Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.


Dez 3 2018

Eine Reise in sechs Akten

Von Karl

 

So manche*r wird staunen und neunmalklug behaupten: Ein Theaterstück hat doch nur 3, 4 oder 5 Akte. Tjaaa, dann lest das folgende Stück. Vorhang auf:

Akt 1: Castro → Quellón

Kurz nach meiner Rückkehr in Castro bekomme ich eine Rückmeldung für meine nächste Unterkunft. Es soll nach Esquel in Argentinien gehen. Das ist nicht so weit, denke ich.

Ich war tags zuvor bei der Fährgesellschaft Naviera Austral und habe meine Überfahrt von der Insel Chiloé zurück auf das Festland geplant. So habe ich erfahren, dass meine angestrebte Überfahrt von Quellón nach Chaitén nur an zwei Tagen in der Woche möglich ist. Einmal legt das Schiff am Donnerstag um 3 Uhr in der Nacht ab und das andere mal am Sonntag um 18:30 Uhr. Beides ist doof, weil kein Bus von Castro in der Nacht nach Quellón fährt und wenn ich 18:30 abfahre, dann bin ich Mitternacht in Chaitén. In dem Dorf fährt zu der Zeit dann sicherlich kein Bus. Die Überfahrt dauert vier bis fünf Stunden.

Von Castro aus gibt es zur Zeit keine Fähre. Ich war schon in Puerto Montt in dem Büro von Naviera Austral und habe zudem den Eindruck bekommen, dass sich die Pläne hier wohl regelmäßig ändern. Das bestätigen auch die Hosts und schimpfen auf die sich ständig ändernden Pläne. Es werden auch längere Fähr-Strecken angeboten, die bis in den äußersten Süden Chiles reichen. In Castro bin ich gefühlt der erste der überhaupt ein Ticket gekauft hat. Vielleicht stellt mir die Fährgesellschaft auch einfach ein Ruderboot hin und sagt, mache selbst. Die Einheimischen nehmen den Bus über Puerto Montt, der dann in Hornopirén auf die Fähre fährt. Die Strecke soll landschaftlich sehr reizvoll sein. Manche nehmen auch kleine Flugzeuge, die aber oft wegen dem Wetter ausfallen oder starke Verspätung haben.

Ich habe mich für die nächste Fähre entschieden, die überhaupt abfährt und das ist schon diese Nacht um 3 Uhr. Der letzte Bus fährt um 21 Uhr ab, sodass ich diesen dann auch nehme. Die Dunkelheit bricht über Castro ein, als sich der Reisebus auf der Straße nach Quellón herauswindet. Gut eineinhalb Stunden ist dieser unterwegs und direkt beim Busterminal ist auch schon der Anleger. Spärlich ist die Stadt erleuchtet und der kalte Seewind dringt in die Klamotten. Ein völlig Betrunkener torkelt an mir vorbei und vervollständigt, ohne es zu wollen, das Bild einer heruntergekommen Hafenstadt. Sicherlich gibt es um die Ecke die düstere Kneipe wo bärtige alte Männer literweise Bier trinken und so laut und tief lachen, dass die Holztische beben.

Es steht eine Fähre bereit und es ist mächtig Betrieb. LKWs rollen hin und her und einige stehen mit Sack und Pack am Anleger. Als diese dann auf den Kai gelassen werden, frag ich nach, aber diese Fähre ist noch nicht meine. Mir wird ein Aufenthaltsraum in einiger Entfernung empfohlen.

Tatsächlich, Naviera Austral hat ein eigenes großes Büro mit großem Aufenthaltsraum, der mit einem Ofen gut geheizt ist und es läuft mal wieder eine ins Spanische übersetzte Schnulzen-Serie, Made in Türkei. Ich hab zwar noch nie darüber geschrieben, aber tatsächlich habe ich schon wartend viele Folgen dieser türkischen Serie gesehen. Es ist die typische Abendberieselung die ihr auch aus dem deutschen Fernsehprogramm kennt. Beziehungsdramen halt.

Das Warten ist ansonsten wenig spektakulär und ich schlaf auch ein wenig.

Akt 2: Quellón → Chaitén

Eine gute Stunde vor Abfahrt kommt Unruhe unter die Wartenden und wir machen uns nach und nach auf den Weg zum Anleger. Gut hundert Meter einsamer Beton, dann geht die Rampe nach unten und der Ausleger der Fähre beginnt. Das kalte nasse Seewetter erfüllt meine Lunge mit Glück. Ja, Seefahrtsromantik kommt wieder auf. Nicht alle mögen‘s verstehen, aber jedes Mal wenn ich ein Boot betrete, ja, dann werd‘ ich zum Dichter.

Es wartet eine Fähre, die der von der frühen Nacht gleicht. Zum Glück kein Ruderboot. Die RoRo-Fähre ist ziemlich klein im Vergleich zu denen die in Calais, Dover, Travemünde oder Warnemünde abfahren, aber doch um einiges größer als die Auto-Fähren auf den Priwall oder die zwischen Kleinzschachwitz und Pillnitz. Zwei Dutzend Fährzeuge können über die Heckluke auf das einzige Deck mit drei Spuren fahren und nach dem Anlegen über die Bugluke geradewegs abfahren.

Über Außentreppen geht es in das Passagierdeck, was aus hunderten Busstühlen und einer Cafeteria besteht. Eigentlich haben sich fast alle immer drei Sitze nebeneinander geschnappt und hingelegt. Dem Beispiel folgend und der Tatsache geschuldet, dass in der Dunkelheit nix zu sehen ist, leg ich mich auch hin, mach mir den Wecker an, damit ich ja die Einfahrt und den Sonnenaufgang nicht verpasse.

Wie beschreib‘ ich den Sonnenaufgang nur richtig … Sagen wir mal so: Es war ein Qualitäts-Sonnenaufgang der von der Stiftung Warentest die Note Sehr Gut (1,0) bekommt. Ohne Witz, es ist unvorstellbar. Aus dem spiegelglatten Meer ragen die Anden gen Himmel, die bis in winterliche Höhen vorstoßen. Die Sonne geht hinter diesen auf und wirft orange Strahlen durch die Spalten und schafft harte Rahmen um die Gipfelkette. und nun noch alles in 3D, weil manche Berge weiter vorne stehen im Vergleich zu anderen. Der Himmel ist klar und die seltenen Wolken spielen mit den Bergen. Manche Wolke ergänzt den Berg und lässt ihn wachsen und andere spiegeln das orange auf ihren weiß-grauen Bauch. Das noch nachtschwarze Wasser hat eine goldene Schicht bekommen, die auf ihr schimmert, als wenn der goldene Morgen an der Oberfläche kondensiert wäre und nun wie Öl darauf schwimmt. Hach, einfach schön …

Nicht lange nach dem Sonnenaufgang fährt die Fähre wieder in den Schatten der Berge und erreicht den Anleger von Chaitén. Dieser liegt keinen Kilometer vom Ortseingang entfernt. Das Festmachen scheint nicht so einfach zu sein, weil es keinen klassischen Kai gibt und die Poller sind irgendwo in den Felsen verankert. Nun sehe ich auch, dass wirklich nur eine handvoll Fahrzeuge an Bord sind. Es sind ausschließlich Reisende, d.h. Bullis, Geländewagen oder Reisebusse. Die gut Fünfzig Passagiere verteilen sich darin oder wandern an Land.

Anlegemanöver in Chaitén

Dort wartet ein Bus, doch irgendwie scheint es mir nicht gerechtfertigt für einen knappen Kilometer Geld auszugeben. All die Rucksackreisenden nehmen aber den Bus und kommen nur kurz vor mir im Ort an. Wo sie aber verbleiben, ist mir ein großes Rätsel. Sie tauchen nicht wieder auf. Noch später frag ich mich, was sie eigentlich vor hatten und wie sie das bewerkstelligt haben.

Akt 3: Chaitén → Villa Santa Lucía

An dem Busbahnhof oder besser gesagt Reisebüro-Häuschen angekommen warten schon schon ein älteres Pärchen und ein junger Rentner. Das Paar will auch nach Argentinien und der alte Mann in den nahen Nationalpark. Der Mini-Busbahnhof wird nebenan gerade gebaut.

Wir warten, denn das Häuschen ist noch geschlossen. Der Mann fragt die Arbeiter nebenan und offensichtlich macht der Betreiber auf, wie er lustig ist. Öffnungszeiten sind ja eh relativ. Doch mein Mit-Wartender findet zwei weitere Einheimische die durch Anruf den Verantwortlichen wecken und nach eine guten halben Stunde kommt ein Mann mit grauen und wuscheligen Haaren und breiten Grinsen angeradelt.

Wir werden freundlich eingeladen und all unsere Fragen beantwortet. Ich habe Glück. Zwei Mal die Woche fährt ein Bus nach Futaleufú, der nächste und letzte Ort vor der Grenze, und heute ist so ein Tag. Um 12 Uhr von der Tankstelle geht es los. Angesichts der Entfernung ist mir das aber zu spät. Ich muss ja noch viel weiter, von Futaleufú aus. Ich hab mit mehr Verkehr gerechnet. Schlimmer aber: Von Futaleufú fährt heute vermutlich kein Bus mehr nach Esquel. Er ist sich nicht hundert Prozent sicher, aber er meint, heute nicht. Ich hab keine Wahl. Ich muss bis zum Abend ankommen.

Nun also die Notfalllösung, aber auch irgendwie das, was ich schon länger mal ausprobieren wollte: Con Dedo? Mit Daumen?

Ja, meint er, das geht bestimmt. Einfach am Ortsausgang, beim Friedhof, da ist ein super Ort zum Trampen. Chaitén ist ja ziemlich klein und ich treff‘ den jungen Rentner wieder. Ein, zwei, drei, maximal vier Fahrzeuge würde ich warten. Das ist ganz normal hier. Viele würden Trampen.

Das motiviert. Natürlich ist es nicht mein erster Tag hier, um zu wissen, dass ich nicht nur vier Autos warten werde. Naja.

Chaitén ist übrigens deswegen so klein, weil erst 2008 der gleichnamige Vulkan ausbrach und große Teile des Dorfes zerstörte. Der Vulkan wurde vorher als erloschen eingestuft und brach völlig überraschend aus. Die Einwohner*innen wollten aber ihr Dorf nicht aufgeben und mittlerweile wohnen wieder mehrere tausend Menschen dort.

Eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben, … naja ich hab aufgehört zu zählen. Autos kommen und gehen. Nur anhalten tut keines. Beruhigend, dass ja irgendwann der Bus kommt. Viele Fahrer*innen machen irgendwelche Handzeichen, die ich so deute, dass sie nicht Chaitén verlassen, sondern vorher abfahren. Es gibt zwar nur noch eine Ausfahrt, aber es scheinen sehr viele zu sein, die dahin müssen. Vermutlich. Es vergeht auch die erste Stunde, ohne dass etwas passiert. An meiner Stelle kann es ja nicht liegen, denn die ist perfekt. Ich bin gut von weiten zu sehen und anhalten können die Autos auch problemlos hier.

Hier warte ich mit dem Daumen, Ortsausgang Chaitén

Die Sonne bruzzelt und ich versuche die Langeweile mit Musik oder Essen totzuschlagen. Das Trampen wird zur Lethargie. Ich versuch freundlich drein zu schauen, aber das Daumen hochhalten passiert rein mechanisch. Als dann doch ein schwarzer Geländewagen neben mir hält, wach ich auf. Tatsache! Er kann mich ein Stück mitnehmen. Wie schön ist das!

Wir steigen direkt ein und können uns über einiges unterhalten. Besonders das Leben in dieser Einöde interessiert mich. Hier leben auf zig Kilometern nur noch ganz wenig Menschen. Die Infrastruktur ist minimal. Er selbst wohnt in einer Häuseransammlung (Dorf wäre übertrieben), die nur über ein Boot von einem Dorf auf der anderen Seite der Flussmündung erreichbar ist. Seine Kinder lehrt er zu Hause. Einmal, weil es ein längerer Schulweg wäre, aber auch weil er kaum was auf das chilenische Bildungssystem hält. Zu schlecht seien die Lehrer*innen und er könne das besser. Seine Kinder würden bei den Prüfungen gut abschneiden, besonders in Meeresbiologie. Gut, sein Job ist Meereskonservation, d.h. er belegt was alles in den nahen Gewässern lebt und wie es sich verändert. Auch er benennt das Problem der industriellen Lachs-Zucht mit den roten Algen. Er zeigt mir ein Buch mit großen Farbphotos von krassen Unterwassertieren und -pflanzen.

