Apr 7 2019

Salvador, Yemayá und Tapioca

Von Karl

Salvador, Bahia, Brasilien

 

nach Salvador

Unser Start von Arraial do Cabo (Bundesstaat Rio de Janeiro) gestaltete sich nicht ganz leicht. Es gibt nur Verbindungen nach Rio de Janeiro, sodass wir erstmal mit dem Stadtbus nach Cabo Frio fuhren, was gleich der nächste Ort ist. Leider gab‘s hier auch keine Wunschverbindungen, sodass wir erstmal zum unaussprechlichen Campos dos Goytacazes aufbrachen. Gegen Mitternacht begannen wir dort dann mit dem letzten Schalterbediensteten eine theoretische Odyssee durch die letzten Verbindungen und Preise. Schlussendlich entschieden wir uns für Eunápolis im Bundesstaat Bahia, wo es auch hingehen soll.

Gegen Mittag waren dann auch dort, doch leider gab es nur Verbindungen über Nacht in die ehemalige Hauptstadt Salvador. Wir begann also die Stadt zu erkunden, aber jede*r ist hier der Meinung, dass die Stadt nicht sehenswert ist. Gut, es gibt nun auch nicht so viel zu erkunden, aber lecker Acai essen ist trotzdem drin.

Ein kleiner Platz neben der modernen Kirche lädt zum Verweilen ein. Das schönste aber in Eunápolis war wieder die Motorradfahrt zurück zum Busbahnhof. ach, die Motorrad-Taxis, ich werd‘s vermissen …

Salvador

Salvador war mal wichtiger und das als es Brasiliens Hauptstadt war. Heute eher aus kultureller Sicht berühmt. Sie gestaltet sich wie viele brasilianische Großstädte sehr durchmischt. Große Schnellstraßen durchkreuzen arme Favelas und reiche Hochhaussiedlungen. In letzteren Haben wir bei einer Professorin, genannt Ilma, ein Zuhause bekommen. Vom 9ten Stock aus bietet der Balkon schon einen kleinen Ausblick auf die Gegend. Der Sicherheitsdienst nahm es ganz genau und der Pool ist geheizt. Kinderparadies und Muckibude haben wir nicht genutzt. Mag es mal angenehm zu sein, in so einer Umgebung abzusteigen, sind wir, Azul und ich, doch einig, dass ein mit Mauer, Stacheldraht und Elektrozaun umgebenes Zuhause uns nicht gefällt.

Salvador war im 18. Jahrhundert mal Hauptstadt Brasiliens. Viele Sklav*innen unter anderem aus dem heutigen Angola wurden hierher gebracht und haben die Region nachhaltig geprägt. Immer wieder kam es zu Aufständen und Streiks, die gegen die Sklaverei und Kolonialherren in Portugal sich richteten und schlussendlich auch erfolgreich waren. Ausdruck dieser Zeit ist auch der Kampf- bzw. Tanzsport Capoeira, der seine Heimat besonders auch in der Bahia hat, wie die Region genannt wird.

Yemayá

Mit den Sklav*innen kamen auch deren Religionen nach Brasilien und Teile haben sich bis heute gehalten. Teils wurden die Religionen von der katholischen Kirche okkupiert. Eine der Religionen ist die der Yoruba aus Nigeria und Benin, die über die Zeit zur eigenständigen afrobrasilianischen Religion Candomblé wurde. Teil dieser Religion ist die Heilige Yemayá, die symbolisch für das Meer steht. Ihr zu Ehren wird jedes Jahr im Januar in verschiedenen Städten Brasiliens ein Fest abgehalten. Ilma machte uns darauf aufmerksam, dass am nächsten Tag, nach unserer Ankunft, dieses Fest im Stadtteil Rio Vermelho (zu deutsch: Roter Fluss) stattfinden wird, und, dass Salvador außerordentlich feierlaunig ist und jede Gelegenheit gerne genutzt wird.

So war dann auch unser Eindruck. Schon Kilometer vor dem angepeilten Ort der Feierlichkeiten, sehen wir tausende Begeisterte, die zu den Stränden pilgern und ihren Weg durch die unzähligen Verkäufer*innen schlängeln. Neben den üblichen Essen und Trinken, besonders Bierdosen, gibt es auch frittierten Käse. Der erst frisch über einen kleinen Eimer mit Holzkohle gegrillt wird, nachdem wir bestellt haben.

