Dez 15 2018

Million unterm Blätterdach

Mendoza, Argentinien

Von Karl

 

Als ich aufwache und aus dem Fenster schaue, sehe ich wieder die weiten Flächen mit ihren grünen Sträuchern und Bäumen. Ab und zu kommt ein Feld. Doch mitunter mischen sich auch Weinfelder dazwischen, was meine unmittelbare Ankunft in Mendoza anzeigt, weil die gleichnamige Provinz landesweit berühmt für ihren Wein ist. Je näher wir der Großstadt kommen, desto deutlicher treten auch die Anden dahinter in Erscheinung. Direkt auf der anderen Seite der weißen Gipfel liegt Santiago de Chile und dazwischen liegt der höchste Berg außerhalb Asiens, der Aconcagua. Mendoza ist wohl Ausgangspunkt für dessen Besteigung, welche allerdings zwei bis drei Wochen dauern.

Was schnell auffällt, wenn mensch in Mendozas Straßen wandelt, sind die vielen Alleen. Es gibt so gut wie keine Straße, die nicht mit Bäumen begrünt ist. Mauro, mein Gastgeber, erklärt mir, dass für das Fällen Strafen verhängt werden. Mauro bewohnt eine kleine saubere Wohnung im wohlhabenden Westen der Stadt. Er ist noch ganz fertig von dem Trinkgelage am Vorabend, sodass ich relativ schnell die Wohnung übernehme. Wo ich auch gerne bin, da es tagsüber schon locker über 30 Grad werden und seine Wohnung ist klimatisiert. Wir sind uns sogar einig, kältere Temperaturen sind schöner. An den nächsten Tagen zeigt er aber seine krassen Kochkünste und wir diskutieren viel.

Kochkunst a la Mauro, dahinter frische Empanadas, die hier gewöhnlich als Dutzend („Docena“) verkauft werden

Dauerbrenner in Argentinien ist seit einiger Zeit die Abtreibungsdiskussion. Es gibt eine breite Bewegung die ein Recht auf kostenlose und legale Abtreibung fordert. Bislang ist nur in bestimmten Fällen, wie z.B. nach einer Vergewaltigung oder wenn Gefahr für Kind oder Mutter besteht, die Abtreibung erlaubt. Endgültig entscheidet aber dies immer noch eine andere Stelle, die, wenn ich das richtig verstanden habe, auch kein*e Mediziner*in ist. Sie kann also trotz Gefahren oder Vergewaltigung die Abtreibung verbieten. In Trelew, in der Provinz Chubut, haben sich erst vor wenigen Wochen 50.000 Frauen zu einem jährlich stattfindenden Kongress getroffen, wo es vor allem um die Forderung nach der Legalisierung ging. Am Rande kam es zu Ausschreitungen und eine Kirche wurde angezündet. Denn die katholische Kirche ist für das Abtreibungsverbot. Seitdem haben viele Frauen in Argentinien das grüne Halstuch als Protestsymbol und ich habe das grüne Halstuch sehr oft auch im Alltag gesehen. Ein erster Versuch der Legalisierung ist am Senat gescheitert. Die Abgeordnetenkammer, die landesweit gewählt wird, hat dem Gesetzesentwurf bereits zu gestimmt, aber der Senat, der aus von den Provinzen entsandte Senator*innen besteht, hat diesen abgelehnt. Angesichts der breiten Unterstützung der Bewegung halte ich es aber nur für eine Frage der Zeit, dass auch in diesem Bereich die Frauen ihre Selbstbestimmung erlangen. Damit würden sie sogar Deutschland überholen. Eine interessante Rolle spielen dabei auch die Medienberichte. Als ich zufällig Nachrichten sah, kommentierte der Sprecher die feministische Bewegung als „Feminazis“. Das ist ein von den Gegner*innen gewählter Ausdruck um die Forderungen als zu hysterisch, übertrieben, verbohrt, etc. abzuwerten. Er verwendet den Ausdruck als sei es die normale Bezeichnung für die Feminist*innen. Das ist dann wohl nicht mehr die objektive Berichterstattung.

Schnell verliebe ich mich in das Stadtbild mit den vielen Bäumen. Sie machen diese Stadt sehr lebenswert und schützen die Gehwege vor der intensiven Sonne. Eine Stadtführerin erklärt mir, dass sie im Sommer nicht empfiehlt nach Mendoza zu kommen. Tatsächlich ist der Gran Chaco, also die nördliche Region Argentiniens, der Hitzepol Südamerikas und weißt Temperaturmessungen von über 40 Grad auf.

Ein guter Ort gegen die Hitze und für eine Siesta ist auch der Parque San Martín im Westen der Stadt. Der ist tatsächlich sehr groß angelegt mit einem See und einen Hügel, von dem aus über die Stadt geschaut werden kann. Diese jedoch hat durch die vielen Bäume ein ganz anderes Gesicht und mensch könnte denken, es ragen nur ein paar Gebäude aus dem Wald hervor. Dabei lebt da knapp eine Million Menschen. Parks in Städten gibt‘s ja viele, aber einen so großen, dass für Lauf- und Rad-Einheiten Auswahlmöglichkeiten bestehen, soweit schaffen es die wenigsten.

Parque San Martín

Mauro ist etwas feinfühliger als ich und fragt mich ob ich das Erdbeben vor 10 Minuten mitbekommen hätte. Online lässt es sich verifizieren, es gab tatsächlich eines. Aber ich hab‘s bei besten Willen nicht mitbekommen. Ich bin schon etwas enttäuscht, denn ich hab noch nie ein Erdbeben erlebt …

Eigentliches Standbein der Region ist nicht der Wein, sondern das Erdöl. Davon bekommt mensch aber in Mendoza nicht so viel mit. Größere Erdgas-Vorkommen Argentiniens haben auch dazu geführt, dass es in den südlichen und kälteren Regionen die Häuser mit Gasheizungen ausgestattet sind. Aber meist dann doch nicht in jedem Zimmer, sondern im wichtigsten Zimmer mit einem einzelnen Heizkörper. Wer übrigens eine typische Rebsorte aus Argentinien beziehungsweise Mendoza probieren möchte, sollte nach Malbec Ausschau halten. Sie ist wohl sehr fruchtig würzig. Wein wird von allen Gesellschaftsschichten getrunken, bis hin zu den Alkoholabhängigen gescheiterten Seelen der Straße. Es ist günstiger als Bier zu trinken.

Ein weiteres Kuriosum, was ich mal niederschreiben möchte, ist der Cannabis-Konsum. Gefühlt fast jede*r in Chile und Argentinien konsumiert und einige bauen auch an. Es ist nirgends legal, aber es gibt auch so gut wie keine Kontrollen. Selbst im Freien wird gern eine Tüte gedreht und solange mensch nicht direkt vor der Polizeiwache dies tut, gibt es auch keine Probleme. Jede Stadt verfügt deshalb auch über die entsprechenden Grow-Shops.

Was nun aber Mendozas absolutes Kuriosum ist, ist die Straßenbahn. Es gibt tatsächlich eine einzige Linie, die mit roten Wagen verkehrt und „grüne Linie“ heißt. Mauro versteht meine Verwunderung nicht so sehr. Ich dagegen frag mich ob es zu weit weg ist um es als „realer Irrsinn“ bei Extra 3 vorzuschlagen.


Nov 29 2018

Bei Magellan und Humboldt

Von Karl

 

Auf nach Chiloé

Über einen Betonkai schleicht der Bus, setzt an und fährt die Fährrampe hinauf und kommt am anderen Ende der  zum Stehen. Ich steig aus und schon beginnt die Fähre abzulegen und hebt die Heckklappe an. Die Sonne neigt sich zum Horizont. Der Wind pfeift eisig und kalt über die glatte See. Flach liegt sie da. Flach und grün, die Küste vom Festland und gegenüber, hinter dem Vorhang eines Regenschauers, die Küste der Insel Chiloé. Als wenn sie ruhig und stumm ist. Voller spannender Geheimnisse. Wie ein*e Seefahrer*in. Ohne viele Worte, doch voller Erlebnisse und Geschichten.

Die steife Brise trägt Tröpfchen mir ins Gesicht. Auch wenn es äußerlich kalt ist, so strahlt doch irgendwie die Begeisterung über die raue Natur in mir. Doch nach einer Weile wird mir ziemlich kalt und ich geh dann doch lieber in den warmen Bus. Der hat zum Glück Fenster.

Ich bin nun also auf der Insel Chiloé. Sie ist zehn Mal so groß wie Rügen, hat aber nur ein fünftel so viele Einwohner*innen pro Quadratkilometer. Besonders der südwestliche Teil ist so gut wie unbesiedelt. Es gibt zwei „größere“ Städte mit 27.000 Menschen in Ancud, ganz im Norden, und 41.000 Menschen in Castro, ganz im Osten der Insel.

Der einzig verlässliche ständige Zugang zur Insel führt über die Fähre zwischen Pargua und Chacao, ganz im Nordosten. Andere Fähren fahren nur selten. Buslinien von und auf die Insel gibt es auch nur über diese Fähre. Es wurde zwar mit dem Bau einer der weltgrößten Hängebrücken begonnen, jedoch später wurde das Projekt wieder aufgegeben.

