Der Zauber von Manaus

Mal wieder sind wir gestrandet an einem Busbahnhof und warten auf Nachricht von unserem Host. Wir sind in Manaus, der zweimillionen Haupstadt des Amazonasgebietes. Endlich Nachricht von unserem Host. Eine Freundin von ihm soll uns in einer halben Stunde abholen. Mittlerweile wissen wir, dass 30 Minuten auch schnell 60 Minuten sein können oder eben mehr. Irgendwann halten wir es auf unseren Plätzen nicht mehr aus und warten vor dem Busbahnhof. Da rennt auch schon eine Frau mittleren Alters mit kurzen Haaren und Brille in uns hinein. Sie lächelt herzlich, begrüßt uns mit Küsschen links, Küsschen rechts und fährt uns eine Weile durch die weitläufige Stadt zum Haus von Basilio, unserem Host. Als erstes erwartet uns dort allerdings nicht unser Gastgeber, sondern ein aufgeweckter Hund namens Chica. Hund und Gastgeber könnten unterschiedlicher nicht sein. Basilio ist ein großer breitgebauter junger Mann, der mit seinen schwarzen Knopfaugen, wie ein Teddybär aussieht. Er ist ruhig, freundlich, zuvorkommend, immer darauf bedacht uns so viel wie möglich recht zu machen. Sein Hund hingegen nimmt keine Rücksicht auf uns. Er kratzt, beißt, springt uns ins Gesicht und ist niemals müde. Es ist ein Kampf mit ihm. Noch nicht mal auf Basilio hört die Bulldogge. So sind es diesmal nicht die Moskitos, Käfer oder Spinnen, die uns die Nerven rauben, sondern ein kleiner Kampfhund. Basilio hat große Träume. So wie viele hier in Südamerika. Er will ein Restaurant aufmachen oder gleich ein Hostel. In Brasilien oder in Deutschland. Er weiß es nicht genau. So ist das mit Träumen, sie müssen erst reifen wie ein guter Wein sagt Basilio. Und er muss es wissen. Neben seinem Job als Mechaniker bei der brasilianischen Luftwaffe, besucht er eine Kochschule und büffelt französisch.

Am ersten morgen in Manaus werde ich unsanft geweckt. Es geht los zur Militärstation. Wir dürfen tatsächlich einen Blick auf das bewachte Militärgelände werfen. Eigentlich undenkbar. Basilio meint jedoch das geht schon klar. Na mal sehen. Die Kontrolle am Eingang dauert etwas, doch dann sind wir drin. Wir begutachten die Flugschiffe der Airforce, werden eingewiesen in das Cockpit eines Helikopters, dürfen darin Platz nehmen und sogar auf den Hubschrauber klettern. Nach Ende der zwanzigjährigen Militärdiktatur in Brasilien in den 80ziger Jahren wird das Militär skeptisch von der Bevölkerung beäugt. Die Armee in Brasilien ist verhältnismäßig schwach aufgestellt und so hält das Land zu allen Nachbarländern freundschaftliche Beziehungen, um den Ernstfall nicht erproben zu müssen. Die Hubschraubereinsätze, erzählt Basilio, werden vor allem für Rettungen im undurchdringlichen Amazonasgebiet genutzt. Wir laufen vorbei an verschiedenen Transport- und Kampfflugzeugen und sind selbst eine Attraktion zwischen all dem schweren Geschütz. Wir werden nach den Kampfflugzeugen der deutschen Bundeswehr befragt. Wir als Nicht-Experten müssen das erst mal bei Wikipedia nachlesen. Zum Abschluss wird noch mit Peacefahne vor dem Kampfjet für ein Foto posiert. Für das brasilianische Militär ist Manaus ein wichtiger Stützpunkt. Es gibt viele Militärausbildungsplätze quer in der Stadt verteilt.

