Sep 1 2018

Atemberaubender Gipfel

von Karl

 

Der Wind steigt aus der Tiefe des Tals entlang des Berghangs nach oben. Auf einer unsichtbaren Höhengrenze beginnt er milchig zu werden. Als wenn etwas Milch ins Wasser gerät. Doch was sich vor mir, direkt am Berghang sitzend, auf Augenhöhe und zum Greifen nah abspielt, ist, dass sich eine neue Wolke bildet. Immer mehr und mehr weiße Watte bildet sich und gerne würde ich in die Watte greifen und mit ihr aufsteigen. Gebannt schaue ich auf das Naturschauspiel und merke die Zeit nicht mehr.

Eben bin ich den Sandhang vom Gipfel hinunter geschlittert. Die letzten hundert Höhenmeter zum Rucu Pichincha musste ich aufwärts ein Sandfeld umklettern, was aber abwärts es umso leichter macht. Die allerletzten Meter sind allerdings felsig und es muss mit allen Vieren geklettert werden. Jede Bewegung nach oben, jeder Schwenk mit dem Kopf von unten nach oben oder zurück, verursacht schon massives Herzrasen. Mit der Seilbahn bin ich aus Quito auf knapp 4000m Höhe gefahren. Von diesem Erlebnis und vielen weiteren Highlights in Quito habe ich schon vor Wochen berichtet, als wir gen Norden unterwegs waren. Von der Bergstation aus führt ein Weg, mal steil, mal gemächlich zum Fuße des Rucu Pichincha. Dann eine Weile parallel zu seinen Felsen, vorbei an Höhlen, bis dann der besagte steile Anstieg erfolgt. Schon dort sind schnelle Bewegungen zu viel. Wenn ich das übertreibe, werde ich benommen und merke wie mir das Bewusstsein entgleitet. Also mache ich langsam. Diese Höhen sind neu für meinen Körper und Akklimatisierung braucht seine Zeit.

Als dann der letzte Meter überwunden wurde bestaune ich erst das Schild mit den 4690m. Das ist vielleicht der Höchste Punkt an dem ich auf dieser Reise komme. Zumindest bewusst. Aber dann erfolgt das zweite Mal, dass mir fast der Atem weg bleibt. Ein gigantischer 360Grad-Blick eröffnet sich mir. Lediglich der etwas höhere Brudergipfel Guagua Pichincha unterbricht den fantastischen Ausblick. Vor mir breitet sich die Millionen-Metropole Quito aus. Die gesamte Länge dieser unfassbar langgezogenen Großstadt ist gut zu erkennen. Nachbarortschaften inklusive. Flugzeuge sind kaum zu erkennen und fliegen tiefer als ich. Die Gebirgskette hinter Quito liegt in Wolken und wird unterbrochen von drei weißen Kegeln. Den Cayambe, den Antisana und den Cotopaxi. Die Vulkane heben sich nur durch ihre Form von den weißen Wolken ab. Immer wieder werden sie verdeckt, um wenig später wieder frei zu stehen. Es ist ein grandioser Anblick und insbesondere der Höchste der drei, der Cotopaxi, erstrahlt in seiner ganzen Schönheit. Ein alleinstehender Vulkankegel der weit über die 5000m hinausgeht.

Hinten der Cotopaxi, vorne Quito

Er gilt als technisch einfach zu besteigen und gilt als meist-bestiegener Berg Südamerikas. Wenn das mal nicht nach einer meisterbaren Herausforderung klingt. Ich mach mich also in Quito ans Werk: online wie offline lege ich viele Meter hinter mir und frage unzählige Agenturen und Leute. Ich brauche ein gutes Angebot inklusive der ganzen Sachen die für einen Bergbesteigung nötig sind. Anerkannte*r Bergführer*in, Gletscherausrüstung, Wintersachen, Transport, Verpflegung, etc. Auch die Familie, die mich aufnimmt nutzt ihre Kontakte und telephoniere mit deren Telephon mit der Freundin der Mutter. Doch gute Angebote sind Fehlanzeige, weil ich alleine bin. Die Preise schwanken zwischen 6 und 900 USDollar. Ich suche eine Agentur, wo zufällig gerade noch ein*e andere*r allein anfragt und wir so den Preis halbieren können.