Ich steige in Ancud aus und beginne etwas durch die Straßen zu schlendern. Die Wege sind feucht und nass. Die Häuser aus Holz und einfach gehalten. Reichtum gibt es hier nicht. Große Shopping Malls gibt es nicht mehr und die günstigen Supermärkte sind namenlos. Unter wenigen diffusen Straßenlaternenlicht begebe ich mich nach einer Weile auf die Suche nach meiner heutigen Unterkunft. Wir hatten uns auf 21 Uhr verabredet. Die Stadt ist sehr hügelig und manche Straße verlässt ihren Asphalt und wird schlammig. Ich sehe kaum Menschen oder Autos.

Seit längerem sortieren sich Straßenzüge in etwa so, dass meist die hunderter zwischen zwei Blöcken sich befinden, dass heißt nach der Kreuzung beginnt der nächste Hunderter. Wenn ich also vor Hausnummer 332 stehe, dann kommt nach der nächsten Kreuzung mindestens die Nummer 400 oder 299. Manchmal sind auch die geraden Nummern auf einer Seite und die ungeraden auf der anderen. Ich orientiere mich aus Erfahrung und gelange an das Ende der Straße. Dort liegt eine kleine Polizeikaserne und ich frage, ob sie meine gesuchte Hausnummer kennen. Ich werde direkt zum Chef gebracht, aber der denkt, ich suche eine Unterkunft und zeigt auf die angrenzenden unbeleuchteten Cabañas (Bungalows). Heute also kein Freund und Helfer. Der Wachpolizist vor der Baracke zeigt mir dann auf seinem Handy wo mein gesuchtes Ziel liegt. Irgendwie hatte ich es schon gerochen, dass hier andere Nummerierungsregeln herrschen.

Maria und Matias

Maria macht mir die Tür auf und ich betrete das wohlig gewärmte Haus. Auch ihr Freund Matias begrüßt mich sehr freundlich. Wir fangen direkt an alles zu teilen und sie öffnen eine Flasche guten chilenischen Wein. Salzkekse, Käse, Hummus, … ein Träumchen sag ich euch. Auch sie heizen die zwei Stockwerke ausschließlich mit dem Ofen in der Küche. Nebenan hacken die beiden ab und zu das Holz dafür. Es ist halt die günstigste Möglichkeit und das Holz kommt mit dem LKW zur Haustür. Alle Häuser auf Chiloé sind aus Holz und werden damit geheizt. Was sonst. Sie sind nicht die reichsten und irgendwann tropft es von der Decke.

Wir kommen sehr gut ins Gespräch. Beide sind sehr belesen und können über Mistral und Neruda streiten. Maria und ich bevorzugen Neruda, Matias Mistral. Beide sind auch Mitglieder der jungen Partei „Revolución Democratica“ (demokratische Revolution) und bekennende Sozialist*innen. Die junge Partei entstand 2011/12 aus den starken Bildungsprotesten in Chile, die bis heute eine kostenfreies Bildungssystem fordern. Bei den letzten Präsidentschaftswahlen 2017 war sie Teil der „Frente Amplio“ (breite Front), einem Zusammenschluss verschiedener linker Parteien um eine eigene Kandidatin (Beatriz Sánchez) nach vorn zu bringen. Völlig unerwartet erreichte das Bündnis über 20% und verpasste damit die Stichwahl nur um 2,5%. Trotzdem sind sie nun mit 20 Abgeordneten im Kongress vertreten und stellen den Senator in Valparaiso. Die meisten Stimmen für die Frente Amplio holte die Revolución Democratica.

Maria ist deswegen besonders stolz und war sogar Wahlkampfmanagerin für zwei Kandidat*innen in Santiago. Zur Zeit ist sie so was wie die innerparteiliche Juristin und kann entspannt von zu Hause aus z.B. Schiedsgerichtsfragen klären. Gewonnen hat die Wahl der rechts-konservative Präsident Sebastián Piñera, den wir ab der zweiten Flasche Wein nur noch „den Clown“ nennen. Der bringt das Land zwar nicht nach vorne, aber macht auch nur irgendwelchen populistischen Schnickschnack. So gilt seit März eine Begrenzung von maximal 2 Plastiktüten pro Einkauf. Das ist ja ganz cool, aber es kann nicht kontrolliert werden. Und ansonsten gibt es kaum ökologische Bestrebungen. Der Bergbau als wirtschaftlicher Motor des Landes, sucht immer neue Ressourcen und natürlich wird auch auf Chiloé gesucht. Aber die Chilot*innen gelten als strikte Umweltverteidiger*innen, sodass größere Eingriffe in die Natur zu massiven Protesten führen würden.

So erklärt mir Matias, dass eine gelb-blühende Pflanze auf Chiloé sich invasiv ausbreitet und dabei andere Pflanzen durch ihre Wurzeln killt. Sie sieht tatsächlich sehr hübsch aus, aber ist dummerweise eine Gefahr für die Natur der Region. Ähnliches gilt für die industrielle Lachs-Produktion. Immer wieder brechen Lachs-Schwärme aus ihren Aufzucht-Gefängnissen aus und bedrohen die vielfältige Meeresflora. In dem Zusammenhang steht auch die invasive Ausbreitung einer roten Alge in allen Gewässern rund um die Insel.

Blick von Ancud; hinten: eine weitere Insel; vorne rechts: die invasive Pflanze

Als wir wieder über den Clown sprechen, meinen sie, dass die wirkliche Gefahr in Lateinamerika bald von Jair Bolsonaro ausgeht. Der frisch gewählte brasilianische Staatspräsident bedient die faschistische Klaviatur und ist in seinem Populismus mit Trump zu vergleichen. Er befürwortet die Militärdiktatur, hetzt gegen Frauen, Homosexuelle, die freie Presse, Schwarze und beabsichtigt Klima- und Umweltschutzmaßnahmen komplett zurück zu nehmen. Was das bedeutet, wird die Welt nun ab dem 1. Januar 2019 sehen, wenn er dann sein Amt antritt.

Mittlerweile ist es schon 3 Uhr nachts durch und der Wein alle. Nachdem wir diskutiert haben, ob wir angesichts des Klimawandels noch warten können bis sich der oder die letzte freiwillig entschieden hat, ob er vielleicht auf eine Plastiktüte verzichten mag, oder ob es unpopuläre Methoden bedarf … gehen wir dann ins Bett.

Ancud und 1960

Ich nutze den schönen neuen Tag um Ancud etwas zu erkunden. Tatsächlich erscheint mir die Stadt wie Warnemünde im Frühling. Der stete Wind treibt die Wellen gegen die Wasserkante. Immer wieder speit dann eine Welle über den Betonmauer. Es ist grad auflaufende Flut. Die flachen bunten Häuser liegen geduckt in dem grün der Hügel. Das Zentrum am Wasser wird grad neu gestaltet und ist deshalb als Baustelle gesperrt. Es gibt noch ein altes spanisches Fort, aber das eigentlich bedruckende ist die Landschaft außenrum. Ein versteckter Strand, die Bucht, das ständige Grün (mit gelben Punkten), die Muschel-Wege, … Ja tatsächlich wurden manche Wege einfach aus Muscheln gemacht. Im Zentrum gibt es einen traditionellen Markt in einer neu gestalteten Halle. Hier gibt es Muscheln, Algen und andere Wasser- und Waldpflanzen in Unmengen. Bei 95% kann ich nicht sagen, was das ist, oder wozu das gegessen wird. Es gibt auch eine Sonderart des Knoblauchs. Die Zehen sind gut dreimal so groß wie gewöhnlich und die Knollen machen locker den Zwiebeln Konkurrenz. Auf einen ersten flüchtigen Blick sieht mensch dann auch nicht unbedingt, dass es Knoblauch und keine Zwiebel ist.

Überall hängen Plakate, wie auch schon in Puerto Montt, dass bald eine Erdbeben– und Tsunami-Übung bevorsteht. Alle sind aufgefordert an der Übung teilzunehmen. Es werden schon Regionen definiert, die besonders von der Übung betroffen sind. Eigentlich alle, die von einem größeren Tsunami überschwemmt werden könnten. Ich verlasse die Insel leider kurz vor der Übung in den nächsten Tagen. Solche Übungen haben für die Region eine besondere Bedeutung.

1960 kam es in ganz Süd-Chile, mit dem Epi-Zentrum bei Temuco, zum größten je aufgezeichneten Erdbeben der Welt. Mit 9,5 auf der Richter-Skala kam es zu katastrophalen Zerstörungen. Ein bis zwei Millionen Chilen*innen wurden obdachlos, was ca. ein Viertel der gesamten Bevölkerung war. Erdbeben dauern normalerweise nur wenige Sekunden, doch dieses hielt ganze fünf Minuten an. Der ausgelöste Tsunami erreichte eine Höhe von 25 Metern. Die Bucht von Valdivia war für eine Stunde trockengelegt, weil sich erst das Wasser zurückzieht bevor die Welle kommt. Der Tsunami erreichte noch in Hawaii 11 Meter und tötete noch über hundert Menschen in Japan. Selbst erdbebensichere Gebäude hielten den Erschütterungen nicht stand. Auch Vulkanausbrüche wurden ausgelöst und die Küstenlandschaft hat sich mancherorts erheblich verändert.

