Apr 12 2018

Zwei halbe Insel und ein Gin

16,04143° nördliche Breite

62,84198° westliche Länge

08. April 2018

In einem Comic würde der Typ mit dem Fernglas im Ausguck brüllen „Land in Sicht“. Fast ähnlich hektisch und freudig erreicht uns Passagiere diese Information, als sich aus dem grau-bläulichen Horizont die Umrisse von Sint Marteen herausschälten. Von Minute zu Minute wurde die Insel deutlicher erkennbar und wurde langsam gelb-grünlich mit einigen weißen Städten an den Füßen ihrer Bergkegel, aus denen die Insel fast nur zu bestehen scheint. Auch die Nachbarinseln Saint-Barthelmy und Anguilla konnten wir sehen. Es ist ein wenig wie im Film, wenn die die großen Fregatten die karibische Inselkette erreichen.

Schon der Morgen war etwas unwirklich. Noch vor dem Frühstück bemerkte ich, dass unmittelbar vor dem Schiff ein schillernder Regenbogen sich entfaltet hat. Schnell verließ ich mein Zimmer und hielt mich staunend an der Reling fest. Mit äußerster Stärke leuchtete ein vollständiger Regenbogen in all seiner Pracht. Er wäre nichts besonderes, wenn ich noch nie einen solch schönen gesehen hätte. Die Sonne stand noch tief, weil sie erst vor einer Stunde aufging. Eine Regenwand stand in einiger Entfernung etwas steuerbords vor dem Schiff. Der Regenbogen schien auch nicht mit der Wasseroberfläche zu enden, sondern setzte sich geschwächt über dem Wasser fort, bis ans Schiff heran, sodass er fast einen Kreis bildete. Neben dem Hauptregenbogen entstand außen noch ein schwächerer zweiter Bogen. Nur dessen Farbreihenfolge war anders, sodass nicht lila innen und rot außen war, sondern rot innen und lila außen. Ein beeindruckendes Farbspektakel.

Mit einem Spektakel hatte ich auch schon am Vortag gerechnet, als auf dem Essensplan für Abendbrot „BBQ-Party“ geschrieben stand. Sodann unterbrachen wir gegen Fünf unsere nachmittägliche Schachpartie und begaben uns vom E- auf das A-Deck. Hier ist die seitliche Plattform neben dem Deckshaus um einiges größer. Eine lange Reihe an Bänken und Tischen war aufgebaut, viele Kuchen, Salate und Reis waren aufgetischt. Die Kuchen strotzen von konditorischen Können und auf einem stand „Happy Eastern“. Auf einen kleinen Tisch unter der Treppe waren große Bleche mit sehr viel eingelegten Fleisch. Heckseitig waren ein kleiner und ein großer Grill aufgebaut, auf dem jeder selbst sein Fleisch braten konnte. Ich nahm mir reichlich und aus dem Behälter mit kaltem Wasser ein Bier. Beim Essen konnte ich auch kurz mit dem Kapitän sprechen. Er bekommt für seine Fahrten meistens 4-Monate-Verträge, diesmal sogar einen 3-Monate-Vertrag. Das halbe Jahr ist er auf Schiffen unterwegs, würde aber, sobald sich die Gelegenheit bietet lieber zurück in die Ukraine gehen. Zu seiner Frau mit seinen 3 Töchtern. Es ist kein Traumjob Kapitän zu sein.

Auch mit dem Schach-Opi konnte ich noch einiges diskutieren und dabei die beiden Weine genießen. Er hat wohl für Orange gearbeitet, einem großen Telekommunikationsanbieter in Frankreich. Seine Frau auch, die Gewerkschafterin ist und – für die Gewerkschaft günstig – in der Finanzabteilung tätig war. Er zeigte mir sein Haus in der Bretagne, dass direkt am Strand liegt. Ich sagte, dass ich mir das unbedingt mal anschauen muss, wenn er, seine Frau und sein Sohn im Mai eigenhändig Krabben ertauchen. Im Augenwinkel bemerkte ich, wie erst alle Ukrainer und später auch die Philippiner verschwanden, bis der Steward übrig blieb und aufräumte. Irgendwann, allein gelassen, gingen wir zurück zu unseren Schachspiel.

Die Hoffnung, er würde angetrunken etwas schlechter spielen, half mir nicht. Obschon er oft Bauer und Läufer und zuletzt auch König und Dame verwechselt hat. Teilweise den Läufer nicht entlang der Diagonale schiebt sondern um Felder versetzt und wenn er Kombinationen bedenkt, vergisst wo die Figur stand. Trotz dieser offensichtlichen Nachteile, gewinnt der nahezu jedes Spiel. Er meinte seit 30 Jahren nicht gespielt zu haben, was ich von mir nicht behaupten kann. Meine Hoffnung lag darauf, über die Zeit schneller dazuzulernen als er, aber selbst das wird von Tag zu Tag enttäuscht. Ihr seht, was mich hier wirklich beschäftigt ist eigentlich belanglos.

