Nov 12 2018

Die Filmkulisse

Huaraz, Peru

von Rosa

Nächstes Ziel: Süden! Nagut, noch mal ein Stückchen Norden für einen besonderen Juwel. Manchmal sehen Fotos besser aus als die Realität. Alle Online-Dating-Nutzer wissen wovon ich spreche;). In diesem Fall zum Glück nicht. Da ist es genau andersherum. Denn man kann die Schönheit dieses Nationalparks einfach nicht auf Fotos festhalten.

Die Reise von Kolumbien nach Peru gestaltet sich schwieriger als erwartet. Im Ticketpreis nicht inklusive ist zu meiner Überraschung mein großer Rucksack. Der muss aber mit. Also beiße ich in den sauren Apfel und zahle 70 Euro für mein tragbares Haus. Meine Miene verfinstert sich allerdings noch einmal als mir die gute Frau am Schalter sagt, dass ich ein Ausreiseticket für Peru brauche, bevor ich überhaupt einreisen darf. Ganz dunkel kommt mir das bekannt vor. Also renne ich zum nächsten Internetpunkt und kaufe mir ein Ticket von Puno (Grenzstadt in Peru) nach La Paz für 12 Euro und bin mir fast sicher, dass ich es nie einlösen werde. Wie ich später erfahre, gibt es extra Internetseiten, die Fake-Tickets für solche Situationen ausstellen. Zurück zur Frau am Schalter. Sie macht schnell ein Foto vom Ticket und dann darf ich endlich zum Boarding. Dort kommt mein Rucksack nicht durch die Kontrolle. Angeblich habe ich scharfe Gegenstände dabei. Meine kleine Nagelschere und Nagelfeile habe ich in meinem Rucksack vergessen und jetzt landen sie im Müll. Ich stelle mir bildlich vor wie ich die Stewardess mit einer Nagelfeile bedrohe, damit sie mir ein vegetarisches Sandwich gibt. Aber noch nicht mal ein Sandwich ist im Flugticket inbegriffen. Das billigste Essbare was ich im Flughafen finde, ist eine Tüte Chips. Als ich sie in meinem Rucksack verstauen will, rufe ich laut Puta Madre! Es ist das Schimpfwort was ich schon so oft in Kolumbien, Ecuador und Peru gehört habe und diesmal ist es ein dreifaches Puta Madre! Kurz bin ich überrascht, dass ich sogar schon auf spanisch fluche, dann kommt der Ärger zurück. Als ich die Chips verstauen möchte, bemerke ich, dass ich zu viel Platz in meinem Rucksack habe. Das ist nicht gut. Das heißt immer: es fehlt etwas. Mein Schlafsack ist noch in Bogotá. Ich nehme ihn immer mit ins Handgepäck, weil die Busse in Südamerika durch die Klimaanlage so kalt temperiert werden, dass man fast erfriert. Warum das so ist, versteht keiner. Nun ist so eben ein Teil meines Schneckenhauses verloren gegangen. Dann auch noch mein Schutzmantel. Mein wärmendes Fell. Ausgerechnet jetzt wo es in den kalten Süden geht. Meine Chips und ich warten mürrisch am Gate. Dann muss ich mir jetzt eben eine extra Fettschicht gegen die Kälte zulegen. Hilft ja alles nix!

Die ersten Schneegipfel sind zu sehen. Langsam verliert das Flugzeug an Höhe. Lima begrüßt mich in bekannter Weise mit Nebel. Bei der Immigration nach Peru interessiert sich niemand für mein Ausreiseticket. Sehr schön. Ein aufgedrehter Taxifahrer bringt mich zum Gran Terminal Plaza Norte, dem größten Busbahnhof in Lima. Der Taxifahrer kann jedes Lied im Radio mitsingen und hat 14 Jahre in den USA gelebt. Aber es hat ihn wieder nach Peru gezogen. Weihnachten wäre hier besser, sagt er. Neben dem Busbahnhof befindet sich ein riesiges Shoppingcenter. Ich mache mich auf die Suche nach einem Schlafsack. Kurz bevor ich aufgeben möchte und meinem natürlichen Wärmespeicherplan mit Fast Food nachgehen will, finde ich doch noch ein Outdoor-Geschäft. Allerdings haben sie nur ein Monstrum von Schlafsack. Der Gedanke an die acht Stunden Fahrt in die Berge, schlägt die Zweifel in den Wind. Ich baue an. Mein Haus hat jetzt noch eine Garage. Wehe ich nicht mehr so schnell weg. Kurz vor Mitternacht rollt der Bus los von Lima wieder Richtung Norden. Ironischerweise ist die Heizung im Bus an.

