Enge geschieht das nicht, ohne dass wir uns gegenseitig wecken. Kevin ist auf dem Weg nach Peru. Er grinst fast ausnahmslos und ich habe ihn seinem Erscheinen nach auf 18 Jahre geschätzt. Tatsächlich ist er 25. Kurze schwarze Haare, langes Gesicht, dünn gebaut und flott zu Fuß. Kevin ist allein unterwegs. Wir unterhalten uns abends manchmal, von Hängematte zu Hängematte und dabei lerne ich venezolanisches Spanisch. „Pingue“ zum Beispiel ist eine starke Steigerung, die vor allem zusammen mit heiß und kalt verwandt wird. Mensch könnte es mit „bastante“ oder im weitesten Sinne mit „mucho“ gleichsetzen. Kevin ist ein wenig wie Mickey Maus‘ Goofy. So richtig scheint er keinen Plan zu haben, aber irgendwie hat er ständig das Glück, zufällig an sein Ziel zu kommen. ohne jemals wirklich traurig zu sein.

Diese ständige Freude, die Enge und die Zeit machen die Reise zu einer Art Klassenfahrt. Schnell freunden sich viele an. Da ist der Musiker, da der Draufgänger und dort der Ruhige. Einer erzählt mir, dass er drei Jobs in Venezuela hatte, von dessen Einkommen er sich im Monat gerade mal ein Huhn leisten konnte. Ein anderer fordert, dass der Bolivar, die venezolanische Währung, mit dem US-Dollar gekoppelt wird, damit die Hyperinflation ein Ende hat. Sie vereint die Flucht und das Wissen, dass Venezuela nicht so schnell stabil wird. Die nächsten Wahlen sind keine echten Wahlen, meint der eine. Wenn Maduro nicht gewinnt, gibt der Gewinner seine Macht an Maduro ab. Das Land hätte keine andere Wirtschaft außer die Erdöl-Industrie. Das macht die Situation zu einer Katastrophe. Hector erzählt, dass er zwei Töchter und eine Frau zu Hause hat. Er möchte in Peru arbeiten und diese versorgen oder nachholen.

Joseph, Caesar und Ramon reisen zusammen und möchten von Argentinien aus ihre Eltern und Geschwister unterstützen. Caesar ist 27, vielleicht 1,70m groß, ärmelloses türkises T-Shirt, muskulös gebaut. Caesar ist nicht ganz so überschwänglich und erklärt mir, dass Venezolaner*innen auch dann freudig sind, wenn ihnen grad was schlechtes widerfahren ist. Caesar hat Informatik studiert und einen Bruder in Buenos Aires. Sein Traum ist es, ein eigenes sicheres und freies Betriebssystem zu programmieren, dass viele verwenden. Er ist Fan von freier Software wie Linux. Wir können uns viel unterhalten und ich lerne dabei zusehend spanisch. Es ist hart. Den Satz „Kannst du es nochmal langsam sagen“ kann ich auf spanisch mittlerweile auswendig. Ich erzähle viel von unserer Reise, unseren Vorhaben, meinem Leben in Deutschland. Er ist sehr interessiert. Hinter den freudig-freundlichen Gesichtern vermute ich aber auch eine traurige Seite. Ich kann es mir schwerlich ausmalen, dass so viele Menschen so beschwingt ihr Land verlassen. Umso schöner, dass sie es mit Leichtigkeit machen. Ob er eine Freundin hat, frag ich Caesar.

Ja und Nein, sagt er.

Pause.

Ja, aber wir machen grad eine Pause, solange wie ich unterwegs bin.

Es klingt aufrichtig, aber nicht mehr so sorgenlos.

Unser Schiff – unser zu Hause – unser Gefängnis

Der Pfiff hat uns zum Frühstück gerufen. Vor dem Eingang in den Essensbereich steht schon eine Schlange. Ich reihe mich ein und schau mich wartend um. Das erste Obergeschoss ist im vorderen Bereich Stauraum und in der hinteren Hälfte der Hängematten-Bereich. Dieser Bereich ist auch überdacht durch den 2. Stock. Am Heck befindet sich, durch ein Plastikgitter abgetrennt, der Essensraum. Unten stehen noch mehr Sachen, die transportiert werden, wie beispielsweise, Farbdosen, Para-Nüsse oder Holzkohle. Vor allem aber stehen dort Autos. Auf dem obersten Deck gibt es eine überdachte Fläche mit Stühlen, ein Kiosk mit Fernseher, der Crew-Bereich und natürlich die Brücke. Sogar auf dem obersten Dach transportieren wir Materialien, wie beispielsweise Stühle. Auf dem Vorschiff ist alles verdeckt durch Planen, bis auf die Fahrräder und Stühle. Die Brücke ist sehr eng und gesteuert wird mit einem historisch wirkenden roten Steuerrad. Schon die Gesamterscheinung des Schiffes mutet historisch an. Besonders die anderen hölzernen Varianten dieser Schiffe, die wir öfters sehen, geben den Eindruck, dass schon im 19. Jahrhundert diese auf den Flüssen unterwegs waren.