Nach dem Ausflug ist es Zeit für Mittag. Basilio kocht Pasta aglio e Olio, die 4 Sterne verdient hat. Nach dem Essen beeindruckt er uns mit diversen Kartentricks, die wir nicht mal im Ansatz durchschauen können. Als wäre das nicht schon genug, zaubert er auch noch drei Karten für die berühmte Oper Teatro Amazonas aus dem Hut. Heute Abend wird Faust aufgeführt. Vor der Oper, die 1883 errichtet wurde, stehen herausgeputzte Menschen Schlange. Unsere funktionale Reisekleidung muss es auch tun. Zum ersten Mal seit Beginn der Reise drängen deutsche Sprachfetzen von anderen Touristen in meine Ohren. Es ist die Eröffnung des Festival Amazonas, ein jährlich stattfindendes Opernspektakel. Leider ist die Oper auf französisch und die Übersetzung nur portugiesisch. Aber zum Glück haben wir beim Fauststoff in der Schule nicht geschlafen und kennen den Inhalt noch einigermaßen. Nach vier Stunden herzzerreißender Arien und dem Tod von Gretchen fällt der Vorhang im majestätisch anmutenden Belle Epoque Theater. Das Publikum springt von den Plätzen und applaudiert ohrenbetäubend. Das Kulturprogramm für uns ist allerdings noch nicht beendet. Wir fahren quer durch die Stadt zu einem Musikprogramm ganz anderer Art. In einem Nachtclub erwarten uns eine Menge schöner Männer, noch schönerer Frauen in knappen Outfits und der beste Caipirinha der Stadt. Eine Hardrock-Coverband nach der nächsten heizt der feierwütigen Menge ein. Auf der Kleidung der Angestellten steht „Arbeitsgruppe“. Wir wundern uns, dass dies dort in deutscher Sprache steht. Doch das Rätsel ist schnell gelöst. Der Club in dem wir uns befinden heißt übersetzt soviel wie Basis der Deutschen. Nicht etwa weil der Inhaber Deutscher ist, er sieht nur so aus. Blonde Haare und käsige Haut. Für Brasilianer Grund genug ihm dem Spitznamen „German“ zu geben.

Nach zwei Tagen brasilianischer Kultur wollen wir nun etwas mehr von der Stadt sehen und nehmen eine Stadtrundfahrt in Angriff. Der Bus kommt jedoch nicht. Kurzerhand fahren wir zu einem traditionellen Markt, wo uns Basilio Talismänner für unsere Reise schenkt. Neben allerhand Handwerk und sehr starken Alkoholika gibt es auch ein großes Angebot an Obst und Gemüse. Ganze Bananenstauden können hier erworben werden. Wir entscheiden uns für Kochbananen, die wir zum Abendbrot frittieren wollen.

Anschließend treffen wir uns mit May und Sharina, zwei Tourismusstudentinnen. Der Ausblick über die Stadt in der Raggaebar ist atemberaubend. Nach den obligatorischen Caipirinhas erzählen die beiden in bestem Englisch über touristische Attraktionen, Feminismus und Stress mit den Abschlussarbeiten. Mir kommen die Sorgen nur allzu bekannt vor. Studierende weltweit teilen wohl die selben Probleme.

Am nächsten Tag heißt es Stadtrundfahrt, die Zweite. Auch diesmal warten wir vergebens auf den Bus. Auch das ist Brasilien. Doch nichts, was ein Acaí nicht wieder gut machen könnte. Acaí ist eine Art Eis aus der einheimischen vitaminreichen roten Beere mit gleichem Namen. Dazu gibt es eine süßliche Sahnesoße und wahlweise Schokoflocken, Erdnüsse oder Müsli als Topping. Genau die richtige Erfrischung in der Mittagshitze von Manaus.