Die Straßen sind noch fast leer am frühen Morgen. Die Innenstadt von Huaraz ist mit vielen Geschäften gesäumt. Rechts von der Hauptverkehrsader ist es sehr ruhig. Ich laufe den Berg hinauf bis zur Unterkunft. Doch anscheinend habe ich die falsche Straße erwischt und bin zwanzig Minuten in die falsche Richtung gelaufen. Puta Madre! Verschwitzt und müde komme ich endlich an. Es gibt eine heiße Dusche als Belohnung. Huaraz liegt in 3000 Meter Höhe und ist umgeben von imposanten Berglandschaften. Ein schneebedeckter Gipfel reiht sich an den nächsten. Zwei Stunden von Huaraz entfernt liegt der Nationalpark Huascarán, der einen großen Teil der Cordillera Blanca unter Schutz stellt. In dem über 3400 Quadratkilometer großen Gebiet gibt es unzählige Wanderwege, die über 16 Tage dauern können. Heiß empfohlen wurde mir der Trek zur Lagune 69, den man an einem Tag schaffen kann, wenn man zeitig aufsteht. Ganz nach dem Motto der frühe Vogel fliegt auf den Berg. Mit Fliegen hat die anstrengende Wanderung allerdings wenig zu tun.

Es ist mitten in der Nacht und der Wecker klingelt. Es gibt Leute, denen macht das zeitige Aufstehen nichts aus. Und dann gibt es mich. Aber seit ich die Fotos von der türkisblauen Lagune gesehen habe, bin ich ein Stück weit verliebt. Also schiebt sich mein Körper unter der warmen Bettdecke hervor in die noch kalte Morgenluft. Wir fahren mit dem Bus aus der Nacht der Sonne entgegen, die sich langsam hinter den Schneegipfeln zeigt. Das Aufstehen hat sich jetzt schon gelohnt. Die Bergriesen reihen sich aneinander bis wir von der Asphaltstraße auf eine Schotterstraße wechseln. Am Eingang des Nationalparks müssen wir acht Euro bezahlen und dann wird es richtig spannend. Mich umgeben hohe Felsmauern. Sie wirken wie abgehakt. Rote, braune, graue Farben wechseln sich in den Steinformationen ab.

Bevor die Wanderung losgeht, halten wir an einem See, dessen Farbe an schönste Karibikstrände erinnert. Nur gibt es hier eben noch Berge. Im Nationalpark soll sich angeblich auch der Berg befinden, der als Motiv für die bekannte Filmproduktionsfirma Paramount Pictures fungiert. Deswegen ist der Gruppenname unserer Wandergruppe Paramount. Vier Stunden dauert die Wanderung bis zur Lagune 69. Im Park gibt es über 400 Seen. Schon die ersten Meter begeistern mich.

Ein kleiner Bach schlängelt sich im Tal entlang. Aus den Felswänden sprudeln kleine Wasserfälle. Die Wanderstrecke gibt keinen Grund zur Langeweile. Die Flora und Fauna ist so abwechslungsreich, dass ich aus dem Staunen gar nicht mehr raus komme. Die ersten Wanderer kommen aus dem Schnaufen nicht mehr raus. Wir sind fast auf 4000m Höhe. Ich fühle mich gut und kann lange Strecken ohne Pausen laufen.

Vor mir türmen sich immer neue Schneeriesen auf. Langsam werden auch meine Schritte langsamer und die letzten Meter auf dem steinigen Untergrund eine kleine Tortur. Ich biege um die letzte Kurve und schon sehe ich es türkisblau schimmern.

Es ist ein wunderschöner Anblick. Wie ein seltener Stein liegt das saftige blau zwischen großen Felsen hinter denen Eisberge thronen. Es sind fast keine Menschen da. Ich laufe über Steine, um die Lagune von allen Seiten zu betrachten. Doch so sehr ich mich auch bemühe, ich bekomme die Lagune nicht in ihrer vollen Pracht auf ein Foto.

Langsam trudeln die anderen Wanderer ein. Einer will es wissen und hat sogar eine Drohne dabei, um DAS Bild zu bekommen. Ich erfreue mich am Rückweg, der nur noch bergab geht.

Am Abend schnalle ich mir wieder mein Haus auf den Rücken und diesmal komme ich ohne Umwege beim Busbahnhof an. Ich kuschle mich in meinen neuen Schlafsack und fahre durch die Nacht zurück nach Lima.