Irgendwann stoppt er dann und packt eine Drohne aus. Vor wenigen Monaten ist an dieser Stelle ein Teil eines nahen Berges abgerutscht. Eine Bodenverflüssigung. Eine Gerölllawine, von unvorstellbaren Ausmaß, ging des Nachts den Berg ab und folgte den Flussbett. Hektarweise wurde Wald links und rechts einfach umgeholzt und die Straße begraben. Stahlbeton und uralte Bäume sind wie Zahnstocher gebrochen.

Vom Berg hinten rechts fehlt die Hälfte und alles zwischen den Bäumen links, rechts und am Hang war vormals Wald

Noch Kilometer weiter unten hat die Gerölllawine Wald begraben und auch die Ortschaft Villa Santa Lucía zur Hälfte. Da sie mitten in der Nacht kam, waren alle zu Hause und haben geschlafen. Viele sind in ihren Häusern gestorben. Die Holzhäuser sind einfach weggespült worden und als wir in den Ort kommen, sind noch völlig deformierte Häuser gut zu erkennen. Auch wenn die Straße schon erneuert ist und schweres Gerät am Aufräumen ist, wird es wohl noch dauern bis alles wieder beim alten ist.

Villa Santa Lucía, links die Häuser stehen noch, rechts wurde alles begraben, in der Mitte ist ein stark deformiertes, der Weg wurde mittlerweile wieder angelegt

Villa Santa Lucía ist auch der Ort mit dem Abzweig. Ich muss zur Grenze, aber meine Mitfahrgelegenheit weiter nach Süden. Wir verabschieden uns und ich suche den neuen gewalzten Weg nach Futaleufú. Am Ortsausgang schmeiß ich meinen Rucksack hin und das Warten beginnt auf‘s Neue.

Akt 4: Villa Santa Lucía → Futaleufú

Motiviert von dem Erfolg ein Drittel schon getrampt zu sein und der Sicherheit, dass irgendwann der Bus kommt, warte ich auf weitere Fahrzeuge die mich gegebenenfalls zum Ziel bringen. Anders als meiner erster Wartestelle ist hier auch deutlich weniger los. Es kommen so gut wie keine Autos, auch wenn es die einzige Straße nach Futaleufú ist. Doch vielleicht nimmt mich dann erst recht jemand mit.

Die Umgebung hilft aber über die Einsamkeit. Hohe schneebedeckte Gipfel, weite grüne Wälder und ein kleiner Bach umgeben mich. Doch kommt mal ein Fahrzeug angerauscht, so bleibt nur der Staub in der Luft stehen. Gleichzeitig brennt die Sonne auf mich runter. Es ist mittlerweile Mittag geworden. Mein Fahrer von eben war optimistischer mit meinem Plan. Vielleicht fährt ein Bus und wenn nicht, dann ist es nicht weit zur Grenze und dahinter fährt bestimmt etwas.

Nach einer halben Stunde fange ich an eine Statistik zu führen. An die schon gekommenen Fahrzeuge kann ich mich noch gut erinnern und Steine gibt es hier ja genug. Auf der Absperrung zur alten Straße, die vom Geröll zerstört wurde, lege ich die Steine ab.

Doch es vergehen die Stunden und das einzige was mich ab und zu besucht, ist eine neue Staubwolke, aufgeworfen von Fahrzeugen. Als nach zwei Stunden zehn Steine nach links und fünf Steine nach rechts liegen, kommt der Bus aus Chaitén. Nur gut, dass ich diese Notfalllösung habe. Das Zehn-zu-Fünf-Ergebnis ist aber auch ein wissenschaftlicher Beleg für Murphys Gesetz. Kurz gesagt, das dümmste Ergebnis tritt meist ein. Da zehn Fahrzeuge in die falsche Richtung gefahren sind, also diese in die ich nicht möchte, aber nur fünf in die meinige, sehe das Gesetzt für belegt an.

Ich finde noch einen Platz in dem Bus und offensichtlich hat der Busfahrer hier nicht mit mir gerechnet. Mir egal. In dem wohlig-warmen Treibhaus fallen mir direkt die Augen zu.

Über eine Stunde ruckelt der ältere Bus durch die Berge und lässt uns dann in Futaleufú raus. Einem kleinen Touri-Ort. Wieder ein Ort der für sich wunderschön ist. Flache ruhige Häuser in einer atemberaubenden Landschaft. Völlig unberührt. Traumhaft. Mittlerweile habe ich aber schon 50% meine Motivation eingebüßt und will einfach nur weiter.

Futaleufú

Akt 5: Futaleufú → KM 15

Der Busfahrer weiß nix zu weiteren Bussen, aber sein Kumpel meint, einen zu kennen. An dem von ihm angegebenen Ort finde ich die besagte Firma nicht, geschweige denn überhaupt irgend eine Art Transportmöglichkeit. Dafür aber die Touri-Info. Sichtlich erfreut über meinen Erscheinen erklärt mir die junge Frau auf feinsten Englisch was sie weiß: Morgen früh.

Ja, es gibt Busse, zwei Mal die Woche (das scheint hier der Takt zu sein mit dem die Leute leben). Aber halt erst morgen früh. Ich habe aber kein Internet und auch keine andere Möglichkeit meiner Couchsurferin Bescheid zu geben und entscheide mich das Glück weiter herauszufordern. Ich muss heute noch in Esquel bei ihr ankommen. Das habe ich vor über 24 Stunden ihr so mitgeteilt.

Also wieder: Auf zur Ausfallstraße Richtung Grenze. Die Karte sagt 10,6 Kilometer bis zum argentinischen Grenzposten. Ich ruf mir den netten Fahrer in Erinnerung und entscheide mich mit dem Laufen zu beginnen. Gleichzeitig strecke ich aber auch jeden den Daumen hin, der in meiner Richtung an mir vorbei fährt.

Gleichzeitig ändert sich die Landschaft regelmäßig. Andere Gebirgszüge kommen und gehen. Mal komme ich nah an einen schnellen und breiteren Fluss. Dann wieder eine Wiese mit Tieren. Autos kommen und gehen. Sie machen immer irgendwelche Zeichen. Vermutlich, dass sie nicht zur Grenze fahren. Was sie offensichtlich nicht wissen: Ich wäre auch einverstanden, wenn sie mich nur einen Kilometer fahren. Einfach nur etwas. Aber keine*r erbarmt sich.

irgendwo zwischen Futaleufú und Grenze, in Richtung Grenze photographiert

Von Kilometer zu Kilometer wird der Rucksack schwerer. Ich bin schon so verschwitzt, dass ich mich selbst riechen kann. und das kommt nicht mal eben. Immer schwerer und immer mehr Zweifel. Es ist zum Verzweifeln, aber es hält wirklich niemand. Ich verfluche all die Menschen die mir in den letzten Tagen erzählt haben, wie einfach doch trampen ist. All die Menschen die es ach so einfach und toll finden. Ich kann mich hier mit niemanden austauschen, der mich liebevoll weiter bringt. Ich kann mir die Natur anschauen und mit dem viel zu schweren Rucksack mich unterhalten. Doch der antwortet nicht. Ich fang‘ an jede*n zu belegen, die oder der mich einfach stehen lässt.

Kilometer um Kilometer schleppe ich mich weiter und so langsam tun mir die Füße weh. Das bin ich nun nicht gewohnt. Es ist nicht zu vergleichen mit der Wanderung nach Aguas Caliente, dem Machu Picchu Dorf. Es ist auch eine andere Herausforderung als die tagelange Urwald-Tour von Georgetown über Lethem nach Boa Vista. Warum mach ich diese Reise eigentlich. Immer mehr Zweifel kommen auf. In meinem schönen zu Hause in Deutschland könnte ich die Füße hochlegen. Doch hier mache ich diese aberwitzige Wanderung im Nirgendwo. Immer weniger Fahrzeuge passieren mich, dafür gibt es immer mal wieder Anstiege, die es nicht einfacher machen. Pause will ich nicht mehr machen, weil ich Angst habe, dann ganz die Motivation zu verlieren. Also weiter. Und weiter.

Als ich die Hälfte geschafft ist, kommt die aberwitzige Motivation, doch bald an der Grenze zu sein. und ja, nach Stunden der Qual erreiche ich die Grenze. Endlich mal den Rucksack absetzen. Ein sauberes Klo. Frisches Trinkwasser. Ein Wunder ist geschehen. Der Grenzbeamte mustert mich neugierig, sagt aber nicht viel. Ziemlich entspannt akzeptiert er meine Ausreise und weiter geht‘s. Ich treffe andere Reisende, die zweieinhalb Stunden in die Gegenrichtung getrampt haben, aber fündig geworden sind. Herzlichen Glückwunsch.

Ich wandere weiter und bald endet die geteerte Straße. Schotterweg beginnt. Das hat noch gefehlt. Darauf lässt es sich noch blöder laufen. Das erste Zeichen was mir Argentinien schickt, ist ein Schild mit den Umrissen der Falkland-Inseln beziehungsweisen Islas Malvinas wie sie hier heißen. Darüber der Spruch „Für immer argentinisch“. Die haben Humor denke ich. Dunkel entsinne ich mich, dass sie den Krieg um die Inseln gegen Großbritannien verloren haben und dass die Bevölkerung in einer Abstimmung für den Verbleib beim Vereinigten Königreich gestimmt hat. Doch das belastet mich nicht.

Nächstes Schild: Blau-wei-blau, Willkommen in Argentinien. Das Handy bestätigt es auch nochmal. Wenigstens das habe ich geschafft. Es folgt eine Schranke und nebenan ein Holzhaus. Drei Grenzbeamt*innen erwarten mich. Etwas umständlich, aber dann doch erfolgreich schaffe ich die Einreise. Wir unterhalten uns noch nett, auch wenn es mir schwer fällt sie gut zu verstehen. Ich versuche meine Situation klar zu machen und will wissen ob es Busse gibt.

Sie gucken mich an als wenn ich nach Ufos gefragt hätte. Nee, heute nicht. Morgen früh kommt der Bus aus Futaleufú. Mhh, danke, nee, ich muss heute ankommen. Ob sie mir helfen können ein Taxi zu rufen. Nee, geht nicht, hier gibt es kein Signal. Aber ob ich die Toten Hosen kennen. Die spielen Mitte November in Buenos Aires. Ja, gute Musik, sag ich, und verlasse niedergeschlagen ihre Holzhütte.

Was nun? Ich laufe einfach. Jetzt habe ich kein Ziel mehr. Esquel ist 24h zu Fuß von hier entfernt. Es muss motorisiert weiter gehen. Der eine Grenzbeamte meinte, in der nächsten Ortschaft, Los Cipreses genannt, elf Kilometer entfernt, könnte ich es versuchen. Aber er wüsste sonst nix. Ich laufe einfach, weil es mir an anderen Möglichkeiten fehlt. Einfach immer weiter. 18 Uhr ist lange durch und ich sehe schon die Sonne hinter den Bergketten verschwinden. Auf dem Schiff war ich noch fit, aber die letzten Stunden haben mich fertig gemacht.

Was, wenn ich hier jetzt campen muss. Mitten im Nirgendwo. Gut, es sieht sehr schön aus, ein breiter Fluss, vielfältige Bäume und die sich ändernde und wunderschöne Kulisse aus weißen Gipfeln. Ich bekomme es mit der Angst, denn einfach nur den Schlafsack am Straßenrand ausrollen, das ist kein schöner Gedanke. Es wird sicherlich kalt und wer weiß welche Tiere hier leben. Es ist ja schließlich so gut wie im Nationalpark. Dieser beginnt gleich am anderen Ufer des Flusses.

ersten Meter in Argentinien

Die Anzahl der Autos, die mich passieren, ist gefühlt im Minus-Bereich. Aber es kommen welche. Das erste kommt – und geht. Ich denke, dass, wenn die Grenzbeamtin und die beiden Beamten Feierabend machen, um 20 Uhr, die ja noch vorbei kommen und vielleicht habe ich einen freundlichen Eindruck hinterlassen. Zweites Auto, kommt – und geht.

Ich hab schon wieder einen Kilometer geschafft. Ich rede kurz laut mit mir. Ist das schon das Zeichen verrückt zu sein? Ich vermisse gerade umso mehr, dass ich keine*n Reisepartner*in habe. Keine Stimme der Vernunft, niemand um mich auszukotzen, niemand für etwas Galgenhumor. Ich verlege den Jutebeutel zum hundertsten Mal von einer auf die andere Schulter.

Drittes Auto. Mit ungeminderter Geschwindigkeit fährt es zur Fahrbahnmitte und hinterlässt eine neue Staubwolke. Was hab ich auch erwartet. Dass sie anhalten? Mich würde ja jeder verdammte Kilometer helfen, aber vielleicht denken sie in ihren klimatisierten und mit Radiomusik unterlegten Fahrzeug, dass sie nicht dahin fahren wo ich hin will. Doch! Will ich.