Nach und nach dürfen wir in den Speisesaal, und wenn Menschen fertig gegessen haben, werden neue eingelassen. Ich lasse mir etwas vorgesüßten Kaffee in den Plastikbecher und zwei süße Milchbrötchen. Nach ein paar Tagen gibt‘s keine Brötchen mehr, dann gibt‘s kleine Kekse. An langen steinernen Tischen, nehme ich auf einen der weißen Plastikhocker platz. In den Margarine-Schachteln stecken Messer, mit dem ich die Brötchen aufschneiden und mit der salzigen Margarine bestreichen kann. Das ist das Frühstück hier an Bord.

Auf dem Rückweg schlängele ich mich an wartenden Menschen und Hängematten vorbei. Gute 50 Hängematten in allen Farben gibt es hier. Die meisten aus Stoff und nicht so billiger Plaste-Kram wie unsere. Wir glauben nicht, dass wir sie mehrmals brauchen, aber für das Schiff ist eine Hängematte unerlässlich. Die Hängematte hängen quer zum Schiff und überlappend passen drei nebeneinander. Mein Tag beginnt mit der Naht-Kontrolle. Jedes Mal wenn ich mich in die Hängematte setze, macht sie ein Geräusch, als wenn gleich Nähte reißen. Deswegen das Sicherheitsritual nach dem Frühstück. Auch tagsüber verbringe ich und viele andere ihre Zeit in der Hängematte. Lesen, schlafen, Musik-hören, Podcast-hören, unterhalten. Bei fünf Tagen die das Schiff braucht, haben wir viel Zeit für alles mögliche. So nähe und lese ich viel, was ich sonst nicht machen würde. Eingezwängt zwischen vielen Menschen, ohne Privatsphäre und kaum Raum in dem ich mich bewegen kann. Es hat auch etwas von Gefängnis.

Unser „Bus“ nach Porto Velho

Unser Weg führt von Manaus nach Porto Velho. Etwas den Amazons runter und dann rechts abbiegen in den Rio Madeira. Eine andere Verbindung über Land als das Schiff gibt es nicht. Es gab und gibt Planungen über eine Straße, aber diese ist wieder zugewachsen. Die Transamazonica soll Höhe des Äquators vom Atlantik bis zum Pazifik reichen. Sie würde auch Manaus und Porto Velho verbinden. In Brasilien heißt sie BR-319. Die anderen Länder neben Brasilien befürchten den brasilianischen Einfluss, sodass sie nicht ganz so eifrig hinter dem Projekt stehen. Aber auch indigene Völker und Umweltschützer protestieren, teils mit Besetzungen. Bis nach Manaus und damit ein erhebliches Stück ist schon fertiggestellt. Das Stück nach Porto Velho und weiter Richtung Grenze ist allerdings überwuchert und wurde nicht komplett asphaltiert. Sollte die Straße zukünftig Städte an das Straßennetz verbinden, würde das deren Wirtschaft unterstützen. Diese besteht aber zu nicht unerheblichen Teilen aus der Forstwirtschaft, der Landwirtschaft und dem Bergbau. Alle drei reduzieren den Regenwald schon jetzt nachhaltig, sodass im Bundesstaat Rondonia, wo wir hinfahren, ein Viertel des Waldes abgeholzt ist. Die Rohstoffe gehen oft nach Europa. Die Landwirtschaft produziert vor allem Soja, das Haupt-Futter in der industriellen Massentierhaltung. Für neue Felder wird Regenwald abgebrannt oder abgeholzt.