Ich muss euch noch die Familie vorstellen. Eingeladen hat mich Camila, PR-Studentin im letzten Semester, die mir ihrer Familie vor einem Jahrzehnt aus Bogotá nach Quito kam. Wir quatschen viel, wenn es die Zeit zulässt. Über Sexismus in den beiden Ländern. Z.B. dass Schulen Mädchen verpflichten kurze Röcke und hohe Schuhe als Schuluniformen zu tragen, die äußerst unpraktisch sind. Sprüche und Übergriffe in Bussen. In allen Bussen und Haltestellen ist eine Hotline ausgehängt, bei der sexualisierte Übergriffe gemeldet werden können. Dass Clubs an ihren Eingängen die Menschen nach ihren Aussehen bemessen und daraufhin die Preise festlegen. Hübsche Frauen kommen oft kostenlos rein. Wer nicht ins Raster passt, zahlt mehr. Sie erzählt auch vom Erdbeben 2016. Viele Menschen kamen ums Leben, auch weil die Bevölkerung nicht geschult ist, was sie im Ernstfall tun sollte. Die Armensiedlungen entstehen meist informell und gebaut wird je nach Einkommenslage. Viele der Randsiedlungen Quitos würden einem Erdbeben kaum stand halten. Selbst Erdbeben unterscheiden zwischen Arm und Reich. Eine*n Architekt*in, der ein erdbebensicheres Haus konstruiert, muss mensch sich halt leisten können.

Aber auch Musikempfehlungen teilen wir. Die Familie würde mich auch rund um die Uhr mit allen Mahlzeiten versorgen. Oder schaut neugierig auf mein Teller, wenn ich mal essen mache. Ich probiere Tacso- bzw. Curubá-Saft. Eine Frucht die geschmacklich der Maracuja nahe kommt. Die kolumbianische Heiße Schokolade mit Käse als Topping nennt der Vater „Chocolate Santa Fereño“. Der Bruder von Camila, Miguel, hat sogar sein Zimmer geräumt und ist zur Schwester gezogen, damit ich ein Zimmer habe. Ich fühle mich aufgenommen und fast schon zu sehr umsorgt. Ich will was zurückgeben und mache Eierkuchen für alle. Als sie freudig schmatzend am Tisch sitzen, erzählen sie von ihrer Lieblingsspeise: Arepa mit Käse. Mich verführt der Maisfladen nicht so sehr. Als ich erkläre, dass Eierkuchen eigentlich in allen Ländern gibt (Pancake, Crepe, Palatschinken, …) und mit allen möglichen gegessen werden können – ich habe frischen Apfelmus mit Zimt und Rosinen serviert – kommt auch schon eine typisch kolumbianische Süßspeise auf den Eierkuchen: (aufmerksame Leser*innen können‘s sich denken) Käse. Vielleicht ist das eine Marktlücke … süßer Eierkuchen mit Käse in Kolumbien verkaufen …

Bevor ich aber zur Camila kam, verbrauchte ich meine Zeit bei Nancy. Dazu muss ich sagen, dass ich auch viel Zeit im Bus verbrachte. Quitos Bussystem begann ich zu hassen, nachdem ich öfters 3 oder mehr Stunden verbracht habe um von einem zum anderen Ort zu kommen. Da sind selbst die BVG schnell. Gegen 17 Uhr werden schon erste Hauptverkehrsachsen dicht gemacht. Busse außerhalb der drei Achsen fehlt jede Information, damit Nicht-Einheimische sich vorstellen können wohin der Bus vielleicht fährt. Es mag zwar günstig sein, mit 25 Centavos, aber wenn ich diese 6mal am Tag zahle, wird’s langsam teurer. Busse in Vororte fahren teils von benachbarten Terminals ab und haben eigene Preise. Auch mein Umzug von Nancy zu Camila war von vier Stunden geprägt. Im falschen Stadtteil angekommen, wurde mir mehrmals gesagt: Ja, hier ist Condado, aber Condado liegt weiter unten. Etwas ist hier und gleichzeitig wo anders. Dieses Rätsel grenzt an philosophischem Wahnsinn. Sollte mein trainiertes Öffis-Können auch da versagt haben, so kam der berühmte Funken Glück ins Spiel und ich fand doch noch das Ziel.