Ich versuche mir aktiv positive Gedanken zu machen, doch ich bin am Boden der Reisemotivation und ich schwöre, nie wieder Trampen und nie wieder einfach irgendwo hin fahren, wo ich nicht weiß wie es weiter geht. Der eine der mich heute mitgenommen hatte, hat ehrliche Bewunderung für meinen Plan ausgesprochen. Doch die kann ich hier nicht einlösen.

Ich höre ein viertes Auto von hinten kommen. Mittlerweile spielt mein Kopf verrückt und manchmal kommt kein Auto, obwohl ich glaube eines zu hören. Die entgegen kommenden nehme ich schon nicht mehr wahr. Es sind auch mehr, als in meine Richtung. Siehe Murphys Gesetz.

Doch diesmal kommt tatsächlich eines von hinten. Nummer 4 zähle ich schon, doch dann hält es, ca. hundert Meter hinter mir, und gibt Lichthupe. Ich bleib verdutzt stehen.

Akt 6: KM 15 → Esquel

Was da los? Circa Fünfzehn Kilometer (KM 15) bin ich gelaufen und jetzt das? Ich bin der einzige weit und breit, also muss ich gemeint sein. Egal, los, bevor sie es sich anders überlegen. Ein freundlicher Mann steigt schon lange bevor ich beim Auto bin aus und öffnet das Gitter zur Ladefläche von seinem Geländewagen. Mir fällt es schwer spanisch zu sprechen, aber ich sage, dass sie meine Held*innen sind. Doch das interessiert sie kaum. Auf dem Beifahrersitz sitzt noch eine Frau, vermutlich sind sie ein Paar. Ich wage kaum zu fragen wo sie denn hinfahren, denn mir schwant, dass es einen weiteren Akt geben wird. Doch ihre Antwort ist eine zweite Rettung. Esquel. Direkt zum Ziel. Das Glück kam sehr spät, aber es kam.

Ich stelle auf freundlich und gesprächig um. Doch ich bin auch erschöpft und kann kaum noch. Sie leben auf beiden Seiten der Grenze. Einer kommt aus Esquel und eine aus Futaleufú. Deswegen haben sie zwei Häuser. Er zeigt mir eine Gebirgskette, die wie ein hingelegtes Gesicht aussieht und hält extra an, damit ich ein Photo machen kann. Ja, schön ist es, gebe ich zurück. Ich will schlafen, denke ich.

Wir kommen in dem kleinen Ort an, von dem der Grenzbeamte sprach. Sie halten an um gesammelte Pilze abzuholen. Die Frau gibt mir eine Visitenkarte, denn sie sammelt Pilze und verarbeitet sie zu Essen. Ein Hobby von ihr. Würde sonst keiner machen. In Europa auch nicht, oder? Ich gebe zurück, dass es tatsächlich einige Menschen machen, da wo ich herkomme.

Dass ich heute noch über das Pilze Sammeln sprechen muss, hätte ich nie vorhersagen können, aber ja, so ist es nun. Doch damit endet unsere Konversation.

gesammelte Pilze aus Los Cipreses

Erst als wir kurz vor Esquel sind, fragen sie mich, wo ich denn hin muss. Ich sage, dass ich am Ortseingang eine Freundin habe, die mich unterbringt. Welche Adresse das ist. Sie kennen sie nicht, aber gemeinsam finden wir das Haus, was ich suche. Ich versuche nochmal klar zu machen, dass sie meine Retter*innen sind und ich hundertmal dankbar bin.

Die Rettung kam, auch wenn sie spät kam. Ich werde mein Glück trotzdem nicht nochmal herausfordern.

Als ich die Wiese vor dem großen Holzhaus überquere und dann klingele und meinen Rucksack abstelle, sehe ich dass sie noch gewartet haben, ob ich mir sicher bin, dass ich hierher muss. Manche Menschen, so denke ich, wissen gar nicht, wie gut sie sind.

Ich atme durch und bin schon jetzt glücklich. Obschon niemand aufmacht. Ich klingel immer wieder, aber nix passiert. Das Holztor daneben ist nur angelehnt und ich überlege in den Garten zu gehen. Noch warte ich, aber als ich es dann doch versuche, kommen kläffende Köter angerannt und nun weiß die ganze Nachbarschaft, dass ich hier warte.

Dieser Lärm hat aber auch meine dritte Retterin gerufen: Mailén. Hochgewachsen, kurze Haare, kluges Grinsen und immer zuvorkommend, steht sie hinter den Hunden. Ein erleichtertes Dankes-Grinsen bricht nun auch aus mir raus und sie begleitet mich ins Haus. Ob ich Essen möchte. Ich hatte aus Vorsicht vor den Grenzkontrolle alles aufgegessen und habe tatsächlich Hunger. Die kleine bescheidenen Mahlzeit die ich mir aus dem bisschen Baguette bastele, ist für mich die eines Königs.

das rettende Haus für die nächsten Tage

Wir unterhalten uns eine Weile und es stellt sich heraus, dass sie selbst oft Couchsurfing genutzt hat um Unterkünfte zu bekommen. Eine Seltenheit, denn meist machen die Leute entweder das eine oder das andere, also bieten eine Couch oder erfragen eine Couch. Sie kennt meine Seite aber ziemlich gut und zeigt sich sehr verständlich, als ich ihr Angebot, auf die Geburtstagsfeier einer ihrer Freundinnen zu gehen, ausschlage. Ich bin fertig, erzähle meine Story, beziehe mein Zimmer für die nächsten Tage. Ja, ihr lest richtig, ich hab ein eigenes geräumiges Zimmer. Mit komfortablen Bett und frischer Bettwäsche. Davor noch eine warme Dusche.

und da ist es wieder. Das Gefühl, dass eine warme Dusche und ein eigenes weiches Bett der alles erfüllende Traum sein kann. So wie Puerto Montt. Kaum habe ich mich und die Glieder ausgestreckt, holt sich der Körper die Erholung die er verdient … Vorhang zu.


Nov 29 2018

Bei Magellan und Humboldt

Von Karl

 

Auf nach Chiloé

Über einen Betonkai schleicht der Bus, setzt an und fährt die Fährrampe hinauf und kommt am anderen Ende der  zum Stehen. Ich steig aus und schon beginnt die Fähre abzulegen und hebt die Heckklappe an. Die Sonne neigt sich zum Horizont. Der Wind pfeift eisig und kalt über die glatte See. Flach liegt sie da. Flach und grün, die Küste vom Festland und gegenüber, hinter dem Vorhang eines Regenschauers, die Küste der Insel Chiloé. Als wenn sie ruhig und stumm ist. Voller spannender Geheimnisse. Wie ein*e Seefahrer*in. Ohne viele Worte, doch voller Erlebnisse und Geschichten.

Die steife Brise trägt Tröpfchen mir ins Gesicht. Auch wenn es äußerlich kalt ist, so strahlt doch irgendwie die Begeisterung über die raue Natur in mir. Doch nach einer Weile wird mir ziemlich kalt und ich geh dann doch lieber in den warmen Bus. Der hat zum Glück Fenster.

Ich bin nun also auf der Insel Chiloé. Sie ist zehn Mal so groß wie Rügen, hat aber nur ein fünftel so viele Einwohner*innen pro Quadratkilometer. Besonders der südwestliche Teil ist so gut wie unbesiedelt. Es gibt zwei „größere“ Städte mit 27.000 Menschen in Ancud, ganz im Norden, und 41.000 Menschen in Castro, ganz im Osten der Insel.

Der einzig verlässliche ständige Zugang zur Insel führt über die Fähre zwischen Pargua und Chacao, ganz im Nordosten. Andere Fähren fahren nur selten. Buslinien von und auf die Insel gibt es auch nur über diese Fähre. Es wurde zwar mit dem Bau einer der weltgrößten Hängebrücken begonnen, jedoch später wurde das Projekt wieder aufgegeben.

Ich steige in Ancud aus und beginne etwas durch die Straßen zu schlendern. Die Wege sind feucht und nass. Die Häuser aus Holz und einfach gehalten. Reichtum gibt es hier nicht. Große Shopping Malls gibt es nicht mehr und die günstigen Supermärkte sind namenlos. Unter wenigen diffusen Straßenlaternenlicht begebe ich mich nach einer Weile auf die Suche nach meiner heutigen Unterkunft. Wir hatten uns auf 21 Uhr verabredet. Die Stadt ist sehr hügelig und manche Straße verlässt ihren Asphalt und wird schlammig. Ich sehe kaum Menschen oder Autos.

Seit längerem sortieren sich Straßenzüge in etwa so, dass meist die hunderter zwischen zwei Blöcken sich befinden, dass heißt nach der Kreuzung beginnt der nächste Hunderter. Wenn ich also vor Hausnummer 332 stehe, dann kommt nach der nächsten Kreuzung mindestens die Nummer 400 oder 299. Manchmal sind auch die geraden Nummern auf einer Seite und die ungeraden auf der anderen. Ich orientiere mich aus Erfahrung und gelange an das Ende der Straße. Dort liegt eine kleine Polizeikaserne und ich frage, ob sie meine gesuchte Hausnummer kennen. Ich werde direkt zum Chef gebracht, aber der denkt, ich suche eine Unterkunft und zeigt auf die angrenzenden unbeleuchteten Cabañas (Bungalows). Heute also kein Freund und Helfer. Der Wachpolizist vor der Baracke zeigt mir dann auf seinem Handy wo mein gesuchtes Ziel liegt. Irgendwie hatte ich es schon gerochen, dass hier andere Nummerierungsregeln herrschen.

Maria und Matias

Maria macht mir die Tür auf und ich betrete das wohlig gewärmte Haus. Auch ihr Freund Matias begrüßt mich sehr freundlich. Wir fangen direkt an alles zu teilen und sie öffnen eine Flasche guten chilenischen Wein. Salzkekse, Käse, Hummus, … ein Träumchen sag ich euch. Auch sie heizen die zwei Stockwerke ausschließlich mit dem Ofen in der Küche. Nebenan hacken die beiden ab und zu das Holz dafür. Es ist halt die günstigste Möglichkeit und das Holz kommt mit dem LKW zur Haustür. Alle Häuser auf Chiloé sind aus Holz und werden damit geheizt. Was sonst. Sie sind nicht die reichsten und irgendwann tropft es von der Decke.

Wir kommen sehr gut ins Gespräch. Beide sind sehr belesen und können über Mistral und Neruda streiten. Maria und ich bevorzugen Neruda, Matias Mistral. Beide sind auch Mitglieder der jungen Partei „Revolución Democratica“ (demokratische Revolution) und bekennende Sozialist*innen. Die junge Partei entstand 2011/12 aus den starken Bildungsprotesten in Chile, die bis heute eine kostenfreies Bildungssystem fordern. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 war sie Teil der „Frente Amplio“ (breite Front), einem Zusammenschluss verschiedener linker Parteien um eine eigene Kandidatin (Beatriz Sánchez) nach vorn zu bringen. Völlig unerwartet erreichte das Bündnis über 20% und verpasste damit die Stichwahl nur um 2,5%. Trotzdem sind sie nun mit 20 Abgeordneten im Kongress vertreten und stellen den Senator in Valparaiso. Die meisten Stimmen für die Frente Amplio holte die Revolución Democratica.

Maria ist deswegen besonders stolz und war sogar Wahlkampfmanagerin für zwei Kandidat*innen in Santiago. Zur Zeit ist sie so was wie die innerparteiliche Juristin und kann entspannt von zu Hause aus z.B. Schiedsgerichtsfragen klären. Gewonnen hat die Wahl der rechts-konservative Präsident Sebastián Piñera, den wir ab der zweiten Flasche Wein nur noch „den Clown“ nennen. Der bringt das Land zwar nicht nach vorne, aber macht auch nur irgendwelchen populistischen Schnickschnack. So gilt seit März eine Begrenzung von maximal 2 Plastiktüten pro Einkauf. Das ist ja ganz cool, aber es kann nicht kontrolliert werden. Und ansonsten gibt es kaum ökologische Bestrebungen. Der Bergbau als wirtschaftlicher Motor des Landes, sucht immer neue Ressourcen und natürlich wird auch auf Chiloé gesucht. Aber die Chilot*innen gelten als strikte Umweltverteidiger*innen, sodass größere Eingriffe in die Natur zu massiven Protesten führen würden.

So erklärt mir Matias, dass eine gelb-blühende Pflanze auf Chiloé sich invasiv ausbreitet und dabei andere Pflanzen durch ihre Wurzeln killt. Sie sieht tatsächlich sehr hübsch aus, aber ist dummerweise eine Gefahr für die Natur der Region. Ähnliches gilt für die industrielle Lachs-Produktion. Immer wieder brechen Lachs-Schwärme aus ihren Aufzucht-Gefängnissen aus und bedrohen die vielfältige Meeresflora. In dem Zusammenhang steht auch die invasive Ausbreitung einer roten Alge in allen Gewässern rund um die Insel.