Nov 10 2018

Auf den zweiten Blick

San Gil, Kolumbien

von Rosa

Wie oft schmieden wir Pläne und sind dann enttäuscht, wenn sie sich nicht nach unseren Vorstellungen erfüllen. Südamerika hat mich wieder einmal gelehrt Pläne sind schön und gut, doch links und rechts der Route finden sich manchmal Begegnungen, die uns um so mehr ins Staunen versetzen.

Ich bin zurück in Kolumbien, um einen zweiten Blick zu wagen. Die Zeit von Quito nach Bogotá vergeht buchstäblich wie im Flug und bevor ich mich am Zusammenspiel von Bergen und Wolken satt sehen kann, landet die Maschine auch schon mehr oder weniger sanft auf dem grauen Asphalt. Die kolumbianischen Grenzbeamten möchten wissen, wo ich übernachten werde. Ich suche schnell ein Hostel raus und dann darf ich endlich passieren. Am Gepäckband wartet schon mein Rucksack und Gerald auf mich. Gerald hatte mich bei der Gepäckaufgabe gebeten seine zwei großen Nutella-Gläser schnell noch in meinen Rucksack zu stecken, da sein Koffer schon weg war und er seinen geliebten Schokoaufstrich nicht mit ins Handgepäck nehmen durfte. Wir müssen beide zum Busterminal. Es gibt einen Bus, den man bezahlen muss und einen, naja man quetscht sich einfach rein und fährt ein Stück bis zur Metrolinie. Dort dürfen wir auf der Metrokarte eines anderen mitfahren und so sind wir nach einer Stunde endlich am Busterminal. Zufällig fahren wir sogar beide Richtung Bucaramanga. Gerald kommt aus Venzuela und ist Technikbetreuer für ein Triathlonteam aus Ecuador. Triathlon ist in Venezuela, Kolumbien und Ecuador sehr bekannt und so kommt er ganz schön rum. Der Triathlonmann bedankt sich nochmal überschwänglich bei mir für den ungewöhnlichen Transport und freut sich schon auf die schokoverschmierten Gesichter seiner Kinder.

Fallen

Auch wenn ich schon einmal in San Gil war, gibt es viele versteckte Ecken, die ich noch nicht erkundet habe. Zum Beispiel den Wasserfall Juan Curi. Meine Wanderbegleitung heißt zufällig auch Juan und scherzt, dass ihm der Wasserfall gehöre. Wir laufen durch die verwachsene Natur und es geht steile Erd- und Felstreppen bis nach ganz oben. Mit den ersten Lichtstrahlen, die sich durchs dichte Blätterdach kämpfen, höre ich das Rauschen des Wasserfalls.

Die herunterströmenden Wassermassen verzaubern mich und ich fühle mich als hätte ich einen verborgenen Ort entdeckt. Vor rot-grünen Felsen, umgeben von verschiedensten Schlingpflanzen fällt das Wasser fast leicht nach unten in ein Zwischenbecken. Auf der anderen Seite geht nochmal ein Strom nach unten. Wir setzen uns auf Steinfelsen direkt neben den ins Tal fallenden Wasserfluss und genießen den Ausblick und unser Abendbrot. Am Ende des Regenbogens mag es Gold geben. Am Anfang des Wasserfalls ganz viele Glücksendorphine. Es ist möglich sich den Wasserfall hinunter zu seilen, auch „Rappeling“ genannt. Da die Sonne aber schon fast untergeht, ist keiner mehr da und mich interessiert es sowieso viel mehr ein Stück den Wasserfall hinauf zu klettern. Es ist gar nicht so einfach die klitschigen Felsen zu besteigen, Wege durch den Fluss zu finden und durch die Strömungen zu wandern. Doch es macht unglaublich viel Spaß. Ich stelle mich nah an das aufprallende Wasser und spüre die Kraft des Wassers. Hier oben ist es ziemlich kalt und windig. Auf dem abgesteckten Weg zurück zur Straße falle ich dann doch noch hin und ich habe blutige Schrammen an Knien und Händen. Und wieder mal denke ich: das ist leben. Verletzungen passieren nicht bei vermeintlich gefährlichen Aktionen, sondern wenn man über seine eigenen Füße stolpert.

In diesem Licht

Der Mond leuchtet hell in dieser Nacht. Es ist Vollmond. Zwischen dunkel und hell verwischen die Konturen. Dieser Ort, diese Zeit, dieses Licht – es füllt sich unwirklich an. Wie ein Traum.

Doch es existiert wirklich.