Nancy ist 50 Jahre und hat zwei Kinder die in Deutschland oder Österreich studieren oder dies anstreben. Da sie ihren Mann rausgeschmissen hat, bewohnt sie ihre große Wohnung alleine. Die Kinder sind gerade auf Urlaub in Ecuador, aber kamen erst an meinen letzten Abend. Die Oma und die Schwester leben noch auf dem Grundstück. Abends saßen wir bei Kaffee zusammen und unterhielten uns lange. Ja, Kaffee wird in Ecuador und Kolumbien gern und zu jede*r Uhrzeit getrunken. Es wird eher wie Tee gehandhabt. Als sie den alten Kaffee mit etwas Wasser verdünnt und dann in der Mikrowelle erhitzt, werden alte WG-Erinnerungen wach. Sie brachte uns auch heimisches Abendbrot mit, allerdings trifft auch das nicht meine vollste Begeisterung: Mais-Käse-Teig in Maisblättern eingewickelt oder einfach nur Mais zum Abknabbern mit Salz und Frischkäse. Dabei meine ich nicht den in Deutschland üblichen Mais, sondern immer den weichen weißen großen Mais. Sie erzählt von ihren Vater, der schon seit über 39 Jahren Tod ist, aber in offiziellen Registern als lebend geführt wird. An vergangenen Abstimmungen hat er laut Register teilgenommen – obwohl er Tod ist. So geht Wahlmanipulation in Ecuador. Auch meinte sie, dass für das Wählen Gehen sie Dokumente erhält, die sie für größere Käufe oder Auslandsreisen benötigt. Diese anderweitig zu bekommen bedeutet lange bürokratische Umwege. Deswegen gehen viele lieber wählen.

Eine Agentur hat mittlerweile mich mit einem zweiten Menschen verbunden. Uns ist das aber zu teuer und wir vereinbaren gemeinsam weiter zu schauen. Mehrere Agenturen geben als Standort Machachi an, einen kleinen Ort eine Stunde südlich von Quito. Ich mach mich also dran, dorthin zu reisen um dort meine Recherchen fortzuführen. Vorher muss ich aber verlängern, weil Camilla mich noch zu ihrer vorgezogenen Geburtstagsfeier einlädt. Mit einigen Freund*innen von ihr gehen wir erst Vorglühen. Shots sind die Mittel der Wahl. Im Anschluss dann in den Club mit moderner lokaler Musik. Sie schwankt zwischen beliebten Salsa-Hits, Reggaeton und europäischer Disko-Musik. So klingt „Quito II“ für mich aus und ich finde den Weg über das Terminal Quitumbe nach Machachi.

PS.: im Bus in Quito habe ich gleich zu Beginn mein Handy verloren. Vielleicht wurde es auch geklaut, aber das lässt sich nicht zweifellos feststellen. Klar ist nur: Da ist es nicht mehr.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.


Mai 29 2018

Frederic

29. Mai 2018

Ayacucho

von Karl

 

Manche Menschen leben länger als sie gelebt haben. Arnos Bruder ist ein solcher. Arno ist eine Rampensau. So bezeichnet er sich selbst. Er muss wohl als Kind in ein Wörterbuch gefallen sein. Oder so ähnlich. Auf jeden Fall hat er viel zu erzählen und freut sich wenn er Fragen gestellt bekommt. Am liebsten über Peru, über Ivochote, dem Kakao-Anbau und natürlich „Peru Puro“. Seinem Baby. Er ist Geschäftsführer dieser Importfirma. Im direkten Handel, was er nicht ohne stolz sagt, in Abgrenzung zum Fairen Handel, importiert er direkt von den Bauern und Bäuerinnen Kakao nach Deutschland. Es gibt keine Zwischenhändler. Alles ist voll ökologisch und angebaut wird Chuncho, eine Ur-Kakao-Sorte. Daraus entsteht Edelkakao und -schokolade, die Arno dann in Deutschland vermarktet. So viel zur Vorrede.

Wie alles begann.