Blick von Ancud; hinten: eine weitere Insel; vorne rechts: die invasive Pflanze

Als wir wieder über den Clown sprechen, meinen sie, dass die wirkliche Gefahr in Lateinamerika bald von Jair Bolsonaro ausgeht. Der frisch gewählte brasilianische Staatspräsident bedient die faschistische Klaviatur und ist in seinem Populismus mit Trump zu vergleichen. Er befürwortet die Militärdiktatur, hetzt gegen Frauen, Homosexuelle, die freie Presse, Schwarze und beabsichtigt Klima- und Umweltschutzmaßnahmen komplett zurück zu nehmen. Was das bedeutet, wird die Welt nun ab dem 1. Januar 2019 sehen, wenn er dann sein Amt antritt.

Mittlerweile ist es schon 3 Uhr nachts durch und der Wein alle. Nachdem wir diskutiert haben, ob wir angesichts des Klimawandels noch warten können bis sich der oder die letzte freiwillig entschieden hat, ob er vielleicht auf eine Plastiktüte verzichten mag, oder ob es unpopuläre Methoden bedarf … gehen wir dann ins Bett.

Ancud und 1960

Ich nutze den schönen neuen Tag um Ancud etwas zu erkunden. Tatsächlich erscheint mir die Stadt wie Warnemünde im Frühling. Der stete Wind treibt die Wellen gegen die Wasserkante. Immer wieder speit dann eine Welle über den Betonmauer. Es ist grad auflaufende Flut. Die flachen bunten Häuser liegen geduckt in dem grün der Hügel. Das Zentrum am Wasser wird grad neu gestaltet und ist deshalb als Baustelle gesperrt. Es gibt noch ein altes spanisches Fort, aber das eigentlich bedruckende ist die Landschaft außenrum. Ein versteckter Strand, die Bucht, das ständige Grün (mit gelben Punkten), die Muschel-Wege, … Ja tatsächlich wurden manche Wege einfach aus Muscheln gemacht. Im Zentrum gibt es einen traditionellen Markt in einer neu gestalteten Halle. Hier gibt es Muscheln, Algen und andere Wasser- und Waldpflanzen in Unmengen. Bei 95% kann ich nicht sagen, was das ist, oder wozu das gegessen wird. Es gibt auch eine Sonderart des Knoblauchs. Die Zehen sind gut dreimal so groß wie gewöhnlich und die Knollen machen locker den Zwiebeln Konkurrenz. Auf einen ersten flüchtigen Blick sieht mensch dann auch nicht unbedingt, dass es Knoblauch und keine Zwiebel ist.

Überall hängen Plakate, wie auch schon in Puerto Montt, dass bald eine Erdbeben– und Tsunami-Übung bevorsteht. Alle sind aufgefordert an der Übung teilzunehmen. Es werden schon Regionen definiert, die besonders von der Übung betroffen sind. Eigentlich alle, die von einem größeren Tsunami überschwemmt werden könnten. Ich verlasse die Insel leider kurz vor der Übung in den nächsten Tagen. Solche Übungen haben für die Region eine besondere Bedeutung.

1960 kam es in ganz Süd-Chile, mit dem Epi-Zentrum bei Temuco, zum größten je aufgezeichneten Erdbeben der Welt. Mit 9,5 auf der Richter-Skala kam es zu katastrophalen Zerstörungen. Ein bis zwei Millionen Chilen*innen wurden obdachlos, was ca. ein Viertel der gesamten Bevölkerung war. Erdbeben dauern normalerweise nur wenige Sekunden, doch dieses hielt ganze fünf Minuten an. Der ausgelöste Tsunami erreichte eine Höhe von 25 Metern. Die Bucht von Valdivia war für eine Stunde trockengelegt, weil sich erst das Wasser zurückzieht bevor die Welle kommt. Der Tsunami erreichte noch in Hawaii 11 Meter und tötete noch über hundert Menschen in Japan. Selbst erdbebensichere Gebäude hielten den Erschütterungen nicht stand. Auch Vulkanausbrüche wurden ausgelöst und die Küstenlandschaft hat sich mancherorts erheblich verändert.

Bild aus dem Regionalmuseum in Ancud: Meerbeben 1960, Am Donnerstag den 22. Mai 1960 um 15:11 Uhr …

Vor der Küste Chiles schiebt sich die ozeanische Platte unter die kontinentale Platte, wodurch es die Vulkane, Erdbeben, Tsunamis und Anden überhaupt gibt. Bei dem „großen Chile-Erdbeben“ wurde ruckartig ein 200 Kilometer breiter kontinentaler Block 20 Meter nach Westen bewegt und angekippt. Die extreme Energie die durch das Beben freigesetzt wurde, führte auch dazu, dass sich die Erdachse um drei Zentimeter verschoben hat. Ich bin ganz froh, dass ich hier kein Erfahrungsbericht dazu niederschreiben kann.

Maria allerdings kann von einem Beben und Tsunami in Valdivia berichten. Tatsächlich ist sie auch nicht die erste, die mir davon berichtet Beben erlebt zu haben. Es gehört zum Leben der Menschen in Chile dazu, wie es für uns normal ist, dass es mal schneit. Bei ihr aber ist es besonders interessant, weil tatsächlich die Familie des Cousins evakuiert wurde, dann später ihr Haus nicht mehr vorfinden konnte, weil es der Tsunami mitgerissen hat und deshalb für eine Weile in dem Haus von Marias Familie in Santiago leben musste.

„Kaum zur Macht sie sind gekommen, mit dem Pinguinen sie sind geschwommen“ (Zitat Ken der Guru, siehe Känguru-Offenbarung)

Deutlich friedlicher geht es dagegen am Strand von Puñihuil zu. Einem beschaulichen Traumstrand im Nordwesten der Insel. Vom Regionalbusbahnhof in Ancud fahren nur wenige Busse, aber für die handvoll Touris sogar vier Mal am Tag ein Bus nach Puñihuil. Am breiten und weiten Sandstrand warten schon die Touranbieter*innen. Der Ort ist der einzige in der Welt wo Humboldt– und Magellan-Pinguine gemeinsam brüten. Um das touristisch zu erschließen, haben die Fischer*innen des Strandes eine Art Genossenschaft gebildet und bieten gemeinsam die gut halbstündigen Rundfahrten an. Auf einem speziellen Gefährt werden wir dann trockenen Fußes zu einem der Boote gebracht, die dann um die vorgelagerten Inseln tuckern.

Und tatsächlich, da wackeln sie, die kleinen Pinguine. Viel kleiner als ich gedacht hatte und mit hängenden Kopf schwanken sie über ihre kleinen felsigen Inseln. Die Felsinseln ragen hoch heraus und oben drauf, auf der Wiese, sollen sie brüten und leben und kommen lediglich die schmalen Pfade zum Futtern nach unten. Manchmal ganz allein, oder zu dritt, je nachdem.

Ich bin schon etwas beeindruck, sind es doch die ersten Pinguine die ich sehe und tatsächlich leben sie nicht nur in der Antarktis, sondern auch schon viel weiter nördlich. Sie sind deutlich weniger agil als die ganzen Zeichentrick-Held*innen in den Kinos der letzten Jahrzehnte. Sie gelten übrigens als sehr neugierig und haben kaum Scheu gegenüber Menschen, sodass Annäherung auf wenige Meter sie in ihrem Lebensraum kaum beeinträchtigt.

Doch nicht nur die Pinguine genießen die Abgeschiedenheit hier. Auch eine Gruppe brauner Robben chillt in der Sonne und guckt uns ganz gelangweilt an. Vielleicht kennen sie das Boot schon zur Genüge, denn es kommt ja drei mal täglich. Uns werden noch weitere seltene Tiere gezeigt, wie z.B. Pelikane und eine graue Ente, wo ich aber schon vergessen habe, warum die so besonders ist.

Alles ist an dem Ort gut abgestimmt und sobald das Boot zurück am Strand ist, kommt auch schon der Bus, der den Großteil der Touris einsammelt. Ich entscheide mich aber für eine Wanderung in die Umgebung. Schnell erreiche ich einen höheren Punkt und erlange einen spannenden Ausblick über die kaum berührte Natur. Der einzige Weg ins Hinterland verbindet nur alle paar Kilometer einen Bauernhof, die Teils nur aus Wellblechverschlägen bestehen.

Nach einer guten Stunde erreiche ich die andere Seite der kleinen Halbinsel und setze mich vom Atem beraubt hin: Es ist die komplette Einsamkeit. Die Natur der Küste und ich. Niemand anderes. Die Küstenkordillere ist vom wilden Pazifik zu einer Steilküste abgearbeitet worden. Grün hügelt sich die Insel, begrenzt von dunkelbraunen Fels, schwarzen Kies-Strand und umspült von dunkelblauen Wasser. Es ist wie eine übergroße Malerei, die einem ermöglicht über Stunden immer neue Details zu entdecken. Noch lange beobachte ich, wie das Meer über die Felsen faucht und wie ein flüssiger Geist versucht, die Küste hochzuklettern. Immer wieder greifen die großen Wellen über die Felsen auf den Strand, rutschen aber dann doch wieder zurück ins Meer. Hier bin ich soweit weg von jedem Menschen, dass es vielleicht der beste Ort ist um zu Philosophieren, den Sinn der Reise zu diskutieren oder gar ein Gedicht zu schreiben.

Dieses könnte ich dann auf dem Rückweg den vielen Kühen, Pferden, Hunden, Schafen, Vögeln und Hühnern vorstellen. Am Traumstrand zurück, warte ich dann einfach auf den Bus und schaue den Bootstouranbieter*innen beim Federballspielen zu. Ihr Job bietet offensichtlich auch viel Freizeit. Irgendwann kommt der Bus. Dieser fährt direkt auf dem Strand entlang, durchquert ein breites Flussbett mit Anlauf und nimmt dann die Schlängel-Straße zurück nach Ancud.


Nov 27 2018

Erst Obdachlos und dann Traumlagune

Von Karl

 

Noch vor meiner Abreise aus Temuco wurde mein folgendes Unterfangen als irrsinnig eingestuft. Ich wollte eine SIM-Karte in Santiago abholen, um an alle meine Kontakte zu kommen, und bin dafür über Nacht nach Santiago gefahren um dann wieder über Nacht nach Puerto Montt zu kommen. Also ein längeres Unterfangen. Die Post bräuchte für den Postdienst wohl nur einen halben bis ganzen Tag, so erfahre ich kurz vorher. Hätte ich doch einfach darum gebeten den Brief abzuschicken. Naja. Warum ich die chilenische Post nicht so gut eingestuft habe, weiß ich gar nicht. Nun ist es einmal so. Leider musste ich auch feststellen, dass die Busse an Feiertagen doppelt so teuer sind, als sonst. So bezahle ich für 8 Stunden Busfahrt das Doppelte im Vergleich zu 15 Stunden am nächsten Tag.

Meine neue Couchsurferin in Puerto Montt hatte mir geschrieben, dass 11 Uhr frühs eine gute Zeit ist um bei ihr anzukommen, also suche ich eine Verbindung, die mich um 8 Uhr frühs in Puerto Montt rauswirft. Mit möglicher Verspätung und Gehweg sollte dies also klappen. Mitten in der Nacht bleibt nun der Bus für mehrere Stunden stehen und ich seh‘s schon kommen, dass wir alle umsteigen müssen. Doch er fährt dann weiter und wir kommen mit einiger Verspätung an. 10:40 Uhr starte ich am Busbahnhof meine Wanderung zum Haus der baldigen Unterkunft. Leider schaffe ich es erst 11:10 am Haus zu sein … und es ist niemand da. Eine ruhige Einfamilien-Nachbarschaft am Ende einer kleinen Sackgasse. Ich stell den Rucksack ab und warte.

Sollte sie nun auf Arbeit sein, wäre es natürlich viel Zeit die ins Land geht, wenn ich warten würde bis zum späten Abend. Ich bringe meinen Rucksack also in die äußerste Ecke der kleinen Hofeinfahrt, decke ihn ab, schreibe einen kleinen Brief an meine Gastgeberin, schiebe den unter der Tür durch und schließe mit einer Kette aus dem Hof meinen Rucksack an einer Leitung fest. Nicht, dass er trotzdem ausgeraubt werden könnte, aber die Gegend erscheint mir sehr friedlich. Ich befürchte nix.