Aber es gibt spannendes zu berichten! Seit Tagen kann ich fliegende Fische vor dem Bug beobachten. Die kleinen vielleicht Wasserflaschen-langen Fische springen flach aus dem Wasser und stellen dann ihre Flossen zu Segelflächen, um damit knapp über das Wasser zu segeln. Teilweise über mehrere hundert Meter. Dazu gesellten sich immer mehr Vögel, die nur darauf warten, um dann in den Sturzflug zu gehen. Als dann endlich Sint Marteen zu sehen war, waren es schon unzählige, meist schwarze mit langen gelben Schnäbeln. (Fragt mich nicht wie die heißen)

Von Osten kommend umschifften wir im weiten Bogen die Südspitze von Sint Marteen. Philipsburg liegt als Stadt in einer von Bergkegeln gesäumten Bucht. In der Mitte ist der Sandstrand mit Promenade und Palmen. Rechtsseitig befindet sich der Frachter-Kai, mehrere Kais für Kreuzfahrtschiffe und ein Jacht-Hafen. In der Bucht liegen auch einige Segelschiffe. Unser Frachter steht mit dem Bug Richtung Philipsburg und wir warten auf das kleine gelbe Boot. Der Pilot, auf deutsch als Lotse bekannt, klettert von seinem Boot über Backbord an Deck und begibt sich mit dem Kapitän auf die Steuerbord-Nock. Die Nock ist eine Außen-Plattform neben der Brücke, die bis an den Rand des Schiffes reicht und mit einigen Steuergeräten und Instrumenten ausgestattet ist. Von hier lassen sich heikle Manöver am besten gestalten. Der Lotse übernimmt bei der Hafeneinfahrt die Leitung des Schiffes. Er sagt an und der Kapitän setzt die Anweisungen um. Langsam gleiten wir an das äußere rechte Ende der Bucht, wo die ganzen Container stehen. Ganz langsam, kaum bemerkbar bewegt sich der Koloss an die Hafenkante. Vom Heck aus wird als erstes eine leichte Leine geschmissen, die ein Hafenarbeiter an Land fängt. An der Leine selbst ist an dessen Wurfende auch ein schwerer Ball für besseren Flug. Der Arbeiter zieht damit die eigentliche schwere Trosse zu sich und legt sie auf den Poller. Das passiert mehrere Male. An Deck enden die Trosse auf einer Winsch die von einem Bedienstand am Heck und an der Winsch selbst betrieben werden können. Damit werden die Trosse dann festgezurrt. Seemänner achten darauf, dass die Trossen ordentlich aufgewickelt werden, was aber zumindest diesmal wiederholt werden musste.

Sodann waren wir fest vertäut und warteten bis die Durchsage kam, dass wir nun an Land dürfen. Sint Marteen gilt als eigenständiges Land innerhalb des Königreichs der Niederlande und teilt sich die Insel mit Saint Martin, einem französischem Überseegebiet. Damit ist sie die kleinste geteilte Insel der Erde. Geteilt wurde die Insel der Legende nach, als ein niederländischer und französischer Gefangener von einem gemeinsamen Startpunkt aus die Insel umrunden sollten, bis sie sich wieder treffen. Allerdings haben sie zu Beginn die Wasserflaschen getauscht und des Niederländers Flasche enthielt dann Gin statt Wasser, weswegen der französische Teil größer ist.

An Land haben viele Englisch oder Spanisch gesprochen und das meiste schien in US-Dollar ausgewiesen. Vielleicht waren es aber auch Antillen-Gulden, die offizielle Währung. Der Containerhafen war deutlich kleiner und unstrukturierter. Neben uns lag noch eine finnische Fracht-Fähre und am nächsten Kai ein großes Kreuzfahrtschiff. Direkt am Strand befindet sich eine Promenade mit unzähligen Restaurants und Bars. Überall laute Musik und Tourist*innen.

Aus meiner Vorbereitung wusste ich, das der Flughafen von Sint Marteen direkt an einem Strand ist. Das heißt, dass die Landebahn direkt neben dem Strand beginnt, der zum Baden freigegeben ist. Die Flugzeuge, bis hin zu großen Passagier-Maschinen, fliegen im Landeanflug nur wenige Meter über den Köpfen der Badenden hinweg. Ich machte mich auf und wollte meine Zeit nutzen um dieses Spektakel aus der Nähe zu erleben. Nach zwei Stunden die Einsicht: Da alles sehr gebirgig und es tropisch heiß ist, scheine ich der erste Mensch auf der Insel zu sein, der zu Fuß unterwegs ist. Noch nicht einmal Fußwege gibt es. Angesichts der Möglichkeit weitere eineinhalb Stunden auf dichtbefahrener Straße unterwegs zu sein, und der Gewissheit in der Dunkelheit zurück zu müssen, suchte ich von dem aktuellem Standort in den Bergen aus, einen anderen Weg zurück nach Philipsburg. Dort warf sich grad der Schatten der Berge über die Bucht und das Kreuzfahrtschiff war schon in der Hafenausfahrt. Nicht lange und die Bars und Restaurants, die nun menschenleer waren, begannen zurückzubauen.

Hinter der Promenaden-Kulisse tat sich mir ein Bild von Zerstörung auf, dass ich erst spät einordnen konnte. Die Insel ist oft schweren Hurrikans ausgesetzt, die viele krasse Schäden übrig gelassen haben. Der Bereich mit den kaputten Containern ist ähnlich groß wie der Container-Hafen selbst. Für die Crew ist Philipsburg eine willkommene Abwechslung. Zu Fuß kann jeder der frei hat in nicht ein mal einer halben Stunde am Strand oder in einer Bar sein.

Noch vor dem Frühstück hat das Schiff abgelegt, weiter geht‘s! Nächster Halt: Port of Spain!