Drei Stunden von San Gil entfernt liegt ein Ort, der sich übersetzt Irgendwo im Nirgendwo nennt. Dieser Ort wird einfach nur das Dorf genannt. Eigentlich habe ich keine Lust drei Stunden auf einem Motorrad zu sitzen. Aber es soll sich lohnen. Was ich noch nicht weiß: zwei Stunden des Weges fahren wir Schotterpiste. Ich schlucke Staub. Auf dem kleinen Sitz werde ich hin und her geschoben. Schon nach einer halben Stunde tut mein Hintern ordentlich weh. Schlaglöcher, Steine, Wassergräben und doch wohnen hier Menschen. Fahren diese Strecke jeden Tag. Immer wieder zwischen den Bäumen zeigen sich mir Einblicke auf die Felswand des Canyon Chica Mocha. Ganz unten im Tal fließt ein kleiner Fluss. Das Szenario erinnert mich an den Grand Canyon. Die Felsen sind rot von grünen Färbungen unterbrochen.

Ab und zu sind 20 Meter lange Stücke der Straße mit Pflastersteinen ausgelegt. Ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir fahren vorbei an Bananenplantagen, einzelnen Häusern und aller 30 Minuten gibt es Verkaufsstände. Ein Leben am Ende der Welt. Wer hier kein Motorrad hat, ist aufgeschmissen. Auch Zehnjährige kommen uns auf den großen Maschinen entgegen. Ich bemerke gar nicht wie schnell es dunkel wird. Irgendwann geht die Straße nicht mehr weiter. Eigentlich. Doch nur weil da ein Sperrschild steht, heißt das noch lange nichts. Wir fahren im Slalom an Pflastersteintürmen und kleinen Baufahrzeugen vorbei. Es wird wohl wieder ein Stück Straße gebaut. Nach zwei Stunden Rüttelfahrt bergab bin ich froh, dass ich noch alle Zähne im Mund habe. Wir kommen tatsächlich in einem Dorf mit Häusern und geteerter Straße an. Es gibt nur wenige Lichter und es ist still. So still als würden alle Geräusche verschluckt werden. Ich fühle mich wie in einem Horrorfilm kurz bevor die typische Musik losgeht, damit auch niemand verpasst, dass jetzt gleich etwas Schlimmes passiert. Doch die Musik kommt nicht. Es ist weiterhin ruhig. Auf einer Straßenkreuzung spielen drei Kinder Fußball und ihre Väter schauen gelangweilt zu. Es gibt ein Geschäft, das natürlich Bier verkauft und alte Brötchen. Gut geschätzt von letzter Woche. Am Ende des Dorfes, in dem 50 Menschen leben, gibt es einen kleinen Teich und wie überall eine Kirche.

Es geht noch einmal 20 Minuten weiter bis zu unserer Unterkunft. Ich muss mehrmals absteigen, um zu vermeiden nicht ganz vom Motorrad zu fallen. Endlich biegen wir in die Einfahrt einer Finca und ab hier geht es nur noch zu Fuß. Am Ende eines Steinpfades liegt eine kleine Hütte vor der Betten stehen. Der Himmel ist bewölkt. Es ist fast nichts zu erkennen. Ich sitze eine Weile auf einer Mauer, starre in die Dunkelheit und sehe dem Wasser zu, wie es durch Strudel flussabwärts fließt. Dann brechen die Wolken auf und Fluss und Canyon werden in ein silbernes Licht getaucht. Felsen und Bäume nehmen Konturen an. Diese Farbe des scheinenden Mondlichts habe ich so noch nie gesehen. Meine Augen wollen zufallen, doch ich will nicht schlafen und diesen Moment vergehen lassen. Ich liege im Bett und starre den Mond an. Solange bis die Wolken wieder ihren Vorhang schließen. Der Mann im Mond verbeugt sich für seine unglaubliche Lichtshow und auch ich schließe endlich meine Augen. Unterm Himmelszelt mitten im Nirgendwo schlafe ich so sicher und gut wie nie zuvor.

Die Ruhe der Nacht ist dem Morgenspektakel der Vögel und Grillen gewichen. Die Sonnenstrahlen wärmen und kitzeln mich wach. All das was gestern noch im Verborgenen lag, eröffnet sich nun groß und farbenfroh meinem noch müdem Blick. Was meine Ohren hören, sehen meine Augen noch deutlicher. Ich bin nur von Natur umgeben. Am oberen Ende des Canyons stürzt ein Wasserfall in die Tiefe. Ein Kolibri labt sich an einer feuerroten Blume und ist so schnell wie er gekommen ist, fliegt er auch wieder weg. Das Wasser im Fluss schlängelt sich eifrig vorbei an den vielen Felsen, die sich stur dagegenstemmen. Nur die Sonne brennt unerbittlich und zeigt mir deutlich, dass ich hier nicht hingehöre. Das Thermometer zeigt 40 Grad. Ich blinzle der Sonne entgegen und bedanke mich für den Besuch.