Also auf geht‘s, die Stadt erkunden. Nach nur wenigen Metern bleibe ich vor einer kleinen Bäckerei stehen und schau mich mal um. Ein Drittel der Auslage ist Kuchen, der auch so genannt wird. Der Plural ist „Kuchenes“. Tatsächlich sieht er aus wie gewöhnlicher Blechkuchen vom Geburtstag meiner Oma. Ich nehm‘ ein Stück und bekomm tatsächlich ein schönes großes Stück eingepackt. Gleich unten am Wasser werde ich mir das zu Gemüte führen. Lecker Streusel mit Waldfrucht und Pudding. Na, Hände hoch, wer will ein Bissen?

Der Strand besteht aus vielen großen runden Steinen, die von Muscheln, Moos, Algen und Möwen übersät sind. Neben ein paar bunten Fischereibötchen schauen mir ein paar alte Männer hinterher. In diesem Stadtteil kommen vermutlich keine Touris. Der Strand geht in einer Mole über auf der eine Straße einen Halbbogen um die Bucht macht. Das Wasser liegt kühl und ruhig da. Obschon die Stadt nicht die allerkleinste ist und zeitweise viele hin- und herwuseln, wirkt sie doch sehr friedlich. Immer wieder kommt die Sonne und dann ein Regenschauer. Sie wissen noch nicht wer heute das Wetter prägen soll.

Puerto Montt bietet eine unsichtbare Grenze in Chile. Ist der Süden sowieso arm und dünn besiedelt, so ist er südlich noch viel weniger besiedelt und erschlossen. Die Anden beginnen sukzessiver kleiner zu werden und das Tal zwischen Küste und Anden geht hier direkt ins Wasser über. Nun bleiben nur noch Inseln vor der Küste, die die Überreste der Küstenkordillere sind, bevor sie ganz versinken. Die Insel Chiloé ist die letzte große Landmasse dieses kleinen Gebirgszug am Wasser, der nur wenige hundert Meter hoch wird.

Buchtform von Puerto Montt wird auch durch eine kleine Insel geprägt, die südöstlich und seitlich vorgelagert ist und so nah am Festland sich befindet, dass mensch immer um die Ecke ein Zusammenfließen der beiden Landmassen vermutet. Bei schönen Wetter lassen sich in der Ferne ganze Gruppen weißer Gipfel in den Anden entdecken. Sie sind zwar deutlich kleiner, aber durch das kühlere Klima beginnt die Schneegrenze auch viel tiefer als beispielsweise in Nord-Chile.

Die Bucht liegt im Süden und nach Norden hin steigt die Stadt schnell an, sodass eine Anreise mit dem Bus aus dem Norden schnell einen weiten Blick über die Bucht eröffnet. Ein schöne Umarmung gleich zu Beginn. Am Wasser sind einige Hochhäuser entstanden und natürlich tummeln sich alle in der Shopping Mall die zur Zeit nochmal erweitert wird. Ist sie doch schon jetzt ziemlich groß. Im Zentrum befinden sich flachere Häuser und es offenbart sich wieder der Einfluss der deutschen Emigration. Holzhäuser, Kneipen, urige Restaurants, deutsche Vereine, etc.

Der Busbahnhof gleicht einen Flughafenterminal und vereint überregionale mit regionalen Verbindungen. Unweit gibt es auch das Büro der Fährgesellschaften, da ab hier auch einiges über Fähren abgewickelt wird. Wer also weiter in den Süden will, kommt um sie nicht herum, oder muss nach Argentinien reisen. und selbst das ist nicht ganz einfach. Ganz im Westen, hinter dem Hafen, kommt noch der große Fischmarkt mit einigen Restaurants und Handwerksläden. Aus dunkelrot-gestrichen Holz wurden zig Häuser aufgebaut, teilweise mit Stelzen im Wasser. Im Erdgeschoss ganz hinten befindet sich auch ein Markt mit Fischen und Meeresfrüchten aller Art. Die Anwerberinnen sind heute nicht so motiviert, vermutlich wegen des stetig wiederkehrenden Regens. Es liegt eine Mystik über diesen Ort, die unbeschreibbar ist. Es ist ein entspannter Ort mit verschlossenen Türen. Ein dunkler Ort mit hell erleuchteten Stuben. Ein regennasser Ort mit trockenen Gesichtern.

Nach meinem langen Rundgang durch das friedliche Puerto Montt, kehre ich zum Haus zurück und finde alles so vor, wie ich es verlassen habe. Leider aber auch keine Couchsurferin. Ich warte wieder. Ich lese etwas, mal in der Sonne mich wärmend, dann wieder unter dem langen Dach vor Regen schützend.

Ich unternehme noch eine Wanderung zu einer nahen großen Brücke, die mir einen großartigen Ausblick über einen Teil der Stadt verschafft. Noch kann ich den Ausblick genießen, aber irgendwie machen sich Sorgen breit. Ich hoffe, sie kommt noch. Aber insgeheim habe ich tiefes Vertrauen, dass ich auch heute ein warmes und trockenes Bett habe.

Kurz vor Sonnenuntergang kehre ich wieder auf ihr Grundstück zurück, aber immer noch niemand da, der oder die mir die Tür öffnen kann. Gut, es gibt die weiße Katze, die mir ihre Pfote unter dem Türspalt hindurch reicht, aber sie öffnet leider nicht die Tür. Ich lese wieder etwas. Schreibe einen Text auf dem Computer. Mach mir Abendbrot. Stunde um Stunde verrinnt und ich merke, wie dumm es vielleicht war, unendlich zu warten. Ich überlege immer mehr, die Einfahrt als Nachtlager zu nutzen und mein Schlafsack auszurollen.

Jetzt durch die Stadt zu ziehen, die jetzt kaum bezahlbare Unterkünfte bietet, scheint mir noch irrsinniger. Doch irgendwie kann ich nicht in Ruhe schlafen und so richtig warm ist es auch nicht. Die Temperaturen sind ja schon einstellig, der Boden hart und kalt. Meine Iso-Matte musste ich schon vor Wochen aufgeben, weil sie kaputt ist. Immer wenn ein Auto vorbei fährt, steigt meine Aufmerksamkeit und Konzentration auf hundert Prozent. Was war das? Hoffentlich sehen mich die Nachbar*innen nicht. Oder vielleicht doch und sie bekommen Mitleid? Soll ich klingeln, fragen? Oder sind es gar Einbrecher, die mich aus dem Weg räumen müssen. Oder ein blöder Hund, der mich anfällt. Naklar ist das Blödsinn, aber irgendwie hält mich das Gedankenkarussell wach.

Wieder ein Auto. Nachbar*innen kommen und gehen, aber diese Einfahrt bleibt unberührt. Ich habe das Tor geschlossen, damit es von außen so aussieht wie immer und keine Hunde reinkommen. Erneuter Versuch einzuschlafen. Wieder ein Auto. Ich kenne mittlerweile alle Autos aus der kleinen Straße und weiß sofort, dass dieses keine Hoffnung bringt. Ich versuch zu schlafen. Es wird auch nicht warm im Schlafsack und der Boden erweist sich schon jetzt als unangenehm hart. Doch was tun … Hätte ich doch mal in der Stadt Internet gesucht und Kontakt aufgenommen. Oder mir eine Notlösung gesucht.

Wieder ein Auto. Diesmal ein kleines rotes und hält direkt vor dem Tor. Sofort bin ich wach. Schnell bin ich in den Schuhen und geh langsam zum Tor. Blöde Situation. Ist sie das oder ist sie es nicht? Wenn ja, wie mach ich auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken. Ich rufe etwas zögerlich. Als sie anfängt das Tor aufzuschieben, merke ich, dass sie mich nicht wahrgenommen hat, dabei stehe ich nur einen Meter dahinter, aber halt im Dunkeln. Sie scheint in Gedanken versunken, aber ist offensichtlich die gesuchte Bewohnerin.

Sie erschrickt. Im Nachhinein denke ich, dass ich deutlich stärker erschrocken wäre, als sie das war. Ohne großes Tamtam gehen wir – es ist schon Elf – in die Wohnung.

Ich dachte du kommst morgen?

Hä?, denke ich, wieso morgen. Mist, ich hab mich bestimmt verzählt, als ich nach einer Unterkunft gefragt hatte. Später merke ich, dass ja mein Rechner auf deutscher Zeit läuft und dort ist es bekanntermaßen später als hier, sodass, wenn ich abends suche, sich schon der nächste Tag einstellt. Also hab ich mich tatsächlich verzählt. Richtig dumm von mir.

Doch kein Problem für Nicole. Die kleine und resolute Frau, Anfang 30, zeigt mir mein kleines Zimmer und schmeißt den Ofen an. Die einzige Wärmequelle. Da mir wirklich kalt ist, freue ich mich sehr über die wohlige Wärme. Sie hat lange gearbeitet. Sie ist als Psychologin für die Mitarbeitenden-Zufriedenheit in einem Lachs-Fischerei-Konzern zuständig. Wir unterhalten uns noch ein wenig bei Wein und sie erklärt, dass zur Zeit die größte Messe der Südhalbkugel in Puerto Montt ist. Die Agua Sur. Natürlich geht es um Fischerei und da ist sie grad sehr eingebunden und muss auch morgen viel arbeiten.

Als ich an diesem Abend frisch geduscht, in ein trockenes, weiches und bald warmes Bett steige, freue ich mich umso mehr darüber. Nur fünf Meter entfernt, lag ich noch wenige Stunden zuvor und war bitterlich von mir enttäuscht. Doch das Glück kam ganz am Ende doch noch. Wie ein Happy End.

 

Nichtsdestotrotz bleibt die Moral der Geschichte, dass das Glück nicht unbedingt herausgefordert worden sollte. Auch am nächsten Tag werde ich enttäuscht. Ich habe erfahren, dass es kostenlose Busse zur Messe gibt, die ich mir gern anschauen möchte. Ich erfahre, dass sie stündlich die verschiedenen teuren Hotels der Stadt anfahren. Doch jedes Mal wenn ich zur gegebenen Uhrzeit warte, kommt der Bus nicht. Warum, kann ich mir nicht erklären. Später sage ich Nicole, dass die Busse vermutlich unsichtbar sind. Ich ziehe es vor, das warme Zuhause zu genießen, doch meine Feuerkünste lassen zu wünschen übrig. Tja, ist halt kein Heizkörper mit Thermostat und ich nicht auf einem Bauernhof mit Feuerheizung aufgewachsen.

 

Auf Nicoles Anraten mache ich einen Ausflug nach Frutillar und Puerto Varas. Beide liegen am Lago Llanquihue, einem großen See nördlich von Puerto Montt. Seine Hauptattraktion: Von den beiden Orten aus liegen die großen weißen Vulkankegel genau gegenüber und spiegeln sich im stillen See. Doch nicht nur das, sie sind auch das Herz der ehemals deutschen Immigration. Feuerwehr, Kuchen, deutsche Schule.

Irgendwie passt das Bild Frutillars auch zu einem bayerischen Bergsee. Als die Schüler*innen aus der deutschen Schule kommen, tragen sie – wie in Chile üblich – ihre Schuluniform, nur diesmal mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Krawatte. In Fruttilar gibt es auch ein Museum der deutschen Kolonisierung. Es wirkt doch irgendwie befremdlich. Doch viel zu entdecken gibt es schlussendlich dann nicht, bis auf die ganze Deutschtümelei. Zurück in der Wohnung trinken wir mit dem Nachbarn noch ein Glas Rotwein und so erfahre ich, dass ziemlich viele in der Region in der Lachs-Industrie arbeiten. Es scheint ein wichtiges wirtschaftliche Standbein zu sein.

(warum wir immer Wein trinken? … einige Chilen*innen sind sehr stolz auf den chilenischen Wein)

Teil des Museums zur deutschen Kolonisierung, Frutillar

 

Am nächsten Tag, der auch mein letzter in Puerto Montt ist, ist dann Wochenende und wir unternehmen einen Ausflug mit einer Freundin von ihr. Die Saltos de Petrohué sind unser Ziel. Saltos meinen oft Wasserfälle. Touristisch gut erschlossen, können wir über Holzwege sehr nah rangehen. Es sind nun keine hohen oder großen Wasserfälle, aber es sind – und das lässt sich nicht immer sagen – äußerst beeindruckende. Das wuchtige hier, sind die türkisen Wassermassen die das kleine Tal entlang preschen. Sie stieben auseinander um im nächsten Moment wieder zu einem reisenden Strom zusammenzufallen. Es ist gewissermaßen die Rafting-Super-Klasse, nur dass der Versuch als Suizid einzuordnen wäre. Den äußerst wilden Wassermassen trotzen grüne Ränder und Bäume auf den tiefschwarzen Steinen. Es ist ein magisches Schauspiel. Als wenn sich alles in Bewegung gesetzt hätte. Und doch bleiben ja die Steine wo sie sind, aber dass sie der Wucht des Wassers standhalten, scheint wundersam zu sein. Am Ende so manches kurzen Falls, scheint das türkise Becken zu kochen. Doch vermutlich ist das Wasser frisch geschmolzener Gletscher. Was das ganze Bild umso schöner macht: Ganz in der Nähe erhebt sich der Vulkan Osorno. Majestätisch und makellos beginnt der Kegel direkt neben dem Fluss und die Sonne wird vom vielen Schnee prächtig reflektiert. Nicole fordert mich auf weiter zu gehen.