Schon jetzt hat Brasilien entlang der Transamazonica eine Blutspur gezogen. Mindestens 9 indigene Völker wurden ganz oder fast vollständig umgebracht. Da die Völker nicht gegen die selben Krankheiten immun sind, wie die zugewanderten Europäer*innen, wurden vielen der Völker bspw. mit Windpocken vergiftete Geschenke gemacht. Eine Windpocken-Pandemie tötete dann das indigene Volk. Erst spät wurde das europäische Märchen vom nahezu unbewohnten Regenwald widerlegt. Von den ehemals fünf Millionen Indigenen im Amazonas-Regenwald gibt es heute nur noch ca. 300.000. Viele werden noch heute diskriminiert oder durch Holzfäller und Bauern vertrieben. Die übrigen unkontaktierten Völker im Regenwald verhalten sich oft sehr aggressiv gegenüber Fremden, weil der mörderische Umgang der europäischen Nachfahren mit ihnen bekannt ist. Hätte es eine Busverbindung über die Transamazonica für uns gegeben, ich hätte mir sehr schwer getan, diese zu nutzen.

Porto Velho kommt

Zurück aufs Schiff. Wir halten an Tag 4 für ungefähr acht Stunden in Humaitá, wo etwas Ladung und vor allem Brasilianer*innen von Bord gehen. Mittlerweile nimmt das Langeweile-Gefühl zu und das Essen bleibt einseitig. Reis, Spaghetti, Bohnen und gekochtes Fleisch. Mittags und Abends. Jeden Tag. An einigen Tagen wird zusätzlich gegrillt auf dem Oberdeck. Ich unterhalte mich mit Ramon und frage ihn nach den Holzhaus-förmigen Booten, die vor jeder noch so kleinen Siedlung liegen. Es sind Baggerschiffe, sagt er. Später sehe ich auch größere im Fluss. Mittels einer Pumpanlage wird der Fluss-Schlamm angesaugt und über breite Holzrinnen geleitet. Dort soll sich das gesuchte und schwerere Gold ablagern. Vermutlich unter dem Einsatz des giftigen Quecksilbers, das die Arbeit effektiver macht.

An Tag 5 ist es endlich so weit. Agraranlagen werden sichtbar. Eine große Brücke und Hochhäuser kommen ins Blickfeld. Wir sind glücklich, weil bald können wir das Boot verlassen. Alle packen. Wir auch. Wir verabschieden uns von unseren neuen Freunden und wünschen uns gegenseitig viel Erfolg auf unseren neuen Wegen. Ich tausche mit Caesar Kontaktdaten und muss an unseren letzten Abend denken.

Er erzählte von seinen Eltern, die ihn ungern gehen ließen. Er selber würde nicht so viel an zu Hause denken und meint, seine Eltern seien halt sentimental. Er verkauft sich als stark, aber ich empfinde Mitgefühl. Es ist diese Stärke, die die andere Schwäche ausgleichen soll. Er erzählt, dass er seinen Eltern nicht gesagt hat, dass er mit Karten-Tricks in den Straßen Geld hinzuverdient hat. Touris seien sehr leichtgläubig. Dadurch konnte Caesar sich schickere Kleidung und Schuhe kaufen. Er und ich führen den herumstehenden Menschen unsere Karten-Tricks auf. Nachdem die meisten sich schlafen gelegt hatten, um bis zum 6-Uhr-Pfeifen zu schlafen, sitzen Caesar und ich noch unter dem imposanten Sternenhimmel, der durch keine Stadtlichter beeinträchtigt wird. Wir sprechen über die ungerechte Welt. Dass Touris immer höhere Preise zahlen und das Latinos/as immer Preise unter den angezeigten verhandeln können.

Dann zeigt er mir ein Photo auf seinem Handy.

Völlig ungefragt.

Seine Freundin.

und seine Augen verraten mir, dass auch der starke Caesar nicht nur stark ist.


Apr 28 2018

Hasta la Vista Boa Vista

27.April 2018

Manaus

 

Boa Vista ist weniger von touristischen Interesse, sondern liegt eher auf dem Weg. Es ist die Hauptstadt des brasilianischen Bundesstaates Roraima. Roraima liegt südlich von Guyana und Venezuela und nördlich des großen Bundesstaates Amazonas. Mit 2 Menschen auf dem Quadratkilometer, leben hier noch weniger Menschen als in Surinam und Guyana. Größtenteils bedeckt von Regenwald und etwas Savanne.

Nach zwei Tagen Musik-Bus, siehe vorherigen Text, und einer kurzen Strecke Kühlschrank-Bus (Die Klimaanlage war auf Eisfach-Einstellung) sind wir abgekämpft am überregionalen Busbahnhof rausgekullert. Die verknautschten, müden und stinkenden Gestalten, derer wir uns bemächtigen, trugen sich bis zum nächsten Wifi, von dem aus wir unseren Couchsurfer kontaktierten.