Bild aus dem Regionalmuseum in Ancud: Meerbeben 1960, Am Donnerstag den 22. Mai 1960 um 15:11 Uhr …

Vor der Küste Chiles schiebt sich die ozeanische Platte unter die kontinentale Platte, wodurch es die Vulkane, Erdbeben, Tsunamis und Anden überhaupt gibt. Bei dem „großen Chile-Erdbeben“ wurde ruckartig ein 200 Kilometer breiter kontinentaler Block 20 Meter nach Westen bewegt und angekippt. Die extreme Energie die durch das Beben freigesetzt wurde, führte auch dazu, dass sich die Erdachse um drei Zentimeter verschoben hat. Ich bin ganz froh, dass ich hier kein Erfahrungsbericht dazu niederschreiben kann.

Maria allerdings kann von einem Beben und Tsunami in Valdivia berichten. Tatsächlich ist sie auch nicht die erste, die mir davon berichtet Beben erlebt zu haben. Es gehört zum Leben der Menschen in Chile dazu, wie es für uns normal ist, dass es mal schneit. Bei ihr aber ist es besonders interessant, weil tatsächlich die Familie des Cousins evakuiert wurde, dann später ihr Haus nicht mehr vorfinden konnte, weil es der Tsunami mitgerissen hat und deshalb für eine Weile in dem Haus von Marias Familie in Santiago leben musste.

„Kaum zur Macht sie sind gekommen, mit dem Pinguinen sie sind geschwommen“ (Zitat Ken der Guru, siehe Känguru-Offenbarung)

Deutlich friedlicher geht es dagegen am Strand von Puñihuil zu. Einem beschaulichen Traumstrand im Nordwesten der Insel. Vom Regionalbusbahnhof in Ancud fahren nur wenige Busse, aber für die handvoll Touris sogar vier Mal am Tag ein Bus nach Puñihuil. Am breiten und weiten Sandstrand warten schon die Touranbieter*innen. Der Ort ist der einzige in der Welt wo Humboldt– und Magellan-Pinguine gemeinsam brüten. Um das touristisch zu erschließen, haben die Fischer*innen des Strandes eine Art Genossenschaft gebildet und bieten gemeinsam die gut halbstündigen Rundfahrten an. Auf einem speziellen Gefährt werden wir dann trockenen Fußes zu einem der Boote gebracht, die dann um die vorgelagerten Inseln tuckern.

Und tatsächlich, da wackeln sie, die kleinen Pinguine. Viel kleiner als ich gedacht hatte und mit hängenden Kopf schwanken sie über ihre kleinen felsigen Inseln. Die Felsinseln ragen hoch heraus und oben drauf, auf der Wiese, sollen sie brüten und leben und kommen lediglich die schmalen Pfade zum Futtern nach unten. Manchmal ganz allein, oder zu dritt, je nachdem.

Ich bin schon etwas beeindruck, sind es doch die ersten Pinguine die ich sehe und tatsächlich leben sie nicht nur in der Antarktis, sondern auch schon viel weiter nördlich. Sie sind deutlich weniger agil als die ganzen Zeichentrick-Held*innen in den Kinos der letzten Jahrzehnte. Sie gelten übrigens als sehr neugierig und haben kaum Scheu gegenüber Menschen, sodass Annäherung auf wenige Meter sie in ihrem Lebensraum kaum beeinträchtigt.

Doch nicht nur die Pinguine genießen die Abgeschiedenheit hier. Auch eine Gruppe brauner Robben chillt in der Sonne und guckt uns ganz gelangweilt an. Vielleicht kennen sie das Boot schon zur Genüge, denn es kommt ja drei mal täglich. Uns werden noch weitere seltene Tiere gezeigt, wie z.B. Pelikane und eine graue Ente, wo ich aber schon vergessen habe, warum die so besonders ist.

Alles ist an dem Ort gut abgestimmt und sobald das Boot zurück am Strand ist, kommt auch schon der Bus, der den Großteil der Touris einsammelt. Ich entscheide mich aber für eine Wanderung in die Umgebung. Schnell erreiche ich einen höheren Punkt und erlange einen spannenden Ausblick über die kaum berührte Natur. Der einzige Weg ins Hinterland verbindet nur alle paar Kilometer einen Bauernhof, die Teils nur aus Wellblechverschlägen bestehen.

Nach einer guten Stunde erreiche ich die andere Seite der kleinen Halbinsel und setze mich vom Atem beraubt hin: Es ist die komplette Einsamkeit. Die Natur der Küste und ich. Niemand anderes. Die Küstenkordillere ist vom wilden Pazifik zu einer Steilküste abgearbeitet worden. Grün hügelt sich die Insel, begrenzt von dunkelbraunen Fels, schwarzen Kies-Strand und umspült von dunkelblauen Wasser. Es ist wie eine übergroße Malerei, die einem ermöglicht über Stunden immer neue Details zu entdecken. Noch lange beobachte ich, wie das Meer über die Felsen faucht und wie ein flüssiger Geist versucht, die Küste hochzuklettern. Immer wieder greifen die großen Wellen über die Felsen auf den Strand, rutschen aber dann doch wieder zurück ins Meer. Hier bin ich soweit weg von jedem Menschen, dass es vielleicht der beste Ort ist um zu Philosophieren, den Sinn der Reise zu diskutieren oder gar ein Gedicht zu schreiben.

Dieses könnte ich dann auf dem Rückweg den vielen Kühen, Pferden, Hunden, Schafen, Vögeln und Hühnern vorstellen. Am Traumstrand zurück, warte ich dann einfach auf den Bus und schaue den Bootstouranbieter*innen beim Federballspielen zu. Ihr Job bietet offensichtlich auch viel Freizeit. Irgendwann kommt der Bus. Dieser fährt direkt auf dem Strand entlang, durchquert ein breites Flussbett mit Anlauf und nimmt dann die Schlängel-Straße zurück nach Ancud.


Nov 27 2018

Erst Obdachlos und dann Traumlagune

Von Karl

 

Noch vor meiner Abreise aus Temuco wurde mein folgendes Unterfangen als irrsinnig eingestuft. Ich wollte eine SIM-Karte in Santiago abholen, um an alle meine Kontakte zu kommen, und bin dafür über Nacht nach Santiago gefahren um dann wieder über Nacht nach Puerto Montt zu kommen. Also ein längeres Unterfangen. Die Post bräuchte für den Postdienst wohl nur einen halben bis ganzen Tag, so erfahre ich kurz vorher. Hätte ich doch einfach darum gebeten den Brief abzuschicken. Naja. Warum ich die chilenische Post nicht so gut eingestuft habe, weiß ich gar nicht. Nun ist es einmal so. Leider musste ich auch feststellen, dass die Busse an Feiertagen doppelt so teuer sind, als sonst. So bezahle ich für 8 Stunden Busfahrt das Doppelte im Vergleich zu 15 Stunden am nächsten Tag.

Meine neue Couchsurferin in Puerto Montt hatte mir geschrieben, dass 11 Uhr frühs eine gute Zeit ist um bei ihr anzukommen, also suche ich eine Verbindung, die mich um 8 Uhr frühs in Puerto Montt rauswirft. Mit möglicher Verspätung und Gehweg sollte dies also klappen. Mitten in der Nacht bleibt nun der Bus für mehrere Stunden stehen und ich seh‘s schon kommen, dass wir alle umsteigen müssen. Doch er fährt dann weiter und wir kommen mit einiger Verspätung an. 10:40 Uhr starte ich am Busbahnhof meine Wanderung zum Haus der baldigen Unterkunft. Leider schaffe ich es erst 11:10 am Haus zu sein … und es ist niemand da. Eine ruhige Einfamilien-Nachbarschaft am Ende einer kleinen Sackgasse. Ich stell den Rucksack ab und warte.

Sollte sie nun auf Arbeit sein, wäre es natürlich viel Zeit die ins Land geht, wenn ich warten würde bis zum späten Abend. Ich bringe meinen Rucksack also in die äußerste Ecke der kleinen Hofeinfahrt, decke ihn ab, schreibe einen kleinen Brief an meine Gastgeberin, schiebe den unter der Tür durch und schließe mit einer Kette aus dem Hof meinen Rucksack an einer Leitung fest. Nicht, dass er trotzdem ausgeraubt werden könnte, aber die Gegend erscheint mir sehr friedlich. Ich befürchte nix.

Also auf geht‘s, die Stadt erkunden. Nach nur wenigen Metern bleibe ich vor einer kleinen Bäckerei stehen und schau mich mal um. Ein Drittel der Auslage ist Kuchen, der auch so genannt wird. Der Plural ist „Kuchenes“. Tatsächlich sieht er aus wie gewöhnlicher Blechkuchen vom Geburtstag meiner Oma. Ich nehm‘ ein Stück und bekomm tatsächlich ein schönes großes Stück eingepackt. Gleich unten am Wasser werde ich mir das zu Gemüte führen. Lecker Streusel mit Waldfrucht und Pudding. Na, Hände hoch, wer will ein Bissen?