Schon am Minibus in Cusco lerne ich einen ehemaligen Ivochoter kennen. Gabriel ist jetzt Fahrer eines Minibusunternehmens, hat früher in Quillabamba im Kakao-Business gearbeitet und davor Strom in Ivochote verlegt. Seine Kolleg*innen stehen noch an der Straße um die letzten Plätze zu verkaufen. Laut rufen sie „Quillabamba“ auf die dichtbefahrene Straße. Die Fahrt nach Quillabamba lehrt uns das erste Mal bei tageslicht die Realität eines echten Gebirges. Immer wieder geht es Serpentinen hoch und runter. Oft führen die Straßen an Berghängen entlang. Ab über 3.500 Metern nimmt auch die Baumvegetation ab und die Berge sehen gelblicher aus, geprägt von dem Gras. Oft kann weit in das Tal hinein geschaut werden, sodass atemberaubende Ausblicke entstehen. Irgendwann halten wir auf einen Pass, der gut über 4.000m liegt. Nebel oder Wolken wabern von der anderen Seite über den Pass. Kurz darauf fahren wir im Achterbahntempo kilometerlang durch Wolken, bis wir wieder im Regenwald rauskommen. Eine der bedrohtesten und seltensten Vegetationszonen sind die Nebelwälder. Das sind Regenwälder die die meiste Zeit im Nebel stehen. Vielleicht sind wir durch einen solchen gefahren.

In Quillabamba finden wir eine günstige Unterkunft und schon steht Arno vor der Tür. Ganz wie ein deutscher Tourist auszusehen hat – nur – dass gerade er, gar keiner ist. Sandalen, beige-graue Trekkinghose, T-Shirt, gerötete schweißige Haut von der Hitze, blaues Shirt und lichter werdendes braunes Haar. Ein ständiges Grinsen begleitet das lose Mundwerk. Er führt uns gleich an unseren morgigen Treffpunkt und wir nutzen die Gelegenheit für eine Vorgespräch für unseren nächsten Film. Der Kakao in Ivochote soll den Fairen Handel in Deutschland bewerben. und wir sind das Film-Team. Unsere Magenschmerzen gehen vor allem zur spanischen Sprache. Wir können uns zwar verständigen, aber ein Interview ist nochmal eine andere Liga.

Der Geschäftsführer betont schon jetzt wie edel sein Kakao ist und dass kaum jemand, der oder die den Kakao probiert hat, diesen nicht wieder gekauft hat. Eine Info die uns noch öfters mitgeteilt wird.

Quillabamba

Wir nutzen die kurze Zeit in Quillabamba für einen Spaziergang und tatsächlich sind irgendwelche Festlichkeiten am Hauptplatz. Tribünen sind aufgebaut und viele Menschen mit und ohne Kostümen sind unterwegs. Plötzlich zieht an uns eine tanzende und musizierende Gruppe vorbei. Später werden wir solche Gruppen immer wieder sehen, nicht selten im Zusammenhang mit der Kirche. Quillabamba ist die größte Stadt mit 200.000 Einwohner*innen im Distrikt Echarati. Es ist vor allem deswegen reicher, weil sämtlicher Handel mit den umliegenden Dörfern über diese Stadt geht. Die Bäuerinnen und Bauern aus Ivochote zum Beispiel müssen für jede Reparatur nach Quillabamba. 6 Stunden hin und 6 Stunden zurück. Wenn es keinen Erdrutsch gab, sonst dauert es länger. Nicht selten fahren die Busse nachts, weil es da nicht so heiß ist. D.h. 2 Uhr nachts Abfahrt in Ivochote und dann wieder 2 Uhr nachts Abfahrt in Quillabamba. Schlafen scheint nicht so angesagt zu sein. Es gibt ja Coca.

Die Rentner*innen-Reise-Gruppe, kurz RRG

Arno meint, wir kommen genau richtig. Zum ersten Mal gibt es eine Touri-Gruppe aus Deutschland die u.a. mehrere Tage nach Ivochote reist. Es sind zwei Plätze frei geworden und nun können auch wir einfach mitkommen und werden mit ihnen an alle interessanten Plätze geführt. Tatsächlich macht uns das alles einfacher. Nach der einen Übernachtung in Quillabamba gehen wir mit unseren Gepäck zu Arnos Hotel und erwarten die Gruppe. Gemeinsam mit Ihnen packen wir unseren Kram auf das Dach des Minibusses.