Wir erreichen dann auch, nachdem wir durch die Massen an Trinkenden uns durchgeschlängelt haben, einen Strandbereich. Teil der Tradition ist es Blumen ins Wasser zu werfen. Unzählige Tulpen schwammen schon im Wasser und der Strand ist gesäumt durch welke und nasse Blumen. Oft wird Frauen ein paar Blumen geschenkt, die sie dann ins Wasser werfen. Je nach Einkommen, auch ein Blumenstrauß oder sogar mit einer kleinen Bootsfahrt.

Rio Vermelho hat viele kleine Strände und wir hangeln uns von Strand zu Strand weiter bis wir zu einem größeren kommen, der auch massiv überlaufen ist. Unzählige Bötchen schaukeln im Wasser oder warten am Strand auf Kundschaft oder um das Spektakel zu beobachten. Genauso wie Fernsehsender, die eine eigene große Plattform aufgebaut haben. Tatsächlich gibt es hier auch Zelte für rituelle Segnungen und teils steigen Priester in religiösen Trachten mit großen Blumengestecken auf die schaukelnden Boote. Unter dem gespannten Interesse der Umstehenden die das auf jeden Fall sehen und photographieren müssen.

Oberhalb des Strandes steppt auch der Bär. Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Tausende die feierlaunig die Straßen bevölkern. Die eigentlich breite Uferstraße folgend kommen dann auch Bars mit DJs und Boxen um die Straße mit tanzbarer Musik zu bespielen. Den Rhythmen folgend bewegen sich die hunderten Menschen, wenn sie nicht von umziehenden Gruppen, Bierträger*innen oder der brutalen Polizei geschubst werden. Die Polizei tritt in kleinen Gruppen auf und es ist sehr ratsam nicht denen im Weg zu stehen, weil, wie ich beobachten musste, sie schnell mal den Schlagstock zücken und kräftig zulangen.

Wir versuchen die entsprechenden Korridore frei zu halten und genießen die MPB. MPB meint soviel wie brasilianische Popmusik. In Brasilien hat sich eine eigene Popmusik entwickelt die auch immer wieder weltweit bekannte Titel hervorbrachte. Natürlich läuft auch etwas Elektro, Rock und Reggae. Salvador ist, ähnlich wie Rio de Janeiro, ein Ort, der besonders LGBTIQ-freundlich ist. Wir tanzen entlang des Regenbogens bis uns die Füße schmerzen. Teil der Tradition dieses Festes scheint auch der Verkauf von Armbändchen zu sein, die es auch in Regenbogenfarben gibt. MPB ist einfach zu finden, falls ihr mal reinhören wollt.

Pelourinho

Salvadors touristisches Zentrum ist Pelourinho. Es ist die hübsch restauriert Altstadt. Sie liegt in der Oberstadt. Die Unterstadt liegt auf Meeresspiegelniveau und wurde über die Jahrzehnte weitestgehend aufgeschüttet.

Um von der Ober- in die Unter-Stadt zu kommen, oder umgekehrt, gibt es neben der verschiedenen sich windenden Wege, den Elevador Lacerda, einen historischen Aufzug. Der beige-weiße Bau ist hübsch restauriert und enthält mehrere Aufzüge. Über eine Brücke führt der Weg zum oberen Ende des Aufzugs.

Ein weiter Ausblick erlaubt der Blick durch die breiten Fenster auf die verschiedenen Häfen. Der Aufzug ist sehr günstig und entsprechend sollte Kleingeld parat gehalten werden. Unweit des Aus- und Einstiegs in der Unterstadt gibt es auch einen großen Markt mit allerlei Handwerk und Souvenir-Kram.

Obschon alles ganz nett ist, chillen wir doch mehr am Wasser als alles andere und fahren rechtzeitig mit der S-Bahn zurück. Mittlerweile gibt es zwei Linien, die seit Jahrzehnten geplant und gebaut werden, aber für Salvadors Bedarf zu wenig ist. Mir kam zu Ohren, dass die Metro ein ähnlich belächeltes Großprojekt ist wie der Berliner Flughafen.