Wir erreichen noch einen Weiler, der auch Filmkulisse sein kann. Ein idealtypisches Becken, mit lauter grünen Bäumen außenrum, ein kleiner Sandstrand, klares Wasser, auf der anderen Seite ein kleiner Wasserfall und alles völlig einsam und unberührt. Es ist faszinierend, aber genau so stelle ich mir die ideale Lagune vor.

Mit diesem Eindruck im Gepäck bringen die beiden mich noch zum Busbahnhof.


Nov 3 2018

Drei Tage im Geländewagen über Salz, neben Flamingos und bei heißen Quellen

Von Karl

 

Wir quetschen uns in die nachträglich eingebaute letzte und dritte Reihe eines Geländewagens. Ziemlich eng für die Beine. Der nette Touren-Verkäufer macht nochmal die Scheiben sauber, während Moises, der Fahrer, die Plane verschnürt, in dem unser Gepäck sich befindet. Als er dann aber hinterm Steuer sitzt, sagt er kurz und freundlich: „So, ich bin Moises, euer Führer und wir fahren nun drei Tage gemeinsam“. Die vier anderen nicken freundlich und schön rollt der Toyota los.

Schon der Bus nach Uyuni, einer Kleinstadt im Südwesten Boliviens, zeigte uns, dass es eine touristische Stadt ist. Alle Plätze waren an Backpacker verkauft. Nun, hier scheint sich eine Busfirma zu halten, weil es die Backpacker gibt.

Noch ziemlich früh, vielleicht gegen 6 Uhr, wirft uns der Bus in Uyuni raus. Es ist sehr kalt im trockenen Wüstenhochland. Selbst alle kurzfristig verfügbare Kleidung scheint kaum zu reichen und nur die Hoffnung auf die bald wärmende Sonne bleibt. Ansonsten verraten die staubigen Straßen, dass es sonst heiß und trocken sein kann. Auf der UV-Mess-Anzeige in der Innenstadt ist noch keine Gefahrenstufe ausgewiesen.

Wir fragen im ersten Touren-Büro nach guten Angeboten, bekommen aber nur die teurere Preisklasse aufgetischt. In einem Hinterzimmer finden wir später Frühstück nebst Gas-Heizer und Wifi. Hier haben sich all die anderen Rucksack-Touris vom Bus hinführen lassen. Während Pippi eine gute Stunde auf das Frühstück wartet, mache ich im angrenzenden Büro nebenan ein Schnäppchen. Der Verkäufer wiederholt sich: „Bitte reden sie mit den anderen nicht über den Preis“.

Moises, wie er leibt und lebt

Tag 1

Moises hält nach nur wenigen Kreuzungen, denn er lädt Kühlboxen ein. Unser Mittag erklärt er.

Gleich hinter dem Ortsausgang halten wir ein erstes Mal zum Photographieren. Am Eisenbahn-Friedhof. Durch den Bergbau-Boom, u.a. Silber, wurden vor Jahrzehnten mal Eisenbahn-Trassen gebaut, wodurch auch Uyuni einen wichtigen Bahnhof bekam. Die alten Kohle-Loks rosten nun im Wüstenstaub vor sich hin.

Da nun mal alle Touris die selben Reiseführer-Bücher haben, sich in den Hostels immer wieder treffen und austauschen und auch sonst sich alle Touren-Angebote stark ähneln, sind auch wir Teil der Welle die über diese Sehenswürdigkeit hinwegfegt. Hunderte Touris klettern schon vor uns durch die Fahrstände und Wassertanks, posieren auf den Dächern oder machen schlicht Selfis davor. Kaum eine Lok ohne Touris. Diese Welle begegnen wir an jedem unserer Stopps. Wir einsam mag der Ort wohl sonst sein?

Anschließend geht es aber raus aus Uyuni. Wir halten in einem kleinen Dörfchen am Rande der Salzwüste, der Uyuni ihren Namen verleiht: „Salar de Uyuni“. Das Dörfchen hat nur Verkaufsstände und ein Museum, dass nicht den sehenswertesten Eindruck macht. Alle Stände haben mal wieder das selbe Angebot. Einzig, dass es Schnitzkunst aus Kaktus-Holz gibt, scheint mir spannend. Interessanter aber, dass der Salzabbau auch Teil der Einnahmen an dem Ort sind. Ähnlich wie Ziegel sind Salz-Blöcke auf Europaletten gelagert. Salz ist ganz schön schwer, aber leichter als ein gleichgroßer Ton-Ziegel.

Auf Hinterhöfen lagern große Salz-Kegel, diesmal als loser Sand. Alte Laster kommen vom Salzsee oder fahren raus. 25.000 Tonnen Salz werden jährlich abgebaut, aber angesichts der Größe des Salzsees, die sogar aus dem Weltall zu sehen sein soll, bedroht dies den See noch nicht. Stolz ist Bolivien auch auf die neue Lithium-Fabrik. Sollten die Lithium-Ionen-Akkus und der Elektro-Motor das Erbe des Verbrennungsmotors tatsächlich antreten, so liegt im See noch ungeahnter Reichtum, denn hier verbirgt sich auch eine der weltweit größten Lithium-Lagerstätte.

Nach nur wenigen Minuten fahren wir ein paar hundert Meter raus auf den Salz-See. Eine unendliche weiße Fläche empfängt uns. Wenn nicht anders bekannt, könnte der Anblick immer auch für eine Schnee- oder Eisfläche gehalten werden. Es gibt auch kleine Pfützen und aufgehäufte Salz-Kegel. Der Salzsee liegt so hoch wie La Paz, 3.600m, und ist mit über 10.000 Quadratkilometer der größte Salzsee der Welt.

Etwas weiter halten wir an anderen Pfützen, die aber den Eindruck machen, sie würden kochen. Allerdings ist das Wasser kalt und die Blasen die aufsteigen, eher Resultate von chemischen Reaktionen weit unter der Salz-Kruste. Die Kruste ist mindestens 30 Meter dick, sodass Busse und LKWs problemlos drüber fahren können. Darunter liegt aber noch Wasser und von den Gletschern kommt neues süßes Grundwasser unterirdisch rein. Da entstehen dann auch die Reaktionen die kleine blubbernde Pfützen bilden.

Als wir weiter über den Salzsee fahren, erscheint es mir ein Rätsel, wie eigentlich alle ihre Wege über den See finden. Mensch könnte sich zwar an den Fahrspuren orientieren, aber es gibt unzählige Abzweige und kein einziges Schild. An dem ersten Salzhotel mitten auf dem Salzsee wurden zig Länderflaggen und ein Symbol für die Rally Dakar Bolivia. Am Salzsee hat dann Moises auch das erste Mal sein reichliches Mittag ausgebreitet, welches uns immer wieder überraschte. Erstaunlich war wie er so viel davon vorbereiten und mitbringen konnte.

Am Salzhotel war der See nun endlos weit in alle Richtungen. Der Himmel ist bilderbuch-blau und von keiner einzigen Wolke unterbrochen. Am Rande erheben sich hohe Berge mit einzelnen Schnee-Adern. Neben dem Salzhotel gibt es eine kleine Pfütze in der sich gut sehen lässt, wie sich die Salzkristalle langsam bilden. Vom Rand aus bilden sich zerbrechliche Salzplatten auf dem Wasser, ganz so, als wenn das Wasser gefrieren würde. Sie sind anfangs auch eher durchsichtig und verraten nur durch die geänderte Spiegelung ihre beginnende Umwandlung.

Ein erster Stopp nach längerer Salzseetour ist ein kleiner Hügel mitten im See: die Insel Incahuasi. Wir sparen uns den Eindruck und wandern in der Stunde lieber um die Insel. Sie besteht aus vielen großen und kleinen Steinen und vor allem riesigen Säulen-Kakteen. Dass hier überhaupt etwas wächst, wo doch alles versalzen ist! Doch scheint es Leben zu geben, dass dem Salz trotzt. (Nur falls jemand besorgt war: Ja, ich habe den Witz beim Essen gemacht und gefragt ob jemand Salz möchte und dann auf die Tonnen unter unseren Füßen verwiesen)

Es ist übrigens ziemlich warm im Auto, weil dieses sich wie ein Treibhaus schön aufwärmt. Draußen dagegen ist es windig und kühl. Auch wenn es gleißend hell ist. Zum Teil des Nachmittags gehörte auch, dass wir an einen völlig abgeschiedenen Ort gefahren sind um dort besondere Photos zu machen. Aufgrund der immer-gleichen Umgebung lässt sich leicht mit Perspektiven spielen. Ein Ort wo auch der freundlich-wortkarge Moises aufblüht und seine Erfahrung einfließen lässt. So hat er auch einen Plastik-Dino im Kofferraum, damit jede*r einmal ein Photo machen kann wie er oder sie sich vor einem überdimensionalen Dinosaurier fürchtet. Natürlich stehen wir dafür viel weiter hinten, als der Dino selbst. Moises gibt von seiner Fußmatte aus Anweisungen, auf der er liegt, sodass wir ein paar sehr schicke Bilder gemacht haben. An den unberührten Ort sieht die Oberfläche aus, wie verschiedene Eisschollen zwischen denen eine Art Salz-Paste aufgestiegen ist und dann in der Sonne auskristallisierte.

Der letzte Stopp des ersten Tages gilt dem Sonnenuntergang, der schon relativ eisig daherkommt und auch nicht lange auf sich warten lässt. Die letzten Meter am Rande des Sees sind dann aber fast schon schlammig, aber auf den erfahrenen Moises ist verlass. Nicht aber wohl auf einen anderen Fahrer, der sich festgefahren hat im Salz-Schlamm. Gutmütig wie Moises ist, beginnt er mit den ersten Versuchen den Festgefahrenen raus zuziehen. Mittels einfacher Stahlseile, die gefährlich an den Fahrzeugen Funken erzeugen. Als dies auch nicht mittels zweier Fahrzeuge und zig Anschieber*innen klappt, geben wir auf. Vermutlich wurde schwere Technik geordert, denn am nächsten Tag war der Unglückliche nicht mehr da. Mit Untergang im See rechne ich mal nicht.

ja, es ist wirklich salzig

Unsere erste Unterkunft ist direkt am Rande des Sees und auch aus Salz gebaut. Das feste zu Ziegeln zurecht gemachte Salz ist der Rohstoff für den Hausbau gewesen. Bei Coca-Tee, meist Mate genannt, und Kaffee und Keksen warten wir auf das Abendbrot und kommen ins Gespräch. Mit uns reisen drei Mexikaner*innen, wovon zwei aber eigentlich in Chile leben. Dazu kommt noch ein allein-reisender Spanier. Erstmals merke ich den Unterschied zwischen den spanischen Spanisch und dem hiesigen. Viele „s“ und „c“ werden, wie das aus dem Englischen bekannte „th“ ausgesprochen, aber in Südamerika meist wie ein „s“. Das ist deutlich zu hören und für mich ist das Spanisch des Spanier, der sich dann als Baske entpuppt, anfangs nur schwer zu verstehen.

Da es nachts sehr kalt wird, gegen Null Grad Celsius, aber ich in Südamerika noch nie einer Heizung begegnet bin, wird auch hier mittels Decken die notwendige Wärme erzeugt. Eine Untersuchung von Pippis nötiger schwerer „Deck-Last“ ergab eine Schichtung von mindestens neun Lagen, von denen mindestens fünf schwere Woll-Decken sind. So lies sich die Nacht auch durchstehen, aber für den Kopf empfiehlt sich trotzdem eine Wollmütze und ggf ein Halstuch.

Tag 2

Der nächster Tag beginnt sehr früh und als wir den Jeep besteigen, ist die Sonne erst frisch aufgegangen. Wir halten für diversen Lagunen. Manche durch Eis oder Salz etwas eingeschränkt. Viele werden von Flamingos bewohnt. Die stelzenden Vögel suchen mit dem Schnabel im Schlamm nach etwas zu essen. Einer der Seen ist stark rot gefärbt durch den starken Bewuchs einer rote Alge. Deren Rot führt erst zur Verfärbung der vegetarisch sich ernährenden Vögel. Ihr Fell ist zur Geburt erst weiß und grau und wird dann durch die Ernährung rosa. Es leben tausende in der Gegend und mindestens drei verschiedene Arten kommen zusammen. Sie wirken tatsächlich etwas unbeholfen, denn auch beim Start im Wasser helfen sie mit ihren dünnen Beinchen nach.