Süß und herzhaft

Barichara ist ein Dorf, dass unter Denkmalschutz steht. Alle neuen Häuser müssen ebenso im kolonialen Stil der alten Häuser errichtet werden. Es ist ein hübsches kleines Dörfchen, was sich rausputzt. Am Wochenende kommen viele rausgeputzte Leute hierher, um zu flanieren. Wir sind nicht zum Flanieren, sondern zum Wandern hier. Die beste Zeit ist die Mittagszeit. Da brennt die Sonne so schön. Der Weg ist mit vielen Steinen gepflastert. Manchmal gerade, manchmal eher ungerade. Der Camino Real Trail führt von Barichara nach Guane und besticht durch seine unglaubliche Aussicht.

Das kleine Dorf Guane erscheint wie eine ruhigere Version von Barichara. Hier ticken die Uhren noch einmal langsamer. Nach zwei Stunden sind wir auf dem Hauptplatz angekommen. Im Schatten liegen Hunde und alte Männer mit Hut, die kaum Energie zum Schwatzen haben. Es gibt ein Museum und drei kleine Geschäfte. Eines verkauft cremigen Ziegenlikör, der mich an Eierlikör erinnert. In einem Tante-Emma-Laden soll ich Käse mit Bocadillo probieren. Bocadillo ist eine geleeartige Brombeerpaste, die einfach auf den Käse gelegt wird. Am Anfang schmeckt es süß und dann eben salzig herzhaft. Juan kann meine Abneigung gar nicht verstehen und verschlingt genüsslich das süße Käsestück. Ich bediene mich lieber beim Eis, das im Nachbardorf produziert wird. Es gibt alle möglichen Sorten. Eben der beliebte Käse mit Bocadillo, Avocado, unzählige einheimische Früchte und „Tres Leches“. Letzteres ist ein Cremeeis aus Kondensmilch, karamellisierte Milch und normaler Kuhmilch und schmeckt einfach zum Dahinschmelzen. Der Tante-Emma-Laden ist auch eine Art Kneipe und so ist der nette alte Mann hinter seinem Tresen nie allein. Er hört den neusten Dorfklatsch und die Geschichten der Reisenden.

Frühshoppen

Ich bin zu einem Barbecue eingeladen. Schön denke ich. Bis ich erfahre, dass es 10 Uhr Morgens stattfindet. Die spinnen die Kolumbianer. Kurz vor 11 Uhr tauche ich auf und tatsächlich brutzelt das Fleisch schon auf dem improvisierten Grill vorm Haus. Auf den Grill wird alles geworfen, was irgendwann mal in oder an einem Tier war. Von runden kleinenWürstchen über Schweinelenden, blutiger Leber und Kuhdarm ist alles dabei. Eine harte Show für eine Vegetarierin. Es gibt aber zum Glück auch noch Maiskolben, Kartoffeln, Yuca (schmeckt ähnlich wie Kartoffel) und Salat. Alle sind gut drauf, obwohl jeder den Gastgeber nervt, wo denn das Bier bleibt. Dann kommt die ersehnte Lieferung endlich an. Das Moped bringt einen Kasten Bier und jetzt sind alle glücklich. Nach fast einer halben Stunde ist das Bier aber schon wieder alle und Nachschub muss her. Im Supermarkt kauft hier keiner Bier. Viel zu teuer. Dafür gibt es extra Getränkelieferannten. Es ist zwei Uhr Mittags und alle sind gut angetrunken. Die Geschichten werden wilder, das Lachen lauter und der Bierkasten leerer. Gegen drei verabschieden sich die ersten und werden hinten aufs Moped gepackt. Auch mir ist jetzt eher nach einem Nickerchen zu Mute. Den Rest des Tages bin ich mit Ausnüchtern beschäftigt. Ich finde es ein bisschen komisch so zeitig mit Trinken anzufangen, weil dann der Rest des Tages eher weniger zu gebrauchen ist. Aber so versichern mir die andern, ist man am nächsten Tag wenigstens wieder nüchtern. Macht schon Sinn, wenn man auch am Sonntag trinken will.

Sprung mit Folgen

Es ist mal wieder heiß in Santander. Santander ist die Provinz in der ich gerade für zwei Wochen lebe. Das Wandern geht mir heute trotzdem leicht von der Hand. Allerdings hätte ich mich für lange Kleidung entscheiden sollen. So sind meine Beine schon nach kurzer Zeit von den Sträuchern in Mitleidenschaft gezogen. Wir sind in Curiti an einem Fluss, der durch natürliche Pools zum Baden einlädt.

