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Le Havre

27. März 2018

Krachend, Stahl auf Stahl, verhakt sich der Greifarm in dem Container. An jeder Ecke hat er einen kurzen runden Stil in den Öffnungen versenkt, die jetzt, beim zurückziehen arretieren. Schnell bewegen sich der LKW-Anhänger-große Koloss mit seinem Greifer an den acht Stahlseilen und vier Umlenkrollen nach oben. In schwindelerregende Höhe eines vielleicht achtgeschossigen Hochhauses, um dann auf dem Kai wieder abzusetzen. Vorher entfernen Arbeiter*innen Verbindungselemente auf einer halbhohen Plattform. Während der Greifer erneut, aber nun ohne Container, gen Himmel schnellt, düst ein achträdriges Gestell heran. Wie überdimensionierte hochkantige Ameisen wuseln diese Gefährten durch die langen Containerreihen. Sie holen und bringen Container. So fahren sie nun auch über den Container, der gerade abgestellt wurde, greifen diesen in sich auf und fahren wieder hinfort. In eine schier endlos erscheinenden Wüste an bunten Containerstapeln. Im diesig kalt-nassen Wetter scheinen Container bis zum Horizont zu stehen. Längs der Hafenkante fahren die übergroßen Ladekräne. Sie überbieten das größte Schiff und haben mächtige lange weiße Arme die über das Schiff reichen. An denen schnellt die Kabine mit der*m Kranfahrer*in vor und zurück, die am anderen Ende der acht Stahlseile hängt. Gleich drei der riesigen Ladekräne entladen die CMA CGM Saint Laurent parallel. Immer wieder fährt ein Ruck durch das Schiff.

Auf dieses hat mich ein netter Taxifahrer gebracht. Keine normale Taxiagentur, sondern eher ein Seemann/frau-Service-Agentur. Im kalten Regen der Normandie wartend hat er mich mit seinem silbernen Renault-Bus eingesammelt und durch das Hafengewirr bis zur Hafen-Sicherheitsschleuse gebracht. Leider hat der zuständige Hafenagent die nötige Crew-Liste denen noch nicht zugesandt, sodass wir zusammen vor dem Schleusengebäude warten. Im Sekundentakt fahren Privatfahrzeuge, Dienstfahrzeuge und LKWs mit Containern durch die verschiedenen Schleusen. Die meisten mit einer Chipkarte, sodass die Schranke teilweise es nicht mal mehr vermag zu schließen. Irgendwann, nach etlichen Diskussionen und Telephonaten kam dann das Okay. Wieder zurück in den Bus, ab durch die Schleuse und rein ins Herz des Hafens. Nochmal durch eine besonders hohe automatische Schleuse und schon fahren wir auf der Kaimauer unter den riesigen Kränen durch. Vorbei an anderen Containerschiffen bis zur St Laurent. Ich nehme meinen großen Rucksack, verabschiede mich und warte kurz. Aber schon bekomme ich den Hinweis über die außenbords hängende Treppe aufzusteigen. Zuvor noch über unterarm-dicke Seile steigen und ab geht‘s an Bord. Nun sprechen alle russische miteinander, war aber für mich kein Unterschied macht. Französisch konnte ich auch nicht. Immer mal wieder wendet sich jemand an mich und sagt oder fragt mich was auf englisch. Ob ich russisch kann? Ich soll folgen. Ein netter junger Arbeiter in leucht-gelber Winterjacke und weißen Helm bringt mich im Turm des Schiffs nach oben, aber bricht ab und wird zurückgerufen. Sie dachten ich sei der neue Ingenieur, weil sie gleichzeitig auch die Crew teils austauschen. Bin ich aber nicht. Also zurück in das Aufenthaltszimmer mit den Arbeitsrechnern. Ein älterer Typ, mit weniger Haaren, im Bürostuhl, ohne Wetterkleidung und geöffneten E-Mail-Programm nennt meinen Namen und fragt, ob ich das bin. Ich bestätige und nun geht‘s erneut los. Vier oder fünf Stockwerke steigen wir den engen Treppenschacht nach oben. Er zeigt mir das neue Zuhause. 15 Tage habe ich mir das hier ausgesucht. Kein Internet und kein Telephon. Ich fange an mein Kram auszubreiten, in gewohnter Art und Weise, beschlagnahme ich das ganze Zimmer. Es gibt ein schmales Doppelbett, eine 2-Personen-Couch, Stühle, ein Kühlschrank, Schreibtisch mit Tischlampe, Schrank, sowie eine Nasszelle mit Klo und Dusche. Alles da, um es hier auszuhalten. Schon klopft es und ein anderer junger Russe kommt in T-Shirt, kurzer Hose und Badelatschen herein. Wir besprechen Formalitäten und ich gebe ihm meine Dokumente. Die verbleiben beim Schiff, bis ich wieder aussteige.

Etwas angefixt vom, schon fast Bullaugen-förmigen Fenster, schraube ich die Klemmen auf und öffne das Fenster. Draußen regnet es fast schon waagerecht, aber trotzdem bin ich fasziniert von dem Blick auf die Container. Meine nächsten Stunden verbringe ich damit die Ladearbeiten zu beobachten und freue mich, als der erste Ladekran vorgefahren kommt. Ich mache Photos, ganz entzückt, dies mal vor Ort erleben zu können. Aber schon muss ich runter auf Deck B, in die Offiziers-Messe, zum Mittag.

Vom Taxifahrer wusste ich, dass er noch vier weitere zum Schiff bringt, sodass ich am Mittagstisch nicht ganz überrascht auf die vier anderen stoße. Es sind zwei französische Pärchen im Rentenalter die eine Reise nach Französisch-Guyana machen. Eineinhalb Personen können sogar englisch, sodass ich zumindest das eine Pärchen etwas kennenlerne. Sie wollen acht oder neun Tage das französische Überseegebiet bereisen, um dann aber zurückzufliegen. Mit Spaß nehmen sie es, dass sie ja länger mit dem Schiff unterwegs sind, als im Ziel-Land. Besonders einer von Ihnen scheint eine Art Witzbold zu sein. So weiß ich jetzt nicht nur, dass das Ablegen sich verzögern wird, weil noch Ladung fehlt, sondern dass es auch der Champagner ist, der noch geliefert werden muss. Für morgen früh um 6Uhr ist das ablegen geplant, sodass es zumindest ein Tag später wird.

Während wir vor uns hin essen, geht wieder ein Ruck durch das Schiff. Wir drücken fast die Nasen an den Fenster breit, weil nun direkt vor unseren Augen angefangen wurde, die Container zu entladen. Wir sind fasziniert von dem, was für die leucht-gelben Menschen draußen, und die Schlafanzug-Typen drinnen, völliger Alltag ist. Gespannt schauen wir zu, wie der Greifer sich verlangsamt und auf den Container krachend einrastet.


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