Moises zeigt uns auch einen aktiven Vulkan aus einiger Entfernung, aber mehr als sehr kleine Rauchschwaden sind nicht zu sehen. Auch Steinformationen besuchen wir, die von Kälte und Wind geformt werden. Ich klettere etwas herum, aber beeindruckend sind sie dann doch nicht. Unter dem Sand befindet sich noch Eis. Noch vor Ende des Tages kommen wir zum Nationalreservat Eduardo Avaroa und bezahlen für den Eintritt.

Große Teile des Nationalparks liegen auf ungefähr 4.000m. Trotz kaum Regen und 3 Grad Durchschnittstemperaturen, leben hier zig Tier- und Pflanzenarten. Im Nachgang habe ich erfahren, dass besonders der Geländewagen-Tourismus, über den wir auch den einzigartigen Platz genießen konnten, die Natur stark bedroht. Moises holt mit Äpfeln auch Viscachas aus ihren Versteck und innerhalb weniger Minuten sind ein Dutzend dieser „Hasenmäuse“ da. Auf den ersten Blick hielt ich sie für Hasen, aber sie sind (eher) Chinchillas.

Nach wenigen Metern kommen wir in eine kleine Siedlung, in der wir übernachten. Nochmal höher als in den letzten Nächten, muss jede offene Spalte an der Bettdecke vermieden werden, weil die Temperaturen unter den Gefrierpunkt rauschen.

Tag 3

Da es noch früher losgeht als Tags zuvor, erscheinen im Stirnlampenlicht die Eisblumen an den Fensterscheiben. Nur wenige Stunden gibt es Strom im Gebäude, wenn der Generator angeworfen wird. Das Frühstück ist deshalb noch die meiste Zeit im Dunkeln. Während der ersten Meter im Jeep frieren wir dann auch noch schrecklich und fürchten um unsere Fußzehen.

Eis-Formationen die sich an der Luft gebildet haben

Mit der aufgehenden Sonne erreichen wir ein Geysir-Feld. Mit ohrenbetäubenden Zischen entweicht Wasserdampf aus einem Bodenloch und reicht einige Meter über uns in die Höhe. Angesichts der Eisesskälte und dem höhenbedingt niedrigeren Druck – wodurch Wasser früher kocht als auf Meereshöhe – ist der Wasserdampf sehr gut zu sehen. Durch den stetig starken Wind fegt der Wasserdampf über die Hügel. An anderen Stellen gibt es auch blubbernde Pfützen oder kleine wasser-speiende Löcher im Boden. Es ist ein seltenes Schauspiel, dass ich zum ersten Mal als solches sehe.

Wir fahren weiter bis zu einem Thermalbad. Aus heißen Quellen gespeistes Wasser wird in kleinen gemauerten Becken an der frischen Luft gesammelt. Für die vereisten Füße ein großartiger Ort. Das Wasser ist angenehm heiß und der Ausblick magisch. Dampf steigt um uns auf und verdeckt die junge Sonne. Nur unterbrochen durch die Welle an Touris aus Geländewagen, die gerade den Platz bevölkert. Überschüssiges Wasser fließt über den Rand in einen großen See. Ein großartiger Augenblick. Auch hier hat Moises nicht viel Zeit eingeplant, sodass es ziemlich zügig weiterging.

Wir halten noch an einem klaren See mit dem größten Berg der Region im Hintergrund: den Licancabur. Schon er liegt an der Grenze zu Chile. Er ist knapp 6000m hoch. Wir fahren etwas weiter südlich an einen Grenzposten der gefühlt im Nirgendwo liegt, wenn nicht hunderte Menschen hier rumwuseln würden. Hier lassen wir die Mexikaner*innen zurück, die von hier aus direkt weiter ins nahe San Pedro de Atacama reisen.

Auf dem Rückweg halten wir noch in einem uninteressanten Dorf und zwischen Felsformationen. In der Gegend wird auch Borax in größeren Tagebauen abgebaut. Eigentlich einigt uns alle das Gefühl schnell zurückzukommen, aber es müssen acht Stunden Fahrt nach Uyuni überwunden werden. Wir halten aber auch für Alpacas, Lamas und Vicuñas. Alles sind Lama-ähnliche Tiere und ihre Wolle wird genutzt. Wobei Lamas die günstigste Wolle, die Alpaca teurere und die Vicuñas die teuersten Fasern liefern, wodurch auch letztere sehr bedroht sind. Ein Paar Socken aus Vicuña-Wolle kann dann über 800€ kosten.

Ziemlich geschafft, wirft uns Moises dann in Uyuni wieder vor der Agentur aus seinem Jeep. Er fährt weiter zu Frau und Sohn, aber wird am nächsten morgen mit neuen Reisenden wieder mit seinem Wagen aufbrechen. Nur selten hat er mal einen Tag frei. Zeit für seine Familie in Uyuni.

Uns hält nix mehr hier, wir haben andere Pläne.


Okt 26 2018

Zu Fuß zum Pool und zurück

Von Karl

 

Es ist 3 Uhr früh, als wir vor unserem Hostel mit all unseren Sachen stehen. Wir warten in der noch kalten Nacht. Dann kommt ein Mann die Straße runter, nennt unsere Namen und nimmt uns mit. Immer wieder zwei Ecken und einmal telephonieren. Warten. Noch eine Ecke weiter und wieder telephonieren. Warten. Dann kommt der Bus und wir steigen schnell ein.

Tal der Condore

Zusammen mit einem guten Dutzend anderer Reisenden brechen wir auf zu unserer Wanderung ins Colca-Tal. Eines der tiefsten Täler der Erde. Genau genommen der zweittiefste Canyon der Erde. Über 3.200 m ist das Colca-Tal tief.

Noch morgens erreicht der Bus die Hauptstadt des Tals: Chivay. Dort gibt es kurz Frühstück und wir fahren weiter ins Tal hinein. Am Cruz del Condor machen wir Stopp und können einen fulminanten Ausblick wagen. Kilometer geht es steil nach unten, während wir auf Felsen sitzen. Gegenüber steigen die Berge auf bis sie weiße Kappen bekommen. Die Dimensionen sind unvorstellbar.

In den Lüften vor uns gleiten mühelos Condore. Braune oder Schwarz-Weiße. Sie zählen zu den größten Vögeln und beherrschen das Tal. Mal segeln sie über uns, mal segeln sie weit unter uns.

Abstieg

Nur kurz dürfen wir den Ausblick genießen, bevor es weiter geht an den Startpunkt unserer Wanderung bei Cabanaconde. Wir werden noch schnell aufgeteilt in die 3-Tages-Tour, 2-Tages-Tour und die Tages-Tour. Unser Guide, Fernando, kommt gerade von einer Tour und macht mit uns die Zweitägige. Nach nur wenigen Metern sind wir wieder am Rande der Schlucht und beginnen den Abstieg. Fernando ist nicht nur unser Guide, sondern auch das Lexikon zur Umgebung. So ist der Hang, den wir absteigen sehr trocken, während auf der anderen Seite auch Landwirtschaft möglich ist. Über grauen Schotter und Geröll geht es unter der sengenden Sonne Meter für Meter bergab. Eine Seite ist der Abgrund und auf der anderen geht es steil bergan. Kommt eine Kehre, wechseln die Seiten. Wir erfahren, dass im Talgrund 40 Grad Celsius herrschen. Wir haben zwar mit viel Wasser die Tour gestartet, aber der Pegel in der Flasche fällt kontinuierlich.

Gute drei Stunden sandig-rutschiger Abstieg später, erreichen wir den kontaminierten Fluss im Talgrund. Nach kurzer Pause geht es über eine Hängebrücke auf die andere Seite. Durch Gärten und vorbei an alten Frauen die Kekse, Obst und Wasser verkaufen. Wir kommen an unsere Pausenstation und bekommen mageres Mittag. Etwas enttäuscht versuchen wir unsere geschundenen Körper im Schatten zur Ruhe zu bringen, doch ein fettes Huhn lässt mich einfach nicht in Ruhe. Was auch immer ich den Huhn angetan hatte, es verfolgte mich über die Wiese bis wir den Ort wieder verließen. Gerne hätte ich die steilen Hänge aus ruhender Position unter dem schattigen Avocado-Baum genossen. Nun. Selten, dass ich einem Lebewesen ein Ende als Broiler gewünscht habe.

Bis zur unserem Ziel sind es aber nochmal drei Stunden. Wir beginnen die Wanderung entlang des Tals und schon bald folgen steile Auf- und Abstiege. Fernando entschuldigt sich immer wieder im voraus: Es sei halt ein Canyon. An einem Zwischenstopp bei einigen Kakteen erklärt er uns, dass diese auch industriell angebaut werden. Weil sich darauf ein kleiner Käfer parasitär entwickelt, der zerdrückt eine dunkelrote Farbe hat. Diese wird als Farbstoff und in der Kosmetik-Industrie verwendet.

Unsere Füße entwickeln zeitgleich Blasen und Muskelkater. Besonders Bergabstiege treffen nicht auf unsere Gegenliebe. Erste Blasen haben sich gebildet, die verarztet wurden. Eine halbe Stunde vor dem Ziel müssen wir unsere Wasservorräte auffüllen. Nochmal 5 Liter und etwas Obst. Zum Glück hat ein alter Mann ein kleinen Holzverschlag aufgebaut – im Nirgendwo. Als wir den letzten Anstieg geschafft haben, eröffnet sich ein erster Blick auf unser Tagesziel: Oasis de Sangalle.

In der Innenseite der Flusskurve breitet sich eine breite Grünfläche mit Palmen und Pools aus. Ein Pool entwickelt für uns schnell eine Anziehungskraft und spendet neue Motivation. Noch vor der Brücke auf die grüne Insel inzwischen der felsigen Landschaft, erscheint uns ein großer Wasserfall auf der gegenüberliegenden Seite. Mitten aus der Felswand scheint er zu entspringen und ab da und abwärts ist plötzlich alles grün. Doch dann ruft der Pool erneut. Ein letztes Mal über eine Brücke und letzte Meter nach oben, einmal quer durch das teils überwucherte Gebiet, bis wir in einer Bungalow-Siedlung ankommen. Strom ist hier Mangelware.

Unser Guide teilt uns auf die Zimmer auf. Kaum haben wir unsere Sachen in dem Bambus-Verschlag außerhalb der Reichweite von Kleintieren und Skorpionen geparkt, springe ich auch schon in den Pool. Das recht frische Wasser kühlt die geschundenen Beine und gleicht einer Wohltat. Ich könnte stundenlang darin ausspannen, wenn es nicht auf die Dauer zu kalt wäre. Zudem wirft sich der Schatten frühzeitig über uns und ich suche nach der Dusche die warmen Klamotten auf.

Gefühlte Ewigkeiten warte ich mit knurrenden Magen auf das Abendbrot und bleibe enttäuscht von der mageren Mahlzeit. Wir sind geschafft und suchen direkt den Weg in die Horizontale. Nicht ohne den krassen Sternenhimmel zu sehen. Fernab großstädtischer Lichter erscheinen Millionen kleiner Sterne und die Milchstraße ist ohne Probleme zu erkennen. Ich muss stehen bleiben und dieses seltene Bild tief in mir einprägen. Oft habe ich das Bild nicht gesehen. Mal bei einer Segelfahrt auf der Ostsee oder bei der Überfahrt mit dem Frachtschiff nach Südamerika oder auf dem Boot im Amazonas-Regenwald. Nein, so ein Himmel ist selten.

Aufstieg

Schon 4:30 Uhr treffen wir die Gruppe und Fernando, damit wir den Rückweg nach Cabanaconde machen. Diesmal eine andere Route, doch der Höhenunterschied bleibt gleich. Wir steigen direkt von 1.900m auf 3.300m. 1.400 Höhenmeter in wenigen Stunden. Im Zickzack den Weg über Schotter und Fels. Wir haben unsere Stirnlampen an und folgen jeweils unseren Vordermenschen. Andere Gruppen sind am Hang wie Lichterketten, die im Wind wackeln, zu erkennen. Langsam schieben wir uns Kurve um Kurve nach oben. Plötzlich sollen wir alle an die Innenseite gehen und warten. Eine Gruppe Esel rauscht an uns vorbei. Inklusive Esel-führer. Auf der gesamten Strecke nach oben transportieren Esel die nötigen Sachen für die Menschen im Tal oder Touris, die aufgegeben haben. Lediglich der Müll wird von Hand geleert und auf dem Rücken getragen. Der ältere Mann hat nur Sandalen an, zwei riesige Säcke Müll auf dem Rücken und überholt mich mühelos. Ich rede mir ein, dass ich kaum 1.400 Höhenmeter in Deutschland trainieren hätte können. Er schon.