Wir müssen pünktlich zurück sein, denn Ilma lud uns ein, mit zu einem Axé-Konzert zu kommen. Axé hat auch afrobrasilianische und bahianische Wurzeln und ist in den letzten Jahren sehr beliebt geworden, auch außerhalb von Bahia. Falls ihr mal reinhören wollt, ich hab euch mal Daniela Mercury rausgesucht, eine Axé-Ikone. Das Konzert ist in vollem Gang und das schon am frühen Abend. Ich bin beeindruckt von der Leidenschaft die die Menschen durchströmt. Bis zur Oma hinterm Verkaufsstand lassen sich alle mitreißen. Die Oma verkauft übrigens Tapioca.

Auch Ilma und viele andere essen gerne Tapioca, insbesondere zum Frühstück. Tapioca ist eine weißes Pulver was es in allen Lebensmittelgeschäften gibt und aus Maniok gemacht wird. Das beeindruckende ist dabei die Zubereitung. Das Pulver wird feingesiebt und ohne Öl oder Wasser in eine Pfanne gegeben. Zur Not etwas festgedrückt, wird das weiße Pulver erhitzt. Dabei verbindet es sich nach und nach zu einer Masse, sodass es wie eine weißer Eierkuchen aussieht. Nur einmal drehen und servieren bevor es braun wird. Es schmeckt nach nichts und ist etwas gummiartig. Wichtig ist nun die Füllung, das heißt, was eingerollt wird. Die Faulen und Armen nutzen Salz und Margarine. Darüber hinaus sind verschiedene Fleisch- und Käsesorten beliebt, manchmal mit Rührei, gekochten Gemüße oder gar süß. Ich denke ich packe mir auch ein Päckchen ein.

Nachdem unser Hunger gestillt ist, geht es zurück zwischen die Tanzenden um es ihnen gleich zu tun. Es ist tatsächlich eine unglaublich gut tuende Musik. Sie lässt entspanntes langsames Zappeln zu, aber auch energetisches Ausrasten, wenn einen nach einer anstrengenden Arbeitswoche gerade danach ist. Auf der Bühne singt Margareth Menezes. Hört’s euch mal an. Sie ist auch ziemlich berühmt und als sie ihren Hit Dandalunda schmettert sind alle aus dem Häuschen.

Es gibt zudem eine große Halle auf dem Gelände die sich der solidarischen Wirtschaft verschrieben hat und viele Produkte aus alternativer Produktion, z.B. von Kollektiven, anbietet.

Vieles sind auch Produkte die auf die Schwarze Tradition beziehungsweise das afrobrasilianische Leben sich beziehen. So werden viele bunte Tücher angeboten, die vor allem Frauen um den Kopf tragen und auf der Stirn verknoten. Aber auch antirassistische Initiativen verkaufen Shirts mit Statements, oder ökologisch-vegane Seife, oder recycelte Kunst, oder oder oder …

Erneut gehen wir begeistert nach dem kleinen Shopping zurück zur Tanzwiese. Leider endet das Konzert relativ früh. Nach einem spätabendlichen Acai fahren wir ein letztes Mal zu Ilma nach Hause, denn am nächsten Tag steigen wir ein letztes Mal in den Fernbus. Nicht ohne im Busbahnhof nochmal fett Feijoada zu futtern.


Dez 19 2018

Bautis Welt und Familie

Salta, Argentinien

Von Karl

 

Benicio Bautista

Ich stelle kleine Plastik-Dinosaurier auf. Das ist meine Aufgabe, sie wurde von Benicio bzw. Bautista für mich vorgesehen. Vielleicht fünfzig Stück. Große und kleine, ruhige und aggressive, ja die ganze Bandbreite der allgemein bekannten Dinos. Bautista ist vier Jahre und stellt Plastik-Soldaten auf. Die meisten direkt gegenüber und andere kreisförmig um meine Dinos herum. Als wir nun alle aus den Eimerchen ausgeschütteten Figuren auf den Teppich mit bunten Häusern und Straßen aufgestellt haben, stellt er sich daneben und imitiert Schussgeräusche. Nach und nach wirft er Dinos von mir um.

Ich find‘ ja Kriegsspiele nicht ganz so lustig und frage ihn warum er das macht. Hat er in einem Film gesehen, sagt er. Kurz hält er inne, aber dann geht‘s weiter. Nagut, denke ich, dann mach ich was anderes. Als er mir aber folgt, merke ich erneut, dass er gern mit mir spielen möchte. Vorher hatte er mir Spielzeugwaffen angeboten, aber auch die hatte ich schon nicht genommen. Er versteht nicht, dass ich nicht mag.

