Wenn Riesen atmen

48,08633° nördliche Breite

13,80216° westliche Länge

31. März 2018

Der Koloss, der Schiffsrumpf, hebt und senkt sich. Mal ganz flach, mal voller Energie. Als wenn ich auf der Brust eines Riesen stünde. Der stählerne Bug, an dessen Spitze ich stehe, gleitet durch den Atlantik. Es ist ein Kampf mit dem Atlantik. Die Welle rollt, völlig unbeeindruckt und im dunkelsten Blau, schräg auf den Bug zu. Viel kleiner als das Schiff in seiner Höhe, aber mächtiger. Schwerfällig atmet der Riese die Welle ein; der Rumpf hebt sich. Als er im nächsten Wellental wieder ausatmet, kann die kommende Welle nichts mehr ausrichten und zerschellt in Wasserstaub, bis über die Reling, wird zu kleinen Salzkristallen auf meiner Jacke, auf meiner Haut, auf meiner Brille. Mein Hände sind kalt vom nassen Wasser und steifen Wind. Doch die Faszination klammert mich an die fette graue Bugreling.

Doch plötzlich, ganz unerwartet, springt einer, dann noch ein weiterer, Delphin aus dem Wasser. Nur ganz kurz. Nicht wie im zeitverzögerten Film um ihn in seiner vollen Pracht bestaunen zu können; Nein, blitzschnell! Ich habe Schwierigkeiten sie wiederzufinden. Erneut rauscht ein Gruppe schräg frontal auf das Schiff zu. In Sekundenbruchteilen wenden sie und schwimmen nun um der roten Nase des Schiffes; eine Art U-Boot-förmige runde rote Spitze knapp unter der Wasserkante. Ihre grauen Rücken schimmern durch die Wasseroberfläche und ich schätze eher zwölf statt fünf Tiere. Sodann springt auch einer, aber nach wenigen Minuten, sind sie auch wieder verschwunden. So schnell, wie sie kamen, waren sie dann auch wieder weg. Einfach so.

Ich schau mich weiter um; den weißen Helm fest auf den Kopf gepresst. Bei sonnigen Wetter holte ich mir die Erlaubnis über Deck zu streunern. Unter den oberen Containern durch, und dann mal zwischen den Container-Reihen. Es ist zumindest mal was anderes und es gibt andere Perspektiven. Doch ohne eine Erklärung bleibt vieles einfach rätselhaft. Eines der größten Gefahren für die Arbeit auf See scheinen reißende Seile beim Festmachen oder Losmachen zu sein. Es wird mit vielen Illustrationen deutlich vor den Bereichen gewarnt, in denen gerissene, losschnellende Seile einen erfassen können.

Später, beim Abendbrot, fragt mich das Renten-Quartett, ob es Liegestühle am Bug gibt. Weil ich es nicht gleich verstehe, reißen plötzlich drei von Ihnen ihre Hände nach oben und ihren Kopf in den Nacken, um einen Liegenden zu demonstrieren. Mir war der Gedanke fremd, wenn mir regelmäßig kaltes Salzwasser über den Körper gegossen wird, ein Sonnenbad zu nehmen. Zumindest mussten wir herzlich lachen. Als sie wieder anfingen sich zu unterhalten, d.h. auf französisch, schweiften meine Gedanken wieder aus dem Fenster, zum Meer und dem schwankenden Schiff. Die Reling fest im Griff, das Wasser im Gesicht und ein Schiffsbug im Spiel der Wellen unter den Füßen – da kommt eine alte Kindheitserinnerung hoch: Eine unvergessliche Fahrt von Bornholm nach Świnoujście (Swinemünde).


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