Der Strand besteht aus vielen großen runden Steinen, die von Muscheln, Moos, Algen und Möwen übersät sind. Neben ein paar bunten Fischereibötchen schauen mir ein paar alte Männer hinterher. In diesem Stadtteil kommen vermutlich keine Touris. Der Strand geht in einer Mole über auf der eine Straße einen Halbbogen um die Bucht macht. Das Wasser liegt kühl und ruhig da. Obschon die Stadt nicht die allerkleinste ist und zeitweise viele hin- und herwuseln, wirkt sie doch sehr friedlich. Immer wieder kommt die Sonne und dann ein Regenschauer. Sie wissen noch nicht wer heute das Wetter prägen soll.

Puerto Montt bietet eine unsichtbare Grenze in Chile. Ist der Süden sowieso arm und dünn besiedelt, so ist er südlich noch viel weniger besiedelt und erschlossen. Die Anden beginnen sukzessiver kleiner zu werden und das Tal zwischen Küste und Anden geht hier direkt ins Wasser über. Nun bleiben nur noch Inseln vor der Küste, die die Überreste der Küstenkordillere sind, bevor sie ganz versinken. Die Insel Chiloé ist die letzte große Landmasse dieses kleinen Gebirgszug am Wasser, der nur wenige hundert Meter hoch wird.

Buchtform von Puerto Montt wird auch durch eine kleine Insel geprägt, die südöstlich und seitlich vorgelagert ist und so nah am Festland sich befindet, dass mensch immer um die Ecke ein Zusammenfließen der beiden Landmassen vermutet. Bei schönen Wetter lassen sich in der Ferne ganze Gruppen weißer Gipfel in den Anden entdecken. Sie sind zwar deutlich kleiner, aber durch das kühlere Klima beginnt die Schneegrenze auch viel tiefer als beispielsweise in Nord-Chile.

Die Bucht liegt im Süden und nach Norden hin steigt die Stadt schnell an, sodass eine Anreise mit dem Bus aus dem Norden schnell einen weiten Blick über die Bucht eröffnet. Ein schöne Umarmung gleich zu Beginn. Am Wasser sind einige Hochhäuser entstanden und natürlich tummeln sich alle in der Shopping Mall die zur Zeit nochmal erweitert wird. Ist sie doch schon jetzt ziemlich groß. Im Zentrum befinden sich flachere Häuser und es offenbart sich wieder der Einfluss der deutschen Emigration. Holzhäuser, Kneipen, urige Restaurants, deutsche Vereine, etc.

Der Busbahnhof gleicht einen Flughafenterminal und vereint überregionale mit regionalen Verbindungen. Unweit gibt es auch das Büro der Fährgesellschaften, da ab hier auch einiges über Fähren abgewickelt wird. Wer also weiter in den Süden will, kommt um sie nicht herum, oder muss nach Argentinien reisen. und selbst das ist nicht ganz einfach. Ganz im Westen, hinter dem Hafen, kommt noch der große Fischmarkt mit einigen Restaurants und Handwerksläden. Aus dunkelrot-gestrichen Holz wurden zig Häuser aufgebaut, teilweise mit Stelzen im Wasser. Im Erdgeschoss ganz hinten befindet sich auch ein Markt mit Fischen und Meeresfrüchten aller Art. Die Anwerberinnen sind heute nicht so motiviert, vermutlich wegen des stetig wiederkehrenden Regens. Es liegt eine Mystik über diesen Ort, die unbeschreibbar ist. Es ist ein entspannter Ort mit verschlossenen Türen. Ein dunkler Ort mit hell erleuchteten Stuben. Ein regennasser Ort mit trockenen Gesichtern.

Nach meinem langen Rundgang durch das friedliche Puerto Montt, kehre ich zum Haus zurück und finde alles so vor, wie ich es verlassen habe. Leider aber auch keine Couchsurferin. Ich warte wieder. Ich lese etwas, mal in der Sonne mich wärmend, dann wieder unter dem langen Dach vor Regen schützend.

Ich unternehme noch eine Wanderung zu einer nahen großen Brücke, die mir einen großartigen Ausblick über einen Teil der Stadt verschafft. Noch kann ich den Ausblick genießen, aber irgendwie machen sich Sorgen breit. Ich hoffe, sie kommt noch. Aber insgeheim habe ich tiefes Vertrauen, dass ich auch heute ein warmes und trockenes Bett habe.

Kurz vor Sonnenuntergang kehre ich wieder auf ihr Grundstück zurück, aber immer noch niemand da, der oder die mir die Tür öffnen kann. Gut, es gibt die weiße Katze, die mir ihre Pfote unter dem Türspalt hindurch reicht, aber sie öffnet leider nicht die Tür. Ich lese wieder etwas. Schreibe einen Text auf dem Computer. Mach mir Abendbrot. Stunde um Stunde verrinnt und ich merke, wie dumm es vielleicht war, unendlich zu warten. Ich überlege immer mehr, die Einfahrt als Nachtlager zu nutzen und mein Schlafsack auszurollen.

Jetzt durch die Stadt zu ziehen, die jetzt kaum bezahlbare Unterkünfte bietet, scheint mir noch irrsinniger. Doch irgendwie kann ich nicht in Ruhe schlafen und so richtig warm ist es auch nicht. Die Temperaturen sind ja schon einstellig, der Boden hart und kalt. Meine Iso-Matte musste ich schon vor Wochen aufgeben, weil sie kaputt ist. Immer wenn ein Auto vorbei fährt, steigt meine Aufmerksamkeit und Konzentration auf hundert Prozent. Was war das? Hoffentlich sehen mich die Nachbar*innen nicht. Oder vielleicht doch und sie bekommen Mitleid? Soll ich klingeln, fragen? Oder sind es gar Einbrecher, die mich aus dem Weg räumen müssen. Oder ein blöder Hund, der mich anfällt. Naklar ist das Blödsinn, aber irgendwie hält mich das Gedankenkarussell wach.

Wieder ein Auto. Nachbar*innen kommen und gehen, aber diese Einfahrt bleibt unberührt. Ich habe das Tor geschlossen, damit es von außen so aussieht wie immer und keine Hunde reinkommen. Erneuter Versuch einzuschlafen. Wieder ein Auto. Ich kenne mittlerweile alle Autos aus der kleinen Straße und weiß sofort, dass dieses keine Hoffnung bringt. Ich versuch zu schlafen. Es wird auch nicht warm im Schlafsack und der Boden erweist sich schon jetzt als unangenehm hart. Doch was tun … Hätte ich doch mal in der Stadt Internet gesucht und Kontakt aufgenommen. Oder mir eine Notlösung gesucht.

Wieder ein Auto. Diesmal ein kleines rotes und hält direkt vor dem Tor. Sofort bin ich wach. Schnell bin ich in den Schuhen und geh langsam zum Tor. Blöde Situation. Ist sie das oder ist sie es nicht? Wenn ja, wie mach ich auf mich aufmerksam ohne sie zu erschrecken. Ich rufe etwas zögerlich. Als sie anfängt das Tor aufzuschieben, merke ich, dass sie mich nicht wahrgenommen hat, dabei stehe ich nur einen Meter dahinter, aber halt im Dunkeln. Sie scheint in Gedanken versunken, aber ist offensichtlich die gesuchte Bewohnerin.

Sie erschrickt. Im Nachhinein denke ich, dass ich deutlich stärker erschrocken wäre, als sie das war. Ohne großes Tamtam gehen wir – es ist schon Elf – in die Wohnung.

Ich dachte du kommst morgen?

Hä?, denke ich, wieso morgen. Mist, ich hab mich bestimmt verzählt, als ich nach einer Unterkunft gefragt hatte. Später merke ich, dass ja mein Rechner auf deutscher Zeit läuft und dort ist es bekanntermaßen später als hier, sodass, wenn ich abends suche, sich schon der nächste Tag einstellt. Also hab ich mich tatsächlich verzählt. Richtig dumm von mir.

Doch kein Problem für Nicole. Die kleine und resolute Frau, Anfang 30, zeigt mir mein kleines Zimmer und schmeißt den Ofen an. Die einzige Wärmequelle. Da mir wirklich kalt ist, freue ich mich sehr über die wohlige Wärme. Sie hat lange gearbeitet. Sie ist als Psychologin für die Mitarbeitenden-Zufriedenheit in einem Lachs-Fischerei-Konzern zuständig. Wir unterhalten uns noch ein wenig bei Wein und sie erklärt, dass zur Zeit die größte Messe der Südhalbkugel in Puerto Montt ist. Die Agua Sur. Natürlich geht es um Fischerei und da ist sie grad sehr eingebunden und muss auch morgen viel arbeiten.

Als ich an diesem Abend frisch geduscht, in ein trockenes, weiches und bald warmes Bett steige, freue ich mich umso mehr darüber. Nur fünf Meter entfernt, lag ich noch wenige Stunden zuvor und war bitterlich von mir enttäuscht. Doch das Glück kam ganz am Ende doch noch. Wie ein Happy End.