Am Nachbartisch werden wir von drei Studierenden zum UNO-Spielen eingeladen und merken schnell, dass die Regeln nicht unbedingt zu unseren Gunsten ausgelegt werden. Aber wir sind immerhin nicht die letzten in der fröhlichen Runde. Am Abend hat Basilio noch eine Überraschung für mich, wir wollen selbst gemachte „Pâodequeijo“ herstellen. Das sind kleine mit Käse gefüllte Teigbällchen und seit ein paar Tagen meine absolute Lieblingsspeise. Doch schon bei der Zubereitung merken wir, dass hier irgendwas nicht stimmt. Der Teig ist viel zu flüssig, um daraus etwas rundes Festes zu formen. Im Ofen werden sie dann endgültig zu kleinen Fladen und erinnern auch geschmacklich nur entfernt an das Original. Zu viele Köche verderben eben den Brei oder das Pâodequeijo. Am letzten Abend geht es noch einmal heiß her. Es wird Poker gespielt und wir sind uns nicht ganz einig über die Regeln. Wir diskutieren, Basilio steigt irgendwann aus. Ihm scheint unserer Temperament dann doch etwas zu viel. Wer hätte das gedacht, ausgerechnet hier in Brasilien. Am nächsten morgen bemerken wir, dass er unsere Diskussion gefilmt hat und wir jetzt die deutschen Streithähne bei Instagram sind. Nun gut, wie hörte ich einmal „hauptsache drin in der Yellowpress“. Am Ende der Partie liegen alle Pokerchips vor meinem Platz und Basilio kann nur noch mit dem Geheimnis seiner Kartentricks bezahlen. Eigentlich wollten wir nur zwei Tage bleiben, am Ende wurden es fünf. Wir sagen unserem lieb gewonnen Koch auf hoffentlich Bald in Deutschland und Chica, nicht ganz ohne ein freudiges Lächeln, Lebe Wohl.

Die letzten beiden Tage in Manaus verbringen wir bei Felipe Ferrari. Ja er heißt wirklich so. Die Ähnlichkeiten zum schnellen Automobil sind aber nicht wirklich zu erkennen. Felipe ist mit seinem braunen lockigen Haar, Sonnenbrille, Shorts und Flip Flops eher von der entspannten Sorte. Seine Freundin und er nehmen uns mit zu einem Ausflug. Wohin genau es geht wissen wir noch nicht. Als wir ein paar Meter mit dem Boot aus dem Hafen fahren, trauen wir unseren Augen nicht. Es weitet sich eine unglaublich große Wasserfläche und ich habe Mühe das andere Ende des des Ufers zu erkennen.

Der Amazonas ist mit Abstand der wasserreichste Fluss der Erde. Wir befinden uns gerade einmal auf dem Rio Negro, einem Zufluss zum Amazonas und schon dieser übersteigt die Größe jeglicher Flüsse, die ich in meinem Leben gesehen habe. Der Rio Negro erinnert mich eher an einen See im Ausmaß des Bodensees als an einen Fluss. Wir fahren schnell über das fast stehende Wasser in kleinere Nebenarme. Am Uferrand befinden sich Bäume die weit ins Wasser wachsen, dazwischen schwimmende Häuser, kleine Siedlungen. Anstatt von Schulbussen gibt es Schulboote. Der Fluss ist die einzige Verbindung zwischen den einzelnen Dörfern. Unser Ziel ist ein Kautschukmuseum. Von den Bäumen des Regenwaldes wurde das wertvolle Material gewonnen, die Besitzer der Kautschukfarmen wurden schnell reich mit ihrem Handel und so sehen wir einfache Verschläge wo die Arbeiter wohnten und ein herrschaftliches Kolonialhaus, indem die Bewohner sich den Luxus gönnten in Wasser aus Europa zu baden. Zwischen Einheimischen und den Besitzeren gab es viele Streitigkeiten und einige Tote. Einzig der beliebte Schnaps „Cachaca“, der auch heute noch als Basis des berühmten Caipirinhas dient, versöhnte die Parteien zeitweise.