Juan war vor vier Jahren zum letzten Mal hier und da sah alles noch ganz anders aus. Er meint es gäbe einen Stelle, wo man von sechs Metern ins Wasser springen kann. Doch der Weg wird immer verwachsener und die Sonne brennt in der Mittagshitze. Also kehren wir um zu einer anderen Badestelle. Das Wasser ist kalt, aber das tut gerade sehr gut auf der Haut. Ich schwimme ein paar Runden, bis mich Juan fragt, ob ich nicht von dem Felsen springen möchte. Bei meinem letzten Besuch hier habe ich viele Einheimische springen sehen. Ich klettere auf den vier Meter hohen Felsen, nehme Anlauf und springe von der Kante. Der Flug ins Wasser kommt mir recht lang vor. Dann lande ich und ziehe meine Füße ein. In diesem Moment erwischt mich ein stechender Schmerz. Genauer gesagt in meinem linken Ohr. Es sind wie Nadelstiche, die sich durch mein Ohr ziehen. Ich gehe so schnell wie möglich aus dem Wasser und wir fahren zurück. Tabletten und ein Wärmekissen helfen mir den Schmerz zu lindern. Als ich bei Dr. Google nach Symptomen suche, bestätigt sich mein Verdacht. Beim Aufprall ins Wasser kann das Trommelfell reißen. Normalerweise verheilt der Riss von alleine, es sei denn Wasser und Bakterien verursachen eine Entzündung.

Die Schmerzen sind auch am nächsten Morgen noch da. Ein dumpfes Gefühl, ich höre schlechter und ab und zu heftiger stechender Schmerz. In San Gil gibt es genau einen HNO-Arzt. Als ich die Praxis betrete muss ich zweimal schauen, ob ich hier richtig bin. Warte- und Behandlungszimmer sind ein großes Wohnzimmer. An den Wänden hängen Bilder vom Arzt. In der Mitte steht ein Behandlungsstuhl aus dem 19. Jahrhundert und am Eingang warten auf Holzbänken zwei Patienten. Dazwischen eine Frau auf einer Liege, die an einem Beatmungsgerät hängt. Ich werde in ein paar Minuten ihren Platz einnehmen. Es geht überraschend schnell. Ich setzte mich auf das antike Möbelstück und der Arzt schaut mir in die Ohren, Nase und Mund. Kein Riss zu sehen, meint er. Dafür eine starke Schwellung und eine Entzündung. So richtig plausibel wie sie entstehen konnte erklärt der Arzt nicht. Durch den Aufprall hätte es einen Schlag gegeben, der den Muskel verletzt hat. Er verschreibt mir zwei Tabletten für zehn Euro, 20 Minuten am Beatmungsgerät und vier bis fünf Tage Ruhe. Kein Wasser an die Ohren und keine Musik. Was für ein Leben.

Um sicher zu gehen, dass es kein Trommelfellriss ist, hole ich mir noch eine zweite Meinung bei einem Allgemeinarzt ein. Sein „Praxiszimmer“ befindet sich in einem Hinterzimmer einer Apotheke. In diesem Raum befindet sich genau eine Pritsche und ein Kühlschrank auf dem Spritzen und Medikamentenschachteln verteilt liegen. Auf eine Taschenlampe schraubt er das Otoskop, um in mein Ohr zu schauen. Auch er stellt keinen Riss, sondern nur die Entzündung fest. Allerdings empfiehlt er mir eine Spritze für 20 Euro mit der morgen alles weg ist. Nadeln finde ich grundsätzlich nicht besonders sympathisch und deswegen lasse ich mir lieber schmerz- und entzündungshemmende Tabletten geben. Die Ibuprofen 800 bekomme ich ohne Rezept. Für den Notfall ist das vielleicht nicht ganz schlecht. Beide Ärzte empfehlen mir viel Kaugummi kauen, um den Ohrmuskel zu lockern. Da hätte ich doch lieber wieder eine Mandelentzündung. Damals hat der Arzt empfohlen ganz viel Eis zu essen.