 

Nichtsdestotrotz bleibt die Moral der Geschichte, dass das Glück nicht unbedingt herausgefordert worden sollte. Auch am nächsten Tag werde ich enttäuscht. Ich habe erfahren, dass es kostenlose Busse zur Messe gibt, die ich mir gern anschauen möchte. Ich erfahre, dass sie stündlich die verschiedenen teuren Hotels der Stadt anfahren. Doch jedes Mal wenn ich zur gegebenen Uhrzeit warte, kommt der Bus nicht. Warum, kann ich mir nicht erklären. Später sage ich Nicole, dass die Busse vermutlich unsichtbar sind. Ich ziehe es vor, das warme Zuhause zu genießen, doch meine Feuerkünste lassen zu wünschen übrig. Tja, ist halt kein Heizkörper mit Thermostat und ich nicht auf einem Bauernhof mit Feuerheizung aufgewachsen.

 

Auf Nicoles Anraten mache ich einen Ausflug nach Frutillar und Puerto Varas. Beide liegen am Lago Llanquihue, einem großen See nördlich von Puerto Montt. Seine Hauptattraktion: Von den beiden Orten aus liegen die großen weißen Vulkankegel genau gegenüber und spiegeln sich im stillen See. Doch nicht nur das, sie sind auch das Herz der ehemals deutschen Immigration. Feuerwehr, Kuchen, deutsche Schule.

Irgendwie passt das Bild Frutillars auch zu einem bayerischen Bergsee. Als die Schüler*innen aus der deutschen Schule kommen, tragen sie – wie in Chile üblich – ihre Schuluniform, nur diesmal mit schwarz-rot-goldenen Streifen auf der Krawatte. In Fruttilar gibt es auch ein Museum der deutschen Kolonisierung. Es wirkt doch irgendwie befremdlich. Doch viel zu entdecken gibt es schlussendlich dann nicht, bis auf die ganze Deutschtümelei. Zurück in der Wohnung trinken wir mit dem Nachbarn noch ein Glas Rotwein und so erfahre ich, dass ziemlich viele in der Region in der Lachs-Industrie arbeiten. Es scheint ein wichtiges wirtschaftliche Standbein zu sein.

(warum wir immer Wein trinken? … einige Chilen*innen sind sehr stolz auf den chilenischen Wein)

Teil des Museums zur deutschen Kolonisierung, Frutillar

 

Am nächsten Tag, der auch mein letzter in Puerto Montt ist, ist dann Wochenende und wir unternehmen einen Ausflug mit einer Freundin von ihr. Die Saltos de Petrohué sind unser Ziel. Saltos meinen oft Wasserfälle. Touristisch gut erschlossen, können wir über Holzwege sehr nah rangehen. Es sind nun keine hohen oder großen Wasserfälle, aber es sind – und das lässt sich nicht immer sagen – äußerst beeindruckende. Das wuchtige hier, sind die türkisen Wassermassen die das kleine Tal entlang preschen. Sie stieben auseinander um im nächsten Moment wieder zu einem reisenden Strom zusammenzufallen. Es ist gewissermaßen die Rafting-Super-Klasse, nur dass der Versuch als Suizid einzuordnen wäre. Den äußerst wilden Wassermassen trotzen grüne Ränder und Bäume auf den tiefschwarzen Steinen. Es ist ein magisches Schauspiel. Als wenn sich alles in Bewegung gesetzt hätte. Und doch bleiben ja die Steine wo sie sind, aber dass sie der Wucht des Wassers standhalten, scheint wundersam zu sein. Am Ende so manches kurzen Falls, scheint das türkise Becken zu kochen. Doch vermutlich ist das Wasser frisch geschmolzener Gletscher. Was das ganze Bild umso schöner macht: Ganz in der Nähe erhebt sich der Vulkan Osorno. Majestätisch und makellos beginnt der Kegel direkt neben dem Fluss und die Sonne wird vom vielen Schnee prächtig reflektiert. Nicole fordert mich auf weiter zu gehen.

Wir erreichen noch einen Weiler, der auch Filmkulisse sein kann. Ein idealtypisches Becken, mit lauter grünen Bäumen außenrum, ein kleiner Sandstrand, klares Wasser, auf der anderen Seite ein kleiner Wasserfall und alles völlig einsam und unberührt. Es ist faszinierend, aber genau so stelle ich mir die ideale Lagune vor.

Mit diesem Eindruck im Gepäck bringen die beiden mich noch zum Busbahnhof.


Nov 19 2018

Wein und Smog

Von Karl

 

Die Wiese ist noch niedrig und gepflegt. Wenige Bäume schmücken sie. Ein paar Sofas stehen unter den größeren ausladenden Bäumen. Noch sind sie abgedeckt mit einer durchsichtigen Plastikplane, die durch das Morgentau noch ganz weiß ist. Hinter manchen niedrigen Büschen spielen Wasserstrahlen, künstlich in die Luft geworfen, einen Bogen. Hinter dem kleinen Weg befindet sich ein weitläufiges Weinfeld. Brusthoch erstrecken sich in Reih und Glied tausende kleine Pflanzen. Mit Bändern gezwungen einen besonderen Weg zu klettern.

Auch ein kleiner Erklär-Garten ist angelegt. Zu jeder Weinsorte drei oder vier Pflanzen. Durch Bäume verdeckt stehen bauchig große Betontanks. Bauglötzer von Riesen. Bestimmt passt ein kleines Einfamilienhaus in sie hinein. Mehrere stehen davon da und an ihnen schließen sich kleine Holzfässer an, ja Fässchen im Vergleich dazu, aber im Reellen könnt auch ich die nicht umschlingen.

Kein Wind geht, trotzdem schaukelt die lackierte Europalette. Ich sitze drauf und selbst ist sie an zwei Bäumen festgemacht. Nur vorsichtig trauen wir uns zu schaukeln, denn der Sekt darf nicht umfallen. Sekt, der hier nebenan angebaut wird. Ich muss kurz an die vielen Sektflaschen an meiner ehemaligen Arbeitsstelle denken. Zurück: Ein Genuss, auch wenn wir keine Kenner*innen sind. Das Ambiente lässt es gleich drei Mal so geil schmecken. Dazu: Käse. Vier Sorten, einer feiner als der andere, serviert auf kleinen Salzkeksen. Das Picknick-Angebot von „Undurraga“ steht allen offen, doch wir sind die einzigen, die gerade hier ihr Mittag verbringen. Noch eine paar Nüsse und Rosinen dazu. Ein Picknick auf dem Hof der*s Winzer*in, zwischen Fässern und Weinreben. Welch Traum.

Dafür sind wir nicht weit weg von einer Großstadt. Von Santiago aus, keine Stunde. Santiago ist Chiles Hauptstadt und mit Abstand die Größte. Über 40 Prozent der Bevölkerung leben in ihr. Im gesamten Tal sogar 80 Prozent. Alles gibt es und passierte hier. Dadurch ist die 7-Millionen-Metropole auch sehr groß und weitläufig, aber doch irgendwie weniger chaotisch. Ihre Herzschlagader ist die Alameda, die Ost-West-Achse, was aber nicht der wirkliche Name der Straße ist. Aber überall wird sie so genannt. Unter ihr befindet sich die Linie 1 der Metro. Zu Stoßzeiten quetschend gefüllt, ist sie doch sonst sehr erträglich. Sie fahren übrigens nicht auf Schienen, denn wer genau hinsieht, wird die Räder entdecken. Ein knappes Dutzend Linien gibt es. Doch sie nützen der Luft nix, denn Santiago hat einen endlosen Smog. Von allen Seiten Bergen, ist ein Tag in Santiago wie acht Zigaretten rauchen, erfahren wir bei einer Stadtführung. Von einem Hügel mit einer Marien-Statue aus, mitten im Zentrum, lässt sich die Stadt gut überblicken, wenn nicht in bestimmter Entfernung der Smog zu dick wird. Zum Berg führt sowohl eine Drahtseilbahn, als auch eine Kabinen-Seilbahn. Letztere hat den deutlich schöneren Ausblick über die Stadt und das bisschen Grün im Zentrum.

Smog über der Stadt

Dadurch ist die Stadt auch von Ost nach West in Arm und Reich geteilt. Auf den höheren Lagen am Fuße der Anden befinden sich die stromumzäunten und von Zähne fletschenden Kötern bewachten Villen. Im Wellblech-Westen dagegen sind sie nicht mehr auszumachen. Die Anden, mit ihren weißen Gebirgszügen. Etwas nordöstlich Santiagos befindet sich auch der höchste Berg der Anden und damit die höchste Erhebung Südamerikas und der Südhalbkugel und außerhalb Asiens. Der Aconcagua mit seinen knapp 7000 Metern, wird sogar von manchem Flugkapitän rechtzeitig angesagt.

