Kaltes Fieber

Ich blinzle, es ist hell. Durch das große Fenster scheint die warme Morgensonne. Langsam merke ich den Schmerz im Kopf und in den Gliedern. Dazu ein Unwohlsein. Ich richte mich auf. Mein Kopf fühlt sich an wie ein Nagel, der mit voller Kraft von einem Hammer getroffen wurde, immer und immer wieder. Ich bin krank. Ein Zustand, der eine Menge Unannehmlichkeiten bereitet, erst Recht auf Reisen.

Gestern noch lagen wir in unseren Hängematten auf dem Schiff am Hafen. Haben den Arbeitern beim Ent- und Beladen der unterschiedlichen Waren zugeschaut. Mehre Säcke Reis trugen sie auf ihren Schultern die kleine Planke bis in den hinteren Teil des Schiffes. Wie die Ameisen reihen sie sich aneinander. Mindestens 60 kg müssen das pro Ladung und Mann sein. Der Schweiß tropft ihnen von der Stirn. Bis spät in die Nacht arbeiten sie. Wir hingegen schaukeln neben Carlos aus Argentinien und Alex aus Brasilien in unseren Hängematten und schauen auf die Lichter des Hafens. Die beiden haben uns erst auf die Idee gebracht länger zu bleiben. Sie würden noch drei Tage hier schlafen bis ihr Auto mit einem anderen Schiff in Porto Velho ankommt. Nun hätten wir uns etwas besseres vorstellen können als noch eine weitere Nacht auf diesem Schiff zu verbringen, aber unserer Couchsurfer ist nicht zu erreichen und eine kostenlose, sichere Unterkunft ist besser als keine. Am nächsten Morgen sind die Arbeiter immer noch am Beladen. Der Mensch als billige Arbeitskraft. Inzwischen hat sich unser Couchsurfer Homely gemeldet. Wir verabschieden uns von Carlos und Alex und wollen uns in Argentinien wiedersehen.

Die Schranke der Wohncommunity öffnet sich. Das Taxi darf einfahren. Wir sind in einer abgeschirmten Wohngegend gelandet. Über 450 Wohnungen gibt es hier. Ein kleines Dorf hinter hohen Mauern und Stacheldraht. Es gibt alles was man braucht. Ein Schwimmbad, einen Fußballplatz und einen Einkaufsladen. Homely bittet uns in sein Haus mit Garten, moderner Küche und riesigem Flachbildfernsehen. Unser Host steht seinem Haus in nichts nach. Er ist sehr groß, muskulös, kurze Haare und achtet auf sein Äußeres. Seine 38 Jahre sieht und merkt man ihm nicht an.

Einige Kilometer entfernt vom Hafen befinden wir uns in einer anderen Welt. Der Lohn der Hafenarbeiter reicht hier wahrscheinlich gerade mal für die Abgaben fürs Rasenmähen. Homely ist Couchsurfer durch und durch. Auf einer Karte an der Wand ist der Weg zum Bus und zum Supermarkt eingezeichnet. Daneben Flaggen von Ländern, die er schon besucht hat und Fotos von glücklichen Gästen. Bei einem Host zu übernachten, ist wie ein Überraschungsei. Man weiß nie was man bekommt. Durch vorheriges Prüfen wie etwa leichtes Schütteln oder dem Profil des Hosts lassen sich Indizien feststellen. Doch wie wir schmerzlich aus unserer Kindheit wissen, muss sich hinter dem dumpfen Klappern nicht die ersehnte Sammelfigur verstecken. Sondern kann auch ein schnödes Puzzle sein. So oder so weckt der Inhalt unser Interesse. Diesmal haben wir den aktiven, interessierten, motivierten Couchsurfer-Typ gezogen. Er zeigt uns seine Stadt, ein kleines Kunstmuseum und das groß angekündigte Highlight: eine alte Eisenbahnstrecke. Sie hat unzähligen Menschen beim Bau während des Kautschukbooms das Leben gekostet. Die alten Wagons stehen verrostet in einer großen Halle. Hier könnte man gut Horrorfilme drehen.