Der König der Löwen

Meinen Ohren geht es täglich besser, auch wenn Heilung länger braucht als erwartet. Die Zeit in Kolumbien neigt sich dem Ende. Ich gehe nicht ohne mich von meinem Lieblingscanyon zu verabschieden. Mein Hintern und ich nehmen nochmal eine huckelige Fahrt in Kauf, um an einen ganz besonderen Ort zu kommen. Wieder einmal gibt es keine richtige Straße mehr, aber dafür ein Seniorenzentrum, ein Tanzlokal und Kneipen. Ich bin überrascht von der Infrastruktur an diesen abgelegenen Orten. Das ländliche Leben ist im Gegensatz zu manchen Gegenden in Deutschland gut organisiert. Es ist eben was du draus machst. Die Polizei scheint hier auch eher selten vorbeizukommen. Also fahren alle ohne Helm. Bei diesen Straßen ist es sowieso unmöglich schneller als 30 km/h zu fahren. Ein Bauernhof dient als Parkplatz für das Motorrad und wir laufen über Stock und Stein bis uns eine Ziegenherde den Weg versperrt. Die Tiere sind leider schwer davon zu überzeugen den Weg frei zu machen. Wir geben auf und laufen einen kleinen Umweg. Dann stehen wir vor einem Haus was den Weg versperrt. Doch links am Zaun führt ein kleiner Trampelpfad zu einem Punkt, der sich tief in mein Gedächtnis brennen soll. Ich stehe auf einem Steinplateau und fühle mich wie der König der Löwen.

Unter meinen Füßen eröffnet sich der gesamte Chica Mocha Canyon. In meinem Kopf spulen sich die Bilder der Wanderungen, der Felsen, Staubwolken, Kolibris, das Geisterdorf und das Licht im Mond ab. All diese Bilder und die Aussicht machen mich unglaublich glücklich. Nur das Meckern einer Ziege reißt mich aus meinen Erinnerungen und mahnt mich, dass es Zeit ist weiter zuziehen, um neue Erinnerungen zu schaffen.

Wir werden manchmal müde etwas lange anzuschauen. Vielleicht vergessen wir das Gefühl, wie es war, etwas zum ersten Mal zu sehen. Vielleicht erscheinen uns Berge, Täler, Meere irgendwann gleich. Doch ich kann immer noch staunen. Auch noch beim zweiten Mal hinsehen. Und so lange ich staunen kann, möchte ich reisen.


Okt 16 2018

Vom Schnee verweht

von Rosa

Autsch! Das tat weh. Gerade schaue ich noch in die Augen eines süßen Hundes, der mich an einen Teddybären erinnert. Schon erinnert er mich daran, dass Hunde eben nicht nur niedlich sind. Mit einem Satz ist mir der flauschige Bär von Hund an mein Bein gesprungen und hat einmal in den Oberschenkel gebissen. So schnell er da war, ist er auch wieder weg. Der Hund hat tatsächlich ein Stück meiner Hose rausgerissen. Der Biss war zum Glück nicht tief. Die Hunde in Südamerika sind mir irgendwie nicht so zu getan oder eben doch. Wie man es sieht. Bekanntschaften schließe ich jedenfalls leicht mit Ihnen und eine Einladung brauchen sie dafür auch nicht. In solchen Momenten bin ich immer froh über meine Tollwut-Impfung.

Wenn man so möchte ist heute nicht mein Tag. Am Busbahnhof von Baños läuft noch alles glatt. Ich erwische innerhalb von fünf Minuten einen Bus nach Machachi. Von dort aus möchte ich den Cotopaxi zumindest bis zum Base Camp besteigen. Ich sage dem Busfahrer noch, dass er mir bitte Bescheid geben soll, wenn wir in Machachi sind. Als ich nach einem kurzen Nickerchen aufwache, denke ich die Stadt kennst du doch. Sie ist ungewöhnlich groß und zu dicht besiedelt für alle Städte auf dem Weg. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. Als ich die ersten Metrostationen sehe, bestätigt sich dieses. Wir sind in Quito. Ich frage beim Busfahrer nach, warum er mir nicht Bescheid gesagt hat. Er zuckt nur mit den Schultern und meint schlafen wäre gesund. Etwas angesäuert verlasse ich den Bus und suche im Terminal Quitumbe nach einem Bus, der zurück nach Machachi fährt. Der ist gar nicht so einfach zu finden, weil er nicht bei den anderen Bussen abfährt. Dann sitze ich aber doch in einem überfüllten grünen Bus nach Machachi. Neben mir eine Mutter mit drei Kindern. Das Kind auf dem Rücken versucht mich die ganze Zeit mit seiner Mandarine zu hauen. Den Vater scheint das alles nicht zu stören. Er schaut lieber ein Fußballspiel auf seinem Smartphone. Er bewegt sich auch nicht als seine Frau versucht alle drei Kinder gleichzeitig zu beruhigen. Diesmal bleibe ich wach und steige tatsächlich in Machachi aus. Im Starkregen laufe ich zur Unterkunft. Kurz vor dem Eingang dann das Kurz-Intermezzo mit dem Teddybär-Hund.