Die Berge am Horizont werden zu erst in orangefarbenes Morgenlicht getaucht. Bis mich die wärmende Sonne erreicht, vergehen allerdings noch schweißtreibende Stunden. Das Orange wandelt sich langsam in kräftige Farben und diese fließen langsam ins Tal. Wie frische Farbe die nach und nach auf die Berggipfel aufgetragen wurde und dann über die Kanten ins Tal läuft.

Fernando hat uns mittlerweile drei Bäume gezeigt, bei denen wir uns wiedertreffen sollen. Sie sehen klein aus und ich glaube, dass sie ein erstes Zwischenziel mit Pause sind. Mittlerweile haben Pippi und ich die Strategie entwickelt, möglichst vorne zu laufen und Pausen zu vermeiden, damit wir an der eigentlichen Pausenstation eine umso größere Pause haben. Wir haben allerdings nicht mit DIESEN Bäumen gerechnet. Lange Zeit nehmen wir Stein für Stein während unsere Herzen pumpen und der Schweiß von der kühlen Luft schnell getrocknet wird. Als nach vielen unendlichen Minuten tatsächlich DIE Bäume wieder auftauchen, sind sie immer noch verdammt weit oben. Wir machen nun doch Trinkpausen und lassen unglaublich sportliche Menschen an uns vorbeiziehen. Immer wieder auch Esel. Manche Touris auf den schaukelnden Rücken am Rande des Abgrundes haben weiße Gesichter die im Kontrast das Esel-Fells schwarz erscheinen lassen.

Viele der Touris, die fast ausschließlich aus Westeuropa kommen, haben entsprechende Trekking-Kleidung und -Ausrüstung angelegt. Pippi mit Jeans und meinem alten Schulrucksack. Ich mit Leggins und Jutebeutel. Ja, wir passen nicht ganz ins Bild der gut vorbereiteten Extrembergsteiger*innen. Trotzdem wissen wir einen guten Teil unserer Gruppe hinter uns und beißen uns weiter den Berg hinauf. Nur, wo sind die scheiß Bäume?

Als sie dann doch wieder auftauchen, dämmert es mir endlich, dass die Bäume nicht klein und krüppelig sind, sondern groß und stolz. Ein Mann, der uns entgegen kommt, grüßt uns freundlich und verrät, dass es nur noch eine Stunde bergauf sei. Ich denke, dass die Distanz bis zum Gipfel gemeint ist, stelle aber fest, dass sie bis zu den Bäumen ist. Ja, tatsächlich sind wir noch an den riesigen drei Nadelbäumen angekommen. Ich habe kaum mit dem Pausieren begonnen, motiviert Fernando uns zum weiterwandern. Ich stelle mich innerlich auf weitere Stunden harten Anstiegs ein.

Doch nach zehn Meter klettern wir umständlich durch das Gipfelkreuz und erreichen einen Platz, voll mit Ankömmlingen. Geschafft! Wir Finisher ruhen uns kurz aus, bevor wir Siegesposen vor der Kamera machen. Meine Peace-Fahne kommt dabei zum Einsatz und motiviert Weitere sich damit zu photographieren. Ein Mann möchte sogar ein Photo mit mir, weil ich diese Idee mit der Flagge habe und er Frieden wichtig findet.

Die letzte halbe Stunde ist ohne Berge und wir erreichen Cabanaconde und somit auch unser Frühstück. Bevor ich aber in die letzte Straße einbiege, muss ich meine Augen reiben. Ein Mann läuft mit meinem Rucksack von links nach rechts und bringt ihn auch zum Frühstück. Die großen Rucksäcke haben wir am Vortag abgeben können und uns wurde versprochen dass wir sie hier wiederbekommen. Dass sie allerdings von jemandem durch das Dorf getragen werden, war uns nicht klar. Schon irgendwie komisch, den eigenen Rucksack an einem vorbeiwandern zu sehen.

Das Frühstück reihte sich in die Reihe der mageren Portionen ein, aber zumindest gab‘s Kaffee und Coca-Tee.

Nächster Stopp

Von nun an müssen wir nicht mehr laufen, sondern werden gefahren. Der Bus bringt uns zu einem Verkaufsstopp, wo auch je zwei Alpakas und Lamas warten. Highlight für uns soll aber ein Bad in einer heißen Quelle sein. Trotz der hohen Luft-Temperaturen tummeln sich einige Touris in den extra angelegten Becken, die mit bis zu 38 Grad sehr heiß sind. Der nahe Fluss ist ziemlich steinig, dafür aber erfrischend kalt. Das Quellwasser, dass auch teils einfach so in den Fluss fließt ist tatsächlich kochend heiß.

Unzählige Versuche uns das Mittagessen zu verkaufen haben wir während der Tour widerstanden und verabschieden uns kurz vorher bei Fernando, der sich rührend um uns gekümmert hat. Wir fahren nicht zurück nach Arequipa. Unser nächster Stopp soll Puno sein. Wir wurden von dem Touren-Anbieter in einen Touri-Bus gesetzt, wo eigentlich niemand so richtig motiviert ist. Der Guide im Bus zeigt uns zwar verschiedene reizvolle Landschaften, die aber hinter den Bildern der letzten Tage zurück bleiben.

Zum ersten Mal sehe ich aus der Ferne einen aktiven Vulkan, weil wir auf die Rauchsäule am Horizont aufmerksam gemacht werden. Schon komisch, dass die graue Wolke auf der Spitze aus dem Berg kommt. Der letzte Halt ist an einer riesigen Laguna auf über 4.400m. Auch hier packt die Alpaka-Produkte-Händlerin schon ihre Sachen ein und wir nehmen die letzte Hürde über Juliaca nach Puno.

PS.: Karte von der Gegend:


Okt 16 2018

Vom Schnee verweht

von Rosa

Autsch! Das tat weh. Gerade schaue ich noch in die Augen eines süßen Hundes, der mich an einen Teddybären erinnert. Schon erinnert er mich daran, dass Hunde eben nicht nur niedlich sind. Mit einem Satz ist mir der flauschige Bär von Hund an mein Bein gesprungen und hat einmal in den Oberschenkel gebissen. So schnell er da war, ist er auch wieder weg. Der Hund hat tatsächlich ein Stück meiner Hose rausgerissen. Der Biss war zum Glück nicht tief. Die Hunde in Südamerika sind mir irgendwie nicht so zu getan oder eben doch. Wie man es sieht. Bekanntschaften schließe ich jedenfalls leicht mit Ihnen und eine Einladung brauchen sie dafür auch nicht. In solchen Momenten bin ich immer froh über meine Tollwut-Impfung.

Wenn man so möchte ist heute nicht mein Tag. Am Busbahnhof von Baños läuft noch alles glatt. Ich erwische innerhalb von fünf Minuten einen Bus nach Machachi. Von dort aus möchte ich den Cotopaxi zumindest bis zum Base Camp besteigen. Ich sage dem Busfahrer noch, dass er mir bitte Bescheid geben soll, wenn wir in Machachi sind. Als ich nach einem kurzen Nickerchen aufwache, denke ich die Stadt kennst du doch. Sie ist ungewöhnlich groß und zu dicht besiedelt für alle Städte auf dem Weg. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Als ich die ersten Metrostationen sehe, bestätigt sich dieses. Wir sind in Quito. Ich frage beim Busfahrer nach, warum er mir nicht Bescheid gesagt hat. Er zuckt nur mit den Schultern und meint schlafen wäre gesund. Etwas angesäuert verlasse ich den Bus und suche im Terminal Quitumbe nach einem Bus, der zurück nach Machachi fährt. Der ist gar nicht so einfach zu finden, weil er nicht bei den anderen Bussen abfährt. Dann sitze ich aber doch in einem überfüllten grünen Bus nach Machachi. Neben mir eine Mutter mit drei Kindern. Das Kind auf dem Rücken versucht mich die ganze Zeit mit seiner Mandarine zu hauen. Den Vater scheint das alles nicht zu stören. Er schaut lieber ein Fußballspiel auf seinem Smartphone. Er bewegt sich auch nicht als seine Frau versucht alle drei Kinder gleichzeitig zu beruhigen. Diesmal bleibe ich wach und steige tatsächlich in Machachi aus. Im Starkregen laufe ich zur Unterkunft. Kurz vor dem Eingang dann das Kurz-Intermezzo mit dem Teddybär-Hund.

David, der Besitzer, begrüßt mich und erklärt mir gleich welche Optionen ich habe um zum Cotopaxi zu kommen. Da ich nur bis zum Base-Camp möchte, stelle ich es mir nicht so schwierig vor. Doch das ist es wohl. Machachi befindet sich noch einmal 40 Minuten vom Eingang des Nationalparks entfernt. Hmm. Er bietet zwei anderen Reisenden und mir eine Tour für jeweils 25 Euro an. Der Parkeintritt ist immerhin schon inklusive. 7:30 Uhr geht’s los. David empfiehlt Doro, Johanna und mir zum Abendbrot ein Steakhouse. Es wäre die beste Option für Vegetarier. Da freuen wir uns drei Vegetarier doch und sind schon gespannt auf die Karte. Es gibt Pommes. Salat, Gemüsepfanne und Suppe stehen zwar auf der Karte, aber heute nicht verfügbar. Nun gut. Wenigstens wurden unsere niedrigen Erwartungen erfüllt.

Für die Wanderung dürfen wir uns am Eingang des Nationalparks noch Handschuhe kaufen und dann rollt der Kleinbus auch schon an mehreren schneebedeckten Gipfeln immer weiter Richtung Cotopaxi. Serpentine für Serpentine. Der Untergrund ist Vulkangestein. Trotzdem gut zu befahren. Eigentlich. Wir stecken fest. Die Räder vergraben sich immer tiefer im Sand bis gar nichts mehr geht. Einige andere Autos halten an. Gemeinsam versuchen wir den Kleinbus nach oben zu schieben. Keine Chance. Letzte Hilfe ein Abschleppseil. Mittlerweile hat sich eine richtige Menschentraube versammelt und feuert fleißig an. Der Kleinbus bewegt sich ein Stück, ein weiteres Stück und ist befreit. Es kann weiter gehen. Bis zum Ende der Straße kommen wir nun problemlos. Von hier ist es eine weitere Stunde bergauf zu Fuß. Klingt machbar. Ist es auch, aber die Luft auf 4600 Metern ist doch etwas dünn und so werden die Schritte kleiner und die Pausen größer. Die Aussicht nebelverhangen. Ich rutsche im Gemisch aus schwarzer Vulkanasche und Schnee. Es geht ein kalter Wind. Dann endlich sehen wir das Refugio.

Von hier aus machen sich die Bergsteiger auf, die bis zum Gipfel auf 5800 Metern klettern. Dafür allerdings braucht man gute Kondition, Ausrüstung und Erfahrung. 50 Prozent schaffen es nicht. Unser Guide war bis 2002 mehr als 200 mal auf dem Gipfel. Dann hat er aufgehört zu zählen. Sein Leben sind die Berge. Wir laufen noch einmal weiter bis zu den Gletschern. Das Wetter wird ungemütlicher. Der Untergrund nun Eis und Schnee. Die Höhe erreicht meinen Kopf und mir ist ein wenig schwindelig. Vor ein paar Jahren war der Gletscher noch mehrere 100 Meter weiter unten.

Für einen Moment reißt der Himmel auf und die Sonne zeigt, wie schön das im Verborgenen ist. Weit oben erleuchten, von der Sonne in Szene gesetzt, die schönsten und skurrilsten Eisskulpturen. Es bleibt nur Zeit für ein Foto in unserer Erinnerung. Gut abgespeichert. Dann fällt der graue Vorhang wieder und wir rutschen langsam ins Tal. Aus den Schneeflocken werden schwere Regentropfen. Wir halten noch bei einer Lagune die sich in wunderbarer Kulisse vor einem Berg mit weißen Spitzen präsentiert.

In unserer Unterkunft wärmen wir uns mit heißer Schokolade dann geht es zurück nach Quito. Der Bus bis in die Hauptstadt ist schwer zu finden. Jeden, den wir fragen hat einen anderen guten Rat. Am Ende hält mit quietschenden Rädern ein klappriger Bus und wirft uns am Terminal Quitumbre aus.

Der Weg zum Cotopaxi war anstrengend. Seit ich ihn zum ersten Mal in Quito von Weitem bestaunen konnte, ein Ziel auf der Reiseliste und der Wunsch ihn von Nahem zu sehen. Wie es mit Erwartungen so ist, werden sie auch manchmal nicht erfüllt. Den glitzernden Schnee des Gipfels im Sonnenlicht habe ich nicht gesehen. Dafür einen rauen Riesen, der es seinen Bezwingern gerne schwer macht und sie auch mal im Nebel stehen lässt. Das Postkartenmotiv kann man eben nicht erleben.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.