Der vierjährige Junge mit seinen kurzen schwarzen Haaren ist der Sohn von meiner Couchsurferin. Darf ich vorstellen: Daiana, Mitte 20zig, immer schick gekleidet, Kümmerin, liebevolle Mutter, gesprächig und für jeden Spaß zu haben. Sie haben mich in ihren geräumigen Haus aufgenommen. Gerade stellt sie einen Teller mit Spaghetti für jede*n auf den Tisch. Benicio isst nur ein wenig und springt schon wieder rum. Daiana nimmt das gelassen. Generell bin ich beeindruckt mit welcher Gelassenheit sie ihn lässt und liebt. Dagegen sind deutsche Stille-Sitzen-Befehle reinste Diktatur.

In Südamerikas Welt, so mein Eindruck, gibt es viele Regeln für Kinder nicht, die viele in Deutschland für absolut wichtig finden. Aufessen, um 8 im Bett, immer artig sein, etc. Die Menschen hier, die daraus werden und denen ich begegne sind trotzdem freundlich und zuvorkommend. Vielleicht weniger autoritätsgläubig. Es ist eine reine Vermutung von mir, dass die weniger autoritäre Erziehung auch zu mehr Selbstständigkeit führt. Beispiel: Polizist*innen werden als normale Menschen betrachtet und wenn mir die Anweisung nicht gefällt diskutiere ich halt und widersetze mich. Ganz normal eben. Wenn kein weiteres Auto an der Kreuzung steht, dann kann ich auch bei Rot fahren. Wo kein Richter da kein Henker. Mir gefällt‘s und ich frag mich, ob wir unsere deutsche Über-Strenge wirklich brauchen und wir nicht zu viele autoritäre Charaktere formen.

Nun kommt er mit Jenga an den Tisch und wir beginnen dieses Spiel. Doch nach 10 Minuten ist dafür die Konzentration weg. 20 Minuten später räumt Daiana es wieder zurück. Ich versuche es mit Kartentricks. Er scheint noch zu jung zu sein, wiederholt meinen Trick mit eigenwilliger Interpretation bei mir. Manchmal sind die bunten Bilder auf den Karten aber dann doch noch interessanter.

Benicio Bautista hat übrigens zwei Vor- und zwei Nachnamen (hispanoamerikanische Namensgebung). Das ist völlig üblich. Meist vergeben beide Elternteile je einen Vornamen und ihren ersten Nachnamen weiter. Für mich war es anfangs verwirrend, dass er sowohl Benicio als auch Bauti gerufen wurde. Gegen 14 Uhr muss er in die Kita, hat zwar erst kein Bock, aber dann gehen die beiden doch. Kurz darauf kehrt Daiana zurück und isst seine Spaghetti.

Daiana wohnt am Stadtrand von Salta, einer Großstadt im Norden Argentiniens und Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Halbe Million Menschen leben hier und machen Nachmittags Pflicht-Siesta. So wird sie mir vorgestellt. Am Wochenende ist Bauti bei seinem Vater und Daiana hat Zeit für sich. Sie zeigt mir viel und ist die Bilderbuch-Gastgeberin. Sie kennt mein Profil auswendig und nimmt sich viel Zeit mir ihre Stadt zu zeigen. Das ganze Wochenende. Zudem lerne ich einige Familienmitglieder kennen – ihrer Aussage nach nur einen kleinen Ausschnitt – für mich allerdings wäre es schon eine vollständige Familie. Dazu kommen einige Freund*innen, aber jetzt langsam und von vorn.

Daiana

Ich versuche zu ergründen was ihre Arbeit ist und öffne eine leidenschaftliche Seite von ihr. Körper-Ästhetik studiert sie. Jups, hab ich auch noch nie gehört. Ihr Ziel ist es, mal ein Studio aufzumachen, wo menschen hinkommen können und beraten werden, wie sie ihre Ästhetik-Vorstellungen an sich selbst umsetzen können. Ich bin naturgemäß skeptisch: Es gibt ja auch ein Bild von Schönheit in der Gesellschaft. Kommt es vor das Menschen mit Bildern von Stars kommen und genau so aussehen wollen?