David, der Besitzer, begrüßt mich und erklärt mir gleich welche Optionen ich habe um zum Cotopaxi zu kommen. Da ich nur bis zum Base-Camp möchte, stelle ich es mir nicht so schwierig vor. Doch das ist es wohl. Machachi befindet sich noch einmal 40 Minuten vom Eingang des Nationalparks entfernt. Hmm. Er bietet zwei anderen Reisenden und mir eine Tour für jeweils 25 Euro an. Der Parkeintritt ist immerhin schon inklusive. 7:30 Uhr geht’s los. David empfiehlt Doro, Johanna und mir zum Abendbrot ein Steakhouse. Es wäre die beste Option für Vegetarier. Da freuen wir uns drei Vegetarier doch und sind schon gespannt auf die Karte. Es gibt Pommes. Salat, Gemüsepfanne und Suppe stehen zwar auf der Karte, aber heute nicht verfügbar. Nun gut. Wenigstens wurden unsere niedrigen Erwartungen erfüllt.

Für die Wanderung dürfen wir uns am Eingang des Nationalparks noch Handschuhe kaufen und dann rollt der Kleinbus auch schon an mehreren schneebedeckten Gipfeln immer weiter Richtung Cotopaxi. Serpentine für Serpentine. Der Untergrund ist Vulkangestein. Trotzdem gut zu befahren. Eigentlich. Wir stecken fest. Die Räder vergraben sich immer tiefer im Sand bis gar nichts mehr geht. Einige andere Autos halten an. Gemeinsam versuchen wir den Kleinbus nach oben zu schieben. Keine Chance. Letzte Hilfe ein Abschleppseil. Mittlerweile hat sich eine richtige Menschentraube versammelt und feuert fleißig an. Der Kleinbus bewegt sich ein Stück, ein weiteres Stück und ist befreit. Es kann weiter gehen. Bis zum Ende der Straße kommen wir nun problemlos. Von hier ist es eine weitere Stunde bergauf zu Fuß. Klingt machbar. Ist es auch, aber die Luft auf 4600 Metern ist doch etwas dünn und so werden die Schritte kleiner und die Pausen größer. Die Aussicht nebelverhangen. Ich rutsche im Gemisch aus schwarzer Vulkanasche und Schnee. Es geht ein kalter Wind. Dann endlich sehen wir das Refugio.

Von hier aus machen sich die Bergsteiger auf, die bis zum Gipfel auf 5800 Metern klettern. Dafür allerdings braucht man gute Kondition, Ausrüstung und Erfahrung. 50 Prozent schaffen es nicht. Unser Guide war bis 2002 mehr als 200 mal auf dem Gipfel. Dann hat er aufgehört zu zählen. Sein Leben sind die Berge. Wir laufen noch einmal weiter bis zu den Gletschern. Das Wetter wird ungemütlicher. Der Untergrund nun Eis und Schnee. Die Höhe erreicht meinen Kopf und mir ist ein wenig schwindelig. Vor ein paar Jahren war der Gletscher noch mehrere 100 Meter weiter unten.

Für einen Moment reißt der Himmel auf und die Sonne zeigt, wie schön das im Verborgenen ist. Weit oben erleuchten, von der Sonne in Szene gesetzt, die schönsten und skurrilsten Eisskulpturen. Es bleibt nur Zeit für ein Foto in unserer Erinnerung. Gut abgespeichert. Dann fällt der graue Vorhang wieder und wir rutschen langsam ins Tal. Aus den Schneeflocken werden schwere Regentropfen. Wir halten noch bei einer Lagune die sich in wunderbarer Kulisse vor einem Berg mit weißen Spitzen präsentiert.

In unserer Unterkunft wärmen wir uns mit heißer Schokolade dann geht es zurück nach Quito. Der Bus bis in die Hauptstadt ist schwer zu finden. Jeden, den wir fragen hat einen anderen guten Rat. Am Ende hält mit quietschenden Rädern ein klappriger Bus und wirft uns am Terminal Quitumbre aus.

Der Weg zum Cotopaxi war anstrengend. Seit ich ihn zum ersten Mal in Quito von Weitem bestaunen konnte, ein Ziel auf der Reiseliste und der Wunsch ihn von Nahem zu sehen. Wie es mit Erwartungen so ist, werden sie auch manchmal nicht erfüllt. Den glitzernden Schnee des Gipfels im Sonnenlicht habe ich nicht gesehen. Dafür einen rauen Riesen, der es seinen Bezwingern gerne schwer macht und sie auch mal im Nebel stehen lässt. Das Postkartenmotiv kann man eben nicht erleben.