Ich setze mich in die letzte Reihe und lerne im laufe der Fahrt nach Ivochote die beiden „jüngeren“ der Reise kennen, mit denen ich die Reihe teile. Ein Pärchen aus Franken. Er ist auch eher vom Typ Rampensau, schwer in Ordnung und nicht verlegen schlechte Witze zu machen. Dann kennt er noch das Känguru und engagiert sich gegen zu viel Religion in dieser Welt. Ganz sympathisch. Seine Frau dagegen, ist eher zurückhaltend. Wenn ich so darüber nachdenke, weiß ich gar nix von ihr.

Schon am Bus lerne ich den Sachsen kennen. Zwischen den ganzen schwäbisch-fränkischen Dialekten sticht er hervor. Reiseteam-intern nennen wir ihn „die Komödie“, weil er es schafft jedes Fettnäpfchen mitzunehmen. Er ist ganz lieb, nur kehrt er seine negative Sicht stark nach draußen. Wir schauen uns unbeteiligt die Konflikte zwischen ihm und der RRG an. Die Unterhaltung hatten wir gar nicht gebucht. Aber das schönste kommt ja meist überraschend. Nur die „Jüngeren“ scheinen ihn wirklich integrieren zu wollen.

Dann ist da das Vierer-Team vom Weltladen Ulm. Mit der kleinen braunhaarigen als zurückhaltende Anführerin. Die drei anderen Rentnerinnen sind auch ehrenamtlich Engagierte. Sie sind noch mehr dabei das als schönen Urlaub zu nehmen und erzählen viel und gern aus ihrem Leben.

Ein noch älteres Ehepaar, scheinbar Verwandte oder Bekannte von Arno, begleitet uns noch, doch besonders Er ist sehr in sich gekehrt. Freundlich sind sie wohl alle.

Bienvenido en Ivochote

Die Fahrt von Quillabamba nach Ivochote wurde mehrmals für Photo-Pausen unterbrochen. Allerdings ist der Bergregenwald mit dem Rio Urubamba auch ein prächtiges Motiv. Der Fluss schlängelt sich zwischen den steilen grünen Berghängen. Hier im Gebirge ist er nicht der ruhige Breite, sondern ein reißender Strom. Irgendwann verlassen wir die asphaltierte Strecke und biegen in Kiteni auf die Schotterpiste. Über sechs Stunden dauert die Fahrt, was angesichts der üblichen Distanzen in Peru eher wenig bis durchschnittlich ist. Ivochote ist ein Dorf mit einigen hundert Einwohner*innen. Ivochote liegt komplett rechtssseitig des schnellen Rio Urubamba und ist mit einer Hängebrücke mit dem anderen Ufer angebunden. Für Motorräder ist sie breit genug, nicht aber für Autos. Wir sind in einem der Hotels am Fluss untergebracht. Im Dorfkern thront ein großes Schulgelände und ein überdachter Fußballplatz mit einer kleinen Tribüne. Riesig im Vergleich zu den nicht mal hundert Schüler*innen.

Peru gibt viel Geld für Schulen aus, aber die Korruption ist auch hier ein Problem. Architekt*innen planen gerne groß, weil dann mehr abgerechnet werden kann und damit der prozentuale Eigenanteil größer wird. Eine andere Schule hatte sogar ein kleines Wasserbecken, jedoch ohne Wasser. und eine große Küche, jedoch ohne dem nötigen Gas. Auch die Lehrer*innen möchten lieber in den Städten arbeiten, sodass Bestechung bei der entsprechenden Vergabestelle normal sein. Mit 10.000 Soles für einen Großstadt-Arbeitsplatz sollte gerechnet werden. Auch seien Lehrer*innen schlechter je entfernter die Schule von der Großstadt liegt. Selbst an den Wegen abseits der Dörfer gibt es Schulen, für die Kinder der Bäuerinnen und Bauern, sowie der noch entfernter lebenden Mechungas, der einheimischen Indigenen.