Die Stadt ist nie leise oder still und als politisches Zentrum in Aufruhr. Es gibt unzählige Unis und ein Monat kann umgerechnet 800 US-Dollar kosten. Das führt seit einiger Zeit zu Protesten und als wir in der Stadt wahren, überfallen uns schlagartig hunderte Jugendliche. Als wenn sie gejagt werden rennen die meist schwarz gekleideten Jugendlichen zur Alameda. Kurz warten sie die Grünphase ab und schon stehen sie auf der Straße und blockieren die Hauptverkehrsachse. Skandieren und Springen. Sie fordern ein Recht auf kostenfreie Bildung.

Dann erscheinen auch schon die Jäger*innen. In Grün erscheinen die Carabineros, unter der Hand auch Pacos genannt. Die chilenische Polizei. Es gibt noch die PDI, aber die trägt keine Uniform und ist für komplizierte Straftaten zuständig. Sie rennen den Jugendlichen hinterher, die nun aber schon drei Ecken weiter sind. Ein Wasserwerfer versucht mit Vollgas noch welche zu erwischen. Das verfärbte Wasser soll die Täter*innen später identifizieren. Ich denke manche haben Wechselklamotten dabei.

Später ist die Alameda frei von Autoverkehr, aber die Sprint-Beteiligten scheinen anderswo unterwegs zu sein. Nur manchmal steht ein Dutzend Pacos an einer Straßenecke und wartet.

Wir ziehen weiter durch die Straßen und gelangen zur Moneda. Dem wohl geschichtsträchtigsten Haus Chiles. Hier wurde am 11. September 1973 Salvador Allende geputscht. Die ehemalige Münzprägeanstalt war damals Präsidentenpalast und ist heute ein Kulturhaus. Gerade gibt es Ausstellungen zu Wale an Chiles Küste, Handwerkskunst und eine Messe mit tierfreundlichen Produkte.

La Moneda

Pinochet war damals Oberbefehlshaber und hat die Macht übernommen, alle Kommunikationswege abgeschnitten und die Moneda bombadiert. Kampfflugzeuge, Soldaten auf jedem Dach und Panzer auf dem Platz davor. In der ausweglosen Lage hat Allende Selbstmord begangen. In einer Seitenstraße ist auch dem Kammermann Leonardo Henrichsen gedacht, der wichtige Aufnahmen an dem Tag machte, aber dann von Soldaten erschossen wurde. Ein brutales Regime insbesondere für Linke entstand an dem Tag.

Apropos Linke: Ich kann nicht mehr sagen, wie wir darauf kamen, aber es kam uns ulkig vor, wenn wir mal an Honeckers Grab gestanden hätten. Ja, ihr habt richtig gelesen, Erich Honecker, Ex-Generalsekretär, ist in Santiago begraben. Nur wo genau, dass ist ein Rätsel. Vielleicht hat er auch kein Grabstein. Wir waren offenkundig nicht die ersten, die danach fragten, denn auf dem riesigen Zentralfriedhof liegen tausende und sie konnten sofort erklären was los ist, als ich „deutscher Ex-Präsident“ sagte. Er sei beim Krematorium, Patio 83. Dort wurde er offensichtlich verbrannt, aber einen Grabstein finden wir nicht. Eine nette Friedhofsarbeiterin gibt uns dann noch ein anderes Planquadrat als Tipp, aber auch dort finden wir keinen passenden Grabstein. Aber es gibt auch hunderte, sodass es ein mühseliges Unterfangen ist. Ruhe gut Genosse, wir haben‘s versucht.

Es liegen noch unzählige andere wichtige chilenische Persönlichkeiten auf dem selben Friedhof. So ist Allendes Monument deutlich einfacher zu finden. Wir hoffen in Santiago etwas mehr auch über die 17jährige Diktatur, die an Allendes Tod sich anschloss. In der Londres 38 findet sich ein Haus, des ehemaligen Geheimdienstes, wo Gegner*innen Pinochets gefoltert und verhört wurden. Erklärt wird aber sonst nicht so viel. Etwas weiter im Westen dagegen gibt es ein größeres Museum, das Museo de la Memoria y los Derechos Humanos, welches sich ausführlicher mit dem 11.September ’73 beschäftigt und den Opfern. Es ist nicht sehr ausführlich, aber umfassend. So war der Druck 1990 so groß für Pinochet, dass er eine Volksabstimmung abhielten ließ, wo für eine freie Wahl plädiert worden ist. So war Pinochet weg von der Macht, hatte aber durch eine geschickte Verfassungsreform im Vorfeld sich geschützt und ist bis zu seinem Tod nie in ein Gefängnis gewandert.

Gedenken an die Opfer der Militärdiktatur

In dem Museum erfährt man auch, dass dreißig Länder u.a. Deutschland und Chile in ihrer Geschichte Wahrheitskommissionen eingesetzt haben. Beide Länder verbinden auch Solidaritätsschreiben, z.B. der Falken an die Allende-Unterstützer*innen. Im obersten Stockwerk ist eine temporäre Ausstellung eingerichtet, die sich den Indigenen Chiles widmet. Es geht um Rassismus und Geschichte. Gab es mal ein größere Fülle an verschiedenen Gruppen, so ist der Vernichtung durch die Konquistadoren und der Chilen*innen lediglich eine übrig geblieben. Die Mapuche. Sie gelten als besonders streitig, und haben seit dem ersten Zusammentreffen ihr Gebiet auch mit Gewalt verteidigt, was ihnen aber schlussendlich kaum gelang. Noch heute gibt es darum stärkere Auseinandersetzungen. Im Hof des Museums steht ein Haus der Mapuche.

Mapuche-Monument auf dem Plaza de Armas

Fans von Allende können auch in das Solidaritätsmuseum gehen, wo es zwei Räume zu seinen Verdienst gibt, aber ansonsten eher viel die Stadtteilarbeit des Museums vorgestellt wird, beziehungsweise die Einsendungen solidarischer Künstler*innen ausgestellt werden.

Neben der Museumslandschaft gehört auch der Umgang mit den Hunden zu den Kuriositäten. Die Straßenköter, die an jeder Ecke sind und einen gerne auch unangenehm hinterherlaufen oder anbellen können, werden von den Santiagoer*innen geschätzt. Sie werden gefüttert, gestreichelt und geliebkost. Manche ziehen ihnen vor dem Winter auch eine Art Pullover an. In öffentlichen Plätzen wurden extra kleine Hundehütten aufgebaut.

öffentliche Hundehäuschen

Und wer sonst keine Hoffnung hat: An jedem Lichtmast hängt die Nummer von der Tarot-Kartenlegerin. Sie hilft bei allen erdenklichen Gründen.

Echtes Glück verspricht dagegen Fast Food. Das Schnelle Essen oder auf Spanisch „Comida Rapida“, ist weit verbreitet und so geläufig wie in keinem anderen Land, in dem ich schon mal war. Typische Mahlzeit: Ein Completo. Das ist ein Hotdog, also Weißbrot mit Würstchen, dazu ggf. Sauerkraut, viel Avocado-Creme und Mayonnaise. Hamburger sind auch verbreitet, generell viel Fleisch und immer auch Pommes dazu. Typisch sind wohl auch die Sandwichs, die sich aber von einer Burger-Mahlzeit kaum unterscheiden.

Completo

Doch wo kann am besten Fast Food geschlemmt werden? Na am besten in einem der vielen Einkaufszentren. Südamerikas größte Shopping Mall und größtes Gebäude mit angeschlossen, steht im Ostteil und nennt sich „Costanera Norte“. Sie ist auch Gegenstand von Diskussionen, beispielsweise wegen vielen Selbstmorde durch Sprung aus dem achten Stock. Als wir vor Ort waren, war es eher beeindruckend wie viele Menschen gerade hier unterwegs sind. Die Essensbereiche sind übervoll und es gibt kaum Plätze. An den Fast Food Theken wird angestanden.

Valparaiso

Es gibt verschiedene Ausflugsziele, die von Santiago aus erreicht werden können. Eines ist mit Valparaiso auch ein besonders gelobtes. Es steht in jedem Reiseführer. Doch nun wollen wir es auch wissen. Direkt gegenüber vom Busbahnhof fällt einem der riesige Kasten ins Auge. Ein überdimensioniertes Monument. Der Kongress. Mag zwar Santiago die Hauptstadt sein, das Parlament versammelt sich in Valparaiso. Die Straßen sind schnöde und es ist etwas günstiger als im Zentrum der Hauptstadt. Rechts das Wasser, was aber oft nicht sichtbar wird oder mensch klettert links den Berg hinauf. Viele Straßen und manche Drahtseilbahn führt hinauf, ist es aber auf Grund der Kürze kaum Wert bezahlt zu werden. Die versprochenen bunten Häuser sind nicht ganz so farbenprächtig, aber mit dem Instagram-Filter geht‘s bestimmt.

der chilenische Kongress

Lohnenswert ist die Avenida Alemania entlang zu schlendern. Sie fällt nach Norden hin nur leicht ab und hat damit keine belastenden Berge. Gleichzeitig eröffnen sich einem ständig neue Ausblicke auf den Hafen, das Meer oder gar Viña del Mar. Nach wenigen Stunden haben wir aber alles gesehen und sind rechtzeitig wieder zurück in Santiago.