Porto Velho haut uns nicht wirklich vom Hocker. Einen zentralen Platz, ein Zentrum suchen wir vergebens. Verkaufsläden und Bürogebäude reihen sich aneinander. Während Homely zum Pilates geht, treffen wir Susi. Sie ist auch Mitglied in der Couchsurfing Community, sehr aufgeweckt, hat ein schrilles lautes Lachen, das wir alle zwei Sätze hören und liebt Selfies. Hier scheinen alle im Couchsurfing-Fieber zu sein. Mitten im Regenwald ihr Tor zur Welt. Couchsurfing heißt aufgenommen zu werden, in ein Haus, in eine Stadt, in eine Lebenswelt. Es heißt Freunde zu treffen, so schnell wie vielleicht damals nur im Kindergarten. Es heißt aber auch zu teilen und zu geben. Seine Privatsphäre, seine Geschichten, seine Reisefreude. Es heißt zu Lachen, zu sozialisieren, zu erzählen. Immer wieder das gleiche Programm. Wo kommst du her? Was machst du? Wie lange reist du schon? Was gefällt dir an Brasilien? Wie findest du die Menschen in Brasilien? Dann antworte ich meistens: Sie sind nett, freundlich, aufgeschlossen. Aber ich keine nur 15 von 200 Millionen. Deswegen mag ich mir kein Urteil bilden. Dafür kenne ich aber mindestens 100 Moskitos und die sind alle böse. Da bin ich mir sicher. Mal sind die Antworten lustig, mal ehrlicher. Und dann ist da noch die Sprachbarriere, die die ganz großen Fragen der Menschheit manchmal verhindern. Aber daran scheitern selbst die Philosophen, die es in ihrer Muttersprache mit sich selbst diskutieren. Die kürzeste Verbindung zwischen Menschen ist dann immer noch ein Lächeln oder ein Bier. Man sagt auf Reisen ist die Freiheit am Größten. Aber es heißt auch sich anzupassen. Seine Bedürfnisse zurückzustellen und nach Nächten mit wenig Schlaf eine weitere in Kauf zu nehmen. Homely und Susi nehmen uns mit in eine Bar. Der Schmerz in meinem Kopf sagt nein, aber ich will ja auch keine Spielverderberin sein. Denn genau das geht beim Couchsurfern nicht. Couchsurfing ist ein Lebensgefühl des ewig gut gelaunten Reisenden, der hungrig und durstig nach neuen Erfahrungen ist. Der Abend wird schön. Eigentlich wie immer, wenn man sich auf Neues einlässt. In Brasilien ist es nicht üblich einzeln zu tanzen, sondern zu zweit, im Paar. Doch die letzten Tanzstunden sind eine Weile her und der Tanz auch ein ganz anderer. Hier wird Foro getanzt. Eigentlich ganz einfach, ein Schritt vor und wieder zurück und dann von vorn, 2/4 Takt. Doch dann tanzt doch jeder wie er will. Am Ende des Abends können wir die scheinaberen Grundschritte. Es ist 3:15 Uhr. Die Band denkt noch nicht ans Aufhören. Mir fallen die Augen zu. Auch das ist Reisen. Müde sein.

Am nächsten morgen bin ich endgültig an die Couch gefesselt. Der Weg zum Bad bereitet mir schon Schwierigkeiten. Mir ist heiß. Mir ist schwindelig. Ich will nie wieder etwas essen. Und das soll bei mir schon was heißen. Die Moskitos, die über mir Kreisen erinnern mich an das Schreckgespenst Malaria. Doch meine Temperatur liegt bei 37 Grad. Zum Arzt oder nicht? Das ist hier die Frage. Ach das ist bestimmt nur eine Grippe denke ich und bin etwas unglücklich darüber, dass der Stress mit der Rückerstattung und der Krankenversicherung meine Entscheidung beeinflusst. Ich google die Malaria-Symptome. Es muss nicht notwendigerweise Fieber auftreten. Es gibt auch Malariafälle mit sogenannten Kaltem Fieber. Dabei hat man die gleichen Symptome nur ohne Temperatur. Ich bin so schlau wie zuvor. Drei weitere Tage werde ich auf der Couch verbringen. Hauptsächlich mit schlafen, einem schlechtem Gewissen gegenüber unserem Host und Filme schauen. Immerhin können wir das zusammen machen. Ein Gruß aus Deutschland bringt mich zum Lachen. Der Film Familienfieber. Wie passend. Eine Komödie mit wunderbaren Dialogen zwischen Berlinern und Brandenburgern und neurotischen Charakteren. Am Ende wird natürlich alles gut und darauf hoffe ich auch. Mein Fieber bleibt kalt und so entschließen wir uns nach fünf Tagen in Porto Velho aufzubrechen und die zweitägige Fahrt nach Cusco aufzunehmen.

Ich blinzle, es ist hell. Das Licht der Neonröhren im Busbahnhof in Rio Branco und die Metallkante in meinem Rücken machen mich alle halbe Stunde wach. Die Couch wurde zwangsweise gegen eine Metallbank in der Wartehalle getauscht. Unser Bus aus Porto Velho hatte aufgrund eines Streiks Verspätung. Die einzige Busverbindung an diesem Tag verpasst, sehen wir uns gezwungen 20 Stunden am Busbahnhof zu warten. Jetzt ist es 00:30 Uhr. Fünf Stunden liegen noch vor uns. Auch das ist Reisen. Es kommt immer anders. Nur diesmal warten wir auf den Bus nach Peru. Die Vorfreude ein neues Land zu entdecken, lassen das harte Nachtlager etwas weicher werden. Und da ist er wieder, der Hunger nach neuen Erlebnissen.


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