Viele der Menschen in Ivochote arbeiten zur Zeit auch für die Gasfirma. Seit einiger Zeit wird eine sehr lange Erdgaspipeline von Camisea, was noch viel weiter östlich im Flachland-Regenwald liegt, bis an die Küste gezogen; das heißt auch einmal komplett über die Anden. Dafür wurden schon die meisten Kilometer im Bergregenwald abgeholzt und die Rohre ausgelegt. Arno hat uns auch einige Lagerstädte der zukünftigen Rohrelemente gezeigt. Anfangs seien viele vor Ort begeistert gewesen, weil die Firma Geschenke verteilt hat, die Straßen asphaltiert und viel Geld in Ausgleichsmaßnahmen gesteckt wurden. und natürlich weil es gut-bezahlte Arbeit gab. Als die Baufelder weiter-wanderten und die Naturzerstörung übrig blieb, begann der Protest. Camps der Gasfirma wurden in Brand gesteckt. Wenn deren Hubschrauber landeten, kamen die Einheimischen mit Fackeln. Dann schickte die Regierung das Militär. Um die Gasfirma zu schützen. Mittlerweile ist der Protest abgeebbt und der Bau geht weiter.

Jonathan

Mit Dreirad-Motorrädern soll es zum Kakao-Bauern Jonathan gehen. Mit dabei, der Präsident der ökologischen Kakao-Vereinigung Ivochote, oder einfach nur Adolfo. Manchmal auch Alfonso. Eines der Motorräder ist neu gekauft. Wir starten am neuen Zentrum der Vereinigung, wo wir auch mit Essen versorgt werden. Neue Toiletten, neue Küche, Gästezimmer, Lager, Versammlungsraum. Alles per Hand gemacht und mit Material von vor Ort. Es ist einfacher den Flusskies zu sieben und zu Zement anzurühren, als einen Laster kommen zu lassen. Bewundernswert was hier geschafft wurde. Jonathan und Adolfo sind noch dabei Bretter zuzuschneiden als wir frühstücken. Damit drei Reihen auf der Ladefläche eines Motorrads Platz nehmen kann. Neben dem Fahrer sind links und rechts noch je ein Sitz.

Ivochote liegt unter 500 Metern, aber die Bauernhöfe auf ca. 1.200 Metern über dem Meeresspiegel. Nach nur wenigen Kilometern den Schotterweg hinauf, platzt der Abluftschlauch am Motor. Stundenlang versuchen wir das zu reparieren. Teils mit Bananenblättern. Am Ende tut es ein Lappen und stetiges kühlen mit klaren Wasser vom Beifahrer. Der neue Schlauch muss erst in Quillabamba besorgt werden. Eine Weltreise entfernt. Jonathans Bauernhof besichtigen wir, der aus mehreren Holzbauten besteht und einem gut gepflegten Schrebergarten den Rang abläuft. Es gibt eine Küche, einen überdachten Versammlungstisch, eine Kakao-Anzucht, Unterkünfte, einen Gemüsegarten und einiges an Werkzeugen. Hühner laufen frei rum. Es gibt zig gut gepflegte Bäume, u.a zeigt er uns Zimt. Auch sein jüngster Sohn fährt mit seinem kleinen Fahrrad über den Hof und nähert sich immer wieder schüchtern den entzückten Rentner*innen die gerne mal wieder ein Photo von einem süßen Kind machen.

Er gibt uns Früchte zu essen, die wir noch nicht mal in Quillabamba kaufen könnten, weil die sehr schnell schlecht werden. Die kann mensch nur hier essen, wo sie wachsen. Früchte die ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen habe. Leider sogar sehr leckere Früchte.

Der soziale Kakao

Wir werden auch hier von einer der Frauen-Gruppen bekocht. Arno erklärt, dass eines der zentralen Projekte der Kakao-Vereinigung die Frauen-Gruppen sind. Vormals sind nur die Männer zum Verkauf des Kakaos und wegen anderen Besorgungen ins Dorf gegangen. Nun aber treffen sich die Frauen und das stärke ihr Selbstbewusstsein ungemein. Als eine Frau von ihrem betrunkenen Mann immer wieder geschlagen wurde, haben sie sich gemeinsam aufgemacht und mit dem Mann gesprochen. Chefin des neuen Zentrums oder offiziell die Sekretärin der Vereinigung ist Amelia und hat als Frau eine führende Rolle eingenommen.