Ach und übrigens: wir haben auch den dortigen Wein getrunken, als wir auf dem Hof dekadent den Weinreben beim Wachsen zugeschaut haben …

PS.: Santiago de Chile liegt direkt in der Mitte des langgestreckten Landes:


Nov 17 2018

Pfirsichnektar, Weinbrand und die Saturnringe

Von Karl

 

Unser Start in La Serena war durch eine längere Wanderung geprägt. Erst nach einer knappen Stunde merken wir, dass weder die Straßenschilder noch die Karte falsch ist, sondern wir einfach in die falsche Richtung gelaufen sind. Unsere Unterkunft ist diesmal in einem heimeligen Einfamilien-Haus. Eine ältere Frau springt zwischen Wohnzimmer und Küche herum und macht den Eindruck, als wenn sie hier wohnen würde. Ist aber dann doch nur die Angestellte.

Chilenisch Essen und Trinken

Ein erster Weg führt zum schmucken Markt, in dem handwerkliche Produkte wie beispielsweise getöpferte Schalen verkauft werden. Im ersten Obergeschoss gibt es gut und günstig Frühstück oder Mittag. Zu den Eigenheiten der chilenischen Küche gehört unter anderem das allgegenwärtig kaufbare „Mote con Huesillo“. Ein Getränk aus Pfirsichnektar mit Trockenpfirsischen und Weizenkörnern. Dazu kommt noch Zucker und Wasser. Es schmeckt sehr süß und meine Recherchen belegen bislang: Bis auf Chilen*innen schmeckt niemand das Getränk.

Auf Märkten und bis in den Supermärkten hat es die Cochayuyo geschafft, eine Alge. Die besonders große Braunalge ist wohl ein Grundnahrungsmittel und wird beispielsweise mit in Suppen gemacht.

Altbekannter Klassiker ist auch die Empanada, wobei die Füllung „Pino“ in Chile weitverbreitet ist. Eine Rindfleisch-Mischung.

Neben Kuchen und Berlines (Pfannkuchen bzw. Berliner) finden sich bei der Bäckerei auch Sopaipilla. Mir wurde es als frittiertes Brot vorgestellt, aber Wikipedia spricht von Kürbis als zentrale Grundlage. Der Plural von Kuchen ist übrigens „Kuchenes“.

In allen Supermärkten gibt es Alfajor, ein übergroßer Keks mit Schokoüberzug und Karamellfüllung.

Die Eisfans müssen sich mal Paletta holen. Das ist Stil-Eis welches wie Schokoladen-Tafeln aussieht und wie Waffel-Eis verkauft wird. Wir haben in La Serena auch einen Automaten damit gefunden. Auch geschmacklich kommt es nah an die gefrorene Schokoladen-Tafel. Die Paletta-Stände bieten meist gleich mehrere Dutzend verschiedene Geschmacksorten.

Während unserem kurzen Stadtspaziergang vermissen wir wieder die Menschen in den Straßen, aber schlussendlich finden wir sie in den großen Shopping Malls. Anschließend führt unser Weg zum nahen Meer. Eine lange schicke Palmen-Allee ziert den Hauptweg und führt zum Leuchtturm. Der Strand ist auch ziemlich schön, nur ist direkt hinter alles mit Hotels und Cabañas (chilenische Variante des Bungalow) bebaut. Dieser Anblick zieht sich die ganze Kurve bis in die benachbarte (etwa gleich große) Stadt Coquimbo.

Valle de Elqui

Das Nahe Tal des Rio Elqui soll besonders sehenswert sein und deswegen fahren wir gleich frühs mit einer Tour den Fluss hoch. Als erstes halten wir an dem wenig spektakulären Puclaro-Staudamm. Ein Blick vom Damm ins Tal verrät: Wo der Fluss fließt ist Pflanzen-Wachstum und Landwirtschaft möglich. Die Berge selbst sind grau und braun und von wenigen Sträuchern und Kakteen bewachsen. Besonders Wein wird im Tal angebaut.

Chiles erste Literatur-Nobelpreis-Gewinnerin kommt auch aus dem Tal und deswegen besuchen wir das Museum von Gabriela Mistral in Vicuña. Da aber alles auf Spanisch ist, sind wir schnell durch. Zudem bin ich nicht angetan von ihrer trübseligen Literatur. Dass es aber schön gemacht ist, das kann ich nicht absprechen.

Der angebaute Wein im Tal wird nicht für Wein genutzt, sondern um Pisco herzustellen. Ein Weinbrand, der sowohl in Peru und als auch in Chile hergestellt wird. Oft auch Grundlage von Cocktails. Beide Länder sehen es als Nationalgetränk an und haben strenge Regeln, wie beispielsweise, dass kein Pisco aus dem Ausland importiert werden kann oder so heißen kann. In Chile kann nur Weinbrand aus dem Elqui-Tal Pisco heißen.

Wir halten also an einer halbindustriellen Pisco-Brennerei. Da grad nicht die Zeit dafür ist, sind die Anlagen leer. Im Lagerraum riecht es schon kräftig nach Alkohol. Es werden verschiedene Sorten hergestellt, je nach Lager-Zeit und damit auch Alkohol-Gehalt. Natürlich dürfen wir auch mal kosten. Je mehr ich davon trinke, desto besser schmeckt’s, aber dann bin ich auch gut dabei und froh dass es weiter zum Mittag geht ins Dorf Pisco Elqui. Es hat sich extra umbenannt.

Sternen so nahe

In Vicuña steigen wir aus und warten auf unseren Anschluss. Das kleine beschauliche Örtchen entpuppt sich als Hippie-Städtchen, wobei es uns ein Rätsel bleibt, was die ganzen Hippies hier machen. Nach Einbruch der Dunkelheit fahren wir zu einer Sternwarte. Allein in der Gegend gibt es in Sichtweite 4 Sternwarten. In ganz Chile gibt es circa die Hälfte aller Sternwarten der Welt. Grund ist der trockenste Ort der Erde mit einer der Partikel-freisten Luft. Dann bietet es sich besonders an hier Sternwarten zu errichten. Hier steht also die neuste und modernste Abhörtechnik für den Kosmos. Wir gehen nun nicht in die aller krasseste Anlage. Was wir aber sehen ist trotzdem krass.

Wir werden in ein kleines Observatorium geführt und der Fachmann richtet die Kuppel so aus, dass der Schlitz passend ist. Er zeigt uns die hellsten Sterne am Himmel, die vor allem andere Planeten unseres Sonnensystems sind. Venus, Merkur, Mars und Jupiter. Nach und nach dürfen wir durch das eingestellte Teleskop schauen. Interessanterweise ist es mit GPS ausgestattet, sodass es automatisch die richtige Position einbehält. Ohne dem System würde durch die Erdrotation nach einer Weile das Zielobjekt aus dem Bild verschwinden.

Durch das Fernrohr, dass vielleicht doppelt so groß ist wie ich, kann ich die Streifen beziehungsweise Wolken auf der Venus sehen. Wir sehen, dass der Merkur auch Zu- und Abnehmen kann, genau wie der Mond. Wir sehen einen Sturm auf dem Jupiter und – das war am beeindruckensten – den Saturn samt Saturnringe. Im Außengelände schauen wir noch durch ein weiteres installiertes Fernrohr (es regnet ja hier nie). Wir sehen spannende Sternformationen und Sternennebel. Bunte Sterne gibt es auch. Am Nachthimmel ist freiäugig gut die Milchstraße zu erkennen. Der Guide, der selbst dort arbeitet, zeigt uns zig Sternenbilder, die oft mit sehr viel Phantasie einhergehen.

Von der vielen Phantasie ganz begeistern entgleiten wir dann auch in unsere eigene Welt.


Jun 19 2018

Im Kontrast der Großstadt

19.Juni 2018, Piura, von Karl

Darf ich vorstellen: Arthur. Etwas kleiner, wuschlige schwarze Haare, immer etwas verpeilt und müde drauf. Nicht verlegen für ein ehrliches Grinsen. Unser Couchsurfer bewohnt im schicken Lima‘ Stadtteil Miraflores ein Zimmer in einer Studi-WG. Zusammen mit fünf anderen Studis aus aller Welt. Er ist als einziger aus Peru, bzw. aus Cusco. Eine Mitbewohnerin ist zur Zeit in Ecuador, sodass wir eines der kleinen Zimmerchen beziehen können.