Ja leider, meint sie, aber das wäre kein Ziel ihrer Arbeit. Viel mehr sei es entscheidend die persönlichen Vorstellungen und Möglichkeiten weiterzuentwickeln. Ansätze gibt es viele. Das kann auch einfach eine Ernährungsberatung sein.

Selbst ist sie übrigens weitgehend vegetarisch unterwegs, was mein Leben deutlich entspannt und wir gemeinsam kochen können.

Sie stärkt das Bild von einer individuellen Schönheit. Innerer Applaus brandet in mir auf und ich muss schmunzeln.

Gibt es Menschen, die gerne ihre Hautfarbe ändern möchten, dunkler zum Beispiel?

Ja, die gibt es. Die meisten möchten hellere Haut und greifen auf ätzende Cremes zurück. Das empfiehlt sie aber überhaupt nicht. Sie schaden mehr als dass sie helfen.

Unter der Woche geht sie zum Studieren. Gegen 17 Uhr geht‘s los und natürlich wird während des Unterricht gemeinsam Mate getrunken. Und Süßes gegessen. Ein Körper-Ästhetik-Seminar mit Süßigkeiten. Wie geil ist das denn!

Ihr Einkommen kommt aus einer Arbeit am Wochenende, wo sie Empanadas verkauft. Diese endet meist auch früher, weil wenn alle verkauft sind, dann macht der Laden dicht. Angeblich kommen auch schon frühs um 9 Uhr Menschen, die dann Empanadas und Wein ordern. Ich kann‘s mir nicht so richtig vorstellen.

Bäche und Ausblick

Im Nachbarhaus mit selben Eingang und gemeinsam genutzten Auto, wohnt die Schwester. Auch sie ist schwer interessiert an meinem Leben, und hat natürlich Mate dabei. Zu dritt fahren wir zu einem Hügel hinter dem Rand der Stadt. Pferde und Schafe stehen seelenruhig neben uns, während wir auf das ferne Salta und die grüne Hügellandschaften blicken. Hinter dem Berg beginnt die Sonne sich abzusenken. Ein einsam-schöner Ort.

hinten rechts: Salta, vorne rechts: Daiana

Dagegen ist der Flusslauf den sie mir dann zeigt etwas beliebter. Ruhig plätschert das Wasser dahin und wir setzen unsere Gespräche fort. und je länger sie andauern, desto stolzer bin ich, dass ich auf noch nicht eine Vokabel Englisch zurückgreifen musste. Die Mühen machen sich langsam bezahlt. Auch dass mein Spanisch verstanden wird baut mein Selbstbewusstsein auf.

Die Straßen Argentiniens sind gesäumt von einem lila-blühenden Baum. Irgendwie macht er jede Allee noch einen Tick schöner. Sein Name ist Jacaranda, wie ich nun herausfinden konnte. Als die Sonne hinter dem Horizont verschwunden ist, fahren wir auf den Hügel San Bernardo. Für mich wäre es ein Berg, aber für Südamerikaner*innen nur ein Hügel. Daiana ist ganz verwundert, dass wir in Deutschland Berge schon ab 500m Höhe als Berge bezeichnen. Das ist hier allenfalls Strand oder Küste, höchstens ein Deich. Die Anden sind Berge und sie erklärt mir, dass es verwirrend findet, dass ich alles als Berge bezeichne, was wir sehen. Es seien nur Hügel. So auch der San Bernardo, der auch durch eine Gondelbahn erreichbar ist. Tags und – etwas schöner noch – Nachts bietet er einen wunderbaren Blick auf die Stadt Salta. Nachts wenn die Straßenlaternen ein Netz ausbreiten. Unzählige Lichterketten.

Tagsüber ist ein komplexes System an kleinen künstlichen Wasserfällen und Wasservorhängen auf dem Berg – äh sorry – Hügelchen zu bewundern. Wir unternehmen rein deswegen eine Fahrt mit der Gondel, die auch historischen Wert besitzt. Ein Fußweg führt durch den dichten Wald runter an den Rand der Stadt.