Ein weiterer Teil ist die Unterrichtung von Schwester Esther. Schwester Esther ist über einen christlichen Orden in das Tal gekommen und stammt aus dem Regenwald Indonesiens. Im Gegensatz zu den Bäuerinnen und Bauern kennt sie sich mit dem Regenwald aus. Arno erklärte uns, dass die meisten in Ivochote aus dem Hochland zugewandert sind und den Regenwald nicht kennen. Sie denken an die eigene Versorgung, sodass sie Land kaufen, abholzen, drei Jahre Kakao anbauen und dann neue Felder brauchen, weil der Boden keine Nährstoffe mehr trägt. Nun wird nachhaltig angebaut. Arno ist studierter Tropenökologe und trägt sein Wissen mit bei. Das wirkt sich auch auf die Ernährung aus. Mittlerweile werden verschiedenste Pflanzen zur eigenen Versorgung angebaut, wie beispielsweise Salat, Tomaten und es wird sogar Kuchen gebacken. Alles das gab es vorher nicht. Mittlerweile ist es Teil der Schulspeißungen und es gibt Schulgärten.

Der Regenwald wird als nachhaltige Quelle geschützt, wieder aufgeforstet und für den Eigenbedarf genutzt. Über 90% von Jonathans Fläche ist natürlicher Regenwald, den er nun nicht mehr abholzen will. Vielleicht jagt er mal ein Tier, erntet eine Frucht oder fällt einen Baum für Neubauten. Nur ein paar Hektar nutzt er für den Kakao-Anbau.

Der Kakao

Kakao wächst an kleinen Bäumen die nicht größer sind als drei Meter. Interessanterweise wachsen die gelben oder roten Früchte direkt am Stamm oder den Ästen aber nicht bei den Blättern. Die Früchte sind hart, wasserflaschen-groß und geformt wie ein Football. Mit der Machete schlägt Jonathan eine Frucht in zwei und es kommt ein weißer Fruchtschleim zu Gesicht in dem die Kakao-Kerne geschützt sind. Der Schleim schmeckt ganz pasabel, aber die Kerne sind im Interesse von Adolfos Kolleg*innen. Die Kerne werden gewaschen, fermentiert und getrocknet. Erst dann werden sie Teils in Quillabamba weiterverarbeitet oder direkt nach Europa verschifft. Den Kakao erst „vor Ort“ zu Schokolade zu verarbeiten, ist ökologischer, weil der Transport dann nicht gekühlt werden muss.

Wir interviewen Adolfo zwischen Jonathans Kakao-Bäumen nach dem die RRG weitergezogen ist. Er sagt, dass der Klimawandel tatsächlich ein großes Problem ist. Mittlerweile breitet sich ein Insekt aus, welches sich vom Schleim ernährt und damit die Kerne im Wachstum schädigt. Das Insekt hat diese Höhen erst für sich entdecken können, weil es wärmer wurde. Ca. 50% der Früchte seien befallen. Ein riesiges Problem. Arno hält die Ur-Sorten für den Schlüssel um dem Trend Herr zu werden, sowie großflächigen Regenwaldschutz und Aufforstungen. Damit das Mikroklima im Urubamba-Tal konstant bleibt.

Arme Deutsche

Am letzten Abend sitzen wir sprachlos mit der RRG am Abendbrot-Tisch. Sie sammeln Geld für die Frauen-Gruppen. Ich habe die Bäuerinnen und Bauern als selbstbestimmte und stolze Menschen wahrgenommen. Ich konnte viel von Ihnen lernen und bin immer noch tief beeindruckt, wie sie ihr Leben gestalten und was sie geschafft haben. Menschen denen ich auf Augenhöhe begegnet bin und denen ich viel zugehört habe. Ihnen Geld zu spenden empfinde ich dabei als Abwertung. Ich der reiche Deutsche unterstreicht damit seine privilegierte Position. Rosa und ich wenden uns ab, was uns aber nicht so leicht gemacht wird. Sie diskutieren am Tisch den Gesamtpreis und legen fest wie viel jede*r zu geben hat. Als Rosa ablehnt, trifft sie der unverständliche Todesblick einer Rentnerin.