Wieder auf festem Untergrund, beschwören wir das Sprichwort aller guten Dinge sind drei und warten auf den Bus der Stadtrundfahrt. Diesmal klappt es tatsächlich. Wir fahren vorbei an ein paar Sehenswürdigkeiten und bemerken über welche Fläche sich Manaus erstreckt. Wir halten am berühmten Ponte Negro. Dem größten Strand in Manaus mit Flaniermeile für die einheimische Bevölkerung. Das Wasser erinnert mit 27 Grad an Badewannenwasser. Der Weg vom Stadtzentrum nach Hause mit dem Nahverkehr wird zur Geduldsprobe. Bisher genossen wir in Manaus den Luxus mit privaten Fahrzeugen und Motorrädern durch die Stadt gefahren zu sein. Unsere Gastgeber halten nicht viel vom örtlichen Nahverkehr. Wir werden noch verstehen warum. Alle Buslinien halten am gleichen 100 Meter langen Bussteg, doch weder wo noch wann ist hier verzeichnet. Die Busse kommen im Sekundentakt hereingeflogen und sind eben so schnell wieder weg. Wir können mit vier verschiedenen Buslinien fahren, wissen aber nicht wo unsere Nummern halten. Das Durchfragen stellt sich als nicht möglich heraus. Unser portugiesisch ist so gut wie nicht existent und das englisch auf der anderen Seite ebenso wenig. Irgendwann haben wir Glück und eine passende Nummer hält vor unserer Nase. Doch nach kurzer Zeit bemerken wir, dass er in die falsche Richtung fährt. Wir steigen an einer größeren Station aus. Doch auch hier das gleiche Spiel. Es stehen zwar jetzt Nummern über dem unendlich lang erscheinenden Bussteg, jedoch sind unsere Nummern so weit auseinander, dass wir es für sinnvoll erachten in der Mitte zu stehen. Allerdings müssen wir so immer zum Sprint oder besser zum Slalom durch die wartende Menge ansetzen um zu unserem Bus zu kommen. Doch wenn wir gerade noch rechtzeitig den Bus erreichen, schütteln die Busfahrer immer den Kopf und wir können nicht einsteigen. Andere Passagiere kommen aber ohne Probleme in den Bus. Es ist verwirrend. Irgendwann spricht uns ein junger Mann an, der unsere Versuche einen Bus zu bekommen wahrscheinlich beobachtet hat. Er fragt wo wir hin wollen. So genau wissen wir das auch nicht, da die Haltestellen keine Namen haben. Wir sagen Ponte Negro. Immerhin ist es die richtige Richtung. Er gibt uns zwei neue Busnummern und wir hoffen sie richtig verstanden zu haben. Diesmal dürfen wir in einen der Busse einsteigen und mithilfe von einer Karten-App und einem hilfsbereiten Mitfahrer finden wir eine Haltestelle von der wir zu unserem Host laufen können. Statt einer 20 minütigen Fahrzeit brauchen wir über zwei Stunden. Zuhause angekommen, erklärt uns Felipe, dass die zweite Station an der wir standen, eine reine Umsteigestation ist und man deswegen nicht vorne in den Bus einsteigen darf. Aus diesem Grund schüttelten die Busfahrer wahrscheinlich ihre Köpfe. Froh den Nahverkehrsjungle bezwungen zu haben, sind wir im Nachhinein mal wieder um einiges schlauer.

Der nächste Tag steht ganz im Zeichen der Vorbereitung unserer mehrtägigen Bootsfahrt noch Porto Vehlo. Wir brauchen noch Hängematten in denen wir auf dem Boot schlafen können. Nach einigem hin und her entscheiden wir uns für die etwas billigeren, nicht ganz so gut vernähten, aber dafür klein zusammenfaltbaren Hängematten. Mit dem Gedanken sie später wiederverwenden zu können, hoffen wir einfach, dass die Stricke halten. Am späten Nachmittag ist es dann so weit, wir besteigen unser schwimmendes Zuhause für vier Tage (es werden mehr). Den Blick auf den Lichtern des Hafens gerichtet, denken wir an die letzte Woche in Manaus. Wir haben das Ruder aus der Hand gegeben und uns treiben lassen in der Metropole am größten Fluss der Welt. Wir wurden verzaubert von der Landschaft und Gastfreundschaft  und sind gespannt wo die Lebensader Brasiliens uns als nächstes hinführt.


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