Rundgang im reichen Lima

Trotz dessen, dass wir ihn schon weit vor um 10 Uhr aus dem Bett geklingelt haben, brechen wir nach einem kurzen Frühstück zu einem Stadtrundgang auf. Insofern das überhaupt möglich ist. Knapp 10 Millionen Menschen bewohnen Lima, was bedeutet, dass nahezu jede*r dritte Peruaner*in in Lima wohnt. Zwei Drittel davon in den ungeplanten Außenbezirken, die teils dörflich-ländlichen Charakter haben. Sie gelten teils als die ärmsten Orte Perus und von einem Besuch wird vielfach abgeraten. Schon gegen Mittag, sollen wir die „Favelas“ wieder verlassen haben. Wir machen uns aber erst gar nicht zu einer Armutstour auf.
Arthur geht mit uns an den Pazifik, den ich damit zum ersten Mal live sehe. Die luxuriösen Hochhaussiedlungen Limas sind durch einen schicken Park-Pfad, einer Steilküste und einer Autobahn von der Küste getrennt. Nur an wenigen Stellen gibt es die Möglichkeit ans Wasser zu kommen. Knapp 20 Grad laden zum Schwimmen ein, auch wenn lediglich eine Person dieser Idee folgt. Wir machen kehrt am Strand und lassen uns von Arthur noch Baranco, einen anderen schicken Stadtteil zeigen. Vieles hier erinnert nicht mehr an das uns vertraute Peru, sondern es könnte auch London sein. Die Preise sind teils um ein vielfaches höher. Alle kaufen in den Supermärkten ein. Die Straßen sind sauber und gerade gezogen. Hochhäuser. Kaum eine*r verkauft etwas auf der Straße. Es fehlt an den einfachen Restaurants, stattdessen gibt es Capuccino mit „Good Day“ Milch-Schaum-Schrift.
Besonders an London erinnert auch das triste Wetter. Von frühs bis abends ist es bewölkt und die diesigen Wolken hängen tief in den Hochhäusern. Der kalte Humboldtstrom im Pazifik macht Wasser und Luft deutlich kälter als Lima wegen seines Breitengrades sein müsste. Der Winter in Peru verbringt die Metropole dann im Nebel. Es kommt nie die Sonne durch. Kein Wunder, dass Arthur oft schlafen mag.

Pyramide zwischen Hochhäusern

Wir spielen mit Arthur des abends verschiedene Kartenspiele und kombinieren sie mit Wein und ausgedachten Strafen. So fliegen wir dann auf Besen über die Straße, halten Reden auf dem Dach oder tanzen alberne Videos in der Küche nach. Wir können die Zeit genießen und kochen viel. Arthur wünscht sich ein „deutsches“ Dessert. Eine Herausforderung angesichts des Verfügbaren im Supermarkt und in der Küche. Am Ende improvisieren wir Eierkuchen, die uns auch selbst sehr beeindrucken. Wie lange mag es her sein, dass wir dieses schöne Gericht genossen haben?
Am nächsten Tag – wir haben bis Mittags gepennt – brechen wir zu einer Ausgrabungsstätte auf. Eine alte Lehm-Pyramide erhebt sich surreal zwischen den Hochhäusern. Eine echte Pyramide, wie sie vor tausenden Jahren dort stand, von Archeolog*innen detailgetreu wider aufgebaut. Auf der Spitze der Pyramide müsste sich ein weiter Ausblick entfalten, doch dieser endet an den Hochhäusern auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Pyramide steht wie eine kleine alte Frau zwischen ihren hochgewachsenen Enkel*innen. Die Pyramide, in ihrer Zeit konserviert, im Kontrast mit der stürmischen Großstadt. Man möchte ihr zuhören, was sie die letzten tausenden Jahre gesehen hat.
Tags drauf geht es für uns ins Zentrum Limas, wo wir kurz ein Literaturmuseum und lang ein Kunstmuseum besuchen. Weil wir zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind, sogar kostenlos. Die Kunst Perus hat für mich einen beeindruckenden Bruch durchgemacht. Dieser wird sogar nach Kolonialherrenart „präkolumbisch“ oder „prähispanisch“ genannt. Das bezeichnet die Zeit, bevor die Europäer*innen alles geraubt, versklavt und beherrscht haben. Neben den berühmten Inkas gab es eine Vielzahl weiterer Völker und bezeichnend ist, dass bei vielen Ausstellungsstücken geschrieben steht, dass nicht klar ist, wie genau dies oder jenes genutzt wurde. Zum Beispiel wird eine Art komplexer Rechenschieber aus Fäden ausgestellt, was darauf hinweist, wie weit die Inkas schon waren, aber wie es funktioniert, wird wohl keine*r mehr rausfinden. Mit der Ankunft der spanischen Konquistadoren ist die peruanische Kunst stark von der europäischen dieser Zeit bestimmt worden. Eine katholische Heiligpreisung folgt der anderen.

Wasserspiele

Wir entdecken zwischen den Sehenswürdigkeiten eine weitere vegetarische Speise für uns: Chaufa. Das ist Reis mit ein wenig Ei und Gemüse, gefärbt mittels Soja-Sauce. Wie es als asiatisches Gericht auch in Deutschland gern serviert wird. Auch hier in den vielen asiatischen Restaurants als Basis im Angebot. Ziemlich schmackhaft und sehr sättigend. Auch deshalb, weil sich bei den Portionen an den Anden orientiert wird und es fraglich ist warum der Reis-Berg vor einem nicht links und rechts runterkullert. Es ist immer zu viel Chaufa auf einem Teller.
Auch Tortilla con Verduras (Gemüße-Tortilla) kann ich vegetarischen Peru-Reisenden ans Herz legen. Hier wird ein riesige Ei-Masse mit etwas Gemüße auf einen Berg Reis abgelegt und als unessbar große Portion serviert. Weil wir einmal bei Reisenden-Tipps sind: Die Banco de Nacion nimmt keine Bearbeitungsgebühr, wenn ihr Geld abhebt. und die Busgesellschaft Oltursa können wir weiterempfehlen.
Mit Arthur geht es an unseren letzten Abend in den Parque de Agua. Einen riesigen Gelände mit zig Springbrunnen. Mit Musik und Licht sehr schön in Szene gesetzt, freuen wir uns wie kleine Kinder. Von einer riesigen Laser-Show beeindruckt, laufen wir unter Wasserstrahlen durch und lassen uns von Springbrunnen einsperren. Wir werden nass; und bewundern die sich ändernden Wasserstrahlen. Wir bleiben lange und machen viele Photos. Irgendwann sind wir müde und geschafft machen uns auf nach Haus.
Mit der Metro. Metropolitano meint ein Netz aus Bussen, die auf eigenen Schnellspuren auf der Stadtautobahn unterwegs sind. Es gibt einige Linien, die nicht an allen Haltestellen halten. An fahren sie einfach vorbei. Sie sind farbig und mit Buchstaben oder Zahlen differenziert. Es soll noch eine Eisenbahn geben die verschiedene Stadtteile verbindet.

Was ich nicht liebe

Noch eine Weile sitze ich mit Arthur, der französischen Mitbewohnerin und einem weiteren Gast aus Belgien in der Küche, trinke Bier und spiele Karten. Leider hat die Fußball-Weltmeisterschaft begonnen und alle sind aus dem Häuschen. Für Peru ist es besonders krass, weil sie seit 36 Jahren erstmals wieder mitspielen. Als Deutsche werden wir ständig darauf angesprochen, da die deutsche Elf Titelverteidiger ist und besonders mich nervt es zunehmend an. Weder interessiert mich der kommerzielle Fußball, noch fühle ich mich meinem Land, noch mit den reichen Fußball-Spielern verbunden. Auch als ich mich an dem Abend gezwungen sehe, mich dafür zu erklären, gibt es kaum Verständnis in der Runde. Ich muss doch mein Land nicht mögen, nur weil es mir seinen Pass ausgestellt hat?
Aber freust du dich denn nicht wenn dein Team gewinnt?
Was ich denke: Warum mein Team?
Was ich antworte: Nein. Warum?
Ich lass die drei sitzen, die das ambitionierte Ziel haben um fünf Uhr früh aufzustehen, weil dann das erste Spiel übertragen wird.
Als sie wieder ins Bett gehen, fangen wir an unsere Rucksäcke zu packen. Arthur schaut uns ungläubig an, als wir um 8 Uhr abends immer noch nicht wissen wo die Busse abfahren und wir noch kein Ticket haben. Offensichtlich können wir noch eine Spur lässiger als der lässigste Typ vor uns. Tatsächlich werden wir eines besseren belehrt und finden keine Bustickets mehr, die uns über Nacht ins ersehnte Trujillo bringen. Eine Großstadt am Meer, die wir uns etwas preiswerter und mit Sandstrand ausmalen. Ein freundlicher Taxifahrer klappert mit uns die hunderten Busagenturen in der Innenstadt ab, aber in der Regel müssen die Agentinnen noch nicht mal in den Computer schauen um mit dem Kopf zu schütteln.
Etwas abgeschlagen lassen wir uns die gute halbe Stunde zum großen nördlichen Busterminal fahren. Dort stehen wir einem Busbahnhof gegenüber, der einigen Flughäfen sicherlich den Rang abläuft. Er ist einfach riesig. Wir fragen uns – es ist mittlerweile schon fast 11 Uhr abends – an den Schaltern von hunderten Firmen durch und werden tatsächlich noch fündig. „Titanic“ – welch kreativer Busfirma-Name! – verkauft uns noch zwei Tickets in einem älteren und sehr engen Modell. Die vielen Menschen um mich herum rauben den Sauerstoff und sorgen für wohlige Wärme. Nicht lange und ich entschwinde in die Welt der schönen Träume und damit aus Lima, der größten und Hauptstadt Perus. Gute Nacht!

PS.: Lima und unsere nächsten Stopps auf einer Karte:

Lima, Trujillo, Piura

StepMap Lima, Trujillo, Piura