Bei einer Schulbesichtigung übergeben einige Rentnerinnen ihre Geschenke an die Direktorin der Schule. Nie wurde gefragt, was gebraucht wird. Kugelschreiber, Notizheftchen, Mini-Täschchen, Wasserbomben, … werden überreicht. Meines Erachtens Sachen, die sie einfach nicht mehr gebraucht haben. Sie denken, sie würden etwas gutes tun, wissen aber überhaupt nicht, ob es überhaupt helfen wird. Eigentlich geht es gar nicht darum den peruanischen Kindern zu helfen, sondern das gute Gewissen der schenkenden Deutschen. Die geistig Armen und die materiell Armen treffen sich hier in bewundernswerter Freundlichkeit.

Als sie dann sogar für Arno Geld sammeln, bin ich dann dran den Todesblick der Rentnerin einzufangen. Nie wurde ich gefragt, was ich davon halte, wie viel ich geben mag oder dergleichen. Nein, ich wurde einfach aufgefordert 30 Euro zu geben.

Der Touri-Tag

Unser letzter Tag vor der Abreise in Ivochote, ist ein touristischer Programmpunkt. Den Urubamba flussabwärts durchbricht der Fluss den letzten Gebirgszug der Anden und geht in den Flachlandregenwald über. Das Wasser gelangt über verschiedene Flüsse irgendwann in den Amazonas. Faszinierend ist dabei, dass die Amazonas-Mündung viele tausende Kilometer entfernt ist, aber der Höhenunterschied lediglich 300 Meter beträgt.

Wir fahren mit zwei lokalen Langbooten den Fluss hinab. Die Holzboote sind gute 40 Meter lang und mit Auto-Sesseln ausgestattet. Der Fluss macht noch einige Wendungen und hat einige Stromschnellen die viel Geschick erfordern. Ein Ausfall des Motors wäre der sichere Tod. Nach zig Stromschnellen und Hängebrücken erreichen wir die Schluchten des „Pongo de Mainique“. Faszinierend ragen links und rechts die Felswände auf. Hin und wieder durch Wasserfälle abgenutzt. Es ist leiser hier. Der laute Regenwald ist etwas zurückgetreten und nur das Wasser plätschert. Der Fluss ist immer noch reißend, aber er zeigt es nicht. Es ist kühler im Schatten der Felsen. Es ist dunkler ohne dem Grün und der Sonne.

Wir wandern später in einen Seitenarm und genießen ein Bad an einer ruhigeren Stelle. Gleich daneben hat der kleine Fluss eine natürliche Wasserrutsche gebastelt, was mich sehr lange sehr erfreut. Im Schatten der Bäume bleibt die Zeit stehen. Alle Arbeit mit dem Film ist vergessen. Ich lass mich immer wieder treiben und springe immer wieder von den Felsen in das kalte Nass. Die Sonne wärmt bedächtig die Felsen. Wohl Stunden hätte ich verbringen können, wenn nicht der Rest der Gruppe den Rückweg angebrochen hätte.

Arnos Bruder

Auf dem Weg zurück fordert Schwester Esther den Bootsfahrer auf kurz langsamer zu fahren. An einem Stein am Rande ist ein Name eingeschlagen. Fein säuberlich steht dort „Frederic“ geschrieben. Arnos Bruder. Er ist als Abenteuer-Tourist auf dem Rio Urubamba unterwegs gewesen, ist gekentert und wurde an dieser Stelle das letzte Mal gesehen. Wir staunen, dass Arno mit uns unterwegs ist. Er ist der Grund, warum Arno und seine Eltern immer wieder in diese Region kommen. Seit über 16 Jahren schon. Sie haben den Verein „Frederic – Hilfe für Peru“ aufgebaut, den viele in Ivochote kennen. Genauso wie Arno ein bunter Hund im Dorf ist. Der Verein ist der Anfang, der irgendwann zum direkten Handel mit Kakao führte. Es ist beeindruckend welche Spuren Frederic hinterlassen hat und wie er nun weiterlebt. Weit über sein Leben hinaus. Er war Backpacker, so wie wir.