Salta

Die Innenstadt hat erneut einen Hauptplatz mit vielen Bäumen, umsäumt von kolonialen Gebäuden. An der Ecke gibt es die besten Empanadas, so Daiana, sodass unsere Mittagspause genau dort stattfindet. Klein aber fein, muss ich ihr recht geben, sie weg zu werfen müsste unter Strafe stehen. Drei Türen weiter gibt es das „Archäologische Museum des Hochgebirges“. Hauptattraktion sind die drei Kinder die als Mumien auf dem Vulkan Llullaillaco gefunden worden, der im Grenzgebiet zu Chile liegt. Gut fünfhundert Jahre sind die drei alt und wurden zusammen mit zahlreichen Beigaben geborgen und nach Salta ins Museum gebracht. Dort ist abwechselnd immer ein Kind zu sehen. Als ich drin war, ist grad der Junge ausgestellt. Tatsächlich ist die Mumie als zusammen gekauertes Kind gut zu erkennen, auch wenn er etwas geschrumpft ist. Es soll der archäologisch höchste Fund der Welt sein. Sogar Coca-Blätter hatten die drei dabei. Ihre Beigaben sind auch im Museum ausgestellt und umfassen vor allem kleine filigrane Puppen. Erst dachte ich, dass mich diese Ausstellung nicht so sehr interessiert, aber als ich dann der Mumie gegenüberstand, lief es mir schon kalt den Rücken runter. Nun kann ich mir vorstellen, warum Archäologie für manche so spannend ist.

Die angrenzenden Straßen zeugen dann nur vom normalen geschäftigen Leben einer Stadt und bieten keine Neuerungen. Für mich spannender ist das normale Leben am Rande der Stadt. Trotz Lage ist die Verbindung zum Zentrum sehr gut, weil Salta eines der besten Bussysteme hat. Es fahren viele Busse zu günstigen Preisen, und selbst in der Nacht kommt spätestens alle halbe Stunde ein Bus.

In ihren Viertel, Santa Ana, oder kurz Santana, sind die meisten Straßen nicht geteert und die Häuser noch nicht so alt. Die Gegend ist ruhig und in jeder dritten Straße gibt es einen kleinen Laden oder Stand mit allerlei Obst und Gemüse. Ein chinesischer Supermarkt liegt etwas weiter entfernt. Daiana ist Sparfüchsin und weiß wo es welches Angebot gibt. So verteilen sich unsere Einkäufe im Viertel.

Viertel Santa Ana, Salta

Nachtleben

Freitag ist Pizza-Tag. Da gibt es keine Ausnahme und natürlich holen wir den Fertig-Boden von der Oma ab. Sie mache die weltbeste Pizza, sagt Daiana. Die Oma kenne ich schon. Weil sie näher am Busbahnhof wohnt, haben wir uns bei ihr getroffen. Dort treffe ich auch die Tante, die mit der Oma das Haus teilt. Ich muss gestehen, die Oma hat‘s drauf. Wir haben zwei Pizzen zubereitet, sind randvoll, aber überlegen noch wegzugehen. Während ich kurz im Wohnzimmer warte, schlafe ich ein und träume, wie ich gegen das Einschlafen ankämpfe. Erst als Daiana mich weckt, stelle ich fest, dass ich nicht wirklich gegen das Einschlafen ankämpfe, sondern tatsächlich schlafe.

Nächster Tag, neuer Anlauf. Mit einer Reihe Freundinnen fahren wir in das entsprechende Ausgeh-Viertel. Ein paar Straßen werden des Nachts abgesperrt und sind dem Nachtleben vorbehalten. Wir stellen uns vor einen Schrank, der den Einlass regelt. Tröpfchenweise lässt er uns in die Dunklen Hallen treten. Einzig als Mann muss ich Eintritt bezahlen. Der Vorraum bietet noch ein Bierchen, und dann vorbei an den Lollipop-Verteilerinnen ab in die Zappel-Höhle. Der riesige Raum bietet allerdings noch nicht viele Tanzende und der VIP-Bereich bleibt noch leer. Es gibt tatsächlich eine Art übergroße Bühne für die VIP-Gäste. Wie vermutlich überall in der Welt sind in dem Bereich Kontakte immer wichtig. Daianas Freundin kennt irgendjemand der für alle günstig Getränke organisieren kann. So wird der Abend lustiger und so langsam kann gezappelt werden. Zu meiner Überraschung geht um 4 Uhr die Musik aus.

Saltas Polizei, so wird mir gesagt, ist wohl sehr hinterher, dass alle Bestimmungen eingehalten werden. Bislang war Argentiniens Nachtleben eher dafür bekannt, dass es spät losgeht und lange andauert. Es gibt Bars und Schuppen die Anschlussangebote machen und in manchen Städten kann bis 14 Uhr weiter gefeiert werden (kein Scherz!).