Darf ich vorstellen? Eli. Eli ist etwas kleiner, Brille, gelockte Haare bis über die Schultern. Die Haare sind schwarz mit braunen Enden. Er trägt gern offen und schicken Vollbart. Lässig angenehm gekleidet und den Schlüssel zum kleinen roten Auto in der rechten Hand. Das Gesicht ist oft nachdenklich und gern der Freude zugeneigt. Sein zu Hause mag er nicht sonderlich. Zu viele kleine Tierchen rennen durch alle Zimmer. Dazwischen auch mal ein größerer Käfer. Ein schlichtes flaches Betonhaus mit allerlei alten und bunten Wänden. Es gibt sogar einen Garten mit zwei großen Bäumen. Sein Begleiter, ein Hund namens Brownie, erwartet uns schon in seinem Haus. Wir werden keine Freunde und verbannen ihn relativ schnell in den Garten.

Noch bevor wir sein zu Hause zu sehen bekommen, fährt er mit uns zur Uni. Tagsüber arbeitet er mit Kindern und abends studiert er Musik. Wir setzen uns mit ihm in das Seminar „Musik der Länder Lateinamerikas“. Nacheinander werden Vorträge über verschiedene Länder gehalten und unser Gastgeber referiert über Haiti. Wie vermutlich in jedem Seminar der Welt ist nur der Seminarleiter interessiert und alle anderen an ihren Handys und Laptops.

In Boa Vista können wir den Blick auf den Rio Branco empfehlen und nach Sonnenuntergang die großen Plätze insbesondere den Praça das Águas. Dort beginnen abends Wasserfontänen nach Musik zu spielen. Nach und nach kommen Menschen, um dort zu sitzen, zu quatschen und zu essen. Fliegende Händler*innen bieten allerlei, wie Popcorn, Ladekabel und Zuckerwatte. Viele der Straßenhändler*innen sind Venezulaner*innen. Auch tagsüber versuchen sie Autoscheiben zu waschen, führen Kunststücke auf Kreuzungen auf oder betteln. Nur um an etwas Geld zu kommen.

Die Situation in Venezuela soll zur Zeit sehr schwierig sein, weswegen wir uns schon früh gegen den Besuch des Landes entschieden haben. Neben einer Hyperinflation ist es überhaupt schwierig an Essen und Geld zu kommen. Uns wird von leeren Supermärkten berichtet. Viele verlassen das Land und deshalb halten sich auch viele im wohlhabenderen Brasilien auf. Wir kommen auch am UNHCR-Camp vorbei, ein großes Kirchengelände voll mit kleinen bunten und großen weißen Zelten mit dem blauen UNHCR-Logo. Insgesamt soll es zwei größere Anlaufstellen für die geflüchteten Menschen geben. Ein weiteres betreibt Brasilien selbst. Dort gibt es neben Unterkünften auch Waschmöglichkeiten und Kochstellen. Nichtsdestotrotz meint Eli, sei der Chavismus weiterhin beliebt. Auch in Brasilien. Chavez ist der verstorbene Vorgänger des jetzigen venezolanischen Präsidenten Maduro. Er hat über viele Jahre das sozialistische Land regiert und die hohen Einnahmen aus dem Erdöl an die arme Bevölkerung verteilt. Nun sind die Erdöl-Preise in den Keller gefallen und der Planwirtschaft fehlt das Geld. Noch mehr Erdöl zu verkaufen hilft dem Land dabei nur kurzfristig, weil es wiederum den Weltpreis senkt. Bisherige Versuche die Wirtschaft zu stabilisieren, teils mit spektakulären Ideen wie der ersten staatlichen Krypto-Währung, schlugen bislang fehl. Gleichzeitig ist das Land wegen seines Sozialismus von der westlichen Welt relativ isoliert. In Nachrichten wird vor allem im Zusammenhang mit gewalttätigen Protesten berichtet. Dabei wird meist der Narrativ von der sozialistischen Misswirtschaft bedient.

Wer heute den Nordwesten Brasiliens besucht, wird unweigerlich mit den geflüchteten Venezulaner*innen in Kontakt kommen. In Boa Vista sehen wir sie in den Straßen, nehmen sie aber nicht als aufdringlich war. Als wir vom lieben Eli zum Busbahnhof gebracht werden, sehen wir viele am Straßenrand sitzen.

Eli und uns war es ein lohnenswerter Besuch. Eli steht noch lange vor dem eisgekühlten Bus, in dem wir auf die Abfahrt warten. Wir klappen wie alle anderen die Sitze um und legen die Beine hoch. Wir fahren über nacht und schon bald schlafen wir seelenruhig ein.

Es ist aus die Maus, ab geht‘s nach Manaus!