Ich nehme den Bus nach Santa Ana und als ich am Eingangstor bin, flüchte ich vor dem Sonnenaufgang in das dunkle Zimmer und mein Bett.

Am Sonntag abend kommt Benicio zurück. Wir sind zu einer Bar gefahren, wo es handgebraute Biere gibt, aber Daiana verabschiedet sich schnell um ihren Sohn in Empfang zu nehmen. Ich verbleibe mit ihren Freund*innen in der Bar und wir gönnen uns weitere leckere Biere. Parallel spielen wir Riesen-Jenga. In einer Runde schaffen wir es soweit, dass wir auf den Stuhl klettern müssen, um oben die Steine erneut abzulegen.

Dann fahren wir noch zu einem der Freunde nach Hause und beginnen zu diskutieren und Bier aus Plastikflaschen zu trinken. Santiago Maldonado, Fußball, Jair Bolsonado, Merkel und das argentinische Schulsystem, wir lassen kaum was aus. Dann packt es mich wieder und ich muss stänkern.

Ich verstehe nicht warum Argentinien glaubt die Falkland-Inseln seien ihre, sag ich und schon ist die Bombe gezündet. Ich hoffe insgeheim, das besser verstehen zu können. Meine beiden Gesprächspartner*innen wollen am liebsten beide sofort kontern. Aus linker Perspektive sei die Rückgewinnung ein Kampf gegen den Kolonialismus. Das erschließt sich mir leider nicht. Ich bringe die Abstimmung an, doch hier wird eingewandt, dass Großbritannien ja viel Geld investiere und die Stimmen im Prinzip gekauft seien. Ganz so einfach sehe ich das zwar nicht, aber nun gut, ich will mich nicht absolut unbeliebt machen. Ich wende ein, dass die Inseln dem erdgeschichtlichen Ursprung nach von Südafrika kommen und nie Teil Südamerikas waren. Dem gegenüber steht eine Entscheidung einer UN-Kommission, die festgestellt hat, dass die Inseln noch innerhalb des argentinischen Festlandsockels lägen und damit deren Hoheitsgebiet entsprächen. Naja, wir werden‘s niemals erfahren, wer recht hat.

Der 50-argentinische-Pesos-Schein zeigt die Falkland-Inseln

Als ich ziemlich spät an Daianas Haus ankomme, muss ich, da mein Klopfen vergeblich ist, einen Weg nach Innen finden. Da aber das Fenster einfach aufzuschieben geht, brauche ich keine zehn Minuten um ins Bett zu fallen.

Abschied

Da mein Bus um Mitternacht abfährt, verbringe ich den Abend im Kreise der Familie bei der Oma und Tante. Sie hat Tortilla gemacht, dass heißt eine Riesen-Pfanne mit Ei, Kartoffeln und allerlei Gemüse. Dazu Rotwein und selbstgemachte Empanadas. Ein Schlemmen und nun lerne ich noch den Onkel vom Theater kennen.

Ich erfahre von Daiana einiges über die Weihnachts– und Neujahrs-Traditionen, die beides Mal im großen Kreis der Familie mit viel Essen und Trinken stattfinden. Vorsingrituale, Geschenke unter Erwachsenen, den Nikolaus oder Weihnachtsmann, das gibt es alles nicht. Es sind zwei Familienfeste. Die Unterhaltung schließt mit der ernsten Einladung mein Weihnachten bei Ihnen zu verbringen. Ich bin etwas gerührt und sage nur, dass ich ja weiterreisen werde, aber wenn es nicht schön ist, dann komm ich einfach zurück.

Der Onkel bringt mich noch zum Bus – und wie es hier üblich ist – nur kurz vor knapp. Sechs Minuten vor der Abfahrt verabschiede ich mich vom Onkel und später noch sehr herzlich von Bauti und Daiana.

Es sind die Abschiede auf der Reise, die immer wieder kommen, wo ich hilflos dastehe und mich frage, was habe ich ihnen eigentlich gegeben und wie kann ich – verdammt nochmal – angemessen klar machen, wie dankbar ich doch bin.

Ich schaffe es wieder nicht und sitze traurig im Bus. Traurig, dass ich Salta verlasse, aber auch traurig, dass ich nicht angemessen